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Lilly
DIE VERBORGENEN FÄHIGKEITEN




Prolog:
Vor 15 Jahren




„Alles hat seinen Anfang auch ICH“
(Tagebuch von Lilly)




Im Regenbogenland war es wie immer friedlich, aber doch herrschte im Königspalast Aufruhr denn die Königin Bloom hatte gerade ihr Kind geboren. Als das Kind seinen ersten Laut von sich gab, wurde es im ganzen Land still, nur um der neugebornen Prinzessin zu lauschen. Das Königspaar wählte den Namen Lilly für ihre Tochter aus.
Sie freuten sich sehr über die Geburt und gaben ein großes Fest, zu Ehren der kleinen Prinzessin.
Doch jemand anderes freute sich überhaupt nicht über den Nachwuchs - der Dunkle Lord. Er wollte über das Regenbogenland herrschen und verabscheute das Königspaar.
Dieses Fest hielt er für die richtige Gelegenheit das Paar vom Thron zu stoßen und sich der kleinen Prinzessin zu entledigen.
So griff er an jenem Tag mit seinen Untertanen an.
Die Untertanen des dunklen Lords töteten jeden, der ihnen in die Quere kam, und die Königsfamilie schützen wollte.
Als der dunkle Lord zu der jungen Familie gelangte, waren diese zu schwach um sich zu wehren. Darum sahen sie nur einen Ausweg. Sie überließen dem dunklen Lord schweren Herzens das Regenbogenland und all ihre getreuen Untertanen und schafften mit letzter Kraft ein Weltentor, durch das sie flohen.
Aber das Königspaar hatte dabei sehr viel Kraft verbraucht, sodass sie in der anderen Welt ein neues Leben aufbauen mussten - eines ohne Magie.
Das Schlimmste jedoch war, dass sie durch den zu hohen Kraftaufwand ihr Gedächtnis verloren hatten.
Das erzürnte den dunklen Lord und er schwor sich, dass er die Königstochter finden und zur Strecke bringen würde, denn sie war die größte Gefahr für ihn.

Nun lag die Hoffnung ganz allein auf Prinzessin Lilly. Ob sie ihren Eltern helfen konnte, das Gedächtnis und die verlorenen Erinnerungen wieder zu erlangen und ob sie das Heimatland retten konnte oder nicht…? Das konnte nur die Zukunft wissen.


Wie alles Begann




„Ein Geheimnis in mir ist
zum Leben erwacht,
ich weiß es ist da,
denn ich spür seine Kraft!“
(Liedtext)




„Jetzt benimm dich mal, Lilly!“ Die Stimme meiner Mutter klang ziemlich streng und das hieß, ich durfte nicht widersprechen. Ich verzog das Gesicht zu einer Grimasse, sagte jedoch nichts. Diese blöden Buchvorstellungen, zu denen mich meine Mutter immer mitnahm. Ich las zwar auch ziemlich gerne doch nicht so was Ödes wie das, was die da vorne an Büchern immer vorstellten! Ich würde jetzt viel lieber zu Hause sitzen und an meinem spannenden Fantasybuch weiter lesen, aber nein ich musste ja mit hier her! Na gut, also was stellte denn die da vorne gerade vor?

„Wie koche ich richtig für mein Kind? Die Ernährung bei Kindern und Jugendlichen ist sehr wichtig, deshalb sollten sie als Mutter auf eine ausgewogene und sehr gesunde Ernährung achten. Dieses Buch hilft Ihnen bei…“
Ach Menno, dieses Buch ist ja so was von doof. Ich bin ja noch nicht einmal Mutter! Wenn ich wenigstens ein wenig in der Buchhandlung herum schauen dürfte - aber auch das durfte ich nicht. Ich traute mich schon gar nicht mehr zu fragen, denn jedes Mal hieß es „Nein sonst siehst du dir wieder was und bettelst solange bis wir es kaufen!“ Aber einen Versuch war es doch noch einmal wert, oder?
„Mama darf ich ein bisschen im Buchladen herumschauen, bitte?“, fragte ich mit flehendem Blick!
„Na gut, aber wenn ich nach dir rufe, kommst du sofort, okay?“, antwortet sie mit einem Seufzen und wandte sich wieder der Buchvorstellung zu.

Ich nickte freudig und ging zwischen den vollen Bücherregalen her. Ich schlenderte durch die engen Gassen, bog mal hier und mal da ab und fand mich plötzlich in der historischen Abteilung wieder.
Mein Blick fiel auf eine Glasvitrine weiter hinten. Plötzlich wollte ich unbedingt wissen, welches Buch in der Glasvitrine drinnen war, und schaute einfach nach. Ein Buch mit dem Titel „Die Prinzessin vom Regenbogenland und ihre Kräfte.“ Hörte sich sogar irgendwie spannend an.
Plötzlich hörte ich ein Geräusch hinter mir und eine Stimme, die sagte: „Kann ich dir helfen, mein Kind?“
Es war eine ältere Dame die mich freundlich anlächelte. „Oh nein, ich sehe mich nur ein bisschen um!“, sagte ich und mein Blick schweifte zu der netten Frau und zum Buch und wieder zurück.
Dieses Buch zog mich wie magisch an - was natürlich völlig absurd war, aber ich konnte meinen Blick nicht von dem geheimnisvollem Einband nehmen. Sie schaute mir über die Schulter um zu sehen welches Buch ich anschaute. Als sie sah um welches Buch es sich handelte, wurde ihr Lächeln auf einmal geheimnisvoll, und sie sagte: „Ein tolles Buch. Es geht um ein Mädchen, das jetzt ungefähr in deinem Alter sein müsste.“
„Um was geht es denn genau?“, fragte ich. „Können Sie mir ein bisschen etwas von dem Buch erzählen?“ Die nette Frau nickte und begann zu erzählen:
„Wenn du ein bisschen über das Buch erfahren willst, kann ich dir gerne etwas von der Geschichte erzählen - aber natürlich nicht alles!“ Ich nickte und fragte noch schnell, bevor sie anfing: „Steht dieses Buch eigentlich zum Verkauf?“
„Oh ja mein Kind natürlich. Doch nur selten gehen die Leute in die historische Abteilung. Die meisten von ihnen wollen etwas anderes lesen. Aber nun erzähle ich dir am besten zuerst etwas von dem Mädchen, dessen Name ich jetzt nicht verrate. Sie selbst weiß nämlich gar nichts von ihren Kräften musst du wissen, geschweige denn, dass sie eine Prinzessin ist! Ich habe herausgefunden, dass dieses Buch auf einer uralten Legende beruht. Das Mädchen ist im Regenbogenland geboren worden, einer Parallelwelt die wir Menschen nicht sehen können. Die Eltern waren das Königspaar und regierten gerecht, doch als das Mädchen geboren wurde, griff der Bösewicht an und dem Königspaar blieb nichts anderes übrig als in unsere Welt zu flüchten. Seitdem sind sie spurlos verschwunden! Dieses Buch wurde kurz nachdem es passiert ist bei uns in dieser Welt gefunden. Es soll diesem gewissen Mädchen helfen. Ich habe es zufällig in einem alten Karton auf dem Dachboden entdeckt und deshalb nachgeforscht.“

„Wow, das ist wirklich interessant“, sagte ich. Aufmerksam hatte ich zugehört, und zu gerne würde ich das Buch kaufen, aber es kostete bestimmt ein Menge Geld und mein Taschengeld war leider schon aufgebraucht.
„Lilly, kommst du bitte? Ich würde gerne nach Hause fahren!“, rief meine Mutter durch den ganzen Buchladen. „Ja ich komme gleich“, antwortete ich und wandte mich wieder der Frau zu. „Dieses Buch muss bestimmt spannend sein! Schade dass ich kein Taschengeld mehr habe, sonst hätte ich es mir gekauft!“, sagte ich bedauernd mit einem letzten Blick zu dem Buch. Die alte Frau schaute mich eindringlich an und sagte:
„Weißt du was mein Kind, ich schenke es dir!“ Dann nahm sie das Buch aus der Vitrine und drückte es mir in die Hand. Ich war sprachlos und es dauerte eine ganze Weile bis ich meine Stimme wiederfand. „Das kann ich nicht annehmen.“
Sie nickte eindringlich, „Aber natürlich kannst du. Es gehört jetzt dir!“
Ich konnte nicht mehr protestieren, denn meine Mutter rief noch einmal nach mir und wenn ich mich nicht beeilte, würde sie ohne mich nach Hause fahren und ich hatte keine Lust nach Hause zu laufen. Also bedankte und verabschiedete ich mich.

Zuhause angekommen, bemerkte meine Mutter das Buch. „Lilly“, sagte sie streng, „Hast du dir etwa ohne meine Erlaubnis ein Buch gekauft?“
„Nein, ich hab es geschenkt bekommen.“
Meine Mutter glaubte mir zwar nicht so recht, ging aber trotzdem in die Küche um das Abendessen zu machen. Erleichtert verzog ich mich in mein Zimmer, um in dem neuen Buch zu lesen. Ich war wirklich gespannt was da alles drin stand.
Also legte ich mich aufs Bett und fing an:


„Prinzessin vom Regenbogenland und ihre Kräfte

Gewidmet ist das Buch der Prinzessin

Kapitel 1

Wer dieses Buch hier liest,
erfährt von der Prinzessin viel.

Hier ein Brief an die Prinzessin von ihren Eltern:
Bloom und Jeod!

Du wohntest eins im Regenbogenland,
doch unsere Feinde haben uns in eine andere Welt verbannt!
Durch einen Kuss werden deine Kräfte erweckt,
denn sie schlummern noch tief in einem Versteck!
Doch sind die Kräfte erst einmal erwacht,
so haben sie große Macht!
Du musst lernen mit ihnen umzugehen,
sonst wird etwas Schreckliches geschehen!
So hoffen wir, dass du deine Kräfte in einem bestimmten Alter entdeckst,
denn 12 ist zu klein 16 wäre recht!
Wir glauben an dich und deine Kräfte,
dass du damit Regenbogenland befreien möchtest!

In Liebe,deine Eltern
Bloom & Jeod“




Die Stimme meiner Mutter drang erst nach dem zweiten Versuch, zu mir durch. Ich war so in das Buch versunken gewesen, dass ich sie gar nicht gehört hatte. „Ja, Mum was ist los?“, fragte ich.
Die Türklinke bewegte sich und der Kopf meiner Mutter erschien.
„Sag mal bist du etwa schon wieder beim Lesen eingeschlafen, oder hast du mich einfach ignoriert?“, fragte sie mich.
„Was ist denn los?“, fragte ich noch einmal.
„Telefon für dich, es ist Sarah!“ Ich klappte das Buch zu, stand auf und ging zum Telefon, das im Flur auf einem kleinen Tisch stand.
„Hi Sarah, was ist los?“, meldete ich mich.
„Nichts ist los, das ist es ja. Ich stehe hier schon seit Stunden an der Bushaltestelle und du kreuzt einfach nicht auf! Sag bloß nicht du hast es vergessen. HALLO? Wir sind verabredet! Es ist Partytime!“, schrie sie in den Hörer, so dass mir die Ohren schmerzten. Oh nein, die Party hatte ich ja ganz vergessen. Auf die freute ich mich ja schon die ganze Woche lang und jetzt vergaß ich sie einfach.
„Sorry, hab’s total vergessen. Bin in zehn Minuten bei dir. Bis gleich, tschüss!“ Ohne eine Antwort abzuwarten, legte ich auf.

Als ich mich fünf Minuten später in Schale geworfen hatte, packte ich noch schnell meine Umhängtasche in der sich mein Geldbeutel, die Fahrkarte für den Bus, ein paar Schminksachen und das Buch befanden. Dann machte ich mich sofort auf den Weg.
„Tschüss, Mum“, rief ich noch an der Haustür. Ich wusste nicht ob sie es gehört hatte.
Als ich an der Bushaltestelle ankam, wartete Sarah schon ungeduldig auf mich.


Der Kuss




„Hörst du nicht wie mein Herz pocht?! JEREMY“
(Liedtext)




Als wir auf der Party ankamen, war schon ziemlich viel los.
Als erstes holten wir uns was zu trinken! Nachdem sich jeder ein Glas geholt hatte, kletterten Alex und Katherina, zwei Schulfreunde von uns, auf den Tisch. Katharina lächelte und schlug mit einem Löffel leicht gegen ihr Cocktailglas.
Augenblicklich kehrte Ruhe ein.
„Wer will Flaschendrehen spielen?“, fragte Alex in die
Runde
„Wer Lust hat, soll ins Nebenzimmer kommen“, fügte
Katherina noch hinzu.

Sarah und ich sahen wie Alex und Katherina schnell wieder vom Tisch kletterten und ins Nebenzimmer verschwanden.
Gleich danach gingen Stefan, der in mich verknallt, aber ein totaler Trottel ist und Vanessa, die Zicke, die
immer an Sarah und mir etwas auszusetzen hatte, in das
Nebenzimmer.
Als Letzter ging Jeremy rein, der coolste Typ überhaupt. Alle Mädchen himmelten ihn an - leider interessierte er sich jedoch für keine. Sarah und ich waren schon lange in ihn verknallt, aber wir hatten die Vereinbarung getroffen, dass auch wenn Jeremy sich für eine von uns entscheiden würde, würde das nichts an unserer Freundschaft ändern.

Sarah schaute mich an. „Komm, da machen mir mit!“
„Ich weiß nicht so recht. Stefan ist doch dabei, und der wird wahrscheinlich alles dafür tun, dass er mich küssen kann!“, antwortete ich und warf einen Blick zur Tür des Nebenzimmers. Ob sie schon angefangen hatten?
„Ach komm schon, außerdem ist Jeremy da drin und macht mit, wer weiß vielleicht kommen wir so näher an ihn heran? Das ist unsere Chance!“
Ich schaute sie an und seufzte dann resignierend. Sie würde ja sowieso nicht locker lassen. Also ließ ich mich von ihr ins Nebenzimmer zerren, wo alle anderen die mitspielten sich schon in einen Kreis gesetzt hatten. Sie machten noch Platz für uns, schlossen die Tür und legten die Fasche in die Mitte.
Dann fingen wir an zu spielen…
…als Vanessa drehte, blieb die Flasche bei Stefan stehen.
„Wahrheit oder Pflicht?“, wollte sie wissen.
Stefan war vorher schon einmal dran gewesen, da hatte er Wahrheit genommen, so musste er jetzt Pflicht nehmen.
Und jetzt kam das Schlimmste, was auf dieser Party hätte passieren können.
Vanessa schaute mich listig an und ich fragte mich was sie jetzt schon wieder vorhatte. Es würde wahrscheinlich nichts Gutes sein. Meine Vorahnung bestätigte sich.
„Stefan, du musst Lilly küssen - aber auf den Mund!“
Stefan wurde knallrot und verzog seinen komischen Mund zu einem Lächeln. Er freute sich also darüber, stellte ich angewidert fest.
Am liebsten hätte ich mich in Luft aufgelöst.

Stefan setzte sich unaufgefordert neben mich und kam mit seinen dicken, feuchten Lippen zu mir heran.
Ich hörte hinter mir Vanessa und Katherina kichern und Jeremy sah ich noch wie er wegschaute und schluckte.
Schon waren Stefans Lippen auf meinen. Er presste sie regelrecht aufeinander und ich wich immer weiter zurück. Seine Arme jedoch umklammerten meine Hüfte sodass ich nicht entkommen konnte.
Ich wollte vor lauter Eckel aufschreien, doch ich unterdrückte es gerade noch, weil ich meine Lippen fest zusammen presste, damit Stefans Spucke nicht in meinem Mund kam.
Doch plötzlich durchzuckte mich etwas. Ein komisches Gefühl breitete sich in meinem ganzen Körper aus und
ich riss mich von Stefan los. Wie ich das geschafft hatte, wusste ich bis heute nicht, denn Stefan ist eigentlich ziemlich stark.
In meinem Kopf war nur noch ein Gedanke.
„Raus! Nur noch weg von hier!“

Ich sprang wie von der Tarantel gestochen auf, packte meine Umhängetasche die neben mir lag und lief hinaus.
Ich merkte noch die verwunderten Blicke meiner Freunde hinter mir.
„Hinterlistige Taten sind gut für die Gesundheit!“, hörte ich Vanessa noch sagen, die daraufhin lachte.
Sarah schrie Vanessa an: „Halt einfach die Klappe, das ist echt mies von dir! Lilly …“
Dann verstand ich nichts mehr. Ich war schon zu weit weg und bahnte mir einen Weg durch die Gäste, was gar nicht so einfach war, denn das ganze Haus war voll mit ihnen.
Als ich es endlich aus dem Haus geschafft hatte, lief ich in den Wald, der hinter dem Haus lag. Immer weiter hinein ohne mich umzusehen, ich wollte einfach nur weg.
An einer Lichtung blieb ich stehen und ließ meine Umhängetasche fallen. Ich selbst ließ mich ins Gras sinken und atmete tief ein und aus.
Was war nur los mit mir?
Dieses komische Gefühl in meinem Körper war immer noch da. Ich hatte keine Ahnung was es war, aber es fühlte sich an als ob ich einen Teil in mir gefunden hätte, den ich schon sehr lange suchte.
Ich merkte dass, das Buch aus der Tasche gefallen war und offen im Gras lag.
Das erste Kapitel war aufgeschlagen und ich las nochmals den Brief durch um mich zu beruhigen, doch bei einer bestimmten Zeile, blieb mein Blick hängen:
„… durch einen Kuss werden deine Kräfte erweckt,
denn sie schlummern noch tief in einem Versteck.
So hoffen wir dass du deine Kräfte in einem bestimmten Alter entdeckst, denn 12 ist zu klein 16 wäre recht!“
Ich war 16 und mich hatte gerade jemand geküsst. War ich etwa die Prinzessin?
Nein, dass konnte nicht sein. Ich schüttelte entschlossen den Kopf damit der Gedanke schnell wieder verflog. Das war doch bloß ein Buch, das war doch nicht die Wirklichkeit - oder doch?

Ich blätterte weiter zur Inhaltsangabe und durchflog sie, bis ich das gefunden hatte, was ich suchte. Und zwar Kapitel 8 „Die Kräfte von der Prinzessin“ auf Seite 47. Hastig blätterte ich zu besagter Seite und las sie mir durch:
„Die Prinzessin besitzt die Kraft der vier Elemente Wasser, Feuer, Erde und Luft. Sie merkt durch ein Kribbeln im ganzen Körper, dass diese Kräfte erweckt sind!“
Könnte es denn wirklich die Möglichkeit sein?
Ich klappte das Buch zu, konnte einfach nicht glauben, dass dies stimmen sollte. Bestimmt hatte ich nur zuviel getrunken oder der Kuss hatte mich so durcheinander gebracht, dass ich jetzt nicht mehr klar denken konnte.
„Probier es aus!“, flüsterte eine Stimme in meinem Kopf. Ich schaute mich um, sah aber niemanden.
„Komm schon probier es aus, sei kein Spielverderber! Dann weißt du ob du verrückt bist oder nicht!“
Ich war wirklich durchgedreht, jetzt hörte ich auch noch Stimmen.
Meine Wangen glühten und mir war heiß. In der Nähe hörte ich einen Fluss rauschen und bahnte mir einen Weg durch das Gestrüpp zum Fluss um mich abzukühlen. Ich musste wieder klar denken.

Ich kniete mich so nah ich konnte an den Fluss, der ruhig dahin floss und tauchte meine Hände in das seichte, eiskalte Wasser hinein.
Meine Hände formte ich zu einer Schale und kühlte mein Gesicht, was richtig gut tat.
Ich schloss meine Augen und lauschte, die Stimme war wieder verschwunden und ich hörte nur noch das Rauschen des Wassers und des Windes in den Bäumen.
Wahrscheinlich hatte ich mir die Stimme nur eingebildet.
Ich öffnete die Augen und bemerkte etwas was ich nie für möglich gehalten hätte und was mich nun völlig an meinen Verstand zweifeln lies.

Als ich meine Hand noch einmal in das kühle Wasser hineinhielt und wieder herausnahm, stieg das Wasser hinter meiner Hand mit hinauf.
Ich schauderte und mir blieb der Mund offen stehen, denn das Wasser folgte meiner Hand, wie ein Hund ohne Leine, der einem Leckerli hinterher rannte. Okay das war ein blöder Vergleich, mir fiel aber kein besserer ein. Als hätte ich Fäden an meiner Hand mit denen ich das Wasser hinauf ziehen würde.
Meine Hand zitterte vor Kälte und vor Aufregung. Diese neue Entdeckung gab mir irgendwie ein Glücksgefühl.
Ich bewegte meine Hand im Kreis und sofort riss die Wasserschnur ab und ein Teil des Wassers formte sich in der Luft zu einer Kugel. Es war einfach faszinierend.
Ich ließ meine Hand sinken, die Kugel tauchte in den Fluss und war verschwunden.

Wow, jetzt drehte ich also völlig durch. Jetzt hatte ich auch noch Wahnvorstellungen!
Ich rieb mir meine Augen mit meinen kalten Händen und legte diese nochmals in das Wasser zurück, um mich zu überzeugen, dass ich doch keine Wahnvorstellungen hatte.
Dasselbe passierte wieder, dass Wasser folgte meiner Hand erneut. Also war ich doch nicht verrückt!
Es war Magie, reine Magie! Ich hätte niemals geglaubt, dass es so was wirklich gab.
Plötzlich hörte ich hinter mir ein Geräusch aus den Büschen.
Ich erschrak und ließ die Wasserkugel, die gerade vor mir in der Luft schwebte, schnell zurück ins Wasser gleiten, als das Rascheln näher kam.

Eine Person kam langsam aus dem Gebüsch. Zuerst erkannte ich nur, dass es ein Junge war. Dann erst merkte ich, dass es Jeremy war. Im nächsten Augenblick spürte ich wie meine Wangen heiß wurden und biss mir verlegen auf die Lippe.
Er schaute mir eine Zeit lang in die Augen bis ich verlegen wegschaute. Dann drehte er sich um und rief: „Ich hab sie gefunden!“
„Wir haben uns echt Sorgen um dich gemacht“, sagte er nun an mich gewandt.
„Tut mir leid, aber mir war so schlecht und ich wollte nicht dass ihr mich so seht.“ Etwas Besseres fiel mir auf die Schnelle nicht ein.
Er nickte langsam, kam zu mir und reichte mir die Hand, damit ich aufstehen konnte, was ich dankbar annahm.
Von allen Seiten kamen jetzt die Anderen. Stefan, Alex, Katherina und Sarah hatten ihn also begleitet.
Ich entschuldigte mich bei allen und sagte Dasselbe, was ich schon Jeremy gesagt hatte und dass ich deshalb weggelaufen war.
Danach gingen wir zurück, aber ich wollte nur noch nach Hause.
Katharina, Stefan und Alex blieben auf der Party, Sarah und Jeremy begleiteten mich um auf mich aufzupassen. Obwohl ich widersprochen hatte, ließen sie sich davon nicht abbringen.
Außerdem wohnten sie ganz in der Nähe von mir und bei mir angekommen, trennten wir uns alle und verabschiedeten uns.
Doch Jeremy sah mich den ganzen Nachhauseweg immer wieder prüfend an und berührte unauffällig meinen Arm. Jedes Mal wenn er mich berührte, huschte ein Lächeln auf meinen Mund, denn es bescherte mir ein unglaubliches Glücksgefühl.

Aber ich hoffte auch, dass er von dem was im Wald geschehen war, nichts gesehen hatte.


Das Päckchen




„Es ist alles so unvorstellbar spannend, unglaublich und coooool!“
(Tagebucheintrag von Lilly)




Ich ging nach dem Vorfall sofort ins Bett, und ich war so müde dass ich sofort einschlief.
Am nächsten Morgen als ich aufwachte, kam mir alles was gestern Abend passiert war, wie ein unglaublicher Traum vor.
Deshalb probierte ich es beim Zähneputzen noch einmal aus und wider meiner Erwartungen funktionierte es tatsächlich.
Als ich mich frisch gemacht hatte, kam ich zu Mum und Dad in die Küche und frühstückte mit ihnen.
Danach ging ich wieder ins Bad, holte mir einen Eimer mit Wasser, huschte mit dem schnell in mein Zimmer und schloss hinter mir ab - immerhin sollte nicht gleich jeder erfahren, dass ich nicht von dieser Welt war.

In meinen eigenen vier Wänden probierte ich mit dem Wasser alle möglichen Formen aus und mir machte es sichtlich Spaß. Auch die anderen Elemente Luft, Feuer und Erde probierte ich aus, aber nur das Beherrschen der Luft funktionierte so gut wie das des Wassers.
Auf einmal drehte sich die Klinke meiner Zimmertüre quietschend, doch Gott sei Dank war ja zugesperrt. Ich erschrak jedoch so, dass mein Wasserdreieck, das gerade in der Luft schwebte, zurück in den Eimer platschte, der natürlich überlief und so landete das überschüssige Wasser auf meinem Fußboden.
„Lilly, warum hast du denn schon wieder zugesperrt? Du weißt doch dass ich das nicht gerne habe!“, rief meine Mutter von draußen und klopfte stürmisch gegen meine Tür.
„Ich wollte nur meine Ruhe, Mum. Ist das denn in diesem Haus nicht erlaubt?“, rief ich zurück und wischte mit einem Taschentuch schnell die Wasserflecken weg.
Ich hörte wie sie draußen seufzte.
„Ja, natürlich darfst du. Aber es ist einfach komisch wenn du immer absperrst und ich nicht weiß was du machst.“ Ein weiteres Seufzen folgte.
„Kommst du bitte zum Essen?“, fragte sie noch, bevor sie ohne eine Antwort abzuwarten ging.
Ich starrte erschrocken auf die Uhr. Schon halb sieben?
Die Zeit war wie im Flug vergangen.
Bevor ich zum Essen ging, leerte ich den Eimer im Bad wieder aus. Nach dem Essen ging ich auch gleich ins Bett, denn die Sachen, die ich mit dem Wasser ausprobiert hatte, hatten mich ganz schön fertig gemacht.

Am nächsten Morgen in der Schule war alles wie eh und je, - nämlich totlangweilig.
Als mich Vanessa aufzog, dass ich Stefan geküsst hatte, spielte ich ihr einen kleinen Streich. Nach der kleinen Pause setzte sich Vanessa auf ihren Stuhl. Mit einer kleinen Handbewegung von mir, kippte der Stuhl um und sie flog auf dem Boden. Die ganze Klasse lachte, ein paar sagten sogar zu Vanessa, sie sei zu blöd um auf einem Stuhl sitzen bleiben zu können.
Sie war nur stinksauer und schmollte den Rest des Tages vor sich hin, ich jedoch war zufrieden mit mir selbst und der Welt. Manchmal verdienten Leute wie Vanessa solche Aktionen eben.

Als ich nach Hause kam, sagte Mum dass für mich ein Päckchen gekommen wäre und sie es in mein Zimmer gelegt hätte.
Ich wusste nicht von wem es sein könnte, denn ich erwartete kein Päckchen. Gespannt ging ich also in mein Zimmer und machte das Paket, welches auf meinem Bett lag, auf.
Im Paket waren ein Brief, ein Gewand, das aus einem roten Minirock und einem langen Oberteil bestand. Dann noch eine goldene Maske, die mich an die erinnerte, die man früher auf Kostümbällen benutzt hatte.
Zuletzt nahm ich den Brief und öffnete ihn.

Liebe Lilly,
du kennst mich nicht,
aber ich kenn dich!
Du bist die Prinzessin vom Regenbogenland,
und die einzige Rettung für dieses Land!
Dieses Päckchen schicke ich dir,
denn du wirst es brauchen im Regenbogenland und auch hier!
Du wirst viele Kämpfe gegen Verbrecher haben,
doch auch gefährliche Gegner und dunkle Gestalten werden dich jagen!
Sie werden dich in den Schlagzeilen Kamikaze Lilly ernennen,
und werden dich als Heldin erkennen,
Die Menschen werden sich fragen, wer du bist,
warum du ihnen hilfst und was du hier in dieser Stadt machst,
manche werden sogar denken dass du bist, ein Engel von Gott gesandt!
Doch es wird auch welche geben, die von Dämonen besessen,
dich zwingen sich mit ihnen zu messen!
Es wird auch welche geben, die dich verehren,
und ihre liebe zu dir erklären!
Du wirst ein großes Abenteuer erleben!
Du musst nämlich den dunklen Lord auffinden und ihn erlegen!
Doch du wirst das alles überstehen,
und die 8 Steine wieder in deine Obhut nehmen!



Ungläubig las ich den Brief noch einmal.
Keine Ahnung wer das geschrieben hatte, aber er wusste von mir und anscheinend von dem was in Zukunft passieren sollte. Und meine Zukunft klang eindeutig nicht sehr gut und was war mit den 8 Steinen wohl gemeint? Das war alles sehr, sehr komisch und verwirrend.
Ich legte den Brief beiseite und holte das Gewand nochmals aus dem Paket und zog es an. Es passte wie angegossen.
Als ich mich so im Spiegel betrachtete, fühlte ich mich mit diesem Kostüm seltsam stark, so als könnte ich damit Berge versetzen. Bei diesem Gedanken lachte ich leise und betrachtete wieder mein Spiegelbild. Schon wieder hatte ich solche verrückte Vorstellungen und Ideen!
Ich setzte mich mit dem Buch auf mein Bett und las noch einmal das ganze Kapitel mit meinen Fähigkeiten durch und konnte es einfach immer noch nicht ganz glauben denn eigentlich existiert doch Magie überhaupt nicht. Eigentlich war das alles überhaupt nicht möglich.


Der erste Gegner – Sieg oder gleich eine Niederlage?




„Flieg durch die Zeit,
schau nicht zurück,
sei bereit jeden Augenblick!“
(Liedtext)




Ich klappte das Buch zu, denn irgendwie kamen mir meine Haare plötzlich schwerer vor als sonst.
Als ich in den Spiegel schaute, um nach dem Grund zu forschen, wusste ich sogleich warum. Meine Haare waren auf einmal fast bis zum Boden lang. Na gut, vielleicht ist das ein bisschen übertrieben, aber bis zu meiner Hüfte gingen sie gewiss. Und das obwohl meine Haare normalerweise nicht einmal bis zu meinem Ellbogen reichten.
Ich betrachtete mich lange staunend und zugleich skeptisch im Spiegel und fragte mich, ob meine Haare wieder kurz wurden, wenn ich das Kostüm wieder ausziehen würde.
Gedacht, getan und nicht einmal ganze fünf Minuten darauf, waren meine Haare wieder wie früher. Das war unglaublich!

Am nächsten Tag ging ich wieder in die Schule. Die ersten zwei Stunden hatte ich Deutsch und Religion.
Diese Stunden sind immer sooo langweilig. Also kritzelte ich wie immer in meinem Heft oder ich schaute Jeremy (der übrigens rechts vor mir in der ersten Reihe saß) zu, wie er sich genauso langweilte wie ich mich, und ein paar Mal sah er mich an. Dann schaute ich jedoch schnell verlegen weg, aus Angst wieder mal rot anzulaufen. Das war mir nämlich schon viel zu oft passiert.

Als die Glocke zur Pause läutete, geschah es.
Zuerst kam es mir so vor als wäre es eine normale Pause wie immer. Meine Freundin Sarah und ich redeten wieder mal über Jeremy, was wir eigentlich jede Pause machten.
Dann rannte plötzlich ein kleines Mädchen hinter mich. Sie zitterte und schaute mich mit großen, ängstlichen Augen an.
„Bitte hilf mir, so ein Junge will mich hauen!“
Sie war kaum älter als 8 Jahre, und tatsächlich kam ein großer Junge auf uns zu. Er hatte schwarze Haare und seine Augen waren das Seltsamste an ihm. Ich konnte meine Augen nicht von seinen abwenden, so sehr ich auch wollte. Es war wie ein Bann, der mich nicht losließ.
Seine Pupillen waren groß, so groß dass sie mit keinen zuvor gesehenen zu vergleichen gewesen wären. Sie füllten fast seine ganzen Augen aus und sie waren pechschwarz. Irgendetwas sagte mir, dass mit dem Jungen was nicht in Ordnung war.

„Hey kleines Schwesterchen, warum läufst du denn immer vor mir weg? Wir spielen doch gar nicht mehr fangen! Ich will dich doch nur nach Hause bringen, Dummerchen!“
Er sprach ganz schleimig und versuchte das Mädchen nicht ganz sanft von mir wegzureißen. Diese klammerte sich wiederum nur noch fester an mich.
Dann wandte er sich an mich: „Sorry, wenn sie dich genervt hat, aber meine kleine Schwester hat gestern einen Gruselfilm angeschaut und seitdem vermutet sie hinter jedem einen bösartigen Dämon! Also komm je…“ Er hielt inne, riss die Augen auf und schnupperte in der Luft herum, was mein Gefühl, dass bei ihm etwas nicht stimmte, nur noch verstärkte.
Dann verzog er seinen Mund zu einem Lächeln: „Soso wen haben wir denn da?“
Sein ganzes Wesen veränderte sich schlafartig. Ich spürte mit einem Mal die dunkle Aura, die ihm umgab.
Im nächsten Moment ging er auf mich zu und flüsterte mir heiser ins Ohr: „Endlich habe ich dich gefunden, meine liebe Prinzessin vom Regenbogenland. So brauche ich dich also gar nicht extra zu suchen. So was! Läufst du mir einfach so über den Weg, Prinzesschen!“

Ich hielt die Luft an, denn das was da vor mir war, war eindeutig kein Mensch. Das Wort ‚Dämon’ kreiste ununterbrochen in meinen Gedanken umher.
Ich schob den Jungen unsanft zu Seite und flüsterte Sarah zu: „Halte ihn in Schacht, ich bringe das Mädchen in Sicherheit. Ich denke er ist nicht ihr Bruder und er hat was anderes mit ihr vor. Ich komme gleich wieder. Versprochen!“
Sie schaute mich mit großen Augen an, nickte aber und wandte sich mit einem Seufzen dem Jungen zu und sagte: „Irgendwie siehst du niedlich aus! Hast du eine Freundin? Wenn nicht würde ich gerne …“
Ich schlich mich währenddessen mit dem Mädchen im Schlepptau schnell davon.

Im Schulhaus in der Aula blieben wir stehen und ich schaute das Mädchen fragend an.
„Ist das wirklich dein Bruder oder hat er das nur so gesagt?“
Das Mädchen brach in Tränen aus und ich gab ihr ein Taschentuch und nahm sie in den Arm. Nach einiger Zeit hatte sie sich soweit wieder gefangen dass sie unter Schluchzen antworten konnte:
„Ja es stimmt … er ist mein Bruder. Aber er hat sich verändert. Früher … früher war er so lieb. Er konnte… konnte keiner Fliege was zu Leide tun… Außerdem hat er dich gerade draußen angelogen. Ich habe überhaupt keinen Gruselfilm an…geschaut!“
Ich brauchte sie gar nicht weiter zu fragen. Für mich stand fest: Ein Dämon hatte von dem Jungen Besitz ergriffen. Deshalb benahm er sich auch so merkwürdig und deshalb sahen seine Augen auch so komisch aus.
„Wie heißt dein Bruder denn?“, fragte ich nun um das Mädchen ein bisschen abzulenken.
„…Jakob…“, flüsterte sie und schnäuzte zum dritten Mal in das Taschentuch.
„Ich wusste dass ihr hier seid. Dich könnte ich meilenweit aufspüren wenn es sein müsste, Prinzessin.“ Jakob lehnte an der Wand gegenüber von uns und wir drehten uns augenblicklich zu ihm um. Er legte in das Wort Prinzessin so viel Hass dass man es richtig spüren konnte.

„Aha, und warum hast du dann mich vorher noch nicht gefunden, wenn du mich meilenweit aufspüren kannst, Herr Jakob?“, fragte ich bissig. Das musste jetzt einfach sein, denn er sollte mal von seinem hohen Ross runter kommen! Doch sein lächeln wurde nur noch verschmitzter und er zuckte nur als Antwort mit den Schultern.
Ich schob das kleine Mädchen hinter mich, denn so konnte ich sie allenfalls beschützen.
Mist, schoss es mir durch den Kopf, mit meinem Kostüm wäre ich bestimmt stärker gewesen.
Wie kam ich denn jetzt auf so was? Eigentlich müsste ich jetzt ganz andere Sorgen haben. Trotzdem wünschten sich meine Gedanken das Kostüm förmlich herbei.
Und plötzlich konnte ich den Boden unter meinen Füßen nicht mehr spüren. Ich schwebte und drehte mich zweimal um mich selbst.
Was passierte denn jetzt mit mir? Ich kam mir vor wie bei Sailor Moon. Es fehlte jetzt nur noch der Spruch. Wie ging der noch Mal? „Macht der Mondnebel! Mach auf!“
Genau.

Und ehe ich mich versah, stand ich wieder auf dem Boden, vollständig gekleidet und wieder mit langen Haaren, die zu zwei Zöpfen gebunden waren.
Das kleine Mädchen schaute mich mit großen Augen an.
„Bist du wirklich eine Prinzessin? Ui, wie heißt du denn?“, fragte sie mich aufgeregt.
„Ja, ich bin wirklich eine Prinzessin und mein Name ist Lilly“, sagte ich und es wunderte mich selbst wie leicht mir das von den Lippen ging. Hatte ich mich tatsächlich so schnell an meine neue Rolle gewöhnt?
Selbstsicher wandte ich mich wieder Jakob zu.
„Was hast du mit meiner Freundin gemacht? Normalerweise lässt sie einen nicht so schnell gehen.“ Ich hob fragend eine Augenbraue, denn es stimmte. Wenn sie einmal angefangen hatte zu reden, hörte sie so schnell nicht wieder auf.
„Ich hab einfach nur ‚Halt deine Klappe‘ gesagt und bin an ihr vorbei gegangen. Keine Sorge, ich hab nur einen kleinen Bannzauber benutzt, sodass sie sich 10 Minuten nicht rühren konnte und dann bin ich euch gefolgt“, sagte er, mit einem arroganten Lächeln.
Am liebsten wäre ich zu ihm hingegangen und hätte ihm eine Ohrfeige gegeben. Wie konnte er so kalt über so etwas sprechen? Aber ich ließ es letztendlich dann doch bleiben, denn es würde wahrscheinlich sowieso nichts bringen.

„Das hättest du nicht tun sollen, denn hier erwartet dich der Tod!“, platzte es aus mir heraus.
Jakob fing laut an zu lachen. Doch es klang sehr künstlich. Im nächsten Moment zupfte das kleine Mädchen an meinem Ärmel und schaute mich mit tränennassen Augen an.
„Tust du meinem Bruder weh? Ich will nämlich nicht, dass du ihm weh tust. Ich hab ihn doch sooooo lieb!“, schluchzte sie.
Mir tat die Kleine richtig leid, musste ich einräumen.
„Nein ich tu ihm nichts“, antwortete ich also und hoffte dass ich ihm wirklich nichts tun würde. „Ich will versuchen ihn wieder wie früher zu machen. Aber am besten gehst du jetzt zurück auf den Schulhof damit dir nichts passiert!“
Sie nickt und rannte sogleich zur Treppe.

„Können wir jetzt bitte mit unserem Kampf anfangen?“, fragte Jakob genervt und so, als wenn es das Natürlichste der Welt wäre.
„Mir wäre es lieber wenn wir draußen kämpfen würden“, bemerkte ich und versuchte dabei meine Stimme ruhig und ein bisschen gelangweilt klingen zu lassen, was mir aber nicht so sehr gelang. Das lag wahrscheinlich daran, dass ich eigentlich ziemlich große Angst hatte und es war mir auch egal wo der Kampf stattfand, nur wollte ich ihn so lange hinauszögern wie es nur möglich war.
„Wie du willst…“, sagte er gedehnt, „ich werde dir hinaus helfen.“
Ich wollte noch protestieren, doch er streckte seine Arme nach vorne und aus seinen Handflächen kam grelles Licht, sodass ich meine Augen zukneifen musste.
Instinktiv streckte ich meine Hände vors Gesicht um es zu schützen.
Plötzlich spürte ich einen harten Schlag in meinem Bauch und ich wurde nach hinten in Richtung Wand geschleudert. Ich spürte wie ich ihr immer näher kam und dann prallte ich gegen sie. Ich schrie auf, mein Rücken schmerzte von dem Aufprall.
Die Wand hielt der Kraft zuerst stand, die mich unermüdlich gegen sie drückte, doch dann gab sie nach und ich flog mir den Bruchstücken hinaus, in den Pausenhof.
Ich hörte Schreie unter mir und hoffte nur dass sich niemand verletzen würde.

Dann kam der harte Aufprall und ich landete auf dem Betonboden. Ich vermutete dass ich mir bestimmt alle Rippen gebrochen hatte und dann wurde mir schwarz vor Augen und ich fiel in Ohnmacht.
Meine Ohnmacht dauerte nicht lange, denn in dem Buch hatte ich gelesen, dass ich die Fähigkeit besaß mich selbst zu heilen und dass dieses sehr schnell ging.
Als ich also aufstand und mich umschaute, hatte sich ein großer Kreis um mich und Jakob gebildet. Anscheinend hatte er ihnen Angst gemacht oder irgendeine unsichtbare Mauer errichtet, denn keiner von ihnen rührte sich.
Ich war noch immer ein bisschen benebelt von der Ohnmacht und dem harten Aufprall, so dauerte es einen Moment bis ich endlich wieder fest stand.

„Können wir jetzt endlich loslegen? Ich habe den Kampf eh schon so gut wie gewonnen!“, tönte er.
"Schlägerei, Schlägerei", riefen auf einmal die im Kreis stehenden Mitschüler im Chor. Plötzlich umspielte Jakobs Lippen ein Lächeln. Das war es also gewesen worauf er hinaus gewollt hatte.
Eine kräftige Windböe riss mich auf einmal fast vom Boden, doch mit Hilfe von starker Konzentration hielt ich mich. Ich drehte meinen kleinen Finger kaum merklich und leitete dadurch Jakobs Windböe so um, dass sie auf die im Kreis stehenden Mitschüler zukam.
Doch nicht wie erwartet wurden die Schüler vom Boden gerissen, sondern kaum dass die Böe sie erreichte, drehten sie sich um und gingen geradewegs ins Schulgebäude.
Kaum dass die Schüler weg waren, lief ich in die Richtung eines kleinen Waldstücks. Ich musste hier weg! Als ich die Wiese zur Hälfte überquert hatte, flog vom Wald ein großes Stück Erde auf mich zu, doch dem wich ich geschickt aus und drehte mich zu meinem Verfolger um. Die Verwirrung, die sich in mir breit machte, musste warten bis wir hier fertig waren. Ich musste mich auf Jakob und diesen aussichtslosen Kampf konzentrieren.
„Warum hast du es denn so eilig, Prinzesschen? Du willst doch nicht etwa weglaufen?“, fragte mich Jakob mit einem müden Lächeln und schleuderte die Mauerbrocken von der Schule auf mich. Da ich diese nicht bändigen konnte weil sie von allen Seiten auf mich zukamen, streckte ich nur die Hände vor den Kopf um wenigstens ihn zu schützen. Etwas anderes als sie abzuwehren, blieb mir bei Jakobs Attacken gar nicht übrig.

Dann drang ein dumpfer Schlag an mein Ohr. Doch der erwartete Schmerz folgte nicht. Vorsichtig nahm ich eine Hand vom Gesicht und hob leicht den Kopf. Vor mir ragten wurzelartige Fangarme aus dem Boden, die die Maurerbrocken vor mir in der Luft hielten.
"Wow", hauchte ich verblüfft.
"Nicht schlecht." Jakob spuckte verächtlich auf den Boden.
Ich brauchte einige Zeit, bis ich begriff was ich da gemacht hatte.
Ich konnte also auch schon die Pflanzen kontrollieren. Das verwirrte mich, doch mir fehlte die Zeit um darüber intensiv nachzudenken. Ich bewegte meine Arme nach links und rechts und die Wurzel machten das gleiche. Zeit tat Not, also musste ich alles ausprobieren, was mir eben helfen konnte.
Als ich aufhörte, warteten die Wurzeln seelenruhig, bis ich wieder etwas tat.

Einen Moment drohten die Wurzeln mich vollkommen in ihren Bann zu ziehen, doch ich riss mich zusammen. Mich wieder auf den Kampf konzentrierend, machte ich mit einer Hand Wegwerfbewegung und die Wurzeln schleuderten die Mauerbrocken wieder zurück zu Jakob, der sie leider mit Leichtigkeit aufhielt und in den Wald schleuderte.
"Warum muss der soviel können?", fragte ich mich wütend. Es war unfair gegen so einen erfahrenen Gegner zu kämpfen.

Auf einmal konnte ich die Wurzeln nicht mehr kontrollieren. Sie schwankten hin und her und schlugen um sich. Ich wich ihnen so gut es ging aus
.Was war denn jetzt geschehen?
Einige Male trafen mich die Wurzeln und beim letzten Mal schleuderten sie mich hart gegen einen Baum.
Reglos blieb ich dort sitzen.
"Ich brauche unbedingt Hilfe. Warum funktioniert das den nicht mehr?“, hauchte ich hilflos. Sogar Jakob konnte nur noch ausweichen.
Plötzlich flüsterte eine samtene Stimme in meinem Kopf:
"Soll ich dir helfen?“
"Wer bist du?", fragte ich lautlos.
Ich bemerkte wie sich die wurzelartigen Fangarme beruhigten und zurück in den Boden sanken.
Auch bemerkte ich wie Jakob mich wieder anzugreifen versuchte, doch irgendetwas blockte seine Attacken ab. Machte das die Stimme in meinem Kopf?
Besagte Stimme meldete sich in diesem Moment wieder:
"Ja, das mache ich. Das ist ein Schutzschild, damit wir uns ungestört unterhalten können", beantwortete sie die Frage, die ich eigentlich mir selbst gestellt hatte.
"Ich bin übrigens Falada, die Elfe und Hüterin der 8 Steine vom Regenbogenland und bin gekommen um dir zu helfen."
"Und warum kann ich dich nur hören und nicht sehen?", fragte ich argwöhnisch. Das war doch alles ein wenig seltsam.
"Ich habe nur mit deinem Geist Kontakt zu dir aufgenommen, ich bin nicht wirklich hier", erklärte Falada ruhig.
„Und wie willst du mir helfen, wenn du nicht hier bist?“
„Ich schicke dir im Auftrag deiner Eltern den letzten der 8 Steine, den ich noch beschützen konnte. Die anderen wurden vom dunklen Lord gestohlen.“
„Und was mache ich mit dem Stein?“
„Das musst du selbst herausfinden.“
„Toll, warum muss man immer alles selbst herausfinden?“, quengelte ich. Langsam ging mir das gewaltig auf die Nerven.
„So ist das Leben!“ Ich hörte Falada amüsiert lachen. „Öffne deine Hand, dort liegt der Stein.“
Als ich meine Hand öffnete, lag tatsächlich ein kleiner, flacher, regenbogenfarbener Stein darin.
„Pass gut auf ihn auf. Ich hoffe ich konnte dir helfen“, sagte Falada noch und verschwand. Leider löste sich mit ihr auch ihr Schutzschild.
Als Jakob im nächsten Moment einen Feuerball auf mich zuschleuderte, fing ich diesen ab, da ich glaubte, dass das Feuer meiner Hand nichts anhaben konnte.
Da hatte ich aber falsch gedacht.
Ich konnte zwar die Flamme löschen, verbrannte mir aber gehörig die Finger.
Vor Schmerz schrie ich auf, ohne dass ich es verhindern konnte und Jakobs Reaktion darauf war ein schadenfrohes Lachen.
Ich überlegte fieberhaft, während ich den Attacken auswich und gelegentlich selbst welche abfeuerte, was es mit diesem Stein auf sich haben konnte. Obwohl ich nicht wirklich traf, weil ich nur noch die rechte Hand hatte, da ich in der anderen den Stein hielt, ich Linkshänderin war, und obendrein auch noch viel zu viel nachdachte, war das Treffen schwierig.
Allmählich ging mir die Kraft aus und ein Gefühl des Schwindels brach über mich. Nur noch mühsam konnte ich mich auf den Beinen halten und den Attacken ausweichen.
Je länger der Kampf dauerte, desto deutlicher spürte ich, dass ich der Ohnmacht nahe war.
Wenige Sekunden später sackte ich zu Boden. Mit aller Kraft schleuderte ich noch einen großen Feuerball gegen Jakob, der auch schon seine Kräfte eingebüßt hatte, so dass dieser nach hinten geschleudert wurde.
Ich wusste dass er bald wieder aufstehen würde und ich wusste auch, dass ich nicht mehr konnte.
Ich würde verlieren!
Wütend krallte ich meine Hände in das Gras unter mir. Das konnte doch nicht wahr sein! Wieso ausgerechnet ich?
Im stummen dankte ich allen, die mir etwas bedeuteten, die ich liebte und die mir mein Leben erträglich gemacht hatten. So sollte es also zu Ende gehen?

Eine dicke Träne kullerte über mein Gesicht und fiel auf den regenbogenfarbenen Stein.
Dieser fing an zu glühen und zu leuchten. Er schwebte in die Höhe und drehte sich um sich selbst.
Staunend sah ich dem Stein zu. Was geschah nun schon wieder?
Jakob hatte sich von dem letzten Feuerball zu meinem noch nicht erholt und lag immer noch regungslos am Boden.
Ein grelles Licht blendete mich so dass ich nicht mehr sah was passierte.
Der Stein fing an zu hüpfen und sich zu drehen. Als das Licht schwächer wurde und ich wieder etwas sah, schwebte vor mir nicht mehr der Stein, sondern es erhob sich anmutig ein goldener Stab mit wunderschönen Verzierungen. Ganz oben war ein Geflecht aus goldenen Rosen und in diesen Rosen waren 8 runde Einkerbungen. In einer Einkerbung fand der regenbogenfarbener Stein, der nun viel kleiner war als vorher, seinen Platz.
Ich spürte die wahnsinnige Kraft, die von diesem Stab ausging und alle Sorgen waren vergessen.
Schweigend dankte ich Falada.


Eine neue Kraft




„Ist meine Kraft grenzenlos?"
(Tagebuch von Lilly)




Der Stab schimmerte golden und wenn man genau hinschaute, spiegelten sich Regenbogenfarben auf dem Stab. Es schien mir, als schwebte er direkt in meine Hände, und als hätte sich etwas verändert mit diesem Stab. Ich fühlte mich nicht mehr erledigt und schwach, sondern ich merkte förmlich, wie die Magie meine Adern durchfloss. Ich fühlte die Kraft, die tief im Inneren dieses Stabes herrschte. Ich fühlte mich wie in einem Bann gefangen.
Ich war neugierig, was dieser Stab so alles konnte, andererseits zögerte ich auch. Was, wenn dieser Stab bei der Freisetzung seiner Kräfte auch mich verletzte gar tötete?
Nicht wirklich entschlossen stand ich schließlich auf, doch hoffte ich, dass es mir mit diesem Stab gelingen würde den Dämon aus Jakob zu vertreiben.
Andererseits hatte ich keine Chance.
Jakob war inzwischen wieder wach und stand zornig auf. So schnell wollte er sich nicht geschlagen geben.

Ich umklammerte den Stab mit beiden Händen, obwohl meine Knie zitterten, versuchte ich entschlossen zu wirken, was mir wahrscheinlich nicht so recht gelang.
Und auf einmal schien es, als verlangsamte sich die Zeit. Mein Verstand war geschärft, ich roch die vielen Blätter um mich herum, bemerkte die dumpfe Stille, die sich um Jakob und mich gelegt hatte und Jakobs versessener Gesichtsausdruck brannte sich unwiderruflich in mein Gedächtnis ein. Dieser Hass, die fast schon unmenschliche Wut, mich tot zu sehen, stellte meine Härchen auf den Armen senkrecht. Ein Schaudern überkam mich, doch ich stand bewegungslos da, nicht fähig mich zu bewegen.
Ich war noch nie ein ängstlicher Mensch gewesen, doch jetzt schwand mein Mut.
Was war wenn ich mit dem Stab nicht umgehen konnte? Wenn ich den Stab nicht kontrollieren konnte, wie bei den Wurzeln?
Mein Herz pochte, schnell, laut, heftig. Bum. Bum. Bum.
Als sich Jakob mit einem Mal bewegte, löste auch ich mich aus meiner Starre.
Neue ungeahnte Energien stiegen in mir auf, der Stab in meiner Hand vibrierte und leuchtete, ich konnte ihn nur mit Müh und Not festhalten.
„Weißer Blitz“, zuckte durch meine Gedanken. War das das Wort um den Stab zu aktivieren?
Ich war mir nicht ganz sicher, aber ein Versuch war es immerhin wert.
Jetzt alles oder nichts!
„Weißer Blitz“, schrie ich, und ein strahlend weißer Strahl schoss aus dem Stab auf Jakob.
Seine Agen weiteten sich für einen Moment, dann schrie er auf und eine schwarze Wolke kam aus seinen Mund und verschwand in der Luft. Leblos sackte er zu Boden.

Ich wurde durch diese große Kraft nach hinten geschleudert und schlug mit voller Wucht gegen einen Baum. Ich konnte gerade noch sehen, wie Jakob sich verwirrt aufrichtete und zu mir rüber lief, als plötzlich alles dunkel wurde. Dann war ich weg.

„Wach auf!Lilly, hey wach endlich auf!Die Pause ist zu Ende! Unterricht! Aufwachen Schlafmütze!“
„Okay, wenn du jetzt nicht gleich aufwachst, dann hole ich Stefan und sage ihm er soll das Dornröschen wach küssen!“
Die Stimme meiner Freundin Sarah drang an mein Ohr und ich öffnete die Augen.
„Nein bitte nicht, nicht Stefan…wenn dann schon Jeremy!“, murmelte ich lächelnd.
„Na endlich, Dornröschen ist aus ihrem hundertjährigen Schlaf erwacht! Du hast vielleicht tief geschlafen. Ich dachte schon ich könnte dich nie wecken!“ Vorwurfsvoll schauten mich die Augen meiner Freundin an.
„Tut mir leid, was ist eigentlich passiert?“
„Eigentlich weiß ich das selbst nicht so genau, komisch oder?“, fragend und mit gerunzelter Stirn sah sie mich an. Ich zuckte nur die Schultern, stand langsam und mit Bedacht, dass ich nicht umfiel auf. Ich konnte ihr noch nicht die Wahrheit sagen. Sie würde mir ja sowieso nicht glauben. Also mussten wir das Ganze einfach vergessen.

Nach einigen Minuten, in denen sie wohl noch einmal überlegt hatte und sich mit mir auf den Weg ins Schulhaus machte, fuhr sie fort:
„Als hätte ich zu viel getrunken und einen Filmriss. Ich weiß nur dass ich in der Aula mit den anderen gestanden habe und dann bin ich raus gegangen und habe dich hier auf der Bank liegen sehen. Ja, und dann habe ich versucht zu wecken! Wie kommst du eigentlich dazu dass du am helllichten Tage einfach auf einer Bank einschlafen kannst?“, fragte sie mich noch abschließend, aber mit einem leichten Lächeln auf den Lippen.
Jetzt brauchte ich aber eine glaubwürdige Erklärung.
„Mir ist plötzlich so schlecht geworden und dann bin ich an die frische Luft gegangen. Anscheinend … so genau weiß ich das nicht mehr. Ist genauso wie bei dir mit dem Filmriss. Ich glaube ich bin ich in Ohnmacht gefallen und dann….weiß ich es erst wieder als du mich geweckt hast!“
„Achso, ich dachte du hättest dich auf die faule Haut gelegt und wärst hier raus geschlichen um den Unterricht zu schwänzen. Gott sei Dank bist du nur auf die Bank gefallen. Was wäre bloß gewesen wenn du richtig auf den Boden gefallen wärst? Dann hättest du bestimmt jetzt eine Gehirnerschütterung und keine Ahnung was sonst noch. Dann hätte ich nicht in deiner Haut stecken wollen“, sagte Sarah.
Wenn du nur wüsstest was ich gerade durchgemacht habe, dachte ich mir, da wäre eine kleine Gehirnerschütterung ein Klacks gegen.

„Was ist das eigentlich für ein Ring, was du da am Finger hast? Der ist mir heute Morgen gar nicht aufgefallen“, fragte sie mich. Inzwischen waren wir schon im Schulhaus und gingen die Treppen nach oben zu unserem Klassenzimmer, wo sie bestimmt schon mit dem Unterricht weiter machten.
Erst jetzt fiel mir der Ring an meinem Finger auf. Ein richtig hübscher Ring, der mich an etwas erinnerte…an dem Stab. Ob das wohl der Stab war ?
Zuhause würde ich das testen, aber jetzt ging es ja schlecht.
„Ach der …. ich hab ihn heute Morgen in meiner Hosentasche gefunden. Keine Ahnung wie der da rein kommt. Er hat mir sehr gut gefallen und hab in an den Finger gesteckt.“ Ich wackelte mit meiner Hand. Auch jetzt konnte man die Regenbogenfarben auf dem kleinen Ring noch erkennen, also musste es der Stab sein. Mein Stab. Gedankenverloren schaute ich darauf, bis ich die Blicke von meiner Freundin auf mir spürte.
„Sag mal, ist alles in Ordnung mit dir? Du bist so komisch seit vorhin? Sag schon, was ist los?“, erkundigte Sarah sich.
Da war er wieder, der prüfende Gesichtsausdruck, den ich hasste und der mich dazu veranlasste ihr immer alles zu erzählen was mich bedrückte. Sarah war meine beste Freundin und merkte immer sofort wenn etwas mit mir nicht stimmte.
Ich wich ihrem Blick aus. Nein, ich durfte es ihr nicht erzählen, zuminderst vorerst noch nicht. Also gab ich keine Antwort auf die Frage.
Sarah konnte nicht weiter nachhaken, da wie gerade ins Klassenzimmer gingen. Frau Schnauze, unsere Religionslehrerin brach ab und schaute uns an.
„Prima Sarah, du hast Lilly gefunden. Ich hatte mir schon Sorgen gemacht. Lilly wo warst du denn bloß?“, fragte sie mich vorwurfsvoll.
„Ich bin an die frische Luft gegangen weil mir plötzlich so schlecht war und bin draußen dann umgekippt…“
„Um Gottes Willen geht es dir denn gut, Lilly?“ Sorgenvoll sah mich die Lehrerin an.
„Ja, es geht mir wieder gut“, beruhigte ich sie mit einem matten Lächeln.
„Okay, aber setzt euch jetzt auf eure Plätze und versucht mir wieder zu folgen ihr habt sehr viel verpasst!“
Sarah und ich nickten und steuerten auf unsere Plätze zu. Als ich mich hinsetzte, bemerkte ich die stechenden Blicke von Jeremy.
„Was ist denn mit dem los? Warum starrt der mich denn so an?“, flüsterte ich Sarah zu.
Sarah schaute auf und in dem Moment drehte sich Jeremy wieder nach vorn als wäre nichts gewesen.
„Wieso? Er sitzt genauso da wie immer…“, Sarah schaute mich an „Hast du dir vielleicht doch ein bisschen stark deinen Kopf gestoßen und hast jetzt Halluzinationen?“
„Ja vielleicht“, murmelte ich. Irgendwie kam ich heute aus dem Lügen nicht mehr heraus.
Sarah nickte verständnisvoll, streichelte meine Hand und schaute wieder in ihr Buch. Genau in dem Moment fing Jeremy wieder an mich anzustarren.
Vielleicht fing ich wirklich an zu spinnen?
Lara die neben mir saß, stupste mich am Ellbogen an.
„Hier für dich von Jeremy“, flüsterte sie und schob ein kleines Zettelchen mit meinem Namen zu mir herüber.
Ich bedankte mich und faltete den Zettel auseinander.

Hey Lilly,
die Ereignisse überschlagen sich.
Es wird an der Zeit dass du noch mehr erfährst!
Ich muss mit dir reden. Unbedingt! Nach der Schule bei dir zu Hause, passt das?
Sage es keinem, sonst wären wir in Gefahr!!!

Vlg Jeremy

PS: Ich weiß was vorher auf dem Schulhof passiert ist und weiß auch wer du bist!



Ich schluckte panisch. Was war hier eigentlich los? Was wurde hier gespielt? War Jeremy auch böse oder stand er auf meiner Seite? Konnte er auch magische Dinge?
Was hatte er überhaupt mit all dem zu tun?
Das wurde mir wirklich alles zu viel.
Ich sprang von meinen Stuhl auf so dass er nach hinten kippte und schrie:
„Ich muss hier sofort raus!“

Schnell war ich an der Klassenzimmertür angelangt, stieß sie auf und rannte hinaus. Frau Schnauze schrie mir noch etwas hinterher aber ich hörte es nicht mehr.
Ich wollte nur noch weg.


Noch mehr Rätselhaftes




„So viele Fragen in meinen Kopf,
die Antwort hat sich gut versteckt!“
(Liedtext)




Mir war alles zu viel. Ich war vollkommen überfordert. Schnell rannte ich aus dem Schulhaus auf das Schulgelände. Ich wusste nicht wohin ich laufen sollte, doch eins wusste ich: ich wollte weg. Weg von der Schule, weg von allen Schülern…
Auf dem Parklatz vor der Schule, der für Lehrer- und Schülerautos war, versteckte ich mich hinter einem roten Fiat Punto und ging in die Hocke. Mein ganzer Körper zitterte.
Ich hatte Angst. So große Angst.
Ich wusste nicht mehr, wem ich trauen konnte und wem nicht. Eigentlich wusste ich gar nichts mehr.
Was war nur los mit mir? Was war nur los mit der Welt?
Wie konnte ich nur glauben, dass ich mit Leichtigkeit das alles schaffen konnte und dass es auch noch Spaß machen würde?
Ich war ein Idiot, stellte ich fest und steckte meinen Kopf zwischen meine verschränkten Arme und fing an zu weinen.
„Idiot, Idiot, Idiot…“ flüsterte ich atemlos, während meine Tränen unaufhörlich über mein Gesicht rollten und merkte dadurch nicht wie jemand still und leise zu mir kam und behutsam eine Hand um meine Schulter legte.
„Hör sofort auf so einen Quatsch zu reden du bist keine Idiotin und wirst es auch niemals sein. Du bist nur mit der Situation ein bisschen überfordert!“, flüsterte eine bekannte, weiche Jungenstimme.

Ich hob den Kopf und schaute in die sanften braunen Augen von Jeremy. So nah war ich ihm noch nie gewesen. Er sah einfach sagenhaft aus, richtig zum kuscheln und abknutschen, doch das machten meine Probleme auch nicht weg und wieder flossen die Tränen über das Gesicht. Jetzt hatte er mir noch einmal vor Augen geführt was ich wollte, aber nicht haben konnte. Das verbesserte die Situation nicht.
Jeremy lächelte mich liebevoll an, als könnte er meine Gedanken lesen, was natürlich absurd war.
„Du bist viel zu klug, um ein Idiot zu sein“, flüsterte er und wischte mir mit einer Hand die Tränen weg.
Jeremy rückte noch näher heran und so hockten wir eine ganze Weile, schaute uns nur in die Augen und meine Probleme waren wie weggeblasen. So einfach war das?
Im Endeffekt war es einer der schönsten Momente in meinem Leben. Einfach nur stumm neben ihm sitzen zu können und mich geborgen zu fühlen.
Leider ging dieser Moment aber viel zu schnell vorbei.
Wie das immer war mit den schönen Momenten, sie waren immer viel zu schnell zu Ende.
„Ich denke, ich sollte dich nach Hause bringen“, meinte Jeremy und zerstörte diesen kostbaren Augenblick.

Ich nickte widerstandslos und dann standen wir langsam auf. Jeremy hatte noch immer seinen Arm schützend um meine Hüfte gelegt. Anscheinend dachte er dass ich im nächsten Moment umfallen würde, aber das wollte ich tunlichst vermeiden, denn seit er seinen Arm um mich gelegt hatte, tanzten Schmetterlinge in meinem Bauch und meine Füße wollten mir auch nicht mehr richtig gehorchen.
Ich hüpfte von einem Bein auf das andere. Meine Füße konnten und wollten einfach nicht stillhalten.
Prüfend sah mich Jeremy an, als hätte ich ihm gerade bestätigt, dass ich unbedingt nach Hause und ins Bett gehörte. Mein plötzlicher Stimmungswandel schien ihn über alle Maßen zu verwundern.
„Okay, ich will sowieso nicht mehr zurück. Das was ich dort abgezogen habe, da halten sie mich doch sowieso alle für verrückt“, meinte ich und seufzte.
„Ach, das meinen sie bestimmt nicht, wirst schon sehen.“
Jeremy lächelte geheimnisvoll und ich fragte mich was er wohl damit schon wieder meinte. Er verhielt sich immer geheimnisvoller und rätselhafter.
Mit einer Hand fuhr Jeremy mir nochmals über meine Wange: „Ich kläre das schnell in der Schule, damit du nach Hause darfst und bin dann gleich wieder hier.“

Ich nickte und Jeremy ging davon in Richtung Schule. Als er außer Sichtweite war, kamen meine ganzen beklemmenden und verwirrten Gefühle zurück. Viele verschiedene Fragen, auf die ich keine Antwort hatte, schossen durch meinen Kopf. Dieser fühlte sich schon bald an, als würde er zerplatzen und ließ mich wieder zu Boden sacken.
Ohne dass ich es wollte schossen mir die Tränen erneut in die Augen und kullerten über mein Gesicht. Es war so als hätte Jeremy vorher die ganzen Gefühle und die Verwirrtheit von mir genommen und eine Schutzmauer um uns errichtet und jetzt wo er weggegangen war, hatte sich das alles wieder aufgelöst.
Hoffentlich kam Jeremy sehr bald wieder zurück, denn lange hielt ich das hier nicht mehr aus.

Jeremy war sogar schneller zurück, als ich gedacht hatte. Er kam hergelaufen und zog mich sanft nach oben.
Als ich in seine Augen schaute, ging es mir mit einem Schlag wieder besser und ich war wieder fähig mit ihm mitzugehen.
Seinen Arm ließ er aber unter dem Gehen trotzdem an meiner Hüfte, falls ich wieder zu Boden sackte. Mir sollte es recht sein. Seine leichten und sanften Berührungen versetzten mir jedes Mal einen Schlag, aber nicht so einer der schmerzte, sondern ein Schmerz, der mein Herz schneller pochen ließ und die Schmetterlinge in meinem Bauch widerbelebte.
Meine Gedankten kreisten aber immer noch um die unbeantworteten Fragen, die mir Angst machten und dass ich mich einfach nicht traute, mit jemanden darüber zu reden, machte es in keinem Falle besser.

Vor meinem Haus angelangt, blieben wir stehen.
Ich schaute Jeremy noch einmal fragend an: „Woher weißt du wer ich bin und was weißt noch alles?“ Ich musste es jetzt einfach wissen.
Jeremy ließ mich los und ging einen Schritt zurück. Sein Lächeln war augenblicklich verschwunden. Mit einem Mal hatte ich Angst, dass jetzt so etwas kommen würde wie das mit Jakob.
„Das kann ich dir leider nicht sagen. Das musst du selbst herausfinden…“
„Sag es mir doch einfach“, bettelte ich. „Ich hasse so etwas und ich kenne mich selbst nicht mehr. Ich weiß nicht was mit mir los ist und überhaupt wer und auch was ich bin! Ich habe so viele Fragen, kannst du sie mir nicht einfach bea….“ Jeremy hielt mir einen Finger vor dem Mund und brachte mich damit zum Schweigen.
„Pscht, alles zu seiner Zeit, Lilly. Nur nicht so voreilig, okay? Alles wird sich ergeben, versprochen. Hör mir jetzt gut zu…“ Jeremy wartete bis ich nickte, ehe er fortfuhr „Ich weiß, du hast einige Fragen und die sollen dir auch beantwortet werden…“
„Einige?“, unterbrach ich ihn. „Ich habe einen ganzen Haufen von Fragen. Ich kenne mich gar nicht mehr, ich bin mir fremd geworden, also bitte Jeremy, sag mir jetzt endlich was los ist, sonst flippe ich noch aus“ Ich war kurz vorm Platzen, alle Gefühle und Emotionen wollten jetzt raus. Ich wollte wissen was hier eigentlich geschah.
„Ruhig Lilly. Du sollst mir zuhören und dieser Haufen von Fragen soll ja auch beantwortet werden aber nicht von mir….“
„Und von wem dann bitte?“, fragte ich spitz.
„Du weißt doch, die alte Dame von dem Buchladen. Zu der gehst du morgen hin. Ich muss jetzt los. Tschüß und leg dich am besten jetzt hin!“
Bevor ich was einwenden konnte, war Jeremy auch schon verschwunden.

Wütend und ratlos zugleich stand ich da, mit einem Fuß trat ich gegen die Mauer, was natürlich ein Fehler war, denn mein Fuß fing sofort an zu pochen! Hüpfend auf einem Bein und auch noch wütend über mich selbst und natürlich auch über Jeremy, steuerte ich die Eingangstür an.
Ich musste wohl oder übel morgen zu der alten Dame in den Buchladen. Vielleicht würden da ja ENDLICH meine Fragen beantwortet werden.


Ernstes
Gespräch mit Nebenwirkung




„Warum ausgerechnet ICH?
Ist es Schicksal?“
(Tagebucheintrag von Lilly)




Ich war unterwegs zu der Buchhandlung, in der alles angefangen hatte.
Irgendwie konnte ich mir nicht vorstellen, dass die alte Frau mehr wusste, denn sonst hätte sie es doch damals gesagt.
Ich war immer noch sauer wegen gestern. Langsam hatte ich die ganze Geheimniskrämerei satt. Hoffentlich erzählte mir heute die alte Frau alles. Nur die Hälfte der Wahrheit zu wissen, schlug mir nämlich allmählich ziemlich auf die Nerven.
Als ich so die Straße entlangging, war ich so in Gedanken versunken, dass ich mit jemanden zusammenstieß und auf den Boden fiel.
„Tut mir leid, ich habe nicht aufgepasst, meine Schuld“, murmelte ich hastig und rieb mir dabei den Kopf, da ich ihn mir leicht an einem Laternenmast gestoßen hatte.
„Schon in Ordnung, ist nicht so schlimm“, sagte eine Jungenstimme und hielt mir eine Hand hin.
Dankbar nahm ich sie an und stemmte mich hoch. Dort erst blickte ich dem Jungen ins Gesicht und erschrak so, dass ich beinahe wieder hingefallen wäre.
Das Gesicht, in welches ich blickte, war eindeutig Jakobs. Sofort wich ich ein paar Schritte zurück und mein ganzer Körper spannte sich an.
Verwirrung machte sich in seinem Gesicht breit und er fragte: „Alles in Ordnung?“
„Jakob! Jakob, warum wartest du denn nicht auf mich?“, schrie eine junge Mädchenstimme und schon kam die kleine Schwester von Jakob um die Ecke.
Sie erstarrte, als sie mich erkannte, dann lachte sie laut und fröhlich, lief auf mich zu so schnell sie ihre kleinen Füßchen trugen und umarmte mich stürmisch.
„Danke, danke, danke, dass du mir meinen richtigen Bruder wieder zurückgebracht hast!“ Vor Freude liefen ihr Tränen über die Wangen.
Also war Jakob wieder normal und konnte sich wahrscheinlich nicht mehr an die Geschehnisse erinnern. Erleichtert atmete ich auf und entspannte mich wieder.
Jakob lächelte uns an: „Achso, ihr kennt euch also. Tut mir leid, Schwesterchen ich wollte gerade nach dir sehen! Und bei dir ist wirklich alles in Ordnung?“, fragte er nun wieder an mich gewandt.
Ich nickte, und Jakob und seine Schwester verabschiedeten sich und gingen Hand in Hand davon.
Lange schaute ich ihnen mit einem Lächeln nach und merkte wie sich ein Glücksgefühl in meinen Herzen ausbreitete. So hatte der Kampf also doch etwas Positives gehabt.

Nach einiger Zeit ging ich weiter und stand nach ein paar Minuten vor der Buchhandlung. Vor der Eingangstür blieb ich stehen, holte tief Luft und trat ein.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 29.01.2011

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