Es war einmal ein König, d
er hatte nur eine einzige Tochter. Und diese Tochter war sehr hässlich. Außer krumme Beine und einen Buckel hatte die Prinzessin auch noch eine lange Nase, große Ohren und gelbe, krumme Zähne. Da sie eine Glatze hatte, musste sie immer eine Perücke tragen. Doch am hässlichsten war ihre Seele, sie war habgierig, neidisch, boshaft und grausam. Sie war grob und erbarmungslos zu ihren Untertanen und kommandierte sogar den König herum. Aber ihr Vater liebte sie und erfüllte ihr jeden Wunsch.
Alle Hofdamen, die auch nur ein wenig hübsch waren, wurden vom Hof verjagt, nur die hässlichen und alten blieben, und alle Spiegel wurden aus dem Königspalast entfernt. Die Damen am Königshof durften nur schlichte Kleider tragen, damit das Kleid der Prinzessin am Prächtigsten war. Wenn der König ein Fest gab, mussten alle jüngeren adeligen Frauen, da jede Frau des Königsreichs hübscher als die Prinzessin war, zu hause bleiben. Und jeder adelige Mann musste die Prinzessin zum Tanz auffordern, sonst wurde er hingerichtet. Alle hatten Angst vor der bösen Prinzessin!
Als Kind wurde die hässliche Prinzessin dem Prinzen aus dem Nachbarskönigreich versprochen. Der Prinz hieß Karl und war ein gutherziger und kluger Thronfolger. Als die Zeit für die Vermählung kam, kamen Prinz Karl und seine königlichen Eltern für die Brautschau. Als Prinz Karl die Prinzessin erblickte, weigerte er sich, sie zu heiraten. Die Prinzessin tobte vor Wut, ihr Vater, der König, war beleidigt und drohte alle Beziehungen zum Nachbarskönigreich abzubrechen und sogar den Krieg zu erklären. Aber Prinz Karl hatte keine Angst vom Nachbarskönig, da sein Reich viel größer und sein Kriegsheer viel stärker war. Alle Drohungen waren umsonst, der Prinz reiste ab ohne die Prinzessin zu heiraten.
Einmal kam ein Kaufmann an den Königshof, er zeigte der Prinzessin seine schönen Stoffe und Parfum. Dabei erzählte er von Zauberbeeren, die hinter drei Wäldern im Wald der Hexe Striga zu finden seien: Wer diese Beeren isst, wird himmlisch schön. Als die Prinzessin das hörte, schickte sie einen Diener nach dem Anderen um die Beeren zu holen, aber keiner der Diener kam zurück.
Alle Leute bei Hofe hatten Angst, in den Wald geschickt zu werden, sie versteckten sich oder flohen. Doch sie wurden gefunden, in Ketten gelegt, und zurückgebracht. Auf Befehl des Königs wurden alle als Warnung auf dem Marktplatz vor allen Leuten hingerichtet. Im Königreich herrschte Angst und Schrecken.
Da der König sah, dass Drohungen und Bestrafungen nicht halfen, versuchte er mit einer Belohnung die Zauberbeeren zu bekommen. Der König gab den Erlass: „Wer die Zauberbeeren bringt, bekommt einen Fürstentitel, ein großes Landgut und ein Schloss.“
Viele Leute versuchten ihr Glück, aber sie kamen nicht zurück, und die Prinzessin bekam keine Beeren.
In einem kleinen Dorf des Königreichs lebte ein Mädchen, sie hieß Amelie. Amelie war ein gutherziges, freundliches und schönes Mädchen. Sie wohnte glücklich in einem kleinen Häuschen mit ihrem Vater, ihrer Mutter und ihrem kleinen Bruder. Aber dieses Glück dauerte nicht lange: Amelies Mutter starb, und ihr Vater heiratete erneut. Die Stiefmutter war aber eine böse Frau. Sie behandelte die Kinder nicht gut, Amelie und ihr Bruder verrichteten die ganze Arbeit im Haus und bekamen dafür nur Schimpfe und Prügel. Nach einigen Jahren verstarb auch der Vater. So blieben Amelie und ihr kleiner Bruder mit der Stiefmutter und mussten vom Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang für sie schuften.
Als die Stiefmutter den Erlass des Königs hörte, befahl sie dem Mädchen: „Geh in den Wald der Hexe Striga und hole mir die Zauberbeeren, die dort wachsen! Kommst du mit leeren Händen zurück, so werde ich deinen Bruder bis zum Tode prügeln!“
Amelie bekam große Angst um ihren Bruder und machte sich sogleich auf den Weg.
Sie lief einen Tag und eine Nacht, durchquerte den ersten Wald. Als der Morgen graute, kam sie auf eine Lichtung, wo eine Gruppe von Gauklern rastete. Alle schliefen noch tief und fest. Auf einem Wagen war ein großer Käfig, darin war ein Bär. Amelie wollte niemanden aufwecken und schlich sich leise vorbei um weiter zu gehen, da sagte der Bär:
„Oh, liebes Mädchen, bitte hilf mir! Die Gaukler fahren mit mir von einer Stadt zur anderen und zeigen mich vor. Ich sehne mich so nach den Wäldern und nach der Freiheit!“
Amelie ging zum Käfig und öffnete ihn, der Bär lief in den Wald und sagte zum Abschied:
„Hab vielen Dank! Ich werde dir helfen, wann immer du mich brauchst!“
Amelie setzte ihren Weg fort, sie lief den ganzen Tag und die ganze Nacht. Am nächsten Morgen durchquerte sie den zweiten Wald. Am Rand des Waldes kam ein Fuchs auf sie zu gerannt. Der arme Fuchs wurde von einer Hundemeute gejagt.
„Hilf mir bitte, liebes Mädchen!“, bat er. Amelie packte ihn und versteckte ihn in ihrem Korb. Dann kletterte sie auf einen hohen Baum und sagte dem Fuchs, er solle still sein. Kurz darauf kamen die Hunde mit ihren Jägern. Amelie rief:
„Ich habe schreckliche Angst vor Hunden. Nehmt sie bitte weg!“
Die Jäger sahen nur ein verängstigtes Mädchen, nahmen die Hunde und liefen weiter. Als das Bellen der Hunde nicht mehr zu hören war, kletterte Amelie vom Baum runter. Der Fuchs stieg aus dem Korb und sagte:
„Danke, oh liebes Mädchen! Ich stehe tief in deiner Schuld!“
Dann rannte der Fuchs wieder in den Wald und Amelie setzte ihren Weg fort – sie musste nur noch einen Wald durchqueren.
Sie durchquerte den dritten Wald und am nächsten Tag erreichte sie den Wald, wo die Hexe Striga lebte. Der Wald war dunkel, dicke hohe Bäume standen dicht beieinander. Amelie suchte nach den Beeren und lief immer weiter in den Wald hinein, bis sie zu einer Lichtung kam, auf der ein kleines Häuschen stand.
Seltsame, schwarze Bäumchen wuchsen drum herum, unter den Bäumchen waren viele rote Beeren. Amelie wusste sofort, dass das die Zauberbeeren waren, die sie holen sollte. Zuerst wollte sie ein paar Beeren pflücken und schnell zu ihrem Bruder zurück laufen, dann überlegte sie es sich anders: „Die Beeren gehören mir nicht, und man soll nicht stehlen.“
Also lief Amelie zu der kleinen Hütte, an den vielen schwarzen Bäumen vorbei, und klopfte an der Tür. Die kleine, krumme Hexe Striga öffnete ihr und fragte:
„Was suchst du in meinem Wald?“
Amelie antwortete: „Liebe Striga, meine Stiefmutter schickt mich zu dir. Sie will die Zauberbeeren, von denen man schön wird, für die Prinzessin haben. Wenn ich ihr keine bringe, erschlägt sie meinen Bruder. Gib mir bitte welche!“
Striga lachte krächzend, schüttelte den Kopf und sprach:
„Gut, dass du keine Beeren gestohlen hast! Siehst du die schwarzen Bäume um mein Haus herum? Das sind die Menschen, die meine Beeren stehlen wollten. Sie haben sich zur Strafe in schwarze Bäume verwandelt!“
„Ich stehle nichts! Aber sag mir, wie kann ich mir die Beeren verdienen?“, fragte Amelie verängstigt.
Die Hexe sprach:
„Dafür musst du ein Jahr bei mir arbeiten, putzen, Holz hacken und weben, nur kochen werde ich selber, da du das Geheimnis meiner Zauberkräuter nicht kennen sollst. Wenn du deine Arbeit gut machst, gebe ich dir als Belohnung meine Beeren.“
Das Mädchen willigte ein und blieb bei der Hexe.
Am nächsten Morgen ging Striga aus dem Haus und befahl:
„ Mach dich auf die Arbeit! Ich gehe weg. Am Abend werde ich zurück sein.“
Amelie nahm eine Axt und ging in den Wald, um Holz zu hacken. Die Bäume im Hexenwald waren so dick, dass zwei starke Männer sie nicht umfassen könnten. Amelie schlug immer wieder auf die Bäume ein, doch nur kleine Risse machte sie in den Baumstamm. Verzweifelt und erschöpft setzte Amelie sich auf einen Baumstumpf und weinte:
„Was soll ich nur tun? Wie kann so ein Mädchen wie ich so einen großen Baum fällen?!“
Plötzlich kam der riesige Braunbär, den sie aus dem Käfig befreit hatte, zu Amelie und tröstete sie:
„Nicht weinen, armes Mädchen. Ich bin stark, ich werde diesen Baum für dich fällen und hacken!“
Der starke Bär fällte den Baum, mit der Axt zerhackte ihn und trug das Holz zum Hexenhaus.
Danach wollte Amelie das Haus sauber machen. Im Hexenhaus waren viel Staub und Spinnweben, aber es war kein gewöhnlicher Staub, es war Zauberstaub: Man fegt ihn weg, aber er kommt wieder und verteilt sich im ganzen Raum.
Amelie nahm einen Besen und fegte den Boden, sie kehrte und kehrte aber der Staub kam wieder. Schluchzend ließ Amelie den Besen fallen, sie setzte sich auf die kleine Holzbank und weinte:
„Oje! Ich werde mir die Zauberbeeren nicht verdienen können! Ich muss mit leeren Händen nach Hause kommen, und mein armer Bruder wird sterben…“
Da steckte der Fuchs den Kopf zur Tür herein und sprach:
„Sorge dich nicht, armes Kind. Ich, mit meinem buschigen Schwanz, werde den Staub wischen und alles wird gut!“
Der Fuchs machte sich an die Arbeit und fegte und fegte mit seinem Schwanz über den Boden. Amelie setzte sich auf den Webstuhl und webte die Tücher. Als am Abend die Hexe Striga zurückkam, wunderte sie sich, dass vor der Hütte viel Holz lag und das Häuschen sauber war.
„Du bist wohl auch eine Zauberin! Das Haus ist sauber, das Holz ist da, und ein schönes Tuch hast du gewebt!“, lobte Hexe Striga.
Und so lebte Amelie bei der Hexe. Der Bär fällte die Bäume und hackte das Holz, der Fuchs fegte mit seinem buschigen Schwanz den Boden und das Mädchen hatte viel Zeit um die Tücher zu weben. Eines Tages saß sie auf dem Webstuhl, da kam ein Vögelchen geflogen und setzte sich ans Fenster. Amelie freute sich über den Besuch und sprach den Vogel an: „Sei gegrüßt, liebes Vögelchen.“ Sie gab ihm ein Paar Brotkrümelchen und bat es: „Oh, Liebes Vögelchen! Bitte, flieg zu meinem Bruder und zu meiner Stiefmutter und sage ihnen, dass ich in einem Jahr mit den Beeren nachhause komme!“
Als sie ihre Botschaft geschickt hatte, konnte Amelie ruhig bei der Hexe leben und arbeiten.
Als ein Jahr vorbei war, sagte die Hexe Striga:
„Du hast deine Arbeit gut gemacht, ich gebe dir einen ganzen Korb voller Beeren und erfülle dir noch einen Wunsch.“
Amelie sprach sofort ihren Wunsch aus:
„Lass bitte diese Menschen, die du in Bäume verwandelt hast, frei!“
Und so geschah es. Die Hexe verwandelte die Bäume zurück in Menschen und sie liefen glücklich nach Hause. Amelie bekam einen Korb voller Zauberbeeren. Striga belehrte sie:
„Wenn du diese Beeren der Prinzessin reichst, musst du sagen:
"Diese Beeren habe ich für dich gebracht."
Vergiss das nicht!“
Amelie merkte sich das, bedankte sich und eilte nach Hause.
Amelie kam nach Hause und umarmte ihren Bruder, sie war froh, dass ihr Bruder wohl auf war. Gierig schnappte sich die Stiefmutter den Korb mit den Zauberbeeren und sagte:
„Jetzt werde ich eine Fürstin! Keiner soll wissen, dass du die Beeren gebracht hast. Geh den Stall ausmisten, ich werde der Prinzessin selber die Beeren bringen!“
Amelie widersprach ihr nicht, sie sagte nur:
„Liebe Mutter, Striga warnte mich, bevor man der Prinzessin die Beeren überreicht, muss derjenige ihr sagen: „Diese Beeren habe ich für dich gebracht.“ "
Die Stiefmutter ließ eine Hälfte der Beeren zu Hause, da sie selber wunderschön werden wollte, und brachte die andere Hälfte zum Palast.
Sie trat vor die Prinzessin mit den Worten „Diese Beeren habe ich für dich gebracht“ und reichte ihr die Zauberbeeren. Doch kaum hatte sie diese Lüge ausgesprochen, verwandelten sich die Beeren in Kohlen. Die Prinzessin wurde sehr böse und befahl: „Ergreift sie! Sperrt sie in den Kerker, morgen wird sie auf dem Marktplatz hingerichtet!“
Die Wachen warfen die klagende Stiefmutter in den Kerker.
Als Amelie von dem Geschehen hörte, nahm sie die andere Hälfte der Beeren und eilte an den Königshof um ihre Stiefmutter zu retten. Sie trat vor die Prinzessin, reichte ihr die Beeren und sagte:
„Diese Beeren habe ich für dich gebracht! Ich bitte euch, lasst meine Stiefmutter frei!“
Die Prinzessin nahm die roten Beeren, aß sie und wurde sogleich himmlisch schön. Ihre Haare wurden golden, lang und wellig, ihre Lippen wurden zart und rot wie Rosenblüten, ihre Haut weiß und ihr Körper geschmeidig. Die Prinzessin war überglücklich, ließ die Stiefmutter frei, gab Amelie, wie es versprochen wurde, einen Fürstentitel und ein Schloss mit einem großen Landgut. Amelie nahm ihre Stiefmutter und ihren kleinen Bruder mit auf das Schloss und sie lebten dort glücklich und zufrieden.
Der König gab sogleich ein Fest und lud nochmal Prinz Karl ein, um eine Heirat zwischen seiner Tochter und dem Prinzen zu erreichen. Diesmal durften alle adeligen Damen kommen, und prächtige Kleider durften getragen werden, denn die Prinzessin war nun ja die Schönste in ganzem Land. Auch Amelie wurde eingeladen, da sie nun eine Fürstin war.
Da Prinz Karl von der Boshaftigkeit der Prinzessin gehört hatte, wollte er sie auf die Probe stellen. Er befestigte sich einen Buckel auf dem Rücken und klebte sich einen Bart an. Als das Fest anfing, kamen Karls Eltern mit seinem Gefolge. Auf dem Fest wurde bekannt gegeben, dass der Prinz sich verspätete.
Als alle Gäste tanzten, ging Karl verkleidet zur Prinzessin und bat sie um einen Tanz. Die Prinzessin rümpfte die Nase und sagte empört:
„Was erlaubst du dir, ich schöne Prinzessin tanze nur mit dem Prinzen und nicht mit einem buckligen Mann!“
Nun ging der Prinz zu den anderen Damen, aber keine wollte mit ihm tanzen. Schließlich kam Karl zu Amelie und forderte sie zum Tanz auf. Amelie lächelte ihn freundlich an und reichte ihm die Hand. Während die Prinzessin ungeduldig auf Prinz Karls Ankunft wartete, tanzten Amelie und Karl den ganzen Abend zusammen. Sie kamen ins Gespräch und der Prinz verliebte sich in die gutherzige junge Frau.
Am Ende des Abends brachte Prinz Karl Amelie zu seinen Eltern. Er nahm sich den Buckel und den Bart ab und sprach:
„Ich habe meine Braut und zukünftige Königin gefunden!“
Die Prinzessin schrie und tobte, sie befahl die Fürstin Amelie zu ergreifen und in den Kerker zu werfen, aber es war zu spät: Amelie, der Prinz, seine Eltern, auch Amelies Bruder und die Stiefmutter hatten den Palast verlassen.
Karl und Amelie heirateten, sie feierten eine prächtige Hochzeit und lebten glücklich zusammen bis an ihr Lebensende.
Texte: Cover Bild von meiner Mutter
Tag der Veröffentlichung: 04.05.2009
Alle Rechte vorbehalten