Loll saß vor dem Häuschen und langweilte sich schrecklich. Die erwachsenen Zwerge waren noch in der Mine, wo sie von früh bis zum Abend Edelsteine suchten. Loll wollte auch in die Mine um die schönen Steine zu suchen, er durfte aber nicht, da er noch zu klein war. Das ärgerte ihn.
„Warum nur wir, die Zwerge, so langsam wachsen?“, fragte Loll sich selbst. Er hatte gehört, dass im Norden Trolle leben. Die sind groß, sogar die kleinen Trolle sind groß.
„Die haben es gut“, dachte der kleine Zwerg neidisch.
Im Zwergenreich gab es viele verschiedene Familien. Jede von ihnen hatte einen großen Edelstein im Haus. Je schöner die Art, und je größer er war, desto beliebter und angesehener war die Familie. Lolls Familie hatte nur einen Rubin, er war nicht einmal besonders groß.
„Wenn ich in die Mine gehen darf, finde ich bestimmt den schönsten und größten Diamant überhaupt! Und dann wollen alle Zwergenkinder mit mir spielen und unsere Familie wird berühmt“, überlegte Loll verträumt.
„Vielleicht finde ich einen Smaragd oder einen Saphir…“
Loll starrte zum tausendsten Mal auf die Mitte des Sees. Er liebte den Anblick des funkelnden Lichts dort.
„Was dort wohl ist, in der Mitte des Sees? Es glitzert so schön…“, überlegte Loll.
Lolls Großvater trat aus dem Haus zu ihm.
„Na, Loll, wie war dein Tag?“, fragte er seinen Enkel.
Loll antwortete: „So wie immer, Großvater. Es ist so langweilig. Wann darf ich endlich in die Minen?“
„Du musst erst wachsen!“, antwortete sein Großvater lachend, da Loll diese Frage täglich stellte.
„Großvater, was leuchtet dort so auf dem See? Es ist so wunderschön!“, fragte Loll. Der alte Zwerg antwortete lächelnd:
„Du bist genauso neugierig, wie der kleine Lilipo es war!“
„Wer ist denn Lilipo?“, fragte Loll interessiert.
„Lilipo hat etwas mit dem Schimmer auf dem See zu tun, mein Kleiner“, erklärte der alte Zwerg belustigt, „Ich werde dir eine Geschichte erzählen…
Und der alte Zwerg erzählte ein wunderschönes Zwergen-Märchen:
„Es war vor langer, langer Zeit. Im Zauberwald lebte ein Zwerg namens Lilipo. In den Bergen suchte er Edelsteine und Gold, machte aus denen schöne Ketten, Ringe und anderen Schmuck. Lilipo war der beste Schmied und Juwelier von allen Zwergen, die im Zauberwald lebten. Der Zwerg Lilipo war freundlich, witzig und fleißig, aber er war der kleinste von allen. Da er zu klein war, konnte er keine Gefährtin für sich finden und war traurig deswegen. Am traurigsten war er in der Frühlingszeit. Im Frühling suchten sich alle Tiere und Vögel einen Partner und waren glücklich. Auch die Zwerge versammelten sich auf dem goldenen Hügel, um zu tanzen, zu singen und eine Braut oder einen Bräutigam für sich suchen. Lilipo ging nicht zum Tanzen auf den Hügel, da er der Kleinste war und keine Zwergin mit ihm tanzen wollte.
Wie ich schon sagte, Lilipo lebte im Zauberwald, er lebte in seinem winzigen Häuschen, das direkt am Silbersee stand. In der Mitte des Sees war ein silberner Schimmer - darum hieß der See auch Silbersee - der in vielen Farben schillerte. Lilipo war immer sehr neugierig: „Was könnte dort sein?“
Er wurde immer neugieriger. „Warum glitzert es dort so in der Mitte? Woher kommt das Licht? Ich muss das raus finden!“
Dieser Gedanke ließ ihn nicht los. Er nahm sein kleines Ruderboot und ruderte auf die Mitte des Sees. Dann sah der Zwerg, dass das Licht aus der Tiefe des Sees kam. Mehr konnte er nicht sehen.
„Wie kann ich nur rausfinden, was in der Tiefe ist? Wie komme ich so tief ins Wasser?“, grübelte Lilipo. Er war von diesem Licht wie verzaubert, er musste einfach wissen, was in der Tiefe leuchtete.
Am nächsten Tag fing er einen großen Hecht und wollte für sich eine Suppe aus ihm kochen. Der Hecht bat den Zwerg:
„Lass mich ins Wasser zurück! Dafür erfülle ich dir einen Wunsch!“
Sofort sprach Lilipo seinen Wunsch:
„Du sollst mich auf deinem Rücken mitnehmen und bis zum Grund des Sees tauchen. Ich will sehen, woher das Licht aus der Tiefe des Wassers kommt.“
„Dein Wunsch wird erfüllt!“, versprach der Hecht. Lilipo lies den Hecht ins Wasser und der Fisch wartete mit dem Rücken nach oben, auf den Zwerg. Lilipo sprang auf seinen Rücken und der Hecht tauchte in das tiefe Wasser. Als der Zwerg am Grund des Sees ankam, sah er ein Schloss, das aus Muscheln gebaut war. Im Schloss, auf einem Kristallstuhl, saß eine kleine Fee. Die Fee war wunderschön und hatte langes, silbernes Haar, das wie die Sonne leuchtete. Sie kämmte ihr Haar, dadurch strahlte das Licht ihres Haars in alle Richtungen. Die Fee war sehr klein, viel kleiner als Lilipo und das gefiel dem Zwerg besonders! Auf den ersten Blick verliebte sich Lilipo in die silberhaarige Fee.
„Komm mit mir, liebe Fee, werde meine Gefährtin.“, sprach Lilipo die Fee an.
„Liebend gern, aber du musst meinen Vater, den See-Geist, fragen!“, antwortete sie. Dann bat Lilipo den See-Geist um seine Tochter, aber der stellte ihm eine Bedingung:
„Meine Tochter beleuchtet mit ihren silbernen Haaren den Grund des Sees. Wenn du sie von uns nimmst, bleiben wir im Dunkeln. Bring mir den großen Diamanten, der sich auf dem höchsten Berg befindet, dann kannst du unsere silberhaarige Fee mitnehmen und der große Diamant wird uns Licht spenden.“
Als die Fee das hörte, riss sie sich ein Haar aus, gab es Lilipo und sprach: „Es wird schwer, den Diamanten zu finden. Nimm mein Haar, es wird dir helfen!“
Lilipo nahm das lange, silberne Haar, bedankte sich und versprach zurückzukommen.
So schwamm der Zwerg auf dem Rücken des Hechts zurück.
Lilipo bat einen Adler, ihn auf dem Rücken mitzunehmen und auf den höchsten Berg zu bringen. Der Adler sagte:
„Eine große Schlange stiehlt die Eier aus meinem Nest. Bring die Schlange um, dann bringe ich dich auf den Berg.“
Da Lilipo ein friedlicher Zwerg war und keine Waffen hatte, überlegte er, wie er die Schlange töten sollte. Dann fiel sein Blick auf das Haar der Fee und er wusste sofort, was er zu tun hatte. Er schmiedete aus dem Haar einen kleinen, silbernen Dolch und ging zum Nest des Adlers. Drei Tage saß Lilipo, nicht weit von dem Nest, in einem Versteck und wartete auf die Schlange. Nach drei Tagen kroch die Schlange zum Nest. Da Lilipo so klein war, versteckte er sich zwischen zwei Steinen. Die Schlange konnte ihn nicht sehen. Schnell zog er seinen silbernen Dolch und schnitt der Schlange den Bauch durch. Die Schlange war auf der Stelle tot.
Wie versprochen brachte der Adler Lilipo auf den Berg. Der Zwerg brauchte fünf Tage um den Diamanten zu finden. Er war faustgroß und glitzerte wie eine kleine Sonne. Lilipo nahm den Diamanten und brachte ihn zum See-Geist.
Die Fee kam mit Lilipo und wurde seine Gefährtin. Sie feierten Hochzeit. Bei diesem Fest tanzten nicht nur Zwerge und Feen, Tiere und Vögel, auch die Blumen und die Bäume tanzten.
So lebten Lilipo und die silberhaarige Fee glücklich zusammen im Häuschen am Silbersee. In der Nacht musste die Fee ein Kopftuch tragen, um ihr Haar zu verstecken, damit es im Häuschen dunkel wurde. Am Abend ließ sie immer nur ein Paar Strähnen heraus, die beleuchten das ganze Haus. Am Tag nahm sie ihr Kopftuch ab, saß vor dem Häuschen und kämmte ihre Haare. Sie schillerten in verschiedenen Farben, das brachte die Vögel zum singen und schöne, bunte Blumen zum Wachsen.“
Der alte Zwerg saß in Gedanken versunken da. Oder war er eingeschlafen? Der kleine Loll dachte an die Geschichte von Lilipo und der Fee.
„Also ist es ein Kristall, der dort so schimmert…“, überlegte der kleine Loll. Da hatte der kleine Zwerg plötzlich eine Idee:
„Morgen werde ich mir ein Boot nehmen und raus auf den See rudern! Wenn ich diesen Kristall bekomme, dann werde ich so berühmt wie Lilipo!“
Texte: Cover Illustration von meiner Mutter
Tag der Veröffentlichung: 19.04.2009
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Erstveröffentlichung in der Anthologie "Kleine Helden, große Taten" Band 1 - "Magie und Schwert", Verlag P&B