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Unsere Stadt Nürnberg liegt in der goldenen Pracht des Herbstes. Es ist Ende Oktober, aber die Sonne scheint, der goldene Oktober will seinen Platz nicht dem kalten November überlassen. Bald ist Halloween.
In der großen Pause diskutierten meine Freundin Nadine und ich, was wir morgen an Halloween vorhatten zu machen. Wir beide wollten uns als Hexen verkleiden, da wir Hexenkostüme hatten.
„Sind wir nicht zu wenige? Nur du und ich.“, fragte Nadine, „Und wenn Maria und Serin mitmachen?“
Sie kannte die beiden noch von der Grundschule und mochte sie. Ich dachte nach und entgegnete: „Moment mal! Was ist, wenn Serin nicht mal darf? Schweinefleisch darf sie ja auch nicht essen … -glaub ich…“
Nadine fragte verblüfft: „Was meinst du?“ Ich erklärte vorsichtig: „Oh man, sie ist Iranerin, kann sein, dass ihre Eltern ihr nicht erlauben werden, verkleidet um die Häuser zu ziehen…!?“
„Ach nee, Serin sieht so modern aus, ihre Klamotten sind auch voll stylisch. Bei mir in der Grundschule mussten zwei Türkinnen sogar Kopftücher tragen. Und Serin sieht so wie wir aus!“, versicherte Nadine mir.
Wir rannten in den Pausenhof, wo Maria und Serin ihr Pausenbrot verzehrten. Sofort schoss ich los: „Habt ihr an Halloween schon was vor?“
„Wir wollen als Hexen gehen! Macht ihr mit?!“, schrie Nadine aufgeregt. Ein Paar unserer Mitschüler musterten uns interessiert.
„Schrei nicht so! Sonst wird schon bald die ganze Klasse über unsere Pläne Bescheid wissen!“, stoppte ich die vor Aufregung schreiende Nadine.
„Klar doch! Als Hexen! Cool!“, rief Serin begeistert. Wir waren eindeutig zu laut! Maria sagte schüchtern: „Ich habe aber kein Hexenkostüm.“
„Da brauchst du dir keine Sorgen zu machen! Meine Mutter hat so viele schwarze Kopftücher und schwarze Kleider, wir müssen uns immer entsprechend kleiden, wenn wir unsere Verwandtschaft im Iran besuchen gehen“, lachte Serin. Maria aß mit großem Appetit ihre Apfeltasche, als sie noch mit vollem Mund fragte: „Und dann einfach „Süßes oder Saures?“
Und dann redeten wir fast alle gleichzeitig: „Quatsch! Wir sind doch nicht im Kindergarten! Wir müssen uns etwas ganz Besonderes, Originelles ausdenken.“ - „Wir denken uns einen Hexen-Rap aus! Ich habe einen Totenschädel!“ -„Cool, das wird bestimmt originell! Ich habe Mäuseohrringe!“
In der nächsten Pause hatte Karolina, ein Mädchen aus unserer Klasse, welches wir nicht ausstehen konnten, irgendwie mitbekommen, dass wir alle vier als Hexen verkleidet morgen herumziehen wollten. Könnte es auch sein, dass wir zu laut waren? Karolina sagte herablassend: „Ihr seid ja sooo uncool! Pff! Könnt ihr euch nicht etwas Besseres ausdenken?!“
„Deine „coole Idee“ werden wir morgen sehen! Oder bleibst du zuhause? Was, Karo?“, gab Nadine bissig zurück. Ich fügte frech hinzu: „Halte dich lieber fern von uns! Ich will dein Gesicht nicht sehen!“
„O Gott, ich habe jetzt schon Angst!“, schrie Karo theatralisch und hob ihre Arme abwehrend hoch. Ich ballte die Hände zu Fäusten und drohte: „Was mischst du dich immer ein? Verschwinde, sonst…“
Karo stützte die Hände in die Hüften und fragte: „Sonst was?“.
Schon ging sie mit ihren lackierten „Krallen“ auf mich zu. Sie war angriffsbereit. Mir musste man das nicht zweimal sagen: Wenn es um einen Kampf ging, war ich die Erste! Wie meine Mutter sagte, war ich zu impulsiv und zu unüberlegt! Mit einem Satz stürzte ich mich auf Karo. Plötzlich stand Maria zwischen uns: „Stopp! Hört auf!“
„Geh auf die Seite, der werd’ ich’s zeigen! Karo, du wirst dir das bis zum Abitur merken!“, schrie ich herausfordernd. Empört zog Karolina die Schultern hoch, aber als sie den Mund öffnete, um etwas zu erwidern, hörten wir hinter uns Sergej, einen russischen Jungen aus unserer Klasse, rufen: „Hilfe! Zickenalarm! Alarmstufe Rot!“
Alle, die diese Szene beobachtet hatten, prusteten los. Wir Mädchen wurden rot, drehten uns um und stolzierten in unterschiedliche Richtungen davon. Sergej rannte zu mir und fragte grinsend wie immer: „In welcher Straße lauft ihr an Halloween? In der Altstadt?“
Ich schnaubte ihn nur an. Mit unschuldiger Miene sagte er: „Ich frage nicht aus Neugier! Ich bin um unsere Sicherheit besorgt! Wenn ihr in der Altstadt lauft, dann bleiben wir weit entfernt: Es ist sehr gefährlich in deiner Nähe zu sein, Tigerin!“
„Geh uns aus dem Weg, du Kasper!“, schrie Nadine.
„Ich bin schon weg!“, kicherte er und sprang auf die Seite.
Man konnte sehen, dass unser Streit die Jungs prächtig amüsierte. Dieser Sergej und die anderen Jungs, die mit lachten, waren Russen und kamen aus der ehemaligen UDSSR. Ich war nämlich in eine „Russenklasse“ geraten:
In unserer Klasse waren 30 Kinder, drei davon Chinesen, eine Iranerin (unsere Serin), zwei Türken, Nadine war Polin, nur 9 Deutsche und der Rest waren Russen. Und der Rest waren 14 Schüler, 14 Russen: Vier Mädchen und 10 Jungen. Sie waren in der Mehrzahl! Einige davon waren Russen mit deutscher Abstammung (oder sagt man „Deutsche mit russischer Abstammung“?), aber die Meisten waren Juden aus Russland. Es war egal, was für eine Nationalität sie hatten – sie sprachen alle Russisch! Unser Gymnasium war ein europäisches Gymnasium, das viele Sprachen bot: Englisch, Französisch, Spanisch, Latein, Chinesisch, Italienisch und Russisch. Darum waren wir so international! Sergej, der mich aus der Fassung gebracht hatte, und sein bester Freund Kirill hielten immer zusammen, sie waren die Unruhestifter in unserer Klasse. Schlimm war, dass sie sich immer einen Schwächeren aussuchten, um diesen zu necken und auszulachen. Aber mich ärgern? Bei mir lagen sie völlig falsch!
Am nächsten Tag gegen Abend trotteten wir, vier Hexen, mit freudiger Aufregung zum Hauptmarkt. Die Innenstadt war hell erleuchtet, da wir früh dran waren, hatten viele Geschäfte noch offen. Auf dem Hauptmarkt herrschte zwischen den kleinen Ständen großes Gedränge. Die Leute, die vorbei gingen, sahen uns belustigt an, einige davon lächelten uns zu, einige kicherten. Maria jammerte: „Ich finde, ich sehe aus wie eine Vogelscheuche!“



„Ach Maria, sei doch nicht so eine Spielverderberin! Es ist Halloween!“, lachte Serin und machte eine „fast gruselige“ Grimasse.
Nadine, die vor uns lief, sprang auf ihren Besen und hopste so, als versuchte sie zu fliegen. „Jiiihaaa…!“, schrie sie mit ohrenbetäubendem Gekreische. Wir brachen in Gelächter aus. Der Markt war wirklich voll. In der Menschenmenge dort konnte man sich sehr leicht verlieren.



An manchen Ständen wurden Tücher, Besteck oder Holzspielzeug angeboten, aber von den meisten Ständen konnte man im Vorbeigehen die vielfältigsten Gerüche von Essen einatmen. Bier wurde ausgeschenkt, Erdbeeren, Trauben oder Bananen mit Schokoglasur und heiße Mandeln wurden verkauft.
Und natürlich gab es auch Bratwurststände mit den köstlichen Nürnberger Bratwürstchen, die ich so liebte. Ich musste mich sehr stark unter Kontrolle halten, um mir keine zu kaufen. Wir rochen mit unseren Nasen das süße Aroma. Maria zog uns in Richtung Bäckerei: „Wir müssen so viele Lebkuchen wie möglich mitbringen. Meine Mutter ist ganz verrückt nach Lebkuchen!“
„Und ich möchte gern diese leckeren Apfelchips!“, sagte Serin.
„Und ich Karamelllutscher!“, schwärmte Nadine.
Wir liefen von einer Marktbude zur anderen, tanzten dabei unseren Rap-Tanz, sagten unsere coolen Sprüche:
„Ich sollt uns etwas Süßes geben,
Davon kann Hexe lange leben.
Wir putzen unsre Zähne? – Nein!
So bleiben sie noch länger fein!“
Mit unsere Beinen und Händen schwingend und mit den Hüften wackelnd sangen wir: „Je, je, je…“
„Wir tragen schöne Sachen,
Und wagt es nicht zu lachen!
Wir sind die hübschen Wesen,
Und fliegen auf den Besen!“ „Je, je, je…“

Nach einer Stunde waren unsere zwei Taschen mit Süßigkeiten vollgestopft.
Wir kasperten viel. Ich hatte eine große Ratte aus Gummi bei mir, die ich in einen Lappen wickelte und im Arm wie ein Baby wog. Immer wieder sagte ich mit gespielter Traurigkeit: „Habt Mitleid mit einer armen Hexe! Mein Baby hat nichts zu essen!“
Das war cool! Aber Maria hatte sich auch etwas Schönes ausgedacht: Um ihren Hals schmiegte eine dicke Kette, an der ein großer Menschenschädel (Aus Plastik natürlich!)hing. Maria kam zu einer Marktbude oder in einen Laden, legte die Kette mit dem Schädel auf der Theke und sagte: „Habt keine Angst, ich esse keine Menschen! Auf jeden Fall nicht zum Abendbrot.“
Wir hatten zu viel Süßes gegessen, sodass wir nicht noch mehr in uns hineinstopfen konnten.
Da rochen wir erneut Bratwürstchen, die an einem Marktstand verkauft wurden, machten Halt und beschlossen, uns welche zu kaufen.



Aber Maria passte auf ihre Ernährung auf: „Ich esse keine Bratwürste. Die haben zu viel Fett!“ Das war eine Beleidigung für meine „lieben Bratwürstchen“! Also kauften wir drei Bratwurstsemmeln. Die schmeckten lecker! Schnell biss ich in meine Semmel und hörte hinter mir jemanden sagen: „Was? Serin! Du bist Iranerin, du darfst doch kein Schweinefleisch essen!“
Ich drehte mich um und sah Sergej und Kirill. Wie toll sie aussahen! Sergej war Harry Potter: Er hatte einen schwarzen Umhang um und trug eine runde Brille. Aber am coolsten war Kirill, er war als Ron verkleidet, mit roter Perücke und schwarzem Mantel. Krass!
„Was? Serin? Wer ist Serin? Ich bin die Hexe Grüne-Nase!“, entgegnete Serin grinsend und biss, bevor jemand etwas erwidern konnte, in ihr Bratwurstbrötchen. Das sorgte für einen erneuten Lachanfall. Ich umarmte Serin und lächelte: „Hexen haben keine Nationalität! Hexen sind international!“ Maria ergänzte mich: „Hexen stehen über Nationalitäten, und haben das Recht, Freunde zu sein!“
Mensch, Maria ist so schlau! Die Jungs hatten nur eine Tüte Süßigkeiten, und die war nur halbvoll.
Zufrieden stellte Nadine fest: „Nicht viel in der Tüte. Ha!“
Sergej lief rot an und beschimpfte sie ziemlich sauer: „Du bist so hässlich! Du hast Warzen auf der Nase!“
„Danke! Danke für das Kompliment!“, strahlte Nadine. Kirill holte tief Luft und entgegnete: „Ihr seht so hässlich und ekelhaft aus!“
„Nochmal: Danke!“, bejubelten wir uns und prusteten los.
„Leute, benehmt euch, wir sind doch Stadthexen!“, lachte ich.
Es war Maria, die sagte: „Jungs, wollen wir zusammen laufen? Wir helfen euch eure Tüte voll zu bekommen!“ Sofort folgte die Antwort „ja“ und wir zogen alle zusammen durch Nürnbergs Innenstadt. Vorbei an all den Leuten, die uns belustigt musterten und Kommentare abgaben. Wir konnten nur darüber lachen, wir hatten unseren Spaß.




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Tag der Veröffentlichung: 09.03.2009

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