Auf einmal Liebe
Von der Unberechenbarkeit des Schicksals und der Magie der wahren Liebe
So hat sich Anna May ihren Neubeginn in Edinburgh nicht vorgestellt. Eigentlich ist sie in die Großstadt gekommen, um die Vorurteile hinter sich zu lassen, die ihr bereits ein ganzes Leben lang anhaften. Als graue Maus getarnt, tritt sie die Stelle der Assistentin der Geschäftsleitung an, um von ihrem schönen Äußeren abzulenken. Doch der Schuss geht gewaltig nach hinten los. Noch am ersten Arbeitstag erhält sie von ihrem Chef einen Heiratsantrag. Dabei verkörpert Logan McGregor alles, wovor Anna May weggelaufen ist.
Logan liebt sein Junggesellendasein und schmückt sich gerne mit hübschen jungen Frauen. Kurz vor seinem 35. Geburtstag setzt ihm sein Vater die Pistole auf die Brust: Entweder er bindet sich, oder er verliert den Anspruch auf den Chefsessel der familiären Whiskydestillerie.
Mila Summers, geboren 1984, lebt mit ihrem Mann und den beiden Kindern in Würzburg. Sie studierte Europäische Ethnologie, Geschichte und Öffentliches Recht. Nach einer plötzlichen Eingebung in der Schwangerschaft schreibt sie nun dramatische und humorvolle Liebesromane mit Happy End und erfreut sich am regen Austausch mit ihren LeserInnen.
Bisher von der Autorin erschienen:
»Liebe ist«-Reihe
Liebe ist nur mit Dir
Liebe ist ein Glücksfall
Liebe ist ganz nah
Liebe ist ein Wunder
Liebe ist nicht nur ein Gefühl
»Geschichten aus Port Isaac«
Der erste Sommer mit dir
Zuckersüßer Sommer
Weihnachten in Cornwall
Frühlingsküsse in Cornwall
Sommerküsse in Cornwall
»Manhattan-Love-Stories«
Irresponsible desire (Band 1)
Irrepressible desire (Band 2)
Irresistible desire (Band 3)
»Tales of Chicago«-Reihe
Küss mich wach (Band 1)
Vom Glück geküsst (Band 2)
Ein Frosch zum Küssen (Band 3)
Küsse in luftiger Höhe (Band 4)
Zum Küssen verführt (Band 5)
»Social-Web-Trilogie«
Instafame oder Gummistiefel in Acryl
Facebook Romance oder nach all den Jahren
Twinder oder die Irrungen und Wirrungen der Liebe
»Weihnachten im Ort der Wunder«
Küsse unter dem Mistelzweig
Liebe und andere Weihnachtswunder
Alle Teile sind in sich abgeschlossen und können unabhängig voneinander gelesen werden. Allerdings gibt es ein Wiedersehen mit den Protagonisten der vorhergehenden Bücher.
Weitere Bücher der Autorin:
Vielleicht klappt es ja morgen. Liebe in …
Rettung für die Liebe
Liebe lieber einzigartig
Auf einmal Liebe
Sommer, Sonne, Strand und Liebe – Nele & Josh
Ein zauberhaftes Weihnachtsgeschenk
Verloren sind wir nur allein
Ein Sommer in Schottland
Weihnachten in Cornwall
Mit dir bin ich unendlich
Wie das Leuchten von Bernstein (erschienen im Heyne-Verlag unter dem Pseudonym Nele Blohm)
Schneegestöber (Charity-Buchprojekt für die Stiftung Bärenherz in Wiesbaden)
Auf einmal Liebe
Roman
Deutsche Erstauflage März 2018
Copyright © Mila Summers
Lektorat: Dorothea Kenneweg
Korrektorat: Jil Aimée Bayer
Covergestaltung: Nadine Kapp
Covermotiv: Shutterstock © Dean Drobat / Martin M303
Impressum: D. Hartung
Frankfurter Str. 22
97082 Würzburg
Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder teilweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
Personen und Handlungen sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Menschen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
mila.summers@outlook.de
Anna May
»Willst du so etwa mit mir auf Samuels Party gehen?«
Nick hatte recht. Mein kuscheliger roséfarbener Hausanzug mit Einhornkapuze und Einschubtasche am Bauch wäre sicher nicht das Richtige für diese angesagte Party. Nur gut, dass ich meinem Ex-Freund bereits mitgeteilt hatte, dass ich ihn nicht begleiten würde.
»Was machst du überhaupt hier, Nick?« Für Anfang April war es noch ziemlich kalt in Giffnock – der zentralen Tiefebene Schottlands. Kaum dass ich die Tür geöffnet hatte, fröstelte es mich trotz des warmen Einteilers an meinen Armen und Füßen. Dummerweise hatte ich die passenden Hausschuhe an der Couch stehen lassen. Ich konnte ja nicht ahnen, dass ich länger von Mr. Darcy aus Stolz und Vorurteil getrennt sein würde.
»Wir haben ein Date. Schon vergessen?«, blaffte mich mein Ex an.
»Und du? Hast du etwa vergessen, dass ich mit dir Schluss gemacht habe, oder hast du mir einfach mal wieder nicht zugehört?«
Ohne auf meinen Vorwurf einzugehen, legte Nick selbstsicher seine rechte Handfläche gegen die Haustür. Offenbar wollte er sicherstellen, dass ich ihm diese nicht vor der Nase zuschlagen würde. »Sag mal, hast du deine Tage, oder was ist los mit dir?«
Was mit mir los war?
»Checkst du es nicht? Ich habe unsere Beziehung genau aus diesem Grund beendet. Du hörst mir nicht zu. Ich bezweifle, dass du es je getan hast.«
»Das stimmt so nicht und das weißt du auch.« Nick schaute genervt drein, während ich mich innerlich dafür verfluchte, die Tür überhaupt geöffnet zu haben. Ich könnte noch immer schmachtend vor der neuen BBC-Verfilmung von Jane Austens Klassiker sitzen und einen ruhigen sowie entspannten Abend genießen.
»Also, Babe, sei schön artig, geh nach oben und zieh dir einen dieser heißen Fummel über, die deinen sexy Körper richtig gut in Szene setzen. Ich muss heute mit dir angeben.«
Manchmal fragte ich mich, ob das letztlich nicht der einzige Grund war, weshalb Nick mit mir zusammen gewesen war. Zumindest war es mir in den vergangenen vier Monaten des Öfteren so vorgekommen.
Leider war Nick da keine Ausnahme gewesen. Seit ich denken konnte, hatte ich, was die Wahl meiner Freunde anbelangte, immer mächtig ins Klo gegriffen. Die Männer waren zwar immer hinter mir her und gaben gerne mit mir an, doch bis zum heutigen Tag hatte sich keiner wirklich für mich interessiert.
All meine Ex-Freunde verband das Desinteresse an der Person hinter der hübschen Fassade, und ich Idiotin war immer wieder auf ihre Masche hereingefallen. Doch das würde ab jetzt ein für alle Mal ein Ende haben. »Ich werde einen Teufel tun. Hörst du?«, fluchte ich mit all der Wut, die sich über die Jahre hinweg in mir angestaut hatte. »Könntest du bitte deinen Fuß aus der Tür nehmen? Diese Unterhaltung ist für mich beendet.«
Nick runzelte die Stirn, als könnte er nicht glauben, was ich eben gesagt hatte. »Babe, das kann doch nicht dein Ernst sein.«
»Mein voller«, erwiderte ich mit leicht bebender Stimme. »Es hat sich ausgebabet. Ein für alle Mal. Geht das endlich in deinen Schädel rein? Wir sind kein Paar mehr. Ich werde dich auf keine Partys mehr begleiten, auf denen du mich wie eine exquisite Louis Vuitton-Tasche aus der neuesten Kollektion vorführen kannst. Ich bin ein Mensch aus Fleisch und Blut. Ich habe Gefühle.«
Abermals legte Nick sein selbstgefälliges Grinsen auf. »Babe, du bist die hübscheste Frau weit und breit. Es gibt keine, die dir das Wasser reichen könnte. Alle Männer drehen sich nach dir um.«
Genervt schloss ich für einen Moment die Augen. Nick hatte auf den Punkt gebracht, was mir schon seit Jahren ein Dorn im Auge war. »Verstehst du denn gar nicht, dass es mir nicht genug ist, nur schön zu sein?«
Fassungslos sah ich in das noch immer grinsende Gesicht meines Ex-Freundes. Wie hatte ich nur die letzten vier Monate mit ihm zusammen sein können, ohne zu merken, dass es ihm gar nicht auf mich angekommen war?
Ich liebte ausgedehnte Spaziergänge durch die Lowlands, Sonnenuntergänge am nahe gelegenen See, Schneeballschlachten im Winter. Das war meine Welt. Ich bezweifelte, dass Nick auch nur den Hauch einer Ahnung davon hatte. Für ihn war es nur wichtig gewesen, dass ich in den Kleidern, die er mir geschenkt hatte, gut aussah, damit er bei seinen Freunden Eindruck mit mir schinden konnte. Doch diese Zeiten waren vorbei.
Ab sofort würde ich selbst über mein Leben bestimmen. Ab sofort würde ich sagen, wo es langging. Ab sofort würde ich mich nicht mehr zum netten Anhängsel degradieren lassen.
Zum ersten Mal war so etwas wie Verwunderung in Nicks Gesicht zu erkennen. Heiser lachte er auf. »Schätzchen, viele Frauen gäben alles dafür, nur für einen Tag dein Aussehen zu haben. Du brauchst nur mit dem Finger zu schnippen, und alle Welt liegt dir zu Füßen.«
Wollte oder konnte mich Nick nicht verstehen? Wie so viele Male zuvor, hatte ich das Gefühl, dass er mir gar nicht zuhörte. Er hatte seine Sicht der Dinge als festes Weltbild angeordnet, von dem er nicht ohne Weiteres abrücken würde. Als ich diese Erkenntnis für mich getroffen hatte, war mir gleichsam bewusst geworden, dass eine Zukunft mit ihm nicht möglich war. Nicht so, wie ich sie mir erhofft hatte.
»Ich bin aber nicht wie viele Frauen. Ich bin Anna May, sechsundzwanzig Jahre, Büroangestellte bei Daves Autoteilezubehör aus Giffnock.«
Nun war es Nick, der genervt schnaubte. »Dann gehst du heute Abend also nicht mit mir zu Samuels Party?«
So langsam kam ich mir vor wie eine Schallplatte, auf der die Nadel immer wieder an der gleichen Stelle aufgesetzt wurde. »Nein, ich werde nicht mitkommen. Außerdem …« Für einen Moment überlegte ich, ob ich Nick von meinen Plänen erzählen sollte. Ein Teil von mir riet mir dringend dazu, mich einfach wegzuschleichen und mein bisheriges Leben und all die Menschen, die darin eine Rolle gespielt hatten, hinter mir zu lassen. Der andere Teil wollte zeigen, wie stark und selbstbewusst er war. »… außerdem werde ich morgen verreisen.« Eine Notlösung als Ausweg aus meiner inneren Zerrissenheit. Verreisen suggerierte, ich würde bald zurückkehren, was mir somit lästige Fragen ersparte. Das hoffte ich zumindest.
»Und wann kommst du wieder?« Ein Hauch von Wehmut lag in Nicks Stimme. Für einen kurzen Moment war ich versucht, ihm abzukaufen, dass es ihm leidtat, wenn ich ginge. »Wirst du zum Frühjahrsfest zurück sein? Ich bräuchte noch eine nette Begleitung.«
»Warte nicht auf mich«, erwiderte ich harsch. Nick würde es nie kapieren. Es brachte nichts, es ihm erklären zu wollen.
Eins hatte ich in den letzten Jahren und aus den unzähligen Enttäuschungen gelernt: Man konnte einen Menschen nicht ändern, wenn er das nicht selbst wollte. Also war es nun an mir, aus dem ewigen Hamsterrad auszubrechen.
Betretene Stille setzte ein, als Nick seine Felle davonschwimmen sah. Offenbar hatte er endlich gecheckt, dass es für uns kein Comeback geben würde. Nicht einmal für Samuels Fete oder das Frühjahrsfest. Auf Männer wie Nick würde ich hoffentlich nie mehr reinfallen.
Seit ich den Entschluss gefasst hatte, alles hinter mir zu lassen, fühlte ich mich so frei und ungebunden wie noch nie zuvor in meinem Leben.
Als Kind hatte man mir gesagt, ich solle mich über die Komplimente bezüglich meines hübschen Äußeren freuen. Dass ich beispielsweise auch ganz gut singen konnte und sportlich war, interessierte hingegen niemanden. Ebenso wenig wie der Umstand, dass ich als Jahrgangsbeste mein Studium absolviert hatte.
Im Gedächtnis der Einwohner dieses beschaulichen Landflecks würde ich immer Anna May Fisher, das schöne Mädchen mit den eisblauen Augen und dem wallenden dunkelbraunen Haar bleiben. Den Menschen meiner Heimat eine andere Anna May zu präsentieren, war vollkommen zwecklos. Sie sahen sie ja doch nicht.
»Dann werde ich besser gehen.« Ich machte drei Kreuze, als Nick endlich ein Einsehen mit mir hatte. Wie in Zeitlupe löste er die Hand von meiner Tür, während er verstohlen in das Innere meines Elternhauses spähte. »Wer ist es?«, fragte er schließlich mit ernster Miene, während ich bereits zu hoffen gewagt hatte, er würde endlich das Weite suchen und mich in Ruhe lassen.
»Wer ist was?«
Nick sah mir noch immer ganz verbissen über die Schulter. Ängstlich folgte ich seinem Blick, um nachzusehen, ob da wirklich jemand stand. Schließlich war ich am heutigen Abend allein im Haus. Meine Eltern waren zu einem Konzert in die Stadt gefahren, während meine kleine Schwester Cybill vermutlich mit ihrem ersten Freund knutschend im Kino saß.
Die Zeit schien stillzustehen, während Nick mir seine Antwort schuldig blieb. »Nick? Was ist denn nun?«
Ich stemmte meine Hände in die Hüften. Was zum Henker spielte Nick da für ein Spiel mit mir?
»Du kannst mir nicht weismachen, dass du dich aus einer Laune heraus von mir getrennt hast. Da steckt doch sicher ein anderer Mann dahinter. Wer ist es? John? Freddy, das Wiesel? Nein? Vielleicht Jimmy, der Hausmeister an der Grundschule?«
Genug war genug. »Nick, es reicht. Sieh zu, dass du Land gewinnst!«
»Es gibt also einen anderen. Wusste ich es doch. Ich werde schon noch dahinterkommen, wer es ist. Verlass dich drauf. So leicht gebe ich nicht auf. Du gehörst mir und sonst niemandem.«
»Falsch. Ich gehöre einzig und allein mir selbst. Hast du das verstanden?« Die letzten Worte fühlten sich wie ein Befreiungsschlag an, als sie meine Kehle verließen. Dabei war ich scheinbar so laut geworden, dass die Brillengläser unseres Nachbarn, Mr. Pheron, ganz deutlich am oberen Rand seiner penibel gestutzten Hecke zu sehen waren. Also, natürlich nicht nur seine Brillengläser. Er bezog oft Stellung an dieser Position, um die Nachbarschaft auszuspionieren. Glaubte wohl, dass es uns nicht auffiele.
Nick wollte etwas erwidern, doch ich nutzte den Schwung und schmiss die Tür mit voller Wucht ins Schloss. Etwas, was ich bis zu diesem Tag nie gewagt hätte. Vor der Tür war ein Fluchen und Wehklagen zu hören. Anscheinend hatte ich Nick verletzt. Das tat mir leid. Das wollte ich nicht. Dennoch wusste ich, dass es kein Zurück mehr gab. Edinburgh, ich komme!, dachte ich siegessicher.
Logan
Meine Kehle schnürte sich mir immer weiter zu. Ich hasste es, den obersten Knopf meines Hemdkragens zu schließen. Für gewöhnlich tat ich das auch nie. Doch wenn mein Vater zu einem dieser Events einlud, erwartete er von mir, dass ich mich gebührend kleidete.
»Silentium, Silentium! Ich bitte für einen Moment um Ihre geschätzte Aufmerksamkeit.«
Jetzt kam wieder eine seiner endlosen Reden, in der es um die Familie, das Unternehmen und seine Verdienste in den letzten vierzig Jahren ging. Schließlich hatte er die marode Whiskydestillerie, die er von seinem Vater geerbt hatte, zu einer der erfolgreichsten des Landes gemacht. Ohne ihn wäre die Firma den Bach runtergegangen.
Ich will gar nicht leugnen, dass es so gekommen wäre, aber letztlich hörte ich diese Worte zum gefühlt tausendsten Mal. Mit meinen fast fünfunddreißig Jahren war ich schon des Öfteren in den Genuss gekommen, seinen nicht enden wollenden Ausführungen zu lauschen.
Noch immer pfriemelte ich an meiner Krawatte herum und versuchte, sie etwas zu lockern, um den Druck auf die Kehle zu mindern. Währenddessen verfolgte ich die Rede meines Vaters nur mit halbem Ohr.
Im Raum war es mucksmäuschenstill geworden. Die Kellnerin, mit der ich vor wenigen Minuten heftig zu flirten begonnen hatte, stand nur wenige Schritte von meinem Tisch entfernt. Genau das Richtige für den heutigen Abend, ging es mir durch den Kopf, wie als wenn ich mich für die Torturen des Tages dringend belohnen müsste.
Dabei war es bisher gar nicht mal so schlimm gewesen wie bei Grannys neunzigstem Geburtstag. Damals hatte ich als unverheirateter Mann im besten Alter ziemlich in der Pflicht gestanden, musste ihre Gäste betüdeln und den Playboy, der ich nun einmal war, hinter der Fassade des perfekten Schwiegersohns verstecken. Das war eine der härtesten Veranstaltungen meines Lebens gewesen. Am Ende ging ich mit nicht weniger als vier Heiratsanträgen von besorgten Müttern nach Hause, die ihre betuchten Töchter nur allzu gerne unter der Haube gewusst hätten.
Erstaunlich, wie wenig Zeit die ältere Generation mittlerweile nur noch in das Lesen der Tageszeitungen investierte. Täten sie es, wüssten sie nämlich, dass ich ganz und gar nicht der Mann war, der ihren Töchtern ein glückliches Familienleben hätte bieten können.
Es verging kaum eine Woche, ohne dass mich die Paparazzi ablichteten und die Bilder an irgendwelche Schmierblätter verkauften. Wilde Partys, ausschweifende Gelage, eine Veranstaltung mit rotem Teppich? Ich war dabei. Dank meines ehrenwerten Familiennamens stand ich auf all diesen wichtigen Listen, die mir bei jedem angesagten Event Einlass gewährten.
Auf die Einladung zum fünfundsechzigsten Geburtstag meines Vaters hätte ich dennoch gut und gerne verzichten können. Seit nahezu einer Stunde saß ich nun umgeben von der buckligen Verwandtschaft an dem runden Tisch meinem Vater gegenüber und mimte den guten Sohn, oder wie ich es bezeichnen würde: den Wolf im Schafspelz.
Wieder trafen meine Blicke wie beiläufig die der brünetten Kellnerin mit dem Doppel-D-Körbchen. Das Mädchen war genau meine Kragenweite. Blutjung. Noch keine fünfundzwanzig. Wahrscheinlich verdiente sie sich auf Vaters Feier etwas zum Studium in Edinburgh dazu.
Noch immer kreisten meine Gedanken um das, was ich mit ihrem wohlgeformten Körper alles anstellen würde, sobald ich mich von diesem lästigen Pflichttermin loseisen konnte, als plötzlich alle Augen auf mich gerichtet schienen.
Zunächst gab ich nichts darauf, erwiderte die fordernden Blicke mit einem freundlichen Lächeln. Als mir zudem auffiel, dass mein Vater seine Rede unterbrochen hatte und ebenfalls in meine Richtung sah, spürte ich zusehends, wie die Schlinge um meinen Hals, die sich als Krawatte tarnte, noch eine Spur enger wurde.
»Ja, mein Sohn, du hast ganz richtig gehört.«
Was hatte ich gehört? Verdammt! Bisher war ich mit meiner Durchzugstaktik immer gut gefahren. Mein Vater hatte noch nie direkt das Wort an mich gewandt, wenn er in Erinnerungen schwelgte und nicht müde wurde, von seinen Erfolgen zu berichten. Heute schien es leider anders zu sein. Ich zwang mich zu einem gequälten Lächeln, während ich aus den Gesichtern meiner Schwestern und meiner Mutter abzulesen versuchte, was mein Vater in den vergangenen Minuten gesagt hatte.
Sophie war plötzlich ziemlich weiß um die Nase geworden, während Mum aufgeregt an ihrer Stoffserviette herumfummelte. Felicitas hatte ihr hämischstes Grinsen aufgesetzt, was mich nichts Gutes vermuten ließ.
Mit meiner großen Schwester hatte ich mich noch nie besonders gut verstanden. Ginge es nach ihr, würde sie die Firma einmal erben. In ihren Augen war ich ein Taugenichts, der sich auf Kosten der Firma einen schönen Lenz machte. Aber wer konnte ihr das bei meiner Vita schon verübeln?
Dummerweise war Vater ein glühender Verfechter der alten Schule, der der Familientradition treu blieb und nur seinem einzigen Sohn das Unternehmen vermachen wollte. Ich hatte nie darum gebeten und zeitweise, vor allem während der Pubertät, vehement dagegen rebelliert. Heute konnte ich mir ein Leben ohne den zu erwartenden Status gar nicht mehr vorstellen. Die Frauen würden Schlange stehen, nur um eine Nacht mit dem reichsten Junggesellen des Landes zu verbringen. Darauf arbeitete ich hin. Was aus der Whiskydestillerie wurde, war mir dabei ziemlich egal.
Sollte Felicitas doch weiterhin die Fäden in der Hand halten und sich um das operative Geschäft kümmern. Wenn es ihr Freude bereitete, wollte ich ihr ihr Spielzeug nicht wegnehmen. Danach stand mir gar nicht der Sinn.
Wenn es nach mir ginge, würde alles so weitergehen, wie es die letzten Jahre gelaufen war: Meine große Schwester kümmerte sich um die Drecksarbeit, während ich tagsüber meine Füße auf den Schreibtisch legte und mir Gedanken darüber machte, welche schöne Frau mich des Abends zum Dinner begleiten dürfte.
Sophie hatte sich von Anfang an aus diesem Krieg um die Firma rausgehalten und eine künstlerische Karriere eingeschlagen. Vater finanzierte bereitwillig ihren Lebensunterhalt, immerhin sah er sich gern als Mäzen der schönen Künste.
Mein Leben war so, wie es war, einfach perfekt. Nicht im Traum wäre mir eingefallen, je etwas daran zu ändern. Doch irgendetwas im Gesicht meiner jüngeren Schwester und dem meiner Mutter sagte mir, dass es schon bald anders kommen würde, als ich es mir für meine Zukunft erhoffte.
Als mein Blick abermals den meines Vaters traf, erkannte ich diese tiefe Furche auf seiner Stirn, die immer dann zutage trat, wenn ihm etwas sehr ernst war. Erst vor einigen Tagen war sie mir begegnet, als er in meinem Beisein meine Assistentin feuerte, weil er mitbekommen hatte, dass wir beide etwas am Laufen hatten. Nichts von Bedeutung, wie ich ihm mehrfach zusicherte. Leider war mein Vater jedoch zu verklemmt, um zu verstehen, dass wir dennoch ein eingespieltes Team waren. Natürlich nicht nur auf meinem Schreibtisch.
Das arme Ding war von heut auf morgen vor die Tür gesetzt worden. Nicht einmal eine Abfindung hatte sie erhalten, da sie erst wenige Wochen im Unternehmen tätig gewesen war.
»Logan, du bist jetzt in einem Alter, in dem man Verantwortung übernehmen muss.«
Okay, daher wehte der Wind. Offenbar hatte sich mein alter Herr dazu entschieden, mir das operative Geschäft früher zu übergeben als geplant. Anscheinend wollte er sich mit seinen fünfundsechzig Jahren endlich zur Ruhe setzen und sein Leben genießen.
Bisher war er ja leider noch nicht dazu gekommen. Zumindest konnte ich mich nicht daran erinnern, dass er je länger als sieben Tage am Stück der Firma ferngeblieben wäre. Nicht einmal dann, wenn er ernstlich erkrankt war.
Dabei lag ihm Mum schon seit Jahren in den Ohren, dass sie gerne mal eine dieser schicken Kreuzfahrten in der Karibik machen würde. Wie schön, dass er endlich ein Einsehen mit ihr hatte und sich selbst etwas Ruhe gönnen wollte.
Für mich würde sich derweil nicht viel ändern. Schließlich kam Felicitas ganz nach Dad. Sie würde sich in die Arbeit stürzen und uns keine Schande machen. Da war ich mir ganz sicher. Also war ich geneigt, das zaghafte Lächeln, das im krassen Gegensatz zu Dads tiefer Furche auf der Stirn stand, zumindest ansatzweise zu erwidern.
»In wenigen Wochen wirst du fünfunddreißig. In deinem Alter war ich bereits verheiratet, hatte drei Kinder und war Erbe einer Firma, die ich vor dem sicheren Konkurs bewahren musste.«
Die alte Leier wieder. Ich kannte das Lied schon auswendig. Wie er jeden Groschen einzeln umgedreht und sich jeden Pence vom Mund abgespart hatte. Dennoch versuchte ich, ein genervtes Stöhnen zu unterdrücken und die freudige Fassade aufrechtzuerhalten.
Mum griff unterdessen mit fahrigen Fingern nach ihrem Weinglas. Für gewöhnlich trank sie nicht oder nur wenig. Umso mehr irritierte es mich, dass sie es in einem Zug leerte.
»Die Zeit ist gekommen, endlich Nägel mit Köpfen zu machen.«
Das sah ich ganz ähnlich. Es war an der Zeit, mich öffentlich als seinen Nachfolger zu deklarieren. Schließlich wollte ich nicht wie Prinz Charles enden und mit sechzig noch immer darauf warten, dass mein Vater das Zeitliche segnete.
»Die Entscheidung ist mir nicht leichtgefallen, aber du lässt mir leider keine andere Wahl.«
Wie bitte? Was sollte das denn nun wieder? Meine kleine Schwester legte sich derweil ihre Hand an die Stirn. Kein gutes Zeichen. Früher hatte sie stets geglaubt, sie könnte sich unsichtbar machen, wenn sie ihre Augen mit ihren Händen bedeckte. Die Geste war ein Überbleibsel aus dieser Zeit.
Was konnte mein Vater nur gesagt haben, während ich mein ganz persönliches Dessert, den Lohn für meine Qualen in Form einer gut gebauten Kellnerin, in Augenschein genommen hatte?
»Schließlich geht es um den Fortbestand einer Dynastie, für den wir alle Sorge zu tragen haben. Ganz besonders du, mein Sohn.«
Allmählich brach mir der kalte Angstschweiß auf der Stirn aus. Etwas ganz tief in mir sagte mir, dass es bei Vaters Worten nicht mehr ausschließlich um die Firma ging. Ein leises Stimmchen flüsterte mir Worte wie »Familie« und »Ehe« zu, doch ich versuchte, sie im Keim zu ersticken, sie nicht weiter an mich herankommen zu lassen.
Die Schlinge um meinen Hals zog sich unterdessen immer fester zusammen. Nur mit viel Mühe widerstand ich dem Bedürfnis, den obersten Knopf meines Hemdkragens zu öffnen.
Noch immer waren alle Augen auf mich gerichtet. Dicke Schweißperlen rannen mir seitlich an den Schläfen hinunter. Mein Pulsschlag erhöhte sich dermaßen, dass er in meinen Ohren dumpf widerhallte. Ich schluckte schwer, während ich wie ein Angeklagter auf meine Verurteilung wartete. Lebenslänglich mit anschließender Sicherheitsverwahrung war ein Dreck gegen das, was mein Vater ins Auge gefasst hatte.
Die Zweisamkeit oder, wie ich es nannte, die Einsamkeit einer Ehe war nichts für mich. Dieses gesellschaftstypische Modell mochte für die Mehrzahl der Menschen funktionieren, für mich hingegen war es die Hölle auf Erden. Jeder, der mich kannte, wusste, dass ich nicht bereit war, von nur einer Blüte zu kosten. Es gab einfach zu viele schöne Blumen, die allesamt bestäubt werden wollten. Wer war ich, einen Unterschied zwischen ihnen zu machen?
»Vielleicht sollten wir alles Weitere im familiären Kreis besprechen?«, fragte meine Mutter kleinlaut, während sie den Stiel des Weinglases fest umklammert hielt. Sie spürte offenbar auch, dass die Stimmung zu kippen drohte, und setzte alles daran, die Wogen zu glätten. Noch immer wagte es keiner, etwas zu sagen. In mir brodelte es, doch ich versuchte mit aller Kraft, es mir nicht anmerken zu lassen.
Dad irrte sich gewaltig, wenn er glaubte, mich auf diese Weise zu etwas nötigen zu können, dem ich unter vier Augen nie und nimmer zugestimmt hätte. Mit dem öffentlichen Druck konnte ich gut umgehen.
Ohne auf die Worte meiner Mutter einzugehen, setzte das Oberhaupt unserer Familie, Edward McGregor, seine Rede, die jetzt mehr einem Zwiegespräch glich, fort: »Jahr um Jahr hatte ich die Hoffnung, du würdest einsichtig werden und dein Leben der Herausforderung, ja der Bürde, die auf dich wartet, anpassen. Leider vergebens. Mein Entschluss steht fest: Bis zu deinem fünfunddreißigsten Geburtstag erwarte ich von dir, dass du eine Frau ehelichst, die unserer Familie würdig ist.«
Als Vater die Worte aussprach, die seit einigen Minuten wie ein Damoklesschwert in dem großen und üppig geschmückten Festsaal des Balmoral Hotels unheilverkündend über mir geschwebt hatten, schnürte sich mir die Kehle dermaßen zu, dass ich meinem inneren Bedürfnis endlich nachgab und den Knopf meines Kragens öffnete.
»Dad, ich muss Mum zustimmen. Das hier ist nicht der Ort, um …«
Doch mein Vater ließ mich gar nicht ausreden, fiel mir unwirsch ins Wort. »Die Gäste meiner Feier sind meine Zeugen. Solltest du bis zum neunten Juni dieses Jahres keine Frau gefunden haben, die bereit ist, dich zu ehelichen, geht das Unternehmen an deine ältere Schwester über.«
Meine große Schwester strahlte über das ganze Gesicht. Sicher hatte sie nie damit gerechnet, dass Vater die Firma in die Hände einer Frau übergeben würde. Und ich ehrlich gesagt auch nicht.
»Natürlich müsste Felicitas erst einen fähigen Mann heiraten, der meiner Vorstellung von einem würdigen Nachfolger entspricht.«
Ein Klirren war zu hören, als Felicitas das Glas aus der Hand fiel, das sie sich eben noch hinterhältig grinsend an den Mund geführt hatte. Da hatte sie sich wohl zu früh gefreut. Ich musste innerlich befriedigt auflachen, als ich ihr totenbleiches Gesicht bemerkte. Dieses zeitweilige Hochgefühl verpuffte allerdings sofort wieder, als mein Blick zurück auf meinen Vater fiel.
Noch immer stand er mir gegenüber, während ich mir in meiner sitzenden Haltung plötzlich furchtbar klein vorkam. Genau wie damals, als ich gerade neun Jahre alt geworden war und mein Vater mir zu erklären versucht hatte, welch schwere Aufgaben auf mich warteten und wie entbehrungsreich mein Leben einmal sein würde.
Vielleicht hatte ich mich deshalb grundlegend gegen den Lebensweg entschieden, den er für mich vorgezeichnet hatte. Seit frühester Kindheit bekam ich mit, was es hieß, ein McGregor zu sein. Alle Bemühungen zielten darauf ab, die Firma zu stabilisieren, sie zum Marktführer auszubauen. Das Familienleben kam dabei oft viel zu kurz.
Wenn ich an die vielen Wochenenden zurückdachte, die Mum mit meinen Schwestern und mir allein verbracht hatte, wollte ich meinen Vater auslachen, ihm ins Gesicht sagen, was für ein Scharlatan er war. Auf der einen Seite spielte er den liebevollen Vater, der sich um das Wohl seiner Kinder sorgt, während er auf der anderen Seite diese Rolle nie wirklich ausgefüllt hatte.
Während er auf Geschäftsreisen war, lernte ich das Radfahren. Während er ein vermeintlich wichtiges und unter keinen Umständen verschiebbares Meeting hatte, fand die erste Aufführung in meiner Schule statt, in der ich die Hauptrolle spielte. Zugegebenermaßen hatte ich nur ein Blatt dargestellt, das sich zu den Klängen der Titelmusik von Pocahontas hin- und herbewegte. Aber Mum hatte mir das Kostüm eigens geschneidert. Sie war eine begnadete Schneiderin, hatte sogar ihren Meister gemacht.
Als ich meinen Vater mit flehenden Kinderaugen darum bat, dabei zu sein, hatte er wieder von der Verantwortung zu sprechen begonnen, die auf uns lastete. Spätestens zu diesem Zeitpunkt entschied ich mich, ein anderes Leben führen zu wollen als das, das mir vorbestimmt war.
»Edward, ich denke, wir sollten an dieser Stelle mit der Vorspeise beginnen. Unsere Gäste sind ja schon ganz ausgehungert.« Wieder war es Mum, die von uns allen als Erste die Fassung zurückerlangte. Ich bewunderte die ruhige kleine Frau, die stets wusste, wie sie ihren eigensinnigen und oft störrischen Ehemann in die Schranken verweisen konnte. Sie war der perfekte Deckel zu seinem Topf. Etwas, was in dieser Form gar nicht mehr hergestellt wurde.
»Rose, du hast natürlich wie immer recht.« Er räusperte sich. Ein Hauch von Verlegenheit lag auf seinem Gesicht, während ihm sein Widerwille deutlich von den Augen abzulesen war. Dennoch fügte er sich den weisen Worten meiner Mutter. »Dann will ich Sie, meine werten Gäste, nicht länger warten lassen. Das Büfett ist eröffnet.«
Bis zu diesem Augenblick hätte man eine Stecknadel auf den Boden fallen hören können, so still war es gewesen. Allmählich setzten die Unterhaltungen der nahezu zweihundert Gäste wieder ein, und ich atmete erleichtert auf. Die Sache zwischen Dad und mir war noch lange nicht ausgestanden, doch für den Moment hatte mich Mum aus der Schusslinie gebracht. Nicht für lange. Dafür kannte ich meinen alten Herren zu gut. Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann zog er es auch durch. Ohne Wenn und Aber.
Viele behaupteten stets, dass das der Grund für seinen Erfolg war. Er konnte einen Geschäftspartner in nur wenigen Sätzen davon überzeugen, seine Meinung grundlegend zu ändern. An mir würde er sich jedoch die Zähne ausbeißen. Schließlich war ich keiner seiner Geschäftspartner, sondern sein Sohn, sein Fleisch und Blut.
Logan
Gemessen an dem, was mein Vater bisher veranstaltet hatte, um aus mir einen ehrenwerten Bürger dieses Landes zu machen, kam die Vorstellung auf seinem Geburtstag einem Erdbeben mit anschließendem Tsunami gleich.
Vor diesem Tag waren seine Bemühungen eher unterschwelliger Natur gewesen. So hatte er schon des Öfteren versucht, mir eine Tochter aus gutem Hause als zukünftige Ehefrau anzudienen, nicht eine davon hatte meinen Geschmack getroffen. Wenn ich da nur an die dicke Meredith, die Tochter eines befreundeten Bankiers meines Vaters, dachte, bekam ich schon Schweißausbrüche. Wie konnte er von mir erwarten, dass ich mich an solch eine Frau band? Für immer.
Am gestrigen Tag hatte sich etwas entscheidend verändert. Mein Vater beließ es nicht mehr bei seinen Verkupplungsversuchen, nein, er setzte mir unverhohlen die Pistole auf die Brust und erwartete, dass ich seinem Ansinnen Folge leistete.
»Mr. McGregor. Mr. McGregor?«
Um mich von den Strapazen des gestrigen Tages zu erholen, hatte ich das Büro Büro sein lassen und war in ein nahe gelegenes Spa gefahren, um auf andere Gedanken zu kommen. Bisher mit nur mäßigem Erfolg.
»Mr. McGregor, Chantal hätte gleich Zeit für Sie.«
Meine Lippen verzogen sich zu einem freudigen Grinsen. Mit der Kleinen hatte ich schon einige schöne Stunden verbracht. Neben ihren magischen Fingern, die wirklich jede Verspannung im Handumdrehen lösen konnten, war Chantal noch in vielerlei anderen Dingen talentiert.
»Das klingt wunderbar«, erwiderte ich voller Vorfreude. Genau das Richtige für den day after.
Die korpulente Mittdreißigerin hinter dem Tresen notierte etwas in einem übergroßen Buch, ehe sie das Telefon zückte, um Chantal von meiner Anwesenheit in Kenntnis zu setzen.
»Sie sollen noch einen Moment Platz nehmen. Chantal kommt dann gleich persönlich vorbei, um Sie abzuholen.«
Im Wartebereich des Spas lagen einige Zeitschriften aus, deren Titelblätter namhafte Promis sowie weitaus weniger bekannte Möchtegernprominente zierten. Auf einem der Titelbilder war auch ich zu sehen, wie ich lässig neben einer vollbusigen Blondine posierte. Ich konnte mich noch lebhaft an den Abend erinnern. Es war eine unglaublich angesagte Party gewesen, auf der heimische und internationale Schauspieler eine Filmpremiere feierten. Woran ich mich nicht erinnern konnte, war der Name der jungen gut aussehenden Frau, die mich an dem Abend begleitet hatte.
Wenn ich daran dachte, dass dieses Leben mit wechselnden hübschen Frauen an meiner Seite bald schon der Vergangenheit angehören könnte, schnürte sich mir die Kehle auch ganz ohne Krawatte und geschlossenen obersten Hemdkragenknopf bedrohlich zu.
Ein solches Leben käme einem Gefängnis gleich. Mein Vater erwartete von mir sicher, monogam zu leben. Allein die Vorstellung war grausam.
Dennoch wollte und konnte ich auf meinen Status nicht verzichten. Wer würde mich dann noch auf die angesagtesten Events der Stadt einladen? Wer war ich denn, wenn Dad die Firma an Felicitas übergab? Wenn wir einmal ehrlich waren, das Erste, was sie veranlassen würde, wäre mein Rauswurf. Sie verstand meine Art zu leben nicht und würde mich nicht weiter in ihrem Unternehmen tolerieren. Das stand außer Frage.
Nein, die Firma und ihr Standing waren maßgeblich für mein Ansehen in gewissen Kreisen verantwortlich. Wenn ich die Whiskydestillerie nicht erben würde, wäre ich ein Niemand, austauschbar wie die netten Damen an meiner Seite, die mich zu besagten Veranstaltungen stets begleiten durften.
Während ich auf Chantal wartete, begann das Smartphone in meiner Hosentasche zu vibrieren. Felicitas.
»Wo steckst du?«, zischte meine Schwester vorwurfsvoll in den Hörer.
Genervt verdrehte ich die Augen. »Wieso willst du das wissen? Ich wüsste nicht, dass ich dir neuerdings zur Rechenschaft verpflichtet wäre.«
Meine Laune befand sich auf dem Tiefpunkt. Felicitas’ Anruf würde an diesem Umstand nichts verbessern. Ganz im Gegenteil.
»Die Vertragsunterzeichnung mit Birmingham ist in einer Viertelstunde. Du weißt, wie sehr Dad daran gelegen ist, dass wir beide bei dem Termin anwesend sind. Also, wo steckst du? Und wage es nicht, mir zu sagen, dass du dieses wichtige Treffen vergessen hast.«
Verdammt. Seit meine Assistentin gefeuert worden war, war ich, was derlei organisatorische Belange anging, auf mich selbst gestellt. Die Stelle war zwar bereits ausgeschrieben worden, doch bisher hatte ich noch kein Feedback von der Personalabteilung erhalten, wann ich mit einer neuen Vorzimmerdame rechnen konnte.
»Den Termin habe ich natürlich nicht vergessen«, erwiderte ich fahrig, während ich mich auf den Weg zur Tür machte. Chantal würde heute ohne mich auskommen müssen. Zu schade. Ich wäre nur zu gerne in den Genuss ihrer Dienste gekommen.
Mit einem Fingerzeig verdeutlichte ich der Dame an der Rezeption, dass ich mich leider verabschieden musste. Diese wirkte zunächst irritiert, nickte mir dann jedoch verstehend zu.
»Wo zur Hölle steckst du dann? Du weißt, wie sehr Vater Unpünktlichkeit verabscheut.«
Was hasste mein alter Herr eigentlich nicht? Es gab so viele Möglichkeiten, bei ihm in Ungnade zu fallen, dass die Liste nahezu unendlich war. Zu spätes Kommen, zu frühes Gehen, zu lautes Atmen, zu leises Zustimmen – mein Vater war der Inbegriff an Tugend. Jeder, der auch nur ansatzweise mit ihm zu tun haben wollte, musste sich seinem Wertesystem beugen oder die Konsequenzen ziehen.
»Gib mir noch fünf Minuten.« Es war beinahe aussichtslos, in der veranschlagten Zeit auch nur in die Nähe unseres Firmengebäudes zu gelangen, aber das würde ich meiner großen Schwester mit Sicherheit nicht auf die Nase binden.
Kaum dass ich das Spa verlassen hatte, begann ich wie um mein Leben zu rennen. Nachdem ich meine Schwester am Handy wenig galant abgewürgt hatte, erhöhte ich das Tempo weiter. Sie sollte nicht merken, wie beschissen es um mich stand. Diese Genugtuung wollte ich ihr nicht gönnen.
Ich rannte um mein Leben. Nach Dads Offenbarung vom Vortrag war es wenig klug, sich mit ihm anzulegen. Noch hatte ich den kleinen Funken Hoffnung, dass er seine Meinung doch ändern könnte.
Trotz meines ausschweifenden Partylebens war ich gut in Form. Bis zu zwei Stunden täglich verbrachte ich im Gym. Schließlich kam ein athletischer Körper nicht von ungefähr. Dabei war meine breite Brust bei der Damenwelt besonders gefragt. Alle Frauen liebten es, sich an sie zu schmiegen, auch wenn dieser Genuss meist nur von kurzer Dauer war.
Gegen ebendiese prallte mir gerade mit voller Wucht jemand, als ich um eine Ecke bog, eine Abkürzung über den Hinterhof eines Hotels. »Entschuldigen Sie bitte.« Ich hielt inne, um sie hochzuziehen. Einige ihrer wirren dunkelbraune Locken hatten sich aus ihrem streng nach hinten gebundenen Dutt gelöst. Die kantige und viel
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Mila Summers
Bildmaterialien: Shutterstock © Dean Drobat / Martin M303
Cover: Nadine Kapp
Lektorat: Dorothea Kenneweg
Korrektorat: Jil Aimée Bayer
Tag der Veröffentlichung: 02.08.2021
ISBN: 978-3-7487-9063-1
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