Folgende Stücke wurden in den 90ern als ARD-Hörspiele produziert und gesendet: Liesbeth ist tot, Zwicks Mühle, Talk light (jeweils HR) und Solowetz (WDR). Das Stück Alpha liebt Gamma wurde 2006 unter dem Titel Wahnsinn eines Liebenden am Theater an der Rott uraufgeführt (Rechte 1987-2011: Grafenstein-Verlag, München). Spitzweg wurde unter dem Titel Ich und Spitzweg oder umgekehrt in der Darstellung und Inszenierung von Ulrich Radoy 1994 in Berlin uraufgeführt.
Transkriptionen der Hörspiele: Stefanie Saier, Birgit Voigt.
Lektorat der 2011 überarbeiteten Fassung von Spitzweg: Moritz Siegel.
Alle Rechte an den Texten, insbesondere für Aufführungen, Sendungen, Bearbeitungen und Adaptionen für Film und Fernsehen, liegen beim Autor.
Schul- und Amateurtheater können für unkommerzielle Aufführungen beim Autor die Genehmigung zur lizenzfreien Nutzung der Texte einholen. Anfragen über das Kontaktformular der offiziellen Autorenwebeite:
Handlung: Anruf in der Nachtapotheke.
Ein Beratungsgespräch, das aus einem ganz bestimmten Grund aus aus dem Ruder läuft.
Ort : Nacht-Apotheke, am Telefon.
Zeit: früher Abend.
Personen: Apotheker, Anrufer.
Das Telefon klingelt.
APOTHEKER. Luisen-Apotheke, guten Abend.
ANRUFER. Aha, Sie haben also doch geöffnet.
APOTHEKER. Bitte?
ANRUFER. Ich war mir nicht sicher, ob Sie noch ge-
öffnet haben, so kurz vor halb sieben.
APOTHEKER. Normalerweise bis 18 Uhr, aber heute haben wir Notdienst die ganze Nacht durch. Aber rufen Sie nur wegen der Öffnungszeiten an?
ANRUFER. Nein, nein. Eigentlich will ich was zum Medikament fragen.
APOTHEKER. Dann mal los.
ANRUFER. Vielleicht kommt’s Ihnen aber merkwürdig vor.
APOTHEKER. Mal hören.
ANRUFER. Tja, ähm ... also ...
APOTHEKER. Na, das kann doch nicht so schwierig sein.
ANRUFER. Eigentlich nicht.
APOTHEKER. Aber?
ANRUFER. Tja, also wie sag ich’s Ihnen nur am besten?
APOTHEKER. Am besten wird’s sein, Sie überlegen es sich in Ruhe und rufen dann später noch mal an.
ANRUFER. Dann ist es zu spät.
APOTHEKER. Die Leitung muss aber für Notfälle frei bleiben. Dafür haben Sie sicherlich Verständnis.
ANRUFER. Notfall, richtig.
APOTHEKER. Wie?
ANRUFER. Ich bin ein Notfall!
APOTHEKER. Sie brauchen ein Medikament?
ANRUFER. Valium.
APOTHEKER. Valium?
ANRUFER. Man stellt es sich immer so einfach vor, aber letzten Endes ist es komplizierter, als man denkt.
APOTHEKER. Wovon sprechen Sie eigentlich?
ANRUFER. Ich habe sie vor mir liegen?
APOTHEKER. Valium?
ANRUFER. Hat mir der Arzt seit vier Wochen verschrieben.
APOTHEKER. Und, wo ist das Problem?
ANRUFER. Ich habe die Tabletten nicht genommen.
APOTHEKER. Nun, das liegt in Ihrem Ermessen.
ANRUFER. Ich habe die Tabletten gesammelt.
APOTHEKER. Wozu denn das?
ANRUFER. Ich will sie alle auf einmal nehmen.
APOTHEKER. Soll das heißen, Sie wollen sich u-bringen?
ANRUFER. Ja.
APOTHEKER. Damit spaßt man nicht.
ANRUFER. Ist auch nicht meine Absicht.
APOTHEKER. Nun hören Sie mal gut zu: Valium kann fürchterlich ins Auge gehen. Wenn Sie davon zu viel nehmen, werden Sie wieder aufwachen, sich übergeben, weil ihr Magen nicht mitspielt, und
dann können Gehirnschäden oder Lähmungen zurückbleiben. Sie würdenzum Pflegefall werden, und das ist dann überhaupt nicht komisch.
ANRUFER. Deswegen rufe ich ja an.
APOTHEKER. Weswegen?
ANRUFER. Damit Sie mir sagen, wie viele Tabletten ich nehmen muss, um ohne Komplikationen aus dem Leben zu scheiden.
APOTHEKER. Na, das sage ich Ihnen bestimmt nicht. Aber sagen Sie mir lieber, warum Sie sich umbringen wollen.
ANRUFER. Verlust meiner Liebsten.
APOTHEKER. Ein Todesfall?
ANRUFER. Ja.
APOTHEKER. Verstehe. Das ist natürlich immer sehr schmerzlich. Aber Sie müssen versuchen, darüber hinwegzukommen.
ANRUFER. Zehn Jahre waren wir zusammen.
APOTHEKER. Mein Beileid.
ANRUFER. Wir waren ein Herz und eine Seele.
APOTHEKER. Ich verstehe. Aber dass das Leben deshalb keinen Sinn mehr hat, ist doch nicht richtig. Sprechen Sie doch mal mit einem Menschen Ihres Vertrauens darüber.
ANRUFER. Ich vertraue niemandem.
APOTHEKER. Ach, es gibt doch immer jemanden. Aus Ihrer Familie vielleicht?
ANRUFER. Ich habe keine Familie.
APOTHEKER. Keine Kinder?
ANRUFER. Nur theoretisch.
APOTHEKER. Wie, theoretisch?
ANRUFER. Einen Sohn.
APOTHEKER. Na also!
ANRUFER. Den können Sie aber vergessen. Missraten in jeder Beziehung.
APOTHEKER. Na, na.
ANRUFER. Doch! Für mich hat er keine Zeit. Rennt bloß wie blöd dem Geld hinterher und reiht sich brav ein in das Heer der Karrieristenschweine.
APOTHEKER. Er ist immerhin Ihr Sohn.
ANRUFER. Nur Liesbeth hat mich wirklich gemocht.
APOTHEKER. Wenn Ihr Sohn nicht in Frage kommt, können Sie sich vielleicht mit einem Bekannten, einem guten Freund zusammensetzen und ...
ANRUFER. Ich habe keine Freunde.
APOTHEKER. Sie sind sehr einsam, was?
ANRUFER. Ja, sehr. Seit Liesbeth tot ist.
APOTHEKER. Haben Sie es schon mal mit der Seelsorge probiert?
ANRUFER. Ja, noch am gleichen Tag. Aber die können einem auch nicht helfen.
APOTHEKER. Wann ist es denn passiert?
ANRUFER. Einen Tag nach Heiligabend. Dabei hatten wir es uns noch so schön gemacht, hatten wie jedes Jahr einen kleinen Baum gekauft, ihn mit bunten Engelchen und Gebäck geschmückt. Und um 18 Uhr haben wir dann gegessen und nach der Bescherung saßen wir noch gemütlich auf der Couch beisammen und haben die Schöneberger Sängerknaben gehört, den ganzen Abend lang. Zum Schluss waren wir noch ein bisschen spazieren, bevor wir dann ins Bett gegangen sind. Am nächstem Morgen dann, als ich Liesbeth wie jeden Mor-gen wach küssen wollte, bemerkt ich, dass sie irgendwie ... wie sagt man, irgendwie apathisch vor sich hin starrte. Aber ich spürte ihren Atem.
APOTHEKER. Sie lebte also noch?
ANRUFER. Ja.
APOTHEKER. Und dann haben Sie den Notarzt gerufen?
ANRUFER. Das hätte zu lange gedauert! Ich habe sie vorsichtig in meinen Wagen getragen, um sie selbst in die Klinik zu fahren.
APOTHEKER. Sie haben das Menschenmögliche getan.
ANRUFER. Ja. Deshalb bin ich auch zu schnell gefahren. Schließlich war’s ein Notfall.
APOTHEKER. Das wird jeder verstehen.
ANRUFER. Möchte man meinen.Trotzdem wurde ich aufgehalten.
APOTHEKER. Von der Polizei?
ANRUFER. Nein, von einem neunjährigen Bengel. Rannte seinem Ball hinterher. Lief mir direkt in den Wagen.
APOTHEKER. Du liebe Güte! Hatten Sie den Ball nicht gesehen?
ANRUFER. Doch, aber Liesbeth musste doch in die Klinik. Hätte ich eine Vollbremsung hingelegt für einen Ball, wäre kostbare Zeit verloren gegangen. Liesbeth hatte schon einen seltsam matten Glanz auf ihren Augen. Wissen Sie, was das heißt? In so einem Fall geht es um Sekunden!
APOTHEKER. Verstehe.
ANRUFER. Der Rotzbengel hat Liesbeth das Leben gekostet.
APOTHEKER. Sie sind verbittert, weil Sie Ihre Frau verloren haben, aber Sie können doch nicht ...
ANRUFER. Ich bin nicht verbittert. Und über den Verlust meiner Frau schon gar nicht.
APOTHEKER. Nicht?
ANRUFER. Die ist schon lange weg.
APOTHEKER. Auch gestorben?
ANRUFER. Nein, abgehauen.
APOTHEKER. Abgehauen?
ANRUFER. Vor elf Jahren. Mit ihrem Kurschatten.
APOTHEKER. Dann ist ... war Ihre Liesbeth also Ihre Freundin?
ANRUFER. Ja: Dackel sind von Natur aus sehr treue Seelen.
APOTHEKER. Was?
ANRUFER. Friedfertig. Hat nie gekläfft, nie Ärger gemacht. War mir immer zur Seite, in guten wie in schlechten Zeiten.
APOTHEKER. Aber hören Sie ...
ANRUFER. Im Laufe von 55 Jahren habe ich keinen einzigen Menschen kennen gelernt, der auch nur halbwegs so anständig war wie Liesbeth. Ich hatte sie aus dem Tierheim geholt. Ich erinnere mich daran, als wäre es gestern gewesen. Sie war so verängstigt. Sie ist von ihrem Vorbesitzer oft geschlagen worden. Der Mensch ist doch das eigentliche Tier.
APOTHEKER. Und was ist mit dem Kind?
ANRUFER. Mit welchem Kind?
APOTHEKER. Das Sie angefahren haben.
ANRUFER. Alle reden nur von diesem Bengel! Vor Gott sind alle Wesen gleich.
APOTHEKER. Ich glaube, es heißt alle Menschen.
ANRUFER. Aber Liesbeth starb beim Aufprall, wurde vom Rücksitz quer durch den Wagen geschleudert und war auf der Stelle tot. Genickbruch. Dabei war sie erst 12 und hatte sich bestimmt nur erkältet gehabt. Dackel können gut und gerne 15 Jahre alt werden. Wussten Sie das?
APOTHEKER. Nein. Aber was ist mit dem Kind?
ANRUFER. Was weiß denn ich?
APOTHEKER. Es interessiert Sie nicht?
ANRUFER. Liesbeth ist tot!
APOTHEKER. Aber der Junge!
ANRUFER. Im Vergleich zu Liesbeth hat er doch noch Glück gehabt.
APOTHEKER. Glück?
ANRUFER. Er lebt. Wenn auch im Rollstuhl.
APOTHEKER. Der Junge wird sein Leben lang ein Pflegefall und Sie belatschern mich wegen eines toten Dackels?
ANRUFER. Sehen Sie: Niemand will mich verstehen. Meine Nachbarn nicht, mein Sohn nicht, nicht mal die Typen von der Telefonseelsorge. Und jetzt fangen Sie auch noch an.
APOTHEKER. Ich bin Apotheker, nicht Psychiater, und ich sagte Ihnen vorhin schon, dass die Leitung für Notfälle frei bleiben muss. Also machen Sie endlich Schluss.
ANRUFER. Sprechen Sie von dem Valium?
APOTHEKER. Meinetwegen. Ich werde Sie nicht daran hindern.
ANRUFER. Sehen Sie: Je mehr man die Menschen kennen lernt, desto mehr liebt man die Tiere.
APOTHEKER. Allerdings.
Apotheker legt auf.
Ende.
Handlung: Ein Mitarbeiter wird zu seinem Chef zitiert. Ohne es zu wissen, nimmt der Mitarbeiter an einem perfiden Layolitätstest teil.
Orte: Zimmer der Chefsekretärin, Büro des Chefs.
Zeit: tags.
Personen: Chef Zwick, Proband Heimlich,
Sekretärin Stift, Betriebspsychologe Brähn.
Im Zimmer der Chefsekretärin.
Stift schreibt am Computer.
Es klopft.
STIFT. Ja?
Tür öffnet sich, Heimlich tritt ein.
HEIMLICH. Tja ...
STIFT. Ja, kommen Sie rein, Herr Heimlich!
HEIMLICH. Ich ...
STIFT. Oh, es zieht. Die Tür.
HEIMLICH. Natürlich. Entschuldigung.
Er schließt hinter sich die Tür.
HEIMLICH. So.
STIFT. Ja, Momentchen noch. Terminsache. Enter und: Drucken.
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Bernd Mannhardt
Bildmaterialien: iStock by Getty Images
Cover: Bernd Mannhardt
Lektorat: Moritz Siegel
Satz: BookRix
Tag der Veröffentlichung: 16.10.2022
ISBN: 978-3-7554-2333-1
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
»Jeder ist ein Mond und hat eine dunkle Seite, die er niemals zeigt.«
Mark Twain