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Rollentext

Personen: Poet.

Ort: Schreibstube: Unordnung überall – auf dem Boden liegen Bücher, Bücher, Bücher.

 

Beim Einlass des Publikums tönt schleppende Mu­sik.

Die Bühne ist akzentuiert beleuchtet.

Kurz vor Beginn des Stückes Bühnenlicht, Mu­­sik und das Licht im Zu­schauerraum her­unterfahren.

 

Näselnde Frauenstimme aus dem Off,

die Wilhelm Busch rezitiert:

 

Der Dichter, dem sein Fabrikat

So viel Genuss bereitet hat,

Er sehnt sich sehr, er kann nicht ruhn,

Auch andern damit wohlzutun;

Die Lippe sprüht, das Auge leuchtet,

Des Lauschers Bart wird angefeuchtet,

Denn nah und warm, wie sanftes Flöten,

Ertönt die Stimme des Poeten.

 

Unser Held, affektiert dramatisch:

 

Stammbäume  –  im Wald der Anthropoiden!

 

Er betritt mit mühevollen Schritten die Bühne;

unterm Arm trägt er ein Buch.

 

Was denken Sie – Gorilla? Schimpanse? Orang­-Utan? – Aufgepasst!

 

Hebt den Zeigefinger.

Liest im Buch:

 

Menschenaffen sind biologisch und anatomisch enger mit uns verwandt als die übri­gen Affen. Welche      Spezies sollten wir als Schablone für uns selbst betrachten – Schimpansen oder Paviane? Ich stimme mit jenen überein, die sich für die Paviane entschieden hatten. Das menschliche Aben­teuer begann mit unserer Übersiedlung in die Savanne. Diese bedeutete in der Geschichte der Primaten einen ein­ma­ligen Schritt – fast:  Auch die Paviane ließen sich auf diesen schicksalhaften Schritt ein … und überlebten.

 

Klappt das Buch zu.

 Nachdenklich:

 

Paviane … – warum eigentlich nicht? Wenn’s denn

Af­fen sein müssen …

 

Hält das Buch hoch.

 

Shirley C. Strum: Leben unter Pavianen. Fünfzehn Jahre Kenia – das macht ihr so schnell keiner nach. Auch ich nicht. Meine Beobachtungen sind eher bescheiden zu nennen.

 

Setzt sich.

 

Tierpark … Paviangehege … dritter Felsen links, dort kann man Rudolf treffen – nebst Katharina, seiner Frau, und Siegfried, seinem Sohn … ge­nügsame Zeitgenossen: bescheidene Behausung, schlichtes Mobiliar – aber: Vollpension. Letzteres erwähne ich, damit Sie im Falle Ihres Besuches daran denken, die Bananen zuhause zu lassen. Man würde Sie nicht ernst nehmen und, glauben Sie mir, es ist kein Zuckerschlecken, das Gespött des gesamten Tier­­parks zu sein. Ist Ihnen schon einmal zu Oh­ren gekommen, wie es klingt, wenn sich so’n zoologischer Garten kollektiv befeixt und gattungsübergreifend vor Lachen am Boden krin­gelt? Mein lieber Herr Gesangsverein, dagegen avanciert der Lärm einer Kreissäge zum verträumten Plätschern eines Bergbaches.

 

Nachdenklich:

 

Ich beehre Rudolf seit drei Jahren, genau genom­men: jeden zweiten Samstag und ein gutes Stünd­chen harre ich dann immer aus vor seinem Domizil. Rudolf bequemt sich in der Regel erst nach fünfundvierzig Minuten vom Stein. Vorhergehende Lockversuche ignoriert er beflissen – das heißt: Sein Hinterteil setzt sich nur dann in Bewegung, wenn er es will. Char­akterkopf! Auch wegen des gebührenden Ab­standes, den er penibel einzuhalten pflegt, ganz als wolle er mir gegenüber zum Ausdruck bringen: Homo sapiens sind nur mit Vorsicht zu genießen! Sie müssen wissen: Rudolf wurde einst gekidnappt, im Auftrag der Stadtverwaltung … ganz legal weggefangen. Armer Tropf! Jeden Tag begafft zu wer­den ist vermutlich auch für einen Affen nicht das Nonplusultra.

 

Schwärmt:

 

Aber mich mag Rudolf. Letzten Samstag kamen wir überein: Schim­­pansen sind doof!

 

Skeptischer Blick ins Publikum.

 

Was denken Sie? – Stam­me auch ich von diesen asthangelnden Nachäffern ab?

 

Taxierend:

 

Liege ich mit der Vermutung richtig, dass Sie’s eher mit der biblischen Schöpf­ungsgeschichte halten? Oder zäh­len Sie zur Fraktion der Evolutionstheoretiker? Gewiss, Sie können glauben, was immer Sie wollen … ich jedenfalls setz’ weder auf das Erste Buch Moses, noch schenke ich der Wissenschaft mein Vertrauen. Sie müssen wissen: Einerseits provozieren Macht­­spie­le mit Abhängigen bei mir einen unappetitlichen Brechreiz und andererseits bekomme ich im Supermarkt korrumpierter Wahr­­heiten faustdicken Hautausschlag. Auch von daher scheint’s mir – bei aller Sympathie für Rudolf – sinniger, von einer ganz anderen Herkunft aus­zugehen … ein bestimmtes  Indiz spricht  ja  überdeutlich dafür.

 

Wecker klingelt.

 Dazu später mehr.

 Deaktiviert das Klingeln.

 

’Tschuldigung, aber um diese Zeit trinke ich immer.

 

Kramt eine Weinflasche und ein Glas her­vor.

 

Sie gestatten doch?

 

Zieht Korken, schenkt sein.

 

Nachdenklich:

 

Anankasmus und Trunksucht …

 

Nippt am Glas.

 

… ein unzertrennliches Paar. Schon im­mer un­­zer­trennlich gewesen. Ich jedenfalls kenne kei­nen Poeten, der nicht zum Club der lebenden Quartalssäufer gehört.

 

Trinkt das Glas in einem Zug aus, schüttelt sich.

 

Dichten heißt denken  –  nicht nur als Kür, mehr nochals Pflicht – womit auch schon meine Dicht- beziehungsweise Denksucht

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Bernd Mannhardt | www.bernd-mannhardt.de | Alle Rechte am Text - insbesondere für Aufführungen, Sendungen, Bearbeitungen sowie Adaptionen für Hörfunk, Hörbuch, Film und Fernsehen - liegen beim Autor.
Bildmaterialien: iStock
Lektorat: Moritz Siegel
Tag der Veröffentlichung: 19.04.2017
ISBN: 978-3-7438-0864-5

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