Stephen Urbanski
OINOWSKI
Elektrobuch
Redaktion: John Peeling
Cover: Tom Möller
Support: Jason B. Saiks
Best Boy: Udo Uzeirowski
© Urbi et Urbanski Hamburg 2016
Elektrobücher –
TODE$$CHLAGER – Die Charts der Neuen Armut:
TAUBENHHEIM – Erstes Buch Armut
HHAU – Zweites Buch Armut
HHÄRTZCHEN IN DER GRUBE – Drittes Buch Armut
ABSCHAUMDÖRFER – Viertes Buch Armut
DER GESTANK DER GROSSEN WIESE – Letztes Buch Armut
Zweieinhalb Fibeln Anmut – Hamburger Realgrotesken:
GRUHHL (Private Poverty)
HHOOLAHOP (Momentum)
HHUG (Van Hool)
HASPDEHHXXX – Ein Facialbook in Echtzeit
NUUL – Poetry
MAN HUMAN HERE – Ein elftes Hamburger Elektrobuch
PRO MONO - Ein zwölftes Hamburger Elektrobuch
KNSTNGGR – Neue Dramen Hamburg-Nord
urbi-et-urbanski.tumblr.com
facebook.com/stephen.urbanski.75
twitter.com/urbieturbanski
Jahr, ich will!
World Peace Center.
Klotz mich an.
Baal II.
Slam gehört zu Deutschland.
Verhüttung.
TIR-ED 123, deutsches Kennzeichen.
Tiefstack.
Sind wir noch aus Facebook?
Tussipect.
Hass was.
Personenschaden.
Von oben ab.
Mein Dampf.
Küchlein und Tüchlein und Hüchlein.
The And Is Near.
Boesner.
Salafistfucking.
F-SK 1011, deutsches Kennzeichen.
Baustellenfressen.
Silvester mutterseelenallein verbracht, Freundin weilte in Frankfurt, der Rest meiner Leute wollte es laut und feucht. Ich nicht, mir war nach dem puren Gegenteil, nach Stille, Einkehr und Askese. Eine Kerze brannte am Abend und verbreitete sanftes Licht, in dessen Schein ich nachdachte, das vergangene Jahr Revue passieren ließ, Szenen, Menschen flackerten durch Räume, Stimmen hallten von Mauern wider.
Ich versuchte, so etwas wie einen Plan zu entwerfen, eine ungefähre Idee, wie 2016 zu gestalten sei, im Kopf einen Ausweg aus den prekären Lebenswirklichkeiten zu finden, die mich seit Jahr und Tag einschnüren, bedrohen, in die Enge treiben, hinein in jene Ecken, in denen niemand sein möchte.
Vor allem aber dachte ich über OINOWSKI nach, darüber, ob ich ihn überhaupt schreiben sollte, ob ich es noch einmal schaffen würde, die nötigen Energien aufzubringen, um aus dem, was ist, angereichert mit Subtexten und Metaebenen, ein veritables Elektrobuch zu generieren. Oder, falls ja, ob ich ihn nicht exklusiv auf Facebook realisieren und veröffentlichen sollte, im täglichen Modus, OINOWSKI persönlich, live und direkt. Dort hätte ich zumindest einige Leser, könnte mich an Kommentaren erfreuen, an der einen oder anderen Teilung als kleine Form der Anerkennung. Vielleicht. Vielleicht auch nicht.
Ich legte mich um exakt 21:22 Uhr gehackt, wurde um kurz nach Mitternacht von einem Inferno geweckt, dachte, so in etwa muss eine Schlacht klingen, muss sich ein Krieg anfühlen, so in etwa, nur nicht so endfroh, so fröhlich randalierend, panisch beinah als gäbe es sehr wohl den Morgen danach.
Wir schreiben den 1. Januar 2016, es ist 08:59 Uhr.
Wir wollen dem OI eine Chance geben.
Wir werden ihn in vier Kapiteln zu Wort kommen lassen.
Wir wollen derer nicht zu viele verlieren.
Wir wollen uns ab heute kurz fassen:
Happy, you year.
Bei dem Wetter schickt man ja meinen Hund vor die Tür.
Ich wollte ihn roh, primitiv und ungehobelt, rüpelhaft und triebgesteuert. Schließlich steckt in seinem Namen ein Stück jener zutiefst subproletarischen, wenn auch längst vergessenen Bewegung; ab und an sieht man noch das Zeichen, meist im Hamburger Umland. Ab und zu schmiert jemand den Laut, bestehend aus zwei Vokalen und einem Ausrufungszeichen, auf Abfalleimer und Müllbehälter, dorthin, wo er auch reingehört.
Bei dem Vetter setzt man ja einen Willy Fleckhaus vor die Tür.
Ich wollte ihn gelb, den Titel kreischend gelb, neongelb wie eine urinierende Sonne. Tom Möller machte aus Farbgebung und Lettern eine Punk-Hommage an Reclam, kennt man ja, kennen alle Gymnasiasten, Schiller: Die Räuber. Und andere Punks, sehen im Erscheinungsbild alle gleich aus, haben dasselbe Format, Corporate Design, entworfen von Willy Fleckhaus, der auch fürs Layout von „Twen“ verantwortlich zeichnete, kennt man ja noch, ganze Jahrgänge sind damit aufgewachsen. Mein Held steht aufgesperrt auf der Titelfläche, seinen Namen muss man sich erarbeiten, Punk, Anti-Marketing, darf man eigentlich nicht, alles muss sofort verstanden werden, alle wollen alles sofort verstehen, alles andere will man nicht, kennt man ja.
Bei dem Retter setzt man doch keinen Mustang vor die Tür.
Ich würde ihn mir in Rot zulegen, so, wie er aktuell beworben wird, der neue Ford Mustang GT, die Muskelmähne für den geschmacklos Gesattelten, den Neon-Proll, den schiefer Gelegten, „die Straße wartet“. Rein mit uns beiden, Urbanski, Oinowski, der Autor und sein Held im Autowagen, ab mit uns nach Norderstedt, nach Bönningstedt, das Zeichen suchen und finden, unterwegs noch einen Eisregen lutschen von Langnese.
Das Zeichen: Oi!
Laut! Das Zeichen!
Ich wollte immer schon mal jemanden kennen lernen, der Skalski heißt; klingt so schön nach Skala. Ich wollte immer schon mal jemanden kennen lernen, der Winninski heißt; klingt so schön nach Sieger. Ich wollte immer schon mal jemanden kennen lernen, der Pinkowski heißt; vielleicht verrät er sich und ich kann dessen Konten plündern, ungehindert, ungehemmt.
Ich wollte immer schon mal jemanden kennen lernen, der Oinowski heißt; am Ende musste ich hingehen und ihn mir ausdenken. Hat durchaus was mit Ungeduld zu tun, ich kann und will nicht warten, bis mir solche Namen in Fleisch und Blut und ohne Fett begegnen, also erschaffte ich mir einen, einen wie Oinowski, einen ohne Vornamen, Vorgeschichte, einen ohne Vorflut. Einer, der die kommenden IV Monate mit mir teilt.
Wir sind bester Dinge, er und ich; schließlich bleibt ihm auch wenig anderes übrig, denn er ist mein Spiegelbild, mein Ebenbild, sieht so aus wie ich, blaue, müde Augen, längere, akkurat seitengescheitelte Haare im Vietnam-Veteran-Style, mithin leicht abgekämpft, da ständig auf der Flucht vor Ängsten und Nöten, satte neunzig Klo schwer, schlaksige einen Meter neunzig lang, ein bald sechzigjähriger Mehrtagebart in neuer Hose, einer tiefdunkelblauen Levi’s 501, mithilfe eines Sponsors, eines freundlichen Gönners im Levi’s Store des AEZ in Poppenbüttel erstanden. Noch rechtzeitig vor Weihnachen, denn merke: Wie du kommst gegangen, so wirst du auch empfangen; Muttern war begeistert, es gab Gulasch zum Fest. Levi’s 501 für 99,95 Euren; wir haben dann aufrunden lassen, da kennen wir nichts, da sind wir großzügig, verschwenderisch, und eine Ebene tiefer sangen die Weihnachtsengel, zwei hübsche blonde Mädchen, jung, gepflegt aus gutem Hause, wir mochten die, wir mochten das, wir haben’s gerne puschelig.
Ich mag seinen Humor. Vorhin twitterte ich: Kann mir mal jemand seine Freundin leihen? Bräuchte eine Putzfrau, dringend. Oinowski meinte, wieso, du hast doch eine Freundin!?
Sicherlich, erwiderte ich, aber die kocht gerade.
„Du hast dich also entschieden.“
„Das habe ich, ja.“
„Du wolltest mich eigentlich nicht schreiben?“
„Gab Tage, da war das so, ja.“
„Warum?“
„Gegenfrage: Warum nicht?“
„Warum schreibst du mich nicht groß?“
„Ist heut ein Cover?“
„Nein.“
„Ist heut ein Impressum?“
„Nein, aber in der allerersten Geschichte, ich meine, ich mein ja nur.“
„Das ist die Intro, da muss das groß sein.“
„Groß geschrieben sein.“
„Groß geschrieben werden, wenn, dann.“
„World Peace Center.“
„So heißt die Story, richtig.“
„Schöner Titel.“
„Danke.“
„Slam gehört zu Deutschland.“
„Richtig, ist damit?“
„Auch schön.“
„Danke, ist eine Zeile aus KNSTNGGR, eine meiner Lieblinge.“
„Warum nimmst du nicht mal teil an einem solchen Wettbewerb, an einem Poetry Slam?“
„So, da haben wir ihn!“
„Eben.“
„Weil sich Slam eben nicht auf Slam bezieht!“
„Sondern?“
„Weil es eine Persiflage auf Islam gehört zu Deutschland ist.“
„Finde ich auch.“
„Himmel, ich gebe auf.“
„Jetzt schon?“
„Bin zu hoch für mich.“
„Mag sein. Was hast du nach KNSTNGGR getrieben?“
„Getrieben? Nun, ich habe das Büchlein am Nikolaustag veröffentlicht, zum einen, weil die Nummer auserzählt war. Zum anderen, weil ich mich selbst beschenken wollte.“
„In den Schuh?“
„Vor der Tür, richtig. Hab anschließend versucht, so etwas wie Vorweihnachten zu gestalten.“
„Und, ist es dir gelungen?“
„Schätze schon, ich hatte Spaß auf Facebook und Twitter.“
„Mal unbeschwert aufgespielt?“
„Kann man wohl sagen.“
„Nenne mir zwölf Beispiele.“
„Wieso zwölf?“
„So viele, wie ein Jahr Monate zählt.“
„Gut, an alle, die nächstes Jahr sterben werden: Rest in fucking peace!“
„Klingt nach einer Todes-Flatrate, nach einem Sterbe-Blankoscheck vorab, herrlich, weiter.“
„Schönes zeitlos schönes Wort draußen auf einem Schild entdeckt, eines, das ich zeitlos schön finde: Industrie.“
„Industrie? Herrlich, weiter.“
„Ich schrieb: Ich bin kein Berliner!“
„Und das zu Silvester, herrlich.“
„Ich schrieb: Altern ist, wenn dich deine Freundin aus Frankfurt anruft und fragt, wie es deinem Rücken geht.“
„Würdelos, herrlich, weiter.“
„An alle Hysterischen: Muttern wird die Tage 88!“
„Hashtag?“
„HH.“
„Schön böse, herrlich, weiter.“
„Städtenamen wie Sofia bergen eine gewisse Ruhe in sich.“
„Bergen, schöne Stadt. Schönes Ding, weiter.“
„Hummeln Hummeln im Hintern, wo soll das bloß noch hinführen?“
„Sehr schön regional, zauberhaft, weiter im Text.“
„Wie viele noch?“
„Fünf, wenn ich mich nicht verzählt habe.“
„Fünf, nun gut. Also, Frühlingsdeutsch auf Facebook: Übern grünen Klee liken. Vier: Können sich eigentlich auch Frauen mit irgendetwas brüsten? Drei: Sorry, aber 2016 hatte einfach die beste Musik. Zwei: Yariswagen, Hashtag: Toyotadeutsch. Kicher, eins: Teuertante steht mit Teuerkindchen vorm Supermarkt, Teuerkindchen will was, was auch immer, Teuertante sagt, ja, dann musst du halt arbeiten gehen und Geld verdienen, dann kannst du dir so viel kaufen, wie du willst!“
„Alles zwischen Nikolaus und Silvester?“
„Auch, ja.“
„Apropos auch: Was bin ich denn für dich?“
„Du? Du bist mein Alter Ego, mein Widerpart, meine Gegenrede, mein Korrektiv. Soll heißen, wenn ich durchdrehe, und, bei Gott, das werde ich, dann musst du eingreifen und das tun, was du eben schon getan hast.“
„Und das wäre? Urbanski? Hallo?”
Gut, kürzen wir es ab, er ist genauso wie ich, rege ich mich auf, regt er sich auf, regt er sich auf, rege ich mich auf. Ende dieser psychoanalytischen Sitzung. Denn wir müssen aufstehen, wir müssen uns erheben, den Kampf aufnehmen gegen etwas, das ungleich größer ist als wir. Krieg dem System, Krieg dem Staat, vertreten durch das Eppendorfer Sozialamt. Dort werden uns Zahlungen verweigert, ab Juli dieses Jahres beginnt der Tanz, endet erst im September wieder. Die Brüder und Schwestern jenes Ordens sind nämlich der Meinung, sie müssten erst löhnen, wenn Vattenfall unsere Heizkosten abgerechnet hat, unsere verfickten Nachtspeicher. Nun, das sehen wir ähnlich, abgerechnet wird, wenn abgerechnet wurde. Was traditionell im September der Fall ist und auch dieses Jahr erneut so sein wird. Allerdings stoppt der Orden die Zahlungen ab Juli; wir müssen dann 212 Euren pro Monat verauslagen, warum eigentlich, und wovon? Nun, wir waren vor Ort vergangenes Jahr, haben das Thema vorgetragen, die Stimme der Vernunft erklingen lassen, doch fanden keinerlei Gehör, im Gegenteil. Wir müssten uns für solcherlei Fälle wappnen, wurde uns beschieden, ansparen, die Summe. Doch wovon? Wovon nur, wovon? Also gehen wir dieses Jahr nochmals hin, wenn auch nicht allein. Wir werden und müssen uns Verbündete suchen, mächtige Freunde, denn ohne Support von berufener Seite schaffen wir es nicht, nervlich nicht, wir sind solchen Idioten nicht gewachsen; allein, wir mögen diese Paralleldeutschen nicht, möge sie alle der Teufel holen. Wir haben also über den VdK nachgedacht, die könnten sowas, wären sicherlich von Nutzen, dennoch, etwas stört uns: VdK, das klingt nach vergammelten alten Naziverbrecherleuten, mehr noch, das Kürzel steht für den Verband deutscher Kriegsopfertotengräber. Und das sind wir nicht, wir sind zwar Krieg, aber nicht dessen Opfer, und Gräber schon mal gar nicht, wir stecken halt nicht drin, noch nicht.
Wir haben über den Reichsbund nachgedacht, doch der Name stört uns, wir möchten mit diesen zehn Buchstaben nichts zu tun haben, Reichsbund klingt nach Trümmerfrauen, Entbehrungen, Enttrümmerung. Enttrümmerung? Nein, wir sind intakt, wir sind Mitglied bei Mieter helfen Mietern, dort wird ein Ressort namens Wohnen unter Hartz IV geführt, allerdings sitzen die im Schanzenviertel, das wir auch nicht mögen. Hamburgs Hipsterquartier, das sich nanosekündlich neu erfindet, mithin unruhig ist, schnappatmend, immer in Bewegung. Schrecklich; insofern rufen wir da zunächst mal an und fragen nach, erkundigen uns, ob man mit uns ist, den Fall übernehmen würde.
Was wir doch schwer hoffen wollen.
Bleibt für heute nur noch, über einen Begriff nachzudenken, der uns durch den Kopf geht: Verhüttung. Er lag tief in uns, wollte hoch, wollte raus, und ja, irgendein Aufgeweckter wird kommen und erste Wortspiele feilbieten, Wortschöpfungen wie Verhüttungsmittel, was uns zu billig ist, zu leicht. Womöglich wird man uns Hüttendiesel aufdrängen wollen, oder verwechseln wir da etwas? Oder man wird uns Hüttenkäse anbieten, anempfehlen, etwas, das wir nie kaufen würden, weil er uns zu flockig ist. Denn wenn wir Schnee wollen, brauchen wir nur aus dem Fenster zu schauen. Nein, denken wir an Verhüttung, kommen uns Wörter wie Vermassung in den Sinn, Verelendung, Verslummung, Verdrängung, müssen wir an das in gewissen Kreisen oft und gern bemühte „Friede den Hütten, Krieg den Palästen“ denken, was uns am Ende dieser geradezu lächerlich revolutionären Sitzung ebenfalls als zu simpel erscheint.
Brechen wir ab, insofern, ergebnisoffen?
Jahr nein, Jahr klar, Jahr gleich.
„Hm, wasn?“
„Komm schon, Urbanski, steh auf, ist gleich eins.“
„Morgens?“
„Keine Ahnung.“
„Lass mich schlafen, mir ist kalt. Außerdem schneit es.“
„Woher willst du das wissen?“
„Winter.“
„Stimmt, der Vollwinter ist da, wie wir Meteorologen zu sagen pflegen.“
„Siehst du. Wie findest du: Katarski?“
„Sekunde: Katarer, Katharsis, Katamaran.“
„Katarer, da wird einem doch gleich warm ums Herz, nicht wahr? Wie findest du: Safranski?“
„Moment, und was ist mit Katharsis, Katamaran?“
„Safran, das Gold unter den Gewürzen, da fühlt man sich doch reich beschenkt.“
„Stichwort: Wollte der Herr Baron nicht Anrufe tätigen heute?“
„Welcher Art, oh Tunliches?“
„Mieter helfen Mietern? Zum Bleistift?“
„Ist mir alles zu armselig, zum Freischütz.“
„Sieh an, heißt was?“
„Mit fliegenden Fahnen. Gewehr bei Fuß. Helm ab zum Gebet.“
„Der Herr Baron meint?“
„Der Herr Baron meint, wenn es soweit ist, gehen wir zum Amt und tragen vor, machen Eingaben, legen Widerspruch ein. So. Uns ist nicht nach Problembeladenen. So. Wir wollen keine Probleme, wir sind nur an Lösungen interessiert, so. Wir müssen uns entscheiden, ob wir nun Teil eben jener Lösung oder Teil eben jenes Problems sein wollen, so. Außerdem frage nicht, was das Amt für dich tun kann, frage dich, was du für das Amt tun kannst. Noch Fragen?“
„Eine vielleicht noch: Was sieht’s denn mit der Enttrümmerung aus, geht da noch was in absehbarer Zeit? Apropos absehbar, was denn jetzt mit Fensterputzen!?“
„Lappen gibt’s bei Aldi, stehen an der Kasse. So, und jetzt lass mich schlafen, bitte.“
„Und was ist mit den Fliesen!?“
„Geh zur Haspa, liegen dort. Gleich neben den Miesen.“
„Und was ist mit Kacheln!? Urbanski? Schläft, ging schnell.“
Wir wollen uns da nicht reindenken.
Alles würde wieder hochkommen; nicht, dass es vergessen ist, im Gegenteil, schließlich geht es erneut ums halbnackte Überleben im Hoch- und Spätsommer, dennoch, wir scheuen den Abstieg in die Niederungen der Scham, wir müssten sämtliche Unterlagen beibringen, den Fall detailliert schildern und erklären, was uns so unendlich schwerfällt. Wir wollen nirgends hin. Nicht zu den Mietern, den Mietern helfen Mietern, doch das müssten wir, denn telefonischer Vorkontakt ist das eine, die Durchführung wiederum bedarf eines persönlichen Gesprächs, wenn nicht sogar mehrerer. Gut, am Ende hätten wir es eventuell von der Backe, müssten vielleicht noch eine Rechtschutzversicherung abschließen, so es denn zum Prozess kommt, und das ist nicht auszuschließen. Deren Anwälte vertreten zwar subkulturelle Hochkaräter wie die Rote Flora, deren Anwälte sind zwar bissig, sie setzen sich mit Nachdruck für die Interessen Benachteiligter ein, sie hassen das Establishment. Dennoch, Schanzenchöre hin, Heilige Drei Könige her, uns ist nach den Gesängen der eher unchristlichen Art.
Gospel, der heutige Tag markiert das Ende des kirchlichen Weihnachtsfestes, und somit ist uns nach den beiden Engelchen aus dem AEZ weiland, wir wollen sie unterm Busenbaum, wir wollen sie behängen und bedrängen, wir wollen ihre goldene Kügelchen benetzen. Gospel, uns ist nach dem neuen Ford Mustang GT, wir wollen ihn in Rot, in einem ähnlich feurigen Ton wie dem des Covers von KNSTNGGR. Wir wollen einsteigen und dem Sound lauschen, dem Klang von röhrenden Rauspuffen, denn ja, genau das wollen wir, raus, raus, raus aus dem Dilemma, raus aus den Abhängigkeiten von Ämtern, Verbänden, Vereinen, raus aus den Verpflichtungen unserem persönlichen Umfeld gegenüber, wir wollen uns die neuen Jeans nicht länger als nötig sponsern lassen, nett gemeint, tolle Geste, dennoch, nein. Insofern werden wir das Konzept ändern, wir sagen: nichts mehr für, sondern alles nur noch gegen bare Münze nehmen, Gospel? Wir wollen hier weg, Ford gegen Geld, möge es auch noch so heftig schneien, die Kälte ins welkende Fleisch schneiden. Eine Nachbarin meinte gestern, das Wetter sei Klima gewordene Sterbehilfe. Und wenn schon, wir geben Gas, wir sind Mustang, sind die Herde, wir sind Stampede. Wir wollen uns entfliehen, werden uns woanders zu verkraften haben.
„Ju Jutsu.“
„My Taxi, My Kumpir, Ju Tube. Du Tarzan, ich Jane. Wo hast du den Scheiß denn nun wieder her, beim Jupiter?”
„VfL 93, Vereinsheim, aus der Übersicht neuer Kursangebote.“
„Falsch geschrieben, uninteressant, weiter!“
„Schönes altes Wort vernommen: kregel.“
„Schönes altes Wort vernommen! Schönes altes Wort vernommen! Schönes altes Wort vernommen, wenn ich das schon höre! Bannig uninteressant, weiter!“
„S-ED 456, deutsches Kennzeichen.“
„Korrigiere: ostzonales Kennzeichen, uninteressant, weiter!“
„Socken sind wichtig.“
„Sind sie nicht, uninteressant, weiter!“
„Verlorenen Handschuh gesehen, lag irgendwo auf irgendeinem Bürgersteig. Vertrampelt, verregnet, verstaubt, verschneit, verdreckt, verwindet, vom Besitzer wohl längst verwunden der Verlust, hoffentlich. Dennoch übernächtigt, übergangen, einsamst, alleinst, dem Verderben preisgegeben, der ewigen Verdammnis. Trostlos. Ein Bild, an Traurigkeit kaum mehr zu überbieten. Bilder wie diese werden künftig an Häufigkeit zunehmen, was den saisonalen Bedingungen geschuldet ist. Erinnere dich der Worte unserer geschätzten Nachbarin vorgestern: Das Wetter ist Klima gewordene Sterbehilfe. Oder heißt das Wörter?“
„Uninteressant, weiter!“
„Kaloi!”
„Gott Mit You, wie wir U-Bootfahrer zu sagen pflegen. Nun gut, ich sehe, der Herr will spielen, will seinen Laut erklingen hören, nicht wahr, Oinowski? Nun denn: Oier Kuno von Oiten schüttelt seine Oiter. Es gibt Milchrois.“
„Uninteressant, weiter!“
„Nope, Moister, doin Thread, also?”
„Bin ich noch von Foicebook?”
„Interessant!”
„Ja? Ach was, auf einmal!? Ja, weiter!? Weiter, weiter, weiter, Urbanski!? Urbanski? Weg ist er.“
Wir haben gelernt in den vergangenen Jahren, von unserem schönen schwarzen Mond gelernt, sich nur dann um Probleme zu kümmern, wenn diese tatsächlich auftreten. Nicht vorher; wozu sich im Vorfeld verrückt machen? Bringt doch nichts, macht nur krank und schlechte Laune, und zwar in exakt dieser Abfolge.
Insofern haben wir beschlossen, Amtsgeschäfte zunächst ad acta zu legen, das Jahr ist noch jung und bis zum Juli ist noch Zeit, reichlich Zeit sogar. Zeit, sich auf das Nächstliegende zu konzentrieren: Hamburg Energie wird den Verbrauchsstrom abrechnen, die Konkurrenz zum Nachtspeicherstrom von Vattenfall. Ende Januar, Anfang Februar wird es soweit sein, wird die Mail eintreffen mit der Aufforderung, den Zähler abzulesen wie in den vorvergangenen Jahren auch. Dazu werden wir in den Keller gehen müssen, im Vorwege die Verwaltung kontakten, den Zählerraum ab einem bestimmten Zeitpunkt zu öffnen und diesen auch über einen gewissen Zeitraum sehr wohl geöffnet zu lassen; eine durchaus anspruchsvolle Aufgabe für alle an dieser Unternehmung Beteiligten. Meist schleichen wir uns dann irgendwann mittags ungeduscht, undisponiert, fern der Heimat die Treppen hinunter in der Hoffnung, niemandem zu begegnen, wir sind recht scheu geworden im Verlaufe der vergangenen Jahre. Scheu wie ein zartes Rehlein.
Scheu wie ein junges Mägdelein.
Es muss über Nacht erneut heftig geschneit haben, heute Morgen lag draußen hoher Schnee. Momentan regnet es, und die Gleichung ist ganz einfach: Regen auf Schnee ergibt Eis. Wir sitzen in unserer geheizten Kemenate und lauschen diesen Zeilen hinterher in der vagen Hoffnung, sie mögen nicht allzu sehr nach Solitüde klingen, nein, wir sind nicht einsam, ganz und gar nicht. Denn eben rief jemand an, auf dem Display erschien eine uns unbekannte 0171-Nummer; die Stimme einer nassforschen Callcenterin erscholl, die Frau wollte was zum Thema „Haushaltsbild“ wissen von uns. Und wir dachten, Hilfe, jetzt melden sich diese Leute schon über Handyverbindungen; gestern waren wir bereits zusammengezuckt, als unsere mittlerweile 88-Jährige Mutter mehrfach das Wort „online“ fallen ließ, klang aus ihrem Munde seltsam deplatziert, so, als hätte sie von etwas Besitz ergriffen, das ihr nicht gehört, das ihresgleichen Altersklassen nicht zusteht.
Gute Güte, was ist an Strom falsch?
Was an dem in IV Wochen?
„Okay, HMÜ-NO 789, deutsches Kennzeichen.“
„Okay, was? Okay, HMÜ? Okay, NO? Okay, 789?“
„Dachte nur.“
„Dachte nur! Dachte nur! Dachte nur! Wenn ich das schon höre! Was willst du, den Tourette? Soll ich mich jetzt aufregen, echauffieren, soll ich wieder ausfällig werden?“
„Gehört ja zu deinem Markenkern, dem Vernehmen nach.“
„Markenkern, dem Vernehmen nach! Wenn ich das schon höre! Okay, also: Verpisst euch! Verkackt euch! Verfotzt euch! Wir wollen euch hier nicht! Wir wollen euch und eure doofen Klamotten hier nicht, euer provinziell Selbstgeschneidertes! In Erdfarben! Eure doofen erdfarbenen Capes! Eure doofen Dichterhüte! Lieb-sein-Mützchen! Gutmenschenfänger-Ponchos! Reicht das? Okay so? Okay, HMÜ? Okay, NO? Okay, 789? 789, wenn ich das schon höre! Vergeigt euch mit euren 789-Dialekten! Lass mich das bloß nicht weiter ausführen, hatten wir alles schon zur Genüge. Ich sage nur: Bücher, nicht Bücha.“
„Deine Bücha?“
„Uninteressant, weiter!“
„Die meisten Menschen sind ja permanent unzufrieden, kriegen wir hier jeden Tag aufs Butterbrot geschmiert.“
„Den Scheiß denn wieder her?“
„Meinte ein Nachbar gestern auf der Straße.“
„Da gehört der auch hin, uninteressant, weiter!“
„Wie findest du: Kasperski?“
„Lächerlich, uninteressant, weiter!“
„Meine ja nur, weil du 24/7 in den Sozialen rumkasperst, und das täglich rund um die Uhr. Kostet Strom, Urbanski, viel Strom, wird sich ungünstig auf deine Abrechnung auswirken, so viel ist mal sicher. Apropos: Tussipect.“
„Ist damit?”
„Schöne Headline, schön anzüglich, vielleicht solltest du deine nächste Band so nennen.“
„Danke, schöner alter Medikamentenname, neulich irgendwo vernommen.“
„Neulich irgendwo vernommen, wenn ich das schon höre! Ich will dir sagen, was ich neulich irgendwo gestern vernommen habe in deiner kleinen Geschichte: Du redest übers Lernen, du erzählst uns einen von Gelassenheit, von wegen kümmern um Probleme erst
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 01.05.2016
ISBN: 978-3-7396-5143-9
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