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1

 

Keno ließ seinen Blick über Leas schlanke Figur wandern. Sein Blut geriet in Wallung, als er ihren jungen Körper so dicht neben sich spürte. Die beiden befanden sich an Bord der Hafenfähre, die von Finkenwerder aus Kurs auf den Anleger Teufelsbrück am gegenüberliegenden Elbufer nahm. Doch Keno hatte keinen Sinn für die Schönheit des Ausblicks. Er hatte die weißen Villen inmitten der grünen Anhöhen schon oft genug gesehen – einige sogar von innen, als er sich noch als Einbrecher betätigt hatte. Momentan stand der Ganove noch unter Bewährung. Er konnte es sich nicht leisten, ein neues Verbrechen zu begehen. Aber das hatte er auch gar nicht vor – es sei denn, Lea würde Sperenzchen machen.

Danach sah es allerdings nicht aus. Wenn er bei ihr die richtigen Knöpfe drückte, würde er sie schon herumkriegen. Daran hatte er keinen Zweifel. Keno war kein Strahlemann, doch mit seinen Tattoos und seiner schwarzen Lederjacke konnte er diese unerfahrene Provinzgöre trotzdem beeindrucken. Nach ein paar Bieren in der Strandperle würde sie reif dafür sein, ihm in seine Bude zu folgen. Doch zunächst musste er seine Rolle als selbsternannter Stadtführer weiter spielen. Seit Keno Lea am Nachmittag am Hamburger Hauptbahnhof aufgelesen hatte, tat er so, als ob er ihr einfach nur ihre neue Heimat zeigen wollte.

Sie wäre nicht die erste Ausreißerin, die auf seinem durchgelegenen Futon landete. Es gab mehr als genug Mädchen, die mit großen Rosinen im Kopf die Hansestadt erreichten und sich sehr schnell im Rotlichtmilieu St. Paulis wiederfanden.

»Es ist total schön hier!«

Mit diesen Worten blickte sie zu ihm auf. Keno fand, dass sie in diesem Moment besonders süß aussah. Der Nordwind fuhr in ihr langes blondes Haar, das ihr hübsches Gesicht umspielte. Die zerschlissenen Jeans saßen hauteng, und auch ihr lila Top erinnerte eher an eine zweite Haut als an ein Kleidungsstück. Darüber trug sie eigentlich noch eine Sweatjacke, doch die hatte Lea angesichts der Hochsommerhitze in ihrer Umhängetasche verstaut.

»Du warst noch nie zuvor in Hamburg, oder?«

Keno stellte diese Frage, obwohl die Antwort ihn nicht wirklich interessierte. Aber er musste ja ein paar Takte reden, um Vertrauen aufzubauen. Er hielt diese Kleine zwar für naiv, doch völlig dämlich war sie nicht. Wenn er bei ihr landen wollte, dann durfte er nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen. Immerhin kannten die beiden einander erst seit zwei Stunden. Nicht ohne Grund hatte Keno Lea mit S-Bahn und Bus vom Hauptbahnhof direkt nach Finkenwerder gelotst. Der Blick von der Fähre aus auf das Elbufer bei Teufelsbrück gehörte zu den schönsten, die Hamburg zu bieten hatte. Genau richtig, um einen Bauerntrampel in eine romantische Stimmung zu versetzen.

Keno umfasste das Klappmesser in seiner Hosentasche.

Wahrscheinlich würde er es nicht einsetzen müssen. Doch er wollte es tun, falls Lea ihm Scherereien machte. Die Fähre erreichte den Anleger. Für ein Mädchen aus dem Binnenland war dieses Manöver wahrscheinlich aufregend genug. Leas Atem ging schneller. Und sie zog sich nicht zurück, als Keno seinen Arm um ihre Schultern legte. Möwen glitten kreischend im Tiefflug über die Elbe, fotografiert von asiatischen Touristen. Es dämmerte schon bald, die Lampen am Ufer wurden eingeschaltet.

»Lass uns ein Stück gehen, von dort unten hat man einen schönen Blick«, sagte er leise, wobei er auf ein Stück Strand deutete. Vor allem würden sie dort ungestört sein, so dass er ihr ohne Zeugen näher kommen konnte. Warum warten, bis sie in seiner Bude landeten? Er war ein Mann, der die Gelegenheiten zu nutzen wusste. Lea nickte. Ob sie ahnte, dass Keno ihr nicht ohne Hintergedanken seine Heimatstadt zeigte? Nach seiner Erfahrung spürten Mädchen und Frauen sehr genau, wenn sich ein Mann für sie interessierte. Sie hätte längst merken müssen, dass er scharf auf sie war. Oder glaubte sie noch an den Klapperstorch?

Der Ganove musste grinsen, während er vom Fähranleger aus nach links ging. Unterhalb des Elbwanderwegs gab es dichte Vegetation und ein Stück steinigen Strand. Kea war nicht zu bremsen. Sie kämpfte sich zwischen den grotesk krumm wachsenden Bäumen und Büschen hindurch und eilte auf das Ufer zu. Auf der gegenüberliegenden Seite des breiten Stroms konnte man die hell beleuchteten Werftanlagen erkennen. Außerdem zog gerade ein riesiges Containerschiff vorbei, dessen Positionslaternen wie riesige Glühwürmchen wirkten.

»Wer schmeißt denn hier Müll ins Wasser?«, rief die Ausreißerin empört. Keno zuckte mit den Schultern. Das konnte Kea allerdings nicht sehen, da er sich hinter ihr befand. Erwartete sie etwa eine ernsthafte Antwort? Umweltverschmutzung gehörte zu den vielen Dingen, über die er sich niemals den Kopf zerbrach. Er wusste, dass manchmal Krempel angeschwemmt wurde, den die Matrosen über Bord warfen. Doch als Keno näher an den Spülsaum herantrat, bemerkte er seinen Irrtum.

Zunächst glaubte er, ein Bündel Altkleider im Blickfeld zu haben. Im nächsten Moment fiel ein wenig Licht auf ein bleiches Gesicht und starre Augen. Nun hatte auch Lea kapiert, dass ein Toter im Elbwasser trieb.

Sie stieß einen schrillen Entsetzensschrei aus.

2

Hauptkommissarin Heike Stein von der Sonderkommission Mord traf am nächsten Morgen pünktlich im Polizeipräsidium ein. Sie hatte verschlafen, und nach der Dusche war keine Zeit mehr für ein ausgiebiges Frühstück gewesen. Heike hoffte auf einen Kaffee während der Dienstbesprechung. An diesem sonnigen Herbsttag trug sie Jeans, ein kariertes Jackett und einen beigen Rollkragenpullover aus Baumwolle. Tatsächlich gelang es ihr, sich in der Teeküche des Großraumbüros schnell einen Becher Kaffee zu schnappen, bevor sie den Konferenzraum betrat.

»Es gibt gleich einen neuen Fall für Sie und Herrn Wilken.«

Mit diesen Worten wurde sie von Kriminalrätin Dr. Laura Brink begrüßt. Heike hatte sich inzwischen an die kühle und spröde Art ihrer Vorgesetzten gewöhnt. Die Chefin schien ihre Pläne verworfen zu haben, mit denen sie Heike aus der Abteilung kegeln wollte. Insofern herrschte zwischen den beiden eine Art Waffenstillstand.

Bevor die blonde Kriminalistin nachhaken konnte, trafen einige andere Kollegen ein und nahmen grüßend am Konferenztisch Platz. Heike trank einige Schlucke von ihrem Heißgetränk und nickte Dr. Brink zunächst einfach nur zu. Es würde nicht lange dauern, bis die Kriminalrätin die Katze aus dem Sack ließ. Und so war es auch. Frau Dr. Brink forderte zunächst von Kommissarin Melanie Russ und Kommissar Rüdiger Koslowski einen mündlichen Zwischenbericht über den Raubmord in Bahrenfeld. Dann wandte sie sich an Heike und ihren inzwischen erschienenen Kollegen Ben Wilken: »Gestern Abend gegen einundzwanzig Uhr meldeten Spaziergänger Schreie einer Frau am Elbwanderweg unweit von Teufelsbrück. Eine Fahrradpatrouille der Schutzpolizei konnte wenig später eine weibliche und eine männliche Person festnehmen. Außerdem fanden die Kollegen im seichten Wasser nahe des Ufers die Leiche eines Mannes.«

»Sind die beiden Verdächtigen für dessen Tod verantwortlich?«

»Diese Frage gilt es unter anderem zu klären, Frau Stein. Der Kriminaldauerdienst hat bereits herausgefunden, dass der männliche Festgenommene kein unbeschriebenes Blatt ist. Er heißt Keno Brünjes und ist mehrfach vorbestraft, unter anderem wegen Körperverletzung und Nötigung.«

»Ein richtiger Chorknabe!«, spottete Koslowski.

Die Chefin warf dem Kommissar einen kühlen Blick zu. Sie fuhr fort: »Bei der jungen Frau handelt es sich um eine Minderjährige namens Lea Haffner. Sie stammt aus Goslar, der KDD hält sie für eine Ausreißerin. Inwieweit Keno Brünjes und Lea Haffner in die Tötung des Unbekannten verwickelt sind, werden Sie zu klären haben. Der Tote trug keine Papiere bei sich, es gibt auch keine anderen Hinweise auf seine Identität. Todesursache ist nach einer ersten Einschätzung ein oder mehrere Schläge mit einem stumpfen Gegenstand auf den Hinterkopf. Allerdings haben die Kollegen bei Brünjes eine sehr teure Uhr sichergestellt. Genauer gesagt handelt es sich um eine Siroff Magnum, die ab Fabrik mindestens achttausend Euro kostet. Er behauptet, sie würde ihm gehören. Beweisen kann der Verdächtige es nicht. Er hatte sie in der Hosentasche, und sie war nass.«

»Brünjes hat sie dem in der Elbe liegenden Leichnam abgenommen«, mutmaßte Heike. »Aber warum hat Lea Haffner geschrien, wenn sie seine Komplizin war?«

»Ermitteln Sie die Identität des Opfers und finden Sie heraus, wer es umgebracht hat«, ordnete Frau Dr. Brink an. »Lea Haffner wurde in die Obhut des Jugendamtes übergeben. Am besten reden Sie mit ihr, bevor sie von ihren Eltern abgeholt wird. - Die Obduktion der Leiche wird so bald wie möglich erfolgen. Bisher steht nur fest, dass es sich um einen hellhäutigen Mann mit langen grauen Haaren handelt, der um die sechzig Jahre alt gewesen sein dürfte. Der Kriminaldauerdienst schlussfolgert aus seiner Kleidung, dass er aus dem Obdachlosenmilieu stammen könnte.«

»Auf diesem Teil des Elbufers haben einige Wohnungslose ihr Lager aufgeschlagen«, warf Ben ein, der bisher noch nichts gesagt hatte.

»Dann wissen Sie ja, wie Sie vorgehen müssen«, sagte die Kriminalrätin. »Lea Haffner finden Sie beim Jugendamt, Keno Brünjes sitzt am Holstenglacis ein.«

Heike nickte. Mordfälle mit anonymen Opfern waren meist besonders knifflig. Nach ihrer Erfahrung hatten viele Gewalttäter handfeste Motive, um ein Leben auszulöschen. Bei dem Tod eines Obdachlosen lag ein Hassverbrechen nahe. Doch oftmals waren die Verhältnisse komplizierter, als es die sensationslüsternen Schreiberlinge der Boulevardpresse wahrhaben wollten. Ob es einen bestimmten Grund dafür gab, dass die Leiche nahe des Fähranlegers Teufelsbrück gefunden worden war? Die blonde Kriminalistin wollte sich ein Bild vor Ort machen. Doch zunächst standen die Befragungen der beiden Verdächtigen auf dem Programm. Nachdem die Chefin die morgendliche Konferenz beendet hatte, fuhren Heike und Ben zum zuständigen Jugendamt. Die Hauptkommissarin hatte ihr Kommen bereits telefonisch angekündigt.

»Wie geht es Pia?«, fragte Heike, um das Schweigen im Dienst-BMW zu brechen. Dass ihr Kollege von allein ein Gespräch begann, kam so gut wie nie vor.

»Danke der Nachfrage,mein Töchterchen hat ihre Erkältung schon fast überstanden. Und gegen alle Kinderkrankheiten ist sie ja zum Glück geimpft.«

Heike lag die Frage auf der Zunge, wie das Kind den Gefängnisaufenthalt seiner Mutter verkraftete. Doch sie zügelte sich. Es war für Ben gewiss nicht einfach, dass seine Ex-Frau u.a. wegen Mordverdacht in Untersuchungshaft saß. Da musste die Hauptkommissarin nicht noch Salz in seine Wunde streuen. Es gab inzwischen eine unausgesprochene Vereinbarung zwischen Heike und Ben, einfach nicht mehr über Maja Wilken zu reden. Jedenfalls nicht, wenn es sich irgendwie vermeiden ließ.

Beim Jugendamt wurden die Kriminalisten bereits von der verantwortlichen Abschnittsleiterin erwartet. Sie hatten in der Vergangenheit schon öfter mit ihr zu tun gehabt.

»Lea versuchte zu fliehen, als die Polizei am Elbstrand erschien«, berichtete die Beamtin. »Auch ihr Begleiter wollte sich absetzen. Wie ich höre, handelt es sich um einen Vorbestraften. Lea ist bockig, sie bringt kaum ein Wort heraus. Und sie ist nicht begeistert davon, dass wir sie wieder in die Obhut ihrer Eltern übergeben werden.«

»Es gibt keine Hinweise darauf, dass dieses Mädchen daheim misshandelt oder vernachlässigt wurde?«

»Nein, Frau Stein. Wir haben uns mit den Kollegen in Goslar kurzgeschlossen, die Familie ist bisher nicht auffällig gewesen. Außerdem wurde Lea medizinisch untersucht, wie es den Vorschriften entspricht.«

»Wir möchten auf jeden Fall mit ihr reden«, betonte Heike.

»Versuchen Sie Ihr Glück«, gab die Frau vom Jugendamt trocken zurück. Sie brachte die Ermittler höchstpersönlich zu einem unpersönlich eingerichteten Aufenthaltsraum, wo ein junges Mädchen auf einem Sofa hockte. Es hatte die Beine übereinander geschlagen und die Arme vor der Brust verschränkt. Das Kinn war gesenkt, hinter den langen Haaren war das Gesicht kaum zu erkennen. Ihre ganze Körpersprache drückte Abwehr aus.

»Die Herrschaften sind von der Polizei«, sagte die Abschnittsleiterin.

»Ich rede nicht mit Bullen.«

Die Beamtin zuckte mit den Schultern und verließ das Zimmer.

Ich habe es euch ja gesagt! Diese Botschaft entnahm Heike zumindest dem Blick, den die Beamtin ihr zuwarf. Die Kriminalistin schlenderte zu der Couch hinüber und ließ sich auf einer der Lehnen nieder. Lea würdigte sie immer noch keines Blickes.

»Ich bin Hauptkommissarin Stein von der Sonderkommission Mord. Das ist Hauptkommissar Wilken. - Du kannst gern weiterhin die knallharte Gangster Bitch spielen, Lea. Aber ich glaube, dass dir das Schicksal des Toten in der Elbe nicht gleichgültig ist.«

Das Mädchen zeigte immer noch keine Reaktion.

»Er hatte gewiss Eltern, vielleicht Kinder oder Geschwister und Freunde. Sie werden wissen wollen, was aus ihm geworden ist. Und wer ihm das angetan hat.«

»Wir haben nichts gemacht!«

Lea stieß diesen Satz mit leicht zitternder Stimme hervor. Heike fragte sich, wie oft sie diesen Spruch in mehr oder weniger abgewandelter Form schon von Verdächtigen gehört hatte. Immerhin bekam der Teenager nun die Zähne auseinander. Ein Anfang war gemacht.

Heike beugte sich ein wenig in Leas Richtung und sagte: »Erzähl doch bitte einfach, was geschehen ist.«

Das Mädchen zog sich wieder in sein Schneckenhaus zurück. Die Kriminalistin befürchtete schon, dass Lea erneut komplett dichtgemacht hatte. Aber dann öffnete sie doch den Mund.

»Ich hab Keno gleich am Hauptbahnhof getroffen, als ich aus unserer Spießertown eingetroffen bin. Wir verstanden uns sofort super, er ist ein cooler Typ. Keno hat mir die Stadt gezeigt, wir sind mit der Fähre gefahren und so. Dann waren wir am Elbufer, ich hielt den Toten erst für einen Altkleidersack. Dann sah ich, dass es ein Mensch war. Ich habe Panik geschoben und geschrien.«

Heike hakte nach: »Hast du den Leichnam vorher schon mal gesehen?«

Lea warf der Hauptkommissarin einen seltsamen Blick zu.

»Haben Sie ein Rad ab? Ich beglotze mir doch so einen Toten nicht ausführlich. - Ich glaube aber nicht, dass er mir schon mal über den Weg gelaufen ist. Er sah aus wie ein alter Hippie, mehr weiß ich nicht. Ein paar von solchen Typen hängen auch am Hauptbahnhof herum, schätze ich.«

Es kann ja nicht jeder so cool sein wie dein Keno, dachte Heike ironisch. Sie sagte: »Und was ist mit deinem Begleiter? Kam es dir so vor, als ob Keno wusste, wer der Mann war?«

»Woher soll ich das wissen?«, gab die Ausreißerin zurück. »Wenn Sie glauben, dass ich meinem Freund Ärger mache, dann sind Sie schief gewickelt. Keno könnte keiner Fliege etwas zuleide tun!«

»Seine Strafakte sagt etwas anderes«, warf Ben trocken ein.

Lea drehte ihren Kopf in seine Richtung und fauchte: »Ach, Sie können auch sprechen? Ich dachte schon, Sie wären nur zur Verzierung da – wenn man auf so Dressman-Typen steht.«

Der Hauptkommissar erwiderte nichts, und auch Heike ließ sich nicht provozieren.

»Ihr habt den Toten also gefunden. Was geschah dann?«, hakte sie nach.

»Ich bin zur Seite gerannt, um ihn nicht mehr sehen zu müssen. Mein Schrei muss ein paar Leute auf dem Wanderweg rebellisch gemacht haben. Es dauerte nicht lange, bis zwei Bullen auf Fahrrädern eingetroffen sind. Da mussten Keno und ich natürlich abhauen. Leider haben sie uns trotzdem gekriegt.«

»Keno blieb also bei der Leiche, während du dich abgewandt hast?«, fragte Heike.

»Ja – nein – keine Ahnung! Ich hab auf dem Rücken keine Augen, okay?! Als die Bullen eintrafen, bin ich nach links gerannt und mein Freund nach rechts. Ich weiß nicht, wie lange er am Ufer geblieben ist. Warum ist das so wichtig?«

Die Hauptkommissarin ließ die Frage unbeantwortet. Stattdessen erkundigte sie sich nach Leas weiteren Plänen. Das Mädchen hob die Schultern.

»Keine Ahnung, ich wollte erst mal Party machen und chillen. Damit ist wohl jetzt Essig. Aber egal, sobald es geht, haue ich wieder ab. Und wenn ich Achtzehn bin, können meine Alten mir sowieso nichts mehr vorschreiben.«

»In Hamburg kann man als junge Frau leicht unter die Räder kommen«, sagte Heike. Sie machte sich keine Illusionen darüber, dass die Ermahnung einer erwachsenen Kriminalbeamtin bei dem Mädchen auf fruchtbaren Boden fallen würde. Trotzdem ließ sie Leas mögliches Schicksal nicht kalt.

»Ja, Mama«, erwiderte die Ausreißerin und schnitt eine Grimasse. Heike erhob sich und gab Lea eine ihrer Visitenkarten.

»Ruf mich an, falls dir noch etwas einfällt. Jede Kleinigkeit kann wichtig sein«, sagte sie zum Abschied.

»Ein verstörender Gedanke, dass meine Tochter auch mal so werden könnte«, meinte der Hauptkommissar, nachdem die Ermittler das Jugendamtsgebäude wieder verlassen hatten.

»Um die Pubertät wird wohl auch Pia irgendwann nicht herumkommen. - Was hältst du von der aufmüpfigen Gurke, Ben?«

»Sie ist sensibel, was sie gut verbirgt. Ich glaube nicht, dass Keno und sie das Opfer getötet haben. Hingegen kommt es mir sehr wahrscheinlich vor, dass der Kleinkriminelle die Leiche gefleddert und sich die Protzeruhr unter den Nagel gerissen hat.«

»Wobei wir uns die Frage stellen müssen, wie ein scheinbar Obdachloser zu so einem wertvollen Zeitmesser kam«, meinte Heike. »Vielleicht können uns die Gerichtsmediziner ja schon mit Hinweisen auf die Identität des Toten weiterhelfen. Aber erst

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Cover: Marie-Katharina Becker, www.wolkenart.com
Tag der Veröffentlichung: 23.11.2020
ISBN: 978-3-7487-6548-6

Alle Rechte vorbehalten

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