Die Frauenleiche konnte man nicht übersehen.
Sie lag inmitten einer kleinen Senke, die von dichtem Wald umgeben war. Das Sonnenlicht fiel auf den fast nackten Körper. Das Gesicht des Opfers drückte noch im Tod Entsetzen aus. Die junge Blonde musste gelitten haben, bevor der Täter ihr seine Stichwaffe in den Leib gerammt hatte.
„Das war die kleine Welling.“
Kommissar Hermann Rupps tiefe Stimme riss Polizeimeisterin Lea Kramer aus ihrer Beobachtung des Tatorts. Oder war die Frau an einer anderen Stelle getötet worden? Hatte der Täter sie nur im Wald entsorgt wie einen alten Autoreifen?
Lea wusste es nicht. Das hier war ihr erster Mordfall. Und sie wunderte sich nicht darüber, dass ihr Kollege das Opfer kannte.
Rupp war in Mönchsfelden geboren und aufgewachsen. Das hatte Lea immerhin aus dem schweigsamen Polizisten herausbekommen, nachdem sie vor drei Wochen hierher strafversetzt worden war. Es grenzte an ein Wunder, dass dieses verschlafene Dorf mitten im Nirgendwo überhaupt eine Polizeidienststelle besaß.
Lea atmete tief durch.
Die Luft war an diesem schönen Frühsommertag feucht, warm und schwül. Sie schwitzte jetzt schon, obwohl sie die Uniform erst vor zwei Stunden angezogen hatte. Neben den Polizisten stand ein älterer Radwanderer, seine Hände waren um den Lenker seines Gefährts gekrampft. Er hatte die Tote gefunden.
„Wurde das Mädchen vermisst?“, fragte Lea.
Rupp schüttelte seinen mächtigen rasierten Schädel.
„Nee, davon wüsste ich. Gestern hab ich Tanja noch auf ihrem Fahrrad gesehen.“
Lea schaute sich suchend um.
„Ich bemerke hier kein Rad. Ob es sich noch in den Händen des Täters befindet?“
„Weiß der Henker“, knurrte Rupp. „Und hier fehlt sowieso einiges.“
Die junge Polizistin musste nicht darüber spekulieren, was ihr Kollege meinte. Die Tote trug nur noch ihren Slip und ihre Strümpfe. Schuhe und die übrige Kleidung fehlten. Die Spurenlage sah nach Leas Meinung mehr als bescheiden aus. Es hatte in der vergangenen Nacht stark geregnet, daher war der Boden rings um die Leiche weich und matschig. Schuhabdrücke oder Spuren von Fahrradreifen konnte man jedenfalls nicht mehr erkennen.
„Benötigen Sie mich noch?“, fragte der Radtourist mit leicht zitternder Stimme. Seine Augenlider zuckten. Nach Leas Meinung war ihm die Nervosität an der Nasenspitze anzusehen. Er hatte sich diesen Urlaubstag wahrscheinlich anders vorgestellt.
Die Senke befand sich in unmittelbarer Nähe des Fernradweges. Ob der Mörder das Opfer extra hier abgelegt hatte, damit es schnell gefunden würde?
„Ja, wir brauchen Ihre Aussage schriftlich“, sagte Rupp zu dem Zeugen. „Fahren Sie doch bitte schon mal ins Dorf. Die Polizeiwache liegt an der Hauptstraße, gegenüber der Kirche. Sie können das Gebäude unmöglich verfehlen.“
Der Alte nickte. Er gehörte noch zu einer Generation, die polizeilichen Anordnungen ohne Diskussion Folge leistete.
„Sie kommen nach, Herr Wachtmeister?“
Rupp nickte.
„Wir verhaften jetzt den Täter.“
Lea traute ihren Ohren kaum.
Wusste ihr älterer Kollege, wer Tanja Welling getötet hatte? Oder gab es zumindest einen begründeten Verdacht? Sie hätte es gut gefunden, wenn er sich zuerst mit ihr beraten hätte. Doch das konnte sie von Rupp kaum erwarten. Obwohl sie noch nicht lange mit ihm zusammenarbeitete, glaubte sie ihren Kollegen gut einschätzen zu können.
Er behandelte sie nicht schlecht, sondern mit distanzierter Höflichkeit. Und das konnte sie ihm nach Lage der Dinge nicht verübeln. Lea wollte sich gar kein Bild davon machen, was für Gerüchte über sie innerhalb der Polizei kursierten. Hinzu kam, dass der Kommissar über mindestens dreißig Jahre mehr Diensterfahrung verfügte als sie selbst. Rupp würde sich also kaum von Leas Überlegungen oder ihrer Meinung abhängig machen, bevor er eine Entscheidung träfe.
„Nach Mönchsfelden geht es dort entlang, nicht wahr?“
Der Radtourist deutete nach links. Rupp nickte.
„Ja, Sie erreichen den Ortsrand nach ungefähr drei Kilometern.“
Der ältere Mann schwang sich erleichtert in den Sattel seines Gefährts und war wenig später auf dem schmalen Radweg zwischen den Bäumen verschwunden. Die Polizisten hatten ihren Streifenwagen an der Kreisstraße zurückgelassen, die das Gehölz fünfhundert Meter von der Senke entfernt durchschnitt.
„Wer ist denn der Mörder?“
Lea kam sich dumm vor, als sie ihrem Kollegen diese Frage stellte. Doch sie wollte nicht den Eindruck erwecken, dass die Arbeit ihr egal wäre. Außerdem wurde sie von Neugierde geplagt. Es hatte eine Zeit gegeben, als sie den Polizeidienst hatte quittieren wollen. Das war noch nicht allzu lange her. Doch Lea gab nicht so schnell auf. Sie hatte Fehler begangen, für die sie nun einstehen musste.
Und Mönchsfelden war ein Ort, der sich hervorragend für eine Strafversetzung eignete. Womöglich existierte die hiesige Polizeiwache nur noch aus diesem Grund?
„Ich weiß natürlich nicht, ob dieser Kerl, an den ich denke, das Mädchen auf dem Gewissen hat“, räumte Rupp ein. „Aber wir sollten ihn mal genauer unter die Lupe nehmen.“
„Ist der Mann vorbestraft? Oder war er mal in der Nervenheilanstalt? Es ist doch wohl nicht normal, das Opfer so zu verunstalten“, sagte Lea. Sie zeigte auf Tanja Wellings Bauch, in den jemand mit einem spitzen Gegenstand die Buchstaben M und Z geritzt hatte.
Der alte Polizist zuckte mit seinen breiten Schultern.
„Ich weiß nicht, ob der Vogel schon mal gesessen hat oder ob er in der Klapsmühle war. Ich kenne ihn nicht.“
„Wer ist es?“
„Wirst du gleich sehen. Komm, wir haben es nicht weit.“
Rupp marschierte quer durch den Wald, und Lea folgte ihm. Zum Glück standen die Bäume nicht überall so dicht beieinander wie am Rand dieser Lichtung. Die Vögel zwitscherten, und kleine Tiere huschten über den Waldboden. Ohne den Leichenfund wäre es ein schöner Tag für eine Wanderung gewesen.
Ob das Opfer missbraucht worden war?
Diese Frage beschäftigte die Polizistin. Zwar hatte die Tote noch ihren Slip an, doch das musste nichts bedeuten. Lea wollte jedenfalls nicht mit ihrem Kollegen über dieses Thema sprechen. Rupp redete sowieso nur mit ihr, wenn es sich keinesfalls vermeiden ließ.
Lea fragte sich, wie lange sie noch mit diesem maulfaulen Kerl zusammenarbeiten musste. In absehbarer Zeit würde er pensioniert werden. Und danach?
Wahrscheinlich bin ich nach Rupps Ruhestand die dienstälteste Polizeibeamtin in Mönchsfelden. Und ich werde dann den nächsten Disziplinarfall einarbeiten, dachte sie bitter.
Es waren keine zehn Minuten vergangen, als ihr Kollege seine Schritte verlangsamte. Er legte seine rechte Hand auf das Pistolenholster, während er sich zu Lea umdrehte und den linken Zeigefinger vor seine Lippen legte. Die Geste konnte sie nicht missverstehen.
Auch Lea tastete nun nach ihrer Waffe und hoffte, sie nicht einsetzen zu müssen. Doch falls sie wirklich gleich den Mörder von Tanja Welling vor sich hätten, würde er sich gewiss nicht widerstandslos festnehmen lassen.
Lea linste an Rupps breitem Kreuz vorbei und erblickte eine Art Lagerplatz. Hier standen die verkohlten Stümpfe einiger Bäume, die vermutlich vom Blitz getroffen worden waren. Zwischen den jämmerlichen Resten der Stämme hatte jemand ein billiges Ein-Mann-Zelt aufgebaut. Es lag Krimskrams herum, wie man ihn manchmal vor der Sperrmüllabfuhr sah. Zwischen dem nutzlosen Plunder erblickte Lea ein paar weibliche Kleidungsstücke: Büstenhalter, Top, Schuhe.
Ganz zu schweigen von dem Damenfahrrad, das halb unter einem Gebüsch verborgen lag!
„Ich schnappe mir den Verdächtigen, du sicherst“, bestimmte der ältere Polizist. Und bevor Lea etwas entgegnen konnte, hatte Rupp den Zelt-Reißverschluss geöffnet. Er kniete vor der dreckigen Behausung und tauchte so weit hinein, dass man nur noch seinen Unterleib sehen konnte.
Sie fragte sich, ob ihr Kollege besonders mutig oder einfach abgestumpft war. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Rupp schon oft mit Mördern zu tun gehabt hatte. Normalerweise musste man bei solchen riskanten Lagen eine SEK-Einheit anfordern. So sahen es zumindest die Dienstbestimmungen vor. Doch Rupp schien fest überzeugt davon zu sein, dass er mit dem Waldcamper fertig werden würde.
Und zwar allein.
Lea kam sich überflüssig vor. Eigentlich konnte sie ihrem Kollegen seine Haltung nicht übelnehmen. Ihr war bekannt, dass die Wache in Mönchsfelden schon seit Jahren nur mit einem Beamten besetzt war. Nämlich mit Rupp.
Er musste sie als Klotz am Bein empfinden, obwohl er es sie nicht spüren ließ.
Jedenfalls nicht zu offensichtlich.
Während Lea diese Gedanken durch den Kopf gingen, fand in dem Zelt ein Handgemenge statt. Sie hörte lallende Geräusche und ein Ächzen, das von Rupp zu stammen schien. Dann fiel die Mobilbehausung in sich zusammen, und der Polizist zerrte den mutmaßlichen Mörder hervor.
Lea schätzte den Verdächtigen auf ungefähr dreißig Jahre, obwohl sein genaues Alter schwer zu schätzen war. Ein wild wuchernder Bart und langes verfilztes Haar deuteten auf ein jahrelanges Leben auf der Straße hin. Sie hatte solche Elendsgestalten oft genug gesehen, als sie noch auf Innenstadtwachen in einer Großstadt eingesetzt war.
Und obwohl Lea mehrere Meter von den Männern entfernt stand, konnte sie die Schnapsfahne des Kerls deutlich riechen. Seine Kleider stammten offensichtlich aus der Altkleidersammlung.
Rupp hatte ihm den rechten Arm auf den Rücken gedreht.
„Handschellen, Lea!“, forderte er. „Und die Mordwaffe liegt da drüben!“
Der Polizist deutete mit einer Kopfbewegung nach links. Nun bemerkte sie ebenfalls ein Messer mit dunklen Flecken auf der Klinge. Es musste sich im Zelt befunden haben und bei der Verhaftung herausgerutscht sein.
Immerhin leistete der Täter keinen ernsthaften Widerstand. Rupp war stark, und der jüngere Mann offensichtlich volltrunken. Das vermutete sie zumindest, als sie die leere Weizenkornflasche sah.
„Du kannst schon mal Funkkontakt mit dem Kommissariat in der Kreisstadt aufnehmen“, ordnete Rupp an. „Ich bringe dann den Mörder zum Streifenwagen. Die Kollegen sollen uns möglichst bald einen Gefangenentransporter schicken. Ich will den Kerl nicht so lange in unserer Arrestzelle haben.“
Warum nicht?, dachte Lea. Doch sie wollte keine Diskussion vom Zaun brechen. Die junge Polizistin war viel zu erleichtert, weil die Festnahme unblutig über die Bühne gegangen war. Sie hatte sich in ihrer Fantasie schon selbst mit eingeritzten Buchstaben auf ihrem Körper gesehen.
Lea griff zum Funkgerät und tat, worum ihr Kollege sie gebeten hatte. Der Kontakt dauerte nicht lange.
Doch als sie sich umdrehte, waren Rupp und der Verhaftete bereits verschwunden. Sie kniff die Augen zusammen. Lea war sicher, dass sie nicht länger als drei Minuten mit der Funkzentrale gesprochen hatte. Während dieses kurzen Zeitraums war der ältere Polizist einfach fortgegangen. Weit konnte er allerdings noch nicht gekommen sein, schließlich hatte er den alkoholisierten Mörder bei sich.
Trotzdem waren die beiden Männer nicht mehr zu sehen. Der dichte Wald schien sie förmlich verschlungen zu haben.
Lea verachtete sich selbst dafür, dass plötzlich Panik in ihr aufstieg. Sie kam sich vor wie ein kleines Kind, das in einen dunklen Keller gesperrt wurde. Das war natürlich Unsinn. Sie musste sich nur nach links halten, dann würde sie ziemlich bald auf die Kreisstraße treffen.
Oder?
Die junge Polizistin wäre am liebsten sofort losgelaufen, doch sie bremste sich selbst. Es war nicht sinnvoll, wie ein aufgescheuchtes Huhn durch den Wald zu rennen. Vor allem nicht, solange die mutmaßliche Tatwaffe hier herumlag. Theoretisch konnte jeder Spaziergänger sie mitnehmen, und das durfte natürlich nicht geschehen.
Lea hatte einen Beutel für Beweisstücke bei sich, in den sie das Messer tat.
Da ertönte plötzlich ein irres Gelächter!
Sie erschrak beinahe zu Tode. Der schrille Ton unterschied sich stark von der beruhigenden Geräuschkulisse des Waldes. War es vielleicht ein seltener Vogel gewesen, der sie so aus der Fassung gebracht hatte?
Nein. Ein Mensch hatte gelacht. Lea zog ihre Pistole.
„Ist da jemand?“, rief sie laut. Ihre Stimme hörte sich fest und entschlossen an, wie sie selbst fand. Hoffentlich war der Unbekannte derselben Meinung.
Sie konnte niemanden sehen. Ihr Blick scannte die Umgebung ab. Erneut wurde gelacht, und dann hörte sie sich schnell entfernende Schritte auf dem Waldboden. Aber Lea hatte niemanden gesehen.
Das war nicht allzu erstaunlich, denn das Unterholz bot genügend Versteckmöglichkeiten. Und die Baumstämme standen hier besonders dicht.
Sie schüttelte den Kopf und holsterte ihre Waffe. Nun war sie froh, dass Rupp nicht bei ihr war. Er hätte bestimmt angesichts ihrer hysterischen Reaktion den Kopf geschüttelt. Und Lea wäre in seiner Sympathie noch weiter gesunken.
Falls das überhaupt möglich war.
Wer wollte schon mit einer wie ihr etwas zu tun haben?
Reiß dich zusammen und spar dir dein Selbstmitleid!, sagte sie zu sich selbst. Sie steckte den Beutel mit dem Messer ein und machte sich auf den Weg zum Streifenwagen.
Doch schon nach wenigen Minuten wurde aus ihrer Befürchtung Gewissheit: Sie hatte sich verlaufen. Lea war ein Stadtkind. Für sie sah es im Wald überall gleich aus. Warum musste dieser verflixte Rupp sie einfach ihrem Schicksal überlassen? Instinktiv griff sie nach ihrem Smartphone. Wäre Lea in einer halbwegs zivilisierten Gegend gewesen, dann hätte sie mit Hilfe von Google Maps ihren eigenen Standort und somit den Weg zur Kreisstraße finden können.
Doch in Mönchsfelden und Umgebung war die Mobilfunkabdeckung minimal. Das ganze verschnarchte Nest schien in einem einzigen riesigen Funkloch versunken zu sein.
„Wieso trödelst du hier herum?“
Rupps Stimme ließ Lea zusammenzucken. Er kam aus einer völlig anderen Richtung als sie vermutet hatte. Wenn das Polizeifahrzeug dort stand, hätte sie es wirklich niemals wiedergefunden.
„Tut mir leid“, murmelte sie.
Der ältere Kollege brummte etwas Unverständliches. Sie folgte ihm wie ein Hündchen. Natürlich erzählte sie ihm nicht von dem Lachen. Es war gar nicht weit bis zur Kreisstraße, wie Lea nun feststellte. Man musste nur den richtigen Weg einschlagen.
Im Streifenwagen stank es bestialisch nach Schnaps und ungewaschenem Körper. Diese Geruchsbelästigung weckte bei Lea beinahe nostalgische Gefühle. Sie erinnerte sich an Einsatznächte in der Großstadt, wenn sie im Adrenalinrausch gefährliche Randalierer festgenommen hatte. Da zählte jeder Kollege und jede Kollegin, da hatte sie sich nicht als fünftes Rad am Wagen gefühlt.
„Ich habe den Knaben durchsucht und einen abgelaufenen ukrainischen Personalausweis gefunden“, berichtete Rupp. „Wir haben es mit einem gewissen Danylo Petruk zu tun.“
Lea drehte sich halb zu dem Verdächtigen auf der Rückbank um. Er war kurz zusammengezuckt, als sein Name gefallen war. Nun brachte er einige Worte in seiner Muttersprache hervor.
„Du kannst nicht zufällig Ukrainisch, Lea?“
„Nein“, entgegnete sie. Und dann platzte sie heraus: „Noch nicht mal das habe ich drauf! Ich bin dir wirklich überhaupt keine Hilfe, oder?“
Rupp hob seine Augenbrauen.
„Du kannst Kaffee kochen, wenn wir auf der Wache angekommen sind“, meinte er. „Wahrscheinlich wird ein Kriminalbeamter mit uns reden wollen, und die Spurensicherung muss ja auch noch die Kleider und das Fahrrad bearbeiten.“
Lea kämpfte ihren Unmut nieder. Rupp gehörte einer Generation an, für die Polizistinnen vorzugsweise zum Kaffeekochen taugten. So gesehen meinte er es wahrscheinlich gar nicht böse. Trotzdem konnte sie sich die nächste Bemerkung nicht verkneifen.
„Wieso weist Petruks Kleidung keine Blutflecken auf, wenn er die Frau erstochen hat?“
Rupp grinste.
„Der Dreck auf seinen Klamotten ist doch undefinierbar! Die Kriminaltechniker werden das Blut schon nachweisen können, auch wenn es unter anderem Schmutz verborgen ist.“
Lea nickte. Sie war drauf und dran, ihrem Kollegen von dem unheimlichen Gelächter zu erzählen. Doch dann verkniff sie es sich.
„Woher wusstest du eigentlich, dass Petruk an dieser Stelle im Wald haust?“
„Mir entgeht fast nichts, was sich in Mönchsfelden und Umgebung abspielt“, antwortete Rupp. „Wir hätten den Kerl vielleicht verscheuchen sollen, wildes Kampieren im Staatsforst ist verboten. Aber in unserem Dorf gibt es keine Notunterkünfte für Obdachlose. Also hielt ich es für besser, ihn in Ruhe zu lassen.“ Nach einer kurzen Pause sprach der alte Polizist weiter. „War vielleicht ein Fehler.“
Ob Rupp von seinem Gewissen geplagt wurde? Wenn er und Lea Petruk rechtzeitig einen Platzverweis erteilt hätten, könnte Tanja Welling noch leben. Oder? Lea hatte von der Lagerstätte in dem Gehölz nichts gewusst, denn ihr Kollege erzählte ihr längst nicht alles.
Grundsätzlich fand sie es gut, dass Rupp nicht in jedem Nichtsesshaften gleich einen potentiellen Verbrecher sah. Andererseits war es sehr gut möglich, dass er Petruk nicht aus Mitgefühl, sondern aus Faulheit hatte gewähren lassen. Es war Lea nämlich nicht entgangen, dass der alte Polizist so wenig wie möglich tat.
Als leuchtendes Vorbild für eine in Ungnade gefallene junge Kollegin eignete er sich jedenfalls nicht.
Die Fahrt zur Polizeistation dauerte nicht lange. Dort hielt der Radwanderer bereits nach dem Streifenwagen Ausschau.
„Soll ich die Zeugenaussagen des Herrn tippen?“, fragte Lea.
„Ja, mach das“, gab Rupp zurück. Sie war froh, endlich etwas Sinnvolles tun zu können. Lea schloss das Wachlokal auf und bat den Touristen, vor ihrem Schreibtisch Platz zu nehmen.
Rupp schaffte den Verhafteten in ihre einzige Arrestzelle. Lea bestückte weisungsgemäß die Kaffeemaschine und schrieb nieder, was der ältere Herr ihr in den PC diktierte. Nachdem der Zeuge die ausgedruckten Seiten noch einmal überflogen hatte, unterschrieb er sie. Der Alte warf einen ängstlichen Blick Richtung Zelle.
„Der Mörder sieht ja richtig unheimlich aus“, flüsterte er. „Gut, dass Sie ihn so schnell erwischen konnten. Im Fernsehkrimi dauert das immer viel länger.“
Lea zuckte mit den Schultern. Sie wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte.
„Falls Sie später in einem Strafprozess aussagen müssen, werden Sie rechtzeitig benachrichtigt“, sagte sie.
Der Radwanderer nickte, verabschiedete sich und schnallte seinen Sturzhelm fest. Dann verschwand er.
Lea genehmigte sich selbst einen Kaffee. Die Außentür wurde erneut aufgestoßen. Hatte der Tourist noch etwas vergessen?
Nein, denn statt des Zeugen platzte nun eine ältere Frau mit Dauerwelle herein. Sie trug trotz der Hitze einen unmodischen Staubmantel. Ihr Gesicht war verquollen, sie musste geweint haben. Und sie schaute Lea verblüfft an.
„Wo ist der Polizist?“, fragte sie mit tränenerstickter Stimme.
„Ich bin auch von der Polizei.“
Lea fand ihre eigene Bemerkung eigentlich überflüssig, da sie Uniform trug. Doch die Besucherin ging sowieso nicht auf sie ein.
„Ich will mit Hermann Rupp sprechen!“
In diesem Moment öffnete Leas Kollege die Tür, hinter der sich der schmale Gang zur Arrestzelle befand. Die Frau ignorierte die junge Polizistin nun völlig. Sie schaute Rupp an.
„Hermann, Tanja ist nicht nach Hause gekommen!“
Er atmete tief durch, sein mächtiger Brustkorb hob und senkte sich. Nach Leas Meinung blieb sein Gesicht völlig ausdruckslos. Und doch schien die Frau zu ahnen, was er ihr nun mitteilen würde. Es handelte sich offenbar um die Mutter des Opfers. Sie schlug ihre flache rechte Hand vor den Mund.
„Nein!!!“
„Sabine, es tut mir leid ...“
Rupp klang, als ob er es ernst meinte. Er kannte Mutter und Tochter gewiss seit vielen Jahren. Wahrscheinlich war er schon Dorfpolizist gewesen, als das junge Mädchen geboren wurde.
„Wo?“
Das Wort aus dem Mund von Frau Welling hörte sich wie ein Peitschenknall an.
„Im Wald.“
„Der ist groß! Sag mir die Wahrheit, Hermann!“
„In der Mordkuhle“, murmelte Rupp mit erkennbarem Widerwillen. Er fügte schnell hinzu: „Wir haben den Täter schon verhaftet.“
„Wo ist der Lump, der mein Kind auf dem Gewissen hat?“
Sabine Welling bewegte sich schnell auf die Tür zu, durch die Rupp gekommen war. Er versperrte ihr den Weg.
„Du darfst nicht mit ihm sprechen, das wäre nicht gut. Geh nach Hause, Sabine. Du hast noch andere Kinder, sie brauchen dich.“
Tränen glitzerten in den Augen der Frau.
„Tanja – ist sie noch da draußen? In der Mordkuhle?“
„Wir haben alles veranlasst, um die Leiche so schnell wie möglich zu bergen“, sagte Lea. Die Mutter des Opfers zuckte zusammen, als ob sie einen Schlag bekommen hätte.
„Die Leiche? Du sprichst von meinem Kind, du dummes kleines Mädchen!“
Mit diesen Worten drehte Sabine Welling sich auf dem Absatz um und stürmte aus der Polizeiwache.
„Sie meint das nicht so“, brummte Rupp. „Ihre Tochter ist tot, da sind ihr die Nerven durchgegangen.“
Lea hatte sich während ihres Berufslebens schon viel schlimmere Beleidigungen als dummes kleines Mädchen anhören müssen, deshalb ging sie gar nicht darauf ein. Sie beschäftigte eine ganz andere Sache.
„Warum wird diese Senke Mordkuhle genannt, Hermann?“
„Alte Geschichte“, entgegnete ihr Kollege lakonisch. Und seine abweisende Miene bewies Lea, dass er nicht darüber sprechen wollte.
Während Lea noch überlegte, was es mit der Mordkuhle auf sich haben könnte, traf das Kriminaltechnikteam aus der Kreisstadt ein. Ein Gerichtsmediziner war ebenfalls mitgekommen.
Rupp hatte an seinem Schreibtisch Platz genommen und einen Becher Kaffee getrunken, ohne mit seiner jungen Kollegin zu reden. Nun erhob er sich.
„Ich bringe euch zu dem Leichenfundort. Der Mörder hat das Fahrrad der Toten sowie ihre Kleidung an einem anderen Platz zurückgelassen, den zeige ich euch auch. – Du wartest hier auf den Kripobeamten.“
Der letzte Satz war an Lea gerichtet.
„Und was soll ich tun, wenn er den Tatort besichtigen will?“
Rupp verdrehte ungeduldig die Augen.
„Dann begleitest du ihn zur Mordkuhle. Oder findest du allein die Lichtung nicht?“
„Doch, das kriege ich hin.“
Der ältere Kollege wirkte nicht besonders überzeugt. „Ich schaue ansonsten nachher mal kurz vorbei“, kündigte Rupp an.
Dann marschierte er gemeinsam mit den Spezialisten hinaus. Lea hörte, wie die Automotoren angelassen wurden. Nun war sie wieder allein auf der Wache.
Sie legte die Zeugenaussage ordnungsgemäß ab, nahm ein Staubtuch und säuberte damit die Fensterbank.
Heute bin ich wahlweise Sekretärin oder Hausfrau, dachte Lea selbstironisch. Der Anblick der Leiche hatte sie mehr aus der Fassung gebracht, als sie sich selbst eingestehen wollte. Natürlich war sie während der Ausbildung im Leichenschauhaus gewesen, doch die Toten dort hatten anders auf sie gewirkt. Vielleicht lag es an der Umgebung. Die gekachelten Wände und das grelle Neonlicht hatten Rationalität und Distanz geschaffen, während Tanja Welling buchstäblich mitten aus dem Leben gerissen worden war.
Was hatte das Mädchen im Wald zu tun gehabt?
Kannten das Opfer und der Täter einander?
War Petruk überhaupt der Mörder?
Obwohl Lea noch nicht lange als Polizistin arbeitete, hatte sie schon gelernt, dass man die Intelligenz von Straftätern nicht überschätzen durfte. Falls Petruk Tanja erstochen hatte, war sein Verhalten nach dem Verbrechen unglaublich dumm gewesen.
Oder wollte ihm jemand die Bluttat in die Schuhe schieben? Aber wer?
Und warum wurde die Lichtung Mordkuhle genannt?
Es gefiel Lea überhaupt nicht, zum Nichtstun verdammt zu sein. Nach einer Weile bekam sie Gesellschaft. Ein hochgewachsener grauhaariger Mann mit einer schwarzen Klappe über dem linken Auge betrat das Wachlokal. Die Pupille seines gesunden rechten Auges war wasserblau. Er trug einen hellen Leinenanzug und wischte sich mit einem Stofftaschentuch den Schweiß aus dem Genick.
„Die Klimaanlage in dem verflixten Dienstwagen ist kaputt“, sagte er statt einer Begrüßung. Sein Blick traf Lea. „Sie wissen, wer ich bin?“
„Man nennt Sie den Piraten, aus einem naheliegenden Grund. Ihr Name ist Lothar Frenz, Sie bekleiden den Rang eines Hauptkommissars und gelten als der beste Mordspezialist beim Landeskriminalamt.“
Frenz pfiff durch die Zähne.
„Da hat sich jemand sein Fleißzettelchen redlich verdient. Sie sind gut informiert, besser als ich. Als ich die Anweisung bekam, hierher zu fahren, erwartete ich eigentlich den alten Ackergaul Rupp.“
Alter Ackergaul? Lea musste sich ein Grinsen verkneifen. Sie stand auf und streckte Frenz ihre Rechte entgegen.
„Ich bin Polizeimeisterin Lea Kramer. Willkommen in Mönchsfelden.“
Der Pirat zögerte einen Moment zu lange, bevor er ihre Hand ergriff. Da wusste sie, dass er über sie im Bilde war.
„Lea Kramer“, wiederholte er. Frenz hörte sich an wie ein Sommelier, der den Namen eines besonders edlen und kostbaren Weins nennt.
„Mein Ruf eilt mir wohl bis in die tiefste Provinz voraus“, sagte Lea frostig.
„Ich gebe nichts auf den Flurfunk, Frau Kramer.“
„Da sind Sie bei der Polizei der Einzige.“
Der Hauptkommissar wechselte das Thema.
„Wie wäre es mit einem Kaffee?“
„Schon überredet.“
Während Lea die heiße aromatische Flüssigkeit in einen Becher goss und Kondensmilch sowie Zucker bereitstellte, drehte Frenz ihr den Rücken zu. Er schaute aus dem Fenster auf die Hauptstraße hinaus. Viel gab es dort nicht zu sehen, denn der Durchgangsverkehr hielt sich in Grenzen. Außer den Radwanderern verirrte sich kaum jemand in diese abgelegene Region.
„Ihr Kaffee ist fertig.“
„Danke.“
Der Pirat wandte sich wieder Lea zu und deutete mit dem Daumen Richtung Straße.
„Hier verändert sich nie etwas, schätze ich.“
„Sie waren schon mal in Mönchsfelden?“
„Ja, leider. – Was können Sie mir zu dem Tötungsdelikt sagen, Frau Kramer?“
Lea zeigte dem Hauptkommissar die Zeugenaussage. Außerdem berichtete sie von der Festnahme, während Frenz genüsslich seinen Kaffee schlürfte. Schließlich wusste sie nicht mehr, was sie sagen sollte und verstummte.
„Sie können ruhig Ihre eigene Meinung äußern“, meinte er. „Ich bin nicht Hermann Rupp. Mich interessiert durchaus, was eine Kollegin denkt.“
„Ich glaube nicht, dass Petruk der Täter ist!“, platzte sie heraus. „Er war so betrunken, dass er kaum bemerkt haben dürfte, wenn ihm jemand die Mordwaffe unterschiebt und die Kleider sowie das Fahrrad bei seinem Lagerplatz deponiert.“
Der Hauptkommissar nickte langsam.
„Ja, Ihr Argument hat etwas für sich. Das Messer wird natürlich kriminaltechnisch untersucht. Danach sind wir schlauer. Und das Obduktionsergebnis wird hoffentlich weitere Erkenntnisse über den wahren Täter liefern.“
„Dann zweifeln Sie also auch an Petruks Schuld?“, fragte Lea hoffnungsvoll.
Der Pirat hob die Schultern.
„Die Indizienlage ist etwas zu paradiesisch, um keine Nachfragen aufzuwerfen. Falls wir es mit einem Sexualdelikt zu tun haben, wird sich vermutlich männliche DNA an der Leiche nachweisen lassen. Und dann können wir Petruk festnageln – oder eben einen anderen Täter.“
„Haben Sie schon mal von der Mordkuhle gehört, Herr Frenz?“
Er blinzelte.
„Was soll ich mir darunter vorstellen?“
„So nennen die Einheimischen offenbar die Lichtung, auf der die Leiche gelegen hat.“
Der Hauptkommissar starrte versonnen in seinen leeren Kaffeebecher, bevor er antwortete.
„Sie arbeiten noch nicht lange hier, Frau Kramer. Andernfalls hätten sie bemerkt, dass die Einheimischen sehr abergläubisch sind. Im Winter ist Mönchsfelden manchmal wochenlang von der Außenwelt abgeschnitten. Hinzu kommt dieser dichte und riesige Wald, der sich in alle Himmelsrichtungen erstreckt. Da wird die Fantasie von ängstlichen Menschen oftmals angeregt. Und sie sehen Dinge, die einfach nicht vorhanden sind. Wahrscheinlich rankt sich um diese Mordkuhle irgendeine blutrünstige Schauergeschichte. Für unseren aktuellen Fall spielt das keine Rolle. – Befindet sich der Verdächtige noch in der Arrestzelle?“
Lea nickte.
„Ja, der Gefangenentransporter trifft angeblich frühestens in einer halben Stunde ein.“
„Gut, dann werde ich mit dem jungen Mann reden. Wollen wir hoffen, dass der junge Ukrainer Russisch versteht.“
„Sie sprechen Russisch?“
„Ich bin in Brandenburg aufgewachsen. – Wollen Sie dabei sein oder soll ich von Mann zu Mann mit ihm palavern?“
Lea würde sowieso kein Wort verstehen, also lehnte sie dankend ab. Ihre Rolle beschränkte sich darauf, die Zellentür aufzuschließen.
Petruk pennte nicht, sondern hockte auf der Pritsche. Seinen Kopf hatte er auf die Hände gestützt. Rupp hatte ihm die Handschellen abgenommen, nachdem Petruk jeden Widerstand aufgegeben hatte.
Ob er überhaupt begriff, weshalb er festgenommen worden war?
„Ich klopfe an die Tür, wenn ich fertig bin“, sagte Frenz. Daraufhin schloss Lea die Arrestzelle von außen.
Sie war innerlich hin und her gerissen, was ihren ersten Eindruck von dem „Piraten“ anging. Einerseits fühlte sie sich von ihm ernst genommen, und das fand sie natürlich gut. Andererseits kam es ihr so vor, als ob Frenz mehr über die Mordkuhle und die Vergangenheit von Mönchsfelden wusste, als er zugeben wollte. Immerhin hatte er eingeräumt, den Ort zu kennen.
Ob er auch den wahren Grund für ihre Strafversetzung kannte? Oder hatte er nur eines der zahlreichen Gerüchte gehört, die er angeblich nicht beachtete?
Lea schaute auf die Uhr. Rupp war nun schon zwanzig Minuten fort. Warum konnte er die Kriminaltechniker nicht einfach ihre Arbeit machen lassen? In Großstädten benötigte man stets uniformierte Polizisten, um die Gaffer von einem Tatort fernzuhalten. Doch mitten im Wald musste man wohl kaum mit Neugierigen rechnen.
Es dauerte nicht lange, bis Frenz an die Innenseite der Zellentür klopfte. Sie ließ ihn heraus und warf dabei einen Blick auf Petruks ungewaschenes Gesicht. Er hatte Tränen in den Augen, seine Unterlippe zitterte. Er schien zutiefst erschüttert zu sein. Ob der erfahrene Kriminalist ihm schon ein Geständnis entlockt hatte?
Die Miene des „Piraten“ verriet hingegen nicht, was in ihm vorging. Er schloss die Tür zum Zellengang und schaute Lea direkt in die Augen.
„Warum hat Rupp den Verhafteten allein zum Streifenwagen geschafft, Frau Kramer?“
„Ich weiß nicht, ich ...“
„Aber ich weiß es! Rupp muss seine wenigen Brocken Russisch benutzt haben, um Petruk die Todesstrafe anzudrohen!“
„Wie bitte?!“
„Sie haben richtig gehört, Frau Kramer. Petruk ist Ukrainer, und um seine Schulbildung ist es offenbar nicht gut bestellt. Er wusste nicht, dass Deutschland die Todesstrafe schon seit langer Zeit abgeschafft hat.“
Lea konnte immer noch nicht glauben, was der Hauptkommissar herausgefunden hatte.
„Warum hat Rupp das getan? Immer vorausgesetzt, dass Petruk Ihnen kein Ammenmärchen aufgetischt hat.“
„Ihr Kollege soll von dem Ukrainer verlangt haben, dass er den Mord an der jungen Frau gesteht. Dann könnte er auf Milde in Form einer lebenslangen Haftstrafe hoffen. Andernfalls würde man ihn hängen. Rupp muss sehr überzeugend gewirkt haben.“
„Aber ich verstehe immer noch nicht, was er sich davon verspricht, Herr Frenz.“
Doch diese Frage konnte Lea sich eigentlich selbst beantworten.
Rupp wollte Petruks Mordgeständnis, um den wahren Täter zu schützen.
Die junge Polizistin versank in Gedanken. Die Stimme des Hauptkommissars riss sie aus ihren Überlegungen.
„Ich bin lange genug im Dienst, um mich auf meine Menschenkenntnis verlassen zu können. Daher vertraue ich Ihnen. Sind wir uns einig darüber, dass Rupp etwas zu verbergen hat?“
„Ja, unverdächtig ist sein Verhalten nicht. Doch wenn Sie ihn auf die Drohung mit der Todesstrafe ansprechen, wird er alles leugnen. Dann steht Aussage gegen Aussage, da es keine Zeugen gibt.“
„Das ist mir bewusst, Frau Kramer. Daher möchte ich Sie bitten, Ihrem Kollegen nichts von meiner Unterredung mit dem Ukrainer zu erzählen. Petruk wird sowieso schon bald in die Kreisstadt geschafft, dort kann Rupp ihn nicht mehr beeinflussen.“
„Und was soll ich tun?“
„Sie halten bitte die Augen offen und hören sich um. Rupp darf nicht mitbekommen, dass wir ihn verdächtigen. Wenn wir es geschickt anstellen, serviert er uns den wahren Mörder auf dem Silbertablett.“
„Das ist eine monumentale Aufgabe für eine junge Polizeimeisterin mit einem miesen Ruf“, stellte Lea nüchtern fest.
„Ich weiß, dass ich eine gewaltige Last auf Ihre Schultern lade“, entgegnete Frenz. „Natürlich gibt es auch die Möglichkeit, dass ich meine Karten auf den Tisch lege und ein Disziplinarverfahren gegen Rupp einleiten lasse.“
„Das ist nicht sehr erfolgversprechend“, wandte sie ein. „Wir haben nichts gegen ihn in der Hand.“
„Nein. – Wo wohnen Sie eigentlich, Frau Kramer?“
Die Frage war völlig aus dem Zusammenhang gerissen, wie Lea fand. Warum wollte der „Pirat“ das wissen? Sie errötete wie ein Schulmädchen und kam sich deshalb blöd vor.
Der Hauptkommissar lachte.
„Ich will Ihnen keinen zweideutigen Antrag machen“, beteuerte er. „Ich frage Sie, weil ich telefonisch mit Ihnen in Kontakt bleiben möchte. Am
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Lektorat: Christiane Geldmacher, www.textsyndikat.de
Tag der Veröffentlichung: 19.06.2020
ISBN: 978-3-7487-4633-1
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