Cover

1

1

Jim Blake steuerte sein Bike durch die Straßen von Ventura. Sein Ziel war die einzige Bank des kleinen kalifornischen Städtchens, wo er seine hart verdienten Dollar auf sein Konto einzahlen wollte.

Rasenmähen, Autos waschen, im Supermarkt die Einkäufe der Kunden in Papiertüten packen ― es gab kaum einen Aushilfsjob, den der Junge in den letzten Monaten nicht nach Schulschluss gemacht hatte. Schule und Jobben, das hatte manchmal ganz schön geschlaucht.

Es war der erste Tag der Sommerferien, und Jim wollte später noch zu einem Trekking-Ausrüster, um sich ein neues Zelt zu kaufen, das er für den nächsten Urlaub brauchte.

Schon in wenigen Tagen wollte er mit seiner Freundin Cindy und einigen Highschool-Freunden in den Yosemite-Nationalpark. Die Tour in das riesige Naturschutzgebiet der Sierra Nevada würde sein erster Urlaub ohne die Eltern sein. Das würde voll fett werden – er freute sich riesig darauf.

Jim war gut drauf und genoss die Sonnenstrahlen auf seinem Gesicht. Der heiße Sommerwind riss an seiner gegelten Kurzhaarfrisur.

Vor ihm am Horizont erblickte er die Dunstglocke über der Mega-Stadt Los Angeles. Rund um die Metropole, die man auch einfach nur L.A. nannte, gab es Dutzende von Kleinstädten. Eine davon war Ventura, wo Jim bei seinen Eltern in einer ruhigen Vorortstraße lebte.

Jim lenkte sein Bike auf den Vorplatz der Bank.

In diesem Moment hielt der Transporter eines Behindertenfahrdienstes vor dem Eingang des Bankgebäudes. Eine junge Frau stieg mit tastenden Schritten aus dem Van und bewegte sich um den Kühler des Wagens herum, wobei sie das Autoblech immer wieder berührte.

Jemand reichte ihr einen langen weißen Blindenstock durch das Fahrerfenster.

Genau wie Jim trug die Frau eine schwarze Sonnenbrille, aber wahrscheinlich aus anderen Gründen als er. Sie musste ihre Augen nicht vor dem hellen Sonnenlicht schützen, denn sie war offensichtlich blind.

»Bis gleich, Mary«, rief der Transporter-Fahrer ihr zu. »Ich warte solange.«

Sie bewegte sich mit Hilfe ihres Stocks auf den Eingang zu.

In diesem Moment erreichte auch Jim den Eingang.

»Ich halte Ihnen die Tür auf, Ma'am«, sagte er laut.

Die blinde Frau namens Mary drehte das Gesicht in die Richtung, aus der seine Stimme erklungen war. Sie war jung und hübsch, trug orangefarbene Shorts und ein T-Shirt mit der Aufschrift »BERKELEY UNIVERSITY«. Ihre Haut war tief gebräunt wie bei den meisten Leuten in Südkalifornien.

»Danke«, sagte Mary, »aber ich schaffe es selbst. Ich kann mich ja nicht darauf verlassen, dass immer jemand zum Helfen in der Nähe ist.«

»Ja, das ist logisch. War blöd von mir.«

»Nein, gar nicht. Ich finde es nett, dass du helfen wolltest.«

»Ist schon okay.«

Jim wartete geduldig, bis die blinde Frau den Eingangsbereich hinter sich gebracht hatte.

Mary drehte sich um, um noch etwas zu sagen, denn sie hörte, dass er hinter ihr ging.

»Wenn ich das Kühlschrank-Feeling spüre, bin ich im Gebäude«, erklärte sie lächelnd.

Jim musste grinsen. Die Klimaanlage der Bank erzeugte tatsächlich eisige Temperaturen, jedenfalls im Vergleich zur enormen Sommerhitze, die draußen herrschte.

Mary und Jim waren die einzigen Kunden in der kleinen Bankfiliale. Das flache Gebäude bestand nur aus dem großen Schalterraum und einigen Zimmern weiter hinten. Weibliche und männliche Bankangestellte saßen an ihren Schreibtischen oder hinter der Hauptkasse.

Die blinde Frau ging mitten durch den Schalterraum auf einen der Banker zu, der etwas in seinen Computer eingab. Jim fragte sich, wie Mary ihn so zielsicher ansteuern konnte. Die Lösung fiel ihm im nächsten Moment ein: Der Angestellte tippte auf seiner Tastatur herum, und das Geräusch leitete Mary so sicher, als ob sie ihn sehen könnte.

Jim dachte sich, dass Mary ihr gewiss nicht einfaches Leben gut im Griff hatte. Er schloss für einige Momente die Augen und stellte sich vor, selber nicht sehen zu können. Das fand er ziemlich krass.

Doch bevor er weiter darüber nachdenken konnte, ertönte ein dumpfer Knall hinter ihm. Die Eingangstür war mit brutaler Gewalt aufgestoßen worden.

Jim wirbelte herum.

Zwei Männer stürmten in den Schalterraum. Er nahm jedenfalls an, dass es Männer waren. Ihre Gesichter konnte man unter den schwarzen Masken nämlich nicht erkennen. Nur schmale Schlitze für die Augen und den Mund waren darin freigelassen.

Die Maskierten trugen dunkle Jogginganzüge, Chucks und Lederhandschuhe.

Und sie hielten Pistolen in den Fäusten!

Einer von ihnen hatte einen klobigen Schalldämpfer auf den Lauf seiner Waffe geschraubt.

Er schoss ohne Vorwarnung!

Die Überwachungskamera zersprang in tausend Stücke. Glassplitter und Plastikteile regneten in den Schalterraum.

»Überfall!«, bellte der Bankräuber, der geschossen hatte. Es war ein recht bulliger Typ. »Flossen hoch!«

Mary ließ erschrocken ihren Blindenstock fallen und riss die Arme nach oben. Eine Bankangestellte schrie erschrocken auf.

Jim lief ein eiskalter Schauer über den Rücken. Er hob langsam die Hände. Einer der Bankräuber rannte an ihm vorbei, wirbelte aber dann herum und zielte mit der Waffe auf ihn.

»Spiel nicht den Helden, Kleiner!«

Das hatte Jim nicht vor. Er wollte sein Leben nicht riskieren. Zwar war er ein guter Sportler und gewiss kein Schwächling. Aber er konnte es bestimmt nicht mit zwei bewaffneten Typen aufnehmen.

Der Verbrecher, der Jim gewarnt hatte, packte einen Bankangestellten. Der Mann im Anzug musste das Bargeld aus der Kasse holen und den Tresorraum öffnen. Ein Zeitschloss wie bei großen und modern ausgestatteten Banken gab es in der kleinen Filiale von Ventura nicht.

Der Bankräuber stopfte die Geldscheine in eine Sporttasche. Er deutete mit dem Pistolenlauf auf eine Tür.

»Was ist dahinter?«

»Ein Abstellraum«, antwortete der Banker mit zitternder Stimme.

»Hat er Fenster?«

»Nein.«

»Okay, ihr geht da jetzt alle rein! Tempo!«

Der Angestellte öffnete die Tür zum Abstellraum, und der Bankräuber zwang alle Bedienstete hinein. Sie mussten sich dort auf den Boden legen, mit dem Gesicht nach unten.

Jim presste die Lippen aufeinander. Für Mary war der Überfall bestimmt am schwersten zu verdauen. Die blinde Frau war ohne ihren Stock völlig orientierungslos. Sie stand wie angewurzelt da und weinte leise vor sich hin.

»Ihr beiden auch!«, rief der eine Verbrecher und wies mit der Pistole auf Mary und Jim. »In die Abstellkammer mit euch! Braucht ihr eine Extraeinladung, verdammt noch mal?«

Mary machte einen Schritt, allerdings in die falsche Richtung. Jim wollte ihr helfen und sie zu dem Abstellraum führen. Doch bevor er sie erreichen konnte, hatte der Bankräuber mit der Schalldämpferwaffe sie am Arm gepackt.

»Was soll der Mist? Bist du schwerhörig?« Während der zweite Bankräuber eher dünn und schmächtig wirkte, war der Typ mit der Schalldämpferwaffe ein recht bulliger Kerl.

Jim fürchtete, dass der Bullige die Beherrschung verlieren konnte. Die Stimme des Maskierten hörte sich jedenfalls mega-nervös an, wie Jim fand. Außerdem verströmte der Kerl trotz der Klimaanlage einen üblen Schweißgeruch. Das kriegte Jim sogar mit, obwohl er sich drei oder vier Meter entfernt von dem Typ befand.

Der Bullige zerrte Mary auf den Abstellraum zu. Er zog sie mit dem linken Arm, während seine rechte Hand immer noch seine schussbereite Pistole mit dem Schalldämpfer umklammerte.

Mary schrie erschrocken auf, als sie ins Straucheln geriet und zu Boden ging.

»Hören Sie doch auf!«, rief Jim, dessen Empörung größer war als seine Angst. »Haben Sie nicht geschnallt, dass die Frau nicht sehen kann?«

Aber der Bullige schien ihn überhaupt nicht zu hören. Er stieß nur einen knurrenden Laut aus und wollte Mary wieder auf die Beine reißen.

Die blinde Frau kam tatsächlich hoch, suchte aber instinktiv mit beiden Händen nach einem Halt. Plötzlich bekam sie die schwarze Maske des Mannes zu fassen und zog daran.

Im nächsten Moment stand der Verbrecher ohne seine Tarnung da.

Jim schätzte den Mann auf ungefähr dreißig Jahre. Er hatte weit auseinander stehende Augen, die Haut war sonnenverbrannt, das weißblonde Haare kurz geschnitten. Und der Gesichtsausdruck zeigte kalte Wut.

Er entriss Mary die Maske und stieß die blinde Frau von sich, dass sie erneut zu Boden fiel. Sie verlor ihre dunkle Brille.

»Bist du lebensmüde?«, schrie der Bankräuber und zog sich hastig wieder die Wollmaske über den Kopf. »Jetzt hast du mein Gesicht gesehen! Du kannst dein Testament machen!« Er richtete die Waffe auf die junge Frau.

»Nein!«, rief Jim. »Nicht schießen! Sie ist blind, sie kann Sie gar nicht wiedererkennen!«

Der Bankräuber beachtete ihn überhaupt nicht. Scheinbar glaubte er Jim kein Wort.

Aber dann schaltete sich sein Komplize, der eher Schmächtige, ein. »Der Junge hat recht! Die Frau hat einen weißen Teleskopstock dabei, wie ihn nur Blinde benutzen. Und schau dir ihre Augen an! Die sieht uns nicht.«

Unwillkürlich schaute auch Jim in Marys tränennasses Gesicht. Man musste kein Doc sein, um zu erkennen, dass sie nichts sehen konnte.

»Na schön«, brummte der Bullige. »Aber der Kleine muss dran glauben! Der ist ja wohl nicht blind. Oder?«

Er zielte mit der Pistole auf Jim.

Der Junge glaubte schon, sein letztes Stündlein hätte geschlagen.

Aber da schob sich der Schmächtige in die Schusslinie.

»Überleg doch mal!«, rief er. »Die Cops können jeden Moment kommen! Vielleicht hat einer von den Schlipsträgern Stummen Alarm ausgelöst, wer weiß das schon? Wir nehmen den Jungen als Geisel mit, das bringt uns mehr. Umlegen können wir ihn später notfalls immer noch.«

»Meinetwegen«, maulte der Bullige. »Aber dann verschwinden wir jetzt. ― Beweg dich!«

Die letzten beiden Worte galten Jim. Der Bullige stieß ihn in Richtung Ausgang. Dort blieb er aber mit dem Jungen stehen, um auf seinen schmächtigen Komplizen zu warten.

Der half der blinden Frau vom Boden auf und führte sie in den Abstellraum. Dort fragte er die Banker: »Wer von euch hat das Sagen?«

»I―ich«, hörte man eine eingeschüchtert klingende Männerstimme. Jim konnte den Mann nicht sehen, weil er von seiner Position aus nicht in den Raum schauen konnte. »Mei-mein Name ist Bruce Mitchell. Ich bin der Leiter dieser Filiale.«

»Okay, Mitchell. Ich weiß nicht, ob einer von euch Schlaumeiern Stummen Alarm ausgelöst und damit die Bullen auf den Plan gerufen hat. Aber ich rate euch: Pfeift die Cops zurück! Wir haben einen Jungen als Geisel genommen. Wenn wir verfolgt werden, dann geht es dem Bengel an den Kragen. Ist das klar, Mitchell?«

»So―so―sonnenklar, Sir. Bitte tun Sie dem Jungen nichts. Die Sicherheit unserer Kunden hat für unser Geldinstitut absolute Priorität.«

Der Schmächtige lachte. »Das ist gut. Halten Sie sich daran, und alle sind zufrieden. Good bye.«

Mit diesen Worten rammte er die Tür zum Abstellraum zu und schloss sie ab, indem er zweimal den Schlüssel drehte.

Der Bullige hatte die Tasche mit der Beute. Der Schmächtige trat zu ihm und Jim, die am Bankeingang auf ihm warteten.

»Alles klar«, sagte der Schmächtige. »Die hatten alle ihre Nasen auf den Boden gedrückt. Von denen hat keiner was gesehen.«

»Wollen wir es hoffen«, knurrte der Bullige. »Deine Visage ist es ja nicht, um die es geht. Gut, dass ich die Überwachungskamera zerstört hatte.«

»Zum Glück hast du einen Schalldämpfer benutzt. Wenn die Schlipsträger keinen Alarm ausgelöst haben, stehen unsere Chancen gar nicht mal schlecht.«

Der Bullige lachte dröhnend und packte Jim brutal am Arm. »Und wenn sie es doch getan haben, benutzen wir unseren jungen Freund hier als lebenden Schutzschild. Na, wie würde dir das gefallen, Kleiner? Von den Kugeln der Cops durchsiebt zu werden?«

Jim war nicht sicher, ob der Bullige eine Antwort erwartete. Ihm blieben jedenfalls die Worte im Halse stecken, weil der Gangster ihm die Schalldämpfermündung gegen die Schläfe drückte. Das war eine verflixt miese Lage, in der sich Jim befand.

Er traute diesem Typen zu, dass der eiskalt abdrücken würde. Er hatte bereits gegenüber Mary seine Rücksichtslosigkeit bewiesen. Außerdem schien er nicht mehr alle Tassen im Schrank zu haben. Jeder normale Mensch hätte sofort geschnallt, dass die junge Frau blind war.

Wieder war es der Schmächtige, der die Situation entspannte. »Hör auf mit dem Mist. Wir sollten lieber Land gewinnen.«

»Du gönnst einem aber auch keinen Spaß«, beschwerte sich sein Komplize.

Jim sog keuchend die Luft ein. Er hatte vor lauter Panik glatt vergessen zu atmen.

Wenn so etwas für den Typ Spaß ist, dann will ich gar nicht wissen, was für ihn Ernst ist, dachte er.

 

 

Die beiden Verbrecher hatten ihr Fluchtauto mit laufendem Motor vor dem Eingang der Bank stehen gelassen. Es war ein grüner zweitüriger Chevrolet.

Der Bullige öffnete die Beifahrertür und klappte den Sitz nach vorn.

Jim zerbrach sich den Kopf. Das war seine letzte Möglichkeit, die Flucht zu ergreifen. Wenn er hinten im Auto saß, konnte er nicht mehr entkommen. Er musste sich losreißen und bis zur Ecke laufen.

Doch in der nächsten Sekunde gab Jim seinen Plan schon wieder auf. Gerade noch rechtzeitig war ihm eingefallen, was für ein guter Schütze der Bullige war. Der Verbrecher hatte mit nur einer Kugel die ja nicht besonders große Überwachungskamera erwischt. Und Jim glaubte nicht, dass der Bullige Hemmungen haben würde, ihm in den Rücken zu schießen.

Nein, so ging es nicht. Jim wollte die Banditen austricksen, aber nicht in diesem Moment.

Er ließ sich von dem Bulligen auf die Rückbank schieben.

Jim fiel auf, dass der Van vom Behindertenfahrdienst noch immer vor dem Bankgebäude stand. Natürlich, der Fahrer wartete ja noch auf Mary. Die beiden Bankräuber dachten wohl, das Fahrzeug wäre leer, aber Jim sah, dass ein Mann in der Fahrerkabine saß und sie furchtsam beobachtete.

»Ich fahre!«, bestimmte der Bullige.

Der Schmächtige klappte den Beifahrersitz wieder zurück und stieg ein. Die Tasche mit der Beute hatte ihm sein Kumpan zuvor in die Hand gedrückt.

Der Schmächtige drehte sich halb zu Jim um. »Wie heißt du eigentlich?«

»Jim. Jim Blake.«

»Okay, Jim. Wir ziehen hier unser Ding durch. Und wenn du die Nerven behältst und uns keinen Ärger machst, wird dir nichts geschehen. Das verspreche ich dir.«

Jim hatte das Gesicht des zweiten Bankräubers noch nicht zu sehen bekommen, aber dessen Stimme übte eine beruhigende Wirkung auf ihn aus. Der Schmächtige war eindeutig der Vernünftigere der beiden Typen.

Der Bullige hingegen war ein Mistkerl. Das zeigte sich wieder im nächsten Moment.

»Und ich verspreche dir«, fuhr er Jim an, »dass du den Ärger des Jahrhunderts kriegst, wenn du nicht spurst!«

Mit diesem Spruch auf den Lippen trat er das Gaspedal bis zum Bodenblech durch.

Der Chevy machte einen Satz nach vorn. Gleich darauf fuhr das Fluchtauto mit radierenden Reifen vom Bankgebäude weg.

Wenn ich den heutigen Tag überlebe, hab ich Cindy und meinen Kumpels echt was zu erzählen, dachte Jim. Er hoffte sehr, dass er lebendig aus der Sache rauskommen würde. Und so eine Flucht nach einem Bankraub ― die konnte ja nicht allzu lange dauern. Oder? Im Fernsehen war das jedenfalls immer so.

Doch Jim dämmerte inzwischen, dass die Wirklichkeit doch etwas anders aussah als das Geschehen in der Glotze. Eines stand für ihn jedenfalls fest:

Das hier war der mieseste Ferienbeginn aller Zeiten.

2

2

In der Funkzentrale des Ventura Police Department schrillte ein Alarmsignal.

»Das kommt von der Kingsley & Cross California Bank an der Coast Avenue, Sir«, rief der diensthabende Cop. Er saß zwischen mehreren Bildschirmen, Computern und anderen Hightech-Geräten. Außerdem trug er ein Headset.

Captain Miller, der Revierleiter, schaute ebenfalls auf einen der Bildschirme. Auf ihm war ein Stadtplan von Ventura zu sehen, mit einem blinkenden Punkt. Dort befand sich das Bankgebäude.

»Alarm für alle Einsatzkräfte!«, sagte Captain Miller. »Patrolcars sollen hinfahren und die Lage klären: Wie viele Täter, Bewaffnung und so weiter.«

Der Cop am Funkgerät gab den Befehl weiter. Miller überlegte bereits, ob er eine Spezialeinheit aus L.A. anfordern sollte, ein SWAT-Team.1* Vielleicht hatten sich die Bankräuber ja im Gebäude verschanzt. Doch es dauerte keine fünf Minuten, bis eine Meldung über Funk hereinkam.

»Hier Sierra 2/11, Sergeant Hawks. Wir sind bei der Kingsley & Cross California Bank. Die Täter sind flüchtig. Zwei Maskierte in dunklen Jogginganzügen. Sind mit Pistolen bewaffnet. Und ― sie haben eine Geisel! Alle übrigen Angestellten und Kunden wurden in einem Abstellraum eingeschlossen. Ihnen fehlt nichts, abgesehen davon, dass sie unter Schock stehen. Die Bankräuber haben Beute gemacht, Höhe der geraubten Summe noch unklar.«

Miller schnappte sich ein Funkmikro. »Hier spricht der Captain. ― Was für ein Fluchtfahrzeug haben die Mistkerle, Sergeant Hawks?«

»Das … das wissen wir noch nicht, Sir. Die Geisel soll jedenfalls ein Highschool-Schüler sein. Er hat angeblich das Gesicht eines der Täter gesehen. Das haben die Eingeschlossenen ausgesagt.«

»Dann machen Sie mal Dampf, Sergeant! Wir müssen unbedingt herausfinden, in was für einem Wagen die Gangster flüchten! ― Over und Ende.«

Captain Miller schaltete das Mikro ab. In seiner kleinen Stadt gab es nicht so viele Verbrechen. Ein Banküberfall mit einem entführten Jugendlichen ― das hatte ihm gerade noch gefehlt!

Auf jeden Fall musste er das FBI informieren. Die US-Bundespolizei war nämlich grundsätzlich bei Geiselnahme zuständig.

Miller griff zum Telefon. Gleichzeitig schaute er auf die Uhr. Seit der Alarm ausgelöst worden war, waren acht Minuten vergangen. Das klang nach einem kurzen Zeitraum. Aber für einen flüchtigen Ganoven können acht Minuten sehr lang sein. Lang genug, um zu entkommen …

 

 

Der Bullige lenkte den Wagen Richtung Norden. Das Bankgebäude befand sich an einer mehrspurigen, gut ausgebauten Avenue. Der Autoverkehr hielt sich in Grenzen. Sie kamen schnell voran.

»Wenn du weiter so bretterst, machst du die Cops auf uns aufmerksam«, warnte ihn der Schmächtige.

Der Bullige warf ihm einen bitterbösen Seitenblick zu und drosselte das Tempo um keinen Deut. Stattdessen schoss plötzlich seine rechte Hand vor, und blitzartig zog er dem Schmächtigen die Maske vom Kopf.

»Spinnst du, Tanner?«, schrie der Schmächtige. »Bist du jetzt völlig durchgeknallt?«

»Wieso?« Der Verbrecher am Lenkrad nahm sich selbst die Maske ab und lachte höhnisch. »Das ist doch nur fair, oder? Gleiche Chancen für uns beide, würde ich sagen. Nun weiß unser kleiner Freund auch, wie deine Visage aussieht. Und da du gerade meinen Namen rausposaunt hast, kann ich dich ihm ja auch vorstellen ― Logan!«

»Du bist verrückt, Tanner!«, beschwerte sich der Schmächtige, der also Logan hieß; Jim wusste allerdings nicht, ob das der Vor- oder Nachname war. »Reichte es nicht, dass der Junge dein Gesicht gesehen hat?«

»Jetzt halt die Luft an, Logan«, sagte der Bullige alias Tanner. »Es ist nicht besonders clever, mit einer schwarzen Maske überm Kopf im Auto zu sitzen, weißt du? Wenn einer von den Blödmännern auf der anderen Spur mal rüberlinst, informiert er gleich die Bullen.«

Das klang logisch, wie auch Jim schweigend zugeben musste. Er kriegte natürlich den Wortwechsel zwischen den beiden Männern hautnah mit, weil er auf dem Rücksitz hockte. Tanner, der Bullige, war nicht so dumm, wie Jim gedacht hatte. Man durfte ihn nicht unterschätzen.

Jim zerbrach sich den Kopf darüber, wie er den Bankräubern entkommen konnte. Aber bisher war ihm keine zündende Idee gekommen.

Dass er jetzt nicht nur die beiden Gesichter der Gangster kannte, sondern auch ihre Namen, beruhigte ihn nicht gerade. Das machte ihn zu einem gefährlichen Zeugen.

Unauffällig schaute er sich im Rückspiegel Logans Gesicht an. Der Typ hatte nicht so eine brutale Visage wie sein Kumpan. Außerdem erinnerte sich Jim, wie er der blinden Frau aufgeholfen hatte. Warum er sich wohl mit einem miesen Typen wie diesem Tanner, dem Bulligen, eingelassen hatte?

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Cover: Germancreative, www.fiverr.com
Lektorat: Peter Thannisch
Tag der Veröffentlichung: 31.01.2020
ISBN: 978-3-7487-2799-6

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /