Vorbemerkung
Die in diesem Roman geschilderten Ereignisse sind rein fiktiv. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Begebenheiten, mit lebenden oder verstorbenen Personen wäre rein zufällig und unbeabsichtigt.
Inhalt
Kriminalhauptkommissarin Isa Boysen von der Kripo Hamburg wird mit einer scheinbaren Routineuntersuchung betraut: Selbstmord einer überforderten Karrierefrau. Doch sehr schnell muss sie feststellen, dass der angebliche Freitod der Szene-Journalistin Nora Fabian nur vorgetäuscht wurde - oder? Die Kriminalistin gräbt tiefer und stößt auf einen Ex-Freund, der Nora das Leben scheinbar zur Hölle gemacht hat. Doch dieser Mann und sein geheimnisvolles Verschwinden werfen nur weitere Fragen auf. Im Handumdrehen befindet sich Isa Boysen inmitten eines verbrecherischen Ränkespiels, bei dem es um viel Geld geht und Menschenleben nichts zählen.
Nora Fabian, auch „die Nachtigall“ genannt, schrieb die Story ihres Lebens.
Mit vor Erregung geröteten Wangen hockte die junge Journalistin vor ihrem Computer. Die Welt um sie herum war versunken. Nora registrierte nicht, dass es bereits weit nach Mitternacht war. Ihre Finger flogen über die Tasten. Sie hockte in ihrem Büro im Verlagsgebäude der Illustrierten NUMMER EINS. Ihre Kollegen hatten längst Feierabend gemacht.
Auch bemerkte Nora nicht den Neuschnee, der die Fahrbahn der Mönckebergstraße vor ihrem Bürofenster zu bedecken begann. Und sie registrierte ihren Besuch erst, als die Person bereits ihren Arbeitsraum betreten hatte.
Die Journalistin schaute beunruhigt auf. Aber dann erschien ein erleichtertes Lächeln auf ihrem schönen Gesicht.
„Ach, du bist es“, sagte sie. „Das ist ja eine nette Überraschung! Sei mir nicht böse, aber ich habe gerade wirklich überhaupt keine Zeit. Ich schreibe etwas wirklich Umwerfendes.“
„Ja“, lautete die Antwort. „Ich weiß.“
Und dann ging alles ganz schnell. Die Person trat auf Nora Fabian zu. Im nächsten Moment spürte die Frau am Computer einen stechenden Schmerz im Nacken. Sie wollte schreien, etwas sagen, irgendetwas tun. Doch sie war gelähmt. Voller Entsetzen musste Nora mit ansehen, wie ihr Besuch plötzlich eine Rasierklinge in der Hand hielt. Systematisch wurden Noras Pulsadern aufgeschlitzt. An beiden Armen. Das Blut strömte aus ihrem Körper, ergoss sich auf ihr elegantes Yamamoto-Kostüm, auf den Designer-Schreibtisch, den Velours-Teppichboden, die Manuskriptseiten.
Entsetzliche Minuten vergingen, bis Nora durch eine gnädige Ohnmacht erlöst wurde. Die Bewusstlosigkeit, die vor dem Tod kommt.
Während die Journalistin starb, löschte ihr Besuch in aller Ruhe die Datei, mit der Nora Fabian einen Skandal anprangern wollte. Natürlich wurden auch die Sicherungskopien nicht vergessen. Und das Recherchematerial der Toten nahm der ungebetene Besuch mit, als er unerkannt das blutige Büro verließ.
Die Kriminalhauptkommissarin Isa Boysen flitzte auf Schlittschuhkufen durch die Hamburger Innenstadt. Das wäre normalerweise gefährlich gewesen, denn es war ein Vormittag im Dezember, ein Werktag. Und da wurde das Zentrum der Metropolregion Hamburg mit ihren über vier Millionen Einwohnern nicht nur von unzähligen Berufspendlern, Touristen und einkaufswütigen Konsumenten bevölkert, sondern eben auch von Motorfahrzeugen aller Art. Doch dort, wo Isa ihre Runden drehte, waren die Schlittschuhfans unter sich.
Die Kriminalistin lief nämlich auf dem Dach von Sport-Karstadt!
Die Eislaufbahn hoch oben auf dem größten Sporthaus Europas war ein Geheimtipp. Dort hatte man beim Schlittschuhlaufen außerdem noch einen Panoramablick über die Hansestadt. Obwohl Isa in Hamburg geboren und aufgewachsen war, wurde sie immer wieder von der Skyline dieser Stadt in ihren Bann gezogen.
In unmittelbarer Nähe des Sporthauses befand sich der Hauptbahnhof, entstanden zwischen 1899 und 1906. Vor wenigen Jahren war er ganz im Stil seiner Erbauerjahre restauriert worden und verfügte nun über eine attraktive Shoppingmeile in der Wandelhalle.
Im Süden, hinter dem Kontorhausviertel, grüßten bereits die ersten Kräne des Hamburger Hafens. Auch die Kirchturmspitze von St. Jakobi konnte Isa erkennen, ebenso weiter hinten den „Michel“, das Hamburger Wahrzeichen. Nur das stolze Hamburger Rathaus wurde halb durch einen mächtigen Einkaufs-Komplex an der Mönckebergstraße verdeckt.
Isa konnte sich wunderbar entspannen, während sie mal langsam und mal schneller über das Kunsteis glitt. Ein arbeitsreiches und anstrengendes Jahr lag nun schon fast gänzlich hinter ihr. Wie in jedem Dezember beschäftigte sie die Frage, wie sie Weihnachten verbringen sollte. Die Kriminalistin lebte zwar allein, war aber alles andere als menschenscheu. Es wäre also für sie ein Leichtes gewesen, eine der zahlreichen Heiligabend-Veranstaltungen für Singles aufzusuchen. Doch das hatte Isa schon in der Vergangenheit mehrmals als öde und trostlos empfunden.
Am Schönsten wäre es natürlich gewesen, mit einem lieben Mann unter einem Christbaum zu sitzen und Weihnachten zu feiern. Der schlechte Witz des Lebens bestand darin, dass Isa einen solchen Mann sogar hatte. Er hieß Arne Weger und war bei der 3. Mordbereitschaft ihr Dienstpartner, mit dem gemeinsam sie ihre meisten Fälle löste.
Doch leider war Arne bereits verheiratet und hatte mit seiner Frau Svenja eine kleine Tochter, Lea. Und es gab keinen Grund anzunehmen, dass er nicht mit ihnen die Feiertage verbringen würde.
Isas Liebe zu Arne lag momentan auf Eis. Anders konnte man das nicht nennen. Im Sommer hatten sie eine heiße Liebesaffäre miteinander gehabt. Doch da sie ihr Gewissen nicht belasten wollten, hatten sie Arnes Frau alles gebeichtet. Es war eine Zeit, an die Isa sich nur ungern erinnerte ...
Das Schrillen ihres Handys riss sie aus ihren Gedanken.
Isa fuhr auf ihren Kufen an die Seite, stoppte und aktivierte das Telefon.
„Boysen.“
„Endlich gehen Sie ran, Frau Boysen!“, blaffte Dr. Walter Kranach, Isas direkter Vorgesetzter. Sie hörte sofort, dass der Kriminaloberrat eine miserable Laune hatte. „Ich weiß, dass heute Ihr freier Tag ist. Aber was soll ich machen? Hier trudelt eine Krankmeldung nach der anderen ein. Nun sind schon Frau Roper, Herr Lehmann und Herr Prante ausgefallen. Diese momentane Grippewelle macht die 3. Mordbereitschaft noch völlig handlungsunfähig! – Jedenfalls haben wir eine Meldung von der Zentrale bekommen. In einem Büro an der Mönckebergstraße ist eine weibliche Leiche aufgefunden worden. Alles spricht für einen Freitod. Aber Sie kennen ja die Vorschriften, Frau Boysen. Jemand von uns muss einen Blick auf die Tote werfen. Es handelt sich eindeutig um einen Selbstmord. Daher werden Sie wohl nicht allzu viel von Ihrer Freizeit opfern müssen.“
„In Ordnung, Herr Kriminaloberrat“, erwiderte Isa. „Wie es der Zufall will, befinde ich mich momentan sowieso in unmittelbarer Nähe der Mönckebergstraße.“
Die Kriminalistin wollte ihrem Chef allerdings nicht sagen, dass sie gerade Schlittschuh lief. Sie fand nämlich, dass ihn das nichts anging.
„Dann macht es Ihnen wohl nicht allzu viele Umstände“, knurrte Dr. Kranach.
„Nein. Falls es übrigens Personalengpässe während der Feiertage gibt, bin ich gerne bereit, auch am Heiligabend und am ersten und zweiten Weihnachtsfeiertag Tatortdienst zu machen.“
Isa hatte soeben diesen spontanen Entschluss gefasst. Wenn sie schon nicht mit Arne Weihnachten feiern konnte – was sie am Allerliebsten getan hätte – dann konnte sie an den Feiertagen ebenso gut arbeiten. Wozu war sie schließlich bei der Kripo? Dort gab es immer etwas zu tun.
„Das würden Sie tun, Frau Boysen?“ Dr. Kranachs Stimme klang erleichtert. Isa wusste, dass er mit seiner Frau über Weihnachten und Neujahr in den Harz fahren wollte. Dafür musste natürlich in seiner Abteilung zuvor alles geregelt und organisiert sein. „Ich weiß Ihre Einsatzbereitschaft zu schätzen, das sage ich ganz offen. – Darf ich Sie dann bitten, sich diese Selbstmörderin einmal kurz anzuschauen? Die Tote heißt übrigens Nora Fabian. Ich gebe Ihnen noch die Adresse durch.“
Isa schrieb sich die Angaben auf einen Zettel. Dann beendete sie das Gespräch. Nora Fabian? Der Name kam Isa bekannt vor. Momentan konnte sie ihn allerdings noch nicht so recht zuordnen.
Die Sache ließ der Kriminalistin nun ohnehin keine Ruhe mehr. Sie entfernte sich gedankenverloren von der Eisbahn. Isa beglückwünschte sich selbst dazu, dass sie eine Sporttasche mitgenommen hatte. Darin konnte sie ihre Schlittschuhe versenken. Es würde doch ziemlich unprofessionell aussehen, wenn sie als Kriminalhauptkommissarin mit an den Schnürsenkeln zusammengebundenen Schlittschuhen über der Schulter am Tatort erschien ...
Auch ihre rote Zipfelmütze verstaute Isa wohlweislich in der Sporttasche. Die Kopfbedeckung war zwar sehr nützlich für eine Schlittschuhfahrt auf dem Dach von Sport-Karstadt, wirkte aber an einem Leichenfundort ebenfalls deplatziert. Jedenfalls war das Isas Meinung.
Sie musste nicht weit gehen. Die Mönckebergstraße verband den Hauptbahnhof mit dem Rathaus. Mit ihren breiten Fußgängerwegen war sie dementsprechend als Flanierstraße anzusehen. Auf den Fahrbahnen waren nur noch Stadtbusse und Taxis erlaubt, so dass sich das Verkehrschaos in Grenzen hielt. Daher war die Mönckebergstraße teils Shoppingmeile, teils eine sehr repräsentative Firmenadresse mitten in der Hamburger City.
Letzteres traf jedenfalls auf das Gebäude zu, in dem die Selbstmörderin aufgefunden worden war.
Isa rief sich allerdings innerlich selbst zur Ordnung, als ihr dieser Gedanke durch den Kopf ging. Sie teilte nämlich die Auffassung ihres Vorgesetzten nicht. Woher wollte Dr. Kranach überhaupt so genau wissen, dass die Frau freiwillig aus dem Leben geschieden war? Seit wann stellte die Kripo telefonische Ferndiagnosen?
Isa hatte dies zum Glück nicht von dem Kriminaloberrat wissen wollen. Durch ihre Bereitschaft zum Feiertagsdienst hatte die junge Kriminalistin momentan bei ihrem Vorgesetzten einen Stein im Brett. Nun kam es darauf an, diese Pluspunkte nicht wieder zu löschen ...
Aber dadurch würde Isa sich trotzdem nicht davon abbringen lassen, sich ihre eigene Meinung zu bilden.
Sie betrat das Gebäude, an dessen Eingang der typische Schriftzug von NUMMER EINS prangte. Das war eine Illustrierte, die sich hauptsächlich mit Klatschgeschichten über mehr oder weniger Prominente aus dem In- und Ausland befasste. Die Sorte Zeitschrift eben, die Frauen normalerweise beim Frisör lesen.
Isa ging natürlich auch regelmäßig zur Kopfverschönerung. Doch sie ließ sich ihre brünette Kurzhaarfrisur von einem Meister schneiden, der aus seiner Vorliebe für gut gebaute junge Männer kein Hehl machte.
Da Isa kein Kind von Traurigkeit war, hatte sie ebenfalls nichts gegen die Abbildungen von sonnengebräunten jungen Bodybuildern einzuwenden, die allerhöchstens mit äußerst knappen Tangaslips bekleidet waren.
Daher hatte Isa im Laufe der Jahre gewiss schon mehrere Hundert amerikanische Schwulen-Softpornos durchgeblättert, aber höchstens zwei oder drei Ausgaben von NUMMER EINS.
Die Kriminalistin trat in den Empfangsbereich. Hinter einer Marmor-Empfangstheke thronte eine sehr gut aussehende junge Frau. Isa glaubte im ersten Moment, das deutsche Topmodel Claudia Schiffer hätte einen neuen Nebenjob angenommen. Aber die Schöne in dem Designer-Kostüm sah doch etwas anders aus als die weltberühmte Claudia.
Sie maß Isa mit einem leicht arroganten Blick. Die Kriminalistin war in einen sportlichen Ski-Anorak, Steghosen und Stiefel gekleidet. Offenbar nicht das Outfit, das in diesem Haus erwartet wurde. Aber Isa ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen. Bevor die Schöne den Mund aufbekommen konnte, hielt die Hauptkommissarin ihr den fälschungssicheren blauen Kripoausweis unter die Nase.
„Kripo Hamburg. Ich komme wegen der Leiche.“
Die Empfangsdame lächelte, als wäre ihr gerade eine Wurzelbehandlung beim Zahnarzt angekündigt worden.
„Ach, Sie gehören zu den ... Herrschaften. Ich verstehe. Bitte nehmen Sie den Lift bis zum vierten Stockwerk.“
Isa bedankte sich mit einem knappen Kopfnicken. Wen diese Tussi wohl mit Herrschaften meinte? Gleich darauf konnte Isa sich diese Frage selbst beantworten. Als sie nach kurzer Aufzugfahrt in der vierten Etage ankam, bewachten uniformierte Kollegen argwöhnisch den Fahrstuhl. Kein Unbefugter sollte an den Tatort gelangen. Schon gar kein Vertreter der Sensationspresse. Die Polizisten ließen aber Isa sofort passieren. Sie hatte ihren Ausweis an ihrem Anorak befestigt.
Von weitem erblickte sie die Männer von der Technischen Abteilung, die bereits vollauf beschäftigt waren. Isa sah auch Dr. Scholl, den Mann vom Gerichtsmedizinischen Institut.
Da er der ranghöchste anwesende Kollege war, begrüßte Isa ihn als Ersten.
„Guten Morgen, Herr Dr. Scholl.“
„Guten Morgen, Frau Boysen.“
Sie gaben sich die Hände.
„Ich bin mit der ersten Untersuchung fertig“, meinte der Pathologe. „Ich wollte gerade nach einem Blechsarg telefonieren, damit man die sterblichen Überreste von Nora Fabian ins Gerichtsmedizinische Institut bringt. Die Obduktion kann ich vielleicht sogar noch heute Abend vornehmen.“
Isa schaute ihn neugierig an.
„Gibt es erste Erkenntnisse, Herr Dr. Scholl?“
Der Gerichtsmediziner blätterte in seinen Aufzeichnungen.
„Tja, der Tod muss zwischen drei Uhr und vier Uhr heute früh eingetreten sein. Todesursache ist ganz eindeutig Blutverlust. Es ist kein schöner Anblick, ehrlich gesagt.“
„Ich werde als Kriminalhauptkommissarin vom Steuerzahler besoldet, um auch unschöne Anblicke ertragen zu können“, gab Isa trocken zurück. „Ich sehe mir die Leiche gleich mal an.“
„Tun Sie das, Frau Boysen, tun Sie das. Die Pulsadern an beiden Handgelenken waren aufgetrennt. Dadurch konnte das Blut so schnell ausströmen, dass eine fast vollständige Ausblutung stattfand. – Sobald ich nach der Obduktion Näheres sagen kann, werde ich Sie im Präsidium anrufen.“
Isa und Dr. Scholl hatten auf dem Flur miteinander gesprochen. Es war nicht zu übersehen, in welchem der verschiedenen Büros Nora Fabian aus dem Leben geschieden war. Ob nun freiwillig oder unfreiwillig. Die Tür dieses Raums stand nämlich weit offen. Kollegen von der Technischen Abteilung waren emsig am Werk.
Die Hauptkommissarin ging zu ihnen. Norbert Schröder, der Leiter des Spurensicherungsteams, blickte auf.
„Hallo, Isa. Ich habe schon gehört, dass du deinen freien Tag opfern musstest.“
„Ich werde drüber hinwegkommen, Norbert. Gibt es schon erste Erkenntnisse?“
„Ja. Das Opfer hat sich vor ihrem Tod die Pulsadern mit einer handelsüblichen Rasierklinge geöffnet. Erst am rechten Handgelenk, dann am linken. Jedenfalls hielt sie die Klinge in der rechten Hand, als sie gefunden wurde.“
„War Nora Fabian Linkshänderin?“, fragte Isa. Norbert Schröder zuckte mit den Schultern.
„Keine Ahnung, Frau Kollegin.“
„Ich habe auch eigentlich nur laut nachgedacht, Norbert.“
Während sie mit dem Leiter des Spurensicherungsteams sprach, trat Isa näher an die Tote heran. Das war gar nicht so einfach, denn natürlich wollte die Hauptkommissarin die Arbeit der Technischen Abteilung nicht behindern.
Das Blut war jedenfalls überall. Es bedeckte die Schreibtischplatte, die Computertastatur, den Teppich und natürlich Körper und Kleidung der Toten. Isa schaute sich stirnrunzelnd um, ohne etwas anzufassen.
„Also, falls das Opfer Linkshänderin war, ist davon hier nichts zu sehen. Stifte, Papierlocher, Büroklammern, Notizzettel, Visitenkarten – alles liegt auf der rechten Schreibtischhälfte. Links sehe ich nur irgendwelche Papierstapel, die sie offenbar mit Nichtachtung gestraft hat.“
„Worauf willst du hinaus, Isa?“
„Ganz einfach. Nora Fabian war meiner Meinung nach Rechtshänderin. Ich werde natürlich noch ihre Freunde, Kollegen und ihre Familie danach fragen. Aber gehen wir zunächst mal davon aus. Ich finde es unwahrscheinlich, dass sich eine Linkshänderin zunächst die rechte Pulsader aufschneidet. Und dann erst die linke.“
„Warum?“
„Weil man unbewusst alle wichtigen Sachen mit der Hand macht, mit der man besser zurechtkommt. Und was könnte wohl wichtiger sein als der eigene Tod?“
„Ich ahne, worauf du hinaus willst, Isa. Aber wenn ein Mörder ihr die Handgelenke verletzt hat, würde sie sich doch gewiss gewehrt haben.“
„Ja, falls er sie nicht vorher betäubt hat.“
„Das klingt für meinen Geschmack zu konstruiert“, brummte Norbert. „Aber eine Betäubung müsste sich ja bei der Obduktion nachweisen lassen.“
„Ja, natürlich.“
„Na, also!“ Der Leiter des Spurensicherungsteams klopfte Isa kollegial auf die Schulter. „Das wäre doch der beste Beweis für deine Theorie von der Fremdeinwirkung. Du musst nur das Obduktionsergebnis abwarten.“
„Es gibt noch andere Hinweise“, meinte Isa. „Zum Beispiel, ob die Bürotür von innen abgeschlossen war oder nicht.“
„Das war sie eindeutig nicht“, sagte Norbert Schröder. „Wie du siehst, musste das Schloss nicht aufgebrochen werden. Nora Fabian wurde von einer Praktikantin gefunden. Sie wartet übrigens nebenan. Der Notarzt hat ihr eine Beruhigungsspritze verpasst.“
Isa nickte. Um diese Zeugin wollte sie sich als Nächstes kümmern.
„Jedenfalls war die Tür unverschlossen. Nora musste also damit rechnen, bei ihrem Vorhaben gestört zu werden. Warum hat sie nicht abgeschlossen, bevor sie sich die Pulsadern aufgeschnitten hat?“
„Ich finde, du setzt viel zu viel voraus“, meinte Norbert Schröder achselzuckend. „So eine Selbstmörderin ist doch wahrscheinlich zutiefst verzweifelt. Da wird sie nicht an solche Details denken.“
„Dann gehst du also auch von einem Freitod aus, Norbert?“
Der Leiter des Spurensicherungsteams hob abwehrend die Hände.
„Es ist die Aufgabe von euch Ermittlern, das herauszufinden. Aber aus Sicht der Technischen Abteilung spricht nichts für ein Fremdverschulden. Auf der Rasierklinge sind keine Fingerabdrücke außer denen des Opfers zu erkennen. Nora Fabian ist an ihrem Schreibtisch zusammengesunken, wie du selbst sehen kannst. Nichts deutet auf einen Kampf hin.“ Bartel zögerte einen Moment. „Allerdings ...“
„Ja?“ Isa beugte sich gespannt vor.
„Wir haben hier einen Gegenstand in Nora Fabians Jackentasche gefunden, für den wir keine rechte Erklärung haben.“
Der Spurensicherer zeigte Isa eine der Plastiktüten, in denen Beweisstücke gesammelt werden. In diesem Fall war es ein kleines rosa Stück Textil.
„Das ist ein Babysöckchen, Norbert. Lass’ es dir von einer Frau gesagt sein.“
„Ich bin stolzer Großvater, Isa. Ich weiß sehr gut, wie ein Babysöckchen aussieht. Aber warum trug diese Nora Fabian ein einzelnes Babysöckchen in der Jacketttasche mit sich herum? – Na, dieses Rätsel müsst ja ihr von der Mordbereitschaft lösen.“
Isa machte sich in Gedanken eine Notiz. Ein Babysöckchen also. Die einfachste Erklärung war eine Schwangerschaft der Toten. Aber darüber würde die Obduktion Auskunft geben. Oder war vielleicht eine ungewollte Gravidität der Grund für den Selbstmord?
Ärgerlich schob Isa diesen Gedanken beiseite. Das war eine Überlegung von Anno dunnemals. Schon seit mehreren Jahren schrieb man das 21. Jahrhundert. Nora Fabian war ganz offensichtlich eine berufstätige und unabhängige Frau gewesen. Dieses Motiv erschien bei einer Frau wie Nora mehr als unwahrscheinlich!
Isa verabschiedete sich einstweilen von den Spurensicherern. Sie ließ sich von einem uniformierten Kollegen zu der jungen Frau führen, die Nora Fabian gefunden hatte.
Die Praktikantin hockte in einem kleinen Raum am Flurende, der ganz offensichtlich als Teeküche diente. Isa schätzte sie auf höchstens zweiundzwanzig oder dreiundzwanzig Jahre. Die Zeugin unterschied sich äußerlich in nichts von Tausenden anderer junger Frauen in dem Alter. Sie war modisch gekleidet, mit Hüftjeans und trotz winterlicher Kälte einem Kurzpullover. Jedenfalls konnte man ihren gepiercten Bauchnabel sehen, als sie aufstand.
Isa stellte sich mit Namen und Dienstrang vor. Sie machte eine auffordernde Handbewegung.
„Nimm doch bitte wieder Platz. Ich darf dich doch duzen, oder?“
„Ja, sicher, Frau Kommissarin. Ich habe es auch gerne, wenn es locker zugeht. Nora dachte genauso. Sie ... sie war so voller Power ...“
Isa glaubte, ihr Gegenüber würde wieder zu weinen anfangen. Die geröteten Augen der jungen Frau zeugten jedenfalls davon, dass ihr die Tränen gekommen waren. Aber das war in Isas Augen eine ganz normale menschliche Reaktion angesichts einer blutüberströmten Leiche ...
„Zu Nora Fabian kommen wir gleich“, sagte die Kriminalistin. Sie versuchte, ihrer Stimme einen möglichst beruhigenden Unterton zu geben. „Das heißt, falls du dich in der Lage fühlst, meine Fragen zu beantworten.“
„Doch, schon.“ Die Praktikantin schniefte, putzte sich die Nase. „Der Doc hat mir ja eine Spritze gegeben. Seitdem geht es einigermaßen. Ich wäre ja fast umgekippt, als ich heute Morgen in Noras Büro gekommen bin.“
„Am Besten erzählst du der Reihe nach. Ich habe mich ja schon vorgestellt. Aber du hast deinen Namen noch gar nicht verraten.“
„Oh, Entschuldigung. Ich bin so durcheinander. Also, ich heiße Jasmin Ehlers. Ich bin einundzwanzig Jahre alt und studiere Medien. Hier an der Universität Hamburg. Bei NUMMER EINS mache ich ein einmonatiges Praktikum.“
Isa nickte. Sie kritzelte Jasmins Angaben auf die Rückseite einer Postwurfsendung, die sich in ihrer Jackentasche angefunden hatte. Normalerweise hatte die Kriminalistin ihr dickes gebundenes Notizbuch bei sich. Aber das schleppte sie nicht mit sich herum, wenn sie auf die Eisbahn ging.
„Und Nora war deine Praktikumsbetreuerin, Jasmin?“
„So kann man das nicht sagen, Frau Kommissarin. Der Chefredakteur, Herr Wecker, wollte mir sehr viele unterschiedliche Aufgaben bei der Illustrierten zeigen. Ich durfte den Fotografen helfen, war bei der Redaktionskonferenz und habe dem Knaben assistiert, der Skandalstorys aus dem Ausland ankauft. Aber ehrlich gesagt hat es mir bei Nora am Besten gefallen!“
„Warum?“
Jasmin schaute sich um, senkte ihre Stimme.
„Sie war die Einzige, die ich bei NUMMER EINS gut leiden konnte. Alle anderen, die ich hier kennen gelernt habe, sind Angeber, Wüteriche oder auf eine andere Art widerlich. Aber Nora ... sie war ja ziemlich berühmt. Keine Ahnung, ob Sie das wissen. Aber sie hat mich nie wie eine kleine Praktikantin behandelt, kapieren Sie? Eher wie eine Freundin.“
Isa nickte langsam. Das klang wirklich danach, als ob die Verstorbene eine sympathische Frau gewesen war.
„Jasmin, kannst du dir einen Grund denken, warum Nora freiwillig aus dem Leben scheiden wollte?“
Die Praktikantin schüttelte wild den Kopf.
„Keinen einzigen, Frau Kommissarin! Nora steckte voller Pläne. Sie hatte noch so viel vor. Beruflich und privat, wenn ich das richtig sehe. Sie wollte nach Nepal reisen und nach Peru. Und ein Interview mit einem echten sibirischen Schamanen machen. Eine Sache hat sie allerdings vor mir geheim gehalten.“
Isa horchte auf.
„Und was?“
„Ich habe nicht die geringste Ahnung. Wie gesagt, ich sollte nichts davon wissen. Einmal habe ich Nora direkt darauf angesprochen. Da wurde sie ganz ernst und sagte, dass ich nicht noch einmal nach ihrem Geheimnis fragen sollte. Es wäre zu gefährlich für mich.“
„Waren das ihre genauen Worte, Jasmin?“
Die Praktikantin starrte auf die auberginenfarbenen modernen Küchenmöbel in dem kleinen fensterlosen Raum. Sie schien angestrengt nachzudenken.
„Nein, Frau Kommissarin. Sie sagte so in etwa: ,Ich riskiere selbst Kopf und Kragen. Ich will nicht, dass dir etwas zustößt, Jasmin. Das könnte ich nicht verantworten’.“
„Wann war das?“
„Vor drei oder vier Tagen.“
Isa stieß langsam die Luft aus den Lungen. Angenommen, Jasmin sprach die Wahrheit. Nora hatte also als Journalistin ein brandheißes Thema bearbeitet. Wenig später starb sie eines gewaltsamen Todes. Das sah für Isa Boysen keinesfalls nach einem Selbstmord aus.
Sondern nach einer besonders heimtückischen und grausamen Tötung!
„Nora hat sich doch gewiss auch mit Themen beschäftigt, die nicht geheim für dich waren, Jasmin ...“
„Ja, Frau Kommissarin. Es ging in den letzten Tagen hauptsächlich um das Interview mit diesem amerikanischen Fernsehstar Matt Howard. Er trifft morgen mit dem Flieger von Los Angeles auf dem Flughafen Fuhlsbüttel ein. Er soll eine Gastrolle in einer deutschen Fernsehserie spielen.“
Ein typisches Thema, das die Leser von NUMMER EINS offenbar fieberhaft beschäftigte. Isas persönliches Interesse daran hielt sich in Grenzen. Vor allem aber konnte sie sich nicht vorstellen, dass die junge Journalistin wegen einer solchen Harmlosigkeit sterben musste.
Wenn überhaupt, dann war das „geheime“ Thema gleichzeitig das Mordmotiv. Isa versprach sich einiges von der geplanten Schnüffelei in Nora Fabians Wohnung. Norbert Schröder hatte die Schlüssel der Toten an sich genommen und wollte noch am gleichen Nachmittag mit seinem Spurensicherungsteam dort auflaufen. Ein offizieller Hausdurchsuchungsbefehl war in solchen Fällen sehr leicht zu bekommen.
Vorerst wandte Isa sich wieder an ihre junge Zeugin.
„Bitte schildere mir mit deinen eigenen Worten, wie du Nora vorhin aufgefunden hast, Jasmin!“
„Ja, Frau Kommissarin. – Also, es war kurz nach neun heute Morgen. Wir Praktikanten fangen immer um diese Zeit mit der Arbeit an. Ich fuhr mit dem Lift hoch und ging zu Noras Büro. Mir fiel auf, dass die Tür geschlossen war.“
„Ist das ungewöhnlich?“
„Bei NUMMER EINS schon. Die meisten Journalisten, die hier arbeiten, haben immer ihre Bürotür sperrangelweit offen stehen. Ich finde das auch manchmal nervig, weil man ständig Stimmen hört, die durcheinander reden. Aber die Leute arbeiten viel zusammen, das habe ich schon mitgekriegt. Da wäre es wohl blöd, wenn man jedes Mal an der Tür klopfen müsste, wenn man von dem anderen was will.“
Isa nickte. Sie selbst saß bei der 3. Mordbereitschaft in einem Großraumbüro und nahm die Stimmen ihrer Kolleginnen und Kollegen im Hintergrund schon gar nicht mehr wahr.
„Die Tür war also verschlossen, Jasmin ...“
„Ja. Ich habe geklopft. Es kam keine Antwort. Ich dachte mir, dass Nora vielleicht noch gar nicht da war. Aber dann habe ich mich doch getraut, die Tür aufzumachen. Ich wollte einfach wissen, was los ist. Und dann ... dann habe ich gleich das Blut gesehen.“
Die junge Praktikantin atmete tief durch und schloss für einen Moment die Augen. Es war Isa natürlich nicht entgangen, dass Jasmin unter Beruhigungsmitteln stand. Aber wenn das nicht so gewesen wäre, hätte sie ihre Zeugenaussage wohl nicht durchgestanden. Da war sich Isa sicher.
„Ich wollte Hilfe holen. Da kam zum Glück gerade der Bildreporter, der im Büro gegenüber residiert. Er hat auch nur kurz durch die Tür gelinst und dann gleich die Polizei und den Notarzt verständigt. Und ... und dann hat er sie fotografiert.“
„Wie bitte?“
„Ja, er meinte, es wäre für alle Fälle gut, ein paar Aufnahmen zu haben.“
Isa nickte. Da sie noch niemals Respekt vor Skandaljournalisten empfunden hatte, konnte sie diesen auch gar nicht verlieren. Entsprechend der zynischen Logik dieser Leute hatte der Mann das einzig Richtige getan. Nämlich für eine sensationelle Story gesorgt ...
„In Ordnung, Jasmin. Kannst du dir vorstellen, warum Nora ihrem Leben selbst ein Ende setzen wollte? Oder hatte sie Feinde, denen du zutrauen würdest, dass sie die Journalistin lieber tot als lebendig sehen wollten?“
Die Praktikantin schüttelte leidenschaftlich den Kopf.
„Nein, Frau Kommissarin. Nora wollte nicht sterben. Da bin ich mir hundertprozentig sicher. Diesen Eindruck hat sie überhaupt nicht auf mich gemacht. Und Feinde? Sorry, da muss ich passen. Sie war ja Klatschjournalistin. Da wird sie wohl dem einen oder anderen auf den Schlips getreten sein. Aber Namen kann ich Ihnen nicht nennen. Ich habe Nora ja erst vor einer Woche kennen gelernt.“
Isa überreichte der Praktikantin eine ihrer dienstlichen Visitenkarten, die sie immer bei sich hatte.
„Bitte ruf’ mich an, wenn dir noch was einfällt, Jasmin. Jede Kleinigkeit kann wichtig sein.“
„Logo, das mache ich, Frau Kommissarin. Ich will ja auch, dass Sie den Mistkerl fangen, der Nora das angetan hat.“
Isa nickte der jungen Frau noch einmal zu und verließ die Teeküche. Auf dem Korridor sprach eine Dame in typischer Sekretärinnen-Aufmachung mit einem der uniformierten Polizeikollegen.
„Jedenfalls möchte unser Chefredakteur, Herr Wecker, sobald wie möglich mit dem leitenden Ermittlungsbeamten sprechen.“
Isa trat auf die beiden zu.
„Das lässt sich einrichten. Ich bin Kriminalhauptkommissarin Isa Boysen. Und ich leite die Ermittlungen im Mordfall Nora Fabian.“
Die Verlagsmitarbeiterin hob die Augenbrauen. Ganz offensichtlich hatte sie nicht erwartet, dass eine junge Frau die Untersuchung führte.
„Im ... Mordfall, Frau Kommissarin? Aber ich dachte, hier liegt ein Selbstmord vor.“
„Für die Schlussfolgerungen ist die Polizei zuständig“, sagte Isa. Das klang arrogant und entsprach daher eigentlich überhaupt nicht Isas Charakter. Aber die ganze Atmosphäre in dieser Klatschredaktion ging der Kriminalistin gegen den Strich. Hier wurde ungeheuer viel Geld verdient, nur weil sich Menschen für das Liebes- und Berufsleben von so genannten Prominenten interessierten. Und wenn die eigene Kollegin elend verblutete, hatte man nichts Besseres zu tun, als die Kamera draufzuhalten!
Das entsprach jedenfalls nicht Isas Vorstellung von einer soliden Art, das tägliche Brot zu verdienen.
Die Frau von NUMMER EINS schlug die Augen nieder.
„Äh, gewiss, Frau Kommissarin. Entschuldigen Sie bitte. Wenn Sie mir dann folgen wollen?“
Isa nickte schweigend. Sie ging hinter der Sekretärin her und hielt dabei ihre Sporttasche so bedeutungsschwer, als würde dieses bereits jede Menge Belastungsmaterial beinhalten. Und nicht ein Paar Schlittschuhe und eine rote Zipfelmütze.
Das Büro von Chefredakteur Raimund Wecker hatte die Größe eines kleinen Tanzsaales. Durch die großen Panoramafenster konnte man das obere Ende der Mönckebergstraße und den Rathausmarkt sehen. Diesen Anblick fand Isa erfreulicher als das Gemälde, mit dem die weiße Wand verziert war. Es stammte offenbar von einem zeitgenössischen Künstler. Bei der Komposition aus Rot und Gelb konnte man unmöglich erkennen, was es darstellen sollte.
Auf den Mann, der unter dem Gemälde in einem schwarzledernen Chefsessel saß, traf das genaue Gegenteil zu. Raimund Wecker verkörperte hundertprozentig einen befehlsgewohnten Erfolgsmenschen. Seine Energie bemerkte man schon an der Art, wie er hochschnellte und Isa seine Rechte entgegenstreckte.
Falls der Chefredakteur irritiert darüber war, eine Frau vor sich zu haben, ließ er es sich jedenfalls nicht anmerken. Die Kriminalistin gab ihm die Hand. Seine Finger waren manikürt, sein Händedruck fest und angenehm. Mit diesen beiden Eigenschaftswörtern konnte der ganze Mann beschrieben werden, dachte Isa. Jedenfalls auf den ersten Blick.
Raimund Wecker war groß und breitschultrig. Sein Körper steckte in einem grauen Geschäftsanzug, der offensichtlich als Maßarbeit in der Londoner Savile Row angefertigt worden war. Dem Paradies aller Herrenausstatter dieser Welt. Wie so viele Hamburger in Spitzenpositionen hatte auch Wecker eine Vorliebe für das Englische. Und für das Detail, wie Isa sofort feststellte. Ihrem Kriminalistinnenblick entging nicht, dass der Chefredakteur goldene Manschettenknöpfe mit den Initialen R. W. trug. Und natürlich eine dazu passende Krawattennadel mit demselben Signet. Es kam heutzutage nur noch selten vor, dass Männer Oberhemden mit separaten Manschettenknöpfen benutzten. Aber zu Raimund Wecker passte es, ohne dass er dadurch altmodisch wirkte. Isa schätzte ihn auf Anfang bis Mitte fünfzig. Wecker deutete auf den Besucherstuhl, der auf der anderen Seite seines Marmorschreibtisches stand. Die Chefsekretärin servierte unaufgefordert Kaffee.
„Sie wollten mich sprechen, Herr Wecker?“
Mit diesen Worten begann Isa die Unterredung, nachdem die gestylte Dame im Geschäftskostüm den Raum verlassen und die Tür hinter sich geschlossen hatte. Außerdem zeigte Isa noch einmal ihre Legitimation, nannte ihren Namen und Dienstrang.
„Ja, Frau Boysen. Zunächst geht es mir darum, wann unsere Arbeit hier wieder normal weiterlaufen kann nach dem bedauerlichen Freitod von Nora Fabian.“
Isa zog die Augenbrauen zusammen.
„Meine Kollegen von der Technischen Abteilung müssten innerhalb der nächsten Stunde mit der Spurensicherung fertig sein. Der Leichnam wird vermutlich in diesen Minuten abgeholt und ins Gerichtsmedizinische Institut gebracht. – Was veranlasst Sie übrigens zu der Annahme, dass Frau Fabian Selbstmord begangen hat?“
Der Chefredakteur ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Er machte eine unbestimmte Handbewegung.
„Nun, ein Mitarbeiter sagte mir, sie hätte sich die Pulsadern aufgeschnitten ...“
„War das der Kerl, der gleich Fotos von der blutigen Leiche gemacht hat?“
Diese patzige Bemerkung konnte Isa sich nicht verkneifen.
Raimund Wecker zog seine buschigen Augenbrauen zusammen.
„Herr Haller ist nur seiner journalistischen Aufklärungspflicht nachgekommen, Frau Kommissarin.“
„Lassen wir das Thema beiseite. – Ich bin jedenfalls hier, um den Tod von Nora Fabian aufzuklären. Meiner Meinung nach ist es keinesfalls sicher, dass sie freiwillig aus dem Leben geschieden ist. Daher frage ich Sie, Herr Wecker, ob Ihnen etwas von Drohungen gegen Nora Fabian bekannt ist. Gab es Menschen, die Ihre Mitarbeiterin gehasst haben?“
Der Chefredakteur stand auf und begann damit, zwischen Wand und Schreibtisch auf und ab zu gehen.
„Nun, als Reporterin hat sie sich natürlich nicht immer nur beliebt gemacht. Schließlich ist beispielsweise die Scheidung von Konsul Delgado und seiner Gattin Melissa letztlich auf Enthüllungen von Nora Fabian zurückzuführen, die dann prompt von NUMMER EINS exklusiv veröffentlicht wurden.“
Isa machte sich Notizen.
„Und diesem Konsul ... wie war sein Name? ... würden Sie also zutrauen, Frau Fabian ermorden zu lassen?“
„Um Gottes Willen, nein! Sie schreiben das doch nicht etwa mit? – Frau Boysen, das war nur ein Beispiel. Eines von vielen. Aber es gehört zum Leben von Prominenten, in den Medien zu erscheinen. Und sei es mit einem handfesten Skandal. Letztlich sind wir Journalisten ebenso auf die Stars angewiesen wie sie auf uns.“
„Nun gut, stellen wir die Prominenten zurück, Herr Wecker. Nach meiner beruflichen Erfahrung findet sich der Mörder oftmals im direkten Umfeld des Opfers. Also in der Familie, im Freundeskreis oder am Arbeitsplatz. – Was ist Ihnen über die Angehörigen von Nora Fabian bekannt?“
Der Chefredakteur legte nachdenklich die Stirn in Falten.
„So weit ich weiß, ist ... war Frau Fabian Vollwaise. Sie wurde von einer alten Tante aufgezogen, die aber auch starb, kurz nachdem ihre Pflegetochter volljährig geworden war. Nora Fabian muss damals schon sehr ehrgeizig gewesen sein. Ihre Erbschaft ermöglichte es ihr, die Schule abzuschließen und sofort mit dem Journalistik-Studium zu beginnen.“
„Ich verstehe. Also sind keine näheren lebenden Verwandten vorhanden?“
„Nicht, dass ich wüsste. Aber ich habe so gut wie nie mit Frau Fabian über familiäre Dinge geredet. Wir arbeiten hier sehr hart, Frau Kommissarin. 12- oder 14-Stunden-Tage sind eher die Regel als die Ausnahme. Da bleibt keine Zeit für Privates.“
Mir kommen gleich die Tränen, dachte Isa ironisch. Aber sie sagte: „Dann wissen Sie wohl auch nicht, was Nora Fabian für einen Freundeskreis hatte?“
„Ihre beste Freundin kann ich Ihnen immerhin nennen, Frau Boysen. Die Dame heißt Ines Bern. Sie ist freiberufliche Fotodesignerin und arbeitet auch öfter für NUMMER EINS. Frau Bern kam auch öfter privat hier in der Redaktion vorbei. Natürlich hat sie es so eingerichtet, dass Nora Fabians Arbeit nicht darunter litt. Frau Bern ist selbst professionell genug, um so zu denken.“
Isa notierte sich den Namen.
„Woher wissen Sie so genau, dass Ines Bern Nora Fabians beste Freundin war, Herr Wecker?“
„Weil sie es selbst öfter erwähnt hat. ,Ines ist meine beste Freundin.’ Diesen Satz habe ich mehr als einmal von ihr gehört.“
„Und wie sieht es mit einem Freund oder Liebhaber aus? Nora Fabian war ja zu Lebzeiten sehr attraktiv, wenn ich das richtig sehe.“
Der Chefredakteur zögerte mit seiner Antwort für Isas Geschmack einen Moment zu lange.
„Das sehen Sie richtig, Frau Boysen. Aber da muss ich Sie enttäuschen. Wenn es da einen Mann in Frau Fabians Leben gegeben hat, kann ich Ihnen den Namen nicht nennen.“
Das konnte sich Isa nur schwer vorstellen. Wenn bei NUMMER EINS auch nur halb so viel getratscht wurde wie im Hamburger Polizeipräsidium, dann hätte der Chefredakteur mindestens ein halbes Dutzend möglicher Kandidaten benennen können. Andererseits: Wenn sie, Isa Boysen, sterben sollte und man Dr. Kranach nach ihrem möglichen Liebhaber fragte, dann würde der Kriminaloberrat gewiss länger als ein paar Sekunden herumdrucksen. Und außerdem puterrot anlaufen. Doch der Vergleich hinkte, wie Isa selbst wusste. Sie hielt nämlich Raimund Wecker für viel abgebrühter als ihren eigenen Vorgesetzten ...
„Dann bleibt natürlich noch die Frage offen, ob es hier bei Ihnen im Haus sozusagen Todfeinde von Nora Fabian gibt, Herr Wecker.“
Das Gesicht des Chefredakteurs nahm einen unwilligen Ausdruck an.
„Meinen Sie, wir würden Killer einstellen?“
„Durchaus nicht, Herr Wecker“, entgegnete Isa gelassen. „Doch die meisten Menschen werden nicht als Killer oder Mörder geboren, sondern kommen in eine Situation, die sie einen Menschen töten lässt. Manche tun es wie aus heiterem Himmel, andere planen die Bluttat monatelang minutiös vor. – Ich weiß selbst, dass es am Arbeitsplatz fast überall Reibereien gibt. Mobbing ist ein beliebtes Stichwort dazu. Aber ich habe bewusst von Todfeinden gesprochen. Damit dürfte klar sein, dass es nicht um kleinere Meinungsverschiedenheiten oder Rivalitäten geht.“
„Klar? Sonnenklar, Frau Kommissarin“, höhnte der Chefredakteur. „Aber ich muss Sie trotzdem enttäuschen. In der Redaktion von NUMMER EINS gibt es niemanden, den ich mit gutem Gewissen als Nora Fabians Todfeind bezeichnen könnte.“
„Nun gut.“ Isa schaute ihrem Gegenüber direkt ins Gesicht. „Solange es keine eindeutigen Hinweise auf einen Freitod gibt, muss ich auch einen Mord in Betracht ziehen. Daher frage ich Sie: Wie viele Personen haben nachts zwischen drei und vier Uhr Zugang zu den Redaktionsräumen?“
Wecker legte den Kopf in den Nacken und bewegte stumm die Lippen. Wahrscheinlich rechnete er im Kopf. Schließlich sagte er: „52 Personen, mich selbst eingeschlossen. Jedenfalls lautet so meine erste grobe Schätzung.“
„Ist der Empfang an der Eingangshalle nachts besetzt?“
„Ja, und zwar von einem Wachmann eines privaten Sicherheitsdienstes. Den haben wir sozusagen gemietet. Aber da es sich turnusmäßig immer um dieselben Wächter handelt, kennen sie natürlich meine Mitarbeiter.“
„Und was heißt das?“
„Das bedeutet, wenn zum Beispiel ich selbst um ein Uhr morgens unten hereingeschneit käme, würde mich niemand fragen, was ich hier zu suchen habe.“
„Das ist logisch, Herr Wecker. Gibt es noch einen weiteren Zugang?“
„Ja, einen Nebeneingang. Der kann mit einem Spezialschlüssel im Scheckkartenformat geöffnet werden. Jede feste Mitarbeiterin und jeder feste Mitarbeiter bekommt so einen bei Einstellung ausgehändigt.“
Er griff in die Hosentasche und zog einen entsprechenden Schlüssel-Chip hervor. Wecker ließ das Plastikstück über die Tischplatte flitzen wie einen Poker-Jeton. Isa fing es auf, betrachtete es kurz und schnipste es dann zurück.
„Stechuhren oder ähnliche Zeitkontrollsysteme gibt es bei Ihnen nicht?“, fragte Isa.
„Nein, Frau Kommissarin. Wir sind ja keine Beamten, die stur ihre Stunden absitzen, sondern kreative Köpfe. – Oh, verzeihen Sie bitte! Ich wollte Sie selbst damit keinesfalls beleidigen.“
Arroganter Pinsel!, dachte Isa. Aber sie schenkte dem Chefredakteur ein honigsüßes Lächeln und sagte: „Oh, ich fühle mich auch nicht angesprochen. Zu anderen Zeiten sitze ich in der Tat meine Stunden im Polizeipräsidium ab. Aber heute habe ich meinen freien Tag. Diesen Fall löse ich sozusagen als Freizeitvergnügen. – Vielen Dank für die Informationen, Herr Wecker!“
Isa stand auf und ließ den Chefredakteur etwas ratlos zurück. Er überlegte anscheinend, ob sie ihn hochnehmen wollte oder nicht. Nun, das sollte nicht Isas Problem sein. Die Hauptkommissarin war sicher, dass sie in den nächsten Tagen noch öfter das NUMMER EINS-Gebäude an der Mönckebergstraße würde aufsuchen müssen. Das behagte ihr gar nicht.
Der Hinweis mit dem Schlüssel-Chip war nicht schlecht gewesen, wie Isa fand. Logischerweise müsste ja auch Nora Fabian eine solche Plastikkarte besessen haben. Isa notierte sich im Geist, dass sie die Spurensicherer danach fragen wollte.
Einstweilen verzichtete Isa auf weitere Befragungen in der Redaktion. Sie wollte erst einmal ihre Gedanken ordnen. Außerdem erwartete Dr. Kranach sie wahrscheinlich schon im Präsidium für einen ersten Zwischenbericht.
Ein kalter Wind wehte von der Elbe herüber, als Isa aus dem Verlagsgebäude kam. Möwen flogen kreischend hoch über der Fahrbahn. Die Vögel schienen in der Luft zu stehen. Isa ging die Mönckebergstraße hoch und stieg an der Station Rathaus in die U-Bahn. Sie fuhr mit der U 3 bis Kellinghusenstraße und stieg dort in die U 1 um, die sie nach Alsterdorf im Hamburger Norden brachte. Dort befand sich seit einiger Zeit das neue Polizeipräsidium.
Isa besaß keinen eigenen PKW, da sie während der Arbeit meist ohnehin mit einem Dienstwagen unterwegs war. Als die Hauptkommissarin die Räume der 3. Mordbereitschaft betrat, fiel ihr sofort die gähnende Leere auf. Es machte schon eine Menge aus, wenn so viele Kollegen krankgeschrieben waren. Momentan saß nur Heiner Kuhn an seinem Schreibtisch und telefonierte. Isa blickte sich suchend um.
„Hältst du nach mir Ausschau, Isa?“
Die Kriminalistin zuckte zusammen, als sie die Männerstimme hinter sich hörte. Aber sie hatte Arne natürlich sofort erkannt. Er war offenbar direkt hinter ihr hereingekommen.
„Bilde dir bloß nichts ein, mein Lieber! Ich hatte mich nur gerade gefragt, ob ich den Laden hier allein schmeißen muss. Abgesehen von dem guten Heiner natürlich.“
In Wirklichkeit war es allerdings schon so, dass Isa instinktiv Arnes Nähe suchte. Ihr Verhältnis war neuerdings ziemlich kompliziert geworden. Früher gab es einfach nur eine kollegiale Freundschaft zwischen ihnen. Doch seit Isa einmal mit Arne geschlafen hatte, konnte sie ihm nicht mehr unbefangen begegnen. Und ihm ging es genauso, wie sie wusste.
Immerhin hatte Arne ihr bei dieser Gelegenheit seine Liebe gestanden. Allerdings liebte er gleichzeitig auch seine Frau Svenja, was die Angelegenheit nicht gerade vereinfachte ...
Es war, als ob Arne Isas Gedanken gelesen hätte.
„Svenja ist heute mit Pia zu meinen Schwiegereltern nach Husum gefahren“, sagte der gut aussehende Hauptkommissar. „Sie werden erst in einer Woche zurückkehren.“
„Dann hast du ja jetzt sturmfreie Bude“, neckte Isa ihn. „Startest du heute Abend gleich ein großes Trinkgelage mit deinen Kumpels?“
„Ich bin froh, wenn ich irgendwann im Bett lande“, seufzte Arne. „Da Michael ja nun krank ist, muss ich mich allein um den Raubmord in Barmbek kümmern.“
„Mein Mitgefühl ist dir sicher“, frotzelte Isa. „Jetzt muss ich aber erstmal zum Chef. Er wird mich schon sehnsüchtig erwarten.“
„Du hast doch heute eigentlich frei, oder?“
„Ja, aber die Grippewelle kennt keine Gnade, Arne. – Wir sehen uns dann später, in Ordnung?“
„In Ordnung, Isa.“
Während Isa scheinbar locker zum Büro von Dr. Kranach hinüberging, schlugen ihre Gedanken Purzelbäume.
Warum nur hatte Arne ihr erzählt, dass seine Frau und seine Tochter weggefahren waren? Sollte das ein Wink mit dem Zaunpfahl sein? Wünschte er sich, dass Isa zu ihm kam?
Oh, das wünschte er sich ganz bestimmt. Da war die Kriminalistin sicher. Und sie selbst konnte sich auch nichts Schöneres vorstellen als eine Nacht in Arnes Armen, wenn sie ehrlich war. Doch so einfach waren die Dinge leider nicht.
Isa wollte nämlich Arnes Ehe nicht zerstören. Das hatte nichts mit Selbstaufopferung zu tun. Vielmehr konnte sie nicht ihr eigenes Glück auf dem Unglück anderer aufbauen. Da hatte sie eine innere Sperre.
Doch nun mussten ihre privaten Wehwehchen erst einmal warten. Isa klopfte an die Tür des Kriminaloberrates und trat gleich darauf ein.
Dr. Kranach hockte über unzähligen Akten. Er war ein älterer Mann mit Übergewicht und schlecht sitzenden Anzügen.
„Und?“, bellte Dr. Kranach. „Konnten Sie die Angelegenheit bei NUMMER EINS bereinigen, Frau Boysen?“
Isa merkte sofort, dass ihr Vorgesetzter eine fürchterliche Laune hatte. Er starrte sie an, als ob er ihr am Liebsten ins Gesicht springen würde. Wenn Isa jetzt auch noch erwähnte, dass sie nicht an einen Selbstmord glaubte, würde Dr. Kranach einen Tobsuchtsanfall bekommen. Da half nur weibliche List ...
„Jawohl, Herr Dr. Kranach“, sagte Isa daher scheinbar brav. „Ich denke, dass wir es eindeutig mit einem Freitod zu tun haben. Darum sollten wir die Akte möglichst schnell schließen, bevor die Medien, besonders das Fernsehen, die Sache zu sehr aufbauschen ...“
Dr. Kranach war hellhörig geworden.
„Das Fernsehen? Aufbauschen? Wieso?“
„Das Opfer, diese Nora Fabian, war wohl selbst recht prominent, Herr Kriminaloberrat. Zumindest eine Zeugin zweifelt unsere Selbstmordtheorie an. Ich halte das natürlich für überzogen, aber ...“
„Nicht so eilig, Frau Boysen. Und was tun wir, falls diese Nora Fabian wirklich ermordet wurde? Dann steht die Kripo Hamburg wieder einmal dumm da. – Ermitteln Sie ruhig weiter, Frau Boysen. Prüfen Sie, ob nicht vielleicht doch ein Mord vorliegt. Ich werde gleich mal beim NDR anrufen und fragen, ob das Fernsehen einen Kommentar von mir haben will. Eine Bluttat mitten in einer Zeitschriftenredaktion – das ist doch spektakulär genug, sollte man meinen.“
Die Aussicht auf einen Fernsehauftritt hatte Dr. Kranachs Laune sofort gebessert. Es war nämlich seine große Leidenschaft, vor laufende TV-Kameras zu treten.
„Ja, dann werde ich auch die Möglichkeit einer Ermordung berücksichtigen“, sagte Isa. Sie konnte kaum ihre Freude darüber verhehlen, dass Dr. Kranach ihr wieder einmal auf den Leim gegangen war.
„Ich hatte Ihnen ja von Anfang an gesagt, dass eine Fremdeinwirkung dahinter steckt. Aber Sie hören ja nie zu. Nun aber an die Arbeit mit Ihnen, Frau Boysen!“
Isa verließ den Raum. Zwar hatte ihr Vorgesetzter nie etwas in der Art geäußert, aber die Kriminalistin hatte sich schon längst daran gewöhnt, dass Dr. Kranach ihr gerne das Wort im Mund verdrehte oder ihre Einfälle als seine eigenen genialen Vorschläge ausgab. Es war ihr auch egal, solange sie ihre Pläne verfolgen konnte.
Die Kriminalistin ging zu ihrem Schreibtisch. Sie rief Norbert Schröder auf dessen Handy an.
„Hier spricht Isa. Wann nehmt ihr euch die Wohnung von dieser Nora Fabian vor?“
„Hallo, Isa“, erwiderte der Leiter des Spurensicherungsteams. „Ich denke mal, dass wir in einer Stunde dort sein können. Wollen wir uns da treffen?“
„Ja, gern. Ich werde euch schon nicht im Weg herumstehen.“
Es kam Isa nämlich darauf an, sich möglichst schnell ein Bild von der Ermordeten zu machen. Wenn die Kriminalistin das Opfer besser kennen lernte, würde sie auch den Täter schneller ermitteln können. Das hatte die Erfahrung immer wieder gezeigt.
Eine Stunde Zeit also. Isa fuhr schnell nach Hause, um ihre Kleidung zu wechseln. Ihr sportlicher Look war zum Eislaufen genau richtig gewesen. Aber als Ermittlerin trat sie doch lieber etwas seriöser auf. Außerdem wollte sie nicht den ganzen Tag lang diese Schlittschuhe mit sich herumschleppen.
Zum Glück wohnte Isa nicht allzu weit vom Präsidium entfernt. Sie hatte eine restaurierte Altbau-Wohnung mit zwei Zimmern in Hoheluft.
Auch für eine Dusche und einen Jogurt im Stehen war noch Zeit. Dann warf sich Isa in ein rostfarbenes Tweedkostüm mit knielangem Rock und dazu passendem karamellfarbenen Rollkragenpulli. Eine blickdichte dicke Strumpfhose war genau das Richtige bei den frostigen Dezember-Temperaturen. Nun zog Isa noch pelzgefütterte Stiefeletten an und war bereit.
Nora Fabian hatte am Schwanenwik gewohnt. Das war eine exklusive Straße mit Panoramablick auf die Außenalster. Wer dort wohnte, nagte ganz bestimmt nicht am Hungertuch. Die Kriminalistin traf offenbar nur wenige Minuten nach dem Spurensicherungsteam ein. Die Kollegen begannen gerade damit, ihre Ausrüstung aufzubauen.
Isa verschaffte sich zunächst einen allgemeinen Überblick. Das Apartment des Mordopfers war ein Neubau, schätzungsweise allerhöchstens zehn Jahre alt. Die drei Zimmer erinnerten Isa allerdings eher an die Ausstellungsräume eines exklusiven Möbelhauses als an die Wohnung eines lebendigen Menschen. Doch dafür konnte es eine ganz einfache Erklärung geben. Wenn nämlich die Journalisten von NUMMER EINS wirklich so lange arbeiteten, wie Raimund Wecker behauptete, dann war Nora Faber oftmals wohl nur zum Schlafen nach Hause gekommen.
Langsam streifte die Kriminalistin durch die Wohnung. An den Wänden hingen vergrößerte Fotos von ausländischen Städten bei Nacht: New York, Buenos Aires, Kairo, Paris, Moskau, Athen. Isa verstand nicht viel von Foto-Design. Aber es kam ihr so vor, als würden alle diese Bilder sozusagen dieselbe Handschrift tragen.
Ob sie von Ines Bern stammten, der besten Freundin des Mordopfers?
Das würde sich herausfinden lassen. Genau wie ihre Kollegen von der Technischen Abteilung hatte Isa sich Einweg-Untersuchungshandschuhe aus Plastik übergestreift. Sie wollte den Spurensicherern zwar nicht ins Handwerk pfuschen, aber gerade deshalb legte sie Wert darauf, keine Spuren unabsichtlich zu zerstören.
Die Hauptkommissarin hatte zunächst nur flüchtig ins Wohnzimmer, Schlafzimmer und Arbeitszimmer geschaut. Dann nahm sie sich die Küche vor. Die Einbauelemente wirkten nagelneu und blitzblank. Es sah jedenfalls nicht so aus, als ob Nora Fabian jemals ein Küchengerät benutzt hätte – wenn man einmal von Kaffeemaschine, Toaster und Mikrowelle absah.
Der Panoramablick auf die Außenalster war Wohn- und Schlafzimmer vorbehalten. Von der Küche aus schaute man nur auf einen begrünten Parkstreifen. Doch das interessierte Isa weniger. Sie konzentrierte sich auf ein schwarzes Brett aus Kork, das zwischen Fenster und Geschirrspüler an der Wand hing. Dort befand sich das übliche Sammelsurium aus Menükarten vom Pizzaservice, entwerteten Eintrittstickets, Schnappschüssen, Mitteilungen der HEW (Hamburger Elektrizitätswerke) und sonstigen Nutzlosigkeiten.
Ein Polaroid-Foto zeigte einen jungen Mann im Smoking. Seinen schwarzen Querbinder hatte er gelöst. Er schien nicht mehr ganz nüchtern zu sein und lachte in die Kamera.
Der Knabe sah nicht übel aus, wie Isa fand. Ein Schönling war er andererseits aber auch nicht. Jedenfalls hatte es im Leben von Nora Fabian zumindest einen Mann gegeben. Jetzt musste Isa nur noch herausfinden, was für eine Beziehung sie zu ihm gehabt hatte. Liebhaber? Bester Freund? Große Liebe? Arbeitskollege? Ehemaliger Schulkamerad?
Isa wollte das Foto auf jeden Fall an sich nehmen, falls die Spurensicherung nichts damit anfangen konnte. Eine Postkarte weckte ebenfalls Isas Neugier. Es war eine Ansichtskarte aus Hongkong. Sie zeigte die Skyline der ostasiatischen Metropole. Außerdem waren dort die Worte „Greetings from Hongkong“ zu lesen. Darunter standen chinesische Schriftzeichen, die vermutlich dasselbe aussagten.
Die Kriminalistin löste vorsichtig die Nadel, mit der die Karte an der Pinnwand befestigt war. Dann nahm sie den papierenen Gruß herunter und drehte das Stück bunter Pappe um.
„Liebe Nora, herzliche Grüße aus dem Perlflussdelta. Schade, dass du nicht hier bist. In Hongkong kann man wunderbar shoppen. Bis bald an der Elbe, deine Ines.“
Ein freundlicher, wenn auch nichts sagender Kartengruß, wie Isa fand. Ines, das war höchstwahrscheinlich Ines Bern. Die Schreiberin hatte das Datum weggelassen, aber der chinesische Poststempel zeigte den 23. Oktober. Demnach musste Ines Bern längst wieder in Hamburg sein. Falls sie sich nicht gerade in einer völlig anderen Weltgegend bewegte ...
„Isa!“
Der Ruf eines Spurensicherers riss sie aus ihren Überlegungen. Die Kriminalistin fühlte sich beinahe schuldbewusst, weil sie eigenmächtig die Karte abgenommen hatte. Andererseits: Sie war keine Anfängerin mehr, die durch Tölpelhaftigkeit wichtige Spuren zerstörte.
Isa drehte sich zu dem Kollegen von der Technischen Abteilung um. Er kam zu ihr hinüber. In der rechten Hand hielt er eine Plastiktüte, in der Beweismaterial aufbewahrt und katalogisiert wurde.
Die Ermittlerin riss die Augen auf, als sie den kleinen Gegenstand sah, der sich in dem Behältnis befand.
„Kannst du damit etwas anfangen?“ Der Kollege grinste. „Du musst nicht antworten, Isa. Dein Gesicht spricht Bände ...“
„So, tut es das?“ Isa war völlig aus dem Häuschen. „Wo habt ihr das gute Stück denn sichergestellt?“
„Unter dem Bett. Eigentlich ist die Wohnung ja tadellos sauber, wie du mir bestätigen wirst. Hier muss eine verflixt gute Putzfrau am Werke sein. Aber hundertprozentig perfekt ist sie doch nicht.“
„Zum Glück!“, rief Isa. „Kann ich das haben? Ihr kriegt es auch später wieder. Aber ich brauche es jetzt sofort.“
„Es ist noch nicht kriminaltechnisch untersucht, wie du dir denken kannst. Da muss ich erst den Großen Meister fragen.“
Der Techniker wandte sich an Norbert Schröder. Der Teamleiter war nicht begeistert davon, dass Isa das Beweisstück jetzt schon an sich nehmen wollte.
„Ihr bekommt es auch später wieder!“, bettelte die Hauptkommissarin. „Aber ich will einen Verdächtigen damit konfrontieren, Norbert. Bitte!“
„Also gut“, schmunzelte der oberste Spurensicherer. „Du wirst schon nicht damit stiften gehen.“
„Du bist ein Schatz! Ihr bekommt es noch heute Abend zurück.“
Mit diesen Worten machte sich Isa davon. Ihre rechte Hand hielt die Plastiktüte umklammert. Sie lief die Treppe hinab und rief sich per Handy ein Taxi herbei. Isa hatte jetzt nicht die Ruhe, um Öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Doch bei der Taxizentrale kam sie nicht durch.
Isa fluchte undamenhaft. Da kam ihr der Zufall zu Hilfe. Ein Streifenwagen fuhr langsam am Schwanenwik herunter Richtung Sechslingspforte. Die Hauptkommissarin gestikulierte wild. Das Einsatzfahrzeug, das in Hamburg „Peterwagen“ genannt wird, fuhr an die Bordsteinkante.
Isa riss die hintere Tür auf und ließ sich in den Fonds fallen.
„Könnt ihr mal bitte Taxi für mich spielen?“
„Was erlauben Sie sich?“, knurrte der junge uniformierte Polizist am Lenkrad. Doch sein älterer Kollege lachte.
„Schon gut, Thorsten. Die Lady gehört zu uns, kapierst du? Das ist Kriminalhauptkommissarin Isa Boysen. – Wo soll’s denn hingehen, Isa?“
„Zur Mönckebergstraße, Werner.“
Der Polizist blinzelte.
„Aber nicht zum Shoppen, oder?“
„Nicht direkt“, erwiderte Isa trocken. „Ich will mir nur einen Verdächtigen kaufen.“
„Wenn’s weiter nichts ist ... Drück’ auf die Tube, Thorsten!“, sagte Werner. Der ältere Obermeister war offenbar Streifenführer in dem Peterwagen.
„Tja, in der Vorweihnachtszeit ist Hamburg schwer zu verdauen“, sinnierte Werner.
Normalerweise war Isa immer für ein Schwätzchen mit Kollegen zu haben. Doch momentan waren ihre Gedanken bei dem Verdächtigen, der sich durch das Beweisstück in ihrer Tasche zum Hauptverdächtigen gemausert hatte.
„Könnt ihr Blaulicht und Sirene anstellen?“, bat Isa, nachdem sie ihr Fahrtziel genannt hatte. „Mir ist nach einem dramatischen Auftritt zu Mute. Ihr braucht aber nicht auf mich zu warten, sondern könnt dann gleich weiterfahren.“
„Für dich tun wir doch alles. – Lass krachen, Thorsten!“
Da die Mönckebergstraße außer für Busse und für Taxis ohnehin für den Verkehr gesperrt war, gab es keine Probleme mit dem Durchkommen. Umso mehr Aufmerksamkeit erzielte der Peterwagen, als er mit gellenden Sirenen direkt vor dem Verlagsgebäude von NUMMER EINS zum Stehen kam.
Isa bedankte sich noch einmal bei den Polizeikollegen und sprang aus dem Auto. Ihren blauen Dienstausweis hatte sie am Revers ihres Tweed-Kostüms befestigt. Sie wollte ihrem Hauptverdächtigen eine Szene machen, die er so schnell nicht vergessen würde.
Die Ermittlerin stürmte in das Gebäude. Die Schönheit hinter dem Empfangstresen schaute irritiert aus der Wäsche.
„Ich will zu Raimund Wecker“, zischte Isa, „und unterstehen Sie sich, ihn telefonisch vorzuwarnen!“
Bevor die Frau antworten konnte, fuhr Isa mit dem Lift hoch in die Chefetage. Auch die Chefsekretärin war auf Isas resolutes Auftreten nicht vorbereitet.
„Wo ist Wecker? In seinem Büro?“, wollte Isa wissen.
„Nein, er leitet gerade die Redaktionssitzung.“
„Wo ist das?“
„Im Besprechungssaal am Ende des Flures. Aber Sie können dort nicht ...“
„Das werden wir ja sehen!“
Isa brauchte niemandem Wut vorzuspielen. Von diesem Gefühl hatte sie jede Menge im Bauch. Dieser aalglatte Kerl hatte sie scheinheilig an der Nase herumgeführt, ihr Informationen vorenthalten. Es war immerhin tröstlich, dass er nur wenige Stunden lang damit durchgekommen war.
Isa riss die Tür zum Konferenzraum auf. Raimund Wecker saß am Ende eines langen Tisches, der zu beiden Seiten mit Journalistinnen und Journalisten von NUMMER EINS bevölkert war. Auf dem Tisch lagen Papiere und Kladden, Fotos, Kaffeetassen und das übliche Besprechungs-Sammelsurium. Der Chefredakteur starrte die Kriminalistin ungehalten an.
„Frau Boysen! Was soll das? Sind Sie wahnsinnig geworden?“
„Das glaube ich nicht, Herr Wecker“, antwortete Isa mit eisiger Stimme.
Sie ging an dem ganzen langen Tisch entlang, bis sie direkt neben dem Stuhl des Chefredakteurs stand.
„Im Mordfall Nora Fabian sind neue Beweise aufgetaucht“, sagte die Kriminalistin, jedes Wort betonend. Sie zog die Plastiktüte hervor. Aber sie hielt sie so, dass nur Wecker ihren Inhalt sehen konnte.
Die Tüte enthielt einen goldenen Manschettenknopf mit den Initialen R. W. Die Spurensicherer
der Kripo Hamburg hatten den Gegenstand unter dem Bett der Ermordeten gefunden.
Raimund Weckers Gesicht nahm eine graue Farbe an.
„Die ... die Sitzung ist einstweilen vertagt. Jeder macht sich an ... an seine Arbeit. Wenn es noch Unklarheiten gibt, könnt ihr später einzeln mit mir sprechen. Aber jetzt muss ich erstmal die Kripo ... äh ... nun ja.“
Ein allgemeines Volksgemurmel erhob sich. Die Journalistinnen und Journalisten standen auf. Isa knöpfte wie zufällig ihr Jackett auf. Nun wurde ihre Dienstwaffe sichtbar, die sie in einem Clipholster am Rockgürtel trug. Sie schnitt ein so grimmiges Gesicht, als ob sie Raimund Wecker gleich mit vorgehaltener Pistole verhaften wollte. Und dazu hatte sie wirklich nicht übel Lust.
Der Konferenzraum leerte sich. Schließlich waren Isa und der Chefredakteur allein. Die Kriminalistin lehnte sich mit der Hüfte gegen den Tisch. Sie hatte die Arme vor ihren Brüsten verschränkt und schaute Raimund Wecker direkt ins Gesicht.
„Ich warte.“
Der Chefredakteur rang die Hände. Deutlich konnte man seinen goldenen Ehering erkennen. Von seinem morgendlichen Selbstbewusstsein war nicht viel übrig geblieben.
„Wo ... wo haben Sie diesen Manschettenknopf gefunden, Frau Kommissarin?“
„Was glauben Sie, wo die Kriminalpolizei dieses Beweisstück sichergestellt hat?“, fragte Isa zurück. Sie hatte ihre Worte bewusst so gewählt. Der Chefredakteur sollte kapieren, dass er es nicht mit einer einzelnen Person zu tun hatte. Sondern dass Isa Boysen die Kripo Hamburg und damit letztlich die Justiz repräsentierte.
Wecker machte eine unbestimmte Handbewegung, fuhr sich durch sein grau meliertes Haar.
„Der Manschettenknopf wird irgendwo in Nora Fabians Wohnung herumgelegen haben. Aber das beweist noch gar nichts ...“
„Oh doch! Sie, Herr Wecker, haben heute Morgen mir gegenüber eine wissentliche Falschaussage gemacht. Ich fragte Sie, ob Sie etwas über Nora Fabians Beziehungen zu Männern wüssten. Sie behaupteten, dazu nichts sagen zu können. Und verschwiegen mir dabei, dass die Ermordete Ihre Geliebte war!“
„Meine Geliebte“, wiederholte der Chefredakteur und senkte den Blick. „Das können Sie mir nicht beweisen.“
„Verkaufen Sie mich nicht für dumm!“, sagte Isa scharf. „Das könnte Ihnen nämlich schlecht bekommen. Einer meiner Kollegen hat diesen Manschettenknopf unter dem Bett von Frau Fabian gefunden. Man benötigt nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, wie er dahin gekommen ist.“
„Verstehen Sie mich doch, Frau Kommissarin! Ich bin verheiratet ...“
„Das sind die meisten Männer, die sich eine Geliebte halten“, höhnte Isa.
„Jedenfalls konnten Nora und ich unsere ... Affäre bisher bei NUMMER EINS erfolgreich geheim halten. Da dachte ich, es wäre auch Ihnen gegenüber möglich. Aber ich habe die Kripo Hamburg offensichtlich unterschätzt.“
„Offensichtlich“, stimmte die Kriminalistin zu. „Warum war es Ihnen denn so wichtig, diese Liebschaft unter der Decke zu behalten? Viele Männer in Ihrem Alter brüsten sich doch förmlich damit, wenn sie eine so junge und schöne Geliebte haben wie Nora Fabian.“
„Männer in meinem Alter“, wiederholte Wecker gekränkt. „Wie das klingt ... Aber ich will Ihnen den Grund nennen, Frau Kommissarin. Die Mitarbeiter sollten nichts von Nora und mir erfahren, damit Noras berufliche Fähigkeiten nicht in den Schmutz gezogen wurden. Sie war nämlich wirklich eine Spitzenreporterin. Aber wenn unsere Affäre bekannt geworden wäre ...“
„Ich verstehe, Herr Wecker. Dann hätte es geheißen, dass Nora Fabian nur deshalb zur Starreporterin gemacht wurde, weil sie mit dem Chefredakteur ins Bett geht.“
„Genauso ist es, Frau Kommissarin. Und ein solches Urteil wäre einfach unfair für ,die Nachtigall’ gewesen.“
„Wie bitte?“
„Ach so, der Name kommt Ihnen seltsam vor. Nora wurde hier bei NUMMER EINS gerne ,die Nachtigall’ genannt. Ein sehr treffender Spitzname, wie ich finde.“
„Warum?“
„Nun, zunächst ist die Nachtigall ein schönes Tier. Und dieser Vogel kann herrlich singen. Gesungen hat Nora zwar nicht, aber sie verstand es hervorragend, Prominente in Interviews zum Singen zu bringen. Ihnen also Neuigkeiten zu entlocken.“
„Gut und schön, Herr Wecker. Aber es bleibt dabei, dass Sie bei einer Morduntersuchung falsche Angaben gemacht haben. Ich muss Sie daher bitten, mir zu sagen, wo Sie in der vergangenen Nacht zwischen drei und vier Uhr morgens gewesen sind.“
„In meinem Bett, nehme ich an.“
„Gibt es dafür Zeugen?“
„Ja, meine Frau. – Moment mal! Glauben Sie vielleicht, ich hätte Nora ...?“
„Ich glaube gar nichts, Herr Wecker. Aber Sie haben bereits in einer Morduntersuchung falsche Angaben gemacht. Außerdem geben Sie an, der Liebhaber von Nora Fabian gewesen zu sein. Also könnte es auch ein Motiv geben.“
„Ein Motiv für einen Mord?“
„Eifersucht, beispielsweise“, sagte Isa schulterzuckend. „Die Tote war zu Lebzeiten offenbar eine sehr attraktive Frau. Warum hätten Sie der einzige Mann in Noras Leben sein sollen?“
Der Chefredakteur schüttelte den Kopf.
„Ich hätte Nora niemals töten können. Ich habe sie geliebt.“
Isa glaubte ihm kein Wort. Aber andererseits hatte Raimund Wecker ein Alibi vorzuweisen. Zumindest
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Feronia Petri
Cover: Germancreative, www.fiverr.com
Tag der Veröffentlichung: 08.06.2018
ISBN: 978-3-7438-7171-7
Alle Rechte vorbehalten