Dies ist ein Roman. Die Handlung ist frei erfunden. Alle Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Ereignissen oder eventuelle Namensähnlichkeiten sind nicht beabsichtigt und wären rein zufällig.
Inhalt:
Serienkiller im Fadenkreuz!
Als die Hamburger Polizei den mehrfachen Frauenmörder Dennis Schaper verhaftet, tauchen für Hauptkommissarin Heike Stein ganz neue Probleme auf. Selbsternannte Gerechtigkeitsfanatiker kommen an den eingesperrten Verbrecher nicht heran. Also stehen nun seine Ehefrau und sein Kind auf der Abschussliste des Lynchmobs. Oder ist Janina Schaper doch in die Bluttaten ihres Mannes verwickelt?
Und dann gibt es noch eine Bedrohung im Hintergrund, mit der Heike Stein überhaupt nicht rechnet. Bei weiteren Ermittlungen zeigt sich erst das ganze Ausmaß der Verbrechensserie. Und dann eskaliert die Situation.
Die Hauptkommissarin schwebt in akuter Lebensgefahr. Wird Heike Stein den heimtückischen Angriff rechtzeitig durchschauen?
Das Mobile Einsatzkommando kam zu spät.
Als die Eliteeinheit der Hamburger Polizei das Abbruchhaus in Bahrenfeld stürmte, waren die beiden jungen Frauen bereits tot.
Der Raum mit den Schimmelecken und der abblätternden Farbe auf den Wänden glich einem Schlachthaus. Wie sich später herausstellte, war der Tod von Saskia Rottmann und Nadine Tespe nur knapp eine Stunde vor dem Zugriff eingetreten. Und der Mörder dieser beiden jungen Frauen hatte bereits die Flucht ergriffen.
Doch dabei stellte der Verbrecher sich sehr dilettantisch an. Vielleicht fühlte er sich auch unangreifbar, weil das Töten ihn in einen Blutrausch versetzt hatte. Auf jeden Fall hatte der Killer mit Saskia Rottmann telefoniert, bevor sie ihm in die Falle gegangen war. Seine Mobilfunknummer befand sich noch im Anrufspeicher des Opfers.
Womöglich hatte er schlicht und einfach vergessen, ihr Smartphone mitzunehmen oder zu zerstören.
Die Polizei konnte im Handumdrehen seinen Namen ermitteln.
Der dringend Tatverdächtige hieß Dennis Schaper. Er hatte es noch nicht einmal für nötig befunden, sein eigenes Handy auszuschalten. Nur kurze Zeit nach der erfolglosen Aktion in Bahrenfeld drang das Mobile Einsatzkommando in ein Einfamilienhaus in Poppenbüttel ein. Laut Melderegister lebte Dennis Schaper dort mit seiner Ehefrau Janina und seiner Tochter Rabea.
Von der Frau und dem Kind fehlte jede Spur.
Die Beamten fanden den mutmaßlichen Mörder in einem fensterlosen Kellerraum, dessen Wände mit perversen Fotomontagen bedeckt waren. Die Bilder stammten teilweise aus alten vergilbten Pornoheften, andere waren heimlich aufgenommene Schnappschüsse, die offenbar ohne das Wissen der Frauen geschehen waren.
Außerdem gab es zahlreiche Lippenstifte, Puderdosen und andere persönliche Gegenstände von Frauen.
Trophäen?
Diese Frage ließ sich später immer noch klären.
Die Elitepolizisten brachten Dennis Schaper zu Boden und legten ihm Handschellen an. Sie stellten bei ihm sogar die Tatwaffe sicher, ein langes scharfes Gemüsemesser. Wie sich später bei den Obduktionen herausstellte, waren damit sowohl Saskia Rottmann als auch Nadine Tespe ermordet worden.
Der Mordfall schien aufgeklärt zu sein.
Doch damit fing der Alptraum für Hauptkommissarin Heike Stein erst richtig an.
Am nächsten Morgen ließ Kriminalrätin Dr. Laura Brink im Konferenzraum der Sonderkommission Mord ihren Blick über die Gesichter ihrer Untergebenen schweifen.
Da war die kleine Streberin Melanie Russ - zuverlässig, aber fantasielos. Ihr Dienstpartner Rüdiger Koslowski sah wieder einmal so aus, als ob er die Nacht auf der Reeperbahn durchgemacht hätte. Seine Augen waren wie üblich mit dunklen Ringen verunziert. Die Kriminalrätin wäre ihn gern losgeworden, aber sein Nachfolger würde womöglich noch schlimmer sein. Außerdem verfügte er über gute Unterwelt-Kontakte und war der richtige Mann, um in No-Go-Areas zu recherchieren. Niemand hätte Koslowski für einen Polizisten gehalten. Nach Meinung von Frau Dr. Brink sah er eher wie ein Langzeitarbeitsloser oder wie ein osteuropäischer Leiharbeiter aus, und das war manchmal von unschätzbarem Vorteil. Besonders bei Undercover-Einsätzen.
Ben Wilken wirkte hingegen gepflegt, wenn auch etwas langweilig. Die Kriminalrätin musste ihm zubilligen, dass er gut aussah. Wenn sie auf Männer gestanden hätte ... aber erstens war das nicht der Fall, und zweitens hielt sie den Hauptkommissar für eine Schlaftablette.
Was Heike Stein nur an ihm fand? Das würde Dr. Laura Brink niemals verstehen. Angeblich war die Affäre der beiden ja vorbei, doch davon glaube die Chefin kein Wort. Seit Wilkens Ehefrau Maja mit einem baltischen Mafioso durchgebrannt war, schienen Heike Stein und Ben Wilken einander wieder näherzukommen.
Dr. Laura Brink hätte vor Eifersucht platzen können. Ihre Hassliebe zu Heike Stein war immer noch nicht abgekühlt. Und sie wusste auch nicht, wie sich das jemals ändern sollte. Vor allem, wo sie sich doch jeden Tag bei der Arbeit sahen.
Die Kriminalrätin straffte sich und hoffte, dass ihr Mienenspiel nichts von ihren Gedanken verriet. Nicht umsonst wurde sie von ihren Mitarbeitern hinter ihrem Rücken Wikingerkönigin genannt. Dr. Laura Brink war heilfroh darüber, dass sie nach außen große Kühle und Distanz ausstrahlen konnte. Wie es in ihrem Inneren aussah, ging doch sowieso niemanden etwas an.
Immerhin hatten Heike Stein und Ben Wilken innerhalb kürzester Zeit einen dramatischen Doppelmord aufklären können. Und diesen Erfolg ihrer Mitarbeiter konnte Frau Dr. Brink sich natürlich an ihre Fahne heften, was sie auch tun würde.
„Ich habe gerade noch einmal mit Hauptkommissar Lemke telefoniert“, verkündete sie. „Der MEK-Kommandant bedauert es sehr, dass die Opfer nicht rechtzeitig gerettet werden konnten. Andererseits ist es gelungen, den Tatverdächtigen aufgrund Ihrer Recherchen festzunehmen, Frau Stein und Herr Wilken.“
Kommissarin Melanie Russ und Rüdiger Koslowski warfen der Chefin fragende Blicke zu. Frau Dr. Brink wandte sich an Heike.
„Frau Stein, da Ihre beiden Kollegen erst heute aus dem Urlaub zurückgekehrt sind, sollten Sie den Fall noch einmal kurz zusammenfassen. Womöglich werden Frau Russ und Herr Koslowski Ihnen bei der weiteren Sichtung des Beweismaterials helfen müssen. Laut Herrn Lemke muss der Mörder sich in seinem Haus einen richtigen Fetisch-Raum eingerichtet haben.“
Die blonde Kriminalistin nickte ihrer Vorgesetzten zu, ihr Gesichtsausdruck war neutral. Die Kriminalrätin fand, dass Heike Stein an diesem Morgen besonders attraktiv aussah, obwohl sie mit Jeans, Baumwollpullover und Tweed-Jackett alles andere als aufreizend gekleidet war. Dennoch - die Vorstellung, mit ihren Fingern durch Heikes Haar zu streichen, ließ Frau Dr. Brink abwechselnd kalte und heiße Schauer über den Rücken laufen. Sie versuchte krampfhaft, sich auf den Fall zu konzentrieren.
„Vor einer Woche erstattete eine junge Frau namens Alisha Gomez auf der Davidwache Strafanzeige“, begann Heike mit ihren Erklärungen. „Sie war in der Silbersackstraße von einem Mann in sein Auto gezerrt worden, er bedrohte sie mit einem Messer. Doch sie konnte in seinen Unterarm beißen und aus dem Fahrzeug entkommen.“
„Am Arm unseres Tatverdächtigen sind übrigens noch Abdrücke ihrer Zähne zu erkennen“, ergänzte Frau Dr. Brink. „Diese versuchte Entführung werden wir ihm also ebenfalls anlasten können.“
„Was für ein Auto fährt der Dreckskerl?“, wollte Koslowski wissen.
„Alisha Gomez kennt sich mit Fahrzeugmarken nicht aus, sie beschrieb den Wagen als einen dunklen SUV“, entgegnete Heike. „So konnten wir auch die Verbindung zu den beiden weiteren Taten herstellen. Als nämlich vor zwei Nächten Nadine Tespe verschwand, stieg sie laut Zeugen auf der Reeperbahn in einen schwarzen SUV.“
„Und seitdem gab es kein Lebenszeichen mehr von ihr?“, fragte Melanie Russ.
Heike schüttelte den Kopf.
„Die Zeugen waren allerdings ziemlich betrunken, was angeblich auch auf Nadine Tespe zutraf. Sie war mit Freundinnen auf St. Pauli feiern gewesen. Es hieß, sie würde normalerweise nie zu einem Fremden ins Auto steigen.“
„Also war der Täter womöglich ein Bekannter?“, hakte Koslowski nach.
Nun ergriff Ben Wilken, Heikes Dienstpartner, das Wort. Für einen stillen Mann wie ihn war es ungewöhnlich, dass er freiwillig zu reden begann.
„Richtig, und dort setzten unsere Ermittlungen an. Vor allem, nachdem in der darauffolgenden Nacht eine weitere Vermisstenanzeige aufgegeben worden war. Wieder verschwand eine junge Frau im Vergnügungsviertel, auch sie war alles andere als nüchtern, und erneut wurde ein dunkler SUV gesichtet.“
„Das ist übrigens der Unterschied zu dem ersten Vorfall“, sagte Heike. „Alisha Gomez war im Gegensatz zu den anderen Frauen stocknüchtern, weil sie von ihrem Putzjob kam. Sie erkannte die Gefahr, wehrte sich heftig und konnte deshalb lebend entkommen.“
„War ausschließlich Alkohol im Spiel?“, wollte Melanie Russ wissen. „Es könnte doch sein, dass der Täter den Frauen vorher K.-o.-Tropfen in den Drink gekippt hat.“
„Die Obduktionsergebnisse liegen noch nicht vor“, antwortete die blonde Kriminalistin. „Aber du hast einen wichtigen Punkt angesprochen, Melanie. Womöglich hat der Täter die Konsequenzen aus dem misslungenen ersten Angriff gezogen. Dennis Schaper erkannte, dass er bei einer nicht berauschten Frau mit Widerstand rechnen musste. Also fädelte er seine nächsten Versuche so ein, dass die Entführungen reibungslos über die Bühne gingen. Und der Erfolg gab ihm recht, so pervers das auch klingen mag.“
„Der Killer heißt also Dennis Schaper?“, vergewissert Koslowski sich. „Wurde er schon vernommen?“
„Ben und ich werden ihn uns gleich nach der Dienstbesprechung vorknöpfen“, sagte Heike. „Doch selbst wenn er nicht gestehen sollte, sieht die Indizienlage erstklassig aus. Schaper fährt einen schwarzen SUV, der bereits kriminaltechnisch untersucht wird. Ich wette, dass die Kollegen in dem Fahrzeug DNA von allen drei Frauen sicherstellen können. Und als Schaper verhaftet wurde, fanden die Kollegen bei ihm ein Gemüsemesser. Falls es sich um die Tatwaffe handelt, wird sich das aufgrund der Einstichkanäle eindeutig beweisen lassen.“
„Der Mörder hat bei Saskia Rottmann zwölfmal und bei Nadine Tespe achtzehnmal zugestochen“, ergänzte Ben Wilken. Sein Gesicht erinnerte an eine wächserne Maske, er hielt den Blick auf seine Unterlagen gesenkt.
„Ich will nicht den Superschlauen mimen, aber wäre für den Fall nicht anfangs sowieso die Vermisstenabteilung zuständig gewesen?“, fragte Koslowski. „Diese Alisha Gomez wurde doch weder verletzt noch ermordet.“
„Keine Sorge, für superschlau hält Sie gewiss niemand, Herr Koslowski“, ätzte die Chefin. „Trotzdem ist Ihr Einwand berechtigt. Die zuständigen Kollegen waren stark überlastet, und da der massive Angriff mit einem Messer als Mordversuch angesehen wurde, landete der Vorgang bei uns. Und das war ja auch gut so, denn Frau Stein und Herr Wilken konnten schnell einen Erfolg vorweisen.“
„Leider nicht schnell genug“, seufzte Heike. „Die beiden Mordopfer könnten noch leben, wenn wir fixer gewesen wären. Dennis Schaper hat Saskia Rottmann und Nadine Tespe nacheinander in seine Gewalt gebracht und sie dann brutal ermordet.“
„Wie seid ihr dem Dreckskerl denn nun eigentlich auf die Schliche gekommen?“
Offenbar fühlte Ben sich von Koslowskis Frage angesprochen, jedenfalls war er es, der antwortete.
„Heike und ich fuhren nach St. Pauli und sprachen mit den Zeugen der letzten Entführung. Eine junge Frau erinnerte sich an ein wichtiges Detail. Sie war sicher, dass sich in dem Hamburger Nummernschild des SUVs die Buchstabenkombination KC sowie die Ziffer Neun befanden.“
„Also habt ihr die Fahrzeugmenge eingegrenzt, auf die der Hinweis zutraf?“
„Richtig, Rüdiger. Allerdings waren es immer noch hunderte von Fahrzeughaltern, deren Überprüfung sehr viel Zeit gekostet hätte. Da hatte Heike die Idee, dass der Entführer seine Opfer wohl kaum zu Hause im Wohnzimmer gefangen halten würde. Also machten wir einen Datenabgleich mit dem Grundbuchamt sowie diversen Immobilienmaklern. Wir wollten herausfinden, ob einer dieser Fahrzeughalter womöglich ein einzeln stehendes Haus oder etwas Ähnliches gemietet oder gekauft hatte.“
Heike ergänzte: „Die Makler haben sich natürlich wegen Datenschutz geziert. Andererseits wollte keiner von ihnen in ein Kidnapping oder mögliche Morde hineingezogen werden. So bekamen wir schließlich die Adresse von der Schrottimmobilie in Bahrenfeld. Wir sprechen von einem stark renovierungsbedürftigen Einfamilienhaus am Ende einer Stichstraße. In unmittelbarer Nähe liegen ein Parkplatz und die Lagerhalle eines Reifenhändlers. Eine ideale Gegend für einen Verbrecher, neugierige Nachbarn sind nicht zu befürchten. - Wenn wir das Gemäuer gestürmt hätten, ohne auf die Spezialkräfte zu warten, könnten die Frauen noch leben!“
Den letzten Satz hatte Heike laut hervorgestoßen, und die Kriminalrätin konnte ihre Frustration förmlich spüren. Diese Haltung roch nach Rebellion und durfte auf keinen Fall geduldet werden.
Die Chefin zog die Augenbrauen zusammen und warf der Hauptkommissarin einen harten Blick zu.
„Dafür gibt es keinen Beweis, Frau Stein! Sie haben sich streng an die Dienstvorschriften gehalten, was bei Ihnen bekanntlich ja nicht immer vorkommt. Außerdem hatte der Mörder das Haus schon verlassen, als Sie dort eintrafen.“
Heike schien eine Erwiderung auf der Zunge zu haben. Doch dann entschied sie sich doch dafür, lieber den Mund zu halten.
Die Kriminalrätin genoss diesen kleinen Triumph. Es geschah nicht allzu oft, dass sie bei dieser aufmüpfigen und doch so begehrenswerten Person das letzte Wort hatte.
„Vernehmen Sie Dennis Schaper und bringen Sie mir ein Geständnis“, ordnete Frau Dr. Brink an. „Außerdem will ich wissen, was mit der Ehefrau und der Tochter des Mordverdächtigen geschehen ist. Womöglich hat er sie auch umgebracht.“
Adrian Bäumer war am Ende seiner Kräfte.
Er fror, seine Muskeln schmerzten und der eisige Regen prasselte durch die Baumwipfel des Sachsenwaldes unerbittlich auf ihn herab. Und trotzdem fühlte er sich glücklich, denn sein Ziel war zum Greifen nahe.
Adrian hatte sich abseits der Wanderrouten durch den weitläufigen Forst bewegt. Der durchtrainierte Fünfundzwanzigjährige kam sich in diesem Moment so vor wie seine großen Idole, die schon in längst vergangenen Jahrhunderten über die Grenzen des menschlich Möglichen hinweg gegangen waren.
Die Ninjas.
Adrians Schritte waren nicht lauter als das Huschen einer Maus. Er nutzte jede Deckung, verschmolz mit seiner Umgebung. Teilweise bewegte er sich auf allen Vieren oder glitt wie eine Schlange direkt über den Waldboden. Trotz der Erschöpfung funktionierten seine Sinne mit der Präzision eines Uhrwerks.
Doch er wurde trotzdem überrumpelt.
Die schwarzgekleideten Vermummten kreisten ihn ein und griffen ihn an. Adrian schnellte hoch und erwischte einen Angreifer mit einem Fußtritt, während ein anderer Widersacher ihn von hinten packte. Seine Arme wurden so weit gedehnt, dass die Sehnen zu reißen drohten. Adrian konnte sich kurz freikämpfen, um gleich darauf durch einen fürchterlichen Schlag auf den Hinterkopf niedergestreckt zu werden.
Andere Männer wären durch einen solchen Treffer bewusstlos zusammengesackt, doch Adrian war hart im Nehmen. Jahrelanges Training, Meditation und bewusste Entbehrungen hatten seine Schmerztoleranz verändert. Es kam ihm so vor, als ob ein Blitz durch seinen Kopf jagen würde. Außerdem machte sich ein leichtes Schwindelgefühl breit.
Doch er kämpfte weiter. Adrians Fingerknöchel bluteten. Er schenkte seinen Gegnern nichts, während er sich mit Fausthieben und Fußtritten einen Weg aus der Umzingelung bahnte.
Schließlich ging einer der Dunkelmänner zu Boden, Adrian sprang über ihn hinweg und wollte zwischen den dicht an dicht stehenden Baumstämmen verschwinden. Da ertönte plötzlich eine befehlsgewohnte Stimme.
„Halt!“
Adrian drehte sich um und zog seine eigene Ninja-Maske vom Gesicht.
Natürlich war ihm bewusst gewesen, dass ihn nicht feindselige Fremde überfallen hatten. Seine eigenen Club-Kameraden hatten ihm aufgelauert, mit denen er Woche für Woche eifrig die traditionellen Ninja-Kampftechniken übte. In einem richtigen Ernstfall hätte er auf die tödlichen Waffen zurückgegriffen, mit denen die japanischen Schattenkrieger ausgerüstet gewesen waren.
Nun trat der Meister auf ihn zu, ein drahtiger Sechzigjähriger mit einem kurzgeschnittenen weißen Vollbart.
„Du hast die Prüfung bestanden, Adrian“, sagte er lakonisch. „Ich gratuliere.“
Auch die Männer, mit denen er sich gerade noch heftig geprügelt hatte, kamen nun zu ihm. Sie klopften ihm auf die Schulter.
Adrian merkte erst jetzt, wie ausgelaugt er wirklich war. Sein Sportkollege Mathis erklärte sich bereit, ihn im Auto mit zurück nach Hamburg zu nehmen. Auch die übrigen Freizeit-Ninjas beendeten den Outdoor-Termin.
Adrian und Mathis marschierten zu dem Wanderparkplatz, wo der Toyota Corolla abgestellt war. Mathis ließ den Motor an und warf Adrian grinsend einen Seitenblick zu.
„Feierst du deine bestandene Prüfung jetzt mit deiner Freundin?“
„Ich weiß gar nicht, ob Saskia überhaupt da ist“, schränkte Adrian ein. „Sie wollte mit ihren Freundinnen auf die Piste, das kann lange dauern.“
Mathis verzog den Mund, während er losfuhr.
„Ja, es kann lange dauern und ist bestimmt nicht so gesund wie unser Training.“
Adrian lachte.
„Was glaubst du, wie viele Leute uns für verrückt erklären würden wegen dem, was wir machen?“
„Das ist mir egal“, behauptete Mathis. „Den eigenen Körper und Geist zu stählen ist gewiss sinnvoller als ihn mit Alkohol und Nikotin zu zerstören.“
Darauf erwiderte Adrian nichts. Er lebte nicht so asketisch wie sein Sportkamerad und trank gelegentlich mal ein Bier, während Mathis sich nur Wasser und grünen Tee in die Kehle schüttete. Außerdem lebte Mathis auch noch vegan, was angesichts seines breiten Kreuzes und seiner dicken Muskelpakete kaum jemand glauben konnte.
Für ihn gab es nur das Training und die gesunde Ernährung, für eine Freundin hatte er angeblich keine Zeit.
Adrian sah die Dinge anders. Er liebte Saskia, auch wenn sie einen völlig anderen Lebensstil pflegte als er selbst. Deshalb hielt er ihr auch keine Moralpredigten, wenn sie nach einer durchgefeierten St.-Pauli-Nacht mit reichlich Schlagseite zu ihm kam.
Er akzeptierte sie so, wie sie war.
Und er freute sich darauf, sie endlich wieder in seine Arme schließen zu können. Wenn er die Augen zumachte, glaubte er, Saskias weiche Haut zu spüren. Der Duft ihrer frisch gewaschenen langen Haare schien ihm in die Nase zu steigen. Seinen eigenen Körpergeruch sowie den Gestank seiner schmutzigen nassen Ninja-Kleidung nahm Adrian schon gar nicht mehr wahr.
„Pennst du schon?“
Mathis‘ Stimme riss ihn aus seinen Träumereien. Adrian grinste innerlich. Sein Sportkumpel war ihm sympathisch, aber für ein Männergespräch definitiv der falsche Partner. Er hatte Mathis sogar im Verdacht, mit seinen vierundzwanzig Jahren noch eine männliche Jungfrau zu sein. Das würde zumindest seine Verbissenheit und Humorlosigkeit erklären, jedenfalls nach Adrians Meinung.
„Nein, ich penne nicht. Aber das Prüfungstraining hatte es ganz schön in sich. Ich brauche jetzt erst mal eine heiße Dusche.“
Beinahe hätte Adrian auch noch gesagt: Und ein kaltes Bier. Doch diese Ergänzung verkniff er sich. Auf eine der typischen Mathis-Moralpredigten konnte er getrost verzichten.
Adrian lebte in einem hässlichen Hochhaus an der Borgfelder Straße. Mathis ließ ihn dort aussteigen.
„Danke fürs Mitnehmen, wir sehen uns dann beim Training.“
Der muskelbepackte Veganer winkte zum Abschied und gab wieder Gas.
Wenig später stand Adrian unter der Dusche und ließ das heiße Wasser über seinen zerschundenen Körper fließen. Er schloss die Augen und genoss es, wie seine Haut durch die Benetzung mit der Flüssigkeit geschmeidiger wurde. Eine Welle der Entspannung überrollte Adrian.
Leider war Saskia bei seiner Rückkehr nicht in seiner Wohnung gewesen, aber er vertraute ihr. Adrian beschloss, sie später anzurufen. Er wollte sich nicht als Kontrollfreak aufspielen, aber seine Sehnsucht nach ihr war einfach sehr
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Cover: Marie Wölk, www.wolkenart.com
Lektorat: Dr. Andreas Fischer
Tag der Veröffentlichung: 25.04.2018
ISBN: 978-3-7438-6666-9
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