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Vorbemerkung

Dies ist ein Roman. Alle Ereignisse und Personen in „Pikass-Mord“ sind frei erfunden und beruhen nicht auf Tatsachen. Eventuelle Namensähnlichkeiten wären rein zufällig und sind nicht beabsichtigt.

 

Inhalt:

 

Welcher eiskalte Killer heftet Spielkarten an seine Opfer? Ein brutaler Doppelmord in der Hafencity und im Bahnhofsviertel St. Georg gibt Hauptkommissarin Heike Stein und ihren Kollegen von der Soko Hamburg Rätsel auf. Haben die Bluttaten im Zockermilieu stattgefunden? Oder hat die Baltikum-Mafia ihre Finger im Spiel?

Dann stellt das plötzliche Verschwinden einer jungen Obdachlosen die Ermittlungen völlig auf den Kopf.

Hat der Mörder ein drittes Opfer gefunden?

Und welcher gefährliche Fremde verfolgt so unnachgiebig Hauptkommissar Ben Wilkens Ehefrau Maja?

Als Heike Stein die perverse Logik der Verbrechensserie erkennt, ist es schon beinahe zu spät.

Sie muss um das Leben einer Person kämpfen, mit der sie auf ganz besondere Weise verbunden ist.

Wird die Hauptkommissarin einen weiteren Mord verhindern können?

 

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1

Paul Behrens öffnete seiner Mörderin die Tür. Er lächelte und zog die Frau mit seinen Blicken aus.

„Oh, mit dir hätte ich jetzt nicht gerechnet.“

„Tja, ich bin eben immer für eine Überraschung gut“, erwiderte sie.

Die Besucherin ging an Paul Behrens vorbei und durchquerte das elegant eingerichtete Apartment in der Hafencity. Sie blieb vor einem der Panoramafenster stehen und ließ den Blick über die Skyline von Hamburg auf sich wirken.

„Die meisten unserer Mitbürger würden dich töten, um diese Wohnung zu bekommen.“

Paul lachte über ihren Scherz.

„Das ist doch hoffentlich nicht der Grund für deinen Besuch?“

„Nein.“ Sie lächelte kühl. „Ich brauche schon andere Beweggründe, um einem Menschen das Leben zu nehmen.“

Paul trat auf sie zu, küsste ihren Nacken und zog sie in seine Arme. Sie machte sich kichernd von ihm los.

„Nicht so eilig, mein Lieber. Willst du mir gar nichts zu trinken anbieten?“

„Du hast recht, wo habe ich nur meine Manieren? Womit kann ich dir etwas Gutes tun?“

„Ein Glas Weißwein wäre nicht schlecht.“

„Den sollst du haben.“

Die Mörderin schaute einem Containerschiff zu, das von einigen Schleppern rückwärts in ein Hafenbecken an der Norderelbe bugsiert wurde. Paul hatte zwei Gläser mit Wein gefüllt und auf den Couchtisch gestellt. Er nahm auf seinem Ledersofa Platz und klopfte mit der flachen Hand auf die Sitzfläche neben ihm.

Sie ließ sich auf das Möbelstück fallen und schlug ihre langen Beine übereinander. Die Mörderin hatte bewusst ein verführerisches Outfit gewählt. Ihr eng anliegendes Minikleid betonte ihre gute Figur. Es war wichtig, dass dieser Mann sie sofort hereinließ, ohne Fragen zu stellen. Der erste Teil ihres Plans hatte schon geklappt.

„Danke, Paul. Hast du dich gar nicht gefragt, weshalb ich dich an diesem schönen Abend überfalle?“

Er grinste selbstsicher.

„Weil ich dich beeindruckt habe. Oder?“

„Schon möglich“, erwiderte sie und nippte an ihrem Weinglas. Dann öffnete sie unauffällig ihre Handtasche, in der sich ihr Messer befand.

Paul warf sich in die Brust.

„Es stimmt, ich wohne in einer absoluten Spitzenlage. Manchmal kommt mir mein Leben wie ein Traum vor. Hättest du geglaubt, dass ich noch vor ein paar Jahren ganz unten war?“

„Vom Tellerwäscher zum Millionär?“, fragte sie mit einem süffisanten Lächeln zurück.

„Also, Millionär bin ich noch nicht ganz. Aber das kommt bestimmt noch, wenn es so weitergeht wie bisher. Tatsache ist, dass ich ein ganz armer Schlucker gewesen bin. Daran will ich nicht mehr zurückdenken. Jetzt konzentriere ich mich lieber auf die schönen Dinge des Lebens.“

Paul zog die Frau in seine Arme, vergrub sein Gesicht in ihrem langen Haar. Sie fand seine Berührungen widerlich. Andererseits machte er es ihr dadurch sehr leicht. Paul sah überhaupt nicht, dass sie ihr Messer aus der Handtasche zog und ausholte.

„Ich weiß alles über dich“, sagte sie mit harter Stimme. „Pik As, nicht wahr?“

Paul zuckte zusammen.

„Ja, Pik As. Aber woher ...?“

Er konnte den Satz nicht mehr beenden. Die Mörderin trieb ihm mit einer einzigen kraftvollen Bewegung die Klinge in seine Brust.

2

„Geküsst? Wirklich?“

Staatsanwältin Dr. Barbara Krüger konnte nicht glauben, was sie soeben von ihrer Freundin Dr. Laura Brink zu hören bekommen hatte. Die beiden Frauen kannten sich seit dem Jurastudium. Sie interessierten sich privat nicht für Männer, hatten vor Jahren eine Affäre miteinander gehabt. Jetzt waren sie nur noch gute Freundinnen. Und soeben hatte Laura Barbara nach einigen hochprozentigen Cocktails in der Bar du Nord ihr Herz ausgeschüttet.

„Ich konnte mich einfach nicht mehr beherrschen“, gestand die Kriminalrätin. „Ich musste diese Frau einfach küssen.“

„Und das, obwohl du wie ein Ausbund an Beherrschtheit und Kühle wirkst“, stellte Barbara fest. Laura schnaubte ironisch.

„Wem sagst du das! Weißt du, welchen Spitznamen mir meine Mitarbeiter verpasst haben? Sie nennen mich die ‚Wikingerkönigin‘.“

Barbara kicherte albern. Sie war auch nicht mehr ganz nüchtern.

„Es gibt schlimmere Spitznamen. Eigentlich ist er sogar ganz passend. Aber dass du nun dazu übergehst, deine Kommissarinnen abzuknutschen ...“

„Das ist nicht lustig, Barbara! Zum Glück gibt es keine Zeugen für diesen Vorfall. Das darf sich nie wiederholen.“

„Glaubst du, diese Polizistin würde dir Ärger machen?“

Dr. Laura Brink seufzte.

„Wir sprechen nicht von irgendeiner Uniformträgerin, sondern von der besten Mordermittlerin in meiner Abteilung. Sie heißt Heike Stein. Und ich fürchte, dass sie meine Gefühle für sie überhaupt nicht erwidert.“

Barbara pfiff durch die Zähne.

„Heike Stein? Von der hast du mir doch schon öfter erzählt. Ich dachte, sie wäre ein karrierebesessenes Biest, das sich von den Vorgesetzten nichts sagen lässt.“

„Ja, das ist auch so. Wenn Heike Stein sich in einen Fall verbeißt, dann bekommt sie einen Scheuklappenblick. Und sie gibt keine Ruhe, bis sie den Täter zur Strecke gebracht hat.“

Barbara nippte an ihrem Cocktail und sagte: „Das klingt für mich nach einer fähigen Mitarbeiterin. Hast du dich denn ernsthaft in sie verliebt?“

„Wenn ich das nur selber wüsste!“, jammerte Laura. „Manchmal möchte ich Heike an die Wand klatschen, wenn sie mir Widerworte gibt. Im nächsten Moment würde ich ihr am liebsten die Kleider vom Leib reißen und ...“

Die Staatsanwältin grinste breit.

„Das klingt für mich nach einer Hassliebe. Und warum erzählst du mir das alles? Wolltest du einfach nur einer alten Freundin und verflossenen Liebhaberin dein Herz ausschütten?“

„Ja, das auch. Aber ich muss Heike Stein einfach loswerden, sonst zerstört sie mich noch. Und ich will, dass du mir dabei hilfst.“

„Ich? Was soll ich denn dabei tun, Laura?“

„Heike Stein weigert sich, in eine andere Abteilung versetzt zu werden. Und ich habe jetzt die ganze Zeit Angst davor, dass sie in der Sonderkommission Mord von diesem Kuss erzählt. Dadurch würde meine Autorität untergraben.“

„Dann wissen deine Mitarbeiter also nicht, dass du auf Frauen stehst? Das ist doch glücklicherweise nicht mehr so tabuisiert wie noch vor wenigen Jahren.“

„Willst du mich nicht verstehen, Barbara? Es geht nicht darum, dass wir Frauen sind, sondern dass ich ihre Vorgesetzte bin. Man könnte mir unterstellen, dass ich meine Machtposition ausgenutzt hätte.“

„Und was erwartest du von mir?“, wollte die Staatsanwältin wissen.

„Wir müssen in Heikes Vergangenheit einen dunklen Fleck finden. Da gibt es bestimmt etwas, wenn wir nur tief genug graben. Dann bringst du eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Heike auf den Weg. Niemand weiß, dass wir Freundinnen sind und ich dahinter stecke.“

Barbara zog die Augenbrauen zusammen.

„Falls wir wirklich auf eine Verfehlung stoßen, könnte Heike Stein dadurch ihren Job verlieren.“

„Glaubst du, das wäre mir nicht klar? Aber sie muss einfach weg, sonst ist es mit meinem Seelenfrieden vorbei. Und wenn sie keinen Dreck am Stecken hat, dann müssen wir eben etwas konstruieren.“

Die Staatsanwältin schüttelte den Kopf.

„Bei so einer Sache mache ich nicht mit.“

Laura packte sie an ihrer Kostümjacke und zog ihre Freundin zu sich heran.

„Das solltest du aber besser tun“, zischte die Kriminalrätin. „Du hast doch selbst Leichen im Keller, von denen niemand erfahren sollte!“

 

3

 

„Ich würde Sie mit Kusshand nehmen, Frau Stein.“

Kriminalrat Dr. Höppner schaute Heike erwartungsvoll an, nachdem er diese Worte ausgesprochen hatte. Sie runzelte die Stirn und versuchte, sich innerlich zu sortieren. Heike hatte an diesem Morgen soeben ihr Mountainbike vor dem Hamburger Polizeipräsidium in Alsterdorf angeschlossen, als der ranghöhere Kollege auf sie zu gestürmt war.

Heike öffnete den Mund, um mit einem Scherz zu antworten. Sie hätte beispielsweise sagen können, dass sie auf Avancen von verheirateten Männern nicht eingehen würde. Aber solche Witze gingen meist nach hinten los. Außerdem gab es keinen Grund, Dr. Höppner vor den Kopf zu stoßen. Der Leiter des Kriminaldauerdienstes gehörte zweifellos zu den sympathischsten und intelligentesten Führungskräften der Hamburger Polizei. Als Vorgesetzter wäre Dr. Höppner Heike tausendmal lieber gewesen als diese Schreckschraube Dr. Laura Brink. Trotzdem, so einfach waren die Dinge leider nicht.

Dr. Höppner wartete immer noch auf Heikes Reaktion. Er war ein durchtrainierter Mann Anfang sechzig mit einem kurz geschnittenen weißen Vollbart und einer randlosen Brille.

Heike lächelte unverbindlich.

„Vielen Dank für das Angebot, Herr Dr. Höppner. Aber ich möchte mich beruflich gar nicht verändern.“

„Wirklich nicht? Beim Kriminaldauerdienst hätten Sie es weiterhin mit Mordfällen zu tun, allerdings nicht ausschließlich. Unsere Tätigkeit ist sehr abwechslungsreich und spannend.“

Angesichts der vergifteten Atmosphäre in der Sonderkommission Mord wäre es die einzig vernünftige Entscheidung gewesen, sich zum Kriminaldauerdienst versetzen zu lassen. Heikes Verstand schrie sie innerlich an, sich dieses Angebot nicht entgehen zu lassen. Aber ihr Herz sagte etwas anderes.

„Mir ist bekannt, welchen Aufgaben Ihre Abteilung sich widmet. Dennoch muss ich Ihnen einen Korb geben. Darf ich fragen, woher Sie Ihre Informationen haben?“

Dr. Höppner grinste.

„Sie wissen doch, wie im Präsidium geklatscht wird.“

Heike lachte.

„Ja, man könnte meinen, Polizisten hätten nichts Besseres zu tun. – Ihr Angebot ehrt mich, aber ich fühle mich sehr wohl bei der Sonderkommission Mord.“

Was momentan eine glatte Lüge war. Heike konnte bei einem Verdächtigen im Verhör meist schnell herausfinden, wenn er die Unwahrheit sagte. Sie hoffte, dass dies auf sie selbst nicht ebenfalls zutraf.

Ihr Gegenüber zuckte mit den Schultern.

„Einen Versuch war es wert. Überlegen Sie es sich bitte in Ruhe, Frau Stein. Ewig kann ich die freie Planstelle allerdings nicht unbesetzt lassen.“

„Ich muss mich jetzt beeilen, wir haben gleich eine Dienstbesprechung“, sagte Heike ausweichend. Dann eilte sie in das imposante Gebäude. Natürlich kam sie wegen des kurzen Wortwechsels mit Dr. Höppner zu spät. Ihre Kollegen hatten sich bereits im Konferenzraum versammelt, nur Melanie Russ fehlte. Frau Dr. Brink saß am Kopfende des Tisches und warf Heike einen strafenden Blick zu.

„Ah, Frau Stein beehrt uns auch schon mit ihrer Anwesenheit. Dann können wir ja endlich beginnen. – Herr Koslowski, ich habe einen neuen Fall für Sie. Frau Russ hat mich angerufen, sie ist erkrankt. Also werden Sie die Ermittlungen zunächst allein führen müssen.“

Der schlaksige Kommissar aus dem Ruhrgebiet nickte und schaute seine Vorgesetzte erwartungsvoll an.

„Eine noch nicht identifizierte männliche Person wurde während der Nacht erstochen aufgefunden“, fuhr Frau Dr. Brink fort. „Der Mann schien der Obdachlosenszene anzugehören, Details erfahren Sie vom Kriminaldauerdienst.“

„Ich werde mich gleich mal schlaumachen“, verkündete Koslowski.

Die Kriminalrätin nickte und wandte sich Heike und Ben zu.

„Auch für Sie habe ich eine neue Aufgabe – jedenfalls so lange, bis Herrn Wilkens Versetzungsgesuch zum Bundeskriminalamt Erfolg hatte.“

Heikes Magen krampfte sich bei diesen Worten zusammen. Sie wollte auf Ben nicht verzichten, obwohl sie seit Monaten nicht mehr mit ihm geschlafen hatte. Die Vorstellung, ihn überhaupt nicht mehr sehen zu dürfen, erschreckte sie nach wie vor. Sie hatte immer wieder versucht, sich ihren verheirateten Kollegen aus dem Kopf zu schlagen. Aber bisher war dieses Vorhaben stets gescheitert.

„Es gab einen Leichenfund am Buenos-Aires-Kai, also mitten in der Hafencity“, erläuterte Frau Dr. Brink. „Das Opfer heißt Paul Behrens. Die Leiche wurde von einer gewissen Lucia da Silva gefunden, sie ist seine Putzfrau. Die Melderin hat einen Schock erlitten und kann momentan noch nicht verhört werden. Fahren Sie im Anschluss an die Morgenbesprechung zum Tatort und machen Sie sich ein Bild von der Lage. Die Kriminaltechnik ist vor Ort, der Tote ist noch nicht abtransportiert worden.“

Heike nickte, während ihre Vorgesetzte weitere Aufgaben an andere Kollegen verteilte. Sie musste unbedingt mit Frau Dr. Brink sprechen, auch wenn sie dieser Begegnung unter vier Augen nicht gerade entgegenfieberte. Seit diesem Kuss hatte Heike es vermieden, mit ihrer Chefin allein in einem Raum zu sein.

Als die Morgenbesprechung zu Ende war, wandte Heike sich an ihre Vorgesetzte: „Kann ich Sie noch kurz sprechen?“

„Meinetwegen. Folgen Sie mir in mein Büro, Frau Stein“, entgegnete die Kriminalrätin. Sie hatte ein Pokerface aufgesetzt.

„Ich warte im Auto“, warf Ben ein.

Heike folgte Frau Dr. Brink und schloss die Tür von innen. Sie verachtete sich selbst dafür, dass sie so aufgeregt war.

„Haben Sie mir Herrn Dr. Höppner auf den Hals gejagt?“

„Ich weiß nicht, wovon Sie reden, Frau Stein.“

„Ich habe nicht vor, mich zum Kriminaldauerdienst versetzen zu lassen. Und ich weiß nicht, wie Sie mich rauswerfen wollen. Meine Personalakte ist makellos, abgesehen von einer einzigen Abmahnung. Da gibt es Kollegen, die sich schon viel mehr zuschulden kommen ließen und immer noch bei der Polizei sind.“

Frau Dr. Brink lächelte kalt.

„Es gibt Mittel und Wege, um mein Ziel zu erreichen, glauben Sie mir.“

Heike hielt ihrem Blick stand.

„Haben Sie mich deshalb geküsst? Um mich zu vergraulen? Ich habe keine Vorurteile, aber ich bin nicht verliebt in Sie.“

Die Kriminalrätin wurde blass. Ihre Stimme zitterte vor Wut.

„Nein, Sie sind ganz gewiss nicht in mich verliebt. Sie rennen ja lieber wie eine läufige Hündin einem verheirateten Mann hinterher!“

Das klingt jetzt aber ganz schön eifersüchtig, dachte Heike. Sie hätte es noch vor Kurzem kaum für möglich gehalten, dass ihre so selbstbeherrscht und distanziert wirkende Chefin zu solchen Gefühlsausbrüchen fähig war. Trotzdem, auf diese Erkenntnis hätte Heike gern verzichten können.

„Zwischen Ben und mir ist es aus, auch wenn Sie das nicht glauben wollen, Frau Dr. Brink.“

„Mein Entschluss steht jedenfalls fest. Herr Wilken wird ja von allein verschwinden, sobald das Bundeskriminalamt grünes Licht gibt. Aber ich will Sie auch nicht mehr in meiner Abteilung haben, Frau Stein.“

„Es ist nicht meine Schuld, dass Sie etwas für mich empfinden. Ich habe Sie jedenfalls nicht ermutigt. Und ich werde die Sonderkommission Mord nicht freiwillig verlassen, sondern mich zur Wehr setzen.“

„Drohen Sie mir gerade?“, zischte Frau Dr. Brink.

Heike zuckte mit den Schultern.

„Wenn Sie das so auffassen wollen – meinetwegen. Ich habe vor, in der Sonderkommission Mord zu bleiben. Also müssen wir irgendwie miteinander auskommen. Aber wenn Sie mich abservieren wollen, dann werde ich mit Ihrer Kuss-Attacke an die Öffentlichkeit gehen.“

Die Kriminalrätin lachte, aber sie klang nicht amüsiert.

„Was versprechen Sie sich davon? Es gab keine Zeugen für diesen, äh, Vorfall. Dann steht Ihr Wort gegen meines. Sie haben selbst gesagt, dass Sie schon einmal einen Verweis bekommen haben. Meine Personalakte ist hingegen makellos, außerdem bin ich ranghöher als Sie. Wem wird man wohl glauben?“

„Wollen Sie es wirklich darauf ankommen lassen?“, feuerte Heike zurück. „Sie wissen doch, wie diese Pressegeier sind. Die werden sich auf Sie stürzen und so lange im Dreck wühlen, bis sie etwas finden. Außerdem hat mein Vater immer noch sehr gute Verbindungen zur Hamburger Polizeiführung.“

Der letzte Satz war völlig aus der Luft gegriffen, denn die Hamburger Polizei-Legende Sönke Stein hatte sich seit seiner Pensionierung und seiner Auswanderung nach Mallorca völlig zurückgezogen. Aber wenn Heike ihrer Gegnerin auf diese Weise Angst einjagen konnte, wollte sie die Chance nicht ungenutzt lassen.

„Gehen Sie mir aus den Augen, Frau Stein. Das letzte Wort in dieser Angelegenheit ist noch nicht gesprochen!“

Heike wandte sich zum Gehen. An der Tür drehte sie sich noch einmal um.

„Ich will keinen Krieg, Frau Dr. Brink. Wenn Sie mich in Ruhe lassen, werde ich erstklassige Arbeit abliefern. Und meine hohe Aufklärungsquote wird sich auch auf Ihre Karriere positiv auswirken.“

Dr. Laura Brink schaute Heike an, als ob sie die Hauptkommissarin zum ersten Mal sehen würde. Heike hätte einiges darum gegeben, in diesem Moment ihre Gedanken lesen zu können. Die Kriminalrätin war einerseits in sie verknallt, andererseits galt sie als rücksichtslose Karrierefrau. Wenn Heike durch ihre erstklassigen Leistungen den Ruf ihrer Vorgesetzten noch weiter verbessern konnte, würde die Kriminalrätin sie nicht rauswerfen.

Oder?

Dann blieb aber immer noch das ungelöste Problem mit Ben.

Ich brauche einfach eine neue Liebe, beschloss Heike. Und zwar am besten eine Person, die keinen Ehering trägt, nicht bei der Polizei arbeitet und keine Frau ist.

Heike verließ das Polizeipräsidium und stieg zu Ben in den Dienst-BMW.

„Was hattest du denn vorhin mit Dr. Höppner zu besprechen?“, wollte er wissen.

Heike lag die Frage auf der Zunge, ob Ben ihr jetzt schon nachspionieren würde. Sie konnte sich gerade noch rechtzeitig bremsen. Ihr Verhältnis zu ihrem Kollegen war sowieso schon angespannt. Sie beschloss, einfach die Wahrheit zu sagen.

„Dr. Höppner will mich für den Kriminaldauerdienst gewinnen.“

Ben nickte. Er lenkte den Wagen durch den Hamburger Berufsverkehr Richtung Hafencity.

„Dann wärst du diese Gewitterziege Dr. Brink los, Heike. Und ich selbst rechne jeden Tag mit meiner Versetzung nach Wiesbaden.“

„Ihr sitzt schon auf gepackten Koffern, oder?“

Ben grinste schief.

„Maja wünscht sich den Umzug nach Wiesbaden mehr als ich. Wenn wir unser Haus verkaufen, können wir uns mit dem Geld ein schönes Objekt im ländlichen Hessen leisten. Für unsere Kleine wäre das natürlich toll.“

Heike presste die Lippen aufeinander. Bens Frau hasste sie, darüber machte sich Heike keine Illusionen. Maja würde einen Freudentanz aufführen, wenn Ben endlich seinen ersten Arbeitstag beim Bundeskriminalamt hatte.

„Ich hoffe, dass die Zeit der Ungewissheit für euch bald ein Ende findet“, bracht Heike mit metallisch klingender Stimme hervor. Sie wollte sich jetzt lieber auf den neuen Fall konzentrieren. Nach dem Stand der Dinge konnte sie nur durch erstklassige kriminalistische Arbeit ihren Job bei der Sonderkommission Mord retten.

Die Hafencity hatte seit der Fertigstellung der Elbphilharmonie nur noch mehr an Attraktivität gewonnen.

 

„Ich möchte nicht wissen, wie viel Miete Behrens für dieses Apartment bezahlt hat“, meinte Ben, als er gemeinsam mit Heike durch die offenstehende Wohnungstür eintrat. Sie nickten dem uniformierten Kollegen zu, der den Eingang sicherte. Die beiden Ermittler zogen sich Plastiküberzüge über die Schuhe, um den Tatort nicht zu kontaminieren.

Der Leichnam wurde von einem Gerichtsmediziner untersucht.

„Wenigstens bleibt uns die Suche nach der Tatwaffe diesmal erspart“, bemerkte Ben. „Und der Täter wollte ganz offensichtlich eine Botschaft hinterlassen.“

Heike konnte nur zustimmen.

Der Mörder hatte mit einem Messer eine Spielkarte an die Brust des Opfers geheftet, und zwar ein Pikass. Der Arzt blickte auf, als er die Kriminalisten bemerkte.

„Der Tod trat durch eine Verletzung des Herzens ein“, erklärte er ohne weitere Einleitung. „Es sind zwei Wundkanäle vorhanden. Der Täter hat erst das Opfer niedergestochen, dann das Messer wieder herausgezogen und dann die Spielkarte mit einem zweiten Stich an die Brust geheftet.“

„Diese Mühe wird er sich nicht grundlos gemacht haben“, mutmaßte Heike. „Die Frage lautet, was uns diese Spielkarte sagen soll. Hatte Behrens vielleicht Schulden bei einem Kredithai, die er nicht beglichen hat?“

„Das wäre eine Möglichkeit“, stimmte Ben zu. „Allerdings bringen diese Geldverleiher ihre Opfer normalerweise nicht gleich um. So nach dem Motto: Eine tote Kuh kann man nicht melken.“

„Richtig. Aber wenn Behrens die Rückzahlung strikt verweigert hat, sollte vielleicht ein Exempel statuiert werden. Und die Spielkarte könnte mögliche andere Schuldner einschüchtern. Allerdings nur dann, wenn wir dieses Wissen an die Öffentlichkeit dringen lassen. Und das sollten wir nicht tun.“

„Zu spät, das Video ist schon bei Facebook.“

Mit diesen Worten mischte sich eine junge uniformierte Polizistin ungefragt ein. Sie hatte sofort Heikes ungeteilte Aufmerksamkeit.

„Woher wissen Sie das?“

„Habe es gerade zufällig gesehen“, gab die Kollegin kleinlaut zu. Heike hätte sie zusammenfalten können, weil sie während der Dienstzeit auf Facebook gegangen war. Andererseits konnte sie der sommersprossigen Polizeimeisterin dankbar sein, sonst hätte sie womöglich viel später davon erfahren. Heike kniff die Augen zusammen.

„Sie haben das Video aber nicht gemacht, oder?“

„Natürlich nicht!“, wehrte sich die junge Beamtin empört. „Es ist schon ein paar Stunden online, da hatte ich noch nicht mal Dienstbeginn. Hier, sehen Sie selbst!“

Die Kollegin hielt Heike ihr Smartphone unter die Nase.

Das Video war nur 50 Sekunden lang und trug den wenig originellen Titel „Mord in der Hafencity“. Die wackligen Bilder zeigten den Toten, wobei die Spielkarte auf seiner Brust deutlich zu erkennen war. Das Video war von einer Frau hochgeladen worden, die sich Lovely Lucia nannte.

„Die Putzfrau“, stellte Ben fest. „So groß kann ihr Schock nicht gewesen sein, sonst hätte sie wohl kaum ein Video aufgenommen.“

„Ja, und dafür wird sie uns Rede und Antwort stehen müssen“, sagte Heike wütend. Ihrer Ansicht nach hatte es kein Mensch verdient, so an die Öffentlichkeit gezerrt zu werden. Weder vor seinem Tod noch danach. Und sie machte sich keine Illusionen darüber, wie lange es dauern würde, bis das Video gelöscht wurde. Wenn überhaupt.

„Wir müssen mehr über das Opfer in Erfahrung bringen“, meinte Ben. „Wie hat er sein Geld verdient? Mit wem hatte er Kontakt? Wo hat er gelebt, bevor es die Hafencity gab? Darum kann ich mich kümmern.“

„Ja, das ist eine gute Idee. Und ich nehme mir die Zeugin vor, um mal mit ihr von Frau zu Frau

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Martin Barkawitz
Bildmaterialien: Marie Wölk, www.wolkenart.com
Lektorat: Christel Baumgart, www.lektorat-mauspfad.de
Tag der Veröffentlichung: 21.07.2017
ISBN: 978-3-7438-2403-4

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