Die Handlung dieses Romans ist frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder toten Personen oder etwaige Namensgleichheiten wären rein zufällig.
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Inhalt:
In Saskias Augen war Julian immer schon ein Versager. Aber seit ihr jüngerer Bruder einen Stein von einer Autobahnbrücke warf, hat er auch noch ein Menschenleben auf dem Gewissen.
Die junge schöne Tatjana stirbt noch am Unfallort. Ihr Verlobter Boris schwört blutige Rache. Er überlässt es nicht der Polizei, nach dem Brückenteufel zu fahnden. Während sich die Ordnungshüter an Recht und Gesetz halten müssen, sind Boris alle Skrupel fremd.
Denn er ist ein Mafia-Killer.
Und wenn er schon den Brückenteufel nicht erwischt, dann nimmt er sich eben dessen Familie vor.
Der Stein war groß wie die Welt und schwarz wie der Tod.
Tatjana sah ihn auf sich zurasen. Er wurde immer größer, wuchs scheinbar riesenfach vor der Windschutzscheibe ihres Autos. Tatjanas Herz schien sich in einen Eisklotz zu verwandeln, während das Blut heiß wie Lava durch ihren Körper jagte. Sie wollte schreien, aber ihre Kehle war plötzlich staubtrocken geworden.
Sie dachte an Boris und ihre bevorstehende Hochzeit, während sie verzweifelt das Lenkrad herumriss. Aber Tatjanas Überlebensinstinkt versagte gegenüber der Mordwaffe. Der Stein war schneller als die Ausweichbewegung des PKWs.
Und dann kam der Schmerz – ein Blitz, der den Leib und die Seele gleichermaßen zerriss. Ein Gefühl, das alle anderen Empfindungen hinwegspülte, und zwar für immer. Als Tatjanas Wagen gegen die Leitplanke knallte und einige hundert Meter weiter endlich zum Stehen kam, war die Fahrerin bereits nicht mehr am Leben.
Saskia Koch ahnte nichts Gutes, als sie die beiden Männer in die Arztpraxis kommen sah. Sie kannte nur einen von ihnen, nämlich Polizeiobermeister Lothar Schlösser. Er gehörte zu den wenigen Beamten, die auf der kleinen Revierwache von Löhrfelden Dienst taten. Sein Begleiter war in Zivil. Aber er hatte ebenfalls das, was Saskia insgeheim den „Polizistenblick“ nannte. Die beiden sahen so ernst wie Sargträger bei einer Beerdigung aus. Und sie wandten sich direkt an Saskia, nicht etwa an eine ihrer Kolleginnen.
„Wir müssen dringend mit Ihrem Bruder sprechen, Frau Koch.“
Mit diesen Worten sprach Schlösser Saskia an. Sie spürte, wie das Blut aus ihrem Gesicht wich. Es war jetzt vermutlich fast so weiß wie ihre Arzthelferinnenmontur.
Was hat denn Julian jetzt schon wieder angestellt?, dachte sie grimmig. Es ist elf Uhr, um diese Zeit pennt der Blödmann doch normalerweise noch.
Es war nicht das erste Mal, dass Saskia wegen ihres Bruders mit der Polizei zu tun hatte. Allerdings kamen die Beamten normalerweise zu ihr nach Hause, wenn wieder einmal eine Ruhestörung, ein Diebstahl oder ein BTM-Delikt angezeigt worden war. Die Polizisten wussten, wo sie das schwarze Schaf von Löhrfelden zu suchen hatten. Es war nach Saskias Meinung kein gutes Zeichen, dass die Beamten an ihrem Arbeitsplatz aufkreuzten.
Sie atmete tief durch, bevor sie antwortete. Und sie versuchte, ihre professionelle Höflichkeit beizubehalten.
„Ich kann Ihnen leider nicht sagen, wo sich mein Bruder momentan aufhält, Herr Schlösser. Haben Sie es noch nicht bei uns daheim versucht?“
„Selbstverständlich haben wir das!“
Diese Worte kamen nicht aus dem Mund des Polizeiobermeisters. Es war sein Kollege, der gesprochen hatte. Und seine tiefe Stimme hörte sich sehr ungeduldig an. Saskia blickte zu ihm auf und schaute in graue Augen. Sie konnte die mühsam unterdrückte Wut dieses Mannes förmlich spüren. Beklemmung machte sich in ihrem Inneren breit.
Der Unbekannte fuhr fort: „Ich bin Oberkommissar Frank Lehmann von der Kriminalpolizei. Es geht um ein Tötungsdelikt, das sich heute auf der Autobahn südlich der Auffahrt Löhrfelden-Dreikirch ereignet hat. Wenn Sie uns etwas verschweigen, dann machen Sie sich der Beihilfe zum Mord schuldig, Frau Koch.“
Die Sätze des Kommissars trafen Saskia wie Hammerschläge. Ihr Kreislauf spielte plötzlich verrückt, was sie nicht verwunderte. Julian hatte ja schon eine Menge Unsinn verzapft, und bei einer einzigen Jugendstrafe war es bisher leider nicht geblieben. Zweifellos war ihr Bruder der größte Tunichtgut in Löhrfelden und Umgebung. Aber sie konnte sich Julian beim besten Willen nicht als Mörder vorstellen.
Saskia nahm ihren ganzen Mut zusammen, als sie antwortete.
„Ich verschweige Ihnen nichts. Um acht Uhr ist hier in der Arztpraxis Arbeitsbeginn. Seitdem bin ich hier, das können Ihnen meine Kolleginnen, Dr. Bruckner sowie zahlreiche Patienten bestätigen. Als ich unser Haus um 7.30 Uhr verließ, war Julian womöglich noch in seinem Zimmer. Ich weiß es nicht, da ich mich von ihm nicht verabschiedet habe. Er schläft morgens gern länger, ich wollte ihn nicht stören.“
Weil er die halbe Nacht vor dem Computer zockt, fügte sie in Gedanken hinzu. Der Polizeiobermeister sprach nun wieder, und er klang etwas freundlicher als sein Kripo-Kollege.
„Wir waren bereits bei Ihnen zu Hause, Frau Koch. Ihre Großeltern waren anwesend und sagten aus, dass sie Ihren Bruder heute früh noch nicht gesehen hätten. Ihre Eltern halten sich momentan offenbar in den USA auf. Ihr Großvater erlaubte uns, einen Blick in Julians Zimmer zu werfen. Es war leer.“
„Und sein Mountainbike befand sich nicht im Schuppen“, ergänzte Lehmann. „Der Mistkerl, der den Stein von der Brücke geworfen hat, hinterließ dort einen deutlich erkennbaren Reifenabdruck eines 29 x 2,0 Fahrradreifens.“
„Es gibt aber noch mehr Mountainbikes in Löhrfelden“, brachte Saskia schüchtern hervor. „Und außerdem könnte der Täter auch aus einem anderen Dorf gekommen sein.“
„Überlassen Sie die Ermittlungen bitte uns“, sagte der Oberkommissar ruppig. „Wissen Sie nun, wo Ihr Bruder ist oder nicht?“
„Ich kann Ihnen seine Mobilfunknummer geben“, bot Saskia an. Ihre Hand zitterte, als sie ihr Smartphone aus ihrer Tasche holte. Die beiden Polizisten notierten sich die Zahlenfolge. Schlösser versuchte sofort, Julian anzurufen. Aber das Gerät war ausgeschaltet.
Lehmann knallte seine Visitenkarte auf den Tresen.
„Bitte melden Sie sich sofort bei uns, wenn Ihr Bruder Kontakt zu Ihnen aufnimmt oder falls Ihnen noch etwas einfällt. Jede Kleinigkeit kann wichtig sein.“
Die Beamten drehten sich um und eilten grußlos davon. Saskia wagte kaum, aufzublicken. Sie spürte, dass sie sowohl von ihren Kolleginnen Melanie und Birgit als auch von sämtlichen Patienten angestarrt wurde. Die Tür zum Wartezimmer war offen gewesen, sodass mindestens ein halbes Dutzend Dorfbewohner den Auftritt der Polizisten mitbekommen hatten. In spätestens einer Stunde würde ganz Löhrfelden wissen, dass Julian Koch von der Polizei als ein mörderischer Steinwerfer gesucht wurde.
„Und Sie sind sicher, dass dieser Julian Koch der Täter ist?“
Diese Frage stellte Oberkommissar Lehmann seinem einheimischen Kollegen, nachdem sie in die Polizeistation von Löhrfelden zurückgekehrt waren. Lothar Schlösser machte eine unbestimmte Handbewegung.
„Zumindest ist er mein Hauptverdächtiger. Wir waren uns ja einig, dass die Mountainbike-Spuren auf einen Jugendlichen hindeuten. Ich kenne die Altersgruppe gut, unser Dorf hat ja kaum zweitausend Einwohner. Die meisten Kids machen entweder eine Berufsausbildung oder besuchen das Gymnasium in der Kreisstadt. Es gibt eigentlich nur eine junge Person, die für die Tatzeit kein Alibi hat und der ich so eine Irrsinnstat zutrauen würde. Wie Sie wissen, ist Julian Koch kein unbeschriebenes Blatt.“
Lehmann nickte grimmig.
„Ich schlage vor, dass Sie eine Nahbereichsfahndung einleiten. Brauchen Sie Verstärkung?“
„Das wäre nicht schlecht, Herr Oberkommissar. Ich kenne zwar die Umgebung wie meine Westentasche, aber der Nationalpark bietet zahlreiche mögliche Verstecke.“
„Gut, dann schicke ich Ihnen eine Einsatzhundertschaft von der Landesbereitschaftspolizei. Wir müssen davon ausgehen, dass Julian Koch seine Flucht fortsetzt. Ich werde bundesweit nach ihm fahnden lassen, wir sollten auch die Medien einschalten. Immerhin haben mir die Großeltern seine Kontoverbindung verraten. Sobald er irgendwo Geld abzuheben versucht, kriegen wir ihn.“
Schlösser verzog den Mund.
„Julian wird nicht weit kommen, denke ich. Er ist kein besonders raffinierter Krimineller, eher ein Tollpatsch ohne Unrechtsbewusstsein.“
„Er hat eine junge Frau auf dem Gewissen“, stellte der Oberkommissar klar. „Wie schätzen Sie seine Schwester ein? Wird sie versuchen, ihm zu helfen?“
„Die Frage lässt sich schwer beantworten. Saskia Koch ist ein braves Mädchen, eine graue Maus. Im Gegensatz zu ihrem Bruder hat sie niemals Mist gebaut, soweit mir bekannt ist. Saskia hat nach der Schule sofort eine Ausbildung als Arzthelferin gemacht und arbeitet seitdem in der Praxis von Dr. Bruckner. Ich kann mir schon vorstellen, dass sie ihren Bruder zu kontaktieren versucht. Aber sie wird ihm nicht bei der Flucht helfen, sondern ihn zum Aufgeben bewegen. Im Gegensatz zu Julian ist Saskia die Tragweite seines Handelns bewusst.“
Lehmann stieß ein heiseres Lachen aus, das eher an das Bellen einer Hyäne erinnerte. Es klang jedenfalls nicht amüsiert. Der Polizeiobermeister kniff die Augen zusammen.
„Habe ich etwas Komisches oder Unpassendes gesagt?“
Der Oberkommissar schüttelte den Kopf.
„Nein, überhaupt nicht. Es ist nur so, dass Sie nicht wissen, mit wem das Opfer verlobt gewesen ist. – Sagt Ihnen der Name Boris Dupic etwas?“
Der Dorfpolizist verneinte. Lehmann sprach nun langsamer, betonte jedes Wort.
„Dupic arbeitet für das organisierte Verbrechen. Er hat mindestens zwei Männer gefoltert und getötet, aber wir können ihm nicht das Geringste nachweisen. Dupic ist so clever, dass er sich noch nicht mal beim Falschparken erwischen lässt. Er gehört zu den gefährlichsten Verbrechern, die ich kenne.“
Die Wirkung dieser Information blieb bei dem Polizeiobermeister nicht aus. Seine Lider begannen nervös zu flattern. Schlösser stieß langsam die Luft aus den Lungen.
„Sie meinen, – dieser Mann wird nach Löhrfelden kommen und die Sache auf seine Art regeln wollen?“
„Falls das geschieht, dann gnade uns Gott. – Ich habe jetzt zunächst das zweifelhafte Vergnügen, ihm die Todesnachricht zu überbringen. Wir müssen im engen Kontakt bleiben, Herr Schlösser. Ich weiß nicht, ob sich ein Blutbad wirklich vermeiden lässt. Aber wir sollten es um jeden Preis versuchen.“
Die beiden Beamten verabschiedeten sich mit Handschlag voneinander. Lehmann stieg in seinen Dienstwagen und kehrte nach Köln zurück. Er musste eine Umleitung nehmen. An der Stelle, wo dieser verfluchte Steinwerfer zugeschlagen hatte, war die Autobahn immer noch gesperrt. Die Spurensicherung arbeitete mit Hochdruck. Der Oberkommissar fragte sich, ob Dupic nicht schon längst Bescheid wusste. Er hielt den Verbrecher eigentlich nicht für einen Mann, der den ganzen Tag lang den Verkehrsfunk hörte. Aber wenn Tatjana mit ihrem Verlobten verabredet gewesen war, dann würde er sie allmählich vermissen. Oder?
Lehmann führte sich vor Augen, dass Tatjanas Auto sich von der Großstadt wegbewegt hatte. Was war ihr Fahrtziel gewesen? Der Oberkommissar begab sich zunächst zum Präsidium und erstattete seinem Vorgesetzten Bericht. Kriminalrat Degenhardt zog seine Augenbrauen zusammen.
„Das ist eine üble Sache. Ich werde mich um die Suchmannschaften für Löhrfelden kümmern. Nehmen Sie Frau Teich mit, wenn Sie Ihren Kondolenzbesuch bei Dupic machen.“
„Wieso das denn, Herr Kriminalrat? Glauben Sie, Dupic reagiert wie ein antiker Herrscher, der den Überbringer der schlechten Botschaft töten lässt?“
„Ich meine, dass dieser Kriminelle völlig unberechenbar ist. Am liebsten würde ich das SEK zu ihm schicken. Aber erstens liegt absolut nichts gegen ihn vor und zweitens wäre eine solche Aktion ein gefundenes Fressen für seine Staranwälte und ihre Pressekontakte. ‚Bewaffnete Spezialeinheit drangsaliert trauernden Witwer‘ – ich kann mir die Schlagzeilen schon lebhaft vorstellen.“
„Okay, ich nehme die Teich mit.“ Lehmann erhob sich von seinem Stuhl. „Und Sie haben recht, Herr Kriminalrat. Dupic ist absolut unberechenbar. Wenn er in der richtigen Stimmung ist, wird er auch zwei Kriminalbeamte töten. Aber nach unseren Leichen müssen Sie dann nicht suchen lassen, denn die wird man niemals finden.“
„Malen Sie den Teufel nicht an die Wand. Wir setzen jetzt alles daran, diesen Julian Koch aufzustöbern – und zwar, bevor Dupic es tut.“
Lehmann nickte und verließ das Büro seines Vorgesetzten. Er fand die junge blonde Kommissarin an ihrem Arbeitsplatz, wo sie fleißig auf der PC-Tastatur tippte.
„Kleben Sie sich Ihr Kaugummi hinters Ohr, Eva. Es geht in den Außeneinsatz. Sie haben nicht zufällig ein schwarzes Kleidungsstück dabei?“
„Nee, das kleine Schwarze wollte ich zum Dienst nicht anziehen“, erwiderte Eva Teich frech. „Worum geht es denn?“
Der Oberkommissar brachte sie mit wenigen Sätzen auf den neuesten Stand. Daraufhin verging ihr das Scherzen. Eva Teich hatte eines der mutmaßlichen Folteropfer von Dupic gesehen und war danach nächtelang von Alpträumen geplagt worden.
„Wir müssten Dupic eigentlich rund um die Uhr observieren, damit er keinen Unsinn macht“, murmelte Eva Teich, während sie gemeinsam mit Lehmann ins Bahnhofsviertel fuhr.
„Was Sie nicht sagen!“, gab der Oberkommissar schlecht gelaunt zurück. „Und woher soll ich die Beamten für diese Maßnahme nehmen? Außerdem nützt es nichts, das wissen Sie genauso gut wie ich. Dupic hat gewiss einen Freund oder Kumpel, der diesen verfluchten Julian Koch liebend gern in Streifen schneidet, während Dupic mit angesehenen Bürgern Skat spielt oder sich ein anderes bombensicheres Alibi verschafft.“
„Dann gibt es also nichts, was wir tun können?“
„Doch. Wir verbinden unseren Kondolenzbesuch mit einer möglichst taktvollen Gefährderansprache.“
Sie verließen das Präsidium und stiegen in den Dienstwagen. Die sonst so lockere und quirlige Eva Teich war schweigsam. Sie hatte die Lippen zusammengekniffen, sodass ihr Mund einem roten Strich ähnelte. Lehmann warf ihr einen Seitenblick zu.
„Haben Sie Angst?“
Die Kommissarin nickte.
„Ich auch“, räumte Lehmann ein. Das hatte er noch niemals zuvor getan, jedenfalls nicht in einem Einsatz. „Wenn wir reingehen, bleiben Sie einen Schritt hinter mir. Sie dürfen Ihre Waffe natürlich noch nicht ziehen. Aber es wäre gut, wenn Sie die Pistole möglichst schnell aus dem Holster holen könnten.“
„Meinen Sie wirklich, dass Dupic uns niedermetzelt?“
Die Frage blieb zunächst unbeantwortet. Lehmann starrte nachdenklich auf die Fahrbahn, während er das Auto durch das Bahnhofsviertel lenkte.
„Wir werden es wohl darauf ankommen lassen müssen“, sagte er schließlich.
Der Kriminalbeamte parkte neben dem Handyladen, der Dupic als Tarnexistenz diente. Der Killer stand hinter der Verkaufstheke und strahlte die Polizisten an. Aber Lehmann und Eva Teich fielen auf seine falsche Freundlichkeit nicht herein. Sie wussten zu viel über diesen Mann.
Dupic war groß und athletisch. Sein Schädel war rasiert, der schwarze Vollbart kurz und gepflegt.
„Was kann ich für Sie tun, Herr Oberkommissar? Benötigen Sie oder Ihre charmante Kollegin ein neues Smartphone?“
„Wir sind leider dienstlich hier, Herr Dupic.“
Lehmann schaffte es immerhin, dass seine Stimme nicht zitterte. Eva befand sich momentan nicht in seinem Gesichtsfeld. Er hoffte einfach darauf, dass sie wirklich zurückschießen würde, wenn der Killer ausrastete. Doch Lehmann selbst würde zunächst als Kugelfang dienen müssen.
Dupic griente. Er schien immer noch nicht zu ahnen, worum es ging. Umso größer würde der Schock für ihn sein.
„Was soll ich denn angestellt haben, Herr Oberkommissar? Hat mich wieder so ein Dreckskerl verleumdet? Muss ich Dr. Zacharias anrufen?“
Dr. Zacharias war ein Staranwalt, der Dupic schon öfter aus der Klemme geholfen hatte. Lehmann schüttelte den Kopf.
„Das wird nicht nötig sein. Sie werden keiner Straftat beschuldigt, Herr Dupic. Wir sind gekommen, um Ihnen eine traurige Nachricht zu überbringen. Es geht um Tatjana Keller, sie …“
„Was ist mit ihr?“
Dupic unterbrach den Kriminalisten, schrie ihn an. Zwischen den beiden Männern befand sich die Verkaufstheke. Aber das war keine Barriere, die einen Mann wie Dupic hätte aufhalten können. Er hob seinen rechten Arm, wollte den Oberkommissar am Kragen packen. Doch er beherrschte sich. Die Frage war nur, wie lange sich Dupic noch zusammenreißen konnte.
Lehmann wäre am liebsten einen Schritt zurückgewichen. Aber das war keine gute Idee. Nun war er seinem Vorgesetzten doch dankbar. Immerhin hatte der Oberkommissar Eva Teich als Rückendeckung. Aber ob das etwas nützen würde?
„Wir müssen Ihnen leider mitteilen, dass Tatjana Keller heute gegen 11 Uhr bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist.“
Dupics Gesicht verzog sich zu einer Fratze des Schmerzes. Es fiel Lehmann schwer, für diesen eiskalten Mörder Mitleid zu empfinden. Aber in diesem Moment gab es für den Oberkommissar keinen Zweifel daran, dass Dupic Tatjana geliebt hatte. Falls dieser Mann überhaupt zu solchen Gefühlen fähig war. Die Augen des Killers schimmerten feucht. Lehmann konnte sich nicht vorstellen, dass Dupic weinen würde. Und wenn doch, dann keinesfalls vor den beiden Beamten.
Lehmann und seine Kollegin warteten schweigend, während Dupic um Fassung rang. Er hatte den Kopf in den Nacken gelegt und die Augen geschlossen. Seine Unterlippe zitterte. Die Hände hatte er um die Kante der Ladentheke gekrampft. Seine Knöchel traten weiß hervor, so fest packte er zu.
Es vergingen Minuten, bis Dupic wieder sprechen konnte. Seine Stimme bebte.
„Moment mal, … da kam doch vorhin eine Radiomeldung … Eine junge Frau sei gestorben, nachdem ein Steinwerfer auf der Autobahnbrücke … Sprechen Sie von diesem Unfall? War Tatjana das Opfer?“
„Unsere Ermittlungen dauern an“, erwiderte der Oberkommissar. Ihm war selbst klar, wie dämlich diese Phrase für Dupic klingen musste.
„Es war also der Steinwerfer!“
Der Killer sprach diesen Satz aus, als ob er ihn in Granit meißeln wollte.
„Wir haben großes Verständnis für Ihre Trauer, Herr Dupic. Aber ich muss Sie bitten, sich in unsere Ermittlungen nicht einzumischen. Ich gehe davon aus, dass wir den Täter verhaften und seiner gerechten Strafe zuführen können.“
„Wer war es?“
„Darüber darf ich Ihnen keine Auskunft geben, das wissen Sie. Außerdem haben wir bisher nur Verdachtsmomente, die …“
„Raus!“, brüllte Dupic. „Verschwinden Sie, bevor ich mich vergesse!“
„Sie sind jedenfalls gewarnt, kommen Sie der Polizei nicht in die Quere.“
Lehmanns Satz klang in seinen eigenen Ohren mehr als lahm. Er wagte es auch nicht, dem Killer den Rücken zuzukehren. Dupic war es ohne Weiteres zuzutrauen, den Oberkommissar von hinten zu erschießen.
Aber der Oberkommissar und die Kommissarin gelangten unangefochten nach draußen und stiegen in ihren Wagen.
„Unsere Gefährderansprache scheint Dupic nicht besonders beeindruckt zu haben“, bemerkte Eva Teich trocken.
„Immerhin leben wir noch“, gab Lehmann zurück. „Für diesen Steinwerfer sehe ich allerdings schwarz, wenn wir kein Überwachungsteam genehmigt bekommen.“
Nachdem die Beamten gegangen waren, eilte Saskia in den Pausenraum und rief sofort daheim an. Als sie die vertraute Stimme ihrer Oma hörte, ging es ihr sofort etwas besser.
„Die Polizei war gerade hier!“, sprudelte es aus Saskia hervor. Sie berichtete ihrer älteren Verwandten, was sich ereignet hatte.
„Uns bleibt wohl nichts Anderes übrig, als für deinen Bruder einen guten Anwalt zu beauftragen“, sagte Marlies Koch. Sie hörte sich beherrschter an als ihre Enkelin. Dennoch war Saskia sicher, dass auch ihre Großmutter sich Sorgen machte.
„Wie konnte Julian nur so etwas Schreckliches tun, Oma?“
„Die Frage lässt sich nicht beantworten, mein Kind. Noch steht ja gar nicht fest, dass er wirklich der Täter ist. Du musst dich beruhigen.“
„Das sagt sich so leicht!“ Saskia konnte ihr Schluchzen nicht unterdrücken. „Alle starren mich an, als ob ich selbst einen Menschen auf dem Gewissen hätte!“
„Kannst du den Doktor nicht fragen, ob er dir
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Martin Barkawitz
Cover: Germancreative, www.fiverr.com
Lektorat: Dr. Andreas Fischer
Tag der Veröffentlichung: 08.10.2016
ISBN: 978-3-7396-7764-4
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