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Vorbemerkung

Dies ist ein Roman. Alle Ereignisse und Personen in „Raubhure“ sind frei erfunden und beruhen nicht auf Tatsachen. Eventuelle Namensähnlichkeiten wären rein zufällig und sind nicht beabsichtigt.

 

Inhalt:

 

Sex und Geld waren gestern.

Heute zählt das Überleben.

 

Kea verdient auf St. Pauli Geld mit ihrem Körper, als ein lukrativer Auftrag sie an ihre Grenzen bringt – und darüber hinaus. Im Handumdrehen muss sie um ihr Leben kämpfen und diejenigen beschützen, die sie liebt. Ihr sadistischer Gegner scheint ihr immer einen Schritt voraus zu sein. Er scheut auch vor brutalen Morden nicht zurück, um skrupellos seine Ziele zu verfolgen.

Doch Kea ist nicht nur clever und hübsch, sondern kann auch mit einer Pistole umgehen. Und sie hütet ein großes Geheimnis, das niemals aufgedeckt werden darf. Aber am Ende steht sie allein gegen einen unbarmherzigen Feind.

Wird sie diese St.-Pauli-Nacht überleben?

 

 

 

 

1

Der Jute-Strick wurde immer fester um Keas Hals gezogen.

Das Atmen fiel ihr jetzt schon qualvoll schwer, und sie war gerade erst vor zwanzig Minuten in dem Hotelzimmer des Freiers eingetroffen. Als Edel-Callgirl hatte Kea schon viele brenzlige Situationen erlebt. Das Wichtigste war, die Nerven zu behalten. Und auf ihren Überlebensinstinkt hatte sie sich bisher immer noch verlassen können.

Kea lag auf dem Kingsize-Bett. Ihr Blick war auf die unzähligen Lichter des nächtlichen Hamburg gerichtet, das sich unter ihr ausbreitete. Irgendwo in dieser Stadt befand sich René. Nur wegen ihm hatte sie sich auf diese Würgespiele im zwölften Stockwerk des Nordic Flair Hotels eingelassen.

„Gefällt dir das, du Miststück?“

Diese Worte wurden von dem Freier hervorgestoßen, der sich Manfred Müller nannte. Wahrscheinlich ein erfundener Name, aber das war Kea egal. Erwartete er etwa eine Antwort von ihr?

Sie bekam ja kaum noch Luft. Ihre Lungen fühlten sich an, als ob sie mit flüssigem Feuer gefüllt wären. Es kribbelte in ihren Fingern und Zehen, die Blutzirkulation funktionierte nicht mehr richtig. Kea hatte nicht vor, bewusstlos zu werden. Sie konnte sich lebhaft vorstellen, was dieser Feigling dann mit ihr tun würde.

Frauen wie Kea waren für ihn nur ein Stück Fleisch. Er kaufte eine Ware, um über sie verfügen zu können. Nur war er diesmal an die Falsche geraten. Das konnte er natürlich nicht ahnen.

Manfred Müller kniete neben der auf dem Bett liegenden Kea und ergötzte sich an der jämmerlichen Macht, die ihm der Strick verlieh. Kea war noch mit ihren halterlosen Strümpfen, schwarzen Dessous und Lackpumps bekleidet. Der Freier würde sie vermutlich erst ausziehen, wenn sie bewusstlos war. Wenn überhaupt. Es machte ihn offenbar mehr an, eine Frau zu quälen, als sie zu berühren.

Darüber konnte Kea auch später noch philosophieren. Jetzt kam es darauf an, die nächste Minute zu überstehen. Denn mehr Zeit würde ihr kaum bleiben, bis sie die Kontrolle über die Situation verlor.

Kea versuchte verzweifelt, durch die Nase Luft zu holen. Der saure Schweißgestank des Freiers überdeckte bereits den Duft ihres Chanel Nº 5. Zum Glück hatte der Kerl sich nicht komplett entkleidet. Der Freier trug noch seine Feinripp-Unterhose.

Kea verfügte über einen sehr gelenkigen Körper. Obwohl sie bereits durch den Sauerstoffmangel geschwächt war, zog sie blitzschnell ihr linkes Bein an den Körper. Und sie bekam ihren Schuh zu fassen.

In Keas Hand wurde er zur gefährlichen Waffe.

Das bekam Manfred Müller im nächsten Moment zu spüren.

Er war so auf seine Sadistennummer konzentriert, dass er Keas Attacke nichts entgegensetzen konnte. Vielleicht hielt er es auch für unfassbar, dass eine Hure sich wehrte.

Der Freier kreischte im hohen Falsett, als der Schuhabsatz seine Schläfe traf.

Nun war er es, der in den schwarzen Abgrund der Bewusstlosigkeit stürzte.

Kea ließ ihren Schuh fallen und packte mit beiden Händen die Schlinge, lockerte den Strick um ihren Hals. Ihre Augen wurden feucht.

Es waren Tränen der Wut.

Sie beförderte Manfred Müller mit einem Stoß vom Bett hinunter. Sein feister Körper rollte auf den Teppichboden. Kea fuhr sich mit beiden Händen über ihr schweißnasses Gesicht und strich ihr schulterlanges Haar nach hinten.

Sie gönnte sich eine kleine Pause, bis ihre Atemzüge wieder gleichmäßig kamen und das Luftholen nicht mehr mit Schmerzen verbunden war. Dann zog sie ihren Hackenschuh wieder an, taumelte auf ihren ohnmächtigen Widersacher zu und trat ihm schwungvoll in die Rippen.

„Wie fühlt sich das an, du Jammerlappen?“

Natürlich erwartete Kea keine Antwort. Sie konnte nicht einschätzen, wie lange der Freier außer Gefecht sein würde. Sie schlüpfte in ihr dunkles Kleid und begann damit, das Hotelzimmer zu durchsuchen. Nubik hatte ihr eingeschärft, wonach sie Ausschau halten sollte. Der Henker mochte wissen, was dieser Psychopath mit René anstellen würde, falls sie nicht lieferte.

Versagen war für Kea keine Option.

Zum Glück benötigte sie keine fünf Minuten, um das Blackberry zu finden. Ihr Herz hüpfte vor Erleichterung. Aber vielleicht hatte der Freier ja zwei Geräte dieser Art? Kea schaute in seine Reisetasche, seinen Aktenkoffer, sogar in den Hotelsafe. Sie kannte einen Trick, um die Kombinationen dieser standardisierten Tresore im Handumdrehen zu knacken.

Vielleicht hätte ich Hoteldiebin werden sollen, anstatt für solche Idioten die Beine breitzumachen, dachte Kea.

Immerhin war es ihr erspart geblieben, von Manfred Müller bestiegen zu werden. Außerdem hatte sie das Blackberry klauen können. Im Gesamtergebnis also eine erfolgreiche Nacht. Natürlich nahm Kea dem Bewusstlosen auch noch sein Bargeld, seine Kreditkarten und seine Protzer-Armbanduhr ab.

Erstens wäre es Verschwendung gewesen, so viel Beute einfach zurückzulassen. Und zweitens sollte der Eindruck vermieden werden, dass es ihr nur auf das Blackberry angekommen wäre.

Kea nahm ihren Lippenstift zur Hand und schrieb damit die Worte ICH BIN EIN VERSAGER auf Manfred Müllers Hühnerbrust.

Dann zog sie die Tür hinter sich zu.

Im Lift warf sie einen Blick in den Spiegel. Abgesehen von leichten Abschürfungen an ihrem Hals deutete nichts darauf hin, dass sie noch vor wenigen Minuten verzweifelt um ihr Leben gekämpft hatte.

Und sie wirkte nicht nuttig, jedenfalls nicht auf Außenstehende. Nachtportiers hingegen schienen einen sechsten Sinn für Frauen ihres Gewerbes zu haben. Aber da Kea sich zu benehmen wusste und unauffällig blieb, hatte sie nie Ärger mit dem Rezeptionspersonal. Nach einigen Jahren im Job kannte sie die meisten Hamburger Portiers zumindest vom Sehen.

Kea verließ das Hotel. Es war inzwischen drei Uhr morgens. Schon kam ein Taxi herangerauscht. Sie wollte einsteigen, als plötzlich ein Kerl neben ihr auftauchte. Er musste ihr aufgelauert haben, jedenfalls erschien er wie aus dem Nichts.

„Setz dich hinten ins Auto“, kommandierte er. Und verlieh seinen Worten Nachdruck, indem er seine Revolvermündung gegen Keas Flanke presste.

 

2

René wollte gewinnend grinsen, aber es blieb bei dem Versuch. Wahrscheinlich hatte sich sein Gesicht soeben in eine verzweifelt wirkende Grimasse verwandelt. Checken konnte er es nicht, denn in dem fensterlosen Lagerraum gab es keinen Spiegel.

Und er war hier allein mit einem der gefürchtetsten Männer St. Paulis.

„Echt, Nubik, auf Kea ist Verlass. Die Kleine ist gut wie Gold und außerdem eine treue Seele. Wenn du sie angeheuert hast, dann ist die Sache so gut wie geritzt“, sagte er mit zitternder Stimme. René konnte deutlich seinen eigenen Angstschweiß riechen. Ansonsten hing in dem zum Gefängnisraum umfunktionierten Lager Whisky- und Biergeruch in der Luft. Nubik hatte hier offenbar Vorräte für seinen Nachtklub gebunkert gehabt, bevor seine Leute eine Luftmatratze und eine Decke sowie einen Eimer für René in das Kellerverlies geschafft hatten.

René war kein Schwächling. Dennoch wäre es für ihn unvorstellbar gewesen, es mit Nubik aufzunehmen. Momentan fühlten sich seine Knie so weich an, dass er sich noch nicht einmal von seiner Luftmatratze erheben konnte. Also blieb er dort sitzen und blickte zu dem Nachtklubbesitzer auf, der sich gegen die Betonwand gelehnt hatte.

„Kea ist spät dran“, stellte Nubik fest. „Es wäre besser für dich, wenn sie vor dem Morgengrauen mit dem Blackberry hier aufkreuzt. Ich habe einen Ruf zu verlieren, René. Diese Tatsache müsste sogar ein Hohlkopf wie du verstehen. Wenn ich dich kidnappen lasse und meine Forderung nicht erfüllt wird, dann wird jeder auf St. Pauli den Respekt vor mir verlieren. Und Respekt ist alles.“

„Kein Grund zur Aufregung.“ René lachte nervös. „Echt, Kea hat es drauf.“

Nubik würdigte seinen Gefangenen keines Blickes. Als er den Mund öffnete, war es, als ob er zu sich selbst spräche.

„Ich weiß, dass ich nicht so dämlich bin wie du. Mein Intelligenzquotient beträgt 128, falls dir das etwas sagt. Und dennoch gibt es Dinge, die ich nie begreifen werde. Kea ist nicht wie diese anderen Nutten, sie ist etwas Besonderes. Kea hat ein Geheimnis, das sagt mir mein Instinkt. Und ich verstehe nicht, was sie an einem Loser wie dir findet.“

René zuckte mit den Schultern. Seine Kiefernmuskeln schmerzten aufgrund seines Dauergrinsens.

„Tja, muss wohl an meinen schönen blauen Augen liegen ...“

Kaum hatte René diese Worte ausgesprochen, als auch schon Nubiks Arm nach vorn schoss. Der Nachtklubbesitzer packte seinen Gefangenen an der Kehle. Mit der anderen Hand holte er sein Springmesser aus der Tasche und ließ es aufschnappen.

„Du kommst dir wohl unglaublich cool vor, du Komiker? Soll ich dir deine schönen blauen Augen rausschneiden und sie Kea per Expresslieferung zukommen lassen? Ich hätte nicht übel Lust, genau das zu tun.“

René erstarrte, fühlte sich innerlich wie gelähmt. Was sollte er nur tun? War er nicht unterwürfig genug gewesen? Hatte er es an Respekt mangeln lassen? Obwohl René schon seit Jahren auf St. Pauli wohnte, gehörten Kiezgrößen wie Claude Nubik nicht zu seinem Bekanntenkreis.

René wusste selbst, dass er für den Nachtklubbesitzer nur eine Made war. Und was für einen Auftrag Kea für Nubik ausführen sollte, hatte er auch nicht mitgekriegt. René wusste nur, dass er sein Augenlicht behalten wollte. Doch momentan gab es niemanden, der ihm beistehen konnte.

Nubik ließ René genauso abrupt los, wie er ihn sich gekrallt hatte. Er versenkte die Messerklinge wieder im Griff.

„Vielleicht fehlt es mir einfach an Verständnis für Gefühle, obwohl sie meine Geschäftsgrundlage sind, René. Tatsache ist, dass sich Kea in diesem Moment auf einen perversen Freier einlässt, nur um mir einen Gefallen zu tun. Wer weiß, was dieser Dreckskerl mit ihr anstellt. Und warum macht sie das? Weil ich ihr ein Foto von dir geschickt habe, wie du auf deiner blöden Luftmatratze hockst und flennst.“

René war nicht sicher, ob er früher am Abend wirklich geheult hatte. Zu dem Zeitpunkt hatte er noch ziemlich stark unter Drogen gestanden. Inzwischen war er dank seiner Todesangst wieder stocknüchtern. Immerhin konnte er sich noch dunkel daran erinnern, dass einer von Nubiks Handlangern mit dem Smartphone ein Bild von ihm gemacht hatte.

René sagte jetzt lieber nichts, die Furcht hatte ihn fest im Griff. Nubik schien ohnehin laut nachzudenken, als er fortfuhr: „Ich kriege ziemlich viel von dem mit, was auf St. Pauli läuft. Wissen ist Macht, diesen Ausspruch wird vielleicht sogar ein Halbaffe wie du schon gehört haben. Du verdankst deinen unfreiwilligen Aufenthalt in meinen Gemächern der Tatsache, dass Kea dich mag. Vielleicht lässt sie dich sogar gratis auf sie draufrutschen, das will ich gar nicht so genau wissen. Also bist du aus meiner Sicht ein hervorragendes Druckmittel. Ich hätte natürlich auch einfach Theo einschalten können. Aber je weniger Leute von der Sache wissen, desto besser ist es.“

René kannte Keas Zuhälter und verabscheute ihn, was auf Gegenseitigkeit beruhte. Und es stimmte, dass Kea René gelegentlich ranließ, ohne ihr übliches Honorar zu berechnen. Als René von Nubiks Männern verschleppt worden war, hatte er zunächst befürchtet, Theo in die Hände gefallen zu sein.

Doch nun wäre er lieber in der Gewalt des Zuhälters gewesen als dem Unterweltkönig Nubik ausgeliefert zu sein. Er hätte über seinen Sinneswandel lachen können, wenn seine Todesangst nicht so groß gewesen wäre.

René zuckte zusammen, als Nubiks Handy klingelte. Das Geräusch kam ihm in dem engen Lagerraum so laut vor, dass seine Trommelfelle schmerzten. Der Nachtklubbesitzer nahm das Gespräch entgegen. Seine Augenbrauen zogen sich währenddessen stärker zusammen. Nubiks Blick schien René zu durchbohren.

„Okay, dann meldest du dich wieder, wenn es Neuigkeiten gibt.“

Mit diesen Worten beendete Nubik das Telefonat und steckte sein Smartphone wieder ein. Dann wandte er sich an seinen Gefangenen.

„Es sieht jetzt nicht so aus, als ob du diese Nacht überleben würdest.“

 

3

Kea presste die Lippen aufeinander. Krampfhaft versuchte sie, ihre Gedanken zu ordnen.

Wer waren die Kerle, von denen sie soeben verschleppt wurde? Zu Nubiks Leuten gehörten sie nicht, obwohl man nie ganz sicher sein konnte, wer alles auf der Lohnliste des Nachtklubbesitzers stand.

Und zu Theos Freunden konnte man sie auch nicht zählen. Kea kannte die meisten Zuhälter auf St. Pauli zumindest vom Sehen. Natürlich gab es auch noch in anderen Ecken Hamburgs Prostitution, aber die Reviere waren abgesteckt und wurden von allen Beteiligten penibel respektiert.

Der Taxifahrer machte jedenfalls gemeinsame Sache mit dem Revolvermann. Falls Kea es überhaupt mit einem echten Taxler zu tun hatte. Vermutlich war die Karre geklaut, aber das fand sie jetzt nebensächlich.

„Wohin bringt ihr mich?“

„Dorthin, wo niemand deine Schreie hören kann.“

Diese Antwort auf Keas Frage bewies ihr, dass es ernst war. Aber sie hatte das Kidnapping ohnehin nicht für einen schlechten Scherz gehalten. Aus den Augenwinkeln musterte sie die pockennarbige Visage des Mannes neben ihr. Das Angenehmste an ihm war der Duft eines teuren Aftershaves, den er verströmte. Ansonsten hielt sie ihn für einen Widerling. Und das nicht nur, weil er immer noch seinen Revolver auf sie gerichtet hatte.

Keas Kehle fühlte sich staubtrocken an. Der Freier war kein ernst zu nehmender Gegner gewesen. Bei diesem Duo lagen die Dinge anders. Die beiden Männer wussten genau, was sie taten. Der Taxifahrer hielt sich genau an die Straßenverkehrsordnung. Auf der Rothenbaumchaussee fuhr eine Zeit lang ein Streifenwagen hinter dem Taxi.

Ob Kea an einer roten Ampel aus dem Wagen springen und um Hilfe rufen sollte?

Sie entschied sich dagegen. Erstens benötigte der Kerl neben ihr nur einen winzigen Moment, um ihr eine Kugel zu verpassen. Und zweitens kamen Kea die Männer wie ausgekochte Profis vor. Sie würden keine Hemmungen haben, auf Polizisten zu schießen.

Es war, als ob der Revolvertyp ihre Gedanken gelesen hätte.

„Braves Mädchen“, sagte er grinsend, als die Ampel auf Grün umsprang und das Taxi wieder anfuhr. Er tätschelte ihr Knie.

„Wer schickt euch?“, brachte Kea hervor.

„Das willst du nicht wissen“, lautete die Antwort.

Kea versuchte, ihre Chancen einzuschätzen. Wenn sie nichts unternahm, würde sie diese Nacht nicht überleben. Für sie war es sonnenklar, dass es den Männern ebenfalls um das Blackberry ging. Aber nicht nur darum.

Die Dreckskerle hätten ihr schon längst ihre Handtasche abnehmen können, in der sich das Smartphone befand. Dafür wäre es noch nicht einmal nötig gewesen, sie in dem Taxi zu verschleppen. Doch das reichte ihnen nicht.

Das Duo würde vermutlich über Kea herfallen und sie anschließend als lästige Augenzeugin umbringen.

Kea wusste, dass sie mit dieser Vermutung richtig lag. Nun musste sie nur noch den Spieß umdrehen. Sie wandte sich dem Revolvertyp zu und quälte sich ein Lächeln ab.

„Hör mal, ich mag es auf die harte Tour. Du musst nicht ständig deine Bleispritze auf mich gerichtet halten.“

Der Widerling stieß ein heiseres Lachen aus.

„Ach, ist das so? Du wirst noch um Gnade winseln, bevor wir mit dir fertig sind“, antwortete er. Und drückte weiterhin seine Revolvermündung gegen Keas Leib.

Maulhelden gibt es im Dutzend billiger, dachte sie.

Der Taxifahrer lenkte seine Mietkutsche Richtung Nordwesten. Von diesem Mann hatte Kea bisher nur den Hinterkopf sowie die mit Schuppen bedeckten Schultern zu sehen bekommen. Außerdem erblickte sie dann und wann seine Mörderaugen im Rückspiegel. Instinktiv spürte sie, dass er gefährlicher war als der Revolverschwinger, mit dem sie Körperkontakt hatte. Die Schweigsamen erwiesen sich meist als die wirklich üblen Gegner. Sie verschwendeten keine Energie mit sinnlosem Gefasel, sondern hoben sich ihre Kraft für die absolute Vernichtung auf. Solche Männer musste man wirklich fürchten.

Der Taxifunk war abgeschaltet.

Als der Mercedes-Benz die Stadtgrenze erreichte, verlor Kea endgültig die Orientierung. Sie kannte sich in Hamburg gut aus, als Callgirl hatte sie praktisch alle Stadtteile der Metropole schon aufgesucht.

Natürlich, das Duo würde sich Kea irgendwo in der ländlichen Einsamkeit vorknöpfen. Da das Licht im Auto ausgeschaltet war und die Finsternis draußen nicht mehr durch Straßenlaternen erhellt wurde, schien das Taxi mitten in einen finsteren Schlund zu fahren. Nur dann und wann kam ihnen ein anderes Fahrzeug entgegen, dessen Scheinwerfer für Momente das Wageninnere erhellten. Ansonsten bestand die einzige Beleuchtung aus den Leuchten am Armaturenbrett.

Und dann blieb das Taxi plötzlich stehen.

Der Fahrer stellte den Motor aus. Nun war das Zirpen von Grillen als das einzige Geräusch zu hören. Es war, als ob die Natur Kea verhöhnen wollte. Sie selbst vernahm ansonsten nur noch den rasend schnellen Rhythmus von Hammerschlägen. Aber sie erkannte, dass dies ihre eigenen Herztöne waren.

„Jetzt kommen wir zum gemütlichen Teil.“

Mit diesen Worten rückte der Revolvermann etwas von Kea ab, während er gleichzeitig seine Hand ausstreckte.

„Du gibst mir jetzt das Blackberry!“

Kea öffnete ihre Handtasche und überreichte dem Kerl ohne Zögern ihre Beute.

„So, und jetzt zieh dich aus!“

„Sorry, aber ich bin schüchtern“, erwiderte Kea. Dann zog sie ihre Glock hervor und verpasste dem Ekel ein Stück heißes Blei.

Das Schussgeräusch im Taxi war ohrenbetäubend. Kea konnte nicht genau sehen, wo sie ihren Widersacher getroffen hatte. Auf jeden Fall lebte er noch, denn er schrie wie am Spieß. Kea feuerte noch einmal in seine Richtung. Angesichts der geringen Distanz war es fast unmöglich, ihn zu verfehlen. Sie hoffte nur, dass sie nicht versehentlich das Blackberry getroffen hatte. Stillschweigend war sie davon ausgegangen, dass sie Nubik das Smartphone unbeschädigt übergeben musste, damit René kein Haar gekrümmt wurde.

Ihre beiden Gegner hatten offensichtlich nicht damit gerechnet, dass eine Hure außer Kondomen und Papiertaschentüchern auch noch eine Pistole in ihrer Handtasche hatte.

 

Der Revolvermann schoss nun zurück. Die Kugel sirrte knapp an Kea vorbei und zerstörte das Seitenfenster hinter ihr. Keas Ohren klingelten. Sie schwenkte ihre Pistolenmündung in Richtung des Taxifahrers. Aber der reagierte mit beachtlicher Kaltblütigkeit. Ob er keine Schusswaffe hatte? Auf jeden Fall drehte er sich um. Und bevor Kea noch einmal abdrücken konnte, sprühte er ihr eine Ladung Pfefferspray ins Gesicht.

Kea fühlte sich, als ob ihre Augäpfel in Frittierfett geworfen würden.

Sie bekam keine Luft mehr.

Und das fühlte sich diesmal noch gemeiner als bei den Würgespielen im Hotel. Wütend schoss sie in die Richtung, wo sie den Taxler vermutete. Gleichzeitig tastete sie mit der anderen Hand nach dem Türgriff hinter ihr. Eigentlich hatte sie sich das Blackberry zurückholen wollen, aber das konnte sie nun vergessen. Wie sollte das funktionieren, wenn sie nichts mehr sah und keine Luft kriegte?

Kea fiel aus dem Auto, landete mit dem Gesicht im Dreck. Sie schmeckte feuchte Erde auf ihrer Zunge.

Der Motor wurde gestartet. Gleich darauf entfernte sich das Geräusch ziemlich schnell. Bei der Schießerei war den beiden Widerlingen offenbar die Lust auf eine Vergewaltigung vergangen. Immerhin hatten sie es geschafft, das Blackberry in ihre Finger zu kriegen.

 

Kea blieb auf dem Bauch liegen und wartete, bis sich ihre Atemzüge beruhigt hatten und der Schmerz in ihren Augen allmählich nachließ. Sie musste sehr oft blinzeln, aber nach einer Weile konnte sie wieder einigermaßen sehen.

Sie lag neben einem Feldweg. Irgendwo weit entfernt erblickte Kea die Lichter eines Dorfes. Sie checkte den Inhalt ihrer Tasche und stellte beruhigt fest, dass sie ihre Glock und ihr Handy nicht verloren hatte.

Alles andere war nebensächlich.

Kea musste jetzt dringend etwas unternehmen, sonst hatte sie René auf dem Gewissen.

Also rief sie Nubik an.

 

4

„Kea hat versagt.“

Diese Worte warf Nubik René an den Kopf. Die Todesangst in den Augen seines Gefangenen verbesserte seine Laune nur ein wenig. Wen kümmerte es, ob eine Wanze wie René Kemper lebte oder starb? Nubik verschwendete daran keinen weiteren Gedanken. Ihn beschäftigte jetzt nur die Frage, wie er an das Blackberry kommen sollte. Solange das Gerät sich im Besitz des Freiers befand, hatte Nubik wenigstens noch gewusst, wo er es zu suchen hatte. Und nun war das Blackberry mitsamt der Nutte verschwunden.

Kea war Nubik egal.

Wahrscheinlich hatten diese Bastarde ihr längst die Kehle durchgeschnitten.

„Weißt du, wer mich gerade angerufen hat?“, fragte Nubik René. Der Versager schüttelte den Kopf.

„Nein, das weißt du natürlich nicht, du weißt ja sowieso kaum etwas“, fuhr Nubik fort. „Das war Ed, einer meiner Männer. Er sollte Kea im Auge behalten, ihm hätte sie das Blackberry übergeben sollen.“

„Und sie hat es nicht getan?“, fragte René dümmlich. Nubik verpasste ihm eine Ohrfeige.

„Natürlich nicht, du Flachzange! Ich hätte eindeutig bessere Laune, wenn das Blackberry schon auf dem Weg hierher wäre. Aber Kea ist von zwei Typen gekidnappt worden, bevor Ed dazwischengehen konnte.“

Nubik fragte sich, ob er selbst einen Fehler gemacht hatte. Ed war allein. Wenn Nubik zwei Männer zu dem Hotel geschickt hätte, dann wäre die Sache vielleicht anders ausgegangen. Andererseits wollte Nubik Aufsehen um jeden Preis vermeiden. Das war schlecht fürs Geschäft.

„Ed hat das Taxi verfolgt, in dem deine Nuttenfreundin verschleppt wurde“, sagte der Nachtklubbesitzer. „Irgendwann gelang es den Typen, Ed abzuschütteln. Er ist noch eine halbe Stunde durch die Gegend gekurvt, um sie wiederzufinden. Allerdings ohne Ergebnis. Erst dann hat er sich getraut, bei mir anzurufen. Er weiß, dass ich Versager hasse.“

Renés Unterlippe zitterte, seine Augen waren feucht. Ob er sich schon auf sein unausweichliches Ende vorbereitete? Zum Glück hielt er momentan die Klappe. Nubik konnte auf die wenig geistreichen Bemerkungen seines Gefangenen getrost verzichten.

Da klingelte sein Smartphone erneut.

Nubik glaubte schon, dass es Ed mit einer weiteren Hiobsbotschaft wäre. Stattdessen hörte er Keas helle Stimme.

„Hallo, Nubik.“

„Du wagst es, hier anzurufen? Wo ist mein Blackberry?“

„Momentan habe ich es nicht, aber ...“

„Momentan? Was

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Cover: Marie Wölk, www.wolkenart.com
Lektorat: Christel Baumgart, www.lektorat-mauspfad.de
Tag der Veröffentlichung: 30.07.2017
ISBN: 978-3-7438-2548-2

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