Regen-Montage können verdammt langweilig sein. Trotzdem hatten mich mein Pflichtbewusstsein und meine leere Brieftasche ins Office getrieben. Meinen Sonntagabend-Kater, den ich Sams „Spezialkaffee“ zu verdanken hatte, konnte ich schließlich auch hinter meinem Schreibtisch auskurieren. Und der Anblick meiner blonden Sekretärin Lucy war zweifellos erfreulicher als der der schäbigen Wände meines Junggesellen-Apartments.
Momentan glänzte meine Vorzimmer-Queen allerdings durch Abwesenheit. Sie wollte sich im Laden unten an der Ecke einen Creme-Bagel holen, um ihre üppigen Formen noch etwas weiter aufzupolstern. Das störte mich nicht – ich schätzte jedes Gramm an Lucy.
Also hockte ich momentan allein im Office. Da es keinen aktuellen Fall gab, der ein paar Greenbacks in die leere Kasse spülen konnte, beschäftigte ich mich mit der Zeitungslektüre.
Die „New York Times“ konnte meine Laune auch nicht aufhellen. In China herrschte immer noch Bürgerkrieg zwischen Kommunisten und Nationalen. Momentan war zur Abwechslung mal wieder Generalissimus Tschiang Kai-Tschek auf der Gewinnerstraße. In Albanien war Zogu I. soeben zum König gekrönt worden. Das ließ mich schon deshalb kalt, weil ich bisher nicht gewusst hatte, dass ein Land namens Albanien überhaupt existierte. Nun, man lernt nie aus. Ein Franzose hatte den Medizin-Nobelpreis eingeheimst, aber leider nicht für eine Medizin, die mein Schädelbrummen eindämmen konnte. Einziger Lichtblick in der heutigen „Times“ war die Ankündigung des brandneuen Charlie-Chaplin-Films „Zirkus“. Über den kleinen Komiker mit Bärtchen und Hütchen konnte ich mich immer schlapplachen. Aber wie es momentan aussah, fehlten mir sogar die paar Cents für die Kino-Eintrittskarte.
Ich steckte mir meine vorletzte Lucky Strike zwischen die Lippen, als ich vor der Tür ein weibliches Stimmen-Duett vernahm. Das eine Organ gehörte ganz eindeutig Lucy. Ihre Stimme war hell und klang manchmal leicht schrill, wenn sie lachte. Und das kam ziemlich häufig vor.
Die andere Frauenstimme hatte einen dunklen, rauchigen Klang. So, als ob die Lady eine 5-Cent-Zigarre qualmen würde. Und eine Lady war sie zweifellos, das konnte ich an ihrem Tonfall hören. Als Detektiv lernt man, die Menschen durch ihre Sprechweise zu unterscheiden. Sie können einen armen Teufel aus der Gosse fischen, zum Barbier jagen und in einen Maßanzug stecken. Aber in dem Moment, wo er den Mund aufmacht, wird alle Welt wissen, dass seine Heimat der Rinnstein ist. Und nicht der Golfklub oder die Börse.
Bevor ich mich weiter in meine Grübeleien über Ungleichheit und Ungerechtigkeiten unseres irdischen Daseins vertiefen konnte, wurde die Tür aufgerissen. Lucy trat mit einer Lady im Schlepptau ein.
„Chef, da ist eine neue Klientin, die dich unbedingt sprechen möchte“, zeigte sich Lucy optimistisch. „Ich bin ihr im Treppenhaus begegnet.“
Ich konnte die Begeisterung meiner Sekretärin teilen. Selbstverständlich wusste Lucy ebenso gut wie ich, dass ich momentan finanziell nicht gerade auf Rosen gebettet war. Seemännisch ausgedrückt: Wenn ich absöffe, würde ich sie mit in den Strudel ziehen. So einfach war das.
Und die Frau, die mit ihr hereingekommen war, sah wirklich nach Geld aus. Sie trug keinen billigen Kaufhaus-Fummel wie meine Vorzimmer-Queen, sondern ein teures Modellkleid, das wahrscheinlich aus Europa importiert worden war. Aus Paris, genauer gesagt. Die Lady hatte ihren Schwanenhals mit einem Collier geschmückt, dessen Verkaufserlös eine Lower-East-Side-Großfamilie ein Jahr lang hätte ernähren können. Oder zehn Jahre, denn Kartoffeln sind billig und Diamanten teuer.
Ihr blauschwarzes Haar war sorgfältig frisiert – wahrscheinlich von einem Maestro, der auf den Namen „Pierre“ oder „Jacques“ hörte. Die haselnussbraunen Augen der exotisch wirkenden Schönheit kamen mir riesig vor. Aber vielleicht lag das nur an dem Kajalstift, den sie beim Schminken reichlich eingesetzt hatte. Ein dezentes Schönheitspflaster auf dem linken Wangenknochen komplettierte das mondäne Aussehen.
„Sie sind Mr. Jack Reilly?“, wandte sich die Fremde nun an mich, wobei diese Frage gewiss nur eine Floskel war. Wer sollte denn sonst in dem Büro hocken, an dessen Glastür mein Name angebracht war? Vielleicht Buster Keaton?
Ich nickte artig, wobei ich aufsprang und mein Jackett glatt strich. Mit einer einladenden Bewegung deutete ich auf das Sofa.
„Mit wem habe ich die Ehre?“, wollte ich wissen, während ich mir gleichzeitig durch meine gestelzte Sprache so verkleidet vorkam wie ein Bison unter texanischen Longhorn-Rindern. Wenn ich nicht so falsch wirken wollte wie eine Pik-neuneinhalb-Spielkarte, würde ich besser lockerer auftreten.
„Mein Name ist Victoria Fuentes.“
Mit einer fließenden Bewegung sank sie auf die Sitzgelegenheit und schlug ihre unendlich langen Beine übereinander.
„Ich bringe einen Kaffee“, flötete Lucy und bewegte ihr Hinterteil sowie den Rest ihres üppigen Körpers in Richtung Küchenecke. Hinter Miss Fuentes’ Rücken grinste sie mir zu und zeigte mit dem Daumen nach oben. Ob sie Grund dazu hatte, würde sich in den nächsten Minuten herausstellen. Lucy begann geräuschvoll mit der Kaffeezubereitung. Mein Glimmstängel qualmte immer noch im Ascher vor sich hin. Ich überlegte, ob ich weiterhin den britischen Gentleman spielen und in Gegenwart einer Lady nicht rauchen sollte. Aber da sich Miss Fuentes in diesem Moment selbst eine Camel in eine Zigarettenspitze aus Elfenbein steckte, entschied ich mich dagegen. Stattdessen riss ich ein Zündholz an meiner Schuhsohle an und gab ihr Feuer.
„Danke“, sagte sie mit einem Akzent, den ich nicht richtig zuordnen konnte. „Ich benötige einen Detektiv, auf dessen Verschwiegenheit ich mich ganz verlassen kann, Mr. Reilly.“
„Schießen Sie einfach los“, gab ich nun den halbherzigen Versuch auf, als der wohlerzogene Lackschuhträger zu erscheinen, der ich nicht war. „Dann wird sich zeigen, ob ich der Richtige bin.“
Victoria Fuentes schenkte mir ein Lächeln – so, als ob sie ahnen würde, was in mir vorging. Ich kapierte instinktiv, dass ich diese Frau nicht unterschätzen durfte.
„Das Problem ist einfach zu benennen“, kam sie nun zur Sache. „Ich bin Kunstmalerin und stamme aus Argentinien. Ich reise durch die Vereinigten Staaten, um mich in meiner Malerei von dem technischen Fortschritt inspirieren zu lassen. Deshalb kam ich nach New York City.“
Ich konnte mir nicht vorstellen, dass jemand unsere Wolkenkratzer und Schlachthöfe auf die Leinwand bannen wollte. Andererseits habe ich in meinem Job als Privatdetektiv festgestellt, dass fast nichts unmöglich ist. Also forderte ich den Zigarettenspitzen-Engel durch ein knappes Nicken auf, fortzufahren – was Victoria Fuentes dann auch tat.
„Ich habe einen reichen Gönner, Mr. Reilly. Es handelt sich um einen Gentleman, der mich fördert. Für ihn erledigte ich eine Auftragsarbeit – ich sollte sein Firmengebäude malen. Das Bild konnte ich vor kurzem fertig stellen. Aber es wurde mir wenig später gestohlen.“
„Können Sie es nicht noch mal pinseln?“, stellte ich mich dumm.
„Natürlich könnte ich das, Mr. Reilly. Aber diese Auftragsarbeit soll ich übermorgen abliefern, rechtzeitig zum Firmenjubiläum. Das ist unmöglich zu schaffen. Ich muss das gestohlene Bild zurückbekommen, wenn ich nicht die Gunst meines Mäzens verlieren will.“
„Ich verstehe, Miss Fuentes. Und was genau ist auf dem Gemälde zu sehen?“
„Der Firmensitz von Whitetree Mills“, lautete die Antwort. Ich drückte meine Zigarette im Aschenbecher aus. Die Sache schmeckte mir nicht. Wieder schien Victoria Fuentes zu spüren, wie die Uhr in meinem Inneren tickte. Sie öffnete ihre Krokodilleder-Handtasche und zauberte eine Rolle Greenbacks hervor.
„Reichen 500 Dollar für Spesen, Mr. Reilly? Wenn Sie das Bild unversehrt zurückbringen, bekommen Sie weitere tausend Dollar als Erfolgsprämie.“
Lucy, die in diesem Moment den Kaffee brachte, hätte beinahe das Tablett fallen lassen. Ihre kühnsten Träume wurden wahr, ebenso wie meine. Natürlich steckte ich das Geld ein. Alles andere wäre finanzieller Selbstmord gewesen. Aber eine Frage musste ich noch klären, das war ich mir einfach selber schuldig.
„Ich werde Sie nicht enttäuschen, Miss Fuentes. Trotzdem interessiert mich, warum Sie nicht einfach zur Polizei gehen.“
Die Kunstmalerin zuckte mit den Schultern.
„Das New York Police Department hat keinen guten Ruf. Außerdem würde man dort nur eine Akte anlegen, fürchte ich. Angesichts der vielen Gangster in dieser Stadt würde der Diebstahl eines Gemäldes wohl nicht als wichtiger Fall eingestuft. Und die Polizei könnte das Bild niemals bis übermorgen wiederbeschaffen. Doch Ihnen traue ich das zu, Mr. Reilly.“
Sie lächelte mich an wie eine Bardame, die einen reichen Farmer aus North Dakota um sein Geld erleichtern will. Während wir uns den Kaffee schmecken ließen, zog ich ihr noch ein paar Informationen aus der Nase.
Das Bild war in ihrem möblierten Apartment in Brooklyn Heights gestohlen worden. Ich bat sie, mir den Schlüssel zu geben, was sie umgehend tat. Ich wollte mich dort allein in aller Ruhe umsehen.
„Sie können sich den Schlüssel heute Nachmittag hier wieder abholen“, stellte ich ihr in Aussicht. Victoria Fuentes war zufrieden, dass ich mich sofort in den Bilder-Diebstahl reinkniete. Okay, der Fall kam mir spanisch vor. Und das lag nicht nur am argentinischen Akzent unserer neuen Klientin.
Victoria Fuentes trank ihren Kaffee aus und sagte Good-bye. Als sie durch die Außentür verschwunden war, pflanzte Lucy ihr rundes Hinterteil auf meine Schreibtischplatte, klaute mir meine letzte Zigarette und schlug ihre wohlgeformten Oberschenkel übereinander. Außerdem streckte sie mir die rechte Hand entgegen.
„Mein Gehalt für die letzten Monate steht noch aus, Chef“, forderte sie. Da sie meine beste und einzige Mitarbeiterin war, konnte ich mich ihrem Wunsch nicht verschließen. Ich gab ihr 200 Dollar von dem halben Tausender, den ich gerade kassiert hatte. Wenigstens Feuer konnte sie sich selber geben. Sie ließ die Banknoten in ihrem Ausschnitt verschwinden.
„Ist dir auch aufgefallen, dass unsere Miss Fuentes mit falschen Karten spielt?“, wollte ich von meiner Sekretärin wissen. „Oder würdest du ihr abkaufen, dass sie Kunstmalerin sein will?“
„Die und Kunstmalerin?“ Lucy ließ ihr süßes schrilles Lachen hören. „Chef, von Bildern verstehe ich vielleicht nicht allzu viel. Aber ich erkenne gute Maniküre, wenn ich sie sehe. Die Elfenfinger dieser Lady werden in den besten Schönheitssalons gestylt, die eine Frau sich leisten kann. Die Fuentes macht sich niemals die Hände mit Ölfarbe und solchem Zeugs schmutzig.“
„Habe ich mir auch gedacht, Lucy. Außerdem behauptet sie, ein reicher Gönner habe sie beauftragt, sein Firmengebäude zu pinseln. Seltsam, aber auf dem Bild soll angeblich das Whitetree-Mills-Building zu sehen sein.“
„Habe ich auch mitgekriegt. Aber was ist daran seltsam, Chef?“
„Whitetree Mills wird von Cynthia Whitetree geleitet, einer fünfzigjährigen Xanthippe und New Yorks letzter Jungfrau in ihrer Altersklasse. Die dürfte wohl kaum der Kunstmäzen sein, der wahrscheinlich nur in der Phantasie dieses argentinischen Luders existiert.“
„Weswegen will die Fuentes uns verladen, Chef?“
„Frag mich was Leichteres, Lucy. Aber wir werden es herausfinden. Ich gehe jetzt erst mal in ihrem Apartment schnüffeln. Und wenn sie nachher auftaucht, um ihren Schlüssel abzuholen, wirst du sie unauffällig beschatten, kapiert? Ich will sehen, wohin sie geht und mit wem sie sich trifft.“
Lucys hübscher Kussmund verzog sich zu einem noch breiteren Grinsen. Sie liebte es, wenn sie richtige Detektivarbeit machen durfte und nicht nur auf der Schreibmaschine herum klappern musste.
Bevor ich nach Brooklyn Heights fuhr, machte ich noch einen Abstecher zur „Times“. Mein alter Kumpel, der Sportreporter Alec Snyder, stopfte sich gerade ein Sandwich in die Futterlade.
„Wohl bekomm’s“, grinste ich und schlug ihm auf die Schulter. „Wie wär’s, wenn wir das trockene Brot mit einer Spezialmischung herunter spülen?“
„Schon überredet“, brummte Alec. Wir machten uns gemeinsam auf die Socken und saßen wenig später bei Chubby Boy. Der Rundling servierte uns einen Kaffee, der seltsamerweise stark nach Single Malt schmeckte. Okay, das mussten wir dann wohl aushalten ...
„Du bist doch bestimmt nicht nur gekommen, um mir meine Frühstückspause anzufeuchten“, ließ Alec einen Versuchsballon aufsteigen. Ich nickte.
„Messerscharf kombiniert. Ich habe mich gefragt, wer wohl in Brooklyn Heights die Nummer eins im Einbruchsgeschäft sein könnte."
Der Sportreporter konnte sich ein hämisches Grinsen nicht verkneifen.
„Einbruch, Jack? Was für Fälle bearbeitest du denn als Nächstes? Entlaufene Hunde?“
Sein Spott perlte von mir ab wie Regen von einem Ölmantel.
„Die Zeiten sind hart und den Letzten beißen die Hunde. Sogar die entlaufenen.“
„Wenn du kein Detektiv mehr sein willst, solltest du dich als weiser Mann versuchen. – Aber ernsthaft, bei Einbrüchen fällt mir sofort Luke Carruthers ein. Ich kann nicht beschwören, ob er auch in Brooklyn Heights was macht. Aber er ist groß im Geschäft, wie ich höre.“
„Ich werde dem Vogel mal auf den Zahn fühlen. Wo finde ich ihn?“
Alec sagte es mir. Wir tauschten noch den neuesten New-York-Tratsch aus, dann zahlte ich die Runde und schwang mich wenig später in meinen altersschwachen Plymouth. Luke Carruthers lebte nicht in Brooklyn Heights, sondern in einem Loch in der Lower East Side von Manhattan. Ich stellte meinen Wagen gegenüber der Police Station an der Bowery ab. Das war wahrscheinlich die
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Martin Barkawitz
Cover: Germancreative, www.fiverr.com
Lektorat: Christel Baumgart, www.lektorat-mauspfad.de
Tag der Veröffentlichung: 22.01.2016
ISBN: 978-3-7396-3328-2
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