Brief an eine Mitschülerin

Ich weiss, was du für eine bist. Du bist in deiner Klasse weder die Führerin, noch die Aussenseiterin. Du gehörst dazu, doch du hast keine Verpflichtungen, denkst du.
Und so handelst du so, wie alle handeln. Du darfst mit den anderen lachen, du gehörst dazu...
Und der einzige Preis den du zahlen musst, ist deine Meinungsfreiheit. Du findest mich blöd, weil sie es sagen. Du lachst über mich, wenn die anderen es ebenfalls tun. Du schubst mich, wenn sie dir ein Zeichen geben.
Und ich weiss, du meinst es nicht böse.
Es ist nicht so, als würdest du mich hassen, oder als ob du mir den Tod wünschest.
Doch weisst du, manchmal gehe ich nach Hause, und denke an Suizid. Schreibe mit einer stählernden Klinge eine grosse, rote 36 auf meinen rechten Arm.
36, weil ich euch mit 47 zu dick bin. Habt ihr euch zumindest hinter meinem Rücken zugeraunt, laut genug, dass mich eure Worte wie stumpfe Nadeln durchbohrt und durchlöchert haben. Als ich noch klein und süß und 36 Kilo war, hat sowas niemand über mich gesagt. Dort war ich noch so wie du, ich hatte mein Leben, meine Familie und mich selbst.
Und weisst du, während du das hier liest, sitze ich hier, mit einer Plastiktüte über dem Kopf, tot wie ein Stein, aber noch nicht halb so hart. Das kommt erst später.
Und ich weiss, das hier ist kein schöner Brief für ein Mädchen wie dich.
Doch ich will dass du weisst, dass ein Wort, eine Nettigkeit von einem von euch genügt hätte, mich zu retten. Es hätte nicht mehr als eine Umarmung gebraucht, und ich hätte Hoffnung geschöpft. Vielleicht hätte ich gar gelächelt.
Aber ich verstehe dich.

Das Leben einer Zuckerpüppchenmitläuferin ist nicht leicht.

Impressum

Texte: Alle Rechte liegen bei Lynn Peter
Bildmaterialien: Alle Rechte bei Lynn Peter
Tag der Veröffentlichung: 02.11.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für alle, die sich meine Werke durchlesen, und auch für jene, die dies nicht tun.