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Der Held unserer Zeit

The Project Gutenberg EBook of Nachtstuecke, by E.T.A. Hoffmann

 

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Title: Nachtstuecke

 

Author: E.T.A. Hoffmann

 

Release Date: August, 2004 [EBook #6341]

[Yes, we are more than one year ahead of schedule]

[This file was first posted on November 28, 2002]

 

Edition: 10

 

Language: German

 

Character set encoding: Latin1

 

*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, NACHTSTUECKE ***

 

 

 

 

This text has been derived from HTML files at "Projekt Gutenberg - DE"

(http://www.gutenberg2000.de/etahoff/nachtst.htm), prepared by

Gerd Bouillon (gerd.bouillon@t-online.de), (reuter@abc.de), and

Gunter Hille (hille@abc.de).

 

 

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Nachtstücke

 

 

 

Erzählungen von E.T.A. Hoffmann

 

 

 

Erster Teil

Der Sandmann

Ignaz Denner

Die Jesuitenkirche in G.

Das Sanctus

 

Zweiter Teil

Das öde Haus

Das Majorat

Das Gelübde

Das steinerne Herz

 

 

 

Erster Teil

 

 

 

Der Sandmann

 

Nathanael an Lothar

 

Gewiß seid Ihr alle voll Unruhe, daß ich so lange - lange nicht

geschrieben. Mutter zürnt wohl, und Clara mag glauben, ich lebe hier

in Saus und Braus und vergesse mein holdes Engelsbild, so tief mir

in Herz und Sinn eingeprägt, ganz und gar. - Dem ist aber nicht so;

täglich und stündlich gedenke ich Eurer aller und in süßen Träumen

geht meines holden Clärchens freundliche Gestalt vorüber und lächelt

mich mit ihren hellen Augen so anmutig an, wie sie wohl pflegte,

wenn ich zu Euch hineintrat. - Ach wie vermochte ich denn Euch zu

schreiben, in der zerrissenen Stimmung des Geistes, die mir bisher

alle Gedanken verstörte! - Etwas Entsetzliches ist in mein Leben

getreten! - Dunkle Ahnungen eines gräßlichen mir drohenden

Geschicks breiten sich wie schwarze Wolkenschatten über mich aus,

undurchdringlich jedem freundlichen Sonnenstrahl. - Nun soll ich Dir

sagen, was mir widerfuhr. Ich muß es, das sehe ich ein, aber nur es

denkend, lacht es wie toll aus mir heraus. - Ach mein herzlieber

Lothar! wie fange ich es denn an, Dich nur einigermaßen empfinden zu

lassen, daß das, was mir vor einigen Tagen geschah, denn wirklich mein

Leben so feindlich zerstören konnte! Wärst Du nur hier, so könntest Du

selbst schauen; aber jetzt hältst Du mich gewiß für einen aberwitzigen

Geisterseher. - Kurz und gut, das Entsetzliche, was mir geschah,

dessen tödlichen Eindruck zu vermeiden ich mich vergebens bemühe,

besteht in nichts anderm, als daß vor einigen Tagen, nämlich am 30.

Oktober mittags um 12 Uhr, ein Wetterglashändler in meine Stube trat

und mir seine Ware anbot. Ich kaufte nichts und drohte, ihn die Treppe

herabzuwerfen, worauf er aber von selbst fortging.

 

Du ahnest, daß nur ganz eigne, tief in mein Leben eingreifende

Beziehungen diesem Vorfall Bedeutung geben können, ja, daß wohl die

Person jenes unglückseligen Krämers gar feindlich auf mich wirken muß.

So ist es in der Tat. Mit aller Kraft fasse ich mich zusammen, um

ruhig und geduldig Dir aus meiner frühern Jugendzeit so viel zu

erzählen, daß Deinem regen Sinn alles klar und deutlich in leuchtenden

Bildern aufgehen wird. Indem ich anfangen will, höre ich Dich lachen

und Clara sagen: »Das sind ja rechte Kindereien!« - Lacht, ich bitte

Euch, lacht mich recht herzlich aus! - ich bitt Euch sehr! - Aber Gott

im Himmel! die Haare sträuben sich mir und es ist, als flehe ich Euch

an, mich auszulachen, in wahnsinniger Verzweiflung, wie Franz Moor den

Daniel. - Nun fort zur Sache!

 

Außer dem Mittagsessen sahen wir, ich und mein Geschwister, tagüber

den Vater wenig. Er mochte mit seinem Dienst viel beschäftigt sein.

Nach dem Abendessen, das alter Sitte gemäß schon um sieben Uhr

aufgetragen wurde, gingen wir alle, die Mutter mit uns, in des Vaters

Arbeitszimmer und setzten uns um einen runden Tisch. Der Vater rauchte

Tabak und trank ein großes Glas Bier dazu. Oft erzählte er uns viele

wunderbare Geschichten und geriet darüber so in Eifer, daß ihm die

Pfeife immer ausging, die ich, ihm brennend Papier hinhaltend, wieder

anzünden mußte, welches mir denn ein Hauptspaß war. Oft gab er

uns aber Bilderbücher in die Hände, saß stumm und starr in seinem

Lehnstuhl und blies starke Dampfwolken von sich, daß wir alle wie im

Nebel schwammen. An solchen Abenden war die Mutter sehr traurig und

kaum schlug die Uhr neun, so sprach sie: »Nun Kinder! - zu Bette! zu

Bette! der Sandmann kommt, ich merk es schon.« Wirklich hörte ich dann

jedesmal etwas schweren langsamen Tritts die Treppe heraufpoltern;

das mußte der Sandmann sein. Einmal war mir jenes dumpfe Treten

und Poltern besonders graulich; ich frug die Mutter, indem sie uns

fortführte: »Ei Mama! wer ist denn der böse Sandmann, der uns immer

von Papa forttreibt? - wie sieht er denn aus?« - »Es gibt keinen

Sandmann, mein liebes Kind«, erwiderte die Mutter: »wenn ich sage,

der Sandmann kommt, so will das nur heißen, ihr seid schläfrig

und könnt die Augen nicht offen behalten, als hätte man euch Sand

hineingestreut.« - Der Mutter Antwort befriedigte mich nicht, ja in

meinem kindischen Gemüt entfaltete sich deutlich der Gedanke, daß

die Mutter den Sandmann nur verleugne, damit wir uns vor ihm nicht

fürchten sollten, ich hörte ihn ja immer die Treppe heraufkommen. Voll

Neugierde, Näheres von diesem Sandmann und seiner Beziehung auf uns

Kinder zu erfahren, frug ich endlich die alte Frau, die meine jüngste

Schwester wartete: was denn das für ein Mann sei, der Sandmann? »Ei

Thanelchen«, erwiderte diese, »weißt du das noch nicht? Das ist ein

böser Mann, der kommt zu den Kindern, wenn sie nicht zu Bett gehen

wollen und wirft ihnen Händevoll Sand in die Augen, daß sie blutig zum

Kopf herausspringen, die wirft er dann in den Sack und trägt sie in

den Halbmond zur Atzung für seine Kinderchen; die sitzen dort im

Nest und haben krumme Schnäbel, wie die Eulen, damit picken sie der

unartigen Menschenkindlein Augen auf.« - Gräßlich malte sich nun im

Innern mir das Bild des grausamen Sandmanns aus; sowie es abends die

Treppe heraufpolterte, zitterte ich vor Angst und Entsetzen. Nichts

als den unter Tränen hergestotterten Ruf. »Der Sandmann! der Sandmann!

« konnte die Mutter aus mir herausbringen. Ich lief darauf in

das Schlafzimmer, und wohl die ganze Nacht über quälte mich die

fürchterliche Erscheinung des Sandmanns. - Schon alt genug war

ich geworden, um einzusehen, daß das mit dem Sandmann und seinem

Kindernest im Halbmonde, so wie es mir die Wartefrau erzählt hatte,

wohl nicht ganz seine Richtigkeit haben könne; indessen blieb mir der

Sandmann ein fürchterliches Gespenst, und Grauen - Entsetzen ergriff

mich, wenn ich ihn nicht allein die Treppe heraufkommen, sondern auch

meines Vaters Stubentür heftig aufreißen und hineintreten hörte.

Manchmal blieb er lange weg, dann kam er öfter hintereinander.

Jahrelang dauerte das, und nicht gewöhnen konnte ich mich an den

unheimlichen Spuk, nicht bleicher wurde in mir das Bild des grausigen

Sandmanns. Sein Umgang mit dem Vater fing an meine Fantasie immer mehr

und mehr zu beschäftigen: den Vater darum zu befragen hielt mich eine

unüberwindliche Scheu zurück, aber selbst - selbst das Geheimnis zu

erforschen, den fabelhaften Sandmann zu sehen, dazu keimte mit den

Jahren immer mehr die Lust in mir empor. Der Sandmann hatte mich auf

die Bahn des Wunderbaren, Abenteuerlichen gebracht, das so schon

leicht im kindlichen Gemüt sich einnistet. Nichts war mir lieber, als

schauerliche Geschichten von Kobolten, Hexen, Däumlingen usw. zu hören

oder zu lesen; aber obenan stand immer der Sandmann, den ich in den

seltsamsten, abscheulichsten Gestalten überall auf Tische, Schränke

und Wände mit Kreide, Kohle, hinzeichnete. Als ich zehn Jahre alt

geworden, wies mich die Mutter aus der Kinderstube in ein Kämmerchen,

das auf dem Korridor unfern von meines Vaters Zimmer lag. Noch immer

mußten wir uns, wenn auf den Schlag neun Uhr sich jener Unbekannte im

Hause hören ließ, schnell entfernen. In meinem Kämmerchen vernahm ich,

wie er bei dem Vater hineintrat und bald darauf war es mir dann, als

verbreite sich im Hause ein feiner seltsam riechender Dampf. Immer

höher mit der Neugierde wuchs der Mut, auf irgend eine Weise des

Sandmanns Bekanntschaft zu machen. Oft schlich ich schnell aus dem

Kämmerchen auf den Korridor, wenn die Mutter vorübergegangen, aber

nichts konnte ich erlauschen, denn immer war der Sandmann schon zur

Türe hinein, wenn ich den Platz erreicht hatte, wo er mir sichtbar

werden mußte. Endlich von unwiderstehlichem Drange getrieben, beschloß

ich, im Zimmer des Vaters selbst mich zu verbergen und den Sandmann zu

erwarten.

 

An des Vaters Schweigen, an der Mutter Traurigkeit merkte ich eines

Abends, daß der Sandmann kommen werde; ich schützte daher große

Müdigkeit vor, verließ schon vor neun Uhr das Zimmer und verbarg mich

dicht neben der Türe in einen Schlupfwinkel. Die Haustür knarrte,

durch den Flur ging es, langsamen, schweren, dröhnenden Schrittes nach

der Treppe. Die Mutter eilte mit dem Geschwister mir vorüber. Leise -

leise öffnete ich des Vaters Stubentür. Er saß, wie gewöhnlich, stumm

und starr den Rücken der Türe zugekehrt, er bemerkte mich nicht,

schnell war ich hinein und hinter der Gardine, die einem gleich neben

der Türe stehenden offnen Schrank, worin meines Vaters Kleider hingen,

vorgezogen war. - Näher - immer näher dröhnten die Tritte - es hustete

und scharrte und brummte seltsam draußen. Das Herz bebte mir vor Angst

und Erwartung. - Dicht, dicht vor der Türe ein scharfer Tritt - ein

heftiger Schlag auf die Klinke, die Tür springt rasselnd auf! - Mit

Gewalt mich ermannend gucke ich behutsam hervor. Der Sandmann steht

mitten in der Stube vor meinem Vater, der helle Schein der Lichter

brennt ihm ins Gesicht! - Der Sandmann, der fürchterliche Sandmann ist

der alte Advokat Coppelius, der manchmal bei uns zu Mittage ißt!

 

Aber die gräßlichste Gestalt hätte mir nicht tieferes Entsetzen

erregen können, als eben dieser Coppelius. - Denke Dir einen großen

breitschultrigen Mann mit einem unförmlich dicken Kopf, erdgelbem

Gesicht, buschigten grauen Augenbrauen, unter denen ein Paar grünliche

Katzenaugen stechend hervorfunkeln, großer, starker über die Oberlippe

gezogener Nase. Das schiefe Maul verzieht sich oft zum hämischen

Lachen; dann werden auf den Backen ein paar dunkelrote Flecke sichtbar

und ein seltsam zischender Ton fährt durch die zusammengekniffenen

Zähne. Coppelius erschien immer in einem altmodisch zugeschnittenen

aschgrauen Rocke, eben solcher Weste und gleichen Beinkleidern, aber

dazu schwarze Strümpfe und Schuhe mit kleinen Steinschnallen. Die

kleine Perücke reichte kaum bis über den Kopfwirbel heraus, die

Kleblocken standen hoch über den großen roten Ohren und ein breiter

verschlossener Haarbeutel starrte von dem Nacken weg, so daß man die

silberne Schnalle sah, die die gefältelte Halsbinde schloß. Die ganze

Figur war überhaupt widrig und abscheulich; aber vor allem waren uns

Kindern seine großen knotigten, haarigten Fäuste zuwider, so daß wir,

was er damit berührte, nicht mehr mochten. Das hatte er bemerkt und

nun war es seine Freude, irgend ein Stückchen Kuchen, oder eine süße

Frucht, die uns die gute Mutter heimlich auf den Teller gelegt, unter

diesem, oder jenem Vorwande zu berühren, daß wir, helle Tränen in

den Augen, die Näscherei, der wir uns erfreuen sollten, nicht mehr

genießen mochten vor Ekel und Abscheu. Ebenso machte er es, wenn uns

an Feiertagen der Vater ein klein Gläschen süßen Weins eingeschenkt

hatte. Dann fuhr er schnell mit der Faust herüber, oder brachte wohl

gar das Glas an die blauen Lippen und lachte recht teuflisch, wenn wir

unsern Ärger nur leise schluchzend äußern durften. Er pflegte uns nur

immer die kleinen Bestien zu nennen; wir durften, war er zugegen,

keinen Laut von uns geben und verwünschten den häßlichen, feindlichen

Mann, der uns recht mit Bedacht und Absicht auch die kleinste Freude

verdarb. Die Mutter schien ebenso, wie wir, den widerwärtigen

Coppelius zu hassen; denn so wie er sich zeigte, war ihr Frohsinn, ihr

heiteres unbefangenes Wesen umgewandelt in traurigen, düstern Ernst.

Der Vater betrug sich gegen ihn, als sei er ein höheres Wesen, dessen

Unarten man dulden und das man auf jede Weise bei guter Laune erhalten

müsse. Er durfte nur leise andeuten und Lieblingsgerichte wurden

gekocht und seltene Weine kredenzt.

 

Als ich nun diesen Coppelius sah, ging es grausig und entsetzlich in

meiner Seele auf, daß ja niemand anders, als er, der Sandmann sein

könne, aber der Sandmann war mir nicht mehr jener Popanz aus dem

Ammenmärchen, der dem Eulennest im Halbmonde Kinderaugen zur Atzung

holt - nein! - ein häßlicher gespenstischer Unhold, der überall, wo er

einschreitet, Jammer - Not - zeitliches, ewiges Verderben bringt.

 

Ich war fest gezaubert. Auf die Gefahr entdeckt, und, wie ich deutlich

dachte, hart gestraft zu werden, blieb ich stehen, den Kopf lauschend

durch die Gardine hervorgestreckt. Mein Vater empfing den Coppelius

feierlich. »Auf! - zum Werk«, rief dieser mit heiserer, schnurrender

Stimme und warf den Rock ab. Der Vater zog still und finster seinen

Schlafrock aus und beide kleideten sich in lange schwarze Kittel.

Wo sie die hernahmen, hatte ich übersehen. Der Vater öffnete die

Flügeltür eines Wandschranks; aber ich sah, daß das, was ich solange

dafür gehalten, kein Wandschrank, sondern vielmehr eine schwarze

Höhlung war, in der ein kleiner Herd stand. Coppelius trat hinzu und

eine blaue Flamme knisterte auf dem Herde empor. Allerlei seltsames

Geräte stand umher. Ach Gott! - wie sich nun mein alter Vater

zum Feuer herabbückte, da sah er ganz anders aus. Ein gräßlicher

krampfhafter Schmerz schien seine sanften ehrlichen Züge zum häßlichen

widerwärtigen Teufelsbilde verzogen zu haben. Er sah dem Coppelius

ähnlich. Dieser schwang die glutrote Zange und holte damit

hellblinkende Massen aus dem dicken Qualm, die er dann emsig hämmerte.

Mir war es als würden Menschengesichter ringsumher sichtbar, aber

ohne Augen - scheußliche, tiefe schwarze Höhlen statt ihrer. »Augen

her, Augen her!« rief Coppelius mit dumpfer dröhnender Stimme. Ich

kreischte auf von wildem Entsetzen gewaltig erfaßt und stürzte aus

meinem Versteck heraus auf den Boden. Da ergriff mich Coppelius,

»kleine Bestie! - kleine Bestie!« meckerte er zähnfletschend! -

riß mich auf und warf mich auf den Herd, daß die Flamme mein Haar

zu sengen begann: »Nun haben wir Augen - Augen - ein schön Paar

Kinderaugen.« So flüsterte Coppelius, und griff mit den Fäusten

glutrote Körner aus der Flamme, die er mir in die Augen streuen

wollte. Da hob mein Vater flehend die Hände empor und rief. »Meister!

Meister! laß meinem Nathanael die Augen - laß sie ihm!« Coppelius

lachte gellend auf und rief. »Mag denn der Junge die Augen behalten

und sein Pensum flennen in der Welt; aber nun wollen wir doch den

Mechanismus der Hände und der Füße recht observieren.« Und damit faßte

er mich gewaltig, daß die Gelenke knackten, und schrob mir die Hände

ab und die Füße und setzte sie bald hier, bald dort wieder ein. »'s

steht doch überall nicht recht! 's gut so wie es war! - Der Alte hat's

verstanden!« So zischte und lispelte Coppelius; aber alles um mich

her wurde schwarz und finster, ein jäher Krampf durchzuckte Nerv und

Gebein - ich fühlte nichts mehr. Ein sanfter warmer Hauch glitt über

mein Gesicht, ich erwachte wie aus dem Todesschlaf, die Mutter hatte

sich über mich hingebeugt. »Ist der Sandmann noch da?« stammelte

ich. »Nein, mein liebes Kind, der ist lange, lange fort, der tut dir

keinen Schaden!« - So sprach die Mutter und küßte und herzte den

wiedergewonnenen Liebling.

 

Was soll ich Dich ermüden, mein herzlieber Lothar! was soll ich so

weitläufig einzelnes hererzählen, da noch so vieles zu sagen übrig

bleibt? Genug! - ich war bei der Lauscherei entdeckt, und von

Coppelius gemißhandelt worden. Angst und Schrecken hatten mir ein

hitziges Fieber zugezogen, an dem ich mehrere Wochen krank lag.

»Ist der Sandmann noch da?« - Das war mein erstes gesundes Wort

und das Zeichen meiner Genesung, meiner Rettung. - Nur noch den

schrecklichsten Moment meiner Jugendjahre darf ich Dir erzählen; dann

wirst Du überzeugt sein, daß es nicht meiner Augen Blödigkeit ist,

wenn mir nun alles farblos erscheint, sondern, daß ein dunkles

Verhängnis wirklich einen trüben Wolkenschleier über mein Leben

gehängt hat, den ich vielleicht nur sterbend zerreiße.

 

Coppelius ließ sich nicht mehr sehen, es hieß, er habe die Stadt

verlassen.

 

Ein Jahr mochte vergangen sein, als wir der alten unveränderten Sitte

gemäß abends an dem runden Tische saßen. Der Vater war sehr heiter und

erzählte viel Ergötzliches von den Reisen, die er in seiner Jugend

gemacht. Da hörten wir, als es neune schlug, plötzlich die Haustür in

den Angeln knarren und langsame eisenschwere Schritte dröhnten durch

den Hausflur die Treppe herauf. »Das ist Coppelius«, sagte meine

Mutter erblassend. »Ja! - es ist Coppelius«, wiederholte der Vater

mit matter gebrochener Stimme. Die Tränen stürzten der Mutter aus den

Augen. »Aber Vater, Vater!« rief sie, »muß es denn so sein?« - »Zum

letzten Male!« erwiderte dieser, »zum letzten Male kommt er zu mir,

ich verspreche es dir. Geh nur, geh mit den Kindern! - Geht - geht zu

Bette! Gute Nacht!«

 

Mir war es, als sei ich in schweren kalten Stein eingepreßt - mein

Atem stockte! - Die Mutter ergriff mich beim Arm als ich unbeweglich

stehen blieb: »Komm Nathanael, komme nur!« Ich ließ mich fortführen,

ich trat in meine Kammer. »Sei ruhig, sei ruhig, lege dich ins

Bette! - schlafe - schlafe«, rief mir die Mutter nach; aber von

unbeschreiblicher innerer Angst und Unruhe gequält, konnte ich kein

Auge zutun. Der verhaßte abscheuliche Coppelius stand vor mir mit

funkelnden Augen und lachte mich hämisch an, vergebens trachtete ich

sein Bild los zu werden. Es mochte wohl schon Mitternacht sein, als

ein entsetzlicher Schlag geschah, wie wenn ein Geschütz losgefeuert

würde. Das ganze Haus erdröhnte, es rasselte und rauschte bei meiner

Türe vorüber, die Haustüre wurde klirrend zugeworfen. »Das ist

Coppelius!« rief ich entsetzt und sprang aus dem Bette. Da kreischte

es auf in schneidendem trostlosen Jammer, fort stürzte ich nach des

Vaters Zimmer, die Türe stand offen, erstickender Dampf quoll mir

entgegen, das Dienstmädchen schrie: »Ach, der Herr! - der Herr!« -

Vor dem dampfenden Herde auf dem Boden lag mein Vater tot mit schwarz

verbranntem gräßlich verzerrtem Gesicht, um ihn herum heulten

und winselten die Schwestern - die Mutter ohnmächtig daneben! -

»Coppelius, verruchter Satan, du hast den Vater erschlagen!« - So

schrie ich auf, mir vergingen die Sinne. Als man zwei Tage darauf

meinen Vater in den Sarg legte, waren seine Gesichtszüge wieder mild

und sanft geworden, wie sie im Leben waren. Tröstend ging es in meiner

Seele auf, daß sein Bund mit dem teuflischen Coppelius ihn nicht ins

ewige Verderben gestürzt haben könne.

 

Die Explosion hatte die Nachbarn geweckt, der Vorfall wurde ruchtbar

und kam vor die Obrigkeit, welche den Coppelius zur Verantwortung

vorfordern wollte. Der war aber spurlos vom Orte verschwunden.

 

Wenn ich Dir nun sage, mein herzlieber Freund! daß jener

Wetterglashändler eben der verruchte Coppelius war, so wirst Du mir es

nicht verargen, daß ich die feindliche Erscheinung als schweres Unheil

bringend deute. Er war anders gekleidet, aber Coppelius' Figur und

Gesichtszüge sind zu tief in mein Innerstes eingeprägt, als daß hier

ein Irrtum möglich sein sollte. Zudem hat Coppelius nicht einmal

seinen Namen geändert. Er gibt sich hier, wie ich höre, für einen

piemontesischen Mechanikus aus, und nennt sich Giuseppe Coppola.

 

Ich bin entschlossen es mit ihm aufzunehmen und des Vaters Tod zu

rächen, mag es denn nun gehen wie es will.

 

Der Mutter erzähle nichts von dem Erscheinen des gräßlichen Unholds

- Grüße meine liebe holde Clara, ich schreibe ihr in ruhigerer

Gemütsstimmung. Lebe wohl etc. etc.

 

 

Clara an Nathanael

 

Wahr ist es, daß Du recht lange mir nicht geschrieben hast, aber

dennoch glaube ich, daß Du mich in Sinn und Gedanken trägst. Denn

meiner gedachtest Du wohl recht lebhaft, als Du Deinen letzten Brief

an Bruder Lothar absenden wolltest und die Aufschrift, statt an ihn an

mich richtetest. Freudig erbrach ich den Brief und wurde den Irrtum

erst bei den Worten inne: »Ach mein herzlieber Lothar!« - Nun hätte

ich nicht weiter lesen, sondern den Brief dem Bruder geben sollen.

Aber, hast Du mir auch sonst manchmal in kindischer Neckerei

vorgeworfen, ich hätte solch ruhiges, weiblich besonnenes Gemüt, daß

ich wie jene Frau, drohe das Haus den Einsturz, noch vor schneller

Flucht ganz geschwinde einen falschen Kniff in der Fenstergardine

glattstreichen würde, so darf ich doch wohl kaum versichern, daß

Deines Briefes Anfang mich tief erschütterte. Ich konnte kaum atmen,

es flimmerte mir vor den Augen. - Ach, mein herzgeliebter Nathanael!

was konnte so Entsetzliches in Dein Leben getreten sein! Trennung von

Dir, Dich niemals wiedersehen, der Gedanke durchfuhr meine Brust wie

ein glühender Dolchstich. - Ich las und las! - Deine Schilderung des

widerwärtigen Coppelius ist gräßlich. Erst jetzt vernahm ich, wie Dein

guter alter Vater solch entsetzlichen, gewaltsamen Todes starb. Bruder

Lothar, dem ich sein Eigentum zustellte, suchte mich zu beruhigen,

aber es gelang ihm schlecht. Der fatale Wetterglashändler Giuseppe

Coppola verfolgte mich auf Schritt und Tritt und beinahe schäme ich

mich, es zu gestehen, daß er selbst meinen gesunden, sonst so ruhigen

Schlaf in allerlei wunderlichen Traumgebilden zerstören konnte. Doch

bald, schon den andern Tag, hatte sich alles anders in mir gestaltet.

Sei mir nur nicht böse, mein Inniggeliebter, wenn Lothar Dir etwa

sagen möchte, daß ich trotz Deiner seltsamen Ahnung, Coppelius werde

Dir etwas Böses antun, ganz heitern unbefangenen Sinnes bin, wie

immer.

 

Geradeheraus will ich es Dir nur gestehen, daß, wie ich meine, alles

Entsetzliche und Schreckliche, wovon Du sprichst, nur in Deinem

Innern vorging, die wahre wirkliche Außenwelt aber daran wohl wenig

teilhatte. Widerwärtig genug mag der alte Coppelius gewesen sein, aber

daß er Kinder haßte, das brachte in Euch Kindern wahren Abscheu gegen

ihn hervor.

 

Natürlich verknüpfte sich nun in Deinem kindischen Gemüt der

schreckliche Sandmann aus dem Ammenmärchen mit dem alten Coppelius,

der Dir, glaubtest Du auch nicht an den Sandmann, ein gespenstischer,

Kindern vorzüglich gefährlicher, Unhold blieb. Das unheimliche Treiben

mit Deinem Vater zur Nachtzeit war wohl nichts anders, als daß beide

insgeheim alchymistische Versuche machten, womit die Mutter nicht

zufrieden sein konnte, da gewiß viel Geld unnütz verschleudert und

obendrein, wie es immer mit solchen Laboranten der Fall sein soll,

des Vaters Gemüt ganz von dem trügerischen Drange nach hoher Weisheit

erfüllt, der Familie abwendig gemacht wurde. Der Vater hat wohl gewiß

durch eigne Unvorsichtigkeit seinen Tod herbeigeführt, und Coppelius

ist nicht schuld daran: Glaubst Du, daß ich den erfahrnen Nachbar

Apotheker gestern frug, ob wohl bei chemischen Versuchen eine

solche augenblicklich tötende Explosion möglich sei? Der sagte: »Ei

allerdings« und beschrieb mir nach seiner Art gar weitläufig und

umständlich, wie das zugehen könne, und nannte dabei so viel sonderbar

klingende Namen, die ich gar nicht zu behalten vermochte. - Nun wirst

Du wohl unwillig werden über Deine Clara, Du wirst sagen: »In dies

kalte Gemüt dringt kein Strahl des Geheimnisvollen, das den Menschen

oft mit unsichtbaren Armen umfaßt; sie erschaut nur die bunte

Oberfläche der Welt und freut sich, wie das kindische Kind über die

goldgleißende Frucht, in deren Innern tödliches Gift verborgen.«

 

Ach mein herzgeliebter Nathanael! glaubst Du denn nicht, daß auch in

heitern - unbefangenen - sorglosen Gemütern die Ahnung wohnen könne

von einer dunklen Macht, die feindlich uns in unserm eignen Selbst zu

verderben strebt? - Aber verzeih es mir, wenn ich einfältig Mädchen

mich unterfange, auf irgend eine Weise Dir anzudeuten, was ich

eigentlich von solchem Kampfe im Innern glaube. - Ich finde wohl gar

am Ende nicht die rechten Worte und Du lachst mich aus, nicht, weil

ich was Dummes meine, sondern weil ich mich so ungeschickt anstelle,

es zu sagen.

 

Gibt es eine dunkle Macht, die so recht feindlich und verräterisch

einen Faden in unser Inneres legt, woran sie uns dann festpackt und

fortzieht auf einem gefahrvollen verderblichen Wege, den wir sonst

nicht betreten haben würden - gibt es eine solche Macht, so muß sie in

uns sich, wie wir selbst gestalten, ja unser Selbst werden; denn nur

_so_ glauben wir an sie und räumen ihr den Platz ein, dessen sie bedarf,

um jenes geheime Werk zu vollbringen. Haben wir festen, durch das

heitre Leben gestärkten, Sinn genug, um fremdes feindliches Einwirken

als solches stets zu erkennen und den Weg, in den uns Neigung und

Beruf geschoben, ruhigen Schrittes zu verfolgen, so geht wohl

jene unheimliche Macht unter in dem vergeblichen Ringen nach der

Gestaltung, die unser eignes Spiegelbild sein sollte. Es ist auch

gewiß, fügt Lothar hinzu, daß die dunkle psychische Macht, haben wir

uns durch uns selbst ihr hingegeben, oft fremde Gestalten, die die

Außenwelt uns in den Weg wirft, in unser Inneres hineinzieht, so,

daß wir selbst nur den Geist entzünden, der, wie wir in wunderlicher

Täuschung glauben, aus jener Gestalt spricht. Es ist das Phantom

unseres eigenen Ichs, dessen innige Verwandtschaft und dessen tiefe

Einwirkung auf unser Gemüt uns in die Hölle wirft, oder in den Himmel

verzückt. - Du merkst, mein herzlieber Nathanael! daß wir, ich und

Bruder Lothar uns recht über die Materie von dunklen Mächten und

Gewalten ausgesprochen haben, die mir nun, nachdem ich nicht ohne Mühe

das Hauptsächlichste aufgeschrieben, ordentlich tiefsinnig vorkommt.

Lothars letzte Worte verstehe ich nicht ganz, ich ahne nur, was er

meint, und doch ist es mir, als sei alles sehr wahr. Ich bitte Dich,

schlage Dir den häßlichen Advokaten Coppelius und den Wetterglasmann

Giuseppe Coppola ganz aus dem Sinn. Sei überzeugt, daß diese fremden

Gestalten nichts über Dich vermögen; nur der Glaube an ihre feindliche

Gewalt kann sie Dir in der Tat feindlich machen. Spräche nicht aus

jeder Zeile Deines Briefes die tiefste Aufregung Deines Gemüts,

schmerzte mich nicht Dein Zustand recht in innerster Seele,

wahrhaftig, ich könnte über den Advokaten Sandmann und den

Wetterglashändler Coppelius scherzen. Sei heiter - heiter! - Ich habe

mir vorgenommen, bei Dir zu erscheinen, wie Dein Schutzgeist, und den

häßlichen Coppola, sollte er es sich etwa beikommen lassen, Dir im

Traum beschwerlich zu fallen, mit lautem Lachen fortzubannen. Ganz und

gar nicht fürchte ich mich vor ihm und vor seinen garstigen Fäusten,

er soll mir weder als Advokat eine Näscherei, noch als Sandmann die

Augen verderben.

 

Ewig, mein herzinnigstgeliebter Nathanael etc. etc. etc.

 

 

Nathanael an Lothar

 

Sehr unlieb ist es mir, daß Clara neulich den Brief an Dich aus,

freilich durch meine Zerstreutheit veranlagtem, Irrtum erbrach und

las. Sie hat mir einen sehr tiefsinnigen philosophischen Brief

geschrieben, worin sie ausführlich beweiset, daß Coppelius und Coppola

nur in meinem Innern existieren und Phantome meines Ichs sind, die

augenblicklich zerstäuben, wenn ich sie als solche erkenne. In der

Tat, man sollte gar nicht glauben, daß der Geist, der aus solch hellen

holdlächelnden Kindesaugen, oft wie ein lieblicher süßer Traum,

hervorleuchtet, so gar verständig, so magistermäßig distinguieren

könne. Sie beruft sich auf Dich. Ihr habt über mich gesprochen. Du

liesest ihr wohl logische Kollegia, damit sie alles fein sichten und

sondern lerne. - Laß das bleiben! - Übrigens ist es wohl gewiß, daß

der Wetterglashändler Giuseppe Coppola keinesweges der alte Advokat

Coppelius ist. Ich höre bei dem erst neuerdings angekommenen Professor

der Physik, der, wie jener berühmte Naturforscher, Spalanzani heißt

und italienischer Abkunft ist, Kollegia. Der kennt den Coppola schon

seit vielen Jahren und überdem hört man es auch seiner Aussprache an,

daß er wirklich Piemonteser ist. Coppelius war ein Deutscher, aber wie

mich dünkt, kein ehrlicher. Ganz beruhigt bin ich nicht. Haltet Ihr,

Du und Clara, mich immerhin für einen düstern Träumer, aber nicht los

kann ich den Eindruck werden, den Coppelius' verfluchtes Gesicht auf

mich macht. Ich bin froh, daß er fort ist aus der Stadt, wie mir

Spalanzani sagt. Dieser Professor ist ein wunderlicher Kauz. Ein

kleiner rundlicher Mann, das Gesicht mit starken Backenknochen, feiner

Nase, aufgeworfenen Lippen, kleinen stechenden Augen. Doch besser, als

in jeder Beschreibung, siehst Du ihn, wenn Du den Cagliostro, wie er

von Chodowiecki in irgend einem Berlinischen Taschenkalender steht,

anschauest. - So sieht Spalanzani aus. - Neulich steige ich die Treppe

herauf und nehme wahr, daß die sonst einer Glastüre dicht vorgezogene

Gardine zur Seite einen kleinen Spalt läßt. Selbst weiß ich nicht, wie

ich dazu kam, neugierig durchzublicken. Ein hohes, sehr schlank im

reinsten Ebenmaß gewachsenes, herrlich gekleidetes Frauenzimmer saß

im Zimmer vor einem kleinen Tisch, auf den sie beide Ärme, die Hände

zusammengefaltet, gelegt hatte. Sie saß der Türe gegenüber, so, daß

ich ihr engelschönes Gesicht ganz erblickte. Sie schien mich nicht zu

bemerken, und überhaupt hatten ihre Augen etwas Starres, beinahe möcht

ich sagen, keine Sehkraft, es war mir so, als schliefe sie mit offnen

Augen. Mir wurde ganz unheimlich und deshalb schlich ich leise fort

ins Auditorium, das daneben gelegen. Nachher erfuhr ich, daß die

Gestalt, die ich gesehen, Spalanzanis Tochter, Olimpia war, die er

sonderbarer und schlechter Weise einsperrt, so, daß durchaus kein

Mensch in ihre Nähe kommen darf. - Am Ende hat es eine Bewandtnis mit

ihr, sie ist vielleicht blödsinnig oder sonst. - Weshalb schreibe

ich Dir aber das alles? Besser und ausführlicher hätte ich Dir das

mündlich erzählen können. Wisse nämlich, daß ich über vierzehn Tage

bei Euch bin. Ich muß mein süßes liebes Engelsbild, meine Clara,

wiedersehen. Weggehaucht wird dann die Verstimmung sein, die sich

(ich muß das gestehen) nach dem fatalen verständigen Briefe meiner

bemeistern wollte. Deshalb schreibe ich auch heute nicht an sie.

 

Tausend Grüße etc. etc. etc.

 

 

Seltsamer und wunderlicher kann nichts erfunden werden, als dasjenige

ist, was sich mit meinem armen Freunde, dem jungen Studenten

Nathanael, zugetragen, und was ich dir, günstiger Leser! zu erzählen

unternommen. Hast du, Geneigtester! wohl jemals etwas erlebt, das

deine Brust, Sinn und Gedanken ganz und gar erfüllte, alles andere

daraus verdrängend? Es gärte und kochte in dir, zur siedenden Glut

entzündet sprang das Blut durch die Adern und färbte höher deine

Wangen. Dein Blick war so seltsam als wolle er Gestalten, keinem

andern Auge sichtbar, im leeren Raum erfassen und die Rede zerfloß in

dunkle Seufzer. Da frugen dich die Freunde: »Wie ist Ihnen, Verehrter?

- Was haben Sie, Teurer?« Und nun wolltest du das innere Gebilde mit

allen glühenden Farben und Schatten und Lichtern aussprechen und

mühtest dich ab, Worte zu finden, um nur anzufangen. Aber es war dir,

als müßtest du nun gleich im ersten Wort alles Wunderbare, Herrliche,

Entsetzliche, Lustige, Grauenhafte, das sich zugetragen, recht

zusammengreifen, so daß es, wie ein elektrischer Schlag, alle treffe.

Doch jedes Wort, alles was Rede vermag, schien dir farblos und frostig

und tot. Du suchst und suchst, und stotterst und stammelst, und die

nüchternen Fragen der Freunde schlagen, wie eisige Windeshauche,

hinein in deine innere Glut, bis sie verlöschen will. Hattest du aber,

wie ein kecker Maler, erst mit einigen verwegenen Strichen, den Umriß

deines innern Bildes hingeworfen, so trugst du mit leichter Mühe

immer glühender und glühender die Farben auf und das lebendige Gewühl

mannigfacher Gestalten riß die Freunde fort und sie sahen, wie du,

sich selbst mitten im Bilde, das aus deinem Gemüt hervorgegangen! -

Mich hat, wie ich es dir, geneigter Leser! gestehen muß, eigentlich

niemand nach der Geschichte des jungen Nathanael gefragt; du weißt ja

aber wohl, daß ich zu dem wunderlichen Geschlechte der Autoren gehöre,

denen, tragen sie etwas so in sich, wie ich es vorhin beschrieben, so

zumute wird, als frage jeder, der in ihre Nähe kommt und nebenher auch

wohl noch die ganze Welt: »Was ist es denn? Erzählen Sie Liebster?« -

So trieb es mich denn gar gewaltig, von Nathanaels verhängnisvollem

Leben zu dir zu sprechen. Das Wunderbare, Seltsame davon erfüllte

meine ganze Seele, aber eben deshalb und weil ich dich, o mein Leser!

gleich geneigt machen mußte, Wunderliches zu ertragen, welches nichts

Geringes ist, quälte ich mich ab, Nathanaels Geschichte, bedeutend

- originell, ergreifend, anzufangen: »Es war einmal« - der schönste

Anfang jeder Erzählung, zu nüchtern! - »In der kleinen Provinzialstadt

S. lebte« - etwas besser, wenigstens ausholend zum Klimax. - Oder

gleich medias in res: »>Scher er sich zum Teufel<, rief, Wut

und Entsetzen im wilden Blick, der Student Nathanael, als der

Wetterglashändler Giuseppe Coppola« - Das hatte ich in der Tat schon

aufgeschrieben, als ich in dem wilden Blick des Studenten Nathanael

etwas Possierliches zu verspüren glaubte; die Geschichte ist aber gar

nicht spaßhaft. Mir kam keine Rede in den Sinn, die nur im mindesten

etwas von dem Farbenglanz des innern Bildes abzuspiegeln schien.

Ich beschloß gar nicht anzufangen. Nimm, geneigter Leser! die drei

Briefe, welche Freund Lothar mir gütigst mitteilte, für den Umriß

des Gebildes, in das ich nun erzählend immer mehr und mehr Farbe

hineinzutragen mich bemühen werde. Vielleicht gelingt es mir, manche

Gestalt, wie ein guter Porträtmaler, so aufzufassen, daß du es ähnlich

findest, ohne das Original zu kennen, ja daß es dir ist, als hättest

du die Person recht oft schon mit leibhaftigen Augen gesehen.

Vielleicht wirst du, o mein Leser! dann glauben, daß nichts

wunderlicher und toller sei, als das wirkliche Leben und daß dieses

der Dichter doch nur, wie in eines matt geschliffnen Spiegels dunklem

Widerschein, auffassen könne.

 

Damit klarer werde, was gleich anfangs zu wissen nötig, ist jenen

Briefen noch hinzuzufügen, daß bald darauf, als Nathanaels Vater

gestorben, Clara und Lothar, Kinder eines weitläuftigen Verwandten,

der ebenfalls gestorben und sie verwaist nachgelassen, von Nathanaels

Mutter ins Haus genommen wurden. Clara und Nathanael faßten eine

heftige Zuneigung zueinander, wogegen kein Mensch auf Erden etwas

einzuwenden hatte; sie waren daher Verlobte, als Nathanael den Ort

verließ um seine Studien in G. - fortzusetzen. Da ist er nun in seinem

letzten Brief und hört Kollegia bei dem berühmten Professor Physices,

Spalanzani.

 

Nun könnte ich getrost in der Erzählung fortfahren; aber in dem

Augenblick steht Claras Bild so lebendig mir vor Augen, daß ich nicht

wegschauen kann, so wie es immer geschah, wenn sie mich holdlächelnd

anblickte. - Für schön konnte Clara keinesweges gelten; das meinten

alle, die sich von Amtswegen auf Schönheit verstehen. Doch lobten die

Architekten die reinen Verhältnisse ihres Wuchses, die Maler fanden

Nacken, Schultern und Brust beinahe zu keusch geformt, verliebten

sich dagegen sämtlich in das wunderbare Magdalenenhaar und faselten

überhaupt viel von Battonischem Kolorit. Einer von ihnen, ein

wirklicher Fantast, verglich aber höchstseltsamer Weise Claras Augen

mit einem See von Ruisdael, in dem sich des wolkenlosen Himmels reines

Azur, Wald- und Blumenflur, der reichen Landschaft ganzes buntes,

heitres Leben spiegelt. Dichter und Meister gingen aber weiter und

sprachen: »Was See - was Spiegel! - Können wir denn das Mädchen

anschauen, ohne daß uns aus ihrem Blick wunderbare himmlische Gesänge

und Klänge entgegenstrahlen, die in unser Innerstes dringen, daß da

alles wach und rege wird? Singen wir selbst dann nichts wahrhaft

Gescheutes, so ist überhaupt nicht viel an uns und das lesen wir denn

auch deutlich in dem um Claras Lippen schwebenden feinen Lächeln, wenn

wir uns unterfangen, ihr etwas vorzuquinkelieren, das so tun will als

sei es Gesang, unerachtet nur einzelne Töne verworren durcheinander

springen.« Es war dem so. Clara hatte die lebenskräftige Fantasie des

heitern unbefangenen, kindischen Kindes, ein tiefes weiblich zartes

Gemüt, einen gar hellen scharf sichtenden Verstand. Die Nebler und

Schwebler hatten bei ihr böses Spiel; denn ohne zu viel zu reden, was

überhaupt in Claras schweigsamer Natur nicht lag, sagte ihnen der

helle Blick, und jenes feine ironische Lächeln: Lieben Freunde! wie

möget ihr mir denn zumuten, daß ich eure verfließende Schattengebilde

für wahre Gestalten ansehen soll, mit Leben und Regung? - Clara

wurde deshalb von vielen kalt, gefühllos, prosaisch gescholten; aber

andere, die das Leben in klarer Tiefe aufgefaßt, liebten ungemein das

gemütvolle, verständige, kindliche Mädchen, doch keiner so sehr, als

Nathanael, der sich in Wissenschaft und Kunst kräftig und heiter

bewegte. Clara hing an dem Geliebten mit ganzer Seele; die ersten

Wolkenschatten zogen durch ihr Leben, als er sich von ihr trennte.

Mit welchem Entzücken flog sie in seine Arme, als er nun, wie er im

letzten Briefe an Lothar es verheißen, wirklich in seiner Vaterstadt

ins Zimmer der Mutter eintrat. Es geschah so wie Nathanael geglaubt;

denn in dem Augenblick, als er Clara wiedersah, dachte er weder an

den Advokaten Coppelius, noch an Claras verständigen Brief, jede

Verstimmung war verschwunden.

 

Recht hatte aber Nathanael doch, als er seinem Freunde Lothar schrieb,

daß des widerwärtigen Wetterglashändlers Coppola Gestalt recht

feindlich in sein Leben getreten sei. Alle fühlten das, da Nathanael

gleich in den ersten Tagen in seinem ganzen Wesen durchaus verändert

sich zeigte. Er versank in düstre Träumereien, und trieb es bald so

seltsam, wie man es niemals von ihm gewohnt gewesen. Alles, das ganze

Leben war ihm Traum und Ahnung geworden; immer sprach er davon, wie

jeder Mensch, sich frei wähnend, nur dunklen Mächten zum grausamen

Spiel diene, vergeblich lehne man sich dagegen auf, demütig müsse man

sich dem fügen, was das Schicksal verhängt habe. Er ging so weit,

zu behaupten, daß es töricht sei, wenn man glaube, in Kunst und

Wissenschaft nach selbsttätiger Willkür zu schaffen; denn die

Begeisterung, in der man nur zu schaffen fähig sei, komme nicht aus

dem eignen Innern, sondern sei das Einwirken irgend eines außer uns

selbst liegenden höheren Prinzips.

 

Der verständigen Clara war diese mystische Schwärmerei im höchsten

Grade zuwider, doch schien es vergebens, sich auf Widerlegung

einzulassen. Nur dann, wenn Nathanael bewies, daß Coppelius das böse

Prinzip sei, was ihn in dem Augenblick erfaßt habe, als er hinter dem

Vorhange lauschte, und daß dieser widerwärtige _Dämon_ auf entsetzliche

Weise ihr Liebesglück stören werde, da wurde Clara sehr ernst und

sprach: »Ja Nathanael! du hast recht, Coppelius ist ein böses

feindliches Prinzip, er kann Entsetzliches wirken, wie eine teuflische

Macht, die sichtbarlich in das Leben trat, aber nur dann, wenn du ihn

nicht aus Sinn und Gedanken verbannst. Solange du an ihn glaubst, _ist_

er auch und wirkt, nur dein Glaube ist seine Macht.« - Nathanael, ganz

erzürnt, daß Clara die Existenz des _Dämons_ nur in seinem eignen Innern

statuiere, wollte dann hervorrücken mit der ganzen mystischen Lehre

von Teufeln und grausen Mächten, Clara brach aber verdrüßlich ab,

indem sie irgend etwas Gleichgültiges dazwischen schob, zu Nathanaels

nicht geringem Ärger. _Der_ dachte, kalten unempfänglichen Gemütern

verschließen sich solche tiefe Geheimnisse, ohne sich deutlich bewußt

zu sein, daß er Clara eben zu solchen untergeordneten Naturen zähle,

weshalb er nicht abließ mit Versuchen, sie in jene Geheimnisse

einzuweihen. Am frühen Morgen, wenn Clara das Frühstück bereiten half,

stand er bei ihr und las ihr aus allerlei mystischen Büchern vor, daß

Clara bat: »Aber lieber Nathanael, wenn ich _dich_ nun das böse Prinzip

schelten wollte, das feindlich auf meinen Kaffee wirkt? - Denn, wenn

ich, wie du es willst, alles stehen und liegen lassen und dir, indem

du liesest, in die Augen schauen soll, so läuft mir der Kaffee ins

Feuer und ihr bekommt alle kein Frühstück!« - Nathanael klappte das

Buch heftig zu und rannte voll Unmut fort in sein Zimmer. Sonst hatte

er eine besondere Stärke in anmutigen, lebendigen Erzählungen, die er

aufschrieb, und die Clara mit dem innigsten Vergnügen anhörte, jetzt

waren seine Dichtungen düster, unverständlich, gestaltlos, so daß,

wenn Clara schonend es auch nicht sagte, er doch wohl fühlte, wie

wenig sie davon angesprochen wurde. Nichts war für Clara tötender,

als das Langweilige; in Blick und Rede sprach sich dann ihre nicht zu

besiegende geistige Schläfrigkeit aus. Nathanaels Dichtungen waren in

der Tat sehr langweilig. Sein Verdruß über Claras kaltes prosaisches

Gemüt stieg höher, Clara konnte ihren Unmut über Nathanaels dunkle,

düstere, langweilige Mystik nicht überwinden, und so entfernten beide

im Innern sich immer mehr voneinander, ohne es selbst zu bemerken.

Die Gestalt des häßlichen Coppelius war, wie Nathanael selbst es sich

gestehen mußte, in seiner Fantasie erbleicht und es kostete ihm oft

Mühe, ihn in seinen Dichtungen, wo er als grauser Schicksalspopanz

auftrat, recht lebendig zu kolorieren. Es kam ihm endlich ein, jene

düstre Ahnung, daß Coppelius sein Liebesglück stören werde, zum

Gegenstande eines Gedichts zu machen. Er stellte sich und Clara dar,

in treuer Liebe verbunden, aber dann und wann war es, als griffe eine

schwarze Faust in ihr Leben und risse irgend eine Freude heraus,

die ihnen aufgegangen. Endlich, als sie schon am Traualtar stehen,

erscheint der entsetzliche Coppelius und berührt Claras holde Augen;

die springen in Nathanaels Brust wie blutige Funken sengend und

brennend, Coppelius faßt ihn und wirft ihn in einen flammenden

Feuerkreis, der sich dreht mit der Schnelligkeit des Sturmes und ihn

sausend und brausend fortreißt. Es ist ein Tosen, als wenn der Orkan

grimmig hineinpeitscht in die schäumenden Meereswellen, die sich wie

schwarze, weißhauptige Riesen emporbäumen in wütendem Kampfe. Aber

durch dies wilde Tosen hört er Claras Stimme: »Kannst du mich denn

nicht erschauen? Coppelius hat dich getäuscht, das waren ja nicht

meine Augen, die so in deiner Brust brannten, das waren ja glühende

Tropfen deines eignen Herzbluts - ich habe ja meine Augen, sieh mich

doch nur an!« - Nathanael denkt: Das ist Clara, und ich bin ihr eigen

ewiglich. - Da ist es, als faßt der Gedanke gewaltig in den Feuerkreis

hinein, daß er stehen bleibt, und im schwarzen Abgrund verrauscht

dumpf das Getöse. Nathanael blickt in Claras Augen; aber es ist der

Tod, der mit Claras Augen ihn freundlich anschaut.

 

Während Nathanael dies dichtete, war er sehr ruhig und besonnen, er

feilte und besserte an jeder Zeile und da er sich dem metrischen

Zwange unterworfen, ruhte er nicht, bis alles rein und wohlklingend

sich fügte. Als er jedoch nun endlich fertig worden, und das Gedicht

für sich laut las, da faßte ihn Grausen und wildes Entsetzen und er

schrie auf. »Wessen grauenvolle Stimme ist das?« - Bald schien ihm

jedoch das Ganze wieder nur eine sehr gelungene Dichtung, und es war

ihm, als müsse Claras kaltes Gemüt dadurch entzündet werden, wiewohl

er nicht deutlich dachte, wozu denn Clara entzündet, und wozu es denn

nun eigentlich führen solle, sie mit den grauenvollen Bildern zu

ängstigen, die ein entsetzliches, ihre Liebe zerstörendes Geschick

weissagten. Sie, Nathanael und Clara, saßen in der Mutter kleinem

Garten, Clara war sehr heiter, weil Nathanael sie seit drei Tagen,

in denen er an jener Dichtung schrieb, nicht mit seinen Träumen und

Ahnungen geplagt hatte. Auch Nathanael sprach lebhaft und froh von

lustigen Dingen wie sonst, so, daß Clara sagte: »Nun erst habe ich

dich ganz wieder, siehst du es wohl, wie wir den häßlichen Coppelius

vertrieben haben?« Da fiel dem Nathanael erst ein, daß er ja die

Dichtung in der Tasche trage, die er habe vorlesen wollen. Er zog

auch sogleich die Blätter hervor und fing an zu lesen: Clara, etwas

Langweiliges wie gewöhnlich vermutend und sich darein ergebend, fing

an, ruhig zu stricken. Aber so wie immer schwärzer und schwärzer das

düstre Gewölk aufstieg, ließ sie den Strickstrumpf sinken und blickte

starr dem Nathanael ins Auge. _Den_ riß seine Dichtung unaufhaltsam

fort, hochrot färbte seine Wangen die innere Glut, Tränen quollen ihm

aus den Augen. - Endlich hatte er geschlossen, er stöhnte in tiefer

Ermattung - er faßte Claras Hand und seufzte wie aufgelöst in

trostlosem Jammer: »Ach! - Clara - Clara!« - Clara drückte ihn

sanft an ihren Busen und sagte leise, aber sehr langsam und ernst:

»Nathanael - mein herzlieber Nathanael! - wirf das tolle - unsinnige -

wahnsinnige Märchen ins Feuer.« Da sprang Nathanael entrüstet auf und

rief, Clara von sich stoßend: »Du lebloses, verdammtes Automat!« Er

rannte fort, bittre Tränen vergoß die tief verletzte Clara: »Ach er

hat mich niemals geliebt, denn er versteht mich nicht«, schluchzte

sie laut. - Lothar trat in die Laube; Clara mußte ihm erzählen was

vorgefallen; er liebte seine Schwester mit ganzer Seele, jedes Wort

ihrer Anklage fiel wie ein Funke in sein Inneres, so, daß der Unmut,

den er wider den träumerischen Nathanael lange im Herzen getragen,

sich entzündete zum wilden Zorn. Er lief zu Nathanael, er warf ihm das

unsinnige Betragen gegen die geliebte Schwester in harten Worten vor,

die der aufbrausende Nathanael ebenso erwiderte. Ein fantastischer,

wahnsinniger Geck wurde mit einem miserablen, gemeinen Alltagsmenschen

erwidert. Der Zweikampf war unvermeidlich. Sie beschlossen, sich am

folgenden Morgen hinter dem Garten nach dortiger akademischer Sitte

mit scharfgeschliffenen Stoßrapieren zu schlagen. Stumm und finster

schlichen sie umher, Clara hatte den heftigen Streit gehört und

gesehen, daß der Fechtmeister in der Dämmerung die Rapiere brachte.

Sie ahnte was geschehen sollte. Auf dem Kampfplatz angekommen hatten

Lothar und Nathanael soeben düsterschweigend die Röcke abgeworfen,

blutdürstige Kampflust im brennenden Auge wollten sie gegeneinander

ausfallen, als Clara durch die Gartentür herbeistürzte. Schluchzend

rief sie laut: »Ihr wilden entsetzlichen Menschen! - stoßt mich nur

gleich nieder, ehe ihr euch anfallt; denn wie soll ich denn länger

leben auf der Welt, wenn der Geliebte den Bruder, oder wenn der Bruder

den Geliebten ermordet hat!« - Lothar ließ die Waffe sinken und

sah schweigend zur Erde nieder, aber in Nathanaels Innern ging in

herzzerreißender Wehmut alle Liebe wieder auf, wie er sie jemals

in der herrlichen Jugendzeit schönsten Tagen für die holde Clara

empfunden. Das Mordgewehr entfiel seiner Hand, er stürzte zu Claras

Füßen. »Kannst du mir denn jemals verzeihen, du meine einzige, meine

herzgeliebte Clara! - Kannst du mir verzeihen, mein herzlieber Bruder

Lothar!« - Lothar wurde gerührt von des Freundes tiefem Schmerz;

unter tausend Tränen umarmten sich die drei versöhnten Menschen und

schwuren, nicht voneinander zu lassen in steter Liebe und Treue.

 

Dem Nathanael war es zumute, als sei eine schwere Last, die ihn

zu Boden gedrückt, von ihm abgewälzt, ja als habe er, Widerstand

leistend der finstern Macht, die ihn befangen, sein ganzes Sein, dem

Vernichtung drohte, gerettet. Noch drei selige Tage verlebte er bei

den Lieben, dann kehrte er zurück nach G., wo er noch ein Jahr zu

bleiben, dann aber auf immer nach seiner Vaterstadt zurückzukehren

gedachte.

 

Der Mutter war alles, was sich auf Coppelius bezog, verschwiegen

worden; denn man wußte, daß sie nicht ohne Entsetzen an ihn denken

konnte, weil sie, wie Nathanael, ihm den Tod ihres Mannes schuld gab.

 

 

Wie erstaunte Nathanael, als er in seine Wohnung wollte und sah, daß

das ganze Haus niedergebrannt war, so daß aus dem Schutthaufen nur

die nackten Feuermauern hervorragten. Unerachtet das Feuer in dem

Laboratorium des Apothekers, der im untern Stocke wohnte, ausgebrochen

war, das Haus daher von unten herauf gebrannt hatte, so war es doch

den kühnen, rüstigen Freunden gelungen, noch zu rechter Zeit in

Nathanaels im obern Stock gelegenes Zimmer zu dringen, und Bücher,

Manuskripte, Instrumente zu retten. Alles hatten sie unversehrt in

ein anderes Haus getragen, und dort ein Zimmer in Beschlag genommen,

welches Nathanael nun sogleich bezog. Nicht sonderlich achtete

er darauf, daß er dem Professor Spalanzani gegenüber wohnte, und

ebensowenig schien es ihm etwas Besonderes, als er bemerkte, daß er

aus seinem Fenster gerade hinein in das Zimmer blickte, wo oft Olimpia

einsam saß, so, daß er ihre Figur deutlich erkennen konnte, wiewohl

die Züge des Gesichts undeutlich und verworren blieben. Wohl fiel es

ihm endlich auf, daß Olimpia oft stundenlang in derselben Stellung,

wie er sie einst durch die Glastüre entdeckte, ohne irgend eine

Beschäftigung an einem kleinen Tische saß und daß sie offenbar

unverwandten Blickes nach ihm herüberschaute; er mußte sich auch

selbst gestehen, daß er nie einen schöneren Wuchs gesehen; indessen,

Clara im Herzen, blieb ihm die steife, starre Olimpia höchst

gleichgültig und nur zuweilen sah er flüchtig über sein Kompendium

herüber nach der schönen Bildsäule, das war alles. - Eben schrieb

er an Clara, als es leise an die Türe klopfte; sie öffnete sich auf

seinen Zuruf und Coppolas widerwärtiges Gesicht sah hinein. Nathanael

fühlte sich im Innersten erbeben; eingedenk dessen, was ihm Spalanzani

über den Landsmann Coppola gesagt und was er auch rücksichts des

Sandmanns Coppelius der Geliebten so heilig versprochen, schämte er

sich aber selbst seiner kindischen Gespensterfurcht, nahm sich mit

aller Gewalt zusammen und sprach so sanft und gelassen, als möglich:

»Ich kaufe kein Wetterglas, mein lieber Freund! gehen Sie nur!« Da

trat aber Coppola vollends in die Stube und sprach mit heiserem Ton,

indem sich das weite Maul zum häßlichen Lachen verzog und die kleinen

Augen unter den grauen langen Wimpern stechend hervorfunkelten: »Ei,

nix Wetterglas, nix Wetterglas! - hab auch sköne Oke - sköne Oke!« -

Entsetzt rief Nathanael: »Toller Mensch, wie kannst du Augen haben?

- Augen - Augen? -« Aber in dem Augenblick hatte Coppola seine

Wettergläser beiseite gesetzt, griff in die weiten Rocktaschen und

holte Lorgnetten und Brillen heraus, die er auf den Tisch legte. - »Nu

- Nu - Brill - Brill auf der Nas su setze, das sein meine Oke - sköne

Oke!« - Und damit holte er immer mehr und mehr Brillen heraus, so, daß

es auf dem ganzen Tisch seltsam zu flimmern und zu funkeln begann.

Tausend Augen blickten und zuckten krampfhaft und starrten auf zum

Nathanael; aber er konnte nicht wegschauen von dem Tisch, und immer

mehr Brillen legte Coppola hin, und immer wilder und wilder sprangen

flammende Blicke durcheinander und schossen ihre blutrote Strahlen in

Nathanaels Brust. Übermannt von tollem Entsetzen schrie er auf.- »Halt

ein! halt ein, fürchterlicher Mensch!« - Er hatte Coppola, der eben

in die Tasche griff, um noch mehr Brillen herauszubringen, unerachtet

schon der ganze Tisch überdeckt war, beim Arm festgepackt. Coppola

machte sich mit heiserem widrigen Lachen sanft los und mit den Worten:

»Ah! - nix für Sie - aber hier sköne Glas« - hatte er alle Brillen

zusammengerafft, eingesteckt und aus der Seitentasche des Rocks eine

Menge großer und kleiner Perspektive hervorgeholt. Sowie die Brillen

fort waren, wurde Nathanael ganz ruhig und an Clara denkend sah

er wohl ein, daß der entsetzliche Spuk nur aus seinem Innern

hervorgegangen, sowie daß Coppola ein höchst ehrlicher Mechanikus

und Optikus, keineswegs aber Coppelii verfluchter Doppeltgänger und

Revenant sein könne. Zudem hatten alle Gläser, die Coppola nun auf

den Tisch gelegt, gar nichts Besonderes, am wenigsten so etwas

Gespenstisches wie die Brillen und, um alles wieder gutzumachen,

beschloß Nathanael dem Coppola jetzt wirklich etwas abzukaufen. Er

ergriff ein kleines sehr sauber gearbeitetes Taschenperspektiv und

sah, um es zu prüfen, durch das Fenster. Noch im Leben war ihm kein

Glas vorgekommen, das die Gegenstände so rein, scharf und deutlich

dicht vor die Augen rückte. Unwillkürlich sah er hinein in Spalanzanis

Zimmer; Olimpia saß, wie gewöhnlich, vor dem kleinen Tisch, die Arme

darauf gelegt, die Hände gefaltet. - Nun erschaute Nathanael erst

Olimpias wunderschön geformtes Gesicht. Nur die Augen schienen ihm gar

seltsam starr und tot. Doch wie er immer schärfer und schärfer durch

das Glas hinschaute, war es, als gingen in Olimpias Augen feuchte

Mondesstrahlen auf. Es schien, als wenn nun erst die Sehkraft

entzündet würde; immer lebendiger und lebendiger flammten die Blicke.

Nathanael lag wie festgezaubert im Fenster, immer fort und fort die

himmlisch-schöne Olimpia betrachtend. Ein Räuspern und Scharren weckte

ihn, wie aus tiefem Traum. Coppola stand hinter ihm: »Tre Zechini -

drei Dukat« - Nathanael hatte den Optikus rein vergessen, rasch zahlte

er das Verlangte. »Nick so? - sköne Glas - sköne Glas!« frug Coppola

mit seiner widerwärtigen heisern Stimme und dem hämischen Lächeln. »Ja

ja, ja!« erwiderte Nathanael verdrießlich. »Adieu, lieber Freund!« -

Coppola verließ nicht ohne viele seltsame Seitenblicke auf Nathanael,

das Zimmer. Er hörte ihn auf der Treppe laut lachen. »Nun ja«, meinte

Nathanael, »er lacht mich aus, weil ich ihm das kleine Perspektiv

gewiß viel zu teuer bezahlt habe - zu teuer bezahlt!« - Indem er

diese Worte leise sprach, war es, als halle ein tiefer Todesseufzer

grauenvoll durch das Zimmer, Nathanaels Atem stockte vor innerer

Angst. - Er hatte ja aber selbst so aufgeseufzt, das merkte er wohl.

»Clara«, sprach er zu sich selber, »hat wohl recht, daß sie mich für

einen abgeschmackten Geisterseher hält; aber närrisch ist es doch -

ach wohl mehr, als närrisch, daß mich der dumme Gedanke, ich hätte das

Glas dem Coppola zu teuer bezahlt, noch jetzt so sonderbar ängstigt;

den Grund davon sehe ich gar nicht ein.« - Jetzt setzte er sich

hin, um den Brief an Clara zu enden, aber ein Blick durchs Fenster

überzeugte ihn, daß Olimpia noch dasäße und im Augenblick, wie von

unwiderstehlicher Gewalt getrieben, sprang er auf, ergriff Coppolas

Perspektiv und konnte nicht los von Olimpias verführerischem Anblick,

bis ihn Freund und Bruder Siegmund abrief ins Kollegium bei dem

Professor Spalanzani. Die Gardine vor dem verhängnisvollen Zimmer war

dicht zugezogen, er konnte Olimpia ebensowenig hier, als die beiden

folgenden Tage hindurch in ihrem Zimmer, entdecken, unerachtet er

kaum das Fenster verließ und fortwährend durch Coppolas Perspektiv

hinüberschaute. Am dritten Tage wurden sogar die Fenster verhängt.

Ganz verzweifelt und getrieben von Sehnsucht und glühendem Verlangen

lief er hinaus vors Tor. Olimpias Gestalt schwebte vor ihm her in

den Lüften und trat aus dem Gebüsch, und guckte ihn an mit großen

strahlenden Augen, aus dem hellen Bach. Claras Bild war ganz aus

seinem Innern gewichen, er dachte nichts, als Olimpia und klagte ganz

laut und weinerlich: »Ach du mein hoher herrlicher Liebesstern, bist

du mir denn nur aufgegangen, um gleich wieder zu verschwinden, und

mich zu lassen in finstrer hoffnungsloser Nacht?«

 

Als er zurückkehren wollte in seine Wohnung, wurde er in Spalanzanis

Hause ein geräuschvolles Treiben gewahr. Die Türen standen offen,

man trug allerlei Geräte hinein, die Fenster des ersten Stocks

waren ausgehoben, geschäftige Mägde kehrten und stäubten mit großen

Haarbesen hin- und herfahrend, inwendig klopften und hämmerten

Tischler und Tapezierer. Nathanael blieb in vollem Erstaunen auf der

Straße stehen; da trat Siegmund lachend zu ihm und sprach: »Nun, was

sagst du zu unserem alten Spalanzani?« Nathanael versicherte, daß er

gar nichts sagen könne, da er durchaus nichts vom Professor wisse,

vielmehr mit großer Verwunderung wahrnehme, wie in dem stillen düstern

Hause ein tolles Treiben und Wirtschaften losgegangen; da erfuhr er

denn von Siegmund, daß Spalanzani morgen ein großes Fest geben wolle,

Konzert und Ball, und daß die halbe Universität eingeladen sei.

Allgemein verbreite man, daß Spalanzani seine Tochter Olimpia, die

er so lange jedem menschlichen Auge recht ängstlich entzogen, zum

erstenmal erscheinen lassen werde.

 

Nathanael fand eine Einladungskarte und ging mit hochklopfendem Herzen

zur bestimmten Stunde, als schon die Wagen rollten und die Lichter in

den geschmückten Sälen schimmerten, zum Professor. Die Gesellschaft

war zahlreich und glänzend. Olimpia erschien sehr reich und

geschmackvoll gekleidet. Man mußte ihr schöngeformtes Gesicht,

ihren Wuchs bewundern. Der etwas seltsam eingebogene Rücken, die

wespenartige Dünne des Leibes schien von zu starkem Einschnüren

bewirkt zu sein. In Schritt und Stellung hatte sie etwas Abgemessenes

und Steifes, das manchem unangenehm auffiel; man schrieb es dem Zwange

zu, den ihr die Gesellschaft auflegte. Das Konzert begann. Olimpia

spielte den Flügel mit großer Fertigkeit und trug ebenso eine

Bravour-Arie mit heller, beinahe schneidender Glasglockenstimme vor.

Nathanael war ganz entzückt; er stand in der hintersten Reihe und

konnte im blendenden Kerzenlicht Olimpias Züge nicht ganz erkennen.

Ganz unvermerkt nahm er deshalb Coppolas Glas hervor und schaute hin

nach der schönen Olimpia. Ach! - da wurde er gewahr, wie sie voll

Sehnsucht nach ihm herübersah, wie jeder Ton erst deutlich aufging in

dem Liebesblick, der zündend sein Inneres durchdrang. Die künstlichen

Rouladen schienen dem Nathanael das Himmelsjauchzen des in Liebe

verklärten Gemüts, und als nun endlich nach der Kadenz der lange

Trillo recht schmetternd durch den Saal gellte, konnte er wie von

glühenden Ärmen plötzlich erfaßt sich nicht mehr halten, er mußte vor

Schmerz und Entzücken laut aufschreien: »Olimpia!« - Alle sahen sich

um nach ihm, manche lachten. Der Domorganist schnitt aber noch ein

finstreres Gesicht, als vorher und sagte bloß: »Nun nun!« - Das

Konzert war zu Ende, der Ball fing an. »Mit ihr zu tanzen! - mit ihr!«

das war nun dem Nathanael das Ziel aller Wünsche, alles Strebens;

aber wie sich erheben zu dem Mut, sie, die Königin des Festes,

aufzufordern? Doch! - er selbst wußte nicht wie es geschah, daß er,

als schon der Tanz angefangen, dicht neben Olimpia stand, die noch

nicht aufgefordert worden, und daß er, kaum vermögend einige Worte zu

stammeln, ihre Hand ergriff. Eiskalt war Olimpias Hand, er fühlte sich

durchbebt von grausigem Todesfrost, er starrte Olimpia ins Auge, das

strahlte ihm voll Liebe und Sehnsucht entgegen und in dem Augenblick

war es auch, als fingen an in der kalten Hand Pulse zu schlagen und

des Lebensblutes Ströme zu glühen. Und auch in Nathanaels Innerm

glühte höher auf die Liebeslust, er umschlang die schöne Olimpia und

durchflog mit ihr die Reihen. - Er glaubte sonst recht taktmäßig

getanzt zu haben, aber an der ganz eignen rhythmischen Festigkeit,

womit Olimpia tanzte und die ihn oft ordentlich aus der Haltung

brachte, merkte er bald, wie sehr ihm der Takt gemangelt. Er wollte

jedoch mit keinem andern Frauenzimmer mehr tanzen und hätte jeden, der

sich Olimpia näherte, um sie aufzufordern, nur gleich ermorden mögen.

Doch nur zweimal geschah dies, zu seinem Erstaunen blieb darauf

Olimpia bei jedem Tanze sitzen und er ermangelte nicht, immer wieder

sie aufzuziehen. Hätte Nathanael außer der schönen Olimpia noch etwas

andres zu sehen vermocht, so wäre allerlei fataler Zank und Streit

unvermeidlich gewesen; denn offenbar ging das halbleise, mühsam

unterdrückte Gelächter, was sich in diesem und jenem Winkel unter den

jungen Leuten erhob, auf die schöne Olimpia, die sie mit ganz kuriosen

Blicken verfolgten, man konnte gar nicht wissen, warum? Durch den Tanz

und durch den reichlich genossenen Wein erhitzt, hatte Nathanael alle

ihm sonst eigne Scheu abgelegt. Er saß neben Olimpia, ihre Hand in

der seinigen und sprach hochentflammt und begeistert von seiner Liebe

in Worten, die keiner verstand, weder er, noch Olimpia. Doch diese

vielleicht; denn sie sah ihm unverrückt ins Auge und seufzte einmal

übers andere: »Ach - Ach - Ach!« - worauf denn Nathanael also sprach:

»O du herrliche, himmlische Frau! - du Strahl aus dem verheißenen

Jenseits der Liebe - du tiefes Gemüt, in dem sich mein ganzes Sein

spiegelt« und noch mehr dergleichen, aber Olimpia seufzte bloß immer

wieder: »Ach, Ach!« - Der Professor Spalanzani ging einigemal bei den

Glücklichen vorüber und lächelte sie ganz seltsam zufrieden an. Dem

Nathanael schien es, unerachtet er sich in einer ganz andern Welt

befand, mit einemmal, als würd es hienieden beim Professor Spalanzani

merklich finster; er schaute um sich und wurde zu seinem nicht

geringen Schreck gewahr, daß eben die zwei letzten Lichter in dem

leeren Saal herniederbrennen und ausgehen wollten. Längst hatten Musik

und Tanz aufgehört. »Trennung, Trennung«, schrie er ganz wild und

verzweifelt, er küßte Olimpias Hand, er neigte sich zu ihrem Munde,

eiskalte Lippen begegneten seinen glühenden! - So wie, als er Olimpias

kalte Hand berührte, fühlte er sich von innerem Grausen erfaßt, die

Legende von der toten Braut ging ihm plötzlich durch den Sinn; aber

fest hatte ihn Olimpia an sich gedrückt, und in dem Kuß schienen die

Lippen zum Leben zu erwarmen. - Der Professor Spalanzani schritt

langsam durch den leeren Saal, seine Schritte klangen hohl wieder

und seine Figur, von flackernden Schlagschatten umspielt, hatte ein

grauliches gespenstisches Ansehen. »Liebst du mich - liebst du mich

Olimpia? - Nur dies Wort! - Liebst du mich?« So flüsterte Nathanael,

aber Olimpia seufzte, indem sie aufstand, nur: »Ach - Ach!« - »Ja

du mein holder, herrlicher Liebesstern«, sprach Nathanael, »bist

mir aufgegangen und wirst leuchten, wirst verklären mein Inneres

immerdar!« - »Ach, ach!« replizierte Olimpia fortschreitend.

Nathanael folgte ihr, sie standen vor dem Professor. »Sie haben sich

außerordentlich lebhaft mit meiner Tochter unterhalten«, sprach dieser

lächelnd: »Nun, nun, lieber Herr Nathanael, finden Sie Geschmack

daran, mit dem blöden Mädchen zu konvergieren, so sollen mir Ihre

Besuche willkommen sein.« - Einen ganzen hellen strahlenden Himmel

in der Brust schied Nathanael von dannen. Spalanzanis Fest war der

Gegenstand des Gesprächs in den folgenden Tagen. Unerachtet der

Professor alles getan hatte, recht splendid zu erscheinen, so wußten

doch die lustigen Köpfe von allerlei Unschicklichem und Sonderbarem

zu erzählen, das sich begeben, und vorzüglich fiel man über die

todstarre, stumme Olimpia her, der man, ihres schönen Äußern

unerachtet, totalen Stumpfsinn andichten und darin die Ursache finden

wollte, warum Spalanzani sie so lange verborgen gehalten. Nathanael

vernahm das nicht ohne innern Grimm, indessen schwieg er; denn, dachte

er, würde es wohl verlohnen, diesen Burschen zu beweisen, daß eben ihr

eigner Stumpfsinn es ist, der sie Olimpias tiefes herrliches Gemüt zu

erkennen hindert? »Tu mir den Gefallen, Bruder«, sprach eines Tages

Siegmund, »tu mir den Gefallen und sage, wie es dir gescheuten Kerl

möglich war, dich in das Wachsgesicht, in die Holzpuppe da drüben zu

vergaffen?« Nathanael wollte zornig auffahren, doch schnell besann

er sich und erwiderte: »Sage _du_ mir Siegmund, wie deinem, sonst

alles Schöne klar auffassenden Blick, deinem regen Sinn, Olimpias

himmlischer Liebreiz entgehen konnte? Doch eben deshalb habe ich, Dank

sei es dem Geschick, dich nicht zum Nebenbuhler; denn sonst müßte

einer von uns blutend fallen.« Siegmund merkte wohl, wie es mit dem

Freunde stand, lenkte geschickt ein, und fügte, nachdem er geäußert,

daß in der Liebe niemals über den Gegenstand zu richten sei, hinzu:

»Wunderlich ist es doch, daß viele von uns über Olimpia ziemlich

gleich urteilen. Sie ist uns - nimm es nicht übel, Bruder! - auf

seltsame Weise starr und seelenlos erschienen. Ihr Wuchs ist

regelmäßig, so wie ihr Gesicht, das ist wahr! - Sie könnte für schön

gelten, wenn ihr Blick nicht so ganz ohne Lebensstrahl, ich möchte

sagen, ohne Sehkraft wäre. Ihr Schritt ist sonderbar abgemessen, jede

Bewegung scheint durch den Gang eines aufgezogenen Räderwerks bedingt.

Ihr Spiel, ihr Singen hat den unangenehm richtigen geistlosen Takt der

singenden Maschine und ebenso ist ihr Tanz. Uns ist diese Olimpia ganz

unheimlich geworden, wir mochten nichts mit ihr zu schaffen haben,

es war uns als tue sie nur so wie ein lebendiges Wesen und doch habe

es mit ihr eine eigne Bewandtnis.« - Nathanael gab sich dem bittern

Gefühl, das ihn bei diesen Worten Siegmunds ergreifen wollte, durchaus

nicht hin, er wurde Herr seines Unmuts und sagte bloß sehr ernst:

»Wohl mag euch, ihr kalten prosaischen Menschen, Olimpia unheimlich

sein. Nur dem poetischen Gemüt entfaltet sich das gleich organisierte!

- Nur _mir_ ging ihr Liebesblick auf und durchstrahlte Sinn und

Gedanken, nur in Olimpias Liebe finde ich mein Selbst wieder. Euch mag

es nicht recht sein, daß sie nicht in platter Konversation faselt, wie

die andern flachen Gemüter. Sie spricht wenig Worte, das ist wahr;

aber diese wenigen Worte erscheinen als echte Hieroglyphe der innern

Welt voll Liebe und hoher Erkenntnis des geistigen Lebens in der

Anschauung des ewigen Jenseits. Doch für alles das habt ihr keinen

Sinn und alles sind verlorne Worte.« - »Behüte dich Gott, Herr

Bruder«, sagte Siegmund sehr sanft, beinahe wehmütig, »aber mir

scheint es, du seist auf bösem Wege. Auf mich kannst du rechnen, wenn

alles - Nein, ich mag nichts weiter sagen! -« Dem Nathanael war es

plötzlich, als meine der kalte prosaische Siegmund es sehr treu mit

ihm, er schüttelte daher die ihm dargebotene Hand recht herzlich.

 

Nathanael hatte rein vergessen, daß es eine Clara in der Welt gebe,

die er sonst geliebt; - die Mutter - Lothar - alle waren aus seinem

Gedächtnis entschwunden, er lebte nur für Olimpia, bei der er täglich

stundenlang saß und von seiner Liebe, von zum Leben erglühter

Sympathie, von psychischer Wahlverwandtschaft fantasierte, welches

alles Olimpia mit großer Andacht anhörte. Aus dem tiefsten Grunde des

Schreibpults holte Nathanael alles hervor, was er jemals geschrieben.

Gedichte, Fantasien, Visionen, Romane, Erzählungen, das wurde täglich

vermehrt mit allerlei ins Blaue fliegenden Sonetten, Stanzen,

Kanzonen, und das alles las er der Olimpia stundenlang hintereinander

vor, ohne zu ermüden. Aber auch noch nie hatte er eine solche

herrliche Zuhörerin gehabt. Sie stickte und strickte nicht, sie sah

nicht durchs Fenster, sie fütterte keinen Vogel, sie spielte mit

keinem Schoßhündchen, mit keiner Lieblingskatze, sie drehte keine

Papierschnitzchen, oder sonst etwas in der Hand, sie durfte kein

Gähnen durch einen leisen erzwungenen Husten bezwingen - kurz! -

stundenlang sah sie mit starrem Blick unverwandt dem Geliebten ins

Auge, ohne sich zu rücken und zu bewegen und immer glühender, immer

lebendiger wurde dieser Blick. Nur wenn Nathanael endlich aufstand und

ihr die Hand, auch wohl den Mund küßte, sagte sie: »Ach, Ach!« - dann

aber: »Gute Nacht, mein Lieber!« - »O du herrliches, du tiefes Gemüt«,

rief Nathanael auf seiner Stube: »nur von dir, von dir allein werd ich

ganz verstanden.« Er erbebte vor innerm Entzücken, wenn er bedachte,

welch wunderbarer Zusammenklang sich in seinem und Olimpias Gemüt

täglich mehr offenbare; denn es schien ihm, als habe Olimpia über

seine Werke, über seine Dichtergabe überhaupt recht tief aus seinem

Innern gesprochen, ja als habe die Stimme aus seinem Innern selbst

herausgetönt. Das mußte denn wohl auch sein; denn mehr Worte als

vorhin erwähnt, sprach Olimpia niemals. Erinnerte sich aber auch

Nathanael in hellen nüchternen Augenblicken, z.B. morgens gleich

nach dem Erwachen, wirklich an Olimpias gänzliche Passivität und

Wortkargheit, so sprach er doch: »Was sind Worte - Worte! - Der Blick

ihres himmlischen Auges sagt mehr als jede Sprache hienieden. Vermag

denn überhaupt ein Kind des Himmels sich einzuschichten in den engen

Kreis, den ein klägliches irdisches Bedürfnis gezogen?« - Professor

Spalanzani schien hocherfreut über das Verhältnis seiner Tochter

mit Nathanael; er gab diesem allerlei unzweideutige Zeichen seines

Wohlwollens und als es Nathanael endlich wagte von ferne auf eine

Verbindung mit Olimpia anzuspielen, lächelte dieser mit dem ganzen

Gesicht und meinte: er werde seiner Tochter völlig freie Wahl lassen.

- Ermutigt durch diese Worte, brennendes Verlangen im Herzen, beschloß

Nathanael, gleich am folgenden Tage Olimpia anzusehen, daß sie das

unumwunden in deutlichen Worten ausspreche, was längst ihr holder

Liebesblick ihm gesagt, daß sie sein eigen immerdar sein wolle. Er

suchte nach dem Ringe, den ihm beim Abschiede die Mutter geschenkt, um

ihn Olimpia als Symbol seiner Hingebung, seines mit ihr aufkeimenden,

blühenden Lebens darzureichen. Claras, Lothars Briefe fielen ihm

dabei in die Hände; gleichgültig warf er sie beiseite, fand den Ring,

steckte ihn ein und rannte herüber zu Olimpia. Schon auf der Treppe,

auf dem Flur, vernahm er ein wunderliches Getöse; es schien aus

Spalanzanis Studierzimmer herauszuschallen. - Ein Stampfen - ein

Klirren - ein Stoßen - Schlagen gegen die Tür, dazwischen Flüche und

Verwünschungen. Laß los - laß los - Infamer - Verruchter! - Darum Leib

und Leben daran gesetzt? - ha ha ha ha! - so haben wir nicht gewettet

- ich, ich hab die Augen gemacht - ich das Räderwerk - dummer Teufel

mit deinem Räderwerk - verfluchter Hund von einfältigem Uhrmacher -

fort mit dir - Satan - halt - Peipendreher - teuflische Bestie! - halt

- fort - laß los! - Es waren Spalanzanis und des gräßlichen Coppelius

Stimmen, die so durcheinander schwirrten und tobten. Hinein stürzte

Nathanael von namenloser Angst ergriffen. Der Professor hatte eine

weibliche Figur bei den Schultern gepackt, der Italiener Coppola bei

den Füßen, die zerrten und zogen sie hin und her, streitend in voller

Wut um den Besitz. Voll tiefen Entsetzens prallte Nathanael zurück,

als er die Figur für Olimpia erkannte; aufflammend in wildem Zorn

wollte er den Wütenden die Geliebte entreißen, aber in dem Augenblick

wand Coppola sich mit Riesenkraft drehend die Figur dem Professor aus

den Händen und versetzte ihm mit der Figur selbst einen fürchterlichen

Schlag, daß er rücklings über den Tisch, auf dem Phiolen, Retorten,

Flaschen, gläserne Zylinder standen, taumelte und hinstürzte; alles

Gerät klirrte in tausend Scherben zusammen. Nun warf Coppola die Figur

über die Schulter und rannte mit fürchterlich gellendem Gelächter

rasch fort die Treppe herab, so daß die häßlich herunterhängenden Füße

der Figur auf den Stufen hölzern klapperten und dröhnten. - Erstarrt

stand Nathanael - nur zu deutlich hatte er gesehen, Olimpias

toderbleichtes Wachsgesicht hatte keine Augen, statt ihrer schwarze

Höhlen; sie war eine leblose Puppe. Spalanzani wälzte sich auf der

Erde, Glasscherben hatten ihm Kopf, Brust und Arm zerschnitten, wie

aus Springquellen strömte das Blut empor. Aber er raffte seine Kräfte

zusammen. - »Ihm nach - ihm nach, was zauderst du? - Coppelius -

Coppelius, mein bestes Automat hat er mir geraubt - Zwanzig Jahre

daran gearbeitet - Leib und Leben daran gesetzt - das Räderwerk

- Sprache - Gang - mein - die Augen - die Augen dir gestohlen. -

Verdammter - Verfluchter - ihm nach - hol mir Olimpia - da hast du die

Augen! -« Nun sah Nathanael, wie ein Paar blutige Augen auf dem Boden

liegend ihn anstarrten, die ergriff Spalanzani mit der unverletzten

Hand und warf sie nach ihm, daß sie seine Brust trafen. - Da packte

ihn der Wahnsinn mit glühenden Krallen und fuhr in sein Inneres

hinein Sinn und Gedanken zerreißend. »Hui - hui - hui! - _Feuerkreis_ -

_Feuerkreis_! dreh dich _Feuerkreis_ - lustig - lustig! - Holzpüppchen hui

schön Holzpüppchen dreh dich -« damit warf er sich auf den Professor

und drückte ihm die Kehle zu. Er hätte ihn erwürgt, aber das Getöse

hatte viele Menschen herbeigelockt, die drangen ein, rissen den

wütenden Nathanael auf und retteten so den Professor, der gleich

verbunden wurde. Siegmund, so stark er war, vermochte nicht den

Rasenden zu bändigen; der schrie mit fürchterlicher Stimme immerfort:

»Holzpüppchen dreh dich« und schlug um sich mit geballten Fäusten.

Endlich gelang es der vereinten Kraft mehrerer, ihn zu überwältigen,

indem sie ihn zu Boden warfen und banden. Seine Worte gingen unter

in entsetzlichem tierischen Gebrüll. So in gräßlicher Raserei tobend

wurde er nach dem Tollhause gebracht.

 

Ehe ich, günstiger Leser! dir zu erzählen fortfahre, was sich weiter

mit dem unglücklichen Nathanael zugetragen, kann ich dir, solltest du

einigen Anteil an dem geschickten Mechanikus und Automat-Fabrikanten

Spalanzani nehmen, versichern, daß er von seinen Wunden völlig geheilt

wurde. Er mußte indes die Universität verlassen, weil Nathanaels

Geschichte Aufsehen erregt hatte und es allgemein für gänzlich

unerlaubten Betrug gehalten wurde, vernünftigen Teezirkeln (Olimpia

hatte sie mit Glück besucht) statt der lebendigen Person eine

Holzpuppe einzuschwärzen. Juristen nannten es sogar einen feinen

und um so härter zu bestrafenden Betrug, als er gegen das Publikum

gerichtet und so schlau angelegt worden, daß kein Mensch (ganz kluge

Studenten ausgenommen) es gemerkt habe, unerachtet jetzt alle weise

tun und sich auf allerlei Tatsachen berufen wollten, die ihnen

verdächtig vorgekommen. Diese letzteren brachten aber eigentlich

nichts Gescheutes zutage. Denn konnte z.B. wohl irgend jemanden

verdächtig vorgekommen sein, daß nach der Aussage eines eleganten

Teeisten Olimpia gegen alle Sitte öfter genieset, als gegähnt hatte?

Ersteres, meinte der Elegant, sei das Selbstaufziehen des verborgenen

Triebwerks gewesen, merklich habe es dabei geknarrt usw. Der Professor

der Poesie und Beredsamkeit nahm eine Prise, klappte die Dose zu,

räusperte sich und sprach feierlich: »Hochzuverehrende Herren und

Damen! merken Sie denn nicht, wo der Hase im Pfeffer liegt? Das Ganze

ist eine Allegorie - eine fortgeführte Metapher! - Sie verstehen mich!

- Sapienti sat!« Aber viele hochzuverehrende Herren beruhigten sich

nicht dabei; die Geschichte mit dem Automat hatte tief in ihrer Seele

Wurzel gefaßt und es schlich sich in der Tat abscheuliches Mißtrauen

gegen menschliche Figuren ein. Um nun ganz überzeugt zu werden, daß

man keine Holzpuppe liebe, wurde von mehrern Liebhabern verlangt, daß

die Geliebte etwas taktlos singe und tanze, daß sie beim Vorlesen

sticke, stricke, mit dem Möpschen spiele usw. vor allen Dingen aber,

daß sie nicht bloß höre, sondern auch manchmal in der Art spreche,

daß dies Sprechen wirklich ein Denken und Empfinden voraussetze. Das

Liebesbündnis vieler wurde fester und dabei anmutiger, andere dagegen

gingen leise auseinander. »Man kann wahrhaftig nicht dafür stehen«,

sagte dieser und jener. In den Tees wurde unglaublich gegähnt und

niemals genieset, um jedem Verdacht zu begegnen. - Spalanzani mußte,

wie gesagt, fort, um der Kriminaluntersuchung wegen [des] der

menschlichen Gesellschaft betrüglicherweise eingeschobenen Automats zu

entgehen. Coppola war auch verschwunden.

 

Nathanael erwachte wie aus schwerem, fürchterlichem Traum, er schlug

die Augen auf und fühlte wie ein unbeschreibliches Wonnegefühl mit

sanfter himmlischer Wärme ihn durchströmte. Er lag in seinem Zimmer in

des Vaters Hause auf dem Bette, Clara hatte sich über ihn hingebeugt

und unfern standen die Mutter und Lothar. »Endlich, endlich, o mein

herzlieber Nathanael - nun bist du genesen von schwerer Krankheit -

nun bist du wieder mein!« - So sprach Clara recht aus tiefer Seele und

faßte den Nathanael in ihre Arme. Aber dem quollen vor lauter Wehmut

und Entzücken die hellen glühenden Tränen aus den Augen und er stöhnte

tief auf. »Meine - meine Clara!« - Siegmund, der getreulich ausgeharrt

bei dem Freunde in großer Not, trat herein. Nathanael reichte ihm die

Hand: »Du treuer Bruder hast mich doch nicht verlassen.« - Jede Spur

des Wahnsinns war verschwunden, bald erkräftigte sich Nathanael in der

sorglichen Pflege der Mutter, der Geliebten, der Freunde. Das Glück

war unterdessen in das Haus eingekehrt; denn ein alter karger Oheim,

von dem niemand etwas gehofft, war gestorben und hatte der Mutter

nebst einem nicht unbedeutenden Vermögen ein Gütchen in einer

angenehmen Gegend unfern der Stadt hinterlassen. Dort wollten sie

hinziehen, die Mutter, Nathanael mit seiner Clara, die er nun zu

heiraten gedachte, und Lothar. Nathanael war milder, kindlicher

geworden, als er je gewesen und erkannte nun erst recht Claras

himmlisch reines, herrliches Gemüt. Niemand erinnerte ihn auch nur

durch den leisesten Anklang an die Vergangenheit. Nur, als Siegmund

von ihm schied, sprach Nathanael: »Bei Gott Bruder! ich war auf

schlimmen Wege, aber zu rechter Zeit leitete mich ein Engel auf den

lichten Pfad! - Ach es war ja Clara! -« Siegmund ließ ihn nicht weiter

reden, aus Besorgnis, tief verletzende Erinnerungen möchten ihm

zu hell und flammend aufgehen. - Es war an der Zeit, daß die

vier glücklichen Menschen nach dem Gütchen ziehen wollten. Zur

Mittagsstunde gingen sie durch die Straßen der Stadt. Sie hatten

manches eingekauft, der hohe Ratsturm warf seinen Riesenschatten über

den Markt. »Ei!« sagte Clara: »steigen wir doch noch einmal herauf und

schauen in das ferne Gebirge hinein!« Gesagt, getan! Beide, Nathanael

und Clara, stiegen herauf, die Mutter ging mit der Dienstmagd nach

Hause, und Lothar, nicht geneigt, die vielen Stufen zu erklettern,

wollte unten warten. Da standen die beiden Liebenden Arm in Arm auf

der höchsten Galerie des Turmes und schauten hinein in die duftigen

Waldungen, hinter denen das blaue Gebirge, wie eine Riesenstadt, sich

erhob.

 

»Sieh doch den sonderbaren kleinen grauen Busch, der ordentlich

auf uns los zu schreiten scheint«, frug Clara. - Nathanael faßte

mechanisch nach der Seitentasche; er fand Coppolas Perspektiv,

er schaute seitwärts - Clara stand vor dem Glase! - Da zuckte es

krampfhaft in seinen Pulsen und Adern - totenbleich starrte er Clara

an, aber bald glühten und sprühten Feuerströme durch die rollenden

Augen, gräßlich brüllte er auf, wie ein gehetztes Tier; dann sprang

er hoch in die Lüfte und grausig dazwischen lachend schrie er in

schneidendem Ton: »Holzpüppchen dreh dich - Holzpüppchen dreh

dich« - und mit gewaltiger Kraft faßte er Clara und wollte sie

herabschleudern, aber Clara krallte sich in verzweifelnder Todesangst

fest an das Geländer. Lothar hörte den Rasenden toben, er hörte Claras

Angstgeschrei, gräßliche Ahnung durchflog ihn, er rannte herauf,

die Tür der zweiten Treppe war verschlossen - stärker hallte Claras

Jammergeschrei. Unsinnig vor Wut und Angst stieß er gegen die Tür, die

endlich aufsprang - Matter und matter wurden nun Claras Laute: »Hülfe

- rettet - rettet -« so erstarb die Stimme in den Lüften. »Sie ist

hin - ermordet von dem Rasenden«, so schrie Lothar. Auch die Tür zur

Galerie war zugeschlagen. - Die Verzweiflung gab ihm Riesenkraft, er

sprengte die Tür aus den Angeln. Gott im Himmel - Clara schwebte von

dem rasenden Nathanael erfaßt über der Galerie in den Lüften - nur mit

einer Hand hatte sie noch die Eisenstäbe umklammert. Rasch wie der

Blitz erfaßte Lothar die Schwester, zog sie hinein, und schlug im

demselben Augenblick mit geballter Faust dem Wütenden ins Gesicht, daß

er zurückprallte und die Todesbeute fallen ließ.

 

Lothar rannte herab, die ohnmächtige Schwester in den Armen. - Sie war

gerettet. - Nun raste Nathanael herum auf der Galerie und sprang hoch

in die Lüfte und schrie »_Feuerkreis_ dreh dich - _Feuerkreis_ dreh dich«

- Die Menschen liefen auf das wilde Geschrei zusammen; unter ihnen

ragte riesengroß der Advokat Coppelius hervor, der eben in die Stadt

gekommen und gerades Weges nach dem Markt geschritten war. Man wollte

herauf, um sich des Rasenden zu bemächtigen, da lachte Coppelius

sprechend: »Ha ha - wartet nur, der kommt schon herunter von selbst«,

und schaute wie die übrigen hinauf. Nathanael blieb plötzlich wie

erstarrt stehen, er bückte sich herab, wurde den Coppelius gewahr und

mit dem gellenden Schrei: »Ha! Sköne Oke - Sköne Oke«, sprang er über

das Geländer.

 

Als Nathanael mit zerschmettertem Kopf auf dem, Steinpflaster lag, war

Coppelius im Gewühl verschwunden.

 

Nach mehreren Jahren will man in einer entfernten Gegend Clara gesehen

haben, wie sie mit einem freundlichen Mann, Hand in Hand vor der Türe

eines schönen Landhauses saß und vor ihr zwei muntre Knaben spielten.

Es wäre daraus zu schließen, daß Clara das ruhige häusliche Glück noch

fand, das ihrem heitern lebenslustigen Sinn zusagte und das ihr der im

Innern zerrissene Nathanael niemals hätte gewähren können.

 

 

 

Ignaz Denner

 

Vor alter längst verfloßner Zeit lebte in einem wilden einsamen Forst

des Fuldaischen Gebiets ein wackrer Jägersmann, Andres mit Namen. Er

war sonst Leibjäger des Herrn Grafen Aloys von Vach gewesen, den er

auf weiten Reisen durch das schöne Welschland begleitet, und einmal,

als sie auf den unsichern Wegen in dem Königreich Neapel von

Straßenräubern angefallen wurden, durch seine Klugheit und Tapferkeit

aus großer Lebensgefahr gerettet hatte. In dem Wirtshause zu Neapel,

wo sie eingekehrt waren, befand sich ein armes, bildschönes Mädchen,

die von dem Hauswirt, der sie als eine Waise aufgenommen, gar hart

behandelt und zu den niedrigsten Arbeiten in Hof und Küche gebraucht

wurde. Andres suchte sie, so gut er sich ihr verständlich machen

konnte, mit trostreichen Worten aufzurichten, und das Mädchen faßte

solche Liebe zu ihm, daß sie sich nicht mehr von ihm trennen, sondern

mitziehen wollte nach dem kalten Deutschland. Der Graf von Vach,

gerührt von Andres' Bitten und Giorginas Tränen, erlaubte, daß sie

sich zu dem geliebten Andres auf den Kutschbock setzen, und so die

beschwerliche Reise machen durfte. Schon ehe sie über die Grenzen von

Italien hinausgekommen, ließ sich Andres mit seiner Giorgina trauen

und als sie dann nun endlich zurückgekehrt waren auf die Güter des

Grafen von Vach, glaubte dieser den treuen Diener recht zu belohnen,

da er ihn zu seinem Revierjäger ernannte. Mit seiner Giorgina und

einem alten Knecht zog er in den einsamen rauhen Wald, den er

schützen sollte wider die Freijäger und Holzdiebe. Statt des geholten

Wohlstandes, den ihm der Graf von Vach verheißen, führte er aber ein

beschwerliches, mühseliges, dürftiges Leben und geriet bald in Kummer

und Elend. Der kleine Lohn an barem Geld, den er von dem Grafen

erhielt, reichte kaum hin, sich und seine Giorgina zu kleiden; die

geringen Gefälle, die ihm bei Holzverkäufen zukamen, waren selten

und ungewiß und den Garten, auf dessen Bebauung und Benutzung er

angewiesen, verwüsteten oft die Wölfe und die wilden Schweine, er

mochte mit seinem Knecht auf der Hut sein, wie er wollte, so daß

bisweilen in einer Nacht die letzte Hoffnung des Lebensunterhalts

vereitelt ward. Dabei war sein Leben stets bedroht von den Holzdieben

und Freischützen. Jeder Lockung widerstand er als ein wackrer frommer

Mann, der lieber darben, als ungerechtes Gut an sich bringen wollte

und verwaltete sein Amt getreulich und tapfer, deshalb stellten sie

ihm nach auf gefährliche Weise, und nur seine treuen Doggen schützten

ihn vor nächtlichem Überfall des Raubgesindels. Giorgina, des Klimas

und der Lebensweise in dem wilden Forst ganz ungewohnt, welkte

zusehends hin. Ihre bräunliche Gesichtsfarbe verwandelte sich in

fahles Gelb, ihre lebhaften blitzenden Augen wurden düster, und ihr

voller, üppiger Wuchs magerte mit jedem Tage mehr ab. Oft erwachte sie

in mondheller Nacht. Schüsse krachten in der Ferne durch den Wald, die

Doggen heulten, leise erhob sich der Mann vom Lager und schlich mit

dem Knecht murmelnd hinaus in den Forst. Dann betete sie inbrünstig

zu Gott und zu den Heiligen, daß sie und ihr treuer Mann errettet

werden möchten aus dieser schrecklichen Einöde und aus der steten

Todesgefahr. Die Geburt eines Knaben warf Giorgina endlich auf das

Krankenlager, und immer schwächer und schwächer werdend, sah sie ihr

Ende vor Augen. Dumpf in sich hinbrütend, schlich der unglückliche

Andres umher; alles Glück war mit der Krankheit seines Weibes von ihm

gewichen. Wie neckendes, gespenstisches Wesen guckte das Wild aus den

Büschen; sowie er sein Gewehr abdrückte, war es verstoben in der Luft.

Er konnte kein Tier mehr treffen und nur sein Knecht, ein geübter

Schütze, beschaffte das Wild, welches er dem Grafen von Vach zu

liefern gehalten war. Einst saß er an Giorginas Bette, den starren

Blick auf das geliebte Weib gerichtet, die ermattet zum Tode kaum mehr

atmete. In dumpfem, lautlosem Schmerz hatte er ihre Hand gefaßt und

hörte nicht das Ächzen des Knaben, der nahrungslos verschmachten

wollte. Der Knecht ging schon am frühen Morgen nach Fulda, um für das

letzte Ersparnis einige Erquickung für die Kranke herbeizuschaffen.

Kein menschliches tröstendes Wesen war weit und breit zu finden, nur

der Sturm heulte in schneidenden Tönen des entsetzlichen Jammers durch

die schwarzen Tannen und die Doggen winselten, wie in trostloser

Klage, um den unglücklichen Herrn. Da hörte Andres auf einmal es vor

dem Hause daherschreiten, wie menschliche Fußtritte. Er glaubte,

es wäre der zurückkehrende Knecht, unerachtet er ihn nicht so früh

erwarten konnte, aber die Hunde sprangen heraus und bellten heftig. Es

mußte ein Fremder sein. Andres ging selbst vor die Tür: da trat ihm

ein langer, hagerer Mann entgegen, in grauem Mantel, die Reisemütze

tief ins Gesicht gedrückt. »Ei«, sagte der Fremde: »wie bin ich doch

hier im Walde so irre gegangen! Der Sturm tobt von den Bergen herab,

wir bekommen ein schrecklich Wetter. Möchtet Ihr nicht erlauben,

lieber Herr! daß ich in Euer Haus eintreten und mich von dem

beschwerlichen Wege erholen und erquicken dürfte zur weitern Reise?« -

»Ach Herr«, erwiderte der betrübte Andres, »Ihr kommt in ein Haus der

Not und des Elends und außer dem Stuhl, auf dem Ihr ausruhen könnt,

vermag ich kaum Euch irgend eine Erquickung anzubieten; meinem armen

kranken Weibe mangelt es selbst daran, und mein Knecht, den ich

nach Fulda geschickt, wird erst am späten Abend etwas zur Labung

herbeibringen.« Unter diesen Worten waren sie in die Stube getreten.

Der Fremde legte seine Reisemütze und seinen Mantel ab, unter dem er

ein Felleisen und ein Kistchen trug. Er zog auch ein Stilett und ein

paar Terzerole hervor, die er auf den Tisch legte. Andres war an

Giorginas Bett getreten, sie lag in bewußtlosem Zustande. Der

Fremde trat ebenfalls hinzu, schaute die Kranke lange mit scharfen,

bedächtigen Blicken an und ergriff ihre Hand, den Puls sorglich

erforschend. Als nun Andres voll Verzweiflung ausrief: »Ach Gott, nun

stirbt sie wohl!« da sagte der Fremde: »Mit nichten, lieber Freund!

seid ganz ruhig. Euerm Weibe fehlt nichts als kräftige, gute Nahrung,

und vor der Hand wird ihr ein Mittel, das zugleich reizt und stärkt,

die besten Dienste tun. Ich bin zwar kein Arzt, sondern vielmehr ein

Kaufmann, allein doch in der Arzneiwissenschaft nicht unerfahren, und

besitze aus uralter Zeit her manches Arcanum, welches ich mit mir

führe und auch wohl verkaufe.« Damit öffnete der Fremde sein Kistchen,

holte eine Phiole heraus, tröpfelte von dem ganz dunkelroten Liquor

etwas auf Zucker und gab es der Kranken. Dann holte er aus dem

Felleisen eine kleine geschliffene Flasche köstlichen Rheinweins und

flößte der Kranken ein paar Löffel voll ein. Den Knaben, befahl er,

nur dicht an der Mutter Brust gelehnt ins Bette zu legen und beide der

Ruhe zu überlassen. Dem Andres war es zumute, als sei ein Heiliger

herabgestiegen in die Einöde, ihm Trost und Hülfe zu bringen. Anfangs

hatte ihn der stechende, falsche Blick des Fremden abgeschreckt, jetzt

wurde er durch die sorgliche Teilnahme, durch die augenscheinliche

Hülfe, die er der armen Giorgina leistete, zu ihm hingezogen. Er

erzählte dem Fremden unverhohlen, wie er eben durch die Gnade, die ihm

sein Herr, der Graf von Vach, angedeihen lassen wollen, in Not und

Elend geraten sei und wie er wohl Zeit seines Lebens nicht aus

drückender Armut und Dürftigkeit kommen werde. Der Fremde tröstete

ihn dagegen und meinte, wie oft ein unverhofftes Glück dem

Hoffnungslosesten alle Güter des Lebens bringe, und daß man wohl etwas

wagen müsse, das Glück selbst sich dienstbar zu machen. »Ach lieber

Herr!« erwiderte Andres, »ich vertraue Gott und der Fürsprache der

Heiligen, zu denen wir, ich und mein treues Weib, jeden Tag mit

Inbrunst beten. Was soll ich denn tun, um mir Geld und Gut zu

verschaffen? Ist es mir nach Gottes Weisheit nicht beschieden, so wäre

es ja sündlich, darnach zu trachten; soll ich aber noch in dieser Welt

zu Gütern gelangen, welches ich meines armen Weibes halber wünsche,

die ihr schönes Vaterland verlassen, um mir in diese wilde Einöde

zu folgen, so kommt es wohl, ohne daß ich Leib und Leben wage um

schnödes, weltliches Gut.« Der Fremde lächelte bei diesen Reden des

frommen Andres auf ganz seltsame Weise und war im Begriff, etwas zu

erwidern, als Giorgina mit einem tiefen Seufzer aus dem Schlaf, in den

sie versunken, erwachte. Sie fühlte sich wunderbarlich gestärkt; auch

der Knabe lächelte hold und lieblich an ihrer Brust. Andres war außer

sich vor Freude, er weinte, er betete, er jubelte durch das Haus.

Der Knecht war indessen zurückgekommen und bereitete, so gut er es

vermochte, von den mitgebrachten Lebensmitteln das Mahl, an dem nun

der Fremde teilnehmen sollte. Der Fremde kochte selbst eine Kraftsuppe

für Giorgina, und man sah, daß er allerlei Gewürz und andere

Ingredienzien hineinwarf, die er bei sich getragen. Es war später

Abend worden, der Fremde mußte daher bei dem Andres übernachten,

und er bat, daß man ihm in derselben Stube, wo Andres und Giorgina

schliefen, ein Strohlager bereiten möge. Das geschah. Andres, den die

Besorgnis um Giorgina nicht schlafen ließ, bemerkte, wie der Fremde

beinahe bei jedem stärkeren Atemzuge Giorginas auffuhr, wie er

stündlich aufstand, leise sich ihrem Bette näherte, ihren Puls

erforschte und ihr Arznei eintröpfelte.

 

Als der Morgen angebrochen, war Giorgina wieder zusehends besser

geworden. Andres dankte dem Fremden, den er seinen Schutzengel nannte,

aus der Fülle seines Herzens. Auch Giorgina äußerte, wie ihn wohl, auf

ihr inbrünstiges Gebet, Gott selbst gesendet habe zu ihrer Rettung.

Dem Fremden schienen diese lebhaften Ausbrüche des Danks in gewisser

Art beschwerlich zu fallen; er war sichtlich verlegen und äußerte ein

Mal über das andere, wie er ja ein Unmensch sein müsse, wenn er nicht

der Kranken mit seiner Kenntnis und den Arzneimitteln, die er bei sich

führe, habe beistehen sollen. Übrigens sei nicht Andres, sondern er

zum Dank verpflichtet, da man ihn, der Not unerachtet, die im Hause

herrsche, so gastlich aufgenommen, und er wolle auch keineswegs diese

Pflicht unerfüllt lassen. Er zog einen wohlgefüllten Beutel hervor

und nahm einige Goldstücke heraus, die er dem Andres hinreichte. »Ei

Herr«, sagte Andres, »wie und wofür sollte ich denn so vieles Geld von

Euch annehmen? Euch in meinem Hause zu beherbergen, da Ihr Euch in dem

wilden weitläufigen Forst verirrt hattet, das war ja Christenpflicht,

und dünkte Euch das irgend eines Dankes wert, so habt Ihr mich ja

überreich, ja mehr, als ich es nur mit Worten sagen mag, dadurch

belohnt, daß Ihr als ein weiser kunsterfahrner Mann mein liebes Weib

vom augenscheinlichen Tode rettetet. Ach Herr! was Ihr an mir getan,

werde ich Euch ewiglich nicht vergessen, und Gott möge es mir

verleihen, daß ich die edle Tat Euch mit meinem Leben und Blut lohnen

könne.« Bei diesen Worten des wackern Andres fuhr es wie ein rascher

funkelnder Blitz aus den Augen des Fremden. »Ihr müßt, braver Mann«,

sprach er, »durchaus das Geld annehmen. Ihr seid das schon Euerm Weibe

schuldig, der Ihr damit bessere Nahrungsmittel und Pflege verschaffen

könnt; denn dieser bedarf sie nunmehro, um nicht wieder in ihren

vorigen Zustand zurückzufallen, und Euerm Knaben Nahrung geben zu

können.« - »Ach Herr«, erwiderte Andres, »verzeiht es, aber eine

innere Stimme sagt mir, daß ich Euer unverdientes Geld nicht nehmen

darf. Diese innere Stimme, der ich, wie der höhern Eingebung meines

Schutzheiligen, immer vertraut, hat mich bisher sicher durch das Leben

geführt und mich beschützt vor allen Gefahren des Leibes und der

Seele. Wollt Ihr großmütig handeln und an mir Armen ein übriges tun,

so laßt mir ein Fläschlein von Eurer wundervollen Arznei zurück, damit

durch ihre Kraft mein Weib ganz genese.« Giorgina richtete sich im

Bette auf, und der schmerzvolle wehmütige Blick, den sie auf Andres

warf, schien ihn anzusehen, diesmal nicht so strenge auf sein inneres

Widerstreben zu achten, sondern die Gabe des mildtätigen Mannes

anzunehmen. Der Fremde bemerkte das und sprach: »Nun wenn Ihr denn

durchaus mein Geld nicht annehmen wollt, so schenke ich es Euerm

lieben Weibe, die meinen guten Willen, Euch aus der bittern Not zu

retten, nicht verschmähen wird.« Damit griff er noch einmal in den

Beutel, und sich der Giorgina nähernd, gab er ihr wohl noch einmal so

viel Geld, als er vorhin dem Andres angeboten hatte. Giorgina sah das

schöne funkelnde Gold mit vor Freude leuchtenden Augen, sie konnte

kein Wort des Danks herausbringen, die hellen Tränen schossen ihr die

Wangen herab. Der Fremde wandte sich schnell von ihr weg, und sprach

zu Andres: »Seht, lieber Mann! Ihr könnet meine Gabe getrost annehmen,

da ich nur etwas von großem Überfluß Euch mitteile. Gestehen will ich

Euch, daß ich das nicht bin, was ich scheine. Nach meiner schlichten

Kleidung, und da ich wie ein dürftiger wandernder Krämer zu Fuß reise,

glaubt Ihr gewiß, daß ich arm bin und mich nur kümmerlich von kleinem

Verdienst auf Messen und Jahrmärkten nähre: ich muß Euch jedoch sagen,

daß ich durch glücklichen Handel mit den trefflichsten Kleinodien, den

ich seit vielen Jahren treibe, ein sehr reicher Mann geworden, und nur

die einfache Lebensweise aus alter Gewohnheit beibehalten habe. In

diesem kleinen Felleisen und dem Kistchen bewahre ich Juwelen und

köstliche, zum Teil noch im grauen Altertum geschnittene Steine,

welche viele, viele Tausende wert sind. Ich habe diesmal in Frankfurt

sehr glückliche Geschäfte gemacht, so daß das wohl noch lange nicht

der hundertste Teil des Gewinns sein mag, was ich Euerm lieben Weibe

schenkte. Überdem gebe ich Euch das Geld keineswegs umsonst, sondern

verlange von Euch dafür allerlei Gefälligkeiten. Ich wollte, wie

gewöhnlich, von Frankfurt nach Kassel gehen und kam von Schlüchtern

aus vom richtigen Wege ab. Indessen habe ich gefunden, daß der Weg

durch diesen Forst, den sonst die Reisenden scheuen, gerade für einen

Fußgänger recht anmutig ist, weshalb ich denn künftig auf gleicher

Reise immer diese Straße einschlagen und bei Euch einsprechen will.

Ihr werdet daher mich jährlich zweimal bei Euch eintreffen sehen;

nämlich zu Ostern, wenn ich von Frankfurt nach Kassel wandere, und

im späten Herbst, wenn ich von der Leipziger Michaelismesse nach

Frankfurt und von dort nach der Schweiz und wohl auch nach Welschland

gehe. Dann sollt Ihr mich für gute Bezahlung - einen - zwei auch wohl

drei Tage bei Euch beherbergen und das ist die erste Gefälligkeit, um

die ich Euch ersuche.

 

Ferner bitte ich Euch, dieses kleine Kistchen, worin Waren sind, die

ich in Kassel nicht brauche, und das mir beim Wandern hinderlich ist,

zu behalten, bis ich künftigen Herbst wieder bei Euch einspreche.

Nicht verhehlen will ich, daß die Waren viele Tausende wert sind, aber

ich mag Euch deshalb doch kaum größere Sorglichkeit empfehlen, da ich

nach der Treue und Frömmigkeit, die Ihr an den Tag legt, Euch zutraue,

daß Ihr auch das Geringste, was ich Euch zurückließe, sorgfältig

aufbewahren würdet; zumal werdet Ihr das bei Sachen von solch großem

Werte, als die sind, welche in dem Kistchen verschlossen, sicherlich

tun. Seht, das ist der zweite Dienst, den ich von Euch fordere.

Das Dritte, was ich verlange, wird Euch wohl am schwersten fallen,

unerachtet es mir jetzt am nötigsten tut. Ihr sollt Euer liebes Weib

nur auf diesen Tag verlassen und mich aus dem Forst bis auf die Straße

nach Hirschfeld geleiten, wo ich bei Bekannten einsprechen und dann

meine Reise nach Kassel fortsetzen will. Denn außer dem, daß ich des

Weges im Forst nicht recht kundig bin und mich daher zum zweitenmal

verirren könnte, ohne von einem so wackern Mann, wie Ihr es seid,

aufgenommen zu werden, ist es auch in der Gegend nicht recht geheuer.

Euch als einem Jägersmann aus der Gegend wird man nichts anhaben, aber

ich, als einsamer Wanderer, könnte wohl gefährdet werden. Man sprach

in Frankfurt davon, daß eine Räuberbande, die sonst die Gegend von

Schaffhausen unsicher machte und sich bis nach Straßburg herauf

ausdehnte, nunmehr sich ins Fuldaische geworfen haben soll, da die von

Leipzig nach Frankfurt reisenden Kaufleute ihnen reicheren Gewinst

versprachen, als sie dort finden konnten. Wie leicht wär es möglich,

daß sie mich schon von Frankfurt aus als reichen Juwelenhändler

kennten. Hab ich also ja durch die Rettung Eures Weibes Dank verdient,

so könnt Ihr mich dadurch reichlich lohnen, daß Ihr aus diesem Forste

mich auf Weg und Steg leitet.« Andres war mit Freuden bereit, alles zu

erfüllen, was man von ihm verlangte, und machte sich gleich, wie es

der Fremde wünschte, zur Wanderung fertig, indem er seine Jägeruniform

anzog, seine Doppelbüchse und seinen tüchtigen Hirschfänger

umschnallte und dem Knecht befahl, zwei von den Doggen anzukuppeln.

Der Fremde hatte unterdessen das Kistchen geöffnet und die

prächtigsten Geschmeide, Halsketten - Ohrringe - Spangen

herausgenommen, die er auf Giorginas Bette ausbreitete, so daß sie

ihre Verwunderung und Freude gar nicht bergen konnte. Als nun aber der

Fremde sie aufforderte, doch eine der schönsten Halsketten umzuhängen,

die reichen Spangen auf ihre wunderschön geformten Ärme zu streifen,

und ihr dann einen kleinen Taschenspiegel vorhielt, worin sie sich

nach Herzenslust beschauen konnte, so daß sie in kindischer Lust

aufjauchzte, da sagte Andres zu dem Fremden: »Ach lieber Herr! wie

möget Ihr doch in meinem armen Weibe solche Lüsternheit erregen, daß

sie sich mit Dingen putzt, die ihr nimmermehr zukommen, und auch gar

nicht anstehen. Nehmt mir es nicht übel, Herr! aber die einfache rote

Korallenschnur, die meine Giorgina um den Hals gehängt hatte, als ich

sie zum erstenmal in Neapel sah, ist mir tausendmal lieber, als das

funkelnde blitzende Geschmeide, das mir recht eitel und trügerisch

vorkommt.« - »Ihr seid auch gar zu strenge«, erwiderte der Fremde

höhnisch lächelnd, »daß Ihr Euerm Weibe nicht einmal in ihrer

Krankheit die unschuldige Freude lassen wollt, sich mit meinen schönen

Geschmeiden herauszuputzen, die keineswegs trügerisch, sondern

wahrhaft echt sind. Wißt Ihr denn nicht, daß eben den Weibern solche

Dinge rechte Freude verursachen? Und was Ihr da sagt, daß solcher

Prunk Eurer Giorgina nicht zukomme, so muß ich das Gegenteil

behaupten. Euer Weib ist hübsch genug, sich so herauszuputzen und Ihr

wißt ja nicht, ob sie nicht einmal auch noch reich genug sein wird,

dergleichen Schmuck selbst zu besitzen und zu tragen.« Andres sprach

mit sehr ernstem nachdrücklichen Ton: »Ich bitte Euch, Herr! führt

nicht solche geheimnisvolle verfängliche Reden! Wollt Ihr denn mein

armes Weib betören, daß sie von eitlem Gelüst nach solchem weltlichen

Prunk und Staat nur drückender unsere Armut fühle und um alle

Lebensruhe, um alle Heiterkeit gebracht werde? Packt nur Eure schöne

Sachen ein, lieber Herr! ich will sie Euch treulich bewahren, bis

Ihr zurückkommt. Aber sagt mir nun, wenn, wie es der Himmel verhüten

möge! Euch unterdessen ein Unglück zustoßen sollte, so daß Ihr nicht

mehr zurückkehrtet in mein Haus, wohin soll ich dann das Kistchen

abliefern, und wie lange soll ich auf Euch warten, ehe ich die Juwelen

_dem_ einhändige, den Ihr mir nennen werdet, so wie ich Euch jetzt

um Euern Namen bitte?« - »Ich heiße«, erwiderte der Fremde, »Ignaz

Denner, und bin, wie Ihr schon wisset, Kauf- und Handelsmann. Ich habe

weder Weib, noch Kinder, und meine Verwandte wohnen im Walliser Lande.

_Die_ kann ich aber keineswegs lieben und achten, da sie sich, als ich

noch arm und bedürftig war, um mich gar nicht gekümmert haben. Sollte

ich in drei Jahren mich nicht sehen lassen, so behaltet das Kistchen

ruhig an Euch und, da ich wohl weiß, daß beide, Ihr und Giorgina, Euch

sträuben werdet, das reiche Vermächtnis von mir anzunehmen, so schenke

ich in jenem Fall das Kästchen mit Kleinodien Euerm Knaben, dem ich,

wenn Ihr ihn firmeln laßt, den Namen Ignatius beizugeben bitte.«

Andres wußte in der Tat nicht, was er aus der seltenen Freigebigkeit

und Großmut des fremden Mannes machen sollte. Er stand ganz verstummt

vor ihm, indes Giorgina ihm für seinen guten Willen dankte und

versicherte, zu Gott und den Heiligen fleißig beten zu wollen, daß sie

ihn auf seinen weiten beschwerlichen Reisen beschützen und ihn stets

glücklich in ihr Haus zurückführen möchten. Der Fremde lächelte, so

wie es seine Art war, auf seltsame Weise und meinte, daß wohl das

Gebet einer schönen Frau mehr Kraft haben möge, als das seinige. Das

Beten wolle er daher ihr überlassen und übrigens seinem kräftigen

abgehärteten Körper und seinen guten Waffen vertrauen.

 

Dem frommen Andres mißfiel diese Äußerung des Fremden höchlich;

indessen verschwieg er das, was er darauf zu erwidern schon im Begriff

stand, und trieb vielmehr den Fremden an, jetzt die Wanderung durch

den Forst zu beginnen, da er sonst erst in später Nacht in sein Haus

zurückkehren und seine Giorgina in Furcht und Angst setzen würde.

 

Der Fremde sagte beim Abschied noch Giorginen: daß er ausdrücklich ihr

erlaube, sich, wenn es ihr Vergnügen mache, mit seinen Geschmeiden zu

schmücken, da es ihr ja ohnedies in diesem einsamen wilden Forst an

jeder Belustigung mangle. Giorgina errötete vor innerm Vergnügen,

da sie freilich die ihrer Nation eigne Lust an glänzendem Staat und

vorzüglich an kostbaren Steinen nicht unterdrücken konnte. - Nun

schritten Denner und Andres rasch vorwärts durch den finstern öden

Wald. In dem dicksten Gebüsch schnupperten die Doggen umher und

klafften, den Herrn mit klugen beredten Augen anschauend. »Hier ist

es nicht geheuer«, sprach Andres, spannte den Hahn seiner Büchse und

schritt mit den Hunden bedächtig vor dem fremden Kaufmann her. Oft

war es ihm, als rausche es in den Bäumen und bald erblickte er

in der Ferne finstre Gestalten, die gleich wieder in dem Gebüsch

verschwanden. Er wollte seine Doggen loskuppeln. »Tut das nicht,

lieber Mann!« rief Denner, »denn ich kann Euch versichern, daß wir

nicht das mindeste zu fürchten haben.« Kaum hatte er diese Worte

gesprochen, als nur wenige Schritte von ihnen ein großer schwarzer

Kerl mit struppigen Haaren und großem Knebelbart, eine Büchse in der

Hand, aus dem Gebüsch heraustrat. Andres machte sich schußfertig;

»schießt nicht, schießt nicht!« rief Denner; der schwarze Kerl nickte

ihm freundlich zu und verlor sich in den Bäumen. Endlich waren sie aus

dem Walde heraus, auf der lebhaften Landstraße. »Nun danke ich Euch

herzlich für Euer Geleite«, sprach Denner; »kehrt nur jetzt in Eure

Wohnung zurück; sollten Euch wieder solche Gestalten aufstoßen, wie

wir sie gesehen, so zieht ruhig Eure Straße fort, ohne Euch darum zu

kümmern. Tut, als wenn Ihr gar nichts bemerktet, behaltet Eure Doggen

am Strick, Ihr werdet ohne alle Gefahr Eure Wohnung erreichen.« Andres

wußte nicht, was er von dem allen und von dem wunderlichen Kaufmann

denken sollte, der, wie ein Geisterbeschwörer, den Feind zu bannen und

von sich abzuhalten schien. Er konnte nicht begreifen, warum er denn

erst sich habe durch den Wald geleiten lassen. Getrost schritt Andres

durch den Forst zurück, es stieß ihm durchaus nichts Verdächtiges auf

und er kam wohlbehalten in sein Haus, wo ihm seine Giorgina, die sich

munter und kräftig aus dem Bette gemacht, voll Freude in die Arme

fiel.

 

Durch die Freigebigkeit des fremden Kaufmanns bekam die kleine

Haushaltung des Andres eine ganz andere Gestalt. Kaum war nämlich

Giorgina ganz genesen, als er mit ihr nach Fulda ging und außer

den nötigsten Bedürfnissen noch manches Stück einkaufte, das ihrer

häuslichen Einrichtung abging und wodurch diese das Ansehen eines

gewissen Wohlstandes erhielt. Dazu kam, daß seit dem Besuch des

Fremden die Freijäger und Holzdiebe aus der Gegend gebannt schienen,

und Andres seinem Posten ruhig vorstehen konnte. Auch sein Jagdglück

war wiedergekehrt, so daß er, wie sonst, beinahe niemals einen

Fehlschuß tat. Der Fremde stellte sich zu Michaelis wieder ein und

blieb drei Tage. Der hartnäckigen Weigerung der Wirtsleute unerachtet

war er doch wieder so freigebig, wie das erstemal. Er versicherte, es

sei nun einmal seine Absicht, sie in Wohlstand zu versetzen, und so

sich selbst das Absteigequartier im Walde freundlicher und angenehmer

zu machen.

 

Nun konnte die bildhübsche Giorgina sich besser kleiden; sie gestand

dem Andres, daß sie der Fremde mit einer zierlich gearbeiteten goldnen

Nadel, wie sie die Mädchen und Weiber in mancher Gegend Italiens

durch das in Zöpfen zusammengeflochtene aufgewirbelte Haar zu stecken

pflegen, beschenkt habe. Andres zog ein finstres Gesicht, aber in

dem Augenblick war Giorgina zur Tür herausgesprungen und nicht lange

dauerte es, so kehrte sie zurück ganz so gekleidet und geschmückt, wie

Andres sie in Neapel gesehen hatte. Die schöne goldne Nadel prangte

in dem schwarzen Haar, in das sie mit malerischem Sinn bunte Blumen

geflochten, und Andres mußte sich nun selbst gestehen, daß der Fremde

sein Geschenk recht sinnig gewählt hatte, um seine Giorgina wahrhaft

zu erfreuen.

 

Andres äußerte dies unverhohlen und Giorgina meinte, daß der Fremde

wohl ihr Schutzengel sei, der sie aus der tiefsten Dürftigkeit zum

Wohlstande erhebe, und daß sie gar nicht begreife, wie Andres so

wortkarg, so verschlossen gegen den Fremden und überhaupt so traurig,

so in sich gekehrt, bleiben könne. »Ach, liebes Herzensweib!« sprach

Andres, »die innere Stimme, welche mir damals so laut sagte, daß ich

durchaus nichts von dem Fremden annehmen dürfe, die schweigt bis jetzt

keineswegs. Ich werde oft von innern Vorwürfen gemartert; es ist mir,

als ob mit dem Gelde des Fremden unrechtes Gut in mein Haus gekommen

sei und deshalb kann mich nichts recht freuen, was dafür angeschafft

wurde. Ich kann mich jetzt wohl öfter mit einer kräftigen Speise, mit

einem Glase Wein erlaben; glaube mir aber, liebe Giorgina! war einmal

ein guter Holzverkauf vorgefallen und hatte mir der liebe Gott ein

paar ehrlich verdiente Groschen mehr beschert, als gewöhnlich, dann

schmeckte mir ein Glas geringen Weins viel besser, als jetzt der

gute Wein, den der Fremde uns mitbringt. Ich kann mich mit diesem

sonderbaren Kaufmann durchaus nicht befreunden, ja es ist mir in

seiner Gegenwart oft ganz unheimlich zumute. Hast du wohl bemerkt,

liebe Giorgina! daß er niemanden fest anzuschauen vermag? Und dabei

blitzt es zuweilen aus seinen tiefliegenden kleinen Augen so sonderbar

heraus, und dann kann er bei unsern schlichten Reden oft so - bübisch

möcht ich sagen, lachen, daß es mich eiskalt überläuft. - Ach, möchten

nur nicht meine innern Gedanken wahr werden, aber oft ist es mir, als

liege allerlei schwarzes Unheil im Hintergrunde, das nun der Fremde

mit einemmal hervorrufen werde, nachdem er uns in seinen künstlichen

Schlingen gefangen.«

 

Giorgina suchte ihrem Mann die schwarzen Vorstellungen auszureden,

indem sie versicherte, wie sie oft in ihrem Vaterlande und vorzüglich

bei ihren Pflegeeltern im Wirtshause, Personen kennen gelernt,

deren Äußeres noch viel widriger gewesen sei, unerachtet es am Ende

grundgute Menschen waren. Andres schien getröstet, im Innern beschloß

er aber auf der Hut zu sein.

 

Der Fremde sprach bei Andres wieder ein, als sein Knabe, ein

wunderschönes Kind, ganz der Mutter Ebenbild, gerade neun Monate alt

geworden. Es war Giorginas Namenstag; sie hatte den Kleinen fremdartig

und sonderbar herausgeputzt, sich selbst in ihre liebe neapolitanische

Tracht geworfen und ein besseres Mahl, als gewöhnlich, bereitet, wozu

der Fremde eine Flasche köstlichen Weins aus dem Felleisen hergab.

Als sie nun fröhlich bei Tische saßen und der kleine Knabe mit solch

wunderbar verständigen Augen umherblickte, hub der Fremde an: »Euer

Kind verspricht in der Tat mit seinem besondern Wesen schon jetzt

recht viel und es ist schade, daß ihr nicht imstande sein werdet, es

gehörig zu erziehen. Ich hätte euch wohl einen Vorschlag zu tun, ihr

werdet ihn aber verwerfen wollen, unerachtet ihr bedenken möchtet, daß

er nur euer Glück, euern Wohlstand bezweckt. Ihr wißt, daß ich reich

und ohne Kinder bin, ich fühle eine ganz besondere Liebe und Zuneigung

zu euerm Knaben - Gebt mir ihn! - Ich bringe ihn nach Straßburg, wo er

von einer Freundin von mir, einer alten ehrbaren Frau, auf das beste

erzogen werden und mir sowie euch große Freude machen soll. Ihr werdet

mit euerm Kinde einer großen Last frei; doch müßt ihr euern Entschluß

schnell fassen, da ich genötigt bin, noch heute abend abzureisen. Auf

meinen Armen trage ich das Kind bis in das nächste Dorf; dort nehme

ich dann ein Fuhrwerk.« Bei diesen Worten des Fremden riß Giorgina

das Kind, das er auf seinen Knien geschaukelt hatte, hastig fort und

drückte es an ihren Busen, indem ihr die Tränen in die Augen traten.

»Seht, lieber Herr!« sprach Andres, »wie meine Frau Euch auf Euern

Vorschlag antwortet, und ebenso bin auch ich gesinnt. Eure Absicht mag

recht gut sein; aber wie möget Ihr doch uns das Liebste rauben wollen,

das wir auf Erden besitzen? wie möget Ihr doch das eine Last nennen,

was unser Leben aufheitern würde, wären wir auch noch in der tiefsten

Dürftigkeit, aus der uns Eure Güte gerissen? Seht, lieber Herr! Ihr

sagtet selbst, daß Ihr ohne Frau und ohne Kinder wäret; Euch ist daher

wohl die Seligkeit fremd, die gleichsam aus der Glorie des offnen

Himmelreichs herabströmt auf Mann und Weib bei der Geburt eines

Kindes. Es ist ja die reinste Liebe und Himmelswonne selbst, von der

die Eltern erfüllt werden, wenn sie ihr Kind schauen, das stumm und

still an der Mutter Brust liegend, doch mit gar beredten Zungen von

ihrer Liebe, von ihrem höchsten Lebensglück spricht. - Nein, lieber

Herr! so groß auch die Wohltaten sind, die Ihr uns erzeigt habt, so

wiegen sie doch lange nicht das auf, was uns unser Kind wert ist;

denn wo gäbe es Schätze der Welt, die diesem Besitz gleichzustellen?

Scheltet uns daher nicht undankbar, lieber Herr! daß wir Euch Euer

Ansinnen so ganz und gar abschlagen. Wäret Ihr selbst Vater, so

bedürfte es weiter gar keiner Entschuldigung für uns.« - »Nun, nun«,

erwiderte der Fremde, indem er finster seitwärts blickte, »ich glaubte

Euch wohlzutun, indem ich Euern Sohn reich und glücklich machte. Seid

ihr nicht damit zufrieden, so ist davon weiter nicht die Rede.« -

Giorgina küßte und herzte den Knaben, als sei er aus großer Gefahr

errettet, und ihr wiedergegeben worden. Der Fremde strebte sichtlich

wieder unbefangen und heiter zu scheinen; man merkte es indessen doch

nur zu deutlich, wie sehr ihn die Weigerung seiner Wirtsleute, ihm

den Knaben zu geben, verdrossen hatte. Statt, wie er gesagt, noch

denselben Abend fortzureisen, blieb er wieder drei Tage, in welchen er

jedoch nicht so, wie sonst bei Giorgina verweilte, sondern mit Andres

auf die Jagd zog und sich bei dieser Gelegenheit viel von dem Grafen

Aloys von Vach erzählen ließ. Als in der Folge Ignaz Denner wieder bei

seinem Freunde Andres einsprach, dachte er nicht mehr an seinen Plan,

den Knaben mit sich zu nehmen. Er war nach seiner Art freundlich wie

vorher, und fuhr fort, Giorgina reichlich zu beschenken, die er noch

überdem wiederholt aufforderte, so oft sie Lust habe sich mit den

Juwelen aus dem Kistchen, das er Andres in Verwahrung gegeben, zu

schmücken, welches sie auch wohl dann und wann heimlich tat. Oft

wollte Denner, wie sonst, mit dem Knaben spielen; dieser sträubte sich

aber und weinte, durchaus mochte er nicht mehr zu dem Fremden gehen,

als wisse er etwas von dem feindlichen Anschlag, ihn seinen Eltern

zu entführen. - Zwei Jahre hindurch hatte der Fremde nun auf seinen

Wanderungen den Andres besucht, und Zeit und Gewohnheit hatten die

Scheu, das Mißtrauen wider Denner endlich überwunden, so daß Andres

seinen Wohlstand ruhig und heiter genoß. Im Herbst des dritten Jahres,

als die Zeit, in der Denner gewöhnlich einzusprechen pflegte, schon

vorüber war, pochte es in einer stürmischen Nacht hart an Andres' Tür,

und mehrere rauhe Stimmen riefen seinen Namen. Erschrocken sprang er

aus dem Bette; als er aber zum Fenster herausfrug, wer ihn in finstrer

Nacht so störe und wie er gleich seine Doggen loslassen werde, um

solche ungebetene Gäste wegzuhetzen, da sagte einer, er möge nur

aufmachen, ein Freund sei da, und Andres erkannte Denners Stimme. Als

er nun mit dem Licht in der Hand die Haustür öffnete, trat ihm Denner

allein entgegen. Andres äußerte, wie es ihm vorgekommen, als ob

mehrere Stimmen seinen Namen gerufen hätten; Denner meinte dagegen,

daß den Andres das Heulen des Windes getäuscht haben müsse. Als sie

in die Stube traten, erstaunte Andres nicht wenig, als er den Denner

näher betrachtete und seinen ganz veränderten Anzug gewahr wurde.

Statt der grauen schlichten Kleidung und des Mantels trug er ein

dunkelrotes Wams und einen breiten ledernen Gurt, in dem ein Stilett

und vier Pistolen staken; außerdem war er noch mit einem Säbel

bewaffnet, selbst das Gesicht schien verändert, indem auf der sonst

glatten Stirn nun buschichte Augenbrauen lagen und ein starker

schwarzer Bart sich über Lippe und Wangen zog. »Andres!« sprach

Denner, indem er ihn mit seinen funkelnden Augen anblitzte, »Andres!

als ich vor beinahe drei Jahren dein Weib vom Tode errettet hatte, da

wünschtest du, daß Gott es dir verleihen möge, mir die dir erzeigte

Wohltat mit deinem Blut und Leben lohnen zu können. Dein Wunsch ist

erfüllt; denn es ist nunmehr der Augenblick gekommen, in dem du mir

deine Dankbarkeit, deine Treue beweisen kannst. Kleide dich an; nimm

deine Büchse und komme mit mir, nur wenige Schritte von deiner Wohnung

sollst du das übrige erfahren.« Andres wußte nicht, was er von Denners

Zumutung halten sollte; der Worte, die er ihm vorhielt, indessen wohl

eingedenk, versicherte er, wie er bereit sei, alles nur mögliche für

ihn zu unternehmen, sobald es nicht der Rechtschaffenheit, Tugend

und Religion zuwiderlaufe. »Darüber kannst du ganz ruhig sein«, rief

Denner, indem er ihm lächelnd auf die Schulter klopfte; und da er

bemerkte, daß Giorgina aufgesprungen war, und vor Angst zitternd und

bebend ihren Mann umklammerte, nahm er sie bei den Armen und sprach,

sie sanft zurückziehend: »Laßt Euern Mann nur immer mit mir ziehen,

in wenigen Stunden ist er wieder gesund bei Euch, und bringt Euch

vielleicht was Schönes mit. Hab ich es denn jemals böse mit euch

gemeint? Habe ich selbst dann, wenn ihr mich verkanntet, nicht immer

euch Gutes erzeigt? Wahrhaftig, ihr seid recht besondere mißtrauische

Leute.« Andres zauderte noch immer sich anzukleiden, da wandte Denner

sich zu ihm und sprach mit zornigem Blick: »Ich hoffe du wirst deine

Zusage halten, denn es gilt nunmehr, das zu beweisen mit der Tat, was

du gesprochen!« Schnell war nun Andres angekleidet, und indem er mit

Denner zur Türe herausschritt, sprach er noch einmal: »Alles, lieber

Herr! will ich für Euch tun, doch etwas Unrechtes werdet Ihr wohl von

mir nicht fordern, da ich auch das Kleinste, was wider mein Gewissen

liefe, nicht vollbringen würde.« Denner antwortete nichts, sondern

schritt rasch vorwärts. Sie waren durch das Dickicht gedrungen bis auf

einen ziemlich geräumigen Rasenplatz; da pfiff Denner dreimal, daß der

Ton ringsumher aus den schaurigen Klüften widerhallte und überall in

den Büschen flackerten Windlichter auf und es rauschte und klirrte in

den dunklen Gängen, bis sich schwarze gräßliche Gestalten gespenstisch

hervordrängten und den Denner im Kreise umringten. Einer aus dem

Kreise trat hervor und sprach auf Andres hindeutend: »Das ist ja wohl

unser neuer Geselle, nicht wahr Hauptmann?« - »Ja«, antwortete Denner,

»ich hab ihn aus dem Bette geholt, er soll sein Probestück machen, es

kann nun gleich vorwärts gehen.« Andres erwachte bei diesen Worten wie

aus dumpfer Betäubung, kalter Schweiß stand ihm auf der Stirne; aber

er ermannte sich und rief heftig: »Was, du schändlicher Betrüger,

für einen Kaufmann gabst du dich aus, und treibst ein höllisches

verruchtes Gewerbe, und bist ein verworfener Räuber? Nimmermehr will

ich dein Geselle sein und teilnehmen an deinen Schandtaten, zu denen

du mich, wie der Satan selbst, auf künstliche hämische Weise verlocken

wolltest? - Laß mich gleich fort, du frevelicher Bösewicht, und räume

mit deiner Rotte dies Gebiet, sonst verrate ich deine Schlupfwinkel

der Obrigkeit, und du bekommst den Lohn für deine Schandtaten; denn

nun weiß ich es wohl, daß du selbst der schwarze Ignaz bist, der mit

seiner Bande an der Grenze gehauset und geraubt, und gemordet hat. -

Gleich lasse mich fort, ich will dich nie mehr schauen.« Denner lachte

laut auf. »Was, du feiger Bube?« sprach er: »du unterstehst dich, mir

zu trotzen, dich meinem Willen, meinem Machtwort entziehen zu wollen?

Bist du nicht längst schon unser Geselle? lebst du nicht schon seit

beinahe drei Jahren von unserm Gelde? schmückt sich dein Weib nicht

mit unserm Raube? Nun stehst du unter uns und willst nicht arbeiten

dafür was du genossen? Folgst du uns nun nicht, zeigst du dich nicht

gleich als unsern rüstigen Kumpan, so lasse ich dich gebunden in

unsere Höhle werfen und meine Gesellen ziehen nach deiner Wohnung,

zünden sie an und ermorden dein Weib und deinen Knaben. Doch ich werde

wohl diese Maßregel, die nur eine Folge deiner Halsstarrigkeit sein

würde, nicht ergreifen dürfen. Nun! - wähle! - es ist Zeit, wir müssen

fort!« - Andres sah nun wohl ein, daß die mindeste Weigerung seiner

geliebten Giorgina und dem Knaben das Leben kosten würde; den

verräterischen bübischen Denner im Innern zur Hölle verfluchend,

beschloß er daher, in seinen Willen sich scheinbar zu fügen, rein

von Diebstahl und Mord zu bleiben und das tiefere Eindringen in die

Schlupfwinkel der Bande nur dazu zu benutzen, bei der ersten günstigen

Gelegenheit ihre Aufhebung und Einziehung zu bewirken. Nach diesem im

stillen gefaßten Entschluß erklärte er dem Denner, wie trotz seines

innern Widerstrebens doch die Dankbarkeit für Giorginas Rettung

ihn verpflichte, etwas zu wagen, und er wolle daher die Expedition

mitmachen, wobei er nur bitte, ihn als einen Neuling, soviel möglich

mit dem tätigen Anteil daran zu verschonen. Denner lobte seinen

Entschluß, indem er hinzufügte, wie er keineswegs verlange, daß er

förmlich zur Bande übertreten solle, vielmehr müsse er Revierjäger

bleiben; denn so wäre er ihm und der Bande schon jetzt von großem

Nutzen gewesen, was denn auch künftig der Fall sein würde.

 

Es war auf nichts Geringeres abgesehen, als die Wohnung eines reichen

Pachters, die von dem Dorfe abgelegen, unfern dem Walde, stand, zu

überfallen und auszuplündern. Man wußte, daß der Pachter außer dem

vielen Gelde und den Kostbarkeiten, die er besaß, eben jetzt für

verkauftes Getreide eine sehr bedeutende Summe eingenommen hatte, die

er bei sich bewahrte und um so mehr versprachen sich die Räuber einen

reichen Fang. Die Windlichter wurden ausgelöscht und still zogen die

Räuber durch die engen Schleichwege, bis sie dicht an dem Gebäude

standen, welches einige von der Bande umringten. Andere dagegen

stiegen über die Mauer, und sprengten von innen das Hoftor; einige

wurden auf Wache ausgestellt, und unter diesen befand sich Andres.

Bald hörte er, wie die Räuber die Türen erbrachen und ins Haus

stürmten, er vernahm ihr Fluchen, ihr Geschrei, das Geheul der

Gemißhandelten. Es fiel ein Schuß; der Pachter, ein beherzter Mann,

mochte sich zur Wehre setzen - dann wurde es stiller - aufgesprengte

Schlösser klirrten, Räuber schleppten Kisten zum Hoftor heraus. Einer

von des Pachters Leuten mußte in der Finsternis entwischt und ins Dorf

gerannt sein; denn auf einmal tönte die Sturmglocke durch die Nacht,

und bald darauf strömten Haufen mit hellauflodernden Lichtern die

Straße herauf nach der Pachterwohnung. Nun fiel Schuß auf Schuß, die

Räuber sammelten sich im Hofe und streckten alles nieder, was sich der

Mauer näherte. Sie hatten ihre Windfackeln angezündet. Andres, der auf

einer Anhöhe stand, konnte alles übersehen. Mit Entsetzen erblickte er

unter den Bauern, Jäger in der Liverei seines Herrn, des Grafen von

Vach! - Was sollte er tun? - Sich zu ihnen zu begeben, war unmöglich,

nur die schnellste Flucht konnte ihn retten; aber wie festgezaubert

stand er da hinstarrend in den Pachterhof, wo das Gefecht immer

mörderischer wurde; denn durch eine kleine Pforte an der andern Seite

waren die Vachschen Jäger gedrungen und mit den Räubern handgemein

geworden. Die Räuber mußten zurück, sie drängten sich fechtend

durch das Tor nach der Gegend hin, wo Andres stand. Er sah Dennern,

der unaufhörlich lud und schoß und niemals fehlte. Ein junger

reichgekleideten Mann, von Vachschen Jägern umgeben, schien den

Anführer zu machen; auf ihn legte Denner an, aber noch ehe er

abdrückte, stürzte er von einer Kugel getroffen mit einem dumpfen

Schrei nieder. Die Räuber flohen - schon stürzten die Vachschen Jäger

herbei, da sprang, wie von unwiderstehlicher Macht getrieben, Andres

herbei und rettete Dennern, den er, stark wie er war, auf die

Schultern warf und schnell forteilte. Ohne verfolgt zu werden,

erreichte er glücklich den Wald. Nur einzelne Schüsse fielen hin und

wieder und bald wurde es ganz still; ein Zeichen, daß es den Räubern,

die nicht verwundet auf dem Platze liegen geblieben, geglückt war, in

den Wald zu entkommen und daß es den Jägern und Bauern nicht ratsam

schien, in das Dickicht einzubrechen. »Setze mich nur nieder, Andres!

« sprach Denner, »ich bin in den Fuß verwundet und verdammt, daß ich

umstürzte, denn, unerachtet mich die Wunde sehr schmerzt, glaub ich

doch nicht einmal, daß sie bedeutend ist.« Andres tat es, Denner holte

eine kleine Phiole aus der Tasche und als er sie öffnete, strahlte

ein helles Licht heraus, bei dem Andres die Wunde genau untersuchen

konnte: Denner hatte recht; nur ein starker Streifschuß hatte den

rechten Fuß getroffen, der stark blutete. Andres verband die Wunde mit

seinem Schnupftuch, Denner ließ seine Pfeife ertönen, aus der Ferne

wurde geantwortet und nun bat er den Andres, ihn sachte den schmalen

Waldweg heraufzuführen, denn bald würden sie an Ort und Stelle sein.

Wirklich dauerte es auch nicht lange, so sahen sie den Schein von

Windlichtern durch das dunkle Gebüsch brechen und hatten jenen

Rasenplatz erreicht, von dem sie ausgegangen und wo sie die

übriggebliebenen Räuber bereits versammelt fanden. Alle jauchzten vor

Freude auf, als Denner unter sie trat und rühmten den Andres, der,

tief in sich gekehrt, kein Wort vorzubringen vermochte. Es fand sich,

daß über die Hälfte der Bande tot, oder hart verwundet auf dem Platze

liegen geblieben war; indessen hatten einige von den Räubern, die dazu

bestimmt waren, den Raub in Sicherheit zu bringen, mitten im Gefecht

wirklich mehrere Kisten mit kostbarem Gerät, sowie eine ansehnliche

Summe Geld, fortzuschaffen gewußt, so daß, unerachtet das Unternehmen

schlimm ausgegangen, doch die Beute ansehnlich blieb. Als nun das

Nötige besprochen, wandte sich Denner, den man unterdessen ordentlich

verbunden hatte, und der kaum irgend einen Schmerz mehr zu fühlen

schien, zu Andres und sprach: »Ich habe dein Weib vom Tode errettet,

du hast mich in dieser Nacht der Gefangenschaft entzogen und mich

folglich auch von dem mir gewissen Tode befreit, wir sind quitt!

du kannst in deine Wohnung zurückkehren. In den nächsten Tagen,

vielleicht schon morgen, verlassen wir die Gegend; du magst daher

ganz ruhig darüber sein, daß wir dir Ähnliches, so wie heute, zumuten

werden. Du bist ja so ein gottesfürchtiger Narr und uns nicht

brauchbar. Es ist indessen billig, daß du teil am heutigen Raube

nehmest und überdem für meine Rettung belohnt werdest. Nimm daher

diesen Beutel mit Gold und behalte mich in gutem Andenken; denn übers

Jahr hoffe ich bei dir einzusprechen.« - »Gott der Herr soll mich

behüten«, erwiderte Andres heftig, »daß ich auch nur einen Pfennig von

Eurem schändlichen Raube nehmen sollte. Habt Ihr mich doch nur durch

die abscheulichsten Drohungen gezwungen mitzugehen, welches ich

ewiglich bereuen werde. Wohl mag es Sünde gewesen sein, daß ich dich,

du schändlicher Bösewicht! der gerechten Strafe entzogen habe; aber

Gott im Himmel mag es mir nach seiner Langmut verzeihen. Es war, als

flehe in dem Augenblick meine Giorgina um dein Leben, da du das ihrige

errettet, und ich konnte nicht anders, als daß ich dich mit Gefahr

meines Lebens und meiner Ehre, ja das Wohl und Weh meines Weibes und

meines Kindes aufs Spiel setzend, der Gefahr entriß. Denn sprich, was

wäre aus mir, wenn man mich verwundet, ja was wäre aus meinem armen

Weibe, meinem Knaben geworden, wenn man mich erschlagen unter deiner

verruchten Mörderbande gefunden hätte? - Aber sei überzeugt, daß, wenn

du die Gegend nicht verlässest, wenn nur ein einziger hier geschehener

Raub, oder Mord mir kund wird, ich augenblicklich nach Fulda gehe und

der Obrigkeit deine Schlupfwinkel verrate.« - Die Räuber wollten über

den Andres herfallen, um ihn für seine Reden zu züchtigen; Denner

verbot es ihnen jedoch, indem er sagte: »Laßt doch den albernen Kerl

schwatzen, was tut das uns? - Andres«, fuhr Denner fort, »du bist in

meiner Gewalt, so wie dein Weib und dein Knabe. Du sowohl, als diese,

sollen aber ungefährdet bleiben, wenn du mir versprichst, dich ruhig

in deiner Wohnung zu halten und über deine Mitwissenschaft von dem

Vorfall dieser Nacht gänzlich zu schweigen. Das letzte rate ich dir

um so mehr, als meine Rache dich furchtbar treffen und überdem die

Obrigkeit dir selbst wohl deine Hülfe bei der Tat, sowie, daß du schon

lange von meinem Reichtum genossest, nicht so hingehen lassen würde.

Dagegen verspreche ich dir noch einmal, daß ich die Gegend gänzlich

räumen will und wenigstens von mir und meiner Bande hier kein

Unternehmen mehr ausgeführt werden soll.« Nachdem Andres notgedrungen

diese Bedingungen des Räuberhauptmanns eingegangen war und feierlich

versprochen hatte zu schweigen, wurde er von zwei Räubern durch

wildverwachsne Fußsteige auf den breiten Waldweg geführt und es war

längst heller Morgen worden, als er in sein Haus trat und die vor

Sorge und Angst totenbleiche Giorgina umarmte. Er sagte ihr nur im

allgemeinen, daß sich ihm Denner als der verruchteste Bösewicht

offenbart, und er daher alle Gemeinschaft mit ihm abgebrochen habe;

nie solle er mehr seine Schwelle betreten. »Aber das Juwelenkästchen?«

unterbrach ihn Giorgina. Da fiel es dem Andres wie eine schwere Last

aufs Herz. An die Kleinodien, die Denner bei ihm zurückgelassen, hatte

er nicht gedacht, und unerklärlich schien es ihm, daß Dennern auch

nicht ein Wort darüber entfallen war. Er ging mit sich zu Rate, was er

wohl mit diesem Kästchen anfangen solle. Zwar dachte er daran, es nach

Fulda zu bringen und der Obrigkeit zu übergeben; wie sollte er aber

den Besitz desselben beschönigen, ohne sich wenigstens dringender

Gefahr auszusetzen, das dem Denner einmal gegebene Wort zu brechen? Er

beschloß endlich, diesen Schatz getreulich zu bewahren, bis der Zufall

ihm Gelegenheit darbieten würde, es Dennern wieder zuzustellen, oder

besser noch, es, ohne sein Wort zu brechen, an die Obrigkeit zu

bringen.

 

Der Überfall der Pachterwohnung hatte nicht geringen Schreck in der

ganzen Gegend verursacht; denn es war das kühnste Wagestück, das die

Räuber seit Jahren unternommen und ein sichrer Beweis, daß die Bande,

welche sich erst durch gemeine Diebereien, dann durch das Anhalten

und Berauben einzelner Reisenden kund tat, [sich] bedeutend verstärkt

haben mußte. Nur dem Zufall, daß der Neffe des Grafen von Vach, von

mehreren Leuten seines Oheims begleitet, eben in dem Dorfe, das unfern

der Pachterwohnung lag, übernachtete und auf den ersten Lärm den

Bauern, die gegen die Räuber auszogen, zu Hülfe eilte, hatte der

Pachter die Rettung seines Lebens und des größten Teils seiner

Barschaft zu verdanken. Drei von den Räubern, die auf dem Platz

geblieben waren, lebten noch den andern Tag und gaben Hoffnung, von

ihren Wunden zu genesen. Man hatte sie sorgfältig verbunden und in das

Dorfgefängnis gesperrt; als man indessen am frühen Morgen des dritten

Tages sie abführen wollte, fand man sie durch viele Stiche ermordet,

ohne daß man hätte erraten können, wie das zugegangen. Jede Hoffnung

der Gerichte, von den Gefangenen näheren Aufschluß über die Bande zu

erhalten, war daher vereitelt. Andres schauderte im Innern, als er das

alles erzählen hörte, als er vernahm, wie mehrere Bauern und Jäger des

Grafen von Vach zum Teil getötet, zum Teil schwer verwundet worden. -

Starke Patrouillen von Fuldaischen Reitern durchstreiften den Wald,

und sprachen öfters bei ihm ein; jeden Augenblick mußte Andres

befürchten, daß man Dennern selbst, oder wenigstens einen von der

Bande einbringen, und dieser ihn dann als Genosse jener kühnen

Freveltat erkennen und angeben werde. Zum erstenmal in seinem Leben

fühlte er die folternde Qual des bösen Gewissens, und doch hatte

ihn nur die Liebe zu seinem Weibe, zu dem Knaben, gezwungen, dem

frevelichen Ansinnen Denners nachzugeben.

 

Alle Nachforschungen blieben fruchtlos, es war unmöglich den Räubern

auf die Spur zu kommen, und Andres überzeugte sich bald, daß Denner

Wort gehalten und die Gegend mit seiner Bande verlassen hatte. Das

Geld, welches er noch von Denners Geschenken übrig behalten, sowie die

goldene Nadel, legte er zu den Kleinodien in das Kistchen; denn er

wollte nicht noch mehr Sünde auf sich laden und von geraubtem Gelde

sich gütlich tun. So kam es denn, daß Andres bald wieder in die vorige

Dürftigkeit und Armut geriet; aber immer mehr erheiterte sich sein

Inneres, je längere Zeit verstrich, ohne daß irgend etwas sein ruhiges

Leben verstört hätte. Nach zwei Jahren gebar ihm sein Weib noch einen

Knaben, ohne jedoch, wie das erstemal, zu erkranken, wiewohl sie sich

herzlich nach jener bessern Kost und Pflege sehnte, die ihr damals so

wohl getan. Andres saß einst in der Abenddämmerung traulich mit seinem

Weibe zusammen, die den jüngstgebornen Knaben an der Brust hatte,

während der ältere sich mit dem großen Hunde herumbalgte, der, als

Liebling seines Herrn, wohl in der Stube sein durfte. Da kam der

Knecht hinein und sagte, wie ein Mensch, der ihm ganz verdächtig

vorkomme, schon seit beinahe einer Stunde um das Haus herumschleiche.

Andres war im Begriff mit seiner Büchse hinauszugehen, als er vor dem

Hause seinen Namen rufen hörte. Er öffnete das Fenster und erkannte

auf den ersten Blick den verhaßten Ignaz Denner, der sich wieder in

den grauen Kaufmannshabit geworfen hatte, und ein Felleisen unter dem

Arme trug. »Andres«, rief Denner, »du mußt mir diese Nacht Herberge

geben in deinem Hause, morgen ziehe ich weiter.« - »Was? Du

unverschämter verruchter Bösewicht?« rief Andres in vollem Zorn, »du

wagst es dich wieder hier sehen zu lassen? Habe ich dir nicht treulich

Wort gehalten, nur damit du dein Versprechen erfüllen und auf immer

diese Gegend verlassen solltest? Du darfst nicht mehr meine Schwelle

betreten - entferne dich schnell, oder ich schieße dich mörderischen

Buben nieder! - Doch warte, ich will dir dein Gold, dein Geschmeide,

womit du Satan mein Weib verblenden wolltest, hinabwerfen; dann magst

du schnell forteilen. Ich lasse dir drei Tage Zeit, spüre ich aber

dann nur auf irgend eine Weise deine und deiner Bande Gegenwart, so

eile ich schnell nach Fulda und entdecke alles, was ich weiß, der

Obrigkeit. Magst du nun deine Drohungen gegen mich und mein Weib

erfüllen wollen, ich verlasse mich auf den Beistand Gottes, und werde

dich Bösewicht mit meinem guten Gewehr zu treffen wissen.« Nun holte

Andres schnell das Kästchen herbei, um es hinabzuwerfen; als er aber

ans Fenster trat, war Denner verschwunden, und unerachtet die Doggen

die ganze Gegend rings ums Haus durchspüren mußten, war es doch nicht

möglich ihn aufzufinden. Andres sah nun wohl ein, wie er, Denners

Bosheit ausgesetzt, nun in großer Gefahr schwebe; er war daher

allnächtlich auf seiner Hut, indessen blieb alles ruhig und Andres

überzeugte sich, daß Denner nur allein den Wald durchstrichen hatte.

Um indessen seinen ängstlichen Zustand zu enden, ja um sein Gewissen

zu beruhigen, das ihn mit Vorwürfen quälte, beschloß er nun

nicht länger zu schweigen, sondern dem Rat in Fulda sein ganzes

unverschuldetes Verhältnis mit Denner zu berichten und zugleich das

Kistchen mit den Kleinodien abzuliefern. Andres wußte wohl, daß er

ohne Strafe nicht abkommen würde, jedoch verließ er sich auf sein

reuiges Bekenntnis eines Fehltritts, zu dem ihn der verruchte Ignaz

Denner, wie der Satan selbst, verlockt und gezwungen, sowie auf die

Fürsprache seines Herrn, des Grafen von Vach, der dem treuen Diener

ein günstiges Zeugnis nicht versagen konnte. Er hatte mit seinem

Knechte mehrmals den Wald durchstreift und nie war ihm etwas

Verdächtiges aufgestoßen; für sein Weib war daher jetzt keine Gefahr

vorhanden und er wollte nun ungesäumt nach Fulda gehen, um seinen

Vorsatz auszufahren. An dem Morgen, als er sich zur Reise bereit

gemacht, kam ein Bote von dem Grafen von Vach, der ihn augenblicklich

auf das Schloß seines Herrn mitgehen hieß. Statt nach Fulda wanderte

er also fort mit dem Boten nach dem Schloß, nicht ohne Bangigkeit,

was wohl dieser ganz ungewöhnliche Ruf seines Herrn zu bedeuten haben

werde. Als er in dem Schloß angekommen, mußte er gleich in das Zimmer

des Grafen treten. »Freue dich, Andres«, rief dieser ihm entgegen,

»dich hat ein ganz unerwartetes Glück getroffen. Erinnerst du

dich wohl noch unsers alten mürrischen Hauswirts in Neapel, des

Pflegevaters deiner Giorgina? Der ist gestorben; aber auf dem

Sterbebette hatte ihn noch das Gewissen gerührt wegen der

abscheulichen Behandlung des armen verwaisten Kindes, und deshalb hat

er ihr zweitausend Dukaten vermacht, die bereits in Wechselbriefen in

Frankfurt angekommen sind und die du bei meinem Bankier heben kannst.

Willst du dich gleich nach Frankfurt aufmachen, so lasse ich dir auf

der Stelle das nötige Zertifikat ausfertigen, damit dir das Geld ohne

Anstand ausgezahlt werde.« Den Andres machte die Freude sprachlos, und

der Graf von Vach ergötzte sich nicht wenig an dem Entzücken seines

treuen Dieners. Andres beschloß, als er sich gefaßt hatte, seinem

Weibe eine unvermutete Freude zu bereiten; er nahm daher seines Herrn

gnädiges Anerbieten an, und machte sich, nachdem er die Urkunde zu

seiner Legitimation erhalten, auf den Weg nach Frankfurt.

 

Seinem Weibe ließ er sagen, wie ihn der Graf mit wichtigen Aufträgen

verschickt habe, und er daher einige Tage ausbleiben werde. - Als er

in Frankfurt angekommen, wies ihn der Bankier des Grafen, bei dem er

sich meldete, an einen andern Kaufmann, der mit der Auszahlung des

Legats beauftragt sein sollte. Andres fand ihn endlich und erhielt die

ansehnliche Summe wirklich ausgezahlt. Immer nur an Giorgina denkend,

immer darnach trachtend, ihre Freude recht vollkommen zu machen,

kaufte er für sie allerlei schöne Sachen und auch eine goldene Nadel,

der ganz gleich, welche ihr Denner geschenkt hatte, und da er nun

das schwere Felleisen nicht wohl als Fußgänger fortbringen konnte,

verschaffte er sich ein Pferd. So trat er nun, nachdem er sechs Tage

abwesend gewesen, wohlgemut seine Rückreise an. Bald hatte er den

Forst und seine Wohnung erreicht. Er fand das Haus fest verschlossen.

Laut rief er den Knecht, seine Giorgina, niemand antwortete: die Hunde

winselten im Hause eingesperrt. Da ahnete er großes Unglück und schlug

heftig an die Tür und schrie laut: »Giorgina! - Giorgina!« - Nun

rauschte es am Bodenfenster, Giorgina schaute heraus und rief.- »Ach

Gott! - Ach Gott! Andres, bist du es? Gepriesen sei die Macht des

Himmels, daß du nur wieder da bist.« Als Andres nun durch die

geöffnete Tür eintrat, fiel ihm sein Weib totenbleich und laut heulend

in die Arme. Regungslos stand er da; endlich faßte er sein Weib, die

mit erschlafften Gliedern zu Boden sinken wollte, und trug sie in die

Stube. Aber wie mit eisigen Krallen packte ihn das Entsetzen bei dem

gräßlichen Anblick. Die ganze Stube voller Blutflecke an dem Boden,

an den Wänden, sein jüngster Knabe mit zerschnittener Brust tot auf

seinem Bettchen! - »Wo ist George, wo ist George?« schrie Andres

endlich auf in wilder Verzweiflung, aber in dem Augenblick hörte er,

wie der Knabe die Treppe herabtrippelte und nach dem Vater rief. -

Zerbrochene Gläser, Flaschen, Teller lagen umher. Der große schwere

Tisch, sonst an der Wand stehend, war in die Mitte des Zimmers

gerückt, eine sonderbar geformte Kohlpfanne, mehrere Phiolen und eine

Schüssel mit geronnenem Blut standen auf demselben. Andres nahm sein

armes Knäblein aus dem Bette. Giorgina verstand ihn, sie holte Tücher

herbei, in die sie den Leichnam wickelten und im Garten begruben.

Andres schnitt ein kleines Kreuz aus Eichenholz und setzte es auf den

Grabhügel. Kein Wort, kein Laut entfloh den Lippen der unglücklichen

Eltern. In dumpfem düsterem Schweigen hatten sie die Arbeit vollendet

und saßen nun vor dem Hause in der Abenddämmerung, den starren Blick

in die Ferne gerichtet. Erst den andern Tag konnte Giorgina den

Verlauf dessen, was sich in Andres' Abwesenheit zugetragen, erzählen.

Am vierten Tage, nachdem Andres sein Haus verlassen, hatte der Knecht

zur Mittagszeit wieder allerlei verdächtige Gestalten durch den Wald

wanken gesehen, und Giorgina deshalb des Mannes Rückkehr herzlich

gewünscht. Mitten in der Nacht wurde sie durch lautes Toben und

Schreien dicht vor dem Hause aus dem Schlafe geweckt, der Knecht

stürzte herein und verkündete voller Schreck, daß das ganze Haus von

Räubern umringt und an eine Gegenwehr gar nicht zu denken sei. Die

Doggen wüteten, aber bald schien es, als würden sie beschwichtigt und

man rief laut: »Andres! - Andres!« - Der Knecht faßte sich ein Herz,

öffnete ein Fenster und rief herab, daß der Revierjäger Andres nicht

zu Hause sei. »Nun, es tut nichts«, antwortete eine Stimme von unten

herauf, »öffne nur die Tür, denn wir müssen bei euch einkehren, Andres

wird bald nachfolgen.« Was blieb dem Knecht übrig, als die Tür zu

öffnen; da strömte der helle Haufe der Räuber herein und begrüßte

Giorgina als die Frau ihres Kameraden, dem der Hauptmann Freiheit und

Leben zu danken habe. Sie verlangten, daß Giorgina ihnen ein tüchtiges

Essen bereiten möge, weil sie nachts ein schweres Stück Arbeit

vollbracht, das aber herrlich gelungen sei. Zitternd und bebend machte

Giorgina in der Küche ein großes Feuer an und bereitete das Mahl, wozu

sie Wildpret, Wein und allerlei andere Ingredienzien von einem der

Räuber empfing, der der Küchen- und Kellermeister der Bande zu

sein schien. Der Knecht mußte den Tisch decken und das Geschirr

herbeibringen. Er nahm den Augenblick wahr und schlich sich fort

zu seiner Frau in die Küche. »Ach wißt Ihr wohl«, fing er voller

Entsetzen an, »was für eine Tat die Räuber in dieser Nacht verübt

haben? Nach langer Abwesenheit und nach langer Vorbereitung haben sie

vor etlichen Stunden das Schloß des Herrn Grafen von Vach überfallen,

und nach tapferer Gegenwehr mehrere seiner Leute und ihn selbst

getötet, das Schloß aber angezündet.« Giorgina schrie unaufhörlich:

»Ach mein Mann, wenn mein Mann nur auf dem Schlosse gewesen wäre -

Ach, der arme Herr!« - Die Räuber tobten und sangen unterdessen in

der Stube und ließen sich den Wein wohl schmecken, bis ihnen das

Mahl aufgetragen wurde. Der Morgen fing schon an zu dämmern als der

verhaßte Denner erschien; nun wurden die Kisten und Felleisen, die sie

auf ihren Packpferden mitgebracht hatten, geöffnet. Giorgina hörte,

wie sie vieles Geld zählten und wie die Silbergeschirre klirrten; es

schien alles verzeichnet zu werden. Endlich als es schon Lichter Tag

geworden, brachen die Räuber auf, nur Denner blieb zurück. Er nahm

eine freundliche leutselige Miene an, und sprach zu Giorgina: »Ihr

seid wohl recht erschreckt worden, liebe Frau; denn Euer Mann scheint

Euch nicht gesagt zu haben, daß er schon seit geraumer Zeit unser

Kamerad geworden. Es tut mir in der Tat leid, daß er nicht zu Hause

gekommen ist; er muß einen andern Weg eingeschlagen und uns verfehlt

haben. Er war mit uns auf dem Schlosse des Bösewichts, des Grafen von

Vach, der uns vor zwei Jahren auf alle nur mögliche Weise verfolgt hat

und an dem in voriger Nacht wir Rache nahmen. - Er fiel, kämpfend, von

Eures Mannes Hand. Beruhigt Euch nur, liebe Frau, und sagt dem Andres,

daß er mich nun so bald nicht wieder sehen würde, da die Bande sich

auf einige Zeit trennt. Heute abend verlasse ich Euch. - Ihr habt

lauter hübsche Kinder, liebe Frau! Das ist ja wieder ein herrlicher

Knabe.« Mit diesen Worten nahm er den Kleinen von Giorginas Arm und

wußte mit ihm so freundlich zu spielen, daß das Kind lachte und

jauchzte und gern bei ihm blieb, bis er es wieder der Mutter

zurückgab. Schon war es Abend geworden, als Denner zu Giorgina sagte:

»Ihr merkt wohl, daß ich, unerachtet ich kein Weib und keine Kinder

habe, welches mir manchmal recht nahe geht, doch gar zu gern mit

kleinen Kindern spiele und tändle. Gebt mir doch Euern Kleinen auf die

wenigen Augenblicke, die ich noch bei Euch zubringe. Nicht wahr? der

Kleine ist jetzt gerade neun Wochen alt.« Giorgina bejahte das und

gab, jedoch nicht ohne inneres Widerstreben, den kleinen Knaben

Dennern hin, der sich mit ihm vor die Haustür setzte und Giorgina

bat, ihm nun das Abendessen zu bereiten, weil er in einer Stunde fort

müßte. Kaum war Giorgina in die Küche getreten, als sie sah, wie

Denner mit dem Kinde auf dem Arm in die Stube ging. Bald darauf

verbreitete sich ein seltsam riechender Dampf durch das Haus, der aus

der Stube zu quirlen schien. Giorgina wurde von unbeschreiblicher

Angst ergriffen; sie lief schnell nach der Stube und fand die Tür von

innen verriegelt. Es war ihr, als höre sie das Kind leise wimmern.

»Rette, rette mein Kind aus den Klauen des Bösewichts!« so schrie sie,

eine gräßliche Tat ahnend, dem Knecht entgegen, der eben in das Haus

trat. Dieser ergriff schnell die Axt und sprengte die Tür. Dicker

stinkender Dampf schlug ihnen entgegen. Mit einem Sprunge war Giorgina

im Zimmer; der Knabe lag nackt über einer Schüssel, in die sein Blut

tröpfelte. Sie sah nur noch, wie der Knecht mit der Axt ausholte, um

den Denner zu treffen, wie dieser dem Schlage auswich, den Knecht

unterlief und mit ihm rang. Es war ihr, als höre sie jetzt mehrere

Stimmen dicht vor den Fenstern, bewußtlos sank sie zu Boden. Als

sie wieder erwachte, war es finstre Nacht worden, aber ganz betäubt

vermochte sie nicht die erstarrten Glieder zu regen. Endlich wurde es

Tag und nun sah sie mit Entsetzen, wie das Blut im Zimmer schwamm.

Stücke von Denners Kleidern lagen überall umher - ein ausgerissener

Schopf von des Knechts Haaren - die Axt blutig daneben - der Knabe vom

Tische herabgeschleudert mit zerschnittener Brust. Aufs neue wurde

Giorgina ohnmächtig, sie glaubte zu sterben, aber sie erwachte wie

aus dem Todesschlummer, als es schon Mittag geworden. Sie raffte sich

mühsam auf, sie rief laut den Georg, aber als niemand antwortete,

glaubte sie, auch Georg sei ermordet. Die Verzweiflung gab ihr Kräfte,

sie floh aus dem Zimmer in den Hof und schrie laut: »Georg! - Georg!«

Da antwortete es mit matter kläglicher Stimme vom Bodenfenster herab:

»Mutter, ach liebe Mutter, bist du denn da? Komm herauf zu mir! mich

hungert sehr!« - Schnell sprang jetzt Giorgina hinauf und fand den

Kleinen, der vor Angst bei dem Lärm im Hause in die Bodenkammer

gekrochen war und nicht gewagt hatte herauszukommen. Mit Entzücken

drückte Giorgina den Kleinen an die Brust. Sie verschloß das Haus und

wartete nun von Stunde zu Stunde in der Bodenkammer auf Andres, den

sie auch verloren glaubte. Der Knabe hatte von oben herab gesehen, wie

mehrere Männer ins Haus gingen und mit Dennern einen toten Menschen

heraustrugen. - Endlich bemerkte auch Giorgina das Geld und die

schönen Sachen, die Andres mitgebracht hatte. »Ach, so ist es doch

wahr?« schrie sie entsetzt auf, »so bist du doch -« Andres ließ sie

nicht ausreden, sondern erzählte ausführlich, welches Glück sie

betroffen und wie er in Frankfurt gewesen sei, wo er sich ihre

Erbschaft habe auszahlen lassen. Der Neffe des ermordeten Grafen von

Vach war nun Besitzer der Güter worden; bei diesem wollte sich Andres

melden, getreulich alles Geschehene erzählen, Denners Schlupfwinkel

entdecken und bitten, ihn seines Dienstes zu entlassen, der ihm so

viel Not und Gefahr bringe. Giorgina durfte mit dem Knaben im Hause

nicht zurückbleiben. Andres beschloß daher, seine besten leicht

fortzuschaffenden Sachen auf einen kleinen Leiterwagen zu packen, das

Pferd vorzuspannen und so mit seinem Weibe und Kinde eine Gegend auf

immer zu verlassen, die ihm nur die schrecklichsten Erinnerungen

erregen und überdem niemals Ruhe und Sicherheit gewähren konnte.

Der dritte Tag war zur Abreise bestimmt, und eben packten sie einen

Kasten, als ein starkes Pferdegetrappel immer näher und näher kam.

Andres erkannte den Vachschen Förster, der bei dem Schlosse wohnte;

hinter ihm ritt ein Kommando Fuldaischer Dragoner. »Nun da finden wir

ja den Bösewicht gerade bei der Arbeit, seinen Raub in Sicherheit zu

bringen«, rief der Kommissarius des Gerichts, der mitgekommen. Andres

erstarrte vor Staunen und Schreck. Giorgina war halb ohnmächtig. Sie

fielen über ihn her, banden ihn und sein Weib mit Stricken und warfen

sie auf den Leiterwagen, der schon vor dem Hause stand. Giorgina

jammerte laut um den Knaben und flehte um Gottes willen, daß man

ihn ihr mitgeben möge. »Damit du deine Brut auch noch ins höllische

Verderben bringen kannst?« sprach der Kommissarius und riß den Knaben

mit Gewalt aus Giorginas Armen. Schon sollte es fortgehen, da trat der

alte Förster, ein rauher aber biederer Mann, noch einmal an den Wagen

und sagte: »Andres, Andres, wie hast du dich denn von dem Satan

verlocken lassen, solche Freveltaten zu begehen? Immer warst du ja

sonst so fromm und ehrlich!« - »Ach lieber Herr!« schrie Andres auf

im höchsten Jammer, »so wahr Gott im Himmel lebt, so wie ich dereinst

selig zu sterben hoffe, ich bin unschuldig. Ihr habt mich ja gekannt

von früher Jugend her; wie sollte ich, der ich niemals Unrechtes

getan, solch ein abscheulicher Bösewicht geworden sein? - denn ich

weiß wohl, daß Ihr mich für einen verruchten Räuber und Teilnehmer

an der Freveltat haltet, die auf dem Schlosse meines geliebten

unglücklichen Herrn verübt worden ist. Aber ich bin unschuldig bei

meinem Leben und meiner Seligkeit!« - »Nun«, sagte der alte Förster,

»wenn du unschuldig bist, so wird das an den Tag kommen, mag auch noch

so viel wider dich sprechen. Deines Knaben und des Besitztums, was du

zurücklässest, will ich mich getreulich annehmen, so daß, wenn deine

und deines Weibes Unschuld erwiesen, du den Jungen frisch und munter

und deine Sachen unversehrt wiederfinden sollst.« Das Geld nahm

der Kommissarius des Gerichts in Beschlag. Unterweges frug Andres

Giorginen, wo sie denn das Kästchen verwahrt habe; sie gestand, wie

es ihr jetzt leid tue, daß sie es dem Denner überliefert, da es jetzt

der Obrigkeit hätte übergeben werden können. In Fulda trennte man den

Andres von seinem Weibe und warf ihn in ein tiefes finstres Gefängnis.

Nach einigen Tagen wurde er zum Verhör geführt. Man beschuldigte ihn

der Teilnahme an dem im Vachschen Schlosse verübten Raubmorde und

ermahnte ihn die Wahrheit zu gestehen, da schon alles wider ihn so gut

als ausgemittelt sei. Andres erzählte nun getreulich alles, was sich

mit ihm zugetragen, von dem ersten Eintritt des abscheulichen Denners

in sein Haus bis zu dem Augenblick seiner Verhaftung. Er klagte sich

selbst voll Reue des einzigen Vergehens an, daß er, um Weib und Kind

zu retten, bei der Plünderung des Pachters zugegen war, und den Denner

von der Gefangennehmung befreite, und beteuerte seine gänzliche

Unschuld rücksichts des letzten von der Dennerschen Bande verübten

Raubmordes, da er zu ebenderselben Zeit in Frankfurt gewesen sei.

Jetzt öffneten sich die Türen des Gerichtssaals und der abscheuliche

Denner wurde hereingeführt. Als er den Andres erblickte, lachte er

auf in teuflischem Hohn und sprach: »Nun, Kamerad, hast du dich

auch erwischen lassen? Hat dir deines Weibes Gebet denn nicht

herausgeholfen?« Die Richter forderten Dennern auf, sein Bekenntnis

rücksichts des Andres zu wiederholen und er sagte aus, daß eben der

Vachsche Revierjäger Andres, der jetzt vor ihm stehe, schon seit fünf

Jahren mit ihm verbunden und das Jägerhaus sein bester und sicherster

Schlupfwinkel gewesen sei. Andres habe immer den ihm gebührenden

Anteil vom Raube erhalten, wiewohl er nur zweimal tätig bei den

Räubereien mitgewirkt. Einmal nämlich bei der Beraubung des Pachters,

wo er ihn, den Denner, aus der dringendsten Gefahr errettet, und dann

bei dem Unternehmen gegen den Grafen Aloys von Vach, der eben durch

einen glücklichen Schuß des Andres getötet worden sei. - Andres geriet

in Wut, als er diese schändliche Lüge hörte. »Was?« schrie er, »du

verruchter teuflischer Bösewicht, du wagst es, mich der Ermordung

meines lieben armen Herrn anzuklagen, die du selbst verübt? - Ja!

ich weiß es, nur du selbst bist solcher Tat fähig; aber deine Rache

verfolgt mich, weil ich aller Gemeinschaft mit dir entsagt habe,

weil ich drohte, dich als einen verruchten Räuber und Mörder

niederzuschießen, so wie du meine Schwelle betreten würdest. Darum

hast du mit deiner Bande mein Haus überfallen, als ich abwesend war;

darum hast du mein armes unschuldiges Kind und meinen braven Knecht

ermordet! - Aber du wirst der schrecklichen Strafe des gerechten

Gottes nicht entgehen, sollte ich auch deiner Bosheit unterliegen.«

Nun wiederholte Andres sein voriges Bekenntnis unter den heiligsten

Beteurungen der Wahrheit; aber Denner lachte höhnisch und meinte,

warum er denn aus allzugroßer Furcht vor dem Tode noch erst das

Gericht zu belügen sich unterfange, und daß es sich schlecht mit der

Frömmigkeit, von der er so viel Aufhebens mache, vereinbare, daß

er Gott und die Heiligen zur Bekräftigung seiner falschen Aussagen

anrufe. Die Richter wußten in der Tat nicht, was sie von dem Andres,

dessen Miene und Sprache die Wahrheit seiner Aussage zu bestätigen

schien, sowie von Denners kalter Festigkeit denken sollten. - Nun

wurde Giorgina vorgeführt, die in namenlosem Jammer laut weinend auf

den Mann zustürzte. Sie wußte nur Unzusammenhängendes zu erzählen,

und unerachtet sie den Denner des entsetzlichen Mordes ihres

Knaben anklagte, schien Denner doch keineswegs entrüstet, sondern

behauptete, wie er schon früher getan, daß Giorgina nie etwas von den

Unternehmungen ihres Mannes gewußt habe, sondern ganz unschuldig sei.

Andres wurde in sein Gefängnis zurückgeführt.

 

Einige Tage nachher sagte ihm der ziemlich gutmütige Gefangenwärter,

daß sein Weib, da sowohl Denner, als die übrigen Räuber fortwährend

ihre Unschuld behauptet, sonst auch nichts wider sie ausgemittelt

worden, der Haft entlassen sei. Der junge Graf von Vach, ein

edelmütiger Herr, der sogar an seiner, des Andres, Schuld zu zweifeln

scheinen habe Kaution gestellt, und der alte Förster Giorginen in

einem schönen Wagen abgeholt. Vergebens habe Giorgina gebeten, ihren

Mann sehen zu dürfen; das sei ihr vom Gericht gänzlich abgeschlagen

worden. Den armen Andres tröstete diese Nachricht nicht wenig, da

mehr, als sein Unglück ihm seines Weibes elender Zustand im Gefängnis

zu Herzen ging. Sein Prozeß verschlimmerte sich indessen von Tage zu

Tage. Es war erwiesen, daß eben, wie Denner es angegeben, seit fünf

Jahren Andres in einen gewissen Wohlstand geriet, dessen Quelle nur

die Teilnahme an den Räubereien sein konnte. Ferner gestand Andres

selbst seine Abwesenheit von Hause während der auf dem Vachschen

Schlosse verübten Tat, und seine Angabe wegen seiner Erbschaft und

seines Aufenthalts in Frankfurt blieb verdächtig, weil er den Namen

des Kaufmanns, von dem er das Geld ausgezahlt erhalten haben wollte,

durchaus nicht anzugeben wußte. Der Bankier des Grafen von Vach, sowie

der Hauswirt in Frankfurt, bei dem Andres eingekehrt war, versicherten

einstimmig, wie sie sich des beschriebenen Revierjägers gar nicht

erinnern könnten; der Gerichtshalter des Grafen von Vach, der das

Zertifikat für den Andres ausgefertigt hatte, war gestorben, und

niemand von den Vachschen Dienern wußte etwas von der Erbschaft, da

der Graf nichts davon geäußert, Andres aber auch davon geschwiegen,

weil er, aus Frankfurt zurückkehrend, sein Weib mit dem Gelde

überraschen wollte. So blieb alles, was Andres vorbrachte, um

nachzuweisen, daß er zur Zeit des Raubes in Frankfurt gewesen und das

Geld ehrlich erworben sei, unausgemittelt. Denner blieb dagegen bei

seiner frühern Behauptung und ihm stimmten sämtliche Räuber, die

eingefangen worden, in allem bei. Alles dieses hätte aber die Richter

noch nicht so von der Schuld des unglücklichen Andres überzeugt, als

die Aussage von zwei Vachschen Jägern, die bei dem Schein der Flammen

ganz genau den Andres erkannt und gesehen haben wollten, wie von

ihm der Graf niedergestreckt wurde. Nun war Andres in den Augen des

Gerichts ein verstockter heuchlerischer Bösewicht und gestützt auf

das Resultat aller jener Aussagen und Beweise wurde ihm die Tortur

zuerkannt, um seinen starren Sinn zu beugen, und ihn zum Geständnis zu

bringen. Schon über ein Jahr schmachtete Andres im Kerker, der Gram

hatte seine Kräfte aufgezehrt, und sein sonst robuster starker Körper

war schwach und ohnmächtig geworden. Der schreckliche Tag, an dem

die Pein ihm das Geständnis einer Tat, welche er niemals begangen,

abdringen sollte, kam heran. Man führte ihn in die Folterkammer, wo

die entsetzlichen mit sinnreicher Grausamkeit erfundenen Instrumente

lagen, und die Henkersknechte sich bereiteten, den Unglücklichen zu

martern. Nochmals wurde Andres ermahnt, die Tat, deren er so dringend

verdächtig, ja deren er durch das Zeugnis jener Jäger überführt

worden, zu gestehen. Er beteuerte wiederum seine Unschuld, und

wiederholte alle Umstände seiner Bekanntschaft mit Dennern in

denselben Worten, wie er es im ersten Verhör getan. Da ergriffen ihn

die Knechte, banden ihn mit Stricken und marterten ihn, indem sie

seine Glieder ausrenkten und Stacheln einbohrten in das gedehnte

Fleisch. Andres vermochte nicht die Qual zu ertragen: vom Schmerz

gewaltsam zerrissen, den Tod wünschend, gestand er alles was man

wollte, und wurde ohnmächtig in den Kerker zurückgeschleppt. Man

stärkte ihn, wie es nach erlittener Tortur gewöhnlich, mit Wein und er

fiel in einen zwischen Wachen und Schlafen hinbrütenden Zustand. Da

war es ihm als lösten sich die Steine aus der Mauer, und als fielen

sie krachend herab auf den Boden des Kerkers. Ein blutroter Schimmer

drang durch und in ihm trat eine Gestalt hinein, die, unerachtet sie

Denners Züge hatte, ihm doch nicht Denner zu sein schien. Glühender

funkelten die Augen, schwärzer starrte das struppige Haar auf der

Stirn empor und tiefer senkten sich die finstern Augenbrauen in die

dicke Muskel herab, die über der krummgebogenen Habichtsnase lag. Auf

gräßlich seltsame Weise war das Gesicht verschrumpft und verzerrt, und

die Kleidung fremd und abenteuerlich, wie er Dennern niemals gesehen.

Ein feuerroter mit Gold stark verbrämter weiter Mantel hing in

bauschichten Falten der Gestalt über die Schultern, ein breiter

niedergekrempter spanischer Hut mit herabhängender roter Feder saß

schief auf dem Kopfe, ein langer Stoßdegen hing an der Seite, und

unter dem linken Arm trug die Gestalt ein kleines Kistchen. So

schritt der gespenstische Unhold auf Andres zu in hohlem dumpfen Tone

sprechend: »Nun, Kamerad, wie hat dir die Folter geschmeckt? Du hast

das alles bloß deinem Eigensinn zu verdanken; hättest du dich als zur

Bande gehörig bekannt, so wärst du nun schon gerettet. Versprichst du

aber, dich mir und meiner Leitung ganz zu ergeben, und gewinnst du

es über dich, von diesen Tropfen zu trinken, die aus deines Kindes

Herzblut gekocht sind, so bist du augenblicklich aller Qual entledigt.

Du fühlst dich gesund und kräftig, und für deine weitere Rettung will

ich dann sorgen.« - Andres konnte vor Schreck, Angst und Ermattung

nicht sprechen; er sah, wie seines Kindes Blut in der Phiole, die ihm

die Gestalt hinhielt, in roten Flämmchen spielte; inbrünstig betete er

zu Gott und den Heiligen, daß sie ihn retten möchten aus den Klauen

des Satans, der ihn verfolge und um die ewige Seligkeit bringen wolle,

die er zu erlangen hoffe, sollte er auch eines schimpflichen Todes

sterben. Nun lachte die Gestalt, daß es im Kerker widergellte, und

verschwand im dicken Dampf. Andres erwachte endlich aus dumpfer

Betäubung, er vermochte sich aufzurichten vom Lager; aber wie ward

ihm, als er sah, daß das Stroh, was unter seinem Haupte gelegen, sich

stärker und stärker zu rühren begann und endlich weggeschoben wurde.

Er gewahrte, daß ein Stein aus dem Fußboden von unten herausgedrängt

worden und hörte mehrmals seinen Namen leise rufen. Er erkannte

Denners Stimme und sprach: »Was willst du von mir? Laß mich ruhen, ich

habe mit dir nichts zu schaffen!«- »Andres«, sprach Denner, »ich bin

durch mehrere Gewölbe gedrungen, um dich zu retten; denn, wenn du auf

den Richtplatz kommst, von dem ich errettet wurde, bist du verloren.

Bloß um deines Weibes willen, die mir mehr angehört, als du wohl

denken magst, helfe ich dir. Du bist ein mutloser Feigling. Was

hat dir nun dein erbärmliches Leugnen gefruchtet? Bloß, daß du vom

Vachschen Schloß nicht zu rechter Zeit nach Hause zurückkehrtest und

ich mich zu lange bei deinem Weibe aufhielt, ist schuld, daß man mich

auffing! Da! nimm die Feile und die Säge, befreie dich in künftiger

Nacht von den Ketten und durchsage das Schloß der Kerkertüre;

schleiche durch den Gang! Die äußere Tür linker Hand wird offen stehn,

und draußen wirst du einen von uns finden, der dich weiter geleitet.

Halte dich gut!« Andres nahm die Säge und die Feile, die ihm Denner

hineinreichte und hob dann den Stein wieder in die Öffnung. Er war

entschlossen, _das_ zu tun, wozu ihn die innere Stimme des Gewissens

aufforderte. - Als es Tag geworden und der Gefangenwärter hineintrat,

da sagte er, wie er sehnlich wünsche vor den Richter geführt zu

werden, indem er Wichtiges zu entdecken habe. Noch an demselben

Vormittage wurde sein Verlangen erfüllt, weil man nicht anders

glaubte, als daß Andres neue, bisher noch unbekannt gebliebene,

Freveltaten der Bande gestehen werde. Andres überreichte den Richtern

die von Dennern erhaltenen Instrumente, und erzählte den Vorgang der

Nacht. »Unerachtet ich gewiß und wahrhaftig unschuldig leide, so

soll mich doch Gott behüten, daß ich darnach trachten sollte, meine

Freiheit auf unerlaubte Weise zu erlangen; denn das würde mich ja dem

verruchten Denner, der mich in Schande und Tod gestürzt hat, in die

Hände liefern und ich dann erst durch mein sündliches freveliches

Unternehmen die Strafe verdienen, die ich jetzt unschuldig leiden

werde.« So beschloß Andres seinen Vortrag. Die Richter schienen

erstaunt und von Mitleid für den Unglücklichen durchdrungen, wiewohl

sie durch die mannigfachen Tatsachen, die wider ihn sprachen, zu sehr

von seiner Schuld überzeugt waren, um sein jetziges Benehmen nicht

auch für zweifelhaft zu halten. Die Aufrichtigkeit des Andres und

vorzüglich der Umstand, daß nach jener Anzeige der von Denner

beabsichtigten Flucht, in der Stadt und zwar in der nächsten Umgebung

des Gefängnisses wirklich noch einige von der Bande ertappt und

aufgegriffen wurden, hatte jedoch den wohltätigen Einfluß auf ihn,

daß er aus dem unterirdischen Kerker, in den er gesperrt gewesen,

herausgenommen wurde, und eine lichte Gefängnisstube neben der Wohnung

des Gefangenwärters erhielt. Da brachte er seine Zeit mit Gedanken an

sein treues Weib, an seinen Knaben, und mit gottseligen Betrachtungen

hin, und bald fühlte er sich ermutigt, das Leben auch auf schmerzliche

Weise, wie eine Bürde, abzuwerfen. Nicht genug konnte sich der

Gefangenwärter über den frommen Verbrecher wundern und er mußte

notgedrungen beinahe an seine Unschuld glauben.

 

Endlich, nachdem beinahe noch ein Jahr verflossen, war der schwierige

verwickelte Prozeß wider Denner und seine Mitschuldigen geschlossen.

Es hatte sich gefunden, daß die Bande bis an die Grenze von Italien

ausgebreitet war und schon seit geraumer Zeit überall raubte und

mordete. Denner sollte gehängt, und dann sein Körper verbrannt werden.

Auch dem unglücklichen Andres war der Strang zuerkannt; seiner Reue

halber, und da er durch das Bekenntnis der ihm von Denner geratenen

Flucht die Entdeckung des Anschlags der Bande, durchzubrechen,

veranlaßt hatte, durfte jedoch sein Körper herabgenommen, und auf der

Gerichtsstätte verscharrt werden.

 

Der Morgen, an dem Denner und Andres hingerichtet werden sollten, war

angebrochen; da ging die Tür des Gefängnisses auf, und der junge Graf

von Vach trat hinein zum Andres, der auf den Knien lag und still

betete. »Andres«, sprach der Graf, »du mußt sterben. Erleichtere dein

Gewissen noch durch ein offnes Geständnis! Sage mir, hast du deinen

Herrn getötet? Bist du wirklich der Mörder meines Oheims?« - Da

stürzten dem Andres die Tränen aus den Augen, und er wiederholte

nochmals alles, was er vor Gericht ausgesagt, ehe ihm die unleidliche

Qual der Tortur eine Lüge auspreßte. Er rief Gott und die Heiligen an,

die Wahrheit seiner Aussage und seine gänzliche Unschuld an dem Tode

des geliebten Herrn zu bekräftigen.

 

»So ist hier«, fuhr der Graf von Vach fort, »ein unerklärliches

Geheimnis im Spiele. Ich selbst, Andres, war von deiner Unschuld

überzeugt, unerachtet vieles wider dich sprach; denn ich wußte ja, daß

du von Jugend auf der treuste Diener meines Oheims gewesen bist, und

ihn selbst einmal in Neapel mit Gefahr deines Lebens aus Räuberhänden

gerettet hast. Allein nur noch gestern haben mir die beiden alten

Jäger meines Oheims Franz und Nikolaus geschworen, daß sie dich

leibhaftig unter den Räubern gesehen und genau bemerkt hätten, wie

du selbst meinen Oheim niederstrecktest.« Andres wurde von den

peinlichsten, schrecklichsten Gefühlen durchbohrt; es war ihm, als

wenn der Satan selbst seine Gestalt angenommen habe, um ihn zu

verderben; denn auch Denner hatte ja sogar im Kerker davon gesprochen,

daß er den Andres wirklich gesehen, und so schien selbst die falsche

Beschuldigung vor Gericht auf innerer wahrer Überzeugung zu beruhen.

Andres sagte dies alles unverhohlen, indem er hinzusetzte, daß er sich

der Schickung des Himmels ergebe, nach welcher er den schmählichen

Tod eines Verbrechers sterben solle, daß aber, sei es auch lange Zeit

nachher, seine Unschuld gewiß an den Tag kommen werde. Der Graf von

Vach schien tief erschüttert; er konnte kaum noch dem Andres sagen,

daß, nach seinem Wunsche, der Tag der Hinrichtung seinem unglücklichen

Weibe verschwiegen geblieben sei, und daß sie sich nebst dem Knaben

bei dem alten Förster aufhalte. Die Rathausglocke erklang dumpf und

schauerlich in abgemessenen Pulsen. Andres wurde angekleidet und der

Zug ging mit den gewöhnlichen Feierlichkeiten unter dem Zuströmen

unzähligen Volks nach der Richtstätte. Andres betete laut und rührte

durch sein frommes Betragen alle, die ihn sahen. Denner hatte die

Miene des trotzigen verstockten Bösewichts. Er schaute munter und

kräftig um sich, und lachte oft den armen Andres tückisch und

schadenfroh an. Andres sollte zuerst hingerichtet werden; er bestieg

gefaßt mit dem Henker die Leiter, da kreischte ein Weib auf und sank

ohnmächtig einem alten Mann in die Arme. Andres blickte hin, es war

Giorgina; laut erflehte er vom Himmel Fassung und Stärke. »Dort,

dort, sehe ich dich wieder, mein armes unglückliches Weib, ich sterbe

unschuldig!« rief er, indem er den Blick sehnsuchtsvoll zum Himmel

erhob. Der Richter rief dem Henker zu, er möge sich fördern, denn es

entstand ein Murren unter dem Volke und es flogen Steine nach Dennern,

der ebenfalls schon die Leiter bestiegen hatte und die Zuschauer

verhöhnte ob ihres Mitleids mit dem frommen Andres. Der Henker legte

dem Andres den Strick um den Hals, da scholl es aus der Ferne her:

»Halt - halt - um Christus willen halt! - Der Mann ist unschuldig!

- ihr richtet einen Unschuldigen hin!« - »Halt - halt!« schrieen

tausend Stimmen und kaum vermochte die Wache zu steuern dem Volk, das

hinzudrang und den Andres von der Leiter herabreißen wollte. Näher

sprengte nun der Mann zu Pferde, der erst gerufen hatte, und Andres

erkannte auf den ersten Blick in dem Fremden den Kaufmann, der ihm in

Frankfurt Giorginas Erbschaft ausgezahlt hatte. Seine Brust wollte

zerspringen vor Freude und Seligkeit, kaum konnte er sich aufrecht

erhalten als er von der Leiter herabgestiegen. Der Kaufmann sagte dem

Richter, daß zu derselben Zeit, als der Raubmord im Vachschen Schlosse

verübt worden, Andres in Frankfurt, also viele Meilen davon entfernt,

gewesen sei, und daß er dies vor Gericht auf die unzweifelhafteste

Weise durch Urkunden und Zeugen dartun wolle. Da rief der Richter:

»Die Hinrichtung des Andres kann keineswegs geschehen; denn dieser

höchstwichtige Umstand beweiset, wenn er ausgemittelt wird, die

völlige Unschuld des Angeklagten. Man führe ihn sogleich nach dem

Gefängnisse zurück.« Denner hatte alles von der Leiter herab ruhig

angesehen; als aber der Richter diese Worte gesprochen, da rollten

seine glühenden Augen, er knirschte mit den Zähnen, er heulte in

wilder Verzweiflung, daß es gräßlich, wie der namenlose Jammer des

wütenden Wahnsinns, durch die Lüfte hallte: »Satan, Satan! du hast

mich betrogen - weh mir! weh mir! es ist aus - aus - alles verloren!«

Man brachte ihn von der Leiter herab, er fiel zu Boden und röchelte

dumpf: »Ich will alles bekennen - ich will alles bekennen!« Auch _seine_

Hinrichtung wurde verschoben und er ins Gefängnis zurückgeführt, wo

ihm jedes Entspringen unmöglich gemacht worden. Der Haß seiner Wächter

war die beste Schutzwehr gegen die Schlauheit seiner Verbündeten.

- Wenige Augenblicke nachher, als Andres bei dem Gefangenenwärter

angekommen, lag Giorgina in seinen Armen. »Ach Andres, Andres«, rief

sie, »nun habe ich dich ganz wieder, da ich weiß, daß du unschuldig

bist; denn auch ich habe an deiner Redlichkeit, an deiner Frömmigkeit

gezweifelt!« - Unerachtet man Giorginen den Tag der Hinrichtung

verschwiegen, war sie doch von unbeschreiblicher Angst, von seltsamer

Ahnung getrieben, nach Fulda geeilt, und gerade auf die Richtstätte

gekommen, als ihr Mann die verhängnisvolle Leiter bestieg, die ihn

zum Tode führen sollte. Der Kaufmann war die ganze lange Zeit der

Untersuchung über auf Reisen in Frankreich und Italien gewesen, und

jetzt über Wien und Prag zurückgekehrt. Der Zufall, oder vielmehr

eine besondere Schickung des Himmels, wollte, daß er gerade in dem

entscheidendsten Augenblick auf dem Richtplatze ankam, und den armen

Andres von dem schmählichen Tode des Verbrechers rettete. Im Gasthofe

erfuhr er die ganze Geschichte des Andres und es fiel ihm gleich

schwer aufs Herz, daß Andres wohl derselbe Revierjäger sein könne,

der vor zwei Jahren eine Erbschaft, die seinem Weibe von Neapel aus

zugefallen, erhob. Schnell eilte er fort und überzeugte sich, als er

nur Andres sah, sogleich von der Wahrheit seiner Vermutung. Durch

die eifrigen Bemühungen des wackern Kaufmanns und des jungen Grafen

von Vach wurde Andres' Aufenthalt in Frankfurt bis auf die Stunde

ausgemittelt, dadurch aber seine völlige Unschuld an dem Raubmorde

dargetan. Denner selbst gestand nun die Richtigkeit der Angabe des

Andres über das Verhältnis mit ihm und meinte nur, der Satan müsse ihn

geblendet haben; denn in der Tat hätte er geglaubt, Andres fechte auf

dem Vachschen Schloß an seiner Seite. Für die erzwungene Teilnahme

an der Ausplünderung des Pachterhofes, sowie für die gesetzwidrige

Rettung Denners, hatte, nach dem Ausspruch der Richter, Andres genug

gebüßt durch das lange harte Gefängnis und durch die ausgestandene

Marter und Todesangst; er wurde daher durch Urtel und Recht von jeder

weiteren Strafe freigesprochen und eilte mit seiner Giorgina auf das

Vachsche Schloß, wo ihm der edle wohltätige Graf im Nebengebäude eine

Wohnung einräumte, von ihm nur die geringen Jagddienste fordernd,

die des Grafen persönliche Liebhaberei notwendig machte. Auch die

Gerichtskosten bezahlte der Graf, so daß Andres und Giorgina in dem

ungekränkten Besitz ihres Vermögens blieben.

 

Der Prozeß wider den verruchten Ignaz Denner nahm jetzt eine ganz

andere Wendung. Die Begebenheit auf der Gerichtsstätte schien ihn ganz

umgewandelt zu haben. Sein höhnender teuflischer Stolz war gebeugt,

und aus seinem zerknirschten Innern brachen Geständnisse hervor, die

den Richtern das Haar sträubten. Denner klagte sich selbst mit allen

Zeichen tiefer Reue des Bündnisses mit dem Satan an, das er von seiner

frühen Jugendzeit unterhalten, und so wurde vorzüglich hierauf die

fernere Untersuchung mit dem Zutritt dazu verordneter Geistlichkeit

gerichtet. Über seine früheren Lebensverhältnisse erzählte Denner

so viel Sonderbares, daß man es für das Erzeugnis wahnsinniger

Überspannung hätte halten müssen, wenn nicht durch die Erkundigungen,

die man in Neapel, seinem angeblichen Geburtsort, einziehen ließ,

alles bestätigt worden wäre. Ein Auszug aus den von dem geistlichen

Gericht in Neapel verhandelten Akten ergab über Denners Herkunft

folgende merkwürdige Umstände.

 

Vor langen Jahren lebte in Neapel ein alter wunderlicher Doktor,

Trabacchio mit Namen, den man seiner geheimnisvollen stets glücklichen

Kuren wegen insgemein den Wunderdoktor zu nennen pflegte. Es schien,

als wenn das Alter nichts über ihn vermöge; denn er schritt rasch

und jugendlich daher, unerachtet mehrere Eingeborne ihm nachrechnen

konnten, daß er an die achtzig Jahre alt sein müßte. Sein Gesicht war

auf eine seltsame grausige Weise verzerrt und verschrumpft, und seinen

Blick konnte man kaum ohne innern Schauer ertragen, wiewohl er oft

den Kranken wohl tat, so daß man sagte, bloß durch den scharf auf den

Kranken gehefteten Blick heile er oftmals schwere hartnäckige Übel.

Über seinen schwarzen Anzug warf er gewöhnlich einen weiten roten

Mantel mit goldnen Tressen und Troddeln, unter dessen bauschichten

Falten der lange Stoßdegen hervorragte. So lief er mit einer Kiste

seiner Arzneien, die er selbst bereitete, durch die Straßen von Neapel

zu seinen Kranken, und jeder wich ihm scheu aus. Nur in der höchsten

Not wandte man sich an ihn, aber niemals schlug er es aus einen

Kranken zu besuchen, hatte er dabei auch nicht sonderlichen Gewinn zu

hoffen. Mehrere Weiber starben ihm schnell; immer waren sie ausnehmend

schön und insgemein Landdirnen gewesen. Er sperrte sie ein und

erlaubte ihnen, nur unter Begleitung einer alten ekelhaft häßlichen

Frau die Messe zu hören. Diese Alte war unbestechlich; jeder noch so

listig angelegte Versuch junger Lüstlinge, den schönen Frauen des

Doktor Trabacchio näher zu kommen, blieb fruchtlos. Unerachtet Doktor

Trabacchio von Reichen sich gut bezahlen ließ, so stand doch seine

Einnahme mit dem Reichtum an Geld und Kleinodien, den er in seinem

Hause aufgehäuft hatte und den er niemanden verhehlte, in keinem

Verhältnis. Dabei war er zu Zeiten freigebig bis zur Verschwendung,

und hatte die Gewohnheit jedesmal, wenn ihm eine Frau gestorben, ein

Gastmahl zu geben, dessen Aufwand wohl doppelt soviel betrug, als

die reichste Einnahme, die ihm seine Praxis ein ganzes Jahr hindurch

verschaffte. Mit seiner letzten Frau hatte er einen Sohn erzeugt, den

er ebenso einsperrte, wie seine Weiber; niemand bekam ihn zu sehen.

Nur bei dem Gastmahl, das er nach dem Tode dieser Frau gab, saß der

kleine dreijährige Knabe an seiner Seite, und alle Gäste waren über

die Schönheit und die Klugheit des Kindes [verwundert], das man,

verriet sein körperliches Ansehen nicht sein Alter, seinem Benehmen

nach wenigstens für zwölfjährig hätte halten können. Eben bei diesem

Gastmahl äußerte der Doktor Trabacchio, daß, da nunmehr sein Wunsch,

einen Sohn zu haben, erreicht sei, er nicht mehr heiraten werde. Sein

übermäßiger Reichtum, aber noch mehr sein geheimnisvolles Wesen, seine

wunderbaren Kuren, die bis ins Unglaubliche gingen, da bloß einigen

von ihm bereiteten und eingeflößten Tropfen, ja oft bloß seiner

Betastung, seinem Blick, die hartnäckigsten Krankheiten wichen, gaben

endlich Anlaß zu allerlei seltsamen Gerüchten, die sich in Neapel

verbreiteten. Man hielt den Doktor Trabacchio für einen Alchymisten,

für einen Teufelsbeschwörer, ja man gab ihm endlich schuld, daß er

mit dem Satan im Bündnis stehe. Die letzte Sage entstand aus einer

seltsamen Begebenheit, die sich mit einigen Edelleuten in Neapel

zutrug. Diese kehrten einst spät in der Nacht von einem Gastmahl

zurück und gerieten, da sie im Weinrausch den Weg verfehlt, in eine

einsame verdächtige Gegend. Da rauschte und raschelte es vor ihnen und

sie wurden mit Entsetzen gewahr, daß ein großer leuchtendroter Hahn,

ein zackicht Hirschgeweihe auf dem Kopfe tragend, mit ausgebreiteten

Flügeln. daherschritt, und sie mit menschlichen funkelnden Augen

anstarrte. Sie drängten sich in eine Ecke, der Hahn schritt vorüber,

und ihm folgte eine große Figur im glänzenden goldverbrämten Mantel.

Sowie die Gestalten vorüber waren, sagte einer von den Edelleuten

leise: »Das war der Wunderdoktor Trabacchio.« Alle, nüchtern geworden

durch den entsetzlichen Spuk, ermutigten sich und folgten dem

angeblichen Doktor mit dem Hahn, dessen Leuchten den genommenen

Weg zeigte. Sie sahen, wie die Gestalten wirklich auf das Haus des

Doktors, das auf einem fernen leeren öden Platze stand, zuschritten.

Vor dem Hause angekommen, rauschte der Hahn in die Höhe, und schlug

mit den Flügeln an das große Fenster über dem Balkon, das sich

klirrend öffnete; die Stimme eines alten Weibes meckerte: »Kommt -

kommt nach Haus - kommt nach Haus - warm ist das Bett, und Liebchen

wartet lange schon - lange schon!« Da war es, als stiege der Doktor

auf einer unsichtbaren Leiter empor, und rausche nach dem Hahn durch

das Fenster, welches zugeschlagen wurde, daß es die einsame Straße

entlang klirrte und dröhnte. Alles war im schwarzen Dunkel der Nacht

verschwunden und die Edelleute standen stumm und starr vor Grausen

und Entsetzen. Dieser Spuk, die Überzeugung der Edelleute, daß die

Gestalt, der der teuflische Hahn vorleuchtete, niemand anders, als der

verrufene Doktor Trabacchio gewesen, war für das geistliche Gericht,

dem alles zu Ohren kam, genug, dem satanischen Wundermann sorglich in

aller Stille nachzuspüren. Man brachte in der Tat heraus, daß in den

Zimmern des Doktors sich oft ein roter Hahn befand, mit dem er auf

wunderliche Weise zu sprechen und zu disputieren schien, als sprächen

Gelehrte über zweifelhafte Gegenstände ihres Wissens. Das geistliche

Gericht war im Begriff den Doktor Trabacchio einzuziehen als

einen verruchten Hexenmeister; aber das weltliche Gericht kam dem

geistlichen zuvor und ließ den Doktor durch die Sbirren aufheben und

ins Gefängnis schleppen, da er eben von dem Besuch eines Kranken

heimkehrte. Die Alte war schon früher aus dem Hause geholt worden,

den Knaben hatte man nicht finden können. Die Türen der Zimmer wurden

verschlossen und versiegelt, Wachen rings um das Haus gestellt. -

Folgendes war der Grund dieses gerichtlichen Verfahrens. Seit einiger

Zeit starben mehrere angesehene Personen in Neapel und in der

umliegenden Gegend und zwar nach der Ärzte einstimmigem Urteil an

Gift. Dies hatte viele Untersuchungen veranlaßt, die fruchtlos

blieben, bis endlich ein junger Mann in Neapel, ein bekannter Lüstling

und Verschwender, dessen Oheim vergiftet worden, die gräßliche Tat

mit dem Zusatz eingestand, daß er das Gift von dem alten Weibe, der

Haushälterin Trabacchios, gekauft habe. Man spürte der Alten nach, und

ertappte sie, als sie eben ein festverschlossenes kleines Kistchen

forttragen wollte, in dem man kleine Phiolen fand, die mit dem Namen

von allerlei Arzneimitteln versehen waren, unerachtet sie flüssiges

Gift enthielten. Die Alte wollte nichts eingestehen; als man ihr

indessen mit der Tortur drohte, da bekannte sie, daß der Doktor

Trabacchio schon seit vielen Jahren jenes künstliche Gift, das unter

dem Namen Aqua Toffana bekannt sei, bereite, und daß der geheime

Verkauf dieses Gifts, der durch sie bewirkt worden, beständig seine

reichste Erwerbsquelle gewesen. Ferner sei es nur zu gewiß, daß er mit

dem Satan im Bündnis stehe, der in verschiedenen Gestalten bei ihm

einkehre. Jedes seiner Weiber habe ihm ein Kind geboren, ohne daß

es jemand außer dem Hause geahnet. Das Kind habe er denn allemal,

nachdem es neun Wochen, oder neun Monate alt worden, unter besonderen

Zurüstungen und Feierlichkeiten auf unmenschliche Weise geschlachtet,

indem er ihm die Brust aufgeschnitten und das Herz herausgenommen.

Jedesmal sei der Satan bei dieser Operation, bald in dieser, bald in

jener Gestalt, meistens aber als Fledermaus mit menschlicher Larve,

erschienen, und habe mit breiten Flügeln das Kohlfeuer angefacht, bei

dem Trabacchio aus des Kindes Herzblut köstliche Tropfen bereitet,

die jeder Siechheit kräftig widerständen. Die Weiber hätte Trabacchio

bald nachher auf diese, oder jene heimliche Weise getötet, so daß

der schärfste Blick des Arztes wohl nie auch die kleinste Spur der

Ermordung habe auffinden können. Nur Trabacchios letztes Weib, die

ihm einen Sohn geboren, der noch lebe, sei des natürlichen Todes

gestorben.

 

Der Doktor Trabacchio gestand alles unverhohlen ein und schien eine

Freude daran zu finden, das Gericht mit den schauerlichen Erzählungen

seiner Untaten und vorzüglich der nähern Umstände seines entsetzlichen

Bündnisses mit dem Satan in Verwirrung zu setzen, Die Geistlichen,

welche dem Gericht beiwohnten, gaben sich alle nur ersinnliche Mühe,

den Doktor zur Reue und zur Erkenntnis seiner Sünden zu bringen; aber

es blieb vergebens, da Trabacchio sie nur verhöhnte und verlachte.

Beide, die Alte und Trabacchio, wurden zum Scheiterhaufen verurteilt.

- Man hatte unterdessen das Haus des Doktors untersucht und alle seine

Reichtümer hervorgeholt, die, nach Abzug der Gerichtskosten, an die

Hospitäler verteilt werden sollten. In Trabacchios Bibliothek fand

man nicht ein einziges verdächtiges Buch und noch viel weniger gab es

Gerätschaften, die auf die satanische Kunst, die der Doktor getrieben,

hätten hindeuten sollen. Nur ein verschlossenes Gewölbe, dessen viele

durch die Mauer herausragende Röhren das Laboratorium verrieten,

widerstand, als man es öffnen wollte, aller Kunst und aller Gewalt.

Ja, wenn Schlosser und Maurer unter der Aufsicht des Gerichts sich

eifrig bemühten, endlich durchzubrechen, so daß wohl der Zweck

erreicht worden wäre, da kreischten im Innern des Gewölbes

entsetzliche Stimmen, es rauschte auf und nieder, wie mit eiskalten

Flügeln schlug es an die Gesichter der Arbeiter und ein schneidender

Zugwind pfiff in gellenden gräßlichen Tönen durch den Gang, so daß von

Grausen und Entsetzen ergriffen alle flohen, und am Ende niemand mehr

sich an die Tür des Gewölbes wagen wollte, aus Furcht wahnsinnig zu

werden vor Angst und Schrecken. Den Geistlichen, die sich der Tür

nahten, ging es nicht besser und es blieb nichts übrig, als die

Ankunft eines alten Dominikaners aus Palermo zu erwarten, dessen

Standhaftigkeit und Frömmigkeit bisher alle Künste des Satans weichen

mußten. Als dieser Mönch sich nun in Neapel befand, war er bereit den

teuflischen Spuk in Trabacchios Gewölbe zu bekämpfen, und verfügte

sich hin, ausgerüstet mit Kreuz und Weihwasser, begleitet von mehreren

Geistlichen und Gerichtspersonen, die aber weit von der Tür entfernt

blieben. Der alte Dominikaner ging betend auf die Tür los; aber da

erhob sich heftiger das Rauschen und Brausen, und die entsetzlichen

Stimmen verworfener Geister lachten gellend heraus. Der Geistliche

ließ sich jedoch nicht irre machen; er betete kräftiger das Kruzifix

emporhaltend und die Tür mit Weihwasser besprengend. »Man gebe mir ein

Brecheisen!« rief er laut; zitternd reichte es ihm ein Maurerbursche

hin, aber kaum setzte es der alte Mönch an die Türe, als sie mit

furchtbar erschütterndem Knall aufsprang. Blaue Flammen leckten

überall an den Wänden des Gewölbes herauf und eine betäubende

erstickende Hitze strömte aus dem Innern. Demunerachtet wollte der

Dominikaner hineintreten; da stürzte der Boden des Gewölbes ein, daß

das ganze Haus erdröhnte und Flammen prasselten aus dem Abgrunde

hervor, die wütend um sich griffen und alles rings umher erfaßten.

Schnell mußte der Dominikaner mit seiner Begleitung fliehen, um nicht

zu verbrennen, oder verschüttet zu werden. Kaum waren sie auf der

Straße, als das ganze Haus des Doktor Trabacchio in Flammen stand. Das

Volk lief zusammen und jauchzte und jubelte, als es des verruchten

Hexenmeisters Wohnung brennen sah, ohne auch nur das mindeste zur

Rettung zu tun. Schon war das Dach eingestürzt, das inwendige Holzwerk

flammte zu den Wänden heraus und nur die starken Balken des obern

Stocks widerstanden noch der Gewalt des Feuers. Aber vor Entsetzen

schrie das Volk auf, als es Trabacchios zwölfjährigen Sohn mit

einem Kistchen unter dem Arm einen dieser glimmenden Balken entlang

schreiten sah. Nur einen Moment dauerte diese Erscheinung, sie

verschwand plötzlich in den hochaufschlagenden Flammen. - Der

Doktor Trabacchio schien sich herzinniglich zu freuen, als er diese

Begebenheit erfuhr und ging mit verwegener Frechheit zum Tode. Als man

ihn an den Pfahl band, lachte er hell auf und sagte zu dem Henker, der

ihn mordlustig recht fest anschnürte: »Sieh dich vor, Geselle, daß

diese Stricke nicht an deinen Fäusten brennen.« Dem Mönch, der sich

ihm zuletzt noch nahen wollte, rief er mit fürchterlicher Stimme zu:

»Fort! - zurück von mir! Glaubst du denn, daß ich so dumm sein werde,

euch zu Gefallen einen schmerzlichen Tod zu leiden? - noch ist

meine Stunde nicht gekommen.« - Nun fing das angezündete Holz an zu

prasseln; kaum erreichte aber die Flamme den Trabacchio, als es hell

aufloderte, wie Strohfeuer und von einer fernen Anhöhe ein gellendes

Hohngelächter sich hören ließ. Alles schaute hin und Grausen ergriff

das Volk, als [es] den Doktor Trabacchio leibhaftig in dem schwarzen

Kleide, dem goldverbrämten Mantel, den Stoßdegen an der Seite, den

niedergekrempten spanischen Hut mit der roten Feder auf dem Kopfe, das

Kistchen unter dem Arm, ganz wie er sonst durch die Straßen von Neapel

zu laufen pflegte, erblickte. Reiter, Sbirren, hundert andere aus

dem Volk stürzten hin nach dem Hügel, aber Trabacchio war und blieb

verschwunden. Die Alte gab ihren Geist auf unter den entsetzlichsten

Qualen, unter den gräßlichsten Verwünschungen ihres verruchten Herrn,

mit dem sie unzählige Verbrechen geteilt.

 

Der sogenannte Ignaz Denner war nun kein anderer, als eben der Sohn

des Doktors, der sich damals durch die höllischen Künste seines Vaters

mit einem Kistchen der seltensten und geheimnisvollsten Kostbarkeiten

aus den Flammen rettete. Schon seit der frühesten Jugend unterrichtete

ihn der Vater in den geheimen Wissenschaften und seine Seele war dem

Teufel verschrieben, noch ehe er sein volles Bewußtsein erlangt. Als

man den Doktor Trabacchio ins Gefängnis warf, blieb der Knabe in dem

geheimnisvollen verschlossenen Gewölbe unter den verworfenen Geistern,

die des Vaters höllischer Zauber hineingebannt; da aber endlich dieser

Zauber der Macht des Dominikaners weichen mußte, ließ der Knabe die

verborgenen mechanischen Kräfte wirken, und Flammen entzündeten sich,

die in wenigen Minuten das ganze Haus in Brand steckten, während der

Knabe selbst unversehrt durch das Feuer fort zum Tore hinaus in den

Wald eilte, den ihm der Vater bezeichnet hatte. Nicht lange dauerte

es, so erschien auch Doktor Trabacchio, und floh schnell mit dem

Sohne, bis sie wohl an drei Tagereisen von Neapel in die Ruinen

eines alten römischen Gebäudes kamen, wo der Eingang zu einer weiten

geräumigen Höhle versteckt lag. Hier wurde der Doktor Trabacchio

von einer zahlreichen Räuberbande, mit der er längst in Verbindung

gestanden, und der er durch seine geheime Wissenschaft die

wesentlichsten Dienste geleistet, mit lautem Jubel empfangen. Die

Räuber wollten ihn mit nichts Geringerem lohnen, als mit der Krönung

zum Räuberkönige, wodurch er sich zum Oberhaupt aller Banden, die in

Italien und dem südlichen Deutschland verbreitet waren, aufgeschwungen

hätte. Der Doktor Trabacchio erklärte, diese Würde nicht annehmen

zu können, da er der besondern Konstellation wegen, die über ihn

walte, nunmehr ein ganz unstetes Leben führen müsse, und von keinem

Verhältnis gebunden werden könne; doch werde er noch immer den Räubern

mit seiner Kunst und Wissenschaft beistehn, und sich dann und wann

sehen lassen. Da beschlossen die Räuber, den zwölfjährigen Trabacchio

zum Räuberkönige zu wählen und damit war der Doktor höchlich

zufrieden, so daß der Knabe von Stund an unter den Räubern blieb,

und, als er funfzehn Jahr alt worden, schon als wirkliches Oberhaupt

mit ihnen auszog. Sein ganzes Leben war von nun an ein Gewebe von

Greueltaten und Teufelskünsten, in welche ihn der Vater, der sich

oftmals blicken ließ und zuweilen wochenlang einsam mit seinem Sohne

in der Höhle blieb, immer mehr einweihte. Die kräftigen Maßregeln

des Königs von Neapel gegen die Räuberbanden, die immer kecker und

verwegener wurden, noch mehr aber die entstandenen Zwistigkeiten der

Räuber hoben endlich das gefährliche Bündnis unter _einem_ Oberhaupte

auf und den Trabacchio selbst, der sich durch seinen Stolz und durch

seine Grausamkeit verhaßt gemacht hatte, konnten seine vom Vater

erlernte Teufelskünste nicht vor den Dolchen seiner Untergebenen

schützen. Er floh nach der Schweiz, gab sich den Namen Ignaz Denner,

und besuchte als reisender Kaufmann die Messen und Jahrmärkte in

Deutschland, bis sich aus den zerstreuten Gliedern jener großen

Bande eine kleinere bildete, die den vormaligen Räuberkönig zu ihrem

Oberhaupt wählte. Trabacchio versicherte, wie sein Vater noch zur

Stunde lebe, ihn noch im Gefängnis besucht, und Rettung von der

Gerichtsstätte versprochen habe. Nur dadurch, daß, wie er nun wohl

einsehe, göttliche Schickung den Andres vom Tode errettet, sei die

Macht seines Vaters entkräftet worden, und er wolle nun als reuiger

Sünder allen Teufelskünsten abschwören und geduldig die gerechte

Todesstrafe erleiden.

 

Andres, der alles dieses aus dem Munde des Grafen von Vach erfuhr,

zweifelte keinen Augenblick, daß es wohl eben Trabacchios Bande

gewesen, die ehemals im Neapolitanischen seinen Herrn anfiel, so wie

er überzeugt war, daß der alte Doktor Trabacchio selbst im Gefängnis

ihm wie der leibhaftige Satan erschien und verlocken wollte zum

bösen Beginnen. Nun sah er erst recht ein, in welch großer Gefahr er

geschwebt hatte seit der Zeit, als Trabacchio in sein Haus getreten;

wiewohl er noch immer nicht begreifen konnte, warum es denn der

Verruchte so ganz und gar auf ihn und sein Weib gemünzt hatte, da der

Vorteil, den er aus seinem Aufenthalt in dem Jägerhause zog, nicht so

bedeutend sein konnte.

 

Andres befand sich nach den entsetzlichen Stürmen nun in ruhiger

glücklicher Lage, allein zu erschütternd hatten jene Stürme getobt,

um nicht in seinem ganzen Leben dumpf nachzuhallen. Außer dem, daß

Andres, sonst ein starker kräftiger Mann, durch den Gram, durch

das lange Gefängnis, ja durch den unsäglichen Schmerz der Tortur

körperlich zugrunde gerichtet, siech und krank daherschwankte und kaum

noch die Jagd treiben konnte, so welkte auch Giorgina, deren südliche

Natur von dem Grame, von der Angst, von dem Entsetzen wie von

brennender Glut aufgezehrt wurde, zusehends hin. Keine Hülfe war

für sie mehr vorhanden, sie starb wenige Monate nach ihres Mannes

Rückkehr. Andres wollte verzweifeln und nur der wunderschöne kluge

Knabe, der Mutter getreues Ebenbild, vermochte ihn zu trösten. Um

dieses willen tat er alles, sein Leben zu erhalten, und sich soviel

als möglich zu kräftigen, so daß er nach Verlauf von beinahe zwei

Jahren wohl an Gesundheit zugenommen und manchen lustigen Jägergang in

den Forst unternehmen konnte. - Der Prozeß wider den Trabacchio hatte

endlich sein Ende erreicht und er war, so wie vor alter Zeit sein

Vater, zum Tode durchs Feuer verdammt worden, den er in weniger Zeit

erleiden sollte.

 

Andres kam eines Tages, als die Abenddämmerung schon eingebrochen, mit

seinem Knaben aus dem Forst zurück; schon war er dem Schlosse nahe,

als er ein klägliches Gewimmer vernahm, das aus dem ihm nahen

ausgetrockneten Feldgraben zu kommen schien. Er eilte näher und

erblickte einen Menschen, der in elende schmutzige Lumpen gehüllt, im

Graben lag und unter großen Schmerzen den Geist aufgeben zu wollen

schien. Andres warf Flinte und Büchsensack ab, und zog mit Mühe

den Unglücklichen heraus; aber als er nun dem Menschen ins Gesicht

blickte, erkannte er mit Entsetzen den Trabacchio. Zurückschaudernd

ließ er von ihm ab; aber da wimmerte Trabacchio dumpf. »Andres,

Andres, bist du es? um der Barmherzigkeit Gottes willen, der ich meine

Seele empfohlen, habe Mitleid mit mir! Wenn du mich rettest, rettest

du eine Seele von ewiger Verdammnis; denn bald ereilt mich ja der Tod,

und noch nicht vollendet ist meine Buße!« - »Verdammter Heuchler«,

schrie Andres auf; »Mörder meines Kindes, meines Weibes, hat dich

nicht der Satan wieder hergeführt, damit du mich vielleicht noch

verderbest? Ich habe mit dir nichts zu schaffen. Stirb und vermodere

wie ein Aas, Verruchter!« Andres wollte ihn zurückstoßen in den

Graben; da heulte Trabacchio in wildem Jammer: »Andres! du rettest den

Vater deines Weibes, deiner Giorgina, die für mich betet am Throne des

Höchsten!« Andres schauderte zusammen; mit Giorginas Namen fühlte er

sich von schmerzlicher Wehmut ergriffen. Mitleid mit dem Mörder seiner

Ruhe, seines Glücks, durchdrang ihn, er faßte den Trabacchio, lud

ihn mit Mühe auf und trug ihn nach seiner Wohnung, wo er ihn mit

stärkenden Mitteln erquickte. Bald erwachte Trabacchio aus der

Ohnmacht, in die er versunken.

 

In der Nacht vor der Hinrichtung ergriff den Trabacchio die

entsetzlichste Todesangst; er war überzeugt, daß ihn nichts mehr

von der namenlosen Marter des Feuertodes retten würde. Da faßte

und rüttelte er in wahnsinniger Verzweiflung die Eisenstäbe des

Gitterfensters und zerbröckelt blieben sie in seinen Händen. Ein

Strahl der Hoffnung fiel in seine Seele. Man hatte ihn in einen Turm

dicht neben dem trocknen Stadtgraben gesperrt; er schaute in die Tiefe

und der Entschluß sich hinabzustürzen, und so sich zu retten, oder zu

sterben, war auf der Stelle gefaßt. Der Ketten hatte er sich bald mit

geringer Anstrengung entledigt. Als er sich hinauswarf, vergingen ihm

die Sinne, er erwachte, als die Sonne hell strahlte. Da sah er, wie er

zwischen Strauchwerk in hohes Gras gefallen, aber an allen Gliedern

verstaucht und verrenkt, vermochte er sich nicht zu regen und zu

rühren. Schmeißfliegen und anderes Ungeziefer setzten sich auf seinen

halbnackten Körper und stachen und leckten sein Blut, ohne daß er sie

abwehren konnte. So brachte er einen martervollen Tag hin. Erst des

Nachts gelang es ihm weiter zu kriechen und er war glücklich genug,

an eine Stelle zu kommen, wo sich etwas Regenwasser gesammelt hatte,

welches er begierig einschlürfte. Er fühlte sich gestärkt und

vermochte mühsam hinanzuklimmen und sich fortzuschleichen, bis er den

Forst erreichte, der unfern von Fulda anhob und sich beinahe bis an

das Vachsche Schloß erstreckte. So war er bis in die Gegend gekommen,

wo ihn Andres mit dem Tode ringend fand. Die entsetzliche Anstrengung

der letzten Kraft hatte ihn ganz erschöpft und wenige Minuten später

hätte ihn Andres sicherlich tot gefunden. Ohne daran zu denken, was

künftig mit dem Trabacchio, der der Obrigkeit entflohen, werden

sollte, brachte ihn Andres in ein einsames Zimmer und pflegte ihn auf

alle nur mögliche Weise, aber so behutsam ging er dabei zu Werke, daß

niemand die Anwesenheit des Fremden ahnte; denn selbst der Knabe,

gewohnt dem Vater blindlings zu gehorchen, verschwieg getreulich

das Geheimnis. Andres frug nun den Trabacchio, ob er denn gewiß und

wahrhaftig Giorginas Vater sei. »Allerdings bin ich das«, erwiderte

Trabacchio. »In der Gegend von Neapel entführte ich einst ein

bildschönes Mädchen, die mir eine Tochter gebar. Nun weißt du schon,

Andres, daß eines der größten Kunststücke meines Vaters die Bereitung

jenes köstlichen wundersamen Liquors war, wozu das Hauptingredienz

das Herzblut von Kindern ist, die neun Wochen, neun Monate, oder neun

Jahre alt und von den Eltern dem Laboranten freiwillig anvertraut sein

müssen. Je näher die Kinder mit dem Laboranten in Beziehung stehen,

desto wirkungsvoller entsteht aus ihrem Herzblut Lebenskraft, stete

Verjüngung, ja selbst die Bereitung des künstlichen Goldes. Deshalb

schlachtete mein Vater seine Kinder und ich war froh, das Töchterlein,

das mir mein Weib geboren, auf solche verruchte Weise höheren Zwecken

opfern zu können. Noch kann ich nicht begreifen, auf welche Weise mein

Weib die böse Absicht ahnte; aber sie war vor Ablauf der neunten Woche

verschwunden und erst nach mehrern Jahren erfuhr ich, daß sie in

Neapel gestorben sei und ihre Tochter Giorgina bei einem grämlichen

geizhalsigen Gastwirt erzogen würde. Ebenso wurde mir ihre

Verheiratung mit dir und dein Aufenthalt bekannt. Nun kannst du dir

erklären, Andres, warum ich deinem Weibe gewogen war und warum ich,

ganz erfüllt von meinen verruchten Teufelskünsten, deinen Kindern so

nachstellte. - Aber dir, Andres, dir allein und deiner wunderbaren

Rettung durch Gottes Allmacht verdanke ich meine tiefe Reue, meine

innere Zerknirschung. Übrigens ist das Kistchen mit Kleinodien, das

ich deinem Weibe gab, dasjenige, welches ich auf des Vaters Geheiß

aus den Flammen rettete, du kannst es getrost aufbewahren für deinen

Knaben.« - »Das Kistchen«, fiel Andres ein, »hat Euch ja Giorgina

wiedergegeben an jenem schrecklichen Tag, da Ihr den gräßlichen Mord

verübtet?«

 

»Allerdings«, erwiderte Trabacchio; »allein ohne daß es Giorgina

wußte, kam es wieder in Euern Besitz. Seht nur nach in der großen

schwarzen Truhe, die in Euerm Hausflur steht, da werdet Ihr das

Kistchen auf dem Boden finden.« Andres suchte in der Truhe und fand

das Kistchen wirklich ganz in dem Zustande wieder, wie er es damals

zum erstenmal von Trabacchio in Verwahrung erhalten.

 

Andres fühlte in sich unheimlichen Unmut, ja er konnte sich des

Wunsches nicht erwehren, daß Trabacchio tot gewesen sein möge, als er

ihn im Graben fand. Freilich schien Trabacchios Reue und Buße wahrhaft

zu sein; denn ohne seine Klause zu verlassen, brachte er seine Zeit

nur damit hin, in andächtigen Büchern zu lesen und seine einzige

Ergötzlichkeit war die Unterhaltung mit dem kleinen Georg, den er über

alles zu lieben schien. Andres beschloß indessen doch auf seiner Hut

zu sein und eröffnete bei erster Gelegenheit das ganze Geheimnis dem

Grafen von Vach, der über das seltene Spiel des Schicksals nicht

wenig verwundert war. So vergingen einige Monate, der Spätherbst

war eingetreten und Andres mehr auf der Jagd, als sonst. Der Kleine

blieb gewöhnlich bei dem Großvater und einem alten Jäger, der um das

Geheimnis wußte. Eines Abends war Andres von der Jagd zurückgekehrt,

als der alte Jäger hineintrat und nach seiner treuherzigen Weise

anfing: »Herr, Ihr habt einen bösen Kumpan im Hause. Zu dem kommt

der Gottseibeiuns! durchs Fenster und geht wieder ab in Rauch und

Dampf.« Dem Andres wurde es bei dieser Rede zumut, als hätt ihn ein

Blitzstrahl getroffen. Er wußte nur zu genau, was das zu bedeuten

hatte; als ihm der alte Jäger weiter erzählte, wie er schon mehrere

Tage hintereinander in später Abenddämmerung in Trabacchios Zimmer

seltsame Stimmen gehört, die wie im Zank durcheinander geplappert, und

heute zum zweitenmal habe es ihm, indem er Trabacchios Türe schnell

geöffnet, geschienen, als rausche eine Gestalt im roten goldverbrämten

Mantel zum Fenster hinaus. In vollem Zorn eilte Andres herauf zum

Trabacchio, hielt ihm vor, was sein Jäger ausgesagt und kündigte ihm

an, daß er sich's gefallen lassen müsse, ins Schloßgefängnis gesperrt

zu werden, wenn er nicht allen bösen Tritten entsage. Trabacchio blieb

ruhig, und erwiderte im wehmütigen Ton: »Ach, lieber Andres! nur

zu wahr ist es, daß mein Vater, dessen Stündlein noch immer nicht

gekommen, mich auf unerhörte Weise peinigt und quält. Er will, daß ich

mich ihm wieder zuwende, und der Frömmigkeit, dem Heil meiner Seele

entsage, allein ich bin standhaft geblieben, und glaube nicht, daß er

wiederkehren wird, da er gesehen, daß er nicht mehr über mich Macht

hat. Bleibe ruhig, lieber Sohn Andres! und laß mich bei dir als ein

frommer Christ versöhnt mit Gott sterben!« In der Tat schien auch

die feindliche Gestalt auszubleiben, indessen war es, als würden

Trabacchios Augen wieder glühender, er lächelte zuweilen so seltsam

höhnisch, wie sonst. Während der Betstunde, die Andres jeden Abend mit

ihm zu halten pflegte, schien er oft krampfhaft zu erzittern; zuweilen

strich eine seltsam pfeifende Zugluft durch das Zimmer, welche die

Blätter der Gebetbücher raschelnd umschlug, ja die Bücher selbst dem

Andres aus den Händen warf. »Gottloser Trabacchio, verruchter Satan!

_Du_ bist es, der hier höllischen Spuk treibt! Was willst du von mir?

hebe dich weg, denn du hast keine Macht über mich! - hebe dich weg!«

- So rief Andres mit starker Stimme! Da lachte es höhnisch durch das

Zimmer hin, und schlug wie mit schwarzen Fittigen an das Fenster. Und

doch war es nur der Regen, der an das Fenster geschlagen, und der

Herbstwind, der durch das Zimmer geheult, wie Trabacchio meinte, als

das Unwesen wieder einmal recht arg war und Georg vor Angst weinte.

 

»Nein«, rief Andres: »Euer gottloser Vater könnte hier nicht so

herumspuken, wenn Ihr aller und jeder Gemeinschaft mit ihm entsagt

hättet. Ihr müßt fort von mir. Eure Wohnung ist Euch längst bereitet.

Ihr müßt fort ins Schloßgefängnis; dort möget Ihr Euern Spuk treiben

wie Ihr wollt.« Trabacchio weinte heftig, er bat um aller Heiligen

willen ihn im Hause zu dulden und Georg, ohne zu begreifen, was das

alles wohl bedeute, stimmte in seine Bitten ein. »So bleibt denn noch

morgen hier«, sagte Andres, »ich will sehen, wie es mit der Betstunde

gehen wird, wenn ich heimkomme von der Jagd.« Am andern Tage gab es

herrliches Herbstwetter, und Andres versprach sich eine reiche Beute.

Als er von dem Anstand zurückkehrte, war es ganz finster geworden. Er

fühlte sich im innersten Gemüt besonders bewegt; seine merkwürdigen

Schicksale, Giorginas Bild, sein ermordeter Knabe traten ihm so

lebendig vor Augen, daß er tief in sich gekehrt, immer langsamer und

langsamer den Jägern nachschlenderte, bis er sich endlich unversehends

auf einem Nebenwege allein im Forst befand. Im Begriff zurückzukehren

in den breiten Waldweg, wurde er ein blendendes Licht gewahr, welches

durch das dickste Gebüsch flackerte. Da ergriff ihn eine wunderbare

verworrene Ahnung großer Greueltat, die verübt werde; er drang durch

das Dickicht, er war dem Feuer nahe, da stand des alten Trabacchio

Gestalt im goldverbrämten Mantel, den Stoßdegen an der Seite, den

niedergekrempten Hut mit roter Feder auf dem Kopfe, das Arzneikistchen

unterm Arm. Mit glühenden Augen blickte die Gestalt in das Feuer,

das wie in rot und blau flammenden Schlangen unter einer Retorte

hervorloderte. Vor dem Feuer lag Georg nackt ausgebreitet auf einer

Art Rost und der verruchte Sohn des satanischen Doktors hatte hoch

das funkelnde Messer erhoben zum Todesstoß. Andres schrie auf vor

Entsetzen; aber sowie der Mörder sich umblickte, sauste schon die

Kugel aus Andres' Büchse und Trabacchio stürzte mit zerschmettertem

Gehirn über das Feuer hin, das im Augenblick erlosch. Die Gestalt des

Doktors war verschwunden. Andres sprang hinzu, stieß den Leichnam

beiseite, band den armen Georg los und trug ihn schnell fort bis

ins Haus. Dem Knaben fehlte nichts; nur die Todesangst hatte ihn

ohnmächtig gemacht. Den Andres trieb es heraus in den Wald, er

wollte sich von Trabacchios Tode überzeugen und den Leichnam gleich

verscharren; er weckte daher den alten Jäger, der in tiefen,

wahrscheinlich von Trabacchio bewirkten Schlaf gesunken, und beide

gingen mit Laterne, Hacke und Spaten an die nicht weit entlegene

Stelle. Da lag der blutige Trabacchio; aber sowie Andres sich näherte,

richtete er sich mit halbem Leibe auf, starrte ihn gräßlich an und

röchelte dumpf. »Mörder! Mörder des Vaters deines Weibes, aber meine

Teufel sollen dich quälen!« - »Fahre zur Hölle, du satanischer

Bösewicht«, schrie Andres, der dem Entsetzen, das ihn übermannen

wollte, widerstand; »fahre hin zur Hölle, du, der du den Tod

hundertfältig verdient hast, dem ich den Tod gab, weil er versuchten

Mord an meinem Kinde, an dem Kinde seiner Tochter verüben wollte!

Du hast nur Buße und Frömmigkeit geheuchelt um schändlichen Verrats

willen, aber nun bereitet der Satan manche Qual deiner Seele, die du

ihm verkauft.« Da sank Trabacchio heulend zurück und immer dumpfer und

dumpfer wimmernd gab er seinen Geist auf. Nun gruben die beiden Männer

ein tiefes Loch, in das sie Trabacchios Körper warfen. »Sein Blut

komme nicht über mich!« sprach Andres, »aber ich konnte nicht

anders, ich war dazu ausersehen von Gott, meinen Georg zu retten und

hundertfältige Frevel zu rächen. Doch will ich für seine Seele beten

und ein kleines Kreuz auf sein Grab stellen.« Als andern Tages Andres

dieses Vorhaben ausfahren wollte, fand er die Erde aufgewühlt, der

Leichnam war verschwunden. Ob das nun von wilden Tieren, oder wie

sonst bewirkt, blieb in Zweifel. Andres ging mit seinem Knaben und dem

alten Jäger zum Grafen von Vach, und berichtete treulich die ganze

Begebenheit. Der Graf von Vach billigte die Tat des Andres, der zur

Rettung seines Sohnes einen Räuber und Mörder niedergestreckt hatte

und ließ den ganzen Verlauf der Sache niederschreiben und im Archiv

des Schlosses aufbewahren.

 

Die schreckliche Begebenheit hatte den Andres tief im Innersten

erschüttert, und wohl mochte er sich deshalb, wenn die Nacht

eingebrochen, schlaflos auf dem Lager wälzen. Aber wenn er so zwischen

Wachen und Träumen hinbrütete, da hörte er es im Zimmer knistern und

rauschen, und ein roter Schein fuhr hindurch und verschwand wieder.

Sowie er anfing zu horchen und zu schauen, da murmelte es dumpf. »Nun

bist du Meister - du hast den Schatz - du hast den Schatz - gebeut

über die Kraft, sie ist dein!« - Dem Andres war es, als wolle ein

unbekanntes Gefühl ganz eigner Wohlbehaglichkeit und Lebenslust in

ihm aufgehen; aber sowie die Morgenröte durch die Fenster brach, da

ermannte sich Andres und betete, wie er es zu tun gewohnt, kräftig und

inbrünstig zu dem Herrn, der seine Seele erleuchtete. »Ich weiß was

nun noch meines Amts und Berufs ist, um den Versucher zu bannen und

die Sünde abzuwenden von meinem Hause!« - So sprach Andres, nahm

Trabacchios Kistchen und warf es, ohne es zu öffnen, in eine tiefe

Bergschlucht. Nun genoß Andres eines ruhigen heitern Alters, das keine

feindliche Macht zu zerstören vermochte.

 

 

 

Die Jesuiterkirche in G.

 

In eine elende Postchaise gepackt, die die Motten, wie die Ratten

Prosperos Fahrzeug, aus Instinkt verlassen hatten, hielt ich endlich,

nach halsbrechender Fahrt, halbgerädert, vor dem Wirtshause auf dem

Markte in G. Alles Unglück, das mir selbst begegnen können, war auf

meinen Wagen gefallen, der zerbrochen bei dem Postmeister der letzten

Station lag. Vier magere abgetriebene Pferde schleppten nach mehrern

Stunden endlich mit Hülfe mehrerer Bauern und meines Bedienten das

baufällige Reisehaus herbei; die Sachverständigen kamen, schüttelten

die Köpfe und meinten, daß eine Hauptreparatur nötig sei, die zwei,

auch wohl drei Tage dauern könne. Der Ort schien mir freundlich,

die Gegend anmutig und doch erschrak ich nicht wenig über den mir

gedrohten Aufenthalt. Warst du, günstiger Leser! jemals genötigt, in

einer kleinen Stadt, wo du niemanden - niemanden kanntest, wo du jedem

fremd bliebst, drei Tage zu verweilen, und hat nicht irgend ein tiefer

Schmerz den Drang nach gemütlicher Mitteilung in dir weggezehrt, so

wirst du mein Unbehagen mit mir fühlen. In dem Wort geht ja erst der

Geist des Lebens auf in allem um uns her; aber die Kleinstädter sind

wie ein in sich selbst verübtes, abgeschlossenes Orchester eingespielt

und eingesungen, nur ihre eignen Stücke gehen rein und richtig, jeder

Ton des Fremden dissoniert ihren Ohren und bringt sie augenblicklich

zum Schweigen. - Recht mißlaunig schritt ich in meinem Zimmer auf

und ab; da fiel mir plötzlich ein, daß ein Freund in der Heimat, der

ehemals ein paar Jahre hindurch in G. gewesen, oft von einem gelehrten

geistreichen Manne sprach, mit dem er damals viel umgegangen. Auch des

Namens erinnerte ich mich: es war der Professor im Jesuiter-Kollegio

Aloysius Walther. Ich beschloß hinzugehen und meines Freundes

Bekanntschaft für mich selbst zu nutzen. Man sagte mir im Kollegio,

daß Professor Walther zwar eben lese, aber in kurzer Zeit endigen

werde, und stellte mir frei, ob ich wiederkommen, oder in den

äußeren Sälen verweilen wolle. Ich wählte das letzte. Überall sind

die Klöster, die Kollegien, die Kirchen der Jesuiten in jenem

italienischen Stil gebaut, der auf antike Form und Manier gestützt,

die Anmut und Pracht dem heiligen Ernst, der religiösen Würde

vorzieht. So waren auch hier die hohen, luftigen, hellen Säle mit

reicher Architektur geschmückt, und sonderbar genug stachen gegen

Heiligenbilder, die hie und da an den Wänden zwischen ionischen Säulen

hingen, die Superporten ab, welche durchgehends Genientänze, oder gar

Früchte und Leckerbissen der Küche darstellten. - Der Professor trat

ein, ich erinnerte ihn an meinen Freund, und nahm auf die Zeit meines

gezwungenen Aufenthalts seine Gastlichkeit in Anspruch. Ganz, wie ihn

mein Freund beschrieben, fand ich den Professor; hellgesprächig -

weltgewandt - kurz, ganz in der Manier des höheren Geistlichen, der

wissenschaftlich ausgebildet, oft genug über das Brevier hinweg in das

Leben geschaut hat, um genau zu wissen, wie es darin hergeht. Als ich

sein Zimmer auch mit moderner Eleganz eingerichtet fand, kam ich auf

meine vorigen Bemerkungen in den Sälen zurück, die ich gegen den

Professor laut werden ließ. »Es ist wahr«, erwiderte er, »wir haben

jenen düstern Ernst, jene sonderbare Majestät des niederschmetternden

Tyrannen, die im gotischen Bau unsere Brust beklemmt, ja wohl ein

unheimliches Grauen erregt, aus unseren Gebäuden verbannt, und es ist

wohl verdienstlich, unsern Werken die regsame Heiterkeit der Alten

anzueignen.« - »Sollte aber«, erwiderte ich, »nicht eben jene heilige

Würde, jene hohe zum Himmel strebende Majestät des gotischen Baues

recht von dem wahren Geist des Christentums erzeugt sein, der,

übersinnlich, dem sinnlichen, nur in dem Kreis des Irdischen

bleibenden Geiste der antiken Welt geradezu widerstrebt?« - Der

Professor lächelte. »Ei«, sprach er, »das höhere Reich soll man

erkennen in dieser Welt und diese Erkenntnis darf geweckt werden

durch heitere Symbole, wie sie das Leben, ja der aus jenem Reich ins

irdische Leben herabgekommene Geist, darbietet. Unsere Heimat ist wohl

dort droben; aber solange wir hier hausen, ist unser Reich auch von

dieser Welt.« Jawohl, dachte ich: in allem was ihr tatet, bewieset

ihr, daß euer Reich von dieser Welt, ja nur allein von dieser Welt

ist. Ich sagte aber das, was ich dachte, keinesweges dem Professor

Aloysius Walther, welcher also fortfuhr: »Was Sie von der Pracht

unserer Gebäude hier am Orte sagen, möchte sich wohl nur auf die

Annehmlichkeit der Form beziehen. Hier, wo der Marmor unerschwinglich

ist, wo große Meister der Malerkunst nicht arbeiten mögen, hat man

sich, der neuern Tendenz gemäß, mit Surrogaten behelfen müssen. Wir

tun viel, wenn wir uns zum polierten Gips versteigen, mehrenteils

schafft nur der Maler die verschiedenen Marmorarten, wie es eben

jetzt in unserer Kirche geschieht, die, Dank sei es der Freigebigkeit

unserer Patronen, neu dekoriert wird.« Ich äußerte den Wunsch, die

Kirche zu sehen; der Professor führte mich hinab, und als ich in den

korinthischen Säulengang, der das Schiff der Kirche formte, eintrat,

fühlte ich wohl den nur zu freundlichen Eindruck der zierlichen

Verhältnisse. Dem Hochaltare links war ein hohes Gerüste errichtet,

auf dem ein Mann stand, der die Wände in Giallo antik übermalte. »Nun

wie geht es, Berthold?« rief der Professor hinauf Der Maler wandte

sich nach uns um, aber gleich fuhr er wieder fort zu arbeiten, indem

er mit dumpfer beinahe unvernehmbarer Stimme sprach: »Viel Plage -

krummes verworrenes Zeug - kein Lineal zu brauchen - Tiere - Affen -

Menschengesichter - Menschengesichter - o ich elender Tor!« Das letzte

rief er laut mit einer Stimme, die nur der tiefste im Innersten

wühlende Schmerz erzeugt; ich fühlte mich auf die seltsamste Weise

angeregt, jene Worte und der Ausdruck des Gesichts, der Blick, womit

er zuvor den Professor anschaute, brachten mir das ganze zerrissene

Leben eines unglücklichen Künstlers vor Augen. Der Mann mochte kaum

über vierzig Jahre alt sein; seine Gestalt, war sie auch durch

den unförmlichen schmutzigen Maleranzug entstellt, hatte was

unbeschreiblich Edles, und der tiefe Gram konnte nur das Gesicht

entfärben, das Feuer, was in den schwarzen Augen strahlte, aber nicht

auslöschen. Ich frug den Professor, was es mit dem Maler wohl für eine

Bewandtnis hätte. »Es ist ein fremder Künstler«, erwiderte er, »der

sich gerade zu der Zeit hier einfand, als die Reparatur der Kirche

beschlossen worden. Er unternahm die Arbeit, die wir ihm antrugen,

mit Freuden, und in der Tat war seine Ankunft ein Glücksfall für uns;

denn weder hier, noch in der Gegend weit umher hätten wir einen Maler

auftreiben können, der für alles, dessen es hier zu malen bedarf, so

tüchtig gewesen wäre. Übrigens ist es der gutmütigste Mensch von der

Welt, den wir alle recht lieben, und so kommt es denn, daß er in

unserm Kollegio gut aufgenommen wurde. Außer dem ansehnlichen Honorar,

das er für seine Arbeit erhält, verköstigen wir ihn; dies ist aber für

uns ein sehr geringer Aufwand, denn er ist beinahe zu mäßig, welches

freilich seinem kränklichen Körper zusagen mag.«

 

»Aber«, fiel ich ein, »er schien heute so mürrisch - so aufgeregt.«

- »Das hat seine besondere Ursache«, erwiderte der Professor, »doch

lassen Sie uns einige schöne Gemälde der Seiten-Altäre anschauen,

die vor einiger Zeit ein glücklicher Zufall uns verschaffte. Nur

ein einziges Original, ein Dominichino, ist dabei, die anderen

sind von unbekannten Meistern der italienischen Schule, aber, sind

Sie vorurteilsfrei, so werden Sie gestehen müssen, daß jedes den

berühmtesten Namen tragen dürfte.« Ich fand es ganz so, wie der

Professor gesagt hatte. Es war seltsam, daß das einzige Original

gerade zu den schwächern Stücken gehörte, war es nicht wirklich das

schwächste, und daß dagegen die Schönheit mancher Gemälde ohne Namen

mich unwiderstehlich hinriß. Über das Gemälde eines Altars war eine

Decke herabgelassen; ich frug nach der Ursache. »Dies Bild«, sprach

der Professor, »ist das schönste was wir besitzen, es ist das Werk

eines jungen Künstlers der neueren Zeit - gewiß sein letztes, denn

sein Flug ist gehemmt. - Wir mußten in diesen Tagen das Gemälde aus

gewissen Gründen verhängen lassen, doch bin ich vielleicht morgen,

oder übermorgen imstande, es Ihnen zu zeigen.« - Ich wollte weiter

fragen, indessen schritt der Professor rasch durch den Gang fort, und

das war genug, um seine Unlust zu zeigen, mir weiter zu antworten.

Wir gingen in das Kollegium zurück, und gern nahm ich des Professors

Einladung an, der mit mir nachmittags einen nahgelegenen Lustort

besuchen wollte. Spät kehrten wir heim, ein Gewitter war aufgestiegen,

und kaum langte ich in meiner Wohnung an, als der Regen herabströmte.

Es mochte wohl schon Mitternacht sein, da klärte sich der Himmel

auf, und nur noch entfernt murmelte der Donner. Durch die geöffneten

Fenster wehte die laue, mit Wohlgerüchen geschwängerte, Luft in das

dumpfe Zimmer, ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, unerachtet

ich müde genug war, noch einen Gang zu machen; es glückte mir, den

mürrischen Hausknecht, der schon seit zwei Stunden schnarchen mochte,

zu erwecken, und ihn zu bedeuten, daß es kein Wahnsinn sei, noch um

Mitternacht spazieren zu gehen, bald befand ich mich auf der Straße.

Als ich bei der Jesuiterkirche vorüberging, fiel mir das blendende

Licht auf, das durch ein Fenster strahlte. Die kleine Seitenpforte war

nur angelehnt, ich trat hinein und wurde gewahr, daß vor einer hohen

Blende eine Wachsfackel brannte. Näher gekommen bemerkte ich, daß vor

der Blende ein Netz von Bindfaden ausgespannt war, hinter dem eine

dunkle Gestalt eine Leiter hinauf und hinunter sprang, und in die

Blende etwas hineinzuzeichnen schien. Es war Berthold, der den

Schatten des Netzes mit schwarzer Farbe genau überzog. Neben der

Leiter auf einer hohen Staffelei stand die Zeichnung eines Altars. Ich

erstaunte über den sinnreichen Einfall. Bist du, günstiger Leser, mit

der edlen Malerkunst was weniges vertraut, so wirst du ohne weitere

Erklärung sogleich wissen, was es mit dem Netz, dessen Schattenstriche

Berthold in die Blende hineinzeichnete, für eine Bewandtnis hat.

Berthold sollte in die Blende einen hervorspringenden Altar malen.

Um die kleine Zeichnung richtig in das Große zu übertragen, mußte er

beides, den Entwurf und die Fläche, worauf der Entwurf ausgeführt

werden sollte, dem gewöhnlichen Verfahren gemäß mit einem Netz

überziehn. Nun war es aber keine Fläche, sondern eine halbrunde

Blende, worauf gemalt werden sollte; die Gleichung der Quadrate,

die die krummen Linien des Netzes auf der Höhlung bildeten, mit den

geraden des Entwurfs und die Berichtigung der architektonischen

Verhältnisse, die sich herausspringend darstellen sollten, war daher

nicht anders zu finden, als auf jene einfache geniale Weise. Wohl

hütete ich mich vor die Fackel zu treten und mich so durch meinen

Schlagschatten zu verraten, aber nahe genug zur Seite stand ich,

um den Maler genau zu beobachten. Er schien mir ganz ein anderer,

vielleicht war es nur Wirkung des Fackelscheins, aber sein Gesicht

war gerötet, seine Augen blitzten wie vor innerm Wohlbehagen, und

als er seine Linien fertig gezeichnet, stellte er sich mit in die

Seite gestemmten Händen vor die Blende hin, und pfiff, die Arbeit

beschauend, ein muntres Liedchen. Nun wandte er sich um und riß das

ausgespannte Netz herunter. Da fiel ihm meine Gestalt ins Auge, »he

da! he da!« rief er laut: »seid Ihr es Christian?« - Ich trat auf ihn

zu, erklärte ihm was mich in die Kirche gelockt, und, den sinnreichen

Einfall mit dem Schattennetz hochpreisend, gab ich mich als Kenner und

Ausüber der edlen Malerkunst zu erkennen. Ohne mir darauf weiter zu

antworten, sprach Berthold: »Christian ist auch weiter nichts, als ein

Faulenzer; treu wollte er aushalten bei mir die ganze Nacht hindurch,

und nun liegt er gewiß irgendwo auf dem Ohr! - Mein Werk muß

vorrücken, denn morgen malt sich's vielleicht hier in der Blende

teufelmäßig schlecht - und allein kann ich doch jetzt nichts machen.«

Ich erbot mich ihm behilflich zu sein. Er lachte laut auf, faßte mich

bei beiden Schultern und rief.- »Das ist ein exzellenter Spaß; was

wird Christian sagen, wenn er morgen merkt, daß er ein Esel ist, und

ich seiner gar nicht bedurft habe? Nun so kommt, fremder Geselle und

Bruder, helft mir erst fein bauen.« Er zündete einige Kerzen an, wir

liefen durch die Kirche, schleppten Böcke und Bretter herbei und bald

stand ein hohes Gerüst in der Blende.

 

»Nun frisch zugereicht«, rief Berthold, indem er heraufstieg. Ich

erstaunte über die Schnelligkeit, mit der Berthold die Zeichnung ins

Große übertrug; keck zog er seine Linien, niemals gefehlt, immer

richtig und rein. An dergleichen Dinge, in früherer Zeit gewöhnt, half

ich dem Maler treulich, indem ich, bald oben, bald unter ihm stehend,

die langen Lineale in die angedeuteten Punkte einsetzte und festhielt,

die Kohlen spitz schliff und ihm zureichte usw. »Ihr seid ja gar ein

wackerer Gehülfe«, rief Berthold ganz fröhlich, »und Ihr«, erwiderte

ich, »in der Tat einer der geübtesten Architektur-Maler, die es geben

mag; habt Ihr denn bei Eurer fertigen kecken Faust nie andere Malerei

getrieben als diese? - Verzeiht meine Frage.« - »Was meint ihr denn

eigentlich?« sprach Berthold, »Nun«, erwiderte ich, »ich meine, daß

Ihr zu etwas Besserem taugt, als Kirchenwände mit Marmorsäulen zu

bemalen. Architektur-Malerei bleibt doch immer etwas Untergeordnetes;

der Historien-Maler, der Landschafter steht unbedingt höher. Geist und

Fantasie, nicht in die engen Schranken geometrischer Linien gebannt,

erheben sich in freiem Fluge. Selbst das einzige Fantastische Eurer

Malerei, die sinnetäuschende Perspektive, hängt von genauer Berechnung

ab, und so ist die Wirkung das Erzeugnis, nicht des genialen

Gedankens, sondern nur mathematischer Spekulation.« Der Maler hatte,

während ich dies sprach, den Pinsel abgesetzt und den Kopf in die Hand

gestützt. »Unbekannter Freund«, fing er jetzt mit dumpfer feierlicher

Stimme an: »Unbekannter Freund, du frevelst, wenn du die verschiedenen

Zweige der Kunst in Rangordnung stellen willst, wie die Vasallen eines

stolzen Königs. Und noch größerer Frevel ist es, wenn du nur die

Verwegenen achtest, welche taub für das Klirren der Sklavenkette,

fühllos für den Druck des Irdischen, sich frei, ja selbst sich Gott

wähnen und schaffen und herrschen wollen über Licht und Leben. -

Kennst du die Fabel von dem Prometheus, der Schöpfer sein wollte, und

das Feuer vom Himmel stahl, um seine toten Figuren zu beleben? - Es

gelang ihm, lebendig schritten die Gestalten daher, und aus ihren

Augen strahlte jenes himmlische Feuer, das in ihrem Innern brannte;

aber rettungslos wurde der Frevler, der sich angemaßt Göttliches zu

fahen, verdammt zu ewiger fürchterlicher Qual. Die Brust, die das

Göttliche geahnt, in der die Sehnsucht nach dem Überirdischen

aufgegangen, zerfleischte der Geier, den die Rache geboren und der

sich nun nährte von dem eignen Innern des Vermessenen. Der das

Himmlische gewollt, fühlte ewig den irdischen Schmerz.« - Der Maler

stand in sich versunken da. »Aber«, rief ich: »Aber Berthold, wie

beziehen Sie das alles auf Ihre Kunst? Ich glaube nicht, daß irgend

jemand es für vermessenen Frevel halten kann, Menschen zu bilden, sei

es durch Malerei, oder Plastik.« Wie in bitterm Hohn lachte Berthold

auf. »Ha ha - Kinderspiel ist kein Frevel! - Kinderspiel ist's wie

sie's machen, die Leute, die getrost ihre Pinsel in die Farbentöpfe

stecken und eine Leinwand beschmieren, mit der wahrhaftigen Begier,

Menschen darzustellen; aber es kommt so heraus, als habe, wie es in

jenem Trauerspiele steht, irgend ein Handlanger der Natur versucht

Menschen zu bilden, und es sei ihm mißlungen. - Das sind keine

freveliche Sünder, das sind nur arme unschuldige Narren! Aber Herr! -

wenn man nach dem Höchsten strebt - nicht Fleischeslust, wie Tizian

- nein das Höchste der göttlichen Natur, der Prometheusfunken im

Menschen - Herr! - es ist eine Klippe - ein schmaler Strich, auf dem

man steht - der Abgrund ist offen! - über ihm schwebt der kühne Segler

und ein teuflischer Trug läßt ihn unten - unten _das_ erblicken, was er

oben über den Sternen erschauen wollte!« - Tief seufzte der Maler auf,

er fuhr mit der Hand über die Stirn, und blickte dann in die Höhe.

»Aber was schwatze ich mit Euch, Geselle, da drunten für tolles Zeug,

und male nicht weiter? - Schaut her Geselle, das nenne ich treu und

ehrlich gezeichnet. Wie herrlich ist die Regel! - alle Linien einen

sich zum bestimmten Zweck, zu bestimmter deutlich gedachter Wirkung.

Nur das Gemessene ist rein menschlich; was drüber geht, vom Übel. Das

Übermenschliche muß Gott, oder Teufel sein; sollten beide nicht in der

Mathematik von Menschen übertroffen werden? Sollt es nicht denkbar

sein, daß Gott uns ausdrücklich erschaffen hätte, um das, was nach

gemessenen erkennbaren Regeln darzustellen ist, kurz, das rein

Kommensurable, zu besorgen für seinen Hausbedarf, so wie wir

unsrerseits wieder Sägemühlen und Spinnmaschinen bauen, als

mechanische Werkmeister unseres Bedarfs. Professor Walther behauptete

neulich, daß gewisse Tiere bloß erschaffen wären, um von andern

gefressen zu werden, und das käme doch am Ende zu unserm Nutzen

heraus, so wie z.B. die Katzen den angebornen Instinkt hätten, Mäuse

zu fressen, damit diese uns nicht den Zucker, der zum Frühstück bereit

läge, wegknappern sollten. Am Ende hat der Professor recht - Tiere

und wir selbst sind gut eingerichtete Maschinen, um gewisse Stoffe zu

verarbeiten, und zu verknoten für den Tisch des unbekannten Königs.

- Nun frisch - frisch, Geselle - reiche mir die Töpfe! - Alle Töne

hab ich gestern beim lieben Sonnenlicht abgestimmt, damit mich der

Fackelschein nicht trüge, sie stehn numeriert im Winkel. Reich mir

Numero eins, mein Junge! - Grau in Grau! - Und was wäre das trockne

mühselige Leben, wenn der Herr des Himmels uns nicht so manches bunte

Spielzeug in die Hände gegeben hätte! - Wer artig ist, trachtet nicht,

wie der neugierige Bube, den Kasten zu zerbrechen, in dem es orgelt,

wenn er die äußere Schraube dreht. - Man sagt, es ist ganz natürlich,

daß es drinnen klingt; denn ich drehe ja die Schraube! - Indem ich

dies Gebälk richtig aus dem Augenpunkt aufgezeichnet, weiß ich

bestimmt, daß es sich dem Beschauer plastisch darstellt - Numero

zwei heraufgereicht, Junge! - Nun male ich es aus in den regelrecht

abgestimmten Farben - es erscheint vier Ellen zurücktretend. Das weiß

ich alles gewiß; oh! man ist erstaunlich klug - wie kommt es, daß die

Gegenstände in der Ferne sich verkleinern? Die einzige dumme Frage

eines Chinesen könnte selbst den Professor Eytelwein in Verlegenheit

setzen; doch könnte er sich mit dem orgelnden Kasten helfen und

sprechen, er habe manchmal an der Schraube gedreht, und immer dieselbe

Wirkung erfahren - Violett Numero eins, Junge! - ein anderes Lineal

- dicken ausgewaschenen Pinsel! Ach, was ist all unser Ringen und

Streben nach dem Höheren anders, als das unbeholfene bewußtlose

Hantieren des Säuglings, der die Amme verletzt, die ihn wohltätig

nährt! - Violett Numero zwei - frisch Junge! - das Ideal ist ein

schnöder lügnerischer Traum vom gärenden Blute erzeugt. - Die Töpfe

weg, Junge - ich steige herab. - Der Teufel narrt uns mit Puppen,

denen er Engelsfittige angeleimt.« - Nicht möglich ist es mir, alles

das wörtlich zu wiederholen, was Berthold sprach, indem er rasch

fortmalte, und mich ganz wie seinen Handlanger brauchte. In der

angegebenen Manier fuhr er fort, die Beschränktheit alles irdischen

Beginnens auf das bitterste zu verhöhnen; ach er schaute in die

Tiefe eines auf den Tod verwundeten Gemüts, dessen Klage sich nur in

schneidender Ironie erhebt. Der Morgen dämmerte, der Schein der Fackel

verblaßte vor den hereinbrechenden Sonnenstrahlen. Berthold malte

eifrig fort, aber er wurde stiller und stiller und nur einzelne Laute

- zuletzt nur Seufzer, entflohen der gepreßten Brust. Er hatte den

ganzen Altar mit gehöriger Farbenabstufung angelegt, und schon jetzt,

ohne weiter ausgeführt zu sein, sprang das Gemälde wunderbar hervor.

»In der Tat herrlich - ganz herrlich«, rief ich voll Bewunderung aus.

»Meinen Sie«, sprach Berthold mit matter Stimme: »Meinen Sie, daß

etwas daraus werden wird? - Ich gab mir wenigstens alle Mühe richtig

zu zeichnen; aber nun kann ich nicht mehr.« - »Keinen Pinselstrich

weiter, lieber Berthold!« sprach ich: »es ist beinahe unglaublich,

wie Sie mit einem solchen Werk in wenigen Stunden so weit vorrücken

konnten; aber Sie greifen sich zu sehr an, und verschwenden

Ihre Kraft.« - »Und doch«, erwiderte Berthold, »sind das meine

glücklichsten Stunden. - Vielleicht schwatzte ich zu viel, aber es

sind ja nur Worte, in die sich der das Innere zerreißende Schmerz

auflöst.« - »Sie scheinen sich sehr unglücklich zu fühlen, mein armer

Freund«, sprach ich: »irgend ein furchtbares Ereignis trat feindlich

zerstörend in Ihr Leben!« - Der Maler trug langsam seine Gerätschaften

in die Kapelle, löschte die Fackel aus, kam dann auf mich zu, faßte

meine Hand und sprach mit gebrochener Stimme: »Könnten Sie einen

Augenblick Ihres Lebens ruhigen, heitern Geistes sein, wenn Sie sich

eines gräßlichen, nie zu sühnenden Verbrechens bewußt wären?« -

Erstarrt blieb ich stehen. Die hellen Sonnenstrahlen fielen in

des Malers leichenblasses zerstörtes Gesicht, und er war beinahe

gespenstisch anzusehen, als er fortwankte durch die kleine Pforte in

das Innere des Kollegiums.

 

Kaum erwarten konnte ich am folgenden Tage die Stunde, die mir

Professor Walther zum Wiedersehen bestimmt hatte. Ich erzählte ihm

den ganzen Auftritt der vorigen Nacht, der mich nicht wenig aufgeregt

hatte; ich schilderte mit den lebendigsten Farben des Malers

wunderliches Benehmen, und verschwieg kein Wort, das er gesprochen,

selbst das nicht, was ihn selbst betroffen. Je mehr ich aber auf des

Professors Teilnahme hoffte, desto gleichgültiger schien er mir, ja er

lächelte selbst über mich auf eine höchst widrige Weise, als ich nicht

nachließ, von Berthold zu reden und in ihn zu dringen, mir ja alles,

was er von dem Unglücklichen wüßte, zu sagen. »Es ist ein wunderlicher

Mensch, dieser Maler«, fing der Professor an: »sanft - gutmütig -

arbeitsam - nüchtern, wie ich Ihnen schon früher sagte, aber schwachen

Verstandes; denn sonst hätte er sich nicht durch irgend ein Ereignis

im Leben, sei es selbst ein Verbrechen, das er beging, herabstimmen

lassen vom herrlichen Historienmaler zum dürftigen Wandpinsler.

« Der Ausdruck Wandpinsler ärgerte mich so wie des Professors

Gleichgültigkeit überhaupt. Ich suchte ihm darzutun, daß noch jetzt

Berthold ein höchst achtungswerten Künstler, und der höchsten regsamen

Teilnahme wert sei. »Nun«, fing der Professor endlich an: »wenn Sie

einmal unser Berthold in solch hohem Grade interessiert, so sollen

Sie alles, was ich von ihm weiß, und das ist nicht wenig, ganz genau

erfahren. Zur Einleitung dessen, lassen Sie uns gleich in die Kirche

gehen! Da Berthold die ganze Nacht hindurch mit Anstrengung gearbeitet

hat, wird er heute vormittags rasten. Wenn wir ihn in der Kirche

fänden, wäre mein Zweck verfehlt.« Wir gingen nach der Kirche, der

Professor ließ das Tuch von dem verhängten Gemälde herunternehmen und

in zauberischem Glanze ging vor mir ein Gemälde auf, wie ich es nie

gesehen. Die Komposition war wie Raffaels Stil, einfach und himmlisch

erhaben! - Maria und Elisabeth in einem schönen Garten auf einem

Rasen sitzend, vor ihnen die Kinder Johannes und Christus mit Blumen

spielend, im Hintergrunde seitwärts eine betende männliche Figur! -

Marias holdes himmlisches Gesicht, die Hoheit und Frömmigkeit ihrer

ganzen Figur erfüllten mich mit Staunen und tiefer Bewunderung. Sie

war schön, schöner als je ein Weib auf Erden, aber so wie Raffaels

Maria in der Dresdner Galerie verkündete ihr Blick die höhere Macht

der Gottes-Mutter. Ach! mußte vor diesen wunderbaren, von tiefem

Schatten umflossenen Augen nicht in des Menschen Brust die

ewigdürstende Sehnsucht aufgehen? Sprachen die weichen halbgeöffneten

Lippen nicht tröstend, wie in holden Engels-Melodien, von der

unendlichen Seligkeit des Himmels? - Nieder mich zu werfen in den

Staub vor ihr, der Himmels-Königin, trieb mich ein unbeschreibliches

Gefühl - keines Wortes mächtig konnte ich den Blick nicht abwenden

von dem Bilde ohnegleichen. Nur Maria und die Kinder waren ganz

ausgeführt, an der Figur Elisabeths schien die letzte Hand zu fehlen,

und der betende Mann war noch nicht übermalt. Näher getreten erkannte

ich in dem Gesicht dieses Mannes Bertholds Züge. Ich ahnte, was mir

der Professor gleich darauf sagte: »Dieses Bild«, sprach er, »ist

Bertholds letzte Arbeit, das wir vor mehreren Jahren aus N. in

Oberschlesien, wo es von einem unserer Kollegen in einer Versteigerung

gekauft wurde, erhielten. Unerachtet es nicht vollendet ist, ließen

wir es doch statt des elenden Altarblatts, das sonst hier stand,

einfügen. Als Berthold angekommen war und dies Gemälde erblickte,

schrie er laut auf und stürzte bewußtlos zu Boden. Nachher vermied

er sorgfältig, es anzublicken und vertraute mir, daß es seine

letzte Arbeit in diesem Fache sei. Ich hoffte ihn nach und nach zur

Vollendung des Bildes zu überreden, aber mit Entsetzen und Abscheu

wies er jeden Antrag der Art zurück. Um ihn nur einigermaßen heiter

und kräftig zu erhalten, mußte ich das Bild verhängen lassen, solange

er in der Kirche arbeitet. Fiel es ihm nur von ungefähr ins Auge, so

lief er wie von unwiderstehlicher Macht getrieben hin, warf sich laut

schluchzend nieder, bekam seinen Paroxysmus, und war auf mehrere Tage

unbrauchbar.« - »Armer - armer unglücklicher Mann!« rief ich aus,

»welch eine Teufelsfaust griff so grimmig zerstörend in dein

Leben.«-»Oh!« sprach der Professor: »die Hand samt dem Arm ist ihm an

den Leib gewachsen - ja ja! - er selbst war gewiß sein eigner Dämon -

sein Luzifer, der in sein Leben mit der Höllenfackel hineinleuchtete.

Wenigstens geht das aus seinem Leben sehr deutlich hervor.« Ich bat

den Professor, mir doch nur jetzt gleich alles zu sagen, was er über

des unglücklichen Malers Leben wüßte. »Das würde viel zu weitläufig

sein, und viel zu viel Atem kosten«, erwiderte der Professor.

»Verderben wir uns den heitern Tag nicht mit dem trüben Zeuge! Lassen

Sie uns frühstücken, und dann nach der Mühle gehen, wo uns ein tüchtig

zubereitetes Mittagsmahl erwartet.« Ich hörte nicht auf, in den

Professor zu dringen, und nach vielem Hin- und Herreden kam es endlich

heraus, daß gleich nach der Ankunft Bertholds sich ein Jüngling, der

auf dem Kollegio studierte, mit voller Liebe an ihn anschloß, daß

diesem Berthold nach und nach die Begebenheiten seines Lebens

vertraute, die der junge Mann sorglich aufschrieb und dem Professor

Walther das Manuskript übergab. »Es war«, sprach der Professor: »solch

ein Enthusiast, wie Sie, mein Herr, mit Ihrer Erlaubnis! Aber das

Aufschreiben der wunderlichen Begebenheiten des Malers diente ihm in

der Tat zur trefflichen Stilübung.« Mit vieler Mühe erhielt ich von

dem Professor das Versprechen, daß er mir abends nach geendeter

Lustpartie das Manuskript anvertrauen wolle. Sei es, daß es die

gespannte Neugierde war, oder war der Professor wirklich selbst daran

schuld, kurz, niemals hab ich mehr Langeweile empfunden, als _den_ Tag.

Schon die Eiskälte des Professors rücksichts Bertholds war mir fatal;

aber seine Gespräche, die er mit den Kollegen, die an dem Mahl

teilnahmen, führte, überzeugten mich, daß, trotz aller Gelehrsamkeit,

aller Weltgewandtheit, sein Sinn fürs Höhere gänzlich verschlossen,

und er der krasseste Materialist war, den es geben konnte. Das System

von dem Fressen und Gefressenwerden, wie es Berthold anführte,

hatte er wirklich adoptiert. Alles geistige Streben, Erfindungs-,

Schöpfungskraft leitete er aus gewissen Konjunkturen der Eingeweide

und des Magens her, und dabei kramte er noch mehr närrische abnorme

Einfälle aus. Er behauptete z.B. sehr ernsthaft, daß jeder Gedanke

durch die Begattung zweier Fäserchen im menschlichen Gehirne erzeugt

würde. Ich begriff, auf welche Weise der Professor mit solchen tollen

Dingen den armen Berthold, der in verzweifelter Ironie alle günstige

Einwirkung des Höheren anfocht, quälen, und in die noch blutenden

Wunden spitze Dolche einsetzen mußte. Endlich am Abend gab mir der

Professor ein paar beschriebene Bogen mit den Worten: »Hier, lieber

Enthusiast, ist das Studenten-Machwerk. Es ist nicht übel geschrieben,

aber höchst sonderbar und wider alle Regel rückt der Herr Verfasser,

ohne es weiter anzudeuten, Reden des Malers wörtlich in der ersten

Person ein. Übrigens mache ich Ihnen mit dem Aufsatz, über den ich

von Amtswegen verfügen kann, ein Geschenk, da ich weiß, daß Sie kein

Schriftsteller sind. Der Verfasser der Fantasiestücke in Callots

Manier hätte es eben nach seiner tollen Manier arg zugeschnitten und

gleich drucken lassen, welches ich nicht von Ihnen zu erwarten habe.«

 

Der Professor Aloysius Walther wußte nicht, daß er wirklich

den reisenden Enthusiasten vor sich hatte, wiewohl er es hätte

merken können, und so gebe ich dir, mein günstiger Leser! des

Jesuiten-Studenten kurze Erzählung von dem Maler Berthold. Die Weise,

wie er sich mir zeigte, wird dadurch ganz erklärt, und du, o mein

Leser! wirst dann auch gewahren, wie des Schicksals wunderliches Spiel

uns oft zu verderblichem Irrtum treibt.

 

 

»Laßt euern Sohn nur getrost nach Italien reisen! Schon jetzt ist

er ein wackrer Künstler, und es fehlt ihm hier in D. keinesweges an

Gelegenheit, nach den trefflichsten Originalen jeder Art zu studieren,

aber dennoch darf er nicht hier bleiben. Das freie Künstlerleben muß

ihm in dem heitern Kunstlande aufgehen, sein Studium wird dort sich

erst lebendig gestalten, und den eignen Gedanken erzeugen. Das

Kopieren allein hilft ihm nun nichts mehr. Mehr Sonne muß die

aufsprießende Pflanze erhalten, um zu gedeihen und Blüt und Frucht zu

tragen. Euer Sohn hat ein reines wahrhaftiges Künstlergemüt, darum

seid um alles übrige unbesorgt!« So sprach der alte Maler Stephan

Birkner zu Bertholds Eltern. _Die_ rafften alles zusammen was ihr

dürftiger Haushalt entbehren konnte, und statteten den Jüngling aus

zur langen Reise. So ward Bertholds heißester Wunsch, nach Italien zu

gehen, erfüllt.

 

»Als mir Birkner den Entschluß meiner Eltern verkündete, sprang ich

hoch auf vor Freude und Entzücken. - Wie im Traum ging ich umher die

Tage hindurch, bis zu meiner Abreise. Es war mir nicht möglich, auf

der Galerie einen Pinsel anzusetzen. Der Inspektor, alle Künstler, die

in Italien gewesen, mußten mir erzählen von dem Lande, wo die Kunst

gedeiht. Endlich war Tag und Stunde gekommen. Schmerzlich war der

Abschied von den Eltern, die von düstrer Ahnung gequält, daß sie mich

nicht wiedersehen würden, mich nicht lassen wollten. Selbst der Vater,

sonst ein entschlossener fester Mann, hatte Mühe, Fassung zu erringen.

>Italien - Italien wirst du sehen<, riefen die Kunstbrüder, da loderte

von tiefer Wehmut nur stärker entzündet das Verlangen auf und rasch

schritt ich fort - vor der Eltern Hause schien mir die Bahn des

Künstlers zu beginnen.«

 

Berthold, in jedem Fache der Malerei vorbereitet, hatte sich doch

vorzüglich der Landschaftsmalerei ergeben, die er mit Liebe und Eifer

trieb. In Rom glaubte er reiche Nahrung für diesen Zweig der Kunst

zu finden; es war dem nicht so. Gerade in dem Kreis der Künstler

und Kunstfreunde, in dem er sich bewegte, wurde ihm unaufhörlich

vorgeredet, daß der Historienmaler allein auf der höchsten Spitze

stehe, und ihm alles übrige untergeordnet sei. Man riet ihm, wolle

er ein bedeutender Künstler werden, doch nur gleich von seinem Fach

abzugehen und sich dem Höheren zuzuwenden, und, dies, verbunden mit

dem nie sonst gefehlten Eindruck, den Raffaels mächtige Fresko-Gemälde

im Vatikan auf ihn machten, bestimmte ihn wirklich, die Landschaft

zu verlassen. Er zeichnete nach jenen Raffaels, er kopierte kleine

Ölgemälde anderer berühmter Meister; alles fiel bei seiner tüchtigen

Praktik recht wohl und schicklich aus, aber nur zu sehr fühlte er, daß

das Lob der Künstler und Kenner ihn nur trösten, aufmuntern sollte. Er

sah es ja selbst, daß seinen Zeichnungen, seinen Kopien alles Leben

des Originals fehle. Raffaels, Correggios himmlische Gedanken

begeisterten (so glaubte er) zum eignen Schaffen, aber sowie er sie

in der Fantasie festhalten wollte, verschwammen sie wie im Nebel, und

alles, was er auswendig zeichnete, hatte, wie jedes nur undeutlich,

verworren Gedachte, kein Regen, keine Bedeutung. Über dieses

vergebliche Ringen und Streben schlich trüber Unmut in seine Seele,

und oft entrann er den Freunden, um in der Gegend von Rom Baumgruppen

- einzelne landschaftliche Partien heimlich zu zeichnen und zu

malen. Aber auch dies geriet nicht mehr wie sonst, und zum erstenmal

zweifelte er an seinem wahren Künstlerberuf. Die schönsten Hoffnungen

schienen untergehn zu wollen. »Ach mein hochverehrter Freund und

Lehrer«, schrieb Berthold an Birkner, »Du hast mir Großes zugetraut,

aber - hier, wo es erst recht licht werden sollte in meiner Seele, bin

ich inne worden, daß das, was Du wahrhaftes Künstlergenie nanntest,

nur etwa Talent - äußere Fertigkeit der Hand war. Sage meinen Eltern,

daß ich bald zurückkehren würde, um irgend ein Handwerk zu erlernen,

das mich künftig ernähre usw.« Birkner schrieb zurück: »Oh, könnte ich

doch bei Dir sein, mein Sohn! um Dich aufzurichten in Deinem Unmut.

Aber glaube mir, Deine Zweifel sind es gerade, die für Dich, für

Deinen Künstlerberuf sprechen. Der, welcher in stetem unwandelbaren

Vertrauen auf seine Kraft immer fortzuschreiten gedenkt, ist ein

blöder Tor, der sich selbst täuscht; denn ihm fehlt ja der eigentliche

Impuls zum Streben, der nur in dem Gedanken der Mangelhaftigkeit ruht.

Harre aus! - Bald wirst Du Dich erkräftigen, und dann ruhig, nicht

durch das Urteil, durch den Rat der Freunde, die Dich zu verstehen

vielleicht gar nicht imstande, gezügelt, _den_ Weg fortwandeln, den Dir

Deines Ichs eigne Natur vorgeschrieben. Ob Du Landschafter bleiben,

ob Du Historienmaler werden willst, wirst Du dann selbst entscheiden

können, und an keine feindliche Absonderung der Zweige eines Stammes

denken.«

 

Es begab sich, daß gerade zu der Zeit, als Berthold diesen tröstenden

Brief von seinem alten Lehrer und Freunde erhielt, sich Philipp

Hackerts Ruhm in Rom verbreitet hatte. Einige von ihm dort

aufgestellte Stücke von wunderbarer Anmut und Klarheit bewährten des

Künstlers Ruf und selbst die Historienmaler gestanden, es läge auch

in dieser reinen Nachahmung der Natur viel Großes und Vortreffliches.

Berthold schöpfte Atem - er hörte nicht mehr seine Lieblingskunst

verhöhnen, er sah einen Mann, der sie trieb, hochgestellt und verehrt;

wie ein Funke fiel es in seine Seele, daß er nach Neapel wandern und

unter Hackert studieren müsse. Ganz jubilierend schrieb er an Birkner

und an seine Eltern, daß er nun nach hartem Kampf den rechten Weg

gefunden habe, und bald in seinem Fach ein tüchtiger Künstler zu

werden hoffe. Freundlich nahm der ehrliche deutsche Hackert den

deutschen Schüler auf, und bald strebte dieser dem Lehrer in regem

Schwunge nach. Berthold erlangte große Fertigkeit, die verschiedenen

Baum- und Gesträucharten der Natur getreu darzustellen; auch

leistete er nicht Geringes in dem Dunstigen und Duftigen, wie es auf

Hackertschen Gemälden zu finden. Das erwarb ihm vieles Lob, aber auf

ganz eigene Weise schien es ihm bisweilen, als wenn seinen, ja selbst

den Landschaften des Lehrers etwas fehle, das er nicht zu nennen

wußte, und das ihm doch in Gemälden Claude Lorrains, ja selbst in

Salvator Rosas rauhen Wüsteneien entgegentrat. Es erhoben sich

allerlei Zweifel gegen den Lehrer in ihm, und er wurde vorzüglich ganz

unmutig, wenn Hackert mit angestrengter Mühe totes Wild malte, das

ihm der König zugeschickt. Doch überwand er bald dergleichen, wie er

glaubte, freveliche Gedanken und fuhrt fort, mit frommer Hingebung

und deutschem Fleiß nach seines Lehrers Muster zu arbeiten, so daß er

in kurzer Zeit es ihm beinahe gleichtat. So kam es denn, daß er auf

Hackerts ausdrücklichen Anlaß eine große Landschaft, die er treu nach

der Natur gemalt hatte, zu einer Ausstellung, die mehrenteils aus

Hackertschen Landschaften und Stilleben bestand, hergeben mußte. Alle

Künstler und Kenner bewunderten des Jünglings treue saubre Arbeit und

priesen ihn laut. Nur ein ältlicher, sonderbar gekleideter Mann sagte

selbst zu Hackerts Gemälden kein Wort, sondern lächelte nur bedeutsam,

wenn die Lobeserhebungen der Menge recht ausgelassen und toll

daherbrausten. Berthold bemerkte deutlich, wie der Fremde, als er

vor seiner Landschaft stand, mit einer Miene des tiefsten Bedauerns

den Kopf schüttelte und dann sich entfernen wollte. Berthold etwas

aufgebläht durch das allgemeine Lob, das ihm zuteil geworden, konnte

sich des innern Ärgers über den Fremden nicht erwehren. Er trat auf

ihn zu und frug, indem er die Worte schärfer betonte, als gerade

nötig. »Ihr scheint mit dem Bilde nicht zufrieden, mein Herr,

unerachtet es doch wackre Künstler und Kenner nicht ganz übel finden

wollen? Sagt mir gefälligst, woran es liegt, damit ich die Fehler nach

Euerm gütigen Rat abändere und bessere.« Mit scharfem Blicke schaute

der Fremde Berthold an, und sprach sehr ernst: »Jüngling, aus dir

hätte viel werden können.« Berthold erschrak bis ins Innerste vor des

Mannes Blick und seinen Worten; er hatte nicht den Mut, etwas weiter

zu sagen, oder ihm zu folgen, als er langsam zum Saale hinausschritt.

Hackert trat bald darauf selbst hinein, und Berthold eilte, ihm den

Vorfall mit dem wunderlichen Mann zu erzählen. »Ach!« rief Hackert

lachend: »Laß dir das ja nicht zu Herzen gehen! Das war ja unser

brummige Alte, dem nichts recht ist, der alles tadelt; ich begegnete

ihm auf dem Vorsaal. Er ist auf Malta von griechischen Eltern geboren,

ein reicher wunderlicher Kauz, gar kein übler Maler; aber alles was er

macht, hat ein fantastisches Ansehen, welches wohl daher rührt, weil

er über jede Darstellung durch die Kunst ganz tolle absurde Meinungen

und sich ein künstlerisches System gebaut hat, das den Teufel nichts

taugt. Ich weiß recht gut, daß er gar nichts auf mich hält, welches

ich ihm gern verzeihe, da er mir wohlerworbnen Ruhm nicht streitig

machen wird.« Dem Berthold war es zwar, als habe der Malteser irgend

einen wunden Fleck seines Innersten schmerzhaft berührt, aber so wie

der wohltätige Wundarzt, um zu forschen und zu heilen; indessen schlug

er sich das bald aus dem Sinn und arbeitete fröhlich fort, wie zuvor.

 

Das große, wohlgelungene, allgemein bewunderte Bild hatte ihm Mut

gemacht, das Gegenstück zu beginnen. Einen der schönsten Punkte in

Neapels reicher Umgebung wählte Hackert selbst aus, und so wie jenes

Bild den Sonnenuntergang darstellte, sollte diese Landschaft im

Sonnenaufgang gehalten werden. Berthold bekam viel fremde Bäume, viele

Weinberge, vorzüglich aber viel Nebel und Duft zu malen.

 

Auf der Platte eines großen Steins, eben in jenem von Hackert

gewählten Punkte, saß Berthold eines Tages, den Entwurf des großen

Bildes nach der Natur vollendend. »Wohl getroffen in der Tat!« sprach

es neben ihm. Berthold blickte auf, der Malteser sah in sein Blatt

hinein, und fügte mit sarkastischem Lächeln hinzu: »Nur eins habt Ihr

vergessen, lieber junger Freund! Schaut doch dort herüber nach der

grün berankten Mauer des fernen Weinbergs! Die Türe steht halb

offen; das müßt Ihr ja anbringen mit gehörigem Schlagschatten - die

halbgeöffnete Türe macht erstaunliche Wirkung!« - »Ihr spottet«,

erwiderte Berthold, »ohne Ursache, mein Herr! Solche Zufälligkeiten

sind keinesweges so verächtlich wie Ihr glaubt und deshalb mag sie

mein Meister wohl anbringen. Erinnert Euch doch nur des aufgehängten

weißen Tuchs in der Landschaft eines alten niederländischen Malers,

das nicht fehlen darf, ohne die Wirkung zu verderben. Aber Ihr scheint

überhaupt kein Freund der Landschaftsmalerei, der ich mich nun einmal

ganz ergeben habe mit Leib und Seele, und darum bitt ich Euch, laßt

mich ruhig fortarbeiten.« - »Du bist in großem Irrtum befangen,

Jüngling«, sprach der Malteser. »Noch einmal sage ich, aus dir hätte

viel werden können; denn sichtlich zeugen deine Werke das rastlose

Bestreben nach dem Höheren, aber nimmer wirst du dein Ziel erreichen,

denn der Weg, den du eingeschlagen, führt nicht dahin. Merk wohl auf,

was ich dir sagen werde! Vielleicht glückt es mir, die Flamme in

deinem Innern, die du, Unverständiger! zu überbauen trachtest,

anzumachen, daß sie hell auflodert und dich erleuchtet; dann wirst du

den wahren Geist, der in dir lebt, zu erschauen vermögen. Hältst du

mich denn für so töricht, daß ich die Landschaft dem historischen

Gemälde unterordne, daß ich nicht das gleiche Ziel, nach dem beide,

Landschafter und Historienmaler, streben sollen, erkenne? - Auffassung

der Natur in der tiefsten Bedeutung des höhern Sinns, der alle Wesen

zum höheren Leben entzündet, das ist der heilige Zweck aller Kunst.

Kann denn das bloße genaue Abschreiben der Natur jemals dahin

führen? - Wie ärmlich, wie steif und gezwungen sieht die nachgemalte

Handschrift in einer fremden Sprache aus, die der Abschreiber nicht

verstand und daher den Sinn der Züge, die er mühsam abschnörkelte,

nicht zu deuten wußte. So sind die Landschaften deines Meisters

korrekte Abschriften eines in ihm fremder Sprache geschriebenen

Originals. - Der Geweihte vernimmt die Stimme der Natur, die in

wunderbaren Lauten aus Baum, Gebüsch, Blume, Berg und Gewässer von

unerforschlichem Geheimnis spricht, die in seiner Brust sich zu

frommer Ahnung gestalten; dann kommt, wie der Geist Gottes selbst, die

Gabe über ihn, diese Ahnung sichtlich in seine Werke zu übertragen.

Ist dir, Jüngling! denn bei dem Beschauen der Landschaften alter

Meister nicht ganz wunderbarlich zumute geworden? Gewiß hast du nicht

daran gedacht, daß die Blätter des Lindenbaums, daß die Pinien, die

Platanen der Natur getreuer, daß der Hintergrund duftiger, das Wasser

klarer sein könnte; aber der Geist, der aus dem Ganzen wehte, hob dich

empor in ein höheres Reich, dessen Abglanz du zu schauen wähntest.

- Daher studiere die Natur zwar auch im Mechanischen fleißig und

sorgfältig, damit du die Praktik des Darstellens erlangen mögest, aber

halte die Praktik nicht für die Kunst selbst. Bist du eingedrungen in

den tiefern Sinn der Natur, so werden selbst in deinem Innern ihre

Bilder in hoher glänzender Pracht aufgehen.« - Der Malteser schwieg;

als aber Berthold tief ergriffen, gebückten Hauptes, keines Wortes

mächtig dastand, verließ ihn der Malteser mit den Worten: »Ich habe

dich durchaus nicht verwirren wollen in deinem Beruf; aber ich weiß,

daß ein hoher Geist in dir schlummert: ich rief ihn an mit starken

Worten, damit er erwache und frisch und frei seine Fittige rege. Lebe

wohl!«

 

Dem Berthold war es so, als habe der Malteser nur dem, was in seiner

Seele gärte und brauste, Worte gegeben; die innere Stimme brach

hervor. - »Nein! Alles dieses Streben - dieses Mühen ist das

ungewisse, trügerische Umhertappen des Blinden, weg - weg mit allem,

was mich geblendet bis jetzt!« - Er war nicht imstande auch nur einen

Strich weiter an dem Bilde zu zeichnen. Er verließ seinen Meister,

und streifte voll wilder Unruhe umher und flehte laut, daß die höhere

Erkenntnis, von der der Malteser gesprochen, ihm aufgehen möge.

 

»Nur in süßen Träumen war ich glücklich - selig. Da wurde alles wahr,

was der Malteser gesprochen. Ich lag von zauberischen Düften umspielt

im grünen Gebüsch, und die Stimme der Natur ging vernehmbar im

melodisch klingenden Wehen durch den dunklen Wald. - >Horch - horch

auf - Geweihter! Vernimm die Urtöne der Schöpfung, die sich gestalten

zu Wesen deinem Sinn empfänglich.< - Und indem ich die Akkorde

deutlicher und deutlicher erklingen hörte, war es, als sei ein neuer

Sinn in mir erwacht, der mit wunderbarer Klarheit das erfaßte, was mir

unerforschlich geschienen. - Wie in seltsamen Hieroglyphen zeichnete

ich das mir aufgeschlossene Geheimnis mit Flammenzügen in die Lüfte;

aber die Hieroglyphen-Schrift war eine wunderherrliche Landschaft, auf

der Baum, Gebüsch, Blume, Berg und Gewässer, wie in lautem wonnigem

Klingen sich regten und bewegten.«

 

Doch eben nur im Traume kam solche Seligkeit über den armen Berthold,

dessen Kraft gebrochen, und der im Innersten verwirrter war, als in

Rom, da er Historienmaler werden wollte. Schritt er durch den dunklen

Wald, so überfiel ihn ein unheimliches Grauen; trat er heraus, und

schaute in die fernen Berge, so griff es wie mit eiskalten Krallen

in seine Brust - sein Atem stockte - er wollte vergehen vor innerer

Angst. Die ganze Natur, ihm sonst freundlich lächelnd, ward ihm zum

bedrohlichen Ungeheuer, und ihre Stimme, die sonst in des Abendwindes

Säuseln, in dem Plätschern des Baches, in dem Rauschen des Gebüsches

mit süßem Wort ihn begrüßt, verkündete ihm nun Untergang und

Verderben. Endlich wurde er, je mehr ihn jene holden Träume trösteten,

desto ruhiger, doch mied er es im Freien allein zu sein, und so kam

es, daß er sich zu ein paar muntern deutschen Malern gesellte, und mit

ihnen häufig Ausflüge nach den schönsten Gegenden Neapels machte.

 

Einer von ihnen, wir wollen ihn Florentin nennen, hatte es in dem

Augenblick nicht sowohl auf tiefes Studium seiner Kunst, als auf

heitern Lebensgenuß abgesehen, seine Mappe zeugte davon. - Gruppen

tanzender Bauernmädchen - Prozessionen ländliche Feste - alles das

wußte Florentin, so wie es ihm aufstieß, mit sichrer leichter Hand

schnell aufs Blatt zu werfen. Jede Zeichnung, war sie auch kaum mehr

als Skizze, hatte Leben und Bewegung. Dabei war Florentins Sinn

keinesweges für das Höhere verschlossen; im Gegenteil drang er mehr,

als je ein moderner Maler, tief ein in den frommen Sinn der Gemälde

alter Meister. In sein Malerbuch hatte er die Fresko-Gemälde einer

alten Klosterkirche in Rom, ehe die Mauern eingerissen wurden, in

bloßen Umrissen hineingezeichnet. Sie stellten das Martyrium der

heiligen Katharina dar. Man konnte nichts Herrlicheres, reiner

Aufgefaßtes sehen, als jene Umrisse, die auf Berthold einen ganz

eignen Eindruck machten. Er sah Blitze leuchten durch die finstre Öde,

die ihn umfangene und es kam dahin, daß er für Florentins heiteren

Sinn empfänglich wurde, und da dieser zwar den Reiz der Natur, in ihr

aber beständig mehr das menschliche Prinzip mit reger Lebendigkeit

auffaßte, eben dieses Prinzip für den Stützpunkt erkannte, an den er

sich halten müsse, um nicht gestaltlos im leeren Raum zu verschwimmen.

Während Florentin irgend eine Gruppe, der er begegnete, schnell

zeichnete, hatte Berthold des Freundes Malerbuch aufgeschlagen, und

versuchte Katharinas wunderholde Gestalt nachzubilden, welches ihm

endlich so ziemlich glückte, wiewohl er, so wie in Rom vergebens

darnach strebte, seine Figuren dem Original gleich zu beleben. Er

klagte dies dem, wie er glaubte, an wahrer Künstlergenialität ihm weit

überlegenen Florentin, und erzählte zugleich, wie der Malteser zu

ihm über die Kunst gesprochen. »Ei, lieber Bruder Berthold!« sprach

Florentin: »der Malteser hat in der Tat recht, und ich stelle die

wahre Landschaft den tief bedeutsamen heiligen Historien, wie sie die

alten Maler darstellen, völlig gleich. Ja, ich halte sogar dafür, daß

man erst durch das Darstellen der uns näher liegenden organischen

Natur sich stärken müsse, um Licht zu finden in ihrem nächtlichen

Reich. Ich rate dir Berthold, daß du dich gewöhnst Figuren zu

zeichnen, und in ihnen deine Gedanken zu ordnen; vielleicht wird

es dann heller um dich werden.« Berthold tat so wie ihm der Freund

geboten, und es war ihm, als zögen die finstern Wolkenschatten, die

sich über sein Leben gelegt, vorüber.

 

»Ich mühte mich, das, was nur wie dunkle Ahnung tief in meinem Innern

lag, wie in jenem Traum hieroglyphisch darzustellen, aber die Züge

dieser Hieroglyphenschrift waren menschliche Figuren, die sich in

wunderlicher Verschlingung um einen Lichtpunkt bewegten. - Dieser

Lichtpunkt sollte die herrlichste Gestalt sein, die je eines Bildners

Fantasie aufgegangen; aber vergebens strebte ich, wenn sie im Traume

von Himmelsstrahlen umflossen mir erschien, ihre Züge zu erfassen.

Jeder Versuch, sie darzustellen, mißlang auf schmähliche Weise, und

ich verging in heißer Sehnsucht.« - Florentin bemerkte den bis zur

Krankheit aufgeregten Zustand des Freundes, er tröstete ihn, so gut er

es vermochte. Oft sagte er ihm, daß dies eben die Zeit des Durchbruchs

zur Erleuchtung sei; aber wie ein Träumer schlich Berthold einher,

und alle seine Versuche blieben nur ohnmächtige Anstrengungen des

kraftlosen Kindes.

 

Unfern Neapel lag die Villa eines Herzogs, die, weil sie die schönste

Aussicht nach dem Vesuv und ins Meer hinein gewährte, den fremden

Künstlern, vorzüglich den Landschaftern gastlich geöffnet war.

Berthold hatte hier öfters gearbeitet, öfter noch in einer Grotte

des Parks zur guten Zeit sich dem Spiel seiner fantastischen Träume

hingegeben. Hier in dieser Grotte saß er eines Tages, von glühender

Sehnsucht, die seine Brust zerriß, gemartert, und weinte heiße Tränen,

daß der Stern des Himmels seine dunkle Bahn erleuchten möge; da

rauschte es im Gebüsch, und die Gestalt eines hochherrlichen Weibes

stand vor der Grotte.

 

»Die vollen Sonnenstrahlen fielen in das Engelsgesicht. - Sie schaute

mich an mit unbeschreiblichen Blick. - Die heilige Katharina - nein,

mehr als sie - mein Ideal, mein Ideal war es! Wahnsinnig vor Entzücken

stürzte ich nieder, da verschwebte die Gestalt freundlich lächelnd! -

Erhört war mein heißestes Gebet!«

 

Florentin trat in die Grotte, er erstaunte über Berthold, der mit

verklärtem Blick ihn an sein Herz drückte. - Tränen stürzten ihm aus

den Augen - »Freund - Freund!« stammelte er: »ich bin glücklich -

selig - sie ist gefunden - gefunden!« Rasch schritt er fort, in seine

Werkstatt - er spannte die Leinwand auf, er fing an zu malen. Wie von

göttlicher Kraft beseelt, zauberte er mit der vollen Glut des Lebens

das überirdische Weib, wie es ihm erschienen, hervor. - Sein Innerstes

war von diesem Augenblicke ganz umgewendet. Statt des Trübsinns, der

an seinem Herzmark gezehrt hatte, erhob ihn Frohsinn und Heiterkeit.

Er studierte mit Fleiß und Anstrengung die Meisterwerke der alten

Maler. Mehrere Kopien gelangen ihm vortrefflich, und nun fing er an

selbst Gemälde zu schaffen, die alle Kenner in Erstaunen setzten. An

Landschaften war nicht mehr zu denken, und Hackert bekannte selbst,

daß der Jüngling nun erst seinen eigentlichen Beruf gefunden habe.

So kam es, daß er mehrere große Werke, Altarblätter für Kirchen, zu

malen bekam. Er wählte mehrenteils heitere Gegenstände christlicher

Legenden, aber überall strahlte die wunderherrliche Gestalt seines

Ideals hervor. Man fand, daß Gesicht und Gestalt der Prinzessin

Angiola T... zum Sprechen ähnlich sei, man äußerte dies dem jungen

Maler selbst, und Schlauköpfe gaben spöttisch zu verstehen, der

deutsche Maler sei von dem Feuerblick der wunderschönen Donna tief ins

Herz getroffen. Berthold war hoch erzürnt über das alberne Gewäsch der

Leute, die das Himmlische in das Gemeinirdische herabziehen wollten.

»Glaubt ihr denn«, sprach er, »daß solch ein Wesen wandeln könne

hier auf Erden? In einer wunderbaren Vision wurde mir das Höchste

erschlossen; es war der Moment der Künstlerweihe.« - Berthold lebte

nun froh und glücklich, bis nach Bonapartes Siegen in Italien sich die

französische Armee dem Königreich Neapel nahte, und die alle ruhigen

glücklichen Verhältnisse furchtbar zerstörende Revolution ausbrach.

Der König hatte mit der Königin Neapel verlassen, die Citta war

angeordnet. Der General-Vikar schloß mit dem französischen General

einen schmachvollen Waffenstillstand, und bald kamen die französischen

Kommissarien, um die Summe, die gezahlt werden sollte, in Empfang zu

nehmen. Der General-Vikar entfloh, um der Wut des Volks, das sich von

ihm, von der Citta, von allen, die ihm Schutz gewähren konnten gegen

den andringenden Feind, verlassen glaubte, zu entgehen. Da waren alle

Bande der Gesellschaft gelöst; in wilder Anarchie verhöhnte der Pöbel

Ordnung und Gesetz, und unter dem Geschrei: »Viva la santa fede«

rannten seine wahnsinnigen Horden durch die Straßen, die Häuser der

Großen, von welchen sie sich an den Feind verkauft wähnten, plündernd

und in Brand steckend. Vergebens waren die Bemühungen Moliternos und

Rocca Romanas, Günstlinge des Volks und zu Anführern gewählt, die

Rasenden zu bändigen. Die Herzoge della Torre und Clemens Filomarino

waren ermordet, aber noch war des wütenden Pöbels Blutdurst nicht

gestillt. - Berthold hatte sich aus einem brennenden Hause nur halb

angekleidet gerettet, er stieß auf einen Haufen des Volks, der mit

angezündeten Fackeln und blinkenden Messern nach dem Palast des

Herzogs von T. eilte. Ihn für ihresgleichen haltend, drängten sie ihn

mit sich fort - »viva la santa fede« brüllten die Wahnsinnigen, und in

wenigen Minuten waren der Herzog - die Bediensteten, alles was sich

widersetzte, ermordet, und der Palast loderte hoch in Flammen auf.

- Berthold war immer fort und fort in den Palast hineingedrängt. -

Dicker Rauch wallte durch die langen Gänge. - Er lief schnell durch

die aufgesprengten Zimmer, aufs neue in Gefahr, in den Flammen

umzukommen - vergebens den Ausgang suchend. - Ein schneidendes

Angstgeschrei schallt ihm entgegen - er stürzt durch den Saal. - Ein

Weib ringt mit einem Lazzarone, der es mit starker Faust erfaßt hat,

und im Begriff ist ihm das Messer in die Brust zu stoßen. - Es ist

die Prinzessin - es ist Bertholds Ideal! - Bewußtlos vor Entsetzen,

springt Berthold hinzu - den Lazzarone bei der Gurgel packen - ihn

zu Boden werfen, ihm sein eignes Messer in die Kehle stoßen - die

Prinzessin in die Arme nehmen - mit ihr fliehen durch die flammenden

Säle - die Treppen hinab - fort fort, durch das dickste Volksgewühl

- alles das ist die Tat eines Moments! - Keiner hielt den fliehenden

Berthold auf, mit dem blutigen Messer in der Hand, vom Dampfe schwarz

gefärbt, in zerrissenen Kleidern sah das Volk in ihm den Mörder und

Plünderer, und gönnte ihm seine Beute. In einem öden Winkel der Stadt

unter einem alten Gemäuer, in das er, wie aus Instinkt, sich vor

der Gefahr zu verbergen gelaufen, sank er ohnmächtig nieder. Als er

erwachte, kniete die Prinzessin neben ihm, und wusch seine Stirne mit

kaltem Wasser. »O Dank!« lispelte sie mit wunderlieblicher Stimme;

»Dank den Heiligen, daß du erwacht bist, du mein Rettet, mein alles!«

- Berthold richtete sich auf, er wähnte zu träumen, er blickte mit

starren Augen die Prinzessin an -ja sie war es selbst - die herrliche

Himmelsgestalt, die den Götterfunken in seiner Brust entzündet. -

»Ist es möglich - ist es wahr - lebe ich denn?« rief er aus. »Ja, du

lebst«, sprach die Prinzessin - »du lebst für mich; was du nicht zu

hoffen wagtest, geschah wie durch ein Wunder. Oh, ich kenne dich

wohl, du bist der deutsche Maler Berthold, du liebtest mich ja, und

verherrlichtest mich in deinen schönsten Gemälden. - Konnte ich denn

dein sein? - Aber nun bin ich es immerdar und ewig. - Laß uns fliehen,

o laß uns fliehen!« - Ein sonderbares Gefühl, wie wenn jählinger

Schmerz süße Träume zerstört, durchzuckte Berthold bei diesen

Worten der Prinzessin. Doch als das holde Weib ihn mit den vollen

schneeweißen Armen umfing, als er sie ungestüm an seinen Busen

drückte, da durchbebten ihn süße nie gekannte Schauer und im Wahnsinn

des Entzückens höchster Erdenlust rief er aus: »Oh, kein Trugbild des

Traumes - nein! es ist mein Weib, das ich umfange, es nie zu lassen -

das meine glühende dürstende Sehnsucht stillt!«

 

Aus der Stadt zu fliehen war unmöglich; denn vor den Toren stand das

französische Heer, dem das Volk, war es gleich schlecht bewaffnet

und ohne alle Anführung, zwei Tage hindurch den Einzug in die

Stadt streitig machte. Endlich gelang es Berthold mit Angiola von

Schlupfwinkel zu Schlupfwinkel, und dann aus der Stadt zu fliehen.

Angiola, von heißer Liebe zu ihrem Retter entbrannt, verschmähte es

in Italien zu bleiben, die Familie sollte sie für tot halten, und so

Bertholds Besitz ihr gesichert bleiben. Ein diamantnes Halsband und

kostbare Ringe, die sie getragen, waren hinlänglich, in Rom (bis dahin

waren sie langsam fortgepilgert) sich mit allen nötigen Bedürfnissen

zu versehen, und so kamen sie glücklich nach M. im südlichen

Deutschland, wo Berthold sich niederzulassen, und durch die Kunst

sich zu ernähren gedachte. - War's denn nicht ein nie geträumtes,

nie geahntes Glück, daß Angiola, das himmlischschöne Weib, das Ideal

seiner wonnigsten Künstlerträume sein werden müßte, unerachtet sich

alle Verhältnisse des Lebens, wie eine unübersteigbare Mauer zwischen

ihm und der Geliebten auftürmten? - Berthold konnte in der Tat dies

Glück kaum fassen, und schwelgte in namenlosen Wonnen, bis lauter und

lauter die innere Stimme ihn mahnte, seiner Kunst zu gedenken. In M.

beschloß er seinen Ruf durch ein großes Gemälde zu begründen, das er

für die dortige Marienkirche malen wollte. Der einfache Gedanke, Maria

und Elisabeth in einem schönen Garten auf einem Rasen sitzend, die

Kinder Christus und Johannes vor ihnen im Grase spielend, sollte der

ganze Vorwurf des Bildes sein, aber vergebens war alles Ringen nach

einer reinen geistigen Anschauung des Gemäldes. So wie in jener

unglücklichen Zeit der Krisis, verschwammen ihm die Gestalten, und

nicht die himmlische Maria, nein, ein irdisches Weib, ach seine

Angiola selbst stand auf greuliche Weise verzerrt, vor seines Geistes

Augen. - Er gedachte Trotz zu bieten der unheimlichen Gewalt, die ihn

zu erfassen schien, er bereitete die Farben, er fing an zu malen; aber

seine Kraft war gebrochen, all sein Bemühen, so wie damals, nur die

ohnmächtige Anstrengung des unverständigen Kindes. Starr und leblos

blieb was er malte, und selbst Angiola - Angiola, sein Ideal, wurde,

wenn sie ihm saß und er sie malen wollte, auf der Leinwand zum toten

Wachsbilde, das ihn mit gläsernen Augen anstierte. Da schlich sich

immer mehr und mehr trüber Unmut in seine Seele, der alle Freude des

Lebens wegzehrte. Er wollte - er konnte nicht weiter arbeiten, und so

kam es, daß er in Dürftigkeit geriet, die ihn desto mehr niederbeugte,

je weniger Angiola auch nur ein Wort der Klage hören ließ.

 

»Der immer mehr in mein Innerstes hereinzehrende Gram, erzeugt von

stets getäuschter Hoffnung, wenn ich immer vergebens Kräfte aufbot,

die nicht mehr mein waren, versetzte mich bald in einen Zustand, der

dem Wahnsinne gleich zu achten war. Mein Weib gebar mir einen Sohn,

das vollendete mein Elend und der lange verhaltene Groll brach aus

in hell aufflammenden Haß. _Sie_, _sie_ allein schuf mein Unglück. Nein -

sie war nicht das Ideal, das mir erschien, nur mir zum rettungslosen

Verderben hatte sie trügerisch jenes Himmelsweibes Gestalt und Gesicht

geborgt. In wilder Verzweiflung fluchte ich ihr und dem unschuldigen

Kinde. - Ich wünschte beider Tod, damit ich erlöst werden möge von der

unerträglichen Qual, die wie mit glühenden Messern in mir wühlte! -

Gedanken der Hölle stiegen in mir auf. Vergebens las ich in Angiolas

leichenblassem Gesicht, in ihren Tränen mein rasendes freveliches

Beginnen. - >Du hast mich um mein Leben betrogen, verruchtes Weib<,

brüllte ich auf, und stieß sie mit dem Fuße von mir, wenn sie

ohnmächtig niedersank, und meine Knie umfaßte.«

 

Bertholds grausames wahnsinniges Betragen gegen Weib und Kind erregte

die Aufmerksamkeit der Nachbaren, die es der Obrigkeit anzeigten. Man

wollte ihn verhaften, als aber die Polizeidiener in seine Wohnung

traten, war er samt Frau und Kind spurlos verschwunden. Berthold

erschien bald darauf zu N. in Oberschlesien; er hatte sich seines

Weibes und Kindes entledigt, und fing voll heitern Mutes an, das Bild

zu malen, das er in M. vergebens begonnen hatte. Aber nur die Jungfrau

Maria und die Kinder Christus und Johannes konnte er vollenden,

dann fiel er in eine furchtbare Krankheit, die ihn dem Tode, den

er wünschte, nahe brachte. Um ihn zu pflegen, hatte man alle seine

Gerätschaften und auch jenes unvollendete Gemälde verkauft, und er

zog, nachdem er nur einigermaßen sich wieder erkräftigt, als ein

siecher elender Bettler von dannen. In der Folge nährte er sich

dürftig durch Wandmalerei, die ihm hie und da übertragen wurde.

 

 

»Bertholds Geschichte hat etwas Entsetzliches und Grauenvolles«,

sprach ich zu dem Professor, »ich halte ihn, unerachtet er es nicht

geradezu ausgesprochen, für den ruchlosen Mörder seines unschuldigen

Weibes und seines Kindes.« - »Es ist ein wahnsinniger Tor«, erwiderte

der Professor, »dem ich den Mut zu solcher Tat gar nicht zutraue. Über

diesen Punkt läßt er sich niemals deutlich aus, und es ist die Frage,

ob er sich nicht bloß einbildet, an dem Tode seiner Frau und seines

Kindes schuld zu sein; er malt eben wieder Marmor, erst in künftiger

Nacht vollendet er den Altar, dann ist er bei guter Laune, und

Sie können vielleicht mehr über jenen kitzlichen Punkt von ihm

herausbekommen.« - Ich muß gestehen, daß, dachte ich es mir lebhaft,

um Mitternacht mit Berthold allein in der Kirche mich zu befinden,

mir, nachdem ich seine Geschichte gelesen, ein leiser Schauer durch

die Glieder lief. Ich meinte, er könnte mitunter was weniges der

Teufel sein, trotz seiner Gutmütigkeit und seines treuherzigen Wesens,

und wollte mich deshalb lieber gleich mittags im lieben heitern

Sonnenschein mit ihm abfinden.

 

Ich fand ihn auf dem Gerüste mürrisch und in sich gekehrt, Marmoradern

sprenkelnd; zu ihm herausgestiegen, reichte ich ihm stillschweigend

die Töpfe. Erstaunt sah er sich nach mir um, »ich bin ja Ihr

Handlanger«, sprach ich leise, das zwang ihm ein Lächeln ab. Nun fing

ich an von seinem Leben zu sprechen, so daß er merken mußte, ich wisse

alles, und er schien zu glauben, er habe mir alles selbst in jener

Nacht erzählt. Leise - leise kam ich auf die gräßliche Katastrophe,

dann sprach ich plötzlich: »Also in heillosem Wahnsinn mordeten Sie

Weib und Kind?« - Da ließ er Farbentopf und Pinsel fallen, und rief,

mich mit gräßlichem Blick anstarrend und beide Hände hoch erhebend:

»Rein sind diese Hände vom Blute meines Weibes, meines Sohnes! Noch

ein solches Wort, und ich stürze mich mit Euch hier vom Gerüste herab,

daß unsere Schädel zerschellen auf dem steinernen Boden der Kirche!«

- Ich befand mich in dem Augenblick wirklich in seltsamer Lage, am

besten schien es mir mit ganz Fremden hineinzufahren. »O sehn Sie

doch, lieber Berthold«, sprach ich so ruhig und kalt, als es mir

möglich war, »wie das häßliche Dunkelgelb auf der Wand dort so

verfließt.« Er schauete hin, und indem er das Gelb mit dem Pinsel

verstrich, stieg ich leise das Gerüst herab, verließ die Kirche und

ging zum Professor, um mich über meinen bestraften Vorwitz tüchtig

auslachen zu lassen.

 

Mein Wagen war repariert und ich verließ G., nachdem mir der Professor

Aloysius Walther feierlich versprochen, sollte sich etwas Besonderes

mit Berthold ereignen, mir es gleich zu schreiben.

 

Ein halbes Jahr mochte vergangen sein, als ich wirklich von dem

Professor einen Brief erhielt, in welchem er sehr weitschweifig unser

Beisammensein in G. rühmte. Über Berthold schrieb er mir folgendes:

»Bald nach Ihrer Abreise trug sich mit unserm wunderlichen Maler viel

Sonderbares zu. Er wurde plötzlich ganz heiter, und vollendete auf

die herrlichste Weise das große Altarblatt, welches nun vollends alle

Menschen in Erstaunen setzt. Dann verschwand er, und da er nicht das

mindeste mitgenommen, und man ein paar Tage darauf Hut und Stock

unfern des O - Stromes fand, glauben wir alle, er habe sich freiwillig

den Tod gegeben.«

 

 

 

Das Sanctus

 

Der Doktor schüttelte bedenklich den Kopf. - »Wie«, rief der

Kapellmeister heftig, indem er vom Stuhle aufsprang, »wie! so sollte

Bettinas Katarrh wirklich etwas zu bedeuten haben?«

 

- Der Doktor stieß ganz leise drei- oder viermal mit seinem spanischen

Rohr auf den Fußboden, nahm die Dose heraus und steckte sie wieder ein

ohne zu schnupfen, richtete den Blick starr empor, als zähle er die

Rosetten an der Decke und hüstelte mißtönig ohne ein Wort zu reden.

Das brachte den Kapellmeister außer sich, denn er wußte schon, solches

Gebärdenspiel des Doktors hieß in deutlichen lebendigen Worten nichts

anders, als: »Ein böser böser Fall - und ich weiß mir nicht zu raten

und zu helfen, und ich steure umher in meinen Versuchen, wie jener

Doktor im Gilblas di Santillana.« - »Nun, so sag Er es denn nur

geradezu heraus«, rief der Kapellmeister erzürnt, »sag Er es heraus,

ohne so verdammt wichtig zu tun mit der simplen Heiserkeit, die sich

Bettina zugezogen, weil sie unvorsichtigerweise den Shawl nicht

umwarf, als sie die Kirche verließ - das Leben wird es ihr doch eben

nicht kosten, der Kleinen.« - »Mit nichten«, sprach der Doktor, indem

er nochmals die Dose herausnahm, jetzt aber wirklich schnupfte, »mit

nichten, aber höchstwahrscheinlich wird sie in ihrem ganzen Leben

keine Note mehr singen!« Da fuhr der Kapellmeister mit beiden Fäusten

sich in die Haare, daß der Puder weit umherstäubte und rannte im

Zimmer auf und ab, und schrie wie besessen: »Nicht mehr singen? -

nicht mehr singen? - Bettina nicht mehr singen? - Gestorben all die

herrlichen Kanzonette - die wunderbaren Boleros und Seguidillas, die

wie klingender Blumenhauch von ihren Lippen strömten? - Kein frommes

Agnus, kein tröstendes Benedictus von ihr mehr hören? - Oh! oh! - Kein

Miserere, das mich reinbürstete von jedem irdischen Schmutz miserabler

Gedanken - das in mir oft eine ganze reiche Welt makelloser

Kirchenthemas aufgehen ließ? - Du lügst Doktor, du lügst! - Der Satan

versucht dich, mich aufs Eis zu führen. - Der Dom-Organist, der mich

mit schändlichem Neide verfolgt, seitdem ich ein achtstimmiges Qui

tollis ausgearbeitet zum Entzücken der Welt, _der_ hat dich bestochen!

Du sollst mich in schnöde Verzweiflung stürzen, damit ich meine neue

Messe ins Feuer werfe, aber es gelingt _ihm_ - es gelingt _dir_ nicht! -

Hier - hier trage ich sie bei mir, Bettinas Soli« (er schlug auf die

rechte Rocktasche, so daß es gewaltig darin klatschte) »und gleich

soll herrlicher, als je, die Kleine sie mir mit hocherhabener

Glockenstimme vorsingen.« Der Kapellmeister griff nach dem Hute und

wollte fort, der Doktor hielt ihn zurück, indem er sehr sanft und

leise sprach: »Ich ehre Ihren werten Enthusiasmus, holdseligster

Freund! aber ich übertreibe nichts und kenne den Dom-Organisten

gar nicht, es ist nun einmal so! Seit der Zeit, daß Bettina in

der katholischen Kirche bei dem Amt die Solos im Gloria und Credo

gesungen, ist sie von einer solch seltsamen Heiserkeit oder vielmehr

Stimmlosigkeit befallen, die meiner Kunst trotzt und die mich, wie

gesagt, befürchten läßt, daß sie nie mehr singen wird.« - »Gut denn«,

rief der Kapellmeister wie in resignierter Verzweiflung, »gut denn, so

gib ihr Opium - Opium und so lange Opium bis sie eines sanften Todes

dahinscheidet, denn singt Bettina nicht mehr, so darf sie auch nicht

mehr leben, denn sie lebt nur, wenn sie singt - sie existiert nur im

Gesange - himmlischer Doktor, tu mir den Gefallen, vergifte sie je

eher desto lieber. Ich habe Konnexionen im Kriminal-Kollegio, mit dem

Präsidenten studierte ich in Halle, es war ein großer Hornist, wir

bliesen Bizinien zur Nachtzeit mit einfallenden Chören obligater

Hündelein und Kater! - Sie sollen dir nichts tun des ehrlichen Mords

wegen. - Aber vergifte sie - vergifte sie« - »Man ist«, unterbrach der

Doktor den sprudelnden Kapellmeister, »man ist doch schon ziemlich

hoch in Jahren, muß sich das Haar pudern seit geraumer Zeit und doch

noch vorzüglich die Musik anlangend vel quasi ein Hasenfuß. Man

schreie nicht so, man spreche nicht so verwegen vom sündlichen Mord

und Totschlag, man setze sich ruhig hin dort in jenen bequemen

Lehnstuhl und höre mich gelassen an.« Der Kapellmeister rief mit sehr

weinerlicher Stimme: »Was werd ich hören?« und tat übrigens wie ihm

geheißen. »Es ist«, fing der Doktor an, »es ist in der Tat in Bettinas

Zustand etwas ganz Sonderbares und Verwunderliches. Sie spricht laut,

mit voller Kraft des Organs, an irgend eines der gewöhnlichen Halsübel

ist gar nicht zu denken, sie ist selbst imstande einen musikalischen

Ton anzugeben, aber sowie sie die Stimme zum Gesange erheben will,

lähmt ein unbegreifliches Etwas, das sich durch kein Stechen,

Prickeln, Kitzeln oder sonst als ein affirmatives krankhaftes Prinzip

dartut, ihre Kraft, so daß jeder versuchte Ton ohne gepreßt-unrein,

kurz katarrhalisch zu klingen, matt und farblos dahinschwindet.

Bettina selbst vergleicht ihren Zustand sehr richtig demjenigen im

Traum, wenn man mit dem vollsten Bewußtsein der Kraft zum Fliegen doch

vergebens strebt in die Höhe zu steigen. Dieser negative krankhafte

Zustand spottet meiner Kunst und wirkungslos bleiben alle Mittel.

Der Feind, den ich bekämpfen soll, gleicht einem körperlosen Spuk,

gegen den ich vergebens meine Streiche führe. Darin habt Ihr recht

Kapellmeister, daß Bettinas ganze Existenz im Leben durch den

Gesang bedingt ist, denn eben im Gesange kann man sich den kleinen

Paradiesvogel nur denken, deshalb ist sie aber schon durch die

Vorstellung, daß ihr Gesang und mit ihm sie selbst untergehe, so

im Innersten aufgeregt, und fast bin ich überzeugt, daß eben diese

fortwährende geistige Agitation ihr Übelbefinden fördert und meine

Bemühungen vereitelt. Sie ist, wie sie sich selbst ausdrückt, von

Natur sehr apprehensiv, und so glaube ich, nachdem ich monatelang,

wie ein Schiffbrüchiger, der nach jedem Splitter hascht, nach diesem,

jenem Mittel gegriffen und darüber ganz verzagt worden, daß Bettinas

ganze Krankheit mehr psychisch als physisch ist.« - »Recht Doktor«,

rief hier der reisende Enthusiast, der so lange schweigend mit

übereinander geschlagenen Ärmen im Winkel gesessen, »recht Doktor, mit

einemmal habt Ihr den richtigen Punkt getroffen, mein vortrefflicher

Arzt! Bettinas krankhaftes Gefühl ist die physische Rückwirkung

eines psychischen Eindrucks, eben deshalb aber desto schlimmer und

gefährlicher. _Ich_, _ich_ allein kann euch alles erklären, ihr Herren!« -

»Was werd ich hören«, sprach der Kapellmeister noch weinerlicher als

vorher, der Doktor rückte seinen Stuhl näher heran zum reisenden

Enthusiasten und guckte ihm mit sonderbar lächelnder Miene ins

Gesicht. Der reisende Enthusiast warf aber den Blick in die Höhe

und sprach ohne den Doktor oder den Kapellmeister anzusehen:

»Kapellmeister! ich sah einmal einen kleinen buntgefärbten

Schmetterling, der sich zwischen den Saiten Eures Doppelklavichords

eingefangen hatte. Das kleine Ding flatterte lustig auf und nieder und

mit den glänzenden Flügelein um sich schlagend berührte es bald die

obern bald die untern Saiten, die dann leise leise nur dem schärfsten

geübtesten Ohr vernehmbare Töne und Akkorde hauchten, so daß zuletzt

das Tierchen nur in den Schwingungen wie in sanftwogenden Wellen zu

schwimmen oder vielmehr von ihnen getragen zu werden schien. Aber oft

kam es, daß eine stärker berührte Saite, wie erzürnt in die Flügel des

fröhlichen Schwimmers schlug, so daß sie wund geworden den Schmuck

des bunten Blütenstaubs von sich streuten, doch dessen nicht achtend

kreiste der Schmetterling fort und fort im fröhlichen Klingen und

Singen bis schärfer und schärfer die Saiten ihn verwundeten, und er

lautlos hinabsank in die Öffnung des Resonanzbodens.« - »Was wollen

wir damit sagen«, frug der Kapellmeister, »fiat applicatio mein

Bester!« sprach der Doktor. »Von einer besonderen Anwendung ist

hier nicht die Rede«, fuhr der Enthusiast fort, »ich wollte, da ich

obbesagten Schmetterling wirklich auf des Kapellmeisters Klavichord

spielen gehört habe, nur im allgemeinen eine Idee andeuten, die mir

damals einkam, und die alles das, was ich über Bettinas Übel sagen

werde, so ziemlich einleitet. Ihr könnet das Ganze aber auch für eine

Allegorie ansehen, und es in das Stammbuch irgend einer reisenden

Virtuosin hineinzeichnen. Es schien mir nämlich damals, als habe die

Natur ein tausendchörigtes Klavichord um uns herum gebaut, in dessen

Saiten wir herumhantierten, ihre Töne und Akkorde für unsere eigne

willkürlich hervorgebrachte haltend und als würden wir oft zum Tode

wund, ohne zu ahnden, daß der unharmonisch berührte Ton uns die Wunde

schlug.« - »Sehr dunkel«, sprach der Kapellmeister. »Oh«, rief der

Doktor lachend, »o nur Geduld, er wird gleich auf seinem Steckenpferde

sitzen und gestreckten Galopps in die Welt der Ahnungen, Träume,

psychischen Einflüsse, Sympathien, Idiosynkrasien usw. hineinreiten,

bis er auf der Station des Magnetismus absitzt und ein Frühstück

nimmt.« - »Gemach gemach, mein weiser Doktor«, sprach der reisende

Enthusiast, »schmäht nicht auf Dinge, die Ihr, sträuben mögt Ihr Euch

auch wie Ihr wollt, doch mit Demut anerkennen und höchlich beachten

müßt. Habt Ihr es denn nicht selbst eben erst ausgesprochen, daß

Bettinas Krankheit von psychischer Anregung herbeigeführt oder

vielmehr nur ein psychisches Übel ist?« - »Wie kommt«, unterbrach

der Doktor den Enthusiasten, »wie kommt aber Bettina mit dem

unglückseligen Schmetterling zusammen?« - »Wenn man«, fuhr der

Enthusiast fort, »wenn man nun alles haarklein auseinandersieben soll,

und jedes Körnchen beäugeln und bekucken, so wird das eine Arbeit, die

selbst langweilig Langeweile verbreitet! - Laßt den Schmetterling im

Klavichordkasten des Kapellmeisters ruhen! - Übrigens, sagt selbst,

Kapellmeister! ist es nicht ein wahres Unglück, daß die hochheilige

Musik ein integrierender Teil unserer Konversation geworden ist? Die

herrlichsten Talente werden herabgezogen in das gemeine dürftige

Leben! Statt daß sonst aus heiliger Ferne wie aus dem wunderbaren

Himmelsreiche selbst, Ton und Gesang auf uns herniederstrahlte, hat

man jetzt alles hübsch bei der Hand und man weiß genau, wie viel

Tassen Tee die Sängerin oder wie viel Gläser Wein der Bassist trinken

muß, um in die gehörige Tramontane zu kommen. Ich weiß wohl, daß

es Vereine gibt, die ergriffen von dem wahren Geist der Musik sie

untereinander mit wahrhafter Andacht üben, aber jene miserablen

geschmückten, geschniegelten - doch ich will mich nicht ärgern! - Als

ich voriges Jahr hieher kam, war die arme Bettina gerade recht in

der Mode - sie war, wie man sagt, recherchiert, es konnte kaum

Tee getrunken werden ohne Zutat einer spanischen Romanze, einer

italienischen Kanzonetta oder auch wohl eines französischen Liedleins:

Souvent l'amour etc. zu dem sich Bettina hergeben mußte. Ich fürchtete

in der Tat, daß das gute Kind mit samt ihrem herrlichen Talent

untergehen würde in dem Meer von Teewasser, das man über sie

ausschüttete, das geschah nun nicht, aber die Katastrophe trat ein.«

- »Was für eine Katastrophe?« riefen Doktor und Kapellmeister. »Seht

liebe Herren!« fuhr der Enthusiast fort, »eigentlich ist die arme

Bettina - wie man so sagt, verwünscht oder verhext worden, und so hart

es mir ankommt, es zu bekennen, ich - ich selbst bin der Hexenmeister,

der das böse Werk vollbracht hat, und nun gleich dem Zauberlehrling

den Bann nicht zu lösen vermag.« - »Possen - Possen, und wir sitzen

hier und lassen uns mit der größten Ruhe von dem ironischen Bösewicht

mystifizieren.« So rief der Doktor, indem er aufsprang. »Aber zum

Teufel die Katastrophe - die Katastrophe«, schrie der Kapellmeister.

»Ruhig ihr Herren«, sprach der Enthusiast, »jetzt kommt eine Tatsache,

die ich verbürgen kann, haltet übrigens meine Hexerei für Scherz,

unerachtet es mir zuweilen recht schwer aufs Herz fällt, daß ich ohne

Wissen und Willen einer unbekannten psychischen Kraft zum Medium des

Entwickelns und Einwirkens auf Bettina gedient haben mag. Gleichsam

als Leiter mein ich, so wie in der elektrischen Reihe einer den andern

ohne Selbsttätigkeit und eignen Willen prügelt.« - »Hop hop«, rief der

Doktor, »seht wie das Steckenpferd gar herrliche Courbetten verführt.«

- »Aber die Geschichte - die Geschichte«, schrie der Kapellmeister

dazwischen! »Ihr erwähntet«, fuhr der Enthusiast fort, »Ihr erwähntet

Kapellmeister schon zuvor, daß Bettina das letztemal, ehe sie die

Stimme verlor, in der katholischen Kirche sang. Erinnert Euch, daß

dies am ersten Osterfeiertage vorigen Jahres geschah. Ihr hattet Euer

schwarzes Ehrenkleid angetan und dirigiertet die herrliche Haydnsche

Messe aus dem D-Moll. In dem Sopran tat sich ein Flor junger anmutig

gekleideter Mädchen auf, die zum Teil sangen, zum Teil auch nicht;

unter ihnen stand Bettina, die mit wunderbar starker voller Stimme

die kleinen Soli vortrug. Ihr wißt, daß ich mich im Tenor angestellt

hatte, das Sanctus war eingetreten, ich fühlte die Schauer der

tiefsten Andacht mich durchbeben, da rauschte es hinter mir störend,

unwillkürlich drehte ich mich um, und erblickte zu meinem Erstaunen

Bettina, die sich durch die Reihen der Spielenden und Singenden

drängte um den Chor zu verlassen. >Sie wollen fort?< redete ich sie

an. >Es ist die höchste Zeit<, erwiderte sie sehr freundlich, >daß ich

mich jetzt nach der ***Kirche begebe, um noch, wie ich versprochen,

dort in einer Kantate mitzusingen, auch muß ich noch vormittag ein

paar Duetts probieren, die ich heute abend in dem Singetee bei ***

vortragen werde, dann ist Souper bei ***. Sie kommen doch hin? es

werden ein paar Chöre aus dem Händelschen Messias und das erste Finale

aus Figaros Hochzeit gemacht.< Während dieses Gesprächs erklangen

die vollen Akkorde des Sanctus, und das Weihrauchopfer zog in blauen

Wolken durch das hohe Gewölbe der Kirche. >Wissen Sie denn nicht<,

sprach ich, >daß es sündlich ist, daß es nicht straflos bleibt, wenn

man während des Sanctus die Kirche verläßt? - Sie werden so bald nicht

mehr in der Kirche singen!< - Es sollte Scherz sein, aber ich weiß

nicht, wie es kam, daß mit einemmal meine Worte so feierlich klangen.

Bettina erblaßte und verließ schweigend die Kirche. Seit diesem Moment

verlor sie die Stimme. -« Der Doktor hatte sich während der Zeit

wieder gesetzt, und das Kinn auf den Stockknopf gestützt, er blieb

stumm, aber der Kapellmeister rief: »Wunderbar in der Tat, sehr

wunderbar!« - »Eigentlich«, fuhr der Enthusiast fort, »eigentlich

kam mir damals bei meinen Worten nichts Bestimmtes in den Sinn und

ebensowenig setzte ich Bettinas Stimmlosigkeit mit dem Vorfall in der

Kirche nur in den mindesten Bezug. Erst jetzt, als ich wieder hieher

kam und von Euch Doktor erfuhr, daß Bettina noch immer an der

verdrießlichen Kränklichkeit leide, war es mir, als hätte ich schon

damals an eine Geschichte gedacht, die ich vor mehreren Jahren in

einem alten Buche las, und die ich Euch, da sie mir anmutig und

rührend scheint, mitteilen will.« - »Erzählen Sie«, rief der

Kapellmeister, »vielleicht liegt ein guter Stoff zu einer tüchtigen

Oper darin.« - »Könnt Ihr«, sprach der Doktor, »könnt Ihr,

Kapellmeister, Träume - Ahnungen - magnetische Zustände in Musik

setzen, so wird Euch geholfen, auf so was wird die Geschichte doch

wieder herauslaufen.« Ohne dem Doktor zu antworten räusperte sich der

reisende Enthusiast und fing mit erhabener Stimme an: »Unabsehbar

breitete sich das Feldlager Isabellens und Ferdinands von Aragonien

vor den Mauern von Granada aus.« - »Herr des Himmels und der Erden«,

unterbrach der Doktor den Erzähler, »das fängt an als wollt es in

neun Tagen und neun Nächten nicht endigen, und ich sitze hier und die

Patienten lamentieren. Ich schere mich den Teufel um Eure maurischen

Geschichten, den Gonzalvo von Cordova habe ich gelesen, und Bettinas

Seguidillas gehört, aber damit basta, alles was recht ist - Gott

befohlen!« Schnell sprang der Doktor zur Türe heraus, aber der

Kapellmeister blieb ruhig sitzen, indem er sprach: »Es wird eine

Geschichte aus den Kriegen der Mauren mit den Spaniern, wie ich merke,

so was hätt ich längst gar zu gern komponiert. - Gefechte - Tumult

- Romanzen - Aufzüge - Cymbeln - Choräle - Trommeln und Pauken -

ach Pauken! - Da wir nun einmal so zusammen sind, erzählen Sie,

liebenswürdiger Enthusiast, wer weiß, welches Samenkorn die erwünschte

Erzählung in mein Gemüt wirft und was für Riesenlilien daraus

entsprießen.« - »Euch wird«, erwiderte der Enthusiast, »Euch wird nun

Kapellmeister! alles einmal gleich zur Oper und daher kommt es denn

auch, daß die vernünftigen Leute, die die Musik behandeln wie einen

starken Schnaps, den man nur dann und wann in kleinen Portionen

genießt zur Magenstärkung, Euch manchmal für toll halten. Doch

erzählen will ich Euch, und keck möget Ihr, wandelt Euch die Lust an,

manchmal ein paar Akkorde dazwischen werfen.« - Schreiber dieses fühlt

sich gedrungen, ehe er dem Enthusiasten die Erzählung nachschreibt,

dich günstigen Leser zu bitten, du mögest ihm der Kürze halber

zugute halten, wenn er den dazwischen anschlagenden Akkorden den

Kapellmeister vorzeichnet. Statt also zu schreiben: Hier sprach der

Kapellmeister, heißt es bloß der Kapellmeister.

 

Unabsehbar breitete sich das Feldlager Isabellens und Ferdinands von

Aragonien vor den festen Mauern von Granada aus. Vergebens auf Hülfe

hoffend, immer enger und enger eingeschlossen, verzagte der feige

Boabdil und im bittern Hohn vom Volk, das ihn den kleinen König

nannte, verspottet, fand er nur in den Opfern blutdürstiger

Grausamkeit augenblicklichen Trost. Aber eben in dem Grade, wie die

Mutlosigkeit und Verzweiflung täglich mehr Volk und Kriegsheer in

Granada erfaßte, wurde lebendiger Siegeshoffnung und Kampfeslust

im spanischen Lager. Es bedurfte keines Sturms. Ferdinand begnügte

sich die Wälle zu beschießen, und die Ausfälle der Belagerten

zurückzutreiben. Diese kleinen Gefechte glichen mehr fröhlichen

Turnieren als ernsten Kämpfen und selbst der Tod der im Kampfe

Gefallnen konnte die Gemüter nur erheben, da sie hochgefeiert im

Gepränge des kirchlichen Kultus wie in der strahlenden Glorie des

Märtyrtums für den Glauben erschienen. Gleich nachdem Isabella in das

Lager eingezogen, ließ sie in dessen Mitte ein hohes hölzernes Gebäude

mit Türmen aufführen, von deren Spitzen die Kreuzesfahne herabwehte.

Das Innere wurde zum Kloster und zur Kirche eingerichtet, und

Benediktiner-Nonnen zogen ein, täglichen Gottesdienst übend. Die

Königin, von ihrem Gefolge, von ihren Rittern begleitet, [erschien]

jeden Morgen, die Messe zu hören, die ihr Beichtvater las, von dem

Gesange der im Chor versammelten Nonnen unterstützt. Da begab es sich,

daß Isabella an einem Morgen eine Stimme vernahm, die mit wunderbarem

Glockenklang die andern Stimmen im Chor übertönte. Der Gesang war

anzuhören wie das siegende Schmettern einer Nachtigall, die, die

Fürstin des Hains, dem jauchzenden Volk gebietet. Und doch war die

Aussprache der Worte so fremdartig und selbst die sonderbare ganz

eigentümliche Art des Gesanges tat kund, daß eine Sängerin des

kirchlichen Stils noch ungewohnt, vielleicht zum erstenmal das Amt

singen müsse. Verwundert schaute Isabella um sich und bemerkte, daß

ihr Gefolge von demselben Erstaunen ergriffen worden; doch ahnen mußte

sie wohl, daß hier ein besonderes Abenteuer im Spiel sein müsse, als

ihr der tapfere Heerführer Aguillar, der sich eben im Gefolge befand,

ins Auge fiel. Im Betstuhl kniend, die Hände gefaltet, starrte er zum

Gitter des Chors herauf, glühende inbrünstige Sehnsucht im düstern

Auge. Als die Messe geendet war, begab sich Isabella nach Donna

Marias, der Priorin, Zimmern und frug nach der fremden Sängerin.

»Wollet Euch o Königin«, sprach Donna Maria, »wollet Euch erinnern,

daß vor Mondesfrist Don Aguillar jenes Außenwerk zu überfallen und zu

erobern gedachte, das mit einer herrlichen Terrasse geziert den Mauren

zum Lustort dient. In jeder Nacht schallen die üppigen Gesänge der

Heiden in unser Lager herüber wie verlockende Sirenenstimmen und eben

deshalb wollte der tapfere Aguillar das Nest der Sünde zerstören.

Schon war das Werk genommen, schon wurden die gefangenen Weiber

während des Gefechts abgeführt, als eine unvermutete Verstärkung ihn

tapferer Wehr unerachtet nötigte, abzulassen und sich zurückzuziehen

in das Lager. Der Feind wagte nicht ihn zu verfolgen und so kam es,

daß die Gefangenen und reiche Beute sein blieben. Unter den gefangenen

Weibern befand sich eine, deren trostloses Jammern, deren Verzweiflung

Don Aguillars Aufmerksamkeit erregte. Er nahte sich der Verschleierten

mit freundlichen Worten, aber als hätte ihr Schmerz keine andere

Sprache als Gesang, fing sie, nachdem sie auf der Zither, die ihr

an einem goldnen Bande um den Hals hing, einige seltsame Akkorde

gegriffen hatte, eine Romanze an, die in tiefaufseufzenden

herzzerschneidenden Lauten die Trennung von dem Geliebten, von aller

Lebensfreude klagte. Aguillar tief ergriffen von den wunderbaren

Tönen, beschloß das Weib zurückbringen zu lassen nach Granada; sie

stürzte vor ihm nieder, indem sie den Schleier zurückschlug. Da rief

Aguillar wie außer sich: >Bist du denn nicht Zulema, das Licht des

Gesanges in Granada?< - Zulema, die der Feldherr bei einer Sendung an

Boabdils Hof gesehen, deren wunderbarer Gesang seitdem tief in seiner

Brust widerhallte, war es wirklich. >Ich gebe dir die Freiheit<, rief

Aguillar, aber da sprach der ehrwürdige Vater Agostino Sanchez, der

das Kreuz in der Hand mitgezogen: >Erinnere dich, Herr! daß du, indem

du die Gefangene freilässest, ihr großes Unrecht tust, da sie dem

Götzendienst entrissen, vielleicht bei uns von der Gnade des Herrn

erleuchtet, in den Schoß der Kirche zurückgekehrt wäre.< Aguillar

sprach: >Sie mag bei uns bleiben einen Monat hindurch und dann, fühlt

sie sich nicht durchdrungen von dem Geist des Herrn, zurückgebracht

werden nach Granada.< So kam es, o Herrin! daß Zulema von uns in

dem Kloster aufgenommen wurde. Anfangs überließ sie sich ganz dem

trostlosesten Schmerz und bald waren es wild und schauerlich tönende,

bald tiefklagende Romanzen, mit denen sie das Kloster erfüllte, denn

überall hörte man ihre durchdringende Glockenstimme. Es begab sich,

daß wir einst um Mitternacht im Chor der Kirche versammelt waren und

die Hora nach jener wundervollen heiligen Weise absangen, die der hohe

Meister des Gesanges, Ferreras, uns lehrte. Ich bemerkte im Schein

der Lichter Zulema in der offnen Pforte des Chors stehend und mit

ernstem Blick still und andächtig hineinschauend; als wir paarweise

daherziehend den Chor verließen, kniete Zulema im Gange unfern eines

Marienbildes. Den andern Tag sang sie keine Romanze, sondern blieb

still und in sich gekehrt. Bald versuchte sie auf der tiefgestimmten

Zither die Akkorde jenes Chorals, den wir in der Kirche gesungen, und

dann fing sie an leise leise zu singen, ja selbst die Worte unsers

Gesanges zu versuchen, die sie freilich wunderlich wie mit gebundener

Zunge aussprach. Ich merkte wohl, daß der Geist des Herrn mit milder

tröstender Stimme im Gesange zu ihr gesprochen, und daß sich ihre

Brust öffnen würde seiner Gnade, daher schickte ich Schwester

Emanuela, die Meisterin des Chors, zu ihr, daß sie den glimmenden

Funken anfache, und so geschah es, daß im heiligen Gesange der Kirche

der Glaube in ihr entzündet wurde. Noch ist Zulema nicht durch die

heilige Taufe in den Schoß der Kirche aufgenommen, aber vergönnt wurde

es ihr unserm Chor sich beizugesellen, und so ihre wunderbare Stimme

zur Glorie der Religion zu erheben.« Die Königin wußte nun wohl, was

in Aguillars Innerm vorgegangen, als er auf Agostinos Einrede Zulema

nicht zurücksandte nach Granada, sondern sie im Kloster aufnehmen

ließ und um so mehr war sie erfreut über Zulemas Bekehrung zum wahren

Glauben. Nach wenigen Tagen wurde Zulema getauft und erhielt den Namen

Julia. Die Königin selbst, der Marquis von Cadix, Heinrich von Gusman,

die Feldherren Mendoza, Villena, waren die Zeugen des heiligen Akts.

Man hätte glauben sollen, daß Julias Gesang nun noch inniger und

wahrer die Herrlichkeit des Glaubens hätte verkünden müssen und so

geschah es auch wirklich eine kurze Zeit hindurch, indessen bemerkte

Emanuela bald, daß Julia oft auf seltsame Weise von dem Choral abwich,

fremdartige Töne einmischend. Oft hallte urplötzlich der dumpfe

Klang einer tiefgestimmten Zither durch den Chor. Der Ton glich dem

Nachklingen vom Sturm durchrauschter Saiten. Dann wurde Julia unruhig

und es geschah sogar, daß sie wie willkürlos in den lateinischen

Hymnus ein mohrisches Wort einwarf. Emanuela warnte die Neubekehrte,

standhaft zu widerstehen dem Feinde, aber leichtsinnig achtete Julia

dessen nicht und zum Ärgernis der Schwestern sang sie oft, wenn eben

die ernsten heiligen Choräle des alten Ferreras erklungen, tändelnde

mohrische Liebeslieder zur Zither, die sie wieder hochgestimmt hatte.

Sonderbarerweise klangen jetzt die Zithertöne, die oft durch den Chor

sausten, auch hoch und recht widrig beinahe wie das gellende Gepfeife

der kleinen mohrischen Flöten.

 

Der Kapellmeister. Flauti piccoli - Oktavflötchen. Aber, mein Bester,

noch bis jetzt nichts, gar nichts für die Oper - keine Exposition und

das ist immer die Hauptsache, doch mit der tiefen und hohen Stimmung

der Zither, das hat mich angeregt. Glaubt Ihr nicht, daß der Teufel

ein Tenorist ist? Er ist falsch wie - der Teufel, und daher macht er

alles im Falsett!

 

Der Enthusiast. Gott im Himmel! - Ihr werdet von Tage zu Tage

witziger, Kapellmeister! Aber Ihr habt recht, lassen wir dem

teuflischen Prinzip alles überhohe unnatürliche Gepfeife, Gequieke

etc. Doch weiter fort in der Erzählung, die mir eigentlich blutsauer

wird, weil ich jeden Augenblick Gefahr laufe, über irgend einen wohl

zu beachtenden Moment wegzuspringen.

 

Es begab sich, daß die Königin, begleitet von den edlen Feldherren

des Lagers, nach der Kirche der Benedektiner-Nonnen schritt, um

wie gewöhnlich die Messe zu hören. Vor der Pforte lag ein elender

zerlumpter Bettler, die Trabanten wollten ihn fortschaffen, doch halb

erhoben riß er sich wieder los und warf sich heulend nieder, so daß er

die Königin berührte. Ergrimmt sprang Aguillar hervor und wollte den

Elenden mit dem Fuße fortstoßen. Der richtete sich aber mit halbem

Leibe gegen ihn empor und schrie: »Tritt die Schlange - tritt die

Schlange, sie wird dich stechen zum Tode!« und dazu griff er in die

Saiten der unter den Lumpen versteckten Zither, daß sie im gellenden

widrig pfeifenden Tone zerrissen und alle von unheimlichem Grauen

ergriffen, zurückbebten. Die Trabanten schafften das widrige Gespenst

fort und es hieß: der Mensch sei ein gefangener wahnsinniger Mohr,

der aber durch seine tollen Späße und durch sein verwunderliches

Zitherspiel die Soldaten im Lager belustige. Die Königin trat ein und

das Amt begann. Die Schwestern im Chor intonierten das Sanctus, eben

sollte Julia mit mächtiger Stimme wie sonst eintreten: »Pleni sunt

coeli gloria tua«, da ging ein gellender Zitherton durch den Chor,

Julia schlug schnell das Blatt zusammen und wollte den Chor verlassen.

»Was beginnst du?« rief Emanuela. »Oh!« sagte Julia, »hörst du denn

nicht die prächtigen Töne des Meisters? dort bei ihm, mit ihm muß ich

singen!« damit eilte Julia nach der Türe, aber Emanuela sprach mit

sehr ernster feierlicher Stimme: »Sünderin, die du den Dienst des

Herrn entweihst, da du mit dem Munde sein Lob verkündest und im Herzen

weltliche Gedanken trägst, flieh von hinnen, gebrochen ist die Kraft

des Gesanges in dir, verstummt sind die wunderbaren Laute in deiner

Brust die der Geist des Herrn entzündet!« - Von Emanuelas Worten wie

vom Blitz getroffen, schwankte Julia fort. Eben wollten die Nonnen zur

Nachtzeit sich versammeln, um die Hora zu singen, als ein dicker Qualm

schnell die ganze Kirche erfüllte. Bald darauf drangen die Flammen

zischend und prasselnd durch die Wände des Nebengebäudes und erfaßten

das Kloster. Mit Mühe gelang es den Nonnen ihr Leben zu retten,

Trompeten und Hörner schmetterten durch das Lager, aus dem ersten

Schlaf taumelten die Soldaten auf; man sah den Feldherrn Aguillar mit

versengtem Haar, mit halbverbrannten Kleidern aus dem Kloster stürzen,

er hatte Julia, die man vermißte, vergebens zu retten gesucht, keine

Spur von ihr war zu finden. Fruchtlos blieb der Kampf gegen das Feuer,

das von dem Sturm, der sich erhoben, angefacht, immer mehr um sich

griff: in kurzer Zeit lag Isabellens ganzes reiches herrliches Lager

in Asche. Die Mauren im Vertrauen, daß der Christen Unglück ihnen

Sieg bringen würde, wagten mit einer bedeutenden Macht einen Ausfall,

glänzender war aber für die Waffen der Spanier nie ein Kampf gewesen,

als eben dieser, und als sie unter dem jauchzenden Schall der

Trompeten sieggekrönt in ihre Verschanzungen zurückzogen, da bestieg

die Königin Isabella den Thron, den man im Freien errichtet hatte

und verordnete, daß an der Stelle des abgebrannten Lagers eine Stadt

gebaut werde! Zeigen sollte dies den Mauren in Granada, daß niemals

die Belagerung aufgehoben werden würde.

 

Der Kapellmeister. Dürfte man sich nur mit geistlichen Dingen auf das

Theater wagen, hat man nicht schon seine Not mit dem lieben Publikum,

wenn man hie und da ein bißchen Choral anbringt. Sonst wär die Julia

gar keine üble Partie. Denkt Euch den doppelten Stil, in welchem sie

glänzen kann, erst die Romanzen, dann die Kirchengesänge. Einige

allerliebste spanische und mohrische Lieder hab ich bereits fertig,

auch ist der Sieges-Marsch der Spanier gar nicht übel, so wie ich

das Gebot der Königin melodramatisch zu behandeln willens bin, wie

indessen das Ganze sich zusammenfügen soll, das weiß der Himmel! -

Aber erzählt weiter, kommen wir wieder auf Julia, die hoffentlich

nicht verbrannt sein wird.

 

Der Enthusiast. Denkt Euch, liebster Kapellmeister, daß jene Stadt,

die die Spanier in einundzwanzig Tagen aufbauten und mit Mauern

umgaben, eben das heute noch stehende Santa Fé ist. Doch indem ich

das Wort so unmittelbar an Euch richte, falle ich aus dem feierlichen

Ton, der allein sich zu dem feierlichen Stoffe paßt. Ich wollte Ihr

spieltet eins von Palestrinas Responsorien, die dort auf dem Pult des

Fortepianos aufgeschlagen liegen.

 

Der Kapellmeister tat es und hierauf fuhr der reisende Enthusiast

fort:

 

Die Mauren unterließen nicht, die Spanier während des Aufbaues ihrer

Stadt auf mannigfache Weise zu beunruhigen, die Verzweiflung trieb

sie zur verwegensten Kühnheit und so wurden die Gefechte ernster

als jemals. Aguillar hatte einst ein maurisches Geschwader, das

die spanischen Vorwachen überfallen, bis in die Mauern von Granada

zurückgetrieben. Er kehrte mit seinen Reitern zurück, und hielt unfern

den ersten Verschanzungen bei einem Myrtenwäldchen, sein Gefolge

fortschickend, um so ernstem Gedanken und wehmütiger Erinnerung sich

mit ganzem Gemüt hingeben zu können. Julias Bild stand lebendig vor

seines Geistes Augen. Schon während des Gefechts hörte er ihre Stimme

bald drohend bald klagend ertönen und auch jetzt war es ihm als

säusle ein seltsamer Gesang, halb mohrisches Lied halb christlicher

Kirchengesang, durch die dunklen Myrten. Da rauschte plötzlich

ein mohrischer Ritter im silbernen Schuppenharnisch auf leichtem

arabischen Pferde aus dem Walde hervor und gleich sauste auch der

geworfene Speer dicht bei Aguillars Haupt vorbei. Er wollte mit

gezogenem Schwert auf den Feind losstürzen, als der zweite Speer flog

und seinem Pferde tief in der Brust stecken blieb, daß es sich vor Wut

und Schmerz hoch emporbäumte und Aguillar sich schnell von der Seite

herabschwingen mußte, um schwerem Falle nicht zu erliegen. Der Mohr

war herangesprengt und hieb herab mit der Sichelklinge nach Aguillars

entblößtem Haupt. Aber geschickt parierte Aguillar den Todesstreich

und hieb so gewaltig nach, daß der Mohr sich nur rettete, indem er

tief vom Pferde niedertauchte. In demselben Augenblick drängte sich

des Mohren Pferd dicht an Aguillar, so daß er keinen zweiten Hieb

führen konnte, der Mohr riß seinen Dolch hervor, aber noch ehe er

zustoßen konnte, hatte ihn Aguillar mit Riesenstärke erfaßt, vom

Pferde heruntergezogen und ringend zu Boden geworfen. Er kniete auf

des Mohren Brust und indem er mit der linken Faust des Mohren rechten

Arm so gewaltig gepackt hatte, daß er regungslos blieb, zog er

seinen Dolch. Schon hatte er den Arm erhoben, um des Mohren Kehle zu

durchstoßen, als dieser tief aufseufzte: »Zulema!« - Zur Bildsäule

erstarrt vermochte Aguillar nicht die Tat zu vollenden. »Unseliger«,

rief er, »welch einen Namen nanntest du?« - »Stoße zu«, stöhnte der

Mohr, »stoße zu, du tötest den, der dir Tod und Verderben geschworen

hat. Ja! wisse, verräterischer Christ, wisse, daß es Hichem der letzte

des Stammes Alhamar ist, dem du Zulema raubtest! - Wisse, daß jener

zerlumpte Bettler, der mit den Gebärden des Wahnsinns in eurem

Lager umherschlich, Hichem war, wisse daß es mir gelang, das

dunkle Gefängnis, in dem ihr Verruchte das Licht meiner Gedanken

eingeschlossen, anzuzünden, und Zulema zu retten.« »Zulema -Julia

lebt?« rief Aguillar. Da lachte Hichem gellend auf im grausigen Hohn:

»Ja sie lebt, aber Euer blutiges dornengekröntes Götzenbild hat mit

fluchwürdigem Zauber sie befangen und die duftende glühende Blume des

Lebens eingehüllt in die Leichentücher der wahnsinnigen Weiber, die

Ihr Bräute Eures Götzen nennt. Wisse, daß Ton und Gesang in ihrer

Brust wie angeweht vom giftigen Hauch des Samums erstorben ist. Dahin

ist alle Lust des Lebens mit Zulemas süßen Liedern, darum töte mich

- töte mich, da ich nicht Rache zu nehmen vermag an dir, der du mir

schon mehr als mein Leben entrissest.« Aguillar ließ ab von Hichem und

erhob sich, sein Schwert von dem Boden aufnehmend langsam. »Hichem«,

sprach er: »Zulema, die in heiliger Taufe den Namen Julia empfing,

wurde meine Gefangene im ehrlichen offenen Kampf. Erleuchtet von

der Gnade des Herrn, entsagte sie Mahoms schnödem Dienst und was du

verblendeter Mohr bösen Zauber eines Götzenbildes nennst, war nur die

Versuchung des Bösen, dem sie nicht zu widerstehen vermochte. Nennst

du Zulema deine Geliebte, so sei Julia, die zum Glauben Bekehrte,

die Dame meiner Gedanken, und _sie_ im Herzen, zur Glorie des wahren

Glaubens will ich gegen dich bestehen im wackern Kampf. Nimm deine

Waffen und falle gegen mich aus wie du willst nach deiner Sitte.«

Schnell ergriff Hichem Schwert und Tartsche, aber auf Aguillar

losrennend, wankte er laut aufbrüllend zurück, warf sich auf das

Pferd, das neben ihm stehen geblieben und sprengte gestreckten Galopps

davon. Aguillar wußte nicht was das zu bedeuten haben könnte, aber in

dem Augenblick stand der ehrwürdige Greis Agostino Sanchez hinter ihm

und sprach sanft lächelnd: »Fürchtet Hichem mich oder den Herrn, der

in mir wohnt und dessen Liebe er verschmäht?« Aguillar erzählte alles

was er von Julia vernommen und beide erinnerten sich nun wohl an

die prophetischen Worte Emanuelas, als Julia verlockt von Hichems

Zithertönen alle Andacht im Innern ertötend, den Chor während des

Sanctus verließ.

 

Der Kapellmeister. Ich denke an keine Oper mehr, aber das Gefecht

zwischen dem Mohren Hichem im Schuppenharnisch und dem Feldherrn

Aguillar ging mir auf in Musik. - Hol es der Teufel! - wie kann

man nun besser gegeneinander ausfallen lassen als es Mozart im Don

Giovanni getan hat. Ihr wißt doch - in der ersten -

 

Der reisende Enthusiast. Still Kapellmeister! Ich werde nun meiner

schon zu langen Erzählung den letzten Ruck geben. Noch allerlei kommt

vor, und es ist nötig die Gedanken zusammenzuhalten, um so mehr, da

ich immer dabei an Bettina denke, welches mich nicht wenig verwirrt.

Vorzüglich möcht ich gar nicht, daß sie jemals etwas von meiner

spanischen Geschichte erführe und doch ist es mir so, als wenn sie

dort an jener Türe lauschte, welches natürlicherweise pure Einbildung

sein muß. Also weiter.

 

Immer und immer geschlagen in allen Gefechten, von der

täglich-stündlich zunehmenden Hungersnot gedrückt, sahen sich die

Mauren endlich genötigt, zu kapitulieren und im festlichen Gepränge

unter dem Donner des Geschützes zogen Ferdinand und Isabella in

Granada ein. Priester hatten die große Moschee eingeweiht zur

Kathedrale und dorthin ging der Zug, um in andächtiger Messe, im

feierlichen Te deum laudamus dem Herrn der Heerscharen zu danken für

den glorreichen Sieg über die Diener Mahoms, des falschen Propheten.

Man kannte die nur mühsam unterdrückte, immer neu aufgeifernde Wut der

Mohren und daher deckten Truppenabteilungen, die durch entferntere

Straßen schlagfertig zogen, die durch die Hauptstraße sich bewegende

Prozession. So geschah es, daß Aguillar an der Spitze einer Abteilung

Fußvolks eben auf entfernterem Wege sich nach der Kathedrale, wo das

Amt schon begonnen, begeben wollte, als er sich plötzlich durch einen

Pfeilschuß an der linken Schulter verwundet fühlte. In demselben

Augenblick stürzte ein Haufen Mohren aus einem dunklen Bogengange

hervor, und überfiel die Christen mit verzweifelnder Wut. Hichem an

der Spitze rannte gegen Aguillar an, dieser nur leicht verletzt, kaum

den Schmerz der Wunde fühlend, parierte geschickt den gewaltigen Hieb

und in demselben Augenblick lag auch Hichem mit gespaltenem Kopf zu

seinen Füßen. Die Spanier drangen wütend ein auf die verräterischen

Mohren, die bald heulend flohen und sich in ein steinernes Haus

warfen, dessen Tor sie schnell verschlossen. Die Spanier stürmten

heran, aber da regnete es Pfeile aus den Fenstern, Aguillar befahl

Feuerbrände hineinzuwerfen. Schon loderten die Flammen aus dem Dache

hoch auf, als durch den Donner des Geschützes eine wunderbare Stimme

aus dem brennenden Gebäude erklang: »Sanctus - Sanctus Dominus deus

Sabaoth.« - »Julia - Julia!« rief Aguillar in trostlosem Schmerz, da

öffneten sich die Pforten, und Julia im Gewande der Benediktiner-Nonne

trat hervor mit starker Stimme singend: »Sanctus - Sanctus dominus

deus Sabaoth«, hinter ihr zogen die Mohren in gebeugter Stellung die

Hände auf der Brust zum Kreuz verschränkt. Erstaunt wichen die Spanier

zurück und durch ihre Reihen zog Julia mit den Mohren nach der

Kathedrale - hineintretend intonierte sie das: »Benedictus qui venit

in nomine domini.« Unwillkürlich, als komme die Heilige vom Himmel

gesendet, Heiliges zu verkünden den Gesegneten des Herrn, beugte das

Volk die Knie. Festen Schrittes, den verklärten Blick gen Himmel

gerichtet, trat Julia vor den Hochaltar zwischen Ferdinand und

Isabellen, das Amt singend und die heiligen Gebräuche mit inbrünstiger

Andacht übend. Bei den letzten Lauten des: »Dona nobis pacem«, sank

Julia entseelt der Königin in die Arme. Alle Mohren, die ihr gefolgt,

empfingen, zum Glauben bekehrt, selbigen Tages die heilige Taufe.

 

So hatte der Enthusiast seine Geschichte geendet, als der Doktor mit

vielem Geräusch eintrat, heftig mit dem Stock auf die Erde stieß

und zornig schrie: »Da sitzen sie noch und erzählen sich tolle

fantastische Geschichten ohne Rücksicht auf Nachbarschaft und machen

die Leute kränker.« - »Was ist denn nun wieder geschehen, mein

Wertester«, sprach der Kapellmeister ganz erschrocken. »Ich weiß es

recht gut«, fiel der Enthusiast ganz gelassen ein. »Nichts mehr und

nichts weniger, als daß Bettina uns stark reden gehört hat, dort

ins Kabinett gegangen ist und alles weiß.« - »Das habt Ihr nun«,

sprudelte der Doktor, »von Euren verdammten lügenhaften Geschichten,

wahnsinniger Enthusiast, daß Ihr reizbare Gemüter vergiftet -

ruiniert, mit Eurem tollen Zeuge; aber ich werde Euch das Handwerk

legen.« - »Herrlicher Doktor!« unterbrach der Enthusiast den Zornigen,

»ereifert Euch nicht und bedenkt, daß Bettinas psychische Krankheit

psychische Mittel erfordert und daß vielleicht meine Geschichte« -

»Still still«, fiel der Doktor ganz gelassen ein, »ich weiß schon,

was Ihr sagen wollt.« - »Zu einer Oper taugt es nicht, aber sonst

gab es darin einige sonderbar klingende Akkorde.« So murmelte der

Kapellmeister, indem er den Hut ergriff und den Freunden folgte.

 

Als drei Monat darauf der reisende Enthusiast der gesundeten Bettina,

die mit herrlicher Glocken-Stimme Pergoleses Stabat mater (jedoch

nicht in der Kirche, sondern im mäßig großen Zimmer) gesungen hatte,

voll Freude und andächtigen Entzückens die Hand küßte, sprach

sie: »Ein Hexenmeister sind Sie gerade nicht, aber zuweilen

etwas widerhaarigter Natur«, »wie alle Enthusiasten«, setzte der

Kapellmeister hinzu.

 

 

 

Zweiter Teil

 

 

 

Das öde Haus

 

Man war darüber einig, daß die wirklichen Erscheinungen im Leben oft

viel wunderbarer sich gestalten, als alles, was die regste Fantasie

zu erfinden trachte. »Ich meine«, sprach Lelio, »daß die Geschichte

davon hinlänglichen Beweis gibt und daß eben deshalb die sogenannten

historischen Romane, worin der Verfasser, in seinem müßigen Gehirn

bei ärmlichem Feuer ausgebrütete Kindereien, den Taten der ewigen,

im Universum wartenden Macht beizugesellen sich unterfängt, so

abgeschmackt und widerlich sind.« - »Es ist«, nahm Franz das Wort,

»die tiefe Wahrheit der unerforschlichen Geheimnisse, von denen wir

umgeben, welche uns mit einer Gewalt ergreift, an der wir den über uns

herrschenden, uns selbst bedingenden Geist erkennen.« - »Ach!« fuhr

Lelio fort, »die Erkenntnis, von der du sprichst! - Ach das ist ja

eben die entsetzlichste Folge unserer Entartung nach dem Sündenfall,

daß diese Erkenntnis uns fehlt!« - »Viele«, unterbrach Franz den

Freund, »viele sind berufen und wenige auserwählt! Glaubst du denn

nicht, daß das Erkennen, das beinahe noch schönere Ahnen der Wunder

unseres Lebens manchem verliehen ist, wie ein besonderer Sinn? Um

nur gleich aus der dunklen Region, in die wir uns verlieren könnten,

heraufzuspringen in den heitren Augenblick, werf ich euch das skurrile

Gleichnis hin, daß Menschen, denen die Sehergabe [gegeben], das

Wunderbare zu schauen, mir wohl wie die Fledermäuse bedünken wollen,

an denen der gelehrte Anatom Spalanzani einen vortrefflichen sechsten

Sinn entdeckte, der als schalkhafter Stellvertreter nicht allein

alles, sondern viel mehr ausrichtet, als alle übrige Sinne

zusammengenommen.« - »Ho ho«, rief Franz lächelnd, »so wären denn die

Fledermäuse eigentlich recht die gebornen natürlichen Somnambulen!

Doch in dem heitern Augenblick, dessen du gedachtest, will ich Posto

fassen und bemerken, daß jener sechste bewundrungswürdige Sinn vermag

an jeder Erscheinung, sei es Person, Tat oder Begebenheit, sogleich

dasjenige Exzentrische zu schauen, zu dem wir in unserm gewöhnlichen

Leben keine Gleichung finden und es daher wunderbar nennen. Was ist

denn aber gewöhnliches Leben? - Ach das Drehen in dem engen Kreise,

an den unsere Nase überall stößt, und doch will man wohl Courbetten

versuchen im taktmäßigen Paßgang des Alltagsgeschäfts. Ich kenne

jemanden, dem jene Sehergabe, von der wir sprechen, ganz vorzüglich

eigen scheint. Daher kommt es, daß er oft unbekannten Menschen, die

irgend etwas Verwunderliches in Gang, Kleidung, Ton, Blick haben,

tagelang nachläuft, daß er über eine Begebenheit, über eine Tat,

leichthin erzählt, keiner Beachtung wert und von niemanden beachtet,

tiefsinnig wird, daß er antipodische Dinge zusammenstellt und

Beziehungen herausfantasiert, an die niemand denkt.« Lelio rief laut:

»Halt, halt, das ist ja unser Theodor, der ganz was Besonderes im

Kopfe zu haben scheint, da er mit solch seltsamen Blicken in das

Blaue herausschaut.« - »In der Tat«, fing Theodor an, der so lange

geschwiegen, »in der Tat, waren meine Blicke seltsam, solang darin

der Reflex des wahrhaft Seltsamen, das ich im Geiste schaute. Die

Erinnerung eines unlängst erlebten Abenteuers« - »O erzähle, erzähle«,

unterbrachen ihn die Freunde. »Erzählen«, fuhr Theodor fort, »möcht

ich wohl, doch muß ich zuvörderst dir, lieber Lelio, sagen, daß du

die Beispiele, die meine Sehergabe dartun sollten, ziemlich schlecht

wähltest. Aus Eberhards Synonymik mußt du wissen, daß _wunderlich_ alle

Äußerungen der Erkenntnis und des Begehrens genannt werden, die sich

durch keinen vernünftigen Grund rechtfertigen lassen, _wunderbar_ aber

dasjenige heißt, was man für unmöglich, für unbegreiflich hält, was

die bekannten Kräfte der Natur zu übersteigen, oder wie ich hinzufüge,

ihrem gewöhnlichen Gange entgegen zu sein scheint. Daraus wirst du

entnehmen, daß du vorhin rücksichts meiner angeblichen Sehergabe das

Wunderliche mit dem Wunderbaren verwechseltest. Aber gewiß ist es, daß

das anscheinend Wunderliche aus dem Wunderbaren sproßt, und daß wir

nur oft den wunderbaren Stamm nicht sehen, aus dem die wunderlichen

Zweige mit Blättern und Blüten hervorsprossen. In dem Abenteuer, das

ich euch mitteilen will, mischt sich beides, das Wunderliche und

Wunderbare, auf, wie mich dünkt, recht schauerliche Weise.« Mit diesen

Worten zog Theodor sein Taschenbuch hervor, worin er, wie die Freunde

wußten, allerlei Notizen von seiner Reise her eingetragen hatte,

und erzählte, dann und wann in dies Buch hineinblickend, folgende

Begebenheit, die der weiteren Mitteilung nicht unwert scheint.

 

»Ihr wißt« (so fing Theodor an), »daß ich den ganzen vorigen Sommer

in ***n zubrachte. Die Menge alter Freunde und Bekannten, die ich

vorfand, das freie gemütliche Leben, die mannigfachen Anregungen der

Kunst und der Wissenschaft, das alles hielt mich fest. Nie war ich

heitrer, und meiner alten Neigung, oft allein durch die Straßen

zu wandeln, und mich an jedem ausgehängten Kupferstich, an jedem

Anschlagzettel zu ergötzen, oder die mir begegnenden Gestalten zu

betrachten, ja wohl manchem in Gedanken das Horoskop zu stellen, hing

ich hier mit Leidenschaft nach, da nicht allein der Reichtum der

ausgestellten Werke der Kunst und des Luxus, sondern der Anblick der

vielen herrlichen Prachtgebäude unwiderstehlich mich dazu antrieb. Die

mit Gebäuden jener Art eingeschlossene Allee, welche nach dem ***ger

Tore führt, ist der Sammelplatz des höheren, durch Stand oder Reichtum

zum üppigeren Lebensgenuß berechtigten Publikums. In dem Erdgeschoß

der hohen breiten Paläste werden meistenteils Waren des Luxus

feilgeboten, indes in den obern Stockwerken Leute der beschriebenen

Klasse hausen. Die vornehmsten Gasthäuser liegen in dieser Straße,

die fremden Gesandten wohnen meistens darin, und so könnt ihr denken,

daß hier ein besonderes Leben und Regen mehr als in irgend einem

andern Teile der Residenz stattfinden muß, die sich eben auch hier

volkreicher zeigt, als sie es wirklich ist. Das Zudrängen nach diesem

Orte macht es, daß mancher sich mit einer kleineren Wohnung, als sein

Bedürfnis eigentlich erfordert, begnügt, und so kommt es, daß manches

von mehreren Familien bewohnte Haus einem Bienenkorbe gleicht. Schon

oft war ich die Allee durchwandelt, als mir eines Tages plötzlich ein

Haus ins Auge fiel, das auf ganz wunderliche seltsame Weise von allen

übrigen abstach. Denkt euch ein niedriges, vier Fenster breites, von

zwei hohen schönen Gebäuden eingeklemmtes Haus, dessen Stock über dem

Erdgeschoß nur wenig über die Fenster im Erdgeschoß des nachbarlichen

Hauses hervorragt, dessen schlecht verwahrtes Dach, dessen zum Teil

mit Papier verklebte Fenster, dessen farblose Mauern von gänzlicher

Verwahrlosung des Eigentümers zeugen. Denkt euch, wie solch ein Haus

zwischen mit geschmackvollem Luxus ausstaffierten Prachtgebäuden sich

ausnehmen muß. Ich blieb stehen und bemerkte bei näherer Betrachtung,

daß alle Fenster dicht verzogen waren, ja daß vor die Fenster des

Erdgeschosses eine Mauer aufgeführt schien, daß die gewöhnliche Glocke

an dem Torwege, der, an der Seite angebracht, zugleich zur Haustüre

diente, fehlte, und daß an dem Torwege selbst nirgends ein Schloß, ein

Drücker zu entdecken war. Ich wurde überzeugt, daß dieses Haus ganz

unbewohnt sein müsse, da ich niemals, niemals, so oft und zu welcher

Tageszeit ich auch vorübergehen mochte, auch nur die Spur eines

menschlichen Wesens darin wahrnahm. Ein unbewohntes Haus in dieser

Gegend der Stadt! Eine wunderliche Erscheinung und doch findet das

Ding vielleicht darin seinen natürlichen einfachen Grund, daß der

Besitzer auf einer lange dauernden Reise begriffen oder auf fernen

Gütern hausend, dies Grundstück weder vermieten noch veräußern mag,

um, nach ***n zurückkehrend, augenblicklich seine Wohnung dort

aufschlagen zu können. - So dacht ich, und doch weiß ich selbst nicht

wie es kam, daß bei dem öden Hause vorüberschreitend ich jedesmal wie

festgebannt stehen bleiben und mich in ganz verwunderliche Gedanken

nicht sowohl vertiefen, als verstricken mußte. - Ihr wißt es ja alle,

ihr wackern Kumpane meines fröhlichen Jugendlebens, ihr wißt es ja

alle, wie ich mich von jeher als Geisterseher gebärdete und wie mir

nur einer wunderbaren Welt seltsame Erscheinungen ins Leben treten

wollten, die ihr mit derbem Verstande wegzuleugnen wußtet! - Nun!

zieht nur eure schlauen spitzfündigen Gesichter, wie ihr wollt, gern

zugestehen darf ich ja, daß ich oft mich selbst recht arg mystifiziert

habe, und daß mit dem öden Hause sich dasselbe ereignen zu wollen

schien, aber - am Ende kommt die Moral, die euch zu Boden schlägt,

horcht nur auf! - Zur Sache! - Eines Tages und zwar in der Stunde,

wenn der gute Ton gebietet, in der Allee auf und ab zu gehen, stehe

ich, wie gewöhnlich, in tiefen Gedanken hinstarrend vor dem öden

Hause. Plötzlich bemerke ich, ohne gerade hinzusehen, daß jemand neben

mir sich hingestellt und den Blick auf mich gerichtet hatte. Es ist

Graf P., der sich schon in vieler Hinsicht als mir geistesverwandt

kundgetan hat, und sogleich ist mir nichts gewisser, als daß auch ihm

das Geheimnisvolle des Hauses aufgegangen war. Um so mehr fiel es mir

auf, daß, als ich von dem seltsamen Eindruck sprach, den dies verödete

Gebäude hier in der belebtesten Gegend der Residenz auf mich gemacht

hatte, er sehr ironisch lächelte, bald war aber alles erklärt.

Graf P. war viel weiter gegangen als ich, aus manchen Bemerkungen,

Kombinationen etc. hatte er die Bewandtnis herausgefunden, die es mit

dem Hause hatte, und eben diese Bewandtnis lief auf eine solche ganz

seltsame Geschichte heraus, die nur die lebendigste Fantasie des

Dichters ins Leben treten lassen konnte. Es wäre wohl recht, daß ich

euch die Geschichte des Grafen, die ich noch klar und deutlich im Sinn

habe, mitteilte, doch schon jetzt fühle ich mich durch das, was sich

wirklich mit mir zutrug, so gespannt, daß ich unaufhaltsam fortfahren

muß. Wie war aber dem guten Grafen zu Mute, als er mit der Geschichte

fertig, erfuhr, daß das verödete Haus nichts anders enthalte, als die

Zuckerbäckerei des Konditors, dessen prachtvoll eingerichteter Laden

dicht anstieß. Daher waren die Fenster des Erdgeschosses, wo die Öfen

eingerichtet, vermauert und die zum Aufbewahren des Gebacknen im

obern Stock bestimmten Zimmer mit dicken Vorhängen gegen Sonne und

Ungeziefer verwahrt. Ich erfuhr, als der Graf mir dies mitteilte, so

wie er, die Wirkung des Sturzbades, oder es zupfte wenigstens der

allem Poetischen feindliche Dämon den Süßträumenden empfindlich und

schmerzhaft bei der Nase. - Unerachtet der prosaischen Aufklärung

mußte ich doch noch immer vorübergehend nach dem öden Hause

hinschauen, und noch immer gingen im leisen Frösteln, das mir durch

die Glieder bebte, allerlei seltsame Gebilde von dem auf, was

dort verschlossen. Durchaus konnte ich mich nicht an den Gedanken

der Zuckerbäckerei, des Marzipans, der Bonbons, der Torten, der

eingemachten Früchte usw. gewöhnen. Eine seltsame Ideen-Kombination

ließ mir das alles erscheinen wie süßes beschwichtigendes Zureden.

Ungefähr: >Erschrecken Sie nicht, Bester! wir alle sind liebe süße

Kinderchen, aber der Donner wird gleich ein bißchen einschlagen.< Dann

dachte ich wieder: >Bist du nicht ein recht wahnsinniger Tor, daß du

das Gewöhnlichste in das Wunderbare zu ziehen trachtest, schelten

deine Freunde dich nicht mit Recht einen überspannten Geisterseher?<

- Das Haus blieb, wie es bei der angeblichen Bestimmung auch nicht

anders sein konnte, immer unverändert, und so geschah es, daß

mein Blick sich daran gewöhnte, und die tollen Gebilde, die sonst

ordentlich aus den Mauern hervorzuschweben schienen, allmählig

verschwanden. Ein Zufall weckte alles, was eingeschlummert, wieder

auf. - Daß, unerachtet ich mich, so gut es gehen wollte, ins

Alltägliche gefügt hatte, ich doch nicht unterließ, das fabelhafte

Haus im Auge zu behalten, das könnt ihr euch bei meiner Sinnesart, die

nun einmal mit frommer ritterlicher Treue am Wunderbaren festhält,

wohl denken.

 

So geschah es, daß ich eines Tages, als ich wie gewöhnlich zur

Mittagsstunde in der Allee lustwandelte meinen Blick auf die

verhängten Fenster des öden Hauses richtete. Da bemerkte ich, daß die

Gardine an dem letzten Fenster dicht neben dem Konditorladen sich zu

bewegen begann. Eine Hand, ein Arm kam zum Vorschein. Ich riß meinen

Operngucker heraus und gewahrte nun deutlich die blendend weiße,

schön geformte Hand eines Frauenzimmers, an deren kleinem Finger ein

Brillant mit ungewöhnlichem Feuer funkelte, ein reiches Band blitzte

an dem in üppiger Schönheit geründeten Arm. Die Hand setzte eine

hohe seltsam geformte Kristallflasche hin auf die Fensterbank und

verschwand hinter dem Vorhange. Erstarrt blieb ich stehen, ein

sonderbar bänglich wonniges Gefühl durchströmte mit elektrischer Wärme

mein Inneres, unverwandt blickte ich herauf nach dem verhängnisvollen

Fenster, und wohl mag ein sehnsuchtsvoller Seufzer meiner Brust

entflohen sein. Ich wurde endlich wach und fand mich umringt von

vielen Menschen allerlei Standes, die so wie ich mit neugierigen

Gesichtern heraufguckten. Das verdroß mich, aber gleich fiel mir ein,

daß jedes Hauptstadtvolk jenem gleiche, das zahllos vor dem Hause

versammelt, nicht zu gaffen und sich darüber zu verwundern aufhören

konnte, daß eine Schlafmütze aus dem sechsten Stock herabgestürzt,

ohne eine Masche zu zerreißen. - Ich schlich mich leise fort, und der

prosaische Dämon flüsterte mir sehr vernehmlich in die Ohren, daß

soeben die reiche, sonntäglich geschmückte Konditorsfrau eine geleerte

Flasche feinen Rosenwassers o. s. auf die Fensterbank gestellt. -

Seltner Fall! - mir kam urplötzlich ein sehr gescheuter Gedanke. - Ich

kehrte um und geradezu ein, in den leuchtenden Spiegelladen des dem

öden Hause nachbarlichen Konditors. - Mit kühlendem Atem den heißen

Schaum von der Schokolade wegblasend, fing ich leicht hingeworfen an:

>In der Tat, Sie haben da nebenbei Ihre Anstalt sehr schön erweitert.<

Der Konditor warf noch schnell ein paar bunte Bonbons in die

Viertel-Tüte, und diese dem lieblichen Mädchen, das darnach verlangte,

hinreichend, lehnte er sich mit aufgestemmtem Arm weit über den

Ladentisch herüber und schaute mich mit solch lächelnd fragendem Blick

an, als habe er mich gar nicht verstanden. Ich wiederholte, daß er

sehr zweckmäßig in dem benachbarten Hause seine Bäckerei angelegt,

wiewohl das dadurch verödete Gebäude in der lebendigen Reihe der

übrigen düster und traurig absteche. >Ei mein Herr!< fing nun der

Konditor an, >wer hat Ihnen denn gesagt, daß das Haus nebenan uns

gehört? - Leider blieb jeder Versuch es zu akquirieren vergebens, und

am Ende mag es auch gut sein, denn mit dem Hause nebenan hat es eine

eigne Bewandtnis.< - Ihr, meine treuen Freunde, könnt wohl denken,

wie mich des Konditors Antwort spannte, und wie sehr ich ihn bat,

mir mehr von dem Hause zu sagen. >Ja, mein Herr!< sprach er, >recht

Sonderliches weiß ich selbst nicht davon, so viel ist aber gewiß,

daß das Haus der Gräfin von S. gehört, die auf ihren Gütern lebt und

seit vielen Jahren nicht in ***n gewesen ist. Als noch keins der

Prachtgebäude existierte, die jetzt unsere Straße zieren, stand dies

Haus, wie man mir erzählt hat, schon in seiner jetzigen Gestalt da,

und seit der Zeit wurd es nur gerade vor dem gänzlichen Verfall

gesichert. Nur zwei lebendige Wesen hausen darin, ein steinalter

menschenfeindlicher Hausverwalter und ein grämlicher lebenssatter

Hund, der zuweilen auf dem Hinterhofe den Mond anheult. Nach der

allgemeinen Sage soll es in dem öden Gebäude häßlich spuken, und in

der Tat, mein Bruder (der Besitzer des Ladens) und ich, wir beide

haben in der Stille der Nacht, vorzüglich zur Weihnachtszeit, wenn uns

unser Geschäft hier im Laden wach erhielt, oft seltsame Klagelaute

vernommen, die offenbar sich hier hinter der Mauer im Nebenhause

erhoben. Und dann fing es an so häßlich zu scharren und zu rumoren,

daß uns beiden ganz graulich zumute wurde. Auch ist es nicht lange

her, daß sich zur Nachtzeit ein solch sonderbarer Gesang hören ließ,

den ich Ihnen nun gar nicht beschreiben kann. Es war offenbar die

Stimme eines alten Weibes, die wir vernahmen, aber die Töne waren so

gellend klar, und liefen in bunten Kadenzen und langen schneidenden

Trillern so hoch hinauf, wie ich es, unerachtet ich doch in Italien,

Frankreich und Deutschland so viel Sängerinnen gekannt, noch nie

gehört habe. Mir war so, als würden französische Worte gesungen, doch

konnt ich das nicht genau unterscheiden, und überhaupt das tolle

gespenstige Singen nicht lange anhören, denn mir standen die Haare zu

Berge. Zuweilen, wenn das Geräusch auf der Straße nachläßt, hören wir

auch in der hintern Stube tiefe Seufzer, und dann ein dumpfes Lachen,

das aus dem Boden hervor zu dröhnen scheint, aber das Ohr an die Wand

gelegt, vernimmt man bald, daß es eben auch im Hause nebenan so seufzt

und lacht. - Bemerken Sie< - (er führte mich in das hintere Zimmer und

zeigte durchs Fenster), >bemerken Sie jene eiserne Röhre, die aus der

Mauer hervorragt, die raucht zuweilen so stark, selbst im Sommer,

wenn doch gar nicht geheizt wird, daß mein Bruder schon oft wegen

Feuersgefahr mit dem alten Hausverwalter gezankt hat, der sich aber

damit entschuldigt, daß er sein Essen koche, was der aber essen mag,

das weiß der Himmel, denn oft verbreitet sich, eben wenn jene Röhre

recht stark raucht, ein sonderbarer ganz eigentümlicher Geruch.< - Die

Glastüre des Ladens knarrte, der Konditor eilte hinein und warf mir,

nach der hineingetretenen Figur hinnickend, einen bedeutenden Blick

zu. - Ich verstand ihn vollkommen. Konnte denn die sonderbare Gestalt

jemand anders sein als der Verwalter des geheimnisvollen Hauses? -

Denkt euch einen kleinen dürren Mann mit einem mumienfarbnen Gesichte,

spitzer Nase, zusammengekniffenen Lippen, grün funkelnden Katzenaugen,

stetem wahnsinnigem Lächeln, altmodig mit aufgetürmtem Toupet und

Klebelöckchen frisiertem stark gepudertem Haar, großem Haarbeutel,

Postillion d'Amour, kaffeebraunem altem verbleichtem, doch

wohlgeschontem, gebürstetem Kleide, grauen Strümpfen, großen

abgestumpften Schuhen mit Steinschnällchen. Denkt euch, daß diese

kleine dürre Figur doch, vorzüglich was die übergroßen Fäuste mit

langen starken Fingern betrifft, robust geformt ist, und kräftig

nach dem Ladentisch hinschreitet, dann aber stets lächelnd und starr

hinausschauend nach den in Kristallgläsern aufbewahrten Süßigkeiten

mit ohnmächtiger klagender Stimme herausweint: >Ein paar eingemachte

Pomeranzen - ein paar Makronen - ein paar Zuckerkastanien etc.< Denkt

euch das und urteilt selbst, ob hier Grund war, Seltsames zu ahnen

oder nicht. Der Konditor suchte alles, was der Alte gefordert,

zusammen. >Wiegen Sie, wiegen Sie, verehrter Herr Nachbar<, jammerte

der seltsame Mann, holte ächzend und keuchend einen kleinen ledernen

Beutel aus der Tasche, und suchte mühsam Geld hervor. Ich bemerkte,

daß das Geld, als er es auf den Ladentisch aufzählte, aus

verschiedenen alten zum Teil schon ganz aus dem gewöhnlichen Kurs

gekommenen Münzsorten bestand. Er tat dabei sehr kläglich und

murmelte: >Süß - süß - süß soll nun alles sein - süß meinethalben;

der Satan schmiert seiner Braut Honig ums Maul - puren Honig.< Der

Konditor schaute mich lachend an, und sprach dann zu dem Alten: >Sie

scheinen nicht recht wohl zu sein, ja, ja das Alter, das Alter, die

Kräfte nehmen ab immer mehr und mehr.< Ohne die Miene zu ändern rief

der Alte mit erhöhter Stimme: >Alter? - Alter? - Kräfte abnehmen?

Schwach - matt werden! Ho ho - ho ho - ho ho!< Und damit schlug er

die Fäuste zusammen, daß die Gelenke knackten und sprang, in der Luft

ebenso gewaltig die Füße zusammenklappend, hoch auf, daß der ganze

Laden dröhnte und alle Gläser zitternd erklangen. Aber in dem

Augenblick erhob sich auch ein gräßliches Geschrei, der Alte hatte den

schwarzen Hund getreten der hinter ihm hergeschlichen dicht an seine

Füße geschmiegt auf dem Boden lag. >Verruchte Bestie! satanischer

Höllenhund<, stöhnte leise im vorigen Ton der Alte, öffnete die Tüte

und reichte dem Hunde eine große Makrone hin. Der Hund, der in ein

menschliches Weinen ausgebrochen, war sogleich still, setzte sich auf

die Hinterpfoten und knapperte an der Makrone wie ein Eichhörnchen.

Beide waren zu gleicher Zeit fertig, der Hund mit seiner Makrone, der

Alte mit dem Verschließen und Einstecken seiner Tüte. >Gute Nacht,

verehrter Herr Nachbar<, sprach er jetzt, reichte dem Konditor die

Hand, und drückte die des Konditors so, daß er laut aufschrie vor

Schmerz. >Der alte schwächliche Greis wünscht Ihnen eine gute Nacht,

bester Herr Nachbar Konditor<, wiederholte er dann und schritt

zum Laden heraus, hinter ihm der schwarze Hund mit der Zunge die

Makronenreste vom Maule wegleckend. Mich schien der Alte gar nicht

bemerkt zu haben, ich stand da ganz erstarrt vor Erstaunen. >Sehn

Sie<, fing der Konditor an, >sehen Sie, so treibt es der wunderliche

Alte hier zuweilen, wenigstens in vier Wochen zwei-, dreimal, aber

nichts ist aus ihm herauszubringen, als daß er ehemals Kammerdiener

des Grafen von S. war, daß er jetzt hier das Haus verwaltet, und jeden

Tag (schon seit vielen Jahren) die Gräflich S-sche Familie erwartet,

weshalb auch nichts vermietet werden kann. Mein Bruder ging ihm einmal

zu Leibe wegen des wunderlichen Getöns zur Nachtzeit, da sprach er

aber sehr gelassen: ,Ja! - die Leute sagen alle, es spuke im Hause,

glauben Sie es aber nicht, es tut nicht wahr sein.`< - Die Stunde war

gekommen, in der der gute Ton gebot, diesen Laden zu besuchen, die Tür

öffnete sich, elegante Welt strömte hinein und ich konnte nicht weiter

fragen.

 

So viel stand nun fest, daß die Nachrichten des Grafen P. über das

Eigentum und die Benutzung des Hauses falsch waren, daß der alte

Verwalter dasselbe seines Leugnens unerachtet nicht allein bewohnte,

und daß ganz gewiß irgend ein Geheimnis vor der Welt dort verhüllt

werden sollte. Mußte ich denn nicht die Erzählung von dem seltsamen,

schauerlichen Gesange mit dem Erscheinen des schönen Arms am Fenster

in Verbindung setzen? Der Arm saß nicht, konnte nicht sitzen an dem

Leibe eines alten verschrumpften Weibes, der Gesang nach des Konditors

Beschreibung nicht aus der Kehle des jungen blühenden Mädchens kommen.

Doch für das Merkzeichen des Arms entschieden, konnt ich leicht mich

selbst überreden, daß vielleicht nur eine akustische Täuschung die

Stimme alt und gellend klingen lassen, und daß ebenso vielleicht nur

des, vom Graulichen befangenen, Konditors trügliches Ohr die Töne so

vernommen. - Nun dacht ich an den Rauch, den seltsamen Geruch, an die

wunderlich geformte Kristallflasche, die ich sah, und bald stand das

Bild eines herrlichen, aber in verderblichen Zauberdingen befangenen

Geschöpfs mir lebendig vor Augen. Der Alte wurde mir zum fatalen

Hexenmeister, zum verdammten Zauberkerl, der vielleicht ganz

unabhängig von der Gräflich S-schen Familie geworden, nun auf seine

eigne Hand in dem verödeten Hause unheilbringendes Wesen trieb. Meine

Fantasie war im Arbeiten und noch in selbiger Nacht nicht sowohl im

Traum, als im Delirieren des Einschlafens, sah ich deutlich die Hand

mit dem funkelnden Diamant am Finger, den Arm mit der glänzenden

Spange. Wie aus dünnen grauen Nebeln trat nach und nach ein holdes

Antlitz mit wehmütig flehenden blauen Himmelsaugen, dann die

ganze wunderherrliche Gestalt eines Mädchens, in voller anmutiger

Jugendblüte hervor. Bald bemerkte ich, daß das, was ich für Nebel

hielt, der feine Dampf war, der aus der Kristallflasche, die die

Gestalt in den Händen hielt, in sich kreiselndem Gewirbel emporstieg.

>O du holdes Zauberbild<, rief ich voll Entzücken, >o du holdes

Zauberbild, tu es mir kund, wo du weilst, was dich gefangen hält? -

O wie du mich so voll Wehmut und Liebe anblickst! - Ich weiß es, die

schwarze Kunst ist es, die dich befangen, du bist die unglückselige

Sklavin des boshaften Teufels, der herumwandelt kaffeebraun und

behaarbeutelt in Zuckerladen und in gewaltigen Sprüngen alles

zerschmeißen will und Höllenhunde tritt, die er mit Makronen füttert,

nachdem sie den satanischen Murki im Fünfachteltakt abgeheult. - O

ich weiß ja alles, du holdes, anmutiges Wesen! - Der Diamant ist der

Reflex innerer Glut! - ach hättst du ihn nicht mit deinem Herzblut

getränkt, wie könnt er so funkeln, so tausendfarbig strahlen in den

allerherrlichsten Liebestönen, die je ein Sterblicher vernommen.

- Aber ich weiß es wohl, das Band, was deinen Arm umschlingt, ist

das Glied einer Kette, von der der Kaffeebraune spricht, sie sei

magnetisch - Glaub es nicht Herrliche! - ich sehe ja, wie sie

herabhängt in die, von blauem Feuer glühende Retorte. - Die werf ich

um und du bist befreit! - Weiß ich denn nicht alles - weiß ich denn

nicht alles, du Liebliche? Aber nun, Jungfrau! - nun öffne den

Rosenmund, o sage< - In dem Augenblick griff eine knotige Faust über

meine Schulter weg nach der Kristallflasche, die in tausend Stücke

zersplittert in der Luft verstäubte. Mit einem leisen Ton dumpfer

Wehklage war die anmutige Gestalt verschwunden in finstrer Nacht. -

Ha! - ich merk es an euerm Lächeln, daß ihr schon wieder in mir den

träumerischen Geisterseher findet, aber versichern kann ich euch,

daß der ganze Traum, wollt ihr nun einmal nicht abgehen von dieser

Benennung, den vollendeten Charakter der Vision hatte. Doch da ihr

fortfahrt, mich so im prosaischen Unglauben anzulächeln, so will ich

lieber gar nichts mehr davon sagen, sondern nur rasch weitergehen. -

Kaum war der Morgen angebrochen als ich voll Unruhe und Sehnsucht nach

der Allee lief, und mich hinstellte vor das öde Haus! - Außer den

innern Vorhängen waren noch dichte Jalousien vorgezogen. Die Straße

war noch völlig menschenleer, ich trat dicht an die Fenster des

Erdgeschosses und horchte und horchte, aber kein Laut ließ sich hören,

still blieb es wie im tiefen Grabe. - Der Tag kam herauf, das Gewerbe

rührte sich, ich mußte fort. Was soll ich euch damit ermüden, wie ich

viele Tage hindurch das Haus zu jeder Zeit umschlich, ohne auch nur

das mindeste zu entdecken, wie alle Erkundigung, alles Forschen zu

keiner bestimmten Notiz führte, und wie endlich das schöne Bild meiner

Vision zu verblassen begann. - Endlich, als ich einst am späten Abend

von einem Spaziergange heimkehrend bei dem öden Hause herangekommen,

bemerkte ich, daß das Tor halb geöffnet war; ich schritt heran, der

Kaffeebraune guckte heraus. Mein Entschluß war gefaßt. >Wohnt nicht

der Geheime Finanzrat Binder hier in diesem Hause?< So frug ich den

Alten, indem ich ihn beinahe zurückdrängend in den, von einer Lampe

matt erleuchteten Vorsaal trat. Der Alte blickte mich an mit seinem

stehenden Lächeln und sprach leise und gezogen: >Nein, _der_ wohnt nicht

hier, hat niemals hier gewohnt, wird niemals hier wohnen, wohnt auch

in der ganzen Allee nicht. - Aber die Leute sagen, es spuke hier in

diesem Hause, jedoch kann ich versichern, daß es nicht wahr ist, es

ist ein ruhiges, hübsches Haus, und morgen zieht die gnädige Gräfin

von S. ein und Gute Nacht, mein lieber Herr!< - Damit manövrierte

mich der Alte zum Hause hinaus, und verschloß hinter mir das Tor. Ich

vernahm, wie er keuchend und hustend mit dem klirrenden Schlüsselbunde

über den Flur wegscharrte und dann Stufen, wie mir vorkam, _herab_stieg.

Ich hatte in der kurzen Zeit so viel bemerkt, daß der Flur mit alten

bunten Tapeten behängt, und wie ein Saal mit großen, mit rotem

Damast beschlagenen Lehnsesseln möbliert war, welches denn doch ganz

verwunderlich aussah.

 

Nun gingen, wie geweckt, durch mein Eindringen in das geheimnisvolle

Haus, die Abenteuer auf! - Denkt euch, denkt euch, sowie ich den

andern Tag in der Mittagsstunde die Allee durchwandere und mein Blick

schon in der Ferne sich unwillkürlich nach dem öden Hause richtet,

sehe ich an dem letzten Fenster des obern Stocks etwas schimmern. -

Näher getreten bemerke ich, daß die äußere Jalousie ganz, der innere

Vorhang halb aufgezogen ist. Der Diamant funkelt mir entgegen. -

O Himmel! gestützt auf den Arm blickt mich wehmütig flehend jenes

Antlitz meiner Vision an. - War es möglich in der auf- und abwogenden

Masse stehenzubleiben? - In dem Augenblick fiel mir die Bank ins Auge,

die für die Lustwandler in der Allee in der Richtung des öden Hauses,

wiewohl man sich darauf niederlassend dem Hause den Rücken kehrte,

angebracht war. Schnell sprang ich in die Allee, und mich über

die Lehne der Bank wegbeugend konnt ich nun ungestört nach dem

verhängnisvollen Fenster schauen. Ja! Sie war es, das anmutige,

holdselige Mädchen, Zug für Zug! - Nur schien ihr Blick ungewiß. Nicht

nach mir, wie es vorhin schien, blickte sie, vielmehr hatten die Augen

etwas Todstarres, und die Täuschung eines lebhaft gemalten Bildes wäre

möglich gewesen, hätten sich nicht Arm und Hand zuweilen bewegt. Ganz

versunken in den Anblick des verwunderlichen Wesens am Fenster, das

mein Innerstes so seltsam aufregte, hatte ich nicht die quäkende

Stimme des italienischen Tabulettkrämers gehört, der mir vielleicht

schon lange unaufhörlich seine Waren anbot. Er zupfte mich endlich am

Arm; schnell mich umdrehend, wies ich ihn ziemlich hart und zornig ab.

Er ließ aber nicht nach mit Bitten und Quälen. Noch gar nichts habe er

heute verdient, nur ein paar Bleifedern, ein Bündelchen Zahnstocher

möge ich ihm abkaufen. Voller Ungeduld, den Überlästigen nur geschwind

los zu werden, griff ich in die Tasche nach dem Geldbeutel. Mit den

Worten: >Auch hier hab ich noch schöne Sachen!< zog er den untern

Schub seines Kastens heraus, und hielt mir einen kleinen runden

Taschenspiegel, der in dem Schub unter andern Gläsern lag, in kleiner

Entfernung seitwärts vor. - Ich erblickte das öde Haus hinter mir,

das Fenster und in den schärfsten deutlichsten Zügen die holde

Engelsgestalt meiner Vision. - Schnell kaufte ich den kleinen Spiegel,

der mir es nun möglich machte, in bequemer Stellung, ohne den Nachbarn

aufzufallen, nach dem Fenster hinzuschauen. - Doch, indem ich nun

länger und länger das Gesicht im Fenster anblickte, wurd ich von einem

seltsamen, ganz unbeschreiblichen Gefühl, das ich beinahe waches

Träumen nennen möchte, befangen. Mir war es, als lähme eine Art

Starrsucht nicht sowohl mein ganzes Regen und Bewegen als vielmehr

nur meinen Blick, den ich nun niemals mehr würde abwenden können von

dem Spiegel. Mit Beschämung muß ich euch bekennen, daß mir jenes

Ammenmärchen einfiel, womit mich in früher Kindheit meine Wartfrau

augenblicklich zu Bette trieb, wenn ich mich etwa gelüsten ließ,

abends vor dem großen Spiegel in meines Vaters Zimmer stehen zu

bleiben und hinein zu gucken. Sie sagte nämlich, wenn Kinder nachts

in den Spiegel blickten, gucke ein fremdes, garstiges Gesicht heraus,

und der Kinder Augen blieben dann erstarrt stehen. Mir war das ganz

entsetzlich graulich, aber in vollem Grausen konnt ich doch oft nicht

unterlassen, wenigstens nach dem Spiegel hinzublinzeln, weil ich

neugierig war auf das fremde Gesicht. Einmal glaubt ich ein Paar

gräßliche glühende Augen aus dem Spiegel fürchterlich herausfunkeln zu

sehen, ich schrie auf und stürzte dann ohnmächtig nieder. In diesem

Zufall brach eine langwierige Krankheit aus, aber noch jetzt ist es

mir, als hätten jene Augen mich wirklich angefunkelt. - Kurz, alles

dieses tolle Zeug aus meiner frühen Kindheit fiel mir ein, Eiskälte

bebte durch meine Adern - ich wollte den Spiegel von mir schleudern -

ich vermocht es nicht - nun blickten mich die Himmelsaugen der holden

Gestalt an - ja ihr Blick war auf mich gerichtet und strahlte bis ins

Herz hinein. Jenes Grausen, das mich plötzlich ergriffen, ließ von

mir ab und gab Raum dem wonnigen Schmerz süßer Sehnsucht, die mich

mit elektrischer Wärme durchglüht. >Sie haben da einen niedlichen

Spiegel<, sprach eine Stimme neben mir. Ich erwachte aus dem Traum und

war nicht wenig betroffen, als ich neben mir von beiden Seiten mich

zweideutig anlächelnde Gesichter erblickte. Mehrere Personen hatten

auf derselben Bank Platz genommen, und nichts war gewisser, als daß

ich ihnen mit dem starren Hineinblicken in den Spiegel und vielleicht

auch mit einigen seltsamen Gesichtern, die ich in meinem exaltiertem

Zustande schnitt, auf meine Kosten ein ergötzliches Schauspiel

gegeben. >Sie haben da einen niedlichen Spiegel<, wiederholte der

Mann, als ich nicht antwortete, mit einem Blick, der jener Frage

noch hinzufügte: >Aber sagen Sie mir, was soll das wahnsinnige

Hineinstarren, erscheinen Ihnen Geister< etc. Der Mann, schon ziemlich

hoch in Jahren, sehr sauber gekleidet, hatte im Ton der Rede, im Blick

etwas ungemein Gutmütiges und Zutrauen Erweckendes. Ich nahm gar

keinen Anstand, ihm geradehin zu sagen, daß ich im Spiegel ein

wundervolles Mädchen erblickt, das hinter mir im Fenster des öden

Hauses gelegen. - Noch weiter ging ich, ich fragte den Alten, ob er

nicht auch das holde Antlitz gesehen. >Dort drüben? - in dem alten

Hause - in dem letzten Fenster?< so fragte mich nun wieder ganz

verwundert der Alte. >Allerdings, allerdings<, sprach ich; da lächelte

der Alte sehr und fing an: >Nun das ist doch eine wunderliche

Täuschung - nun meine alten Augen - Gott ehre mir meine alten Augen.

Ei ei, mein Herr, wohl habe ich mit unbewaffnetem Auge das hübsche

Gesicht dort im Fenster gesehen, aber es war ja ein, wie es mir

schien, recht gut und lebendig in Öl gemaltes Porträt.< Schnell drehte

ich mich um nach dem Fenster, alles war verschwunden, die Jalousie

heruntergelassen. >Ja!< fuhr der Alte fort, >ja, mein Herr, nun ist's

zu spät, sich davon zu überzeugen, denn eben nahm der Bediente, der

dort, wie ich weiß, als Kastellan das Absteigequartier der Gräfin

von S. ganz allein bewohnt, das Bild, nachdem er es abgestaubt, vom

Fenster fort und ließ die Jalousie herunter.< - >War es denn gewiß ein

Bild?< fragte ich nochmals ganz bestürzt. >Trauen Sie meinen Augen<,

erwiderte der Alte. >Daß Sie nur den Reflex des Bildes im Spiegel

sahen, vermehrte gewiß sehr die optische Täuschung und - wie ich

noch in Ihren Jahren war, hätt ich nicht auch das Bild eines schönen

Mädchens, kraft meiner Fantasie, ins Leben gerufen?< - >Aber Hand und

Arm bewegten sich doch<, fiel ich ein. >Ja, ja, sie regten sich, alles

regte sich<, sprach der Alte, lächelnd und sanft mich auf die Schulter

klopfend. Dann stand er auf und verließ mich, höflich sich verbeugend,

mit den Worten: >Nehmen Sie sich doch vor Taschenspiegeln in acht, die

so häßlich lügen. - Ganz gehorsamster Diener.< - Ihr könnt denken, wie

mir zu Mute war, als ich mich so als einen törichten, blödsichtigen

Fantasten behandelt sah. Mir kam die Überzeugung, daß der Alte recht

hatte, und daß nur in mir selbst das tolle Gaukelspiel aufgegangen,

das mich mit dem öden Hause, zu meiner eignen Beschämung, so garstig

mystifizierte.

 

Ganz voller Unmut und Verdruß lief ich nach Hause, fest entschlossen,

mich ganz loszusagen von jedem Gedanken an die Mysterien des öden

Hauses, und wenigstens einige Tage hindurch die Allee zu vermeiden.

Dies hielt ich treulich, und kam noch hinzu, daß mich den Tag über

dringend gewordene Geschäfte am Schreibtisch, an den Abenden aber

geistreiche fröhliche Freunde in ihrem Kreise festhielten, so mußt es

wohl geschehen, daß ich beinahe gar nicht mehr an jene Geheimnisse

dachte. Nur begab es sich in dieser Zeit, daß ich zuweilen aus dem

Schlaf auffuhr, wie plötzlich durch äußere Berührung geweckt, und dann

war es mir doch deutlich, daß nur der Gedanke an das geheimnisvolle

Wesen, das ich in meiner Vision und in dem Fenster des öden Hauses

erblickt, mich geweckt hatte. Ja selbst während der Arbeit, während

der lebhaftesten Unterhaltung mit meinen Freunden, durchfuhr mich oft

plötzlich, ohne weitern Anlaß, jener Gedanke, wie ein elektrischer

Blitz. Doch waren dies nur schnell vorübergehende Momente. Den kleinen

Taschenspiegel, der mir so täuschend das anmutige Bildnis reflektiert,

hatte ich zum prosaischen Hausbedarf bestimmt. Ich pflegte mir vor

demselben die Halsbinde festzuknüpfen. So geschah es, daß er mir, als

ich einst dies wichtige Geschäft abtun wollte, blind schien, und ich

ihn nach bekannter Methode anhauchte, um ihn dann hell zu polieren. -

Alle meine Pulse stockten, mein innerstes bebte vor wonnigem Grauen!

- ja so muß ich das Gefühl nennen, das mich übermannte, als ich sowie

mein Hauch den Spiegel überlief, im bläulichen Nebel das holde Antlitz

sah, das mich mit jenem wehmütigem, das Herz durchbohrendem Blick

anschaute! - Ihr lacht? - Ihr seid mit mir fertig, ihr haltet mich für

einen unheilbaren Träumer, aber sprecht, denkt was ihr wollt, genug,

die Holde blickte mich an aus dem Spiegel, aber sowie der Hauch

zerrann, verschwand das Gesicht in dem Funkeln des Spiegels. - Ich

will euch nicht ermüden, ich will euch nicht herzählen alle Momente,

die sich, einer aus dem andern, entwickelten. Nur so viel will ich

sagen, daß ich unaufhörlich die Versuche mit dem Spiegel erneuerte,

daß es mir oft gelang, das geliebte Bild durch meinen Hauch

hervorzurufen, daß aber manchmal die angestrengtesten Bemühungen ohne

Erfolg blieben. Dann rannte ich wie wahnsinnig auf und ab vor dem öden

Hause und starrte in die Fenster, aber kein menschliches Wesen wollte

sich zeigen. - Ich lebte nur in dem Gedanken an _sie_, alles übrige

war abgestorben für mich, ich vernachlässigte meine Freunde,

meine Studien. - Dieser Zustand, wollte er in mildern Schmerz, in

träumerische Sehnsucht übergehen, ja schien es, als wolle das Bild

an Leben und Kraft verlieren, wurde oft bis zur höchsten Spitze

gesteigert, durch Momente, an die ich noch jetzt mit tiefem Entsetzen

denke. - Da ich von einem _Seelen_zustande rede, der mich hätte ins

Verderben stürzen können, so ist für euch, ihr Ungläubigen, da nichts

zu belächeln und zu bespötteln, hört und fühlt mit mir, was ich

ausgestanden. - Wie gesagt, oft, wenn jenes Bild ganz verblaßt war,

ergriff mich ein körperliches Übelbefinden, die Gestalt trat, wie

sonst niemals, mit einer Lebendigkeit, mit einem Glanz hervor, daß ich

sie zu erfassen wähnte. Aber dann kam es mir auf greuliche Weise vor,

ich sei selbst die Gestalt, und von den Nebeln des Spiegels umhüllt

und umschlossen. Ein empfindlicher Brustschmerz, und dann gänzliche

Apathie endigte den peinlichen Zustand, der immer eine, das innerste

Mark wegzehrende Erschöpfung hinterließ. In diesen Momenten mißlang

jeder Versuch mit dem Spiegel, hatte ich mich aber erkräftigt, und

trat dann das Bild wieder lebendig aus dem Spiegel hervor, so mag

ich nicht leugnen, daß sich damit ein besonderer, mir sonst fremder

physischer Reiz verband. - Diese ewige Spannung wirkte gar verderblich

auf mich ein, blaß wie der Tod und zerstört im ganzen Wesen schwankte

ich umher, meine Freunde hielten mich für krank, und ihre ewigen

Mahnungen brachten mich endlich dahin, über meinen Zustand, so wie ich

es nur vermochte, ernstlich nachzusinnen. War es Absicht oder Zufall,

daß einer der Freunde, welcher Arzneikunde studierte, bei einem Besuch

Reils Buch über Geisteszerrüttungen zurückließ. Ich fing an zu lesen,

das Werk zog mich unwiderstehlich an, aber wie ward mir, als ich in

allem, was über fixen Wahnsinn gesagt wird, mich selbst wiederfand! -

Das tiefe Entsetzen, das ich, mich selbst auf dem Wege zum Tollhause

erblickend, empfand, brachte mich zur Besinnung und zum festen

Entschluß, den ich rasch ausführte. Ich steckte meinen Taschenspiegel

ein und eilte schnell zu dem Doktor K., berühmt durch seine Behandlung

und Heilung der Wahnsinnigen, durch sein tieferes Eingehen in das

psychische Prinzip, welches oft sogar körperliche Krankheiten

hervorzubringen und wieder zu heilen vermag. Ich erzählte ihm alles,

ich verschwieg ihm nicht den kleinsten Umstand und beschwor ihn mich

zu retten, von dem ungeheuern Schicksal, von dem bedroht ich mich

glaubte. Er hörte mich sehr ruhig an, doch bemerkte ich wohl in seinem

Blick tiefes Erstaunen. >Noch<, fing er an, >noch ist die Gefahr

keinesweges so nahe als Sie glauben und ich kann mit Gewißheit

behaupten, daß ich sie ganz abzuwenden vermag. Daß Sie auf unerhörte

Weise psychisch angegriffen sind, leidet gar keinen Zweifel, aber die

völlige klare Erkenntnis dieses Angriffs irgend eines bösen Prinzips

gibt Ihnen selbst die Waffen in die Hand, sich dagegen zu wehren.

Lassen Sie mir Ihren Taschenspiegel, zwingen Sie sich zu irgend einer

Arbeit, die Ihre Geisteskräfte in Anspruch nimmt, meiden Sie die

Allee, arbeiten Sie von der Frühe an, solange Sie es nur auszuhalten

vermögen, dann aber, nach einem tüchtigen Spaziergange, fort in die

Gesellschaft Ihrer Freunde, die Sie so lange vermißt. Essen Sie

nahrhafte Speisen, trinken Sie starken kräftigen Wein. Sie sehen, daß

ich bloß die fixe Idee, das heißt, die Erscheinung des Sie betörenden

Antlitzes im Fenster des öden Hauses und im Spiegel vertilgen, Ihren

Geist auf andere Dinge leiten und Ihren Körper stärken will. Stehen

Sie selbst meiner Absicht redlich bei.< - Es wurde mir schwer, mich

von dem Spiegel zu trennen, der Arzt, der ihn schon genommen, schien

es zu bemerken, er hauchte ihn an und frug, indem er mir ihn vorhielt:

>Sehen Sie etwas?< - >Nicht das mindeste<, erwiderte ich, wie es sich

auch in der Tat verhielt. >Hauchen Sie den Spiegel an<, sprach dann

der Arzt, indem er mir den Spiegel in die Hand gab. Ich tat es, das

Wunderbild trat deutlicher als je hervor. >Da ist sie<, rief ich laut.

Der Arzt schaute hinein und sprach dann: >Ich sehe nicht das mindeste,

aber nicht verhehlen mag ich Ihnen, daß ich in dem Augenblick, als ich

in Ihren Spiegel sahe, einen unheimlichen Schauer fühlte, der aber

gleich vorüberging. Sie bemerken, daß ich ganz aufrichtig bin, und

eben deshalb wohl Ihr ganzes Zutrauen verdiene. Wiederholen Sie doch

den Versuch.< Ich tat es, der Arzt umfaßte mich, ich fühlte seine Hand

auf dem Rückenwirbel. - Die Gestalt kam wieder, der Arzt, mit mir

in den Spiegel schauend erblaßte, dann nahm er mir den Spiegel aus

der Hand, schauete nochmals hinein, verschloß ihn in dem Pult, und

kehrte erst, als er einige Sekunden hindurch die Hand vor der Stirn

schweigend dagestanden, zu mir zurück. >Befolgen Sie<, fing er an,

>befolgen Sie genau meine Vorschriften. Ich darf Ihnen bekennen, daß

jene Momente, in denen Sie außer sich selbst gesetzt Ihr eignes Ich in

physischem Schmerz fühlten, mir noch sehr geheimnisvoll sind, aber ich

hoffe Ihnen recht bald mehr darüber sagen zu können.<

 

Mit festem, unabänderlichem Willen, so schwer es mir auch ankam, lebte

ich zur Stunde den Vorschriften des Arztes gemäß, und sosehr ich

auch bald den wohltätigen Einfluß anderer Geistesanstrengung und der

übrigen verordneten Diät verspürte, so blieb ich doch nicht frei von

jenen furchtbaren Anfällen, die mittags um zwölf Uhr, viel stärker

aber nachts um zwölf Uhr sich einzustellen pflegten. Selbst in

munterer Gesellschaft bei Wein und Gesang war es oft, als durchführen

plötzlich mein Inneres spitzige glühende Dolche, und alle Macht

des Geistes reichte dann nicht hin zum Widerstande, ich mußte

mich entfernen und durfte erst wiederkehren, wenn ich aus dem

ohnmachtähnlichen Zustande erwacht. - Es begab sich, daß ich mich

einst bei einer Abendgesellschaft befand, in der über psychische

Einflüsse und Wirkungen, über das dunkle unbekannte Gebiet des

Magnetismus gesprochen wurde. Man kam vorzüglich auf die Möglichkeit

der Einwirkung eines entfernten psychischen Prinzips, sie wurde aus

vielen Beispielen bewiesen, und vorzüglich führte ein junger, dem

Magnetismus ergebener, Arzt an, daß er, wie mehrere andere, oder

vielmehr wie _alle_ kräftige Magnetiseurs, es vermöge, aus der Ferne

bloß durch den festfixierten Gedanken und Willen auf seine Somnambulen

zu wirken. Alles was Kluge, Schubert, Bartels u.m. darüber gesagt

haben, kam nach und nach zum Vorschein. >Das Wichtigste<, fing endlich

einer der Anwesenden, ein als scharfsinniger Beobachter bekannter

Mediziner, an, >das Wichtigste von allem bleibt mir immer, daß

der Magnetismus manches Geheimnis, das wir als gemeine schlichte

Lebenserfahrung nun eben für kein Geheimnis erkennen wollen, zu

erschließen scheint. Nur müssen wir freilich behutsam zu Werke gehn.

- Wie kommt es denn, daß ohne allen äußern oder innern uns bekannten

Anlaß, ja unsere Ideenkette zerreißend, irgend eine Person, oder wohl

gar das treue Bild irgend einer Begebenheit so lebendig, so sich

unsers ganzen Ichs bemeisternd [uns] in den Sinn kommt, daß wir selbst

darüber erstaunen. Am merkwürdigsten ist es, daß wir oft im Traume

auffahren. Das ganze Traumbild ist in den schwarzen Abgrund versunken,

und im neuen, von jenem Bilde ganz unabhängigen Traum tritt uns mit

voller Kraft des Lebens ein Bild entgegen, das uns in ferne Gegenden

versetzt und plötzlich scheinbar uns ganz fremd gewordene Personen, an

die wir seit Jahren nicht mehr dachten, uns entgegenführt. Ja, noch

mehr! oft schauen wir auf eben die Weise ganz fremde unbekannte

Personen, die wir vielleicht Jahre nachher erst kennen lernen. Das

bekannte: ,Mein Gott, der Mann, die Frau, kommt mir so zum Erstaunen

bekannt vor, ich dächt, ich hätt ihn, sie, schon irgendwo gesehen`,

ist vielleicht, da dies oft schlechterdings unmöglich, die dunkle

Erinnerung an ein solches Traumbild. Wie wenn dies plötzliche

Hineinspringen fremder Bilder in unsere Ideenreihe, die uns gleich

mit besonderer Kraft zu ergreifen pflegen, eben durch ein fremdes

psychisches Prinzip veranlaßt würde? Wie wenn es dem fremden Geiste

unter gewissen Umständen möglich wäre, den magnetischen Rapport

auch ohne Vorbereitung so herbeizuführen, daß wir uns willenlos ihm

fügen müßten?< - >So kämen wir<, fiel ein anderer lachend ein, >mit

einem gar nicht zu großen Schritt auf die Lehre von Verhexungen,

Zauberbildern, Spiegeln und andern unsinnigen abergläubischen

Fantastereien längst verjährter alberner Zeit.< - >Ei<, unterbrach der

Mediziner den Ungläubigen, >keine Zeit kann verjähren und noch viel

weniger hat es jemals eine alberne Zeit gegeben, wenn wir nicht etwa

jede Zeit, in der Menschen zu denken sich unterfangen mögen, mithin

auch die unsrige, für albern erkennen wollen. - Es ist ein eignes

Ding, etwas geradezu wegleugnen zu wollen, was oft sogar durch streng

juristisch geführten Beweis festgestellt ist, und so wenig ich der

Meinung bin, daß in dem dunklen geheimnisvollen Reiche, welches

unseres Geistes Heimat ist, auch nur ein einziges, unserm blödem Auge

recht hell leuchtendes Lämpchen brennt, so ist doch so viel gewiß, daß

uns die Natur das Talent und die Neigung der Maulwürfe nicht versagt

hat. Wir suchen, verblindet wie wir sind, uns weiterzuarbeiten auf

finstern Wegen. Aber so wie der Blinde auf Erden an dem flüsternden

Rauschen der Bäume, an dem Murmeln und Plätschern des Wassers, die

Nähe des Waldes, der ihn in seinen kühlenden Schatten aufnimmt, des

Baches, der den Durstenden labt, erkennt, und so das Ziel seiner

Sehnsucht erreicht, so ahnen wir an dem tönenden Flügelschlag

unbekannter, uns mit Geisteratem berührender Wesen, daß der Pilgergang

uns zur Quelle des Lichts fährt, vor dem unsere Augen sich auftun!<

- Ich konnte mich nicht länger halten, >Sie statuieren also<, wandte

ich mich zu dem Mediziner, >die Einwirkung eines fremden geistigen

Prinzips, dem man sich willenlos fügen muß?< - >Ich halte<, erwiderte

der Mediziner, >ich halte, um nicht zu weit zu gehen, diese Einwirkung

nicht allein für möglich, sondern auch andern, durch den magnetischen

Zustand deutlicher gewordenen Operationen des psychischen Prinzips

für ganz homogen.< - >So könnt es auch<, fuhr ich fort, >dämonischen

Kräften verstattet sein, feindlich verderbend auf uns zu wirken?<

- >Schnöde Kunststücke gefallner Geister<, erwiderte der Mediziner

lächelnd. - >Nein, denen wollen wir nicht erliegen. Und überhaupt

bitt ich, meine Andeutungen für nichts anders zu nehmen, als eben nur

für Andeutungen, denen ich noch hinzufüge, daß ich keinesweges an

_unbedingte_ Herrschaft eines geistigen Prinzips über das andere

glauben, sondern vielmehr annehmen will, daß entweder irgend eine

Abhängigkeit, Schwäche des innern Willens, oder eine Wechselwirkung

stattfinden muß, die jener Herrschaft Raum gibt.< - >Nun erst<, fing

ein ältlicher Mann an, der so lange geschwiegen und nur aufmerksam

zugehört, >nun erst kann ich mich mit Ihren seltsamen Gedanken über

Geheimnisse, die uns verschlossen bleiben sollen, einigermaßen

befreunden. Gibt es geheimnisvolle tätige Kräfte, die mit bedrohlichen

Angriffen auf uns zutreten, so kann uns dagegen nur irgend eine

Abnormität im geistigen Organism Kraft und Mut zum sieghaften

Widerstande rauben. Mit einem Wort, nur geistige Krankheit - die Sünde

macht uns untertan dem dämonischen Prinzip. Merkwürdig ist es, daß von

den ältesten Zeiten her die den Menschen im Innersten verstörendste

Gemütsbewegung es war, an der sich dämonische Kräfte übten. Ich meine

nichts anders als die Liebesverzauberungen, von denen alle Chroniken

voll sind. In tollen Hexenprozessen kommt immer dergleichen vor, und

selbst in dem Gesetzbuch eines sehr aufgeklärten Staats wird von den

Liebestrünken gehandelt, die insofern auch rein psychisch zu wirken

bestimmt sind, als sie nicht Liebeslust im allgemeinen erwecken,

sondern unwiderstehlich an eine bestimmte Person bannen sollen. Ich

werde in diesen Gesprächen an eine tragische Begebenheit erinnert, die

sich in meinem eignen Hause vor weniger Zeit zutrug. Als Bonaparte

unser Land mit seinen Truppen überschwemmt hatte, wurde ein Obrister

von der italienischen Nobelgarde bei mir einquartiert. Er war einer

von den wenigen Offizieren der sogenannten Großen Armee, die sich

durch ein stilles bescheidnes edles Betragen auszeichneten. Sein

todbleiches Gesicht, seine düstern Augen zeugten von Krankheit oder

tiefer Schwermut. Nur wenige Tage war er bei mir, als sich auch der

besondere Zufall kund tat, von dem er behaftet. Eben befand ich mich

auf seinem Zimmer, als er plötzlich mit tiefen Seufzern die Hand auf

die Brust, oder vielmehr auf die Stelle des Magens legte, als empfinde

er tödliche Schmerzen. Er konnte bald nicht mehr sprechen, er war

genötigt sich in den Sofa zu werfen, dann aber verloren plötzlich

seine Augen die Sehkraft und er erstarrte zur bewußtlosen Bildsäule.

Mit einem Ruck wie aus dem Traume auffahrend, erwachte er endlich,

aber vor Mattigkeit konnte er mehrere Zeit hindurch sich nicht regen

und bewegen. Mein Arzt, den ich ihm sandte, behandelte ihn, nachdem

andere Mittel fruchtlos geblieben, magnetisch, und dies schien zu

wirken; wiewohl der Arzt bald davon ablassen mußte, da er selbst

beim Magnetisieren des Kranken von einem unerträglichen Gefühl des

Übelseins ergriffen wurde. Er hatte übrigens des Obristen Zutrauen

gewonnen, und dieser sagte ihm, daß in jenen Momenten sich ihm das

Bild eines Frauenzimmers nahe, die er in Pisa gekannt; dann würde

es ihm als wenn ihre glühenden Blicke in sein Inneres führen,

und er fühle die unerträglichsten Schmerzen, bis er in völlige

Bewußtlosigkeit versinke. Aus diesem Zustande bleibe ihm ein

dumpfer Kopfschmerz, und eine Abspannung, als habe er geschwelgt im

Liebesgenuß, zurück. Nie ließ er sich über die näheren Verhältnisse

aus, in denen er vielleicht mit jenem Frauenzimmer stand. Die Truppen

sollten aufbrechen, gepackt stand der Wagen des Obristen vor der Türe,

er frühstückte, aber in dem Augenblicke, als er ein Glas Madera zum

Munde fuhren wollte, stürzte er mit einem dumpfen Schrei vom Stuhle

herab. Er war tot. Die Ärzte fanden ihn vom Nervenschlag getroffen.

Einige Wochen nachher wurde ein an den Obristen adressierter Brief

bei mir abgegeben. Ich hatte gar kein Bedenken ihn zu öffnen, um

vielleicht ein Näheres von den Verwandten des Obristen zu erfahren,

und ihnen Nachricht von seinem plötzlichen Tode geben zu können. Der

Brief kam von Pisa und enthielt ohne Unterschrift die wenigen Worte:

,Unglückseliger! Heute, am 7. - um zwölf Uhr Mittag sank Antonia, dein

trügerisches Abbild mit liebenden Armen umschlingend, tot nieder!` -

Ich sah den Kalender nach, in dem ich des Obristen Tod angemerkt hatte

und fand, daß Antonias Todesstunde auch die seinige gewesen.< - Ich

hörte nicht mehr, was der Mann noch seiner Geschichte hinzusetzte;

denn in dem Entsetzen, das mich ergriffen, als ich in des

italienischen Obristen Zustand den meinigen erkannte, ging mit

wütendem Schmerz eine solche wahnsinnige Sehnsucht nach dem

unbekannten Bilde auf, daß ich davon überwältigt aufspringen und

hineilen mußte nach dem verhängnisvollen Hause. Es war mir in der

Ferne, als säh ich Lichter blitzen, durch die festverschlossenen

Jalousien, aber der Schein verschwand, als ich näher kam. Rasend vor

dürstendem Liebesverlangen stürzte ich auf die Tür; sie wich meinem

Druck, ich stand auf dem matt erleuchteten Hausflur, von einer

dumpfen, schwülen Luft umfangene Das Herz pochte mir vor seltsamer

Angst und Ungeduld, da ging ein langer, schneidender, aus weiblicher

Kehle strömender Ton durch das Haus, und ich weiß selbst nicht,

wie es geschah, daß ich mich plötzlich in einem mit vielen Kerzen

hellerleuchteten Saale befand, der in altertümlicher Pracht mit

vergoldeten Möbeln und seltsamen japanischen Gefäßen verziert war.

Starkduftendes Räucherwerk wallte in blauen Nebelwolken auf mich zu.

>Willkommen - willkommen, süßer Bräutigam - die Stunde ist da, die

Hochzeit nah!< - So rief laut und lauter die Stimme eines Weibes,

und ebensowenig, als ich weiß, wie ich plötzlich in den Saal kam,

ebensowenig vermag ich zu sagen, wie es sich begab, daß plötzlich

aus dem Nebel eine hohe jugendliche Gestalt in reichen Kleidern

hervorleuchtete. Mit dem wiederholten gellenden Ruf: >Willkommen süßer

Bräutigam<, trat sie mit ausgebreiteten Armen mir entgegen - und ein

gelbes, von Alter und Wahnsinn gräßlich verzerrtes Antlitz starrte

mir in die Augen. Von tiefem Entsetzen durchbebt wankte ich zurück;

wie durch den glühenden, durchbohrenden Blick der Klapperschlange

festgezaubert, konnte ich mein Auge nicht abwenden von dem greulichen

alten Weibe, konnte ich keinen Schritt weiter mich bewegen. Sie trat

näher auf mich zu, da war es mir, als sei das scheußliche Gesicht

nur eine Maske von dünnem Flor, durch den die Züge jenes holden

Spiegelbildes durchblickten. Schon fühlt ich mich von den Händen des

Weibes berührt, als sie laut aufkreischend vor mir zu Boden sank und

hinter mir eine Stimme rief. >Hu hu! - treibt schon wieder der Teufel

sein Bocksspiel mit Ew. Gnaden, zu Bette, zu Bette, meine Gnädigste,

sonst setzt es Hiebe, gewaltige Hiebe!< - Ich wandte mich rasch um

und erblickte den alten Hausverwalter im bloßen Hemde, eine tüchtige

Peitsche über dem Haupte schwingend. Er wollte losschlagen auf die

Alte, die sich heulend am Boden krümmte. Ich fiel ihm in den Arm, aber

mich von sich schleudernd rief er: >Donnerwetter, Herr, der alte Satan

hätte Sie ermordet, kam ich nicht dazwischen - fort, fort, fort.< -

Ich stürzte zum Saal heraus, vergebens sucht ich in dicker Finsternis

die Tür des Hauses. Nun hört ich die zischenden Hiebe der Peitsche und

das Jammergeschrei der Alten. Laut wollte ich um Hülfe rufen, als der

Boden unter meinen Füßen schwand, ich fiel eine Treppe herab und traf

auf eine Tür so hart, daß sie aufsprang und ich der Länge nach in ein

kleines Zimmer stürzte. An dem Bette, das jemand soeben verlassen

zu haben schien, an dem kaffeebraunen, über einen Stuhl gehängten

Rocke mußte ich augenblicklich die Wohnung des alten Hausverwalters

erkennen. Wenige Augenblicke nachher polterte es die Treppe herab,

der Hausverwalter stürzte herein und hin zu meinen Füßen. >Um aller

Seligkeit willen<, flehte er mit aufgehobenen Händen, >um aller

Seligkeit willen, wer Sie auch sein mögen, wie der alte gnädige

Hexensatan Sie auch hierher gelockt haben mag, verschweigen Sie, was

hier geschehen, sonst komme ich um Amt und Brot! - Die wahnsinnige

Exzellenz ist abgestraft und liegt gebunden im Bette. O schlafen Sie

doch, geehrtester Herr! recht sanft und süß. - Ja ja, das tun Sie

doch fein - eine schöne warme Juliusnacht, zwar kein Mondschein, aber

beglückter Sternenschimmer. - Nun ruhige, glückliche Nacht.< - Unter

diesen Reden war der Alte aufgesprungen, hatte ein Licht genommen,

mich herausgebracht aus dem Souterrain, mich zur Türe hinausgeschoben,

und diese fest verschlossen. Ganz verstört eilt ich nach Hause, und

ihr könnt wohl denken, daß ich, zu tief von dem grauenvollen Geheimnis

ergriffen, auch nicht den mindesten nur wahrscheinlichen Zusammenhang

der Sache mir in den ersten Tagen denken konnte. Nur so viel war

gewiß, daß, hielt mich so lange ein böser Zauber gefangen, dieser

jetzt in der Tat von mir abgelassen hatte. Alle schmerzliche Sehnsucht

nach dem Zauberbilde in dem Spiegel war gewichen, und bald gemahnte

mich jener Auftritt im öden Gebäude wie das unvermutete Hineingeraten

in ein Tollhaus. Daß der Hausverwalter zum tyrannischen Wächter einer

wahnsinnigen Frau von vornehmer Geburt, deren Zustand vielleicht der

Welt verborgen bleiben sollte, bestimmt worden, daran war nicht zu

zweifeln, wie aber der Spiegel - das tolle Zauberwesen überhaupt -

doch weiter - weiter!

 

Später begab es sich, daß ich in zahlreicher Gesellschaft den Grafen

P. fand, der mich in eine Ecke zog und lachend sprach: >Wissen Sie

wohl, daß sich die Geheimnisse unseres öden Hauses zu enthüllen

anfangen?< Ich horchte hoch auf, aber indem der Graf weiter erzählen

wollte, öffneten sich die Flügeltüren des Eßsaals, man ging zur

Tafel. Ganz vertieft in Gedanken an die Geheimnisse, die mir der Graf

entwickeln wollte, hatte ich einer jungen Dame den Arm geboten und war

mechanisch der in steifem Zeremoniell sehr langsam daherschreitenden

Reihe gefolgt. Ich führe meine Dame zu dem offnen Platz, der sich

uns darbietet, schaue sie nun erst recht an und - erblicke mein

Spiegelbild in den getreusten Zügen, so daß gar keine Täuschung

möglich ist. Daß ich im Innersten erbebte, könnt ihr euch wohl denken,

aber ebenso muß ich euch versichern, daß sich auch nicht der leiseste

Anklang jener verderblichen wahnsinnigen Liebeswut in mir regte, die

mich ganz und gar befing, wenn mein Hauch das wunderbare Frauenbild

aus dem Spiegel hervorrief. - Meine Befremdung, noch mehr, mein

Erschrecken muß lesbar gewesen sein in meinem Blick, denn das Mädchen

sah mich ganz verwundert an, so daß ich für nötig hielt, mich so,

wie ich nur konnte, zusammen zu nehmen, und so gelassen als möglich

anzuführen, daß eine lebhafte Erinnerung mich gar nicht zweifeln

lasse, sie schon irgendwo gesehen zu haben. Die kurze Abfertigung,

daß dies wohl nicht gut der Fall sein könne, da sie gestern erst und

zwar das erstemal in ihrem Leben nach ***n gekommen, machte mich im

eigentlichsten Sinn des Worts etwas verblüfft. Ich verstummte. Nur der

Engelsblick, den die holdseligen Augen des Mädchens mir zuwarfen, half

mir wieder auf. Ihr wißt, wie man bei derlei Gelegenheit die geistigen

Fühlhörner ausstrecken und leise, leise tasten muß, bis man die Stelle

findet, wo der angegebene Ton widerklingt. So macht ich es und fand

bald, daß ich ein zartes, holdes, aber in irgend einem psychischen

Überreiz verkränkeltes Wesen neben mir hatte. Bei irgend einer heitern

Wendung des Geprächs, vorzüglich wenn ich zur Würze wie scharfen

Cayenne-Pfeffer irgend ein keckes bizarres Wort hineinstreute,

lächelte sie zwar, aber seltsam schmerzlich, wie zu hart berührt. >Sie

sind nicht heiter, meine Gnädige, vielleicht der Besuch heute morgen.<

- So redete ein nicht weit entfernt sitzender Offizier meine Dame an,

aber in dem Augenblick faßte ihn sein Nachbar schnell beim Arm und

sagte ihm etwas ins Ohr, während eine Frau an der andern Seite des

Tisches Glut auf den Wangen und im Blick laut der herrlichen Oper

erwähnte, deren Darstellung sie in Paris gesehen und mit der heutigen

vergleichen werde. - Meiner Nachbarin stürzten die Tränen aus den

Augen: >Bin ich nicht ein albernes Kind<, wandte sie sich zu mir.

Schon erst hatte sie über Migräne geklagt. >Die gewöhnliche Folge des

nervösen Kopfschmerzes<, erwiderte ich daher mit unbefangenem Ton,

>wofür nichts besser hilft, als der muntre kecke Geist, der in dem

Schaum dieses Dichtergetränks sprudelt.< Mit diesen Worten schenkte

ich Champagner, den sie erst abgelehnt, in ihr Glas ein, und indem

sie davon nippte, dankte ihr Blick meiner Deutung der Tränen, die sie

nicht zu bergen vermochte. Es schien heller geworden in ihrem Innern

und alles wäre gut gegangen, wenn ich nicht zuletzt unversehends

hart an das vor mir stehende englische Glas gestoßen, so daß es in

gellender schneidender Höhe ertönte. Da erbleichte meine Nachbarin bis

zum Tode, und auch mich ergriff ein plötzliches Grauen, weil der Ton

mir die Stimme der wahnsinnigen Alten im öden Hause schien. - Während

daß man Kaffee nahm, fand ich Gelegenheit, mich dem Grafen P. zu

nähern; er merkte gut, warum. >Wissen Sie wohl, daß ihre Nachbarin die

Gräfin Edwine von S. war? - Wissen Sie wohl, daß in dem öden Hause

die Schwester ihrer Mutter, schon seit Jahren unheilbar wahnsinnig,

eingesperrt gehalten wird? - Heute morgen waren beide, Mutter und

Tochter, bei der Unglücklichen. Der alte Hausverwalter, der einzige,

der den gewaltsamen Ausbrüchen des Wahnsinns der Gräfin zu steuern

wußte, und dem daher die Aufsicht über sie übertragen wurde, liegt

todkrank, und man sagt, daß die Schwester endlich dem Doktor K. das

Geheimnis anvertraut, und daß dieser noch die letzten Mittel versuchen

wird, die Kranke, wo nicht herzustellen, doch von der entsetzlichen

Tobsucht, in die sie zuweilen ausbrechen soll, zu retten. Mehr weiß

ich vorderhand nicht.< - Andere traten hinzu, das Gespräch brach

ab. - Doktor K. war nun gerade derjenige, an den ich mich meines

rätselhaften Zustandes halber, gewandt, und ihr möget euch wohl

vorstellen, daß ich, sobald es sein konnte, zu ihm eilte, und alles,

was mir seit der Zeit widerfahren, getreulich erzählte. Ich forderte

ihn auf zu meiner Beruhigung, so viel als er von der wahnsinnigen

Alten wisse, zu sagen, und er nahm keinen Anstand, mir, nachdem ich

ihm strenge Verschwiegenheit gelobt, folgendes anzuvertrauen.

 

>Angelika, Gräfin von Z.< (so fing der Doktor an) >unerachtet in die

Dreißig vorgerückt, stand noch in der vollsten Blüte wunderbarer

Schönheit, als der Graf von S., der viel jünger an Jahren, sie hier

in ***n bei Hofe sah, und sich in ihren Reizen so verfing, daß er

zur Stunde die eifrigsten Bewerbungen begann und selbst, als zur

Sommerszeit die Gräfin auf die Güter ihres Vaters zurückkehrte, ihr

nachreiste, um seine Wünsche, die nach Angelikas Benehmen durchaus

nicht hoffnungslos zu sein schienen, dem alten Grafen zu eröffnen.

Kaum war Graf S. aber dort angekommen, kaum sah er Angelikas jüngere

Schwester Gabriele, als er wie aus einer Bezauberung erwachte. In

verblühter Farblosigkeit stand Angelika neben Gabrielen, deren

Schönheit und Anmut den Grafen S. unwiderstehlich hinriß, und so kam

es, daß er, ohne Angelika weiter zu beachten, um Gabrielens Hand warb,

die ihm der alte Graf Z. um so lieber zusagte, als Gabriele gleich

die entschiedenste Neigung für den Grafen S. zeigte. Angelika äußerte

nicht den mindesten Verdruß über die Untreue ihres Liebhabers. ,Er

glaubt mich verlassen zu haben. Der törichte Knabe! er merkt nicht,

daß nicht _ich_, daß _er_ mein Spielzeug war, das ich wegwarf!` - So

sprach sie in stolzem Hohn, und in der Tat, ihr ganzes Wesen zeigte,

daß es wohl Ernst sein mochte mit der Verachtung des Ungetreuen.

Übrigens sah man, sobald das Bündnis Gabrielens mit dem Grafen von S.

ausgesprochen war, Angelika sehr selten. Sie erschien nicht bei der

Tafel und man sagte, sie schweife einsam im nächsten Walde umher,

den sie längst zum Ziel ihrer Spaziergänge gewählt hatte. - Ein

sonderbarer Vorfall störte die einförmige Ruhe, die im Schlosse

herrschte. Es begab sich, daß die Jäger des Grafen von Z., unterstützt

von den in großer Anzahl aufgebotenen Bauern, endlich eine

Zigeunerbande eingefangen hatten, der man die Mordbrennereien und

Räubereien, welche seit kurzer Zeit so häufig in der Gegend vorfielen,

schuld gab. An eine lange Kette geschlossen brachte man die Männer,

gebunden auf einen Wagen gepackt die Weiber und Kinder auf den

Schloßhof. Manche trotzige Gestalt, die mit wildem funkelnden

Blick, wie ein gefesselter Tiger, keck umherschaute, schien den

entschlossenen Räuber und Mörder zu bezeichnen, vorzüglich fiel aber

ein langes, hageres, entsetzliches Weib, in einen blutroten Shawl vom

Kopf bis zu Fuß gewickelt, ins Auge, die aufrecht im Wagen stand,

und mit gebietender Stimme rief. man solle sie herabsteigen lassen,

welches auch geschah. Der Graf von Z. kam auf den Schloßhof und befahl

eben, wie man die Bande abgesondert in den festen Schloßgefängnissen

verteilen solle, als mit fliegenden Haaren, Entsetzen und Angst in

bleichem Gesicht, Gräfin Angelika aus der Tür hinausstürzte, und auf

die Kniee geworfen mit schneidender Stimme rief. ,Diese Leute los -

diese Leute los - sie sind unschuldig, unschuldig - Vater: laß diese

Leute los! - ein Tropfen Bluts vergossen an einem von diesen und ich

stoße mir dieses Messer in die Brust!` - Damit schwang die Gräfin ein

spiegelblankes Messer in den Lüften und sank ohnmächtig nieder. ,Ei

mein schönes Püppchen, mein trautes Goldkind, das wußt ich ja wohl,

daß du es nicht leiden würdest!` - So meckerte die rote Alte. Dann

kauerte sie nieder neben der Gräfin und bedeckte Gesicht und Busen mit

ekelhaften Küssen, indem sie fortwährend murmelte: ,Blanke Tochter,

blanke Tochter wach auf, wach auf, der Bräutigam kommt - hei hei

blanker Bräutigam kommt.` Damit nahm die Alte eine Phiole hervor,

in der ein kleiner Goldfisch in silberhellem Spiritus auf und ab zu

gaukeln schien. Diese Phiole hielt die Alte der Gräfin an das Herz,

augenblicklich erwachte sie, aber kaum erblickte sie das Zigeunerweib,

als sie aufsprang, das Weib heftig und brünstig umarmte und dann mit

ihr davoneilte in das Schloß hinein. Der Graf von Z. - Gabriele, ihr

Bräutigam, die unterdessen erschienen, schauten ganz erstarrt und von

seltsamen Grauen ergriffen, das alles an. Die Zigeuner blieben ganz

gleichgültig und ruhig, sie wurden nun abgelöst von der Kette, und

einzeln gefesselt in die Schloßgefängnisse geworfen. Am andern Morgen

ließ der Graf von Z. die Gemeinde versammeln, die Zigeuner wurden

vorgeführt, der Graf erklärte laut, daß sie ganz unschuldig wären an

allen Räubereien, die in der Gegend verübt, und daß er ihnen freien

Durchzug durch sein Gebiet verstatte, worauf sie entfesselt und zum

Erstaunen aller mit Pässen wohl versehen entlassen wurden. Das rote

Weib wurde vermißt. Man wollte wissen, daß der Zigeunerhauptmann,

kenntlich an den goldnen Ketten um den Hals und dem roten Federbusch

an dem spanisch niedergekrempten Hut, nachts auf dem Zimmer des Grafen

gewesen. Einige Zeit nachher ward es unbezweifelt dargetan, daß die

Zigeuner an dem Rauben und Morden in dem Gebiet umher in der Tat auch

nicht den mindesten Anteil hatten. - Gabrieles Hochzeit rückte heran,

mit Erstaunen bemerkte sie eines Tages, daß mehrere Rüstwagen mit

Meublen, Kleidungsstücken, Wäsche, kurz, mit einer ganz vollständigen

Hauseinrichtung bepackt wurden und abfuhren. Andern Morgens erfuhr

sie, daß Angelika begleitet von dem Kammerdiener des Grafen S. und

einer vermummten Frau, die der alten roten Zigeunerin ähnlich gesehen,

nachts abgereiset sei. Graf Z. löste das Rätsel, indem er erklärte,

daß er sich aus gewissen Ursachen genötiget gesehen, den freilich

seltsamen Wünschen Angelikas nachzugeben, und ihr nicht allein das in

***n belegne Haus in der Allee als Eigentum zu schenken, sondern auch

zu erlauben, daß sie dort einen eignen, ganz unabhängigen Haushalt

führe, wobei sie sich bedungen, daß keiner aus der Familie, ihn selbst

nicht ausgenommen, ohne ihre ausdrückliche Erlaubnis das Haus betreten

solle. Der Graf von S. fügte hinzu, daß auf Angelikas dringenden

Wunsch er seinen Kammerdiener ihr überlassen müssen, der mitgereiset

sei nach ***n. Die Hochzeit wurde vollzogen, Graf S. ging mit seiner

Gemahlin nach D. und ein Jahr verging ihnen in ungetrübter Heiterkeit.

Dann fing aber der Graf an auf ganz eigne Weise zu kränkeln. Es war,

als wenn ihm ein geheimer Schmerz alle Lebenslust, alle Lebenskraft

raube, und vergebens waren alle Bemühungen seiner Gemahlin, das

Geheimnis ihm zu entreißen, das sein Innerstes verderblich zu

verstören schien. - Als endlich tiefe Ohnmachten seinen Zustand

lebensgefährlich machten, gab er den Ärzten nach und ging angeblich

nach Pisa. - Gabriele konnte nicht mitreisen, da sie ihrer Niederkunft

entgegensah, die indessen erst nach mehrern Wochen erfolgte. - Hier<,

sprach der Arzt, >werden die Mitteilungen der Gräfin Gabriele von S.

so rhapsodisch, daß nur ein tieferer Blick den näheren Zusammenhang

auffassen kann. - Genug - ihr Kind, ein Mädgen, verschwindet auf

unbegreifliche Weise aus der Wiege, alle Nachforschungen bleiben

vergebens - ihre Trostlosigkeit geht bis zur Verzweiflung, als zur

selbigen Zeit Graf von Z. ihr die entsetzliche Nachricht schreibt, daß

er den Schwiegersohn, den er auf dem Wege nach Pisa glaubte, in ***n

und zwar in Angelikas Hause, vom Nervenschlage zum Tode getroffen,

gefunden; daß Angelika in furchtbaren Wahnsinn geraten sei und daß er

solchen Jammer wohl nicht lange tragen werde. - Sowie Gabriele von

S. nur einige Kräfte gewonnen, eilt sie auf die Güter des Vaters;

in schlafloser Nacht das Bild des verlornen Gatten, des verlornen

Kindes vor Augen, glaubt sie ein leises Wimmern vor der Türe des

Schlafzimmers zu vernehmen; ermutigt, zündet sie die Kerzen des

Armleuchters bei der Nachtlampe an und tritt heraus. - Heiliger Gott!

niedergekauert zur Erde, in den roten Shawl gewickelt, starrt das

Zigeunerweib mit stierem, leblosem Blick ihr in die Augen - in den

Armen hält sie ein kleines Kind, das so ängstlich wimmert, das Herz

schlägt der Gräfin hoch auf in der Brust! - es ist ihr Kind! - es ist

die verlorne Tochter! - Sie reißt das Kind der Zigeunerin aus den

Armen, aber in diesem Augenblick kugelt diese um, wie eine leblose

Puppe. Auf das Angstgeschrei der Gräfin wird alles wach, man eilt

hinzu, man findet das Weib tot auf der Erde, kein Belebungsmittel

wirkt und der Graf läßt sie einscharren. - Was bleibt übrig, als nach

***n zur wahnsinnigen Angelika zu eilen, und vielleicht dort das

Geheimnis mit dem Kinde zu erforschen. Alles hat sich verändert.

Angelikas wilde Raserei hat alle weibliche Dienstboten entfernt, nur

der Kammerdiener ist geblieben. Angelika ist ruhig und vernünftig

geworden. Als der Graf die Geschichte von Gabrielens Kinde erzählt,

schlägt sie die Hände zusammen, und ruft mit lautem Lachen: ,Ist's

Püppgen angekommen? richtig angekommen? - eingescharrt, eingescharrt?

Ojemine, wie prächtig sich der Goldfasan schüttelt! wißt ihr nichts

vom grünen Löwen mit den blauen Glutaugen?` - Mit Entsetzen bemerkt

der Graf die Rückkehr des Wahnsinns, indem plötzlich Angelikas Gesicht

die Züge des Zigeunerweibes anzunehmen scheint, und beschließt,

die Arme mitzunehmen auf die Güter, welches der alte Kammerdiener

widerrät. In der Tat bricht auch der Wahnsinn Angelikas in Wut

und Raserei aus, sobald man Anstalten macht, sie aus dem Hause zu

entfernen. - In einem lichten Zwischenraum beschwört Angelika mit

heißen Tränen den Vater, sie in dem Hause sterben zu lassen, und

tiefgerührt bewilligt er dies, wiewohl er das Geständnis, das

dabei ihren Lippen entflieht, nur für das Erzeugnis des aufs neue

ausbrechenden Wahnsinns hält. Sie bekennt, daß Graf S. in ihre Arme

zurückgekehrt, und daß das Kind, welches die Zigeunerin ins Haus des

Grafen von Z. brachte, die Frucht dieses Bündnisses sei. - In der

Residenz glaubt man, daß der Graf von Z. die Unglückliche mitgenommen

hat auf die Güter, indessen sie hier tiefverborgen und der Aufsicht

des Kammerdieners übergeben in dem verödeten Hause bleibt. - Graf von

Z. ist gestorben vor einiger Zeit, und Gräfin Gabriele von S. kam mit

Edmonden her, um Familienangelegenheiten zu berichtigen. Sie durfte es

sich nicht versagen, die unglückliche Schwester zu sehen. Bei diesem

Besuch muß sich Wunderliches ereignet haben, doch hat mir die Gräfin

nichts darüber vertraut, sondern nur im allgemeinen gesagt, daß es nun

nötig geworden, dem alten Kammerdiener die Unglückliche zu entreißen.

Einmal habe er, wie es herausgekommen, durch harte grausame

Mißhandlungen den Ausbrüchen des Wahnsinns zu steuern gesucht, dann

aber, durch Angelikas Vorspieglung, daß sie Gold zu machen verstehe,

sich verleiten lassen, mit ihr allerlei sonderbare Operationen

vorzunehmen und ihr alles Nötige dazu herbeizuschaffen. - Es würde

wohl< (so schloß der Arzt seine Erzählung) >ganz überflüssig sein,

_Sie_, gerade _Sie_ auf den tiefern Zusammenhang aller dieser seltsamen

Dinge aufmerksam zu machen. Es ist mir gewiß, daß _Sie_ die Katastrophe

herbeigeführt haben, die der Alten Genesung oder baldigen Tod bringen

wird. Übrigens mag ich jetzt nicht verhehlen, daß ich mich nicht wenig

entsetzte, als ich, nachdem ich mich mit Ihnen in magnetischen Rapport

gesetzt, ebenfalls das Bild im Spiegel sah. Daß dies Bild Edmonde war,

wissen wir nun beide.<

 

Ebenso, wie der Arzt glaubte, für mich nichts hinzufügen zu dürfen,

ebenso halte ich es für ganz unnütz, mich nun noch darüber etwa zu

verbreiten, in welchem geheimen Verhältnis Angelika, Edmonde, ich und

der alte Kammerdiener standen, und wie mystische Wechselwirkungen ein

dämonisches Spiel trieben. Nur so viel sage ich noch, daß mich nach

diesen Begebenheiten ein drückendes, unheimliches Gefühl aus der

Residenz trieb, welches erst nach einiger Zeit mich plötzlich verließ.

Ich glaube, daß die Alte in dem Augenblick, als ein ganz besonderes

Wohlsein mein Innerstes durchströmte, gestorben ist.« So endete

Theodor seine Erzählung. Noch manches sprachen die Freunde über

Theodors Abenteuer und gaben ihm recht, daß sich darin das Wunderliche

mit dem Wunderbaren auf seltsame greuliche Weise mische. - Als sie

schieden, nahm Franz Theodors Hand und sprach, sie leise schüttelnd,

mit beinahe wehmütigem Lächeln: »Gute Nacht, du Spalanzanische

Fledermaus!«

 

 

 

Das Majorat

 

Dem Gestade der Ostsee unfern liegt das Stammschloß der Freiherrlich

von R..schen Familie, R..sitten genannt. Die Gegend ist rauh und öde,

kaum entsprießt hin und wieder ein Grashalm dem bodenlosen Triebsande,

und statt des Gartens, wie er sonst das Herrenhaus zu zieren pflegt,

schließt sich an die nackten Mauern nach der Landseite hin ein

dürftiger Föhrenwald, dessen ewige, düstre Trauer den bunten Schmuck

des Frühlings verschmäht, und in dem statt des fröhlichen Jauchzens

der zu neuer Lust erwachten Vögelein nur das schaurige Gekrächze

der Raben, das schwirrende Kreischen der sturmverkündenden Möwen

widerhallt. Eine Viertelstunde davon ändert sich plötzlich die Natur.

Wie durch einen Zauberschlag ist man in blühende Felder, üppige Äcker

und Wiesen versetzt. Man erblickt das große, reiche Dorf mit dem

geräumigen Wohnhause des Wirtschaftsinspektors. An der Spitze eines

freundlichen Erlenbusches sind die Fundamente eines großen Schlosses

sichtbar, das einer der vormaligen Besitzer aufzubauen im Sinne hatte.

Die Nachfolger, auf ihren Gütern in Kurland hausend, ließen den Bau

liegen, und auch der Freiherr Roderich von R., der wiederum seinen

Wohnsitz auf dem Stammgute nahm, mochte nicht weiter bauen, da seinem

finstern, menschenscheuen Wesen der Aufenthalt in dem alten, einsam

liegenden Schlosse zusagte.

 

Er ließ das verfallene Gebäude, so gut es gehen wollte, herstellen und

sperrte sich darin ein mit einem grämlichen Hausverwalter und geringer

Dienerschaft. Nur selten sah man ihn im Dorfe, dagegen ging und ritt

er oft am Meeresstrande hin und her, und man wollte aus der Ferne

bemerkt haben, wie er in die Wellen hineinsprach und dem Brausen und

Zischen der Brandung zuhorchte, als vernehme er die antwortende Stimme

des Meergeistes.

 

Auf der höchsten Spitze des Wartturms hatte er ein Kabinett einrichten

und mit Fernröhren - mit einem vollständigen astronomischen

Apparat versehen lassen; da beobachtete er Tages, nach dem Meer

hinausschauend, die Schiffe, die oft gleich weißbeschwingten

Meervögeln am fernen Horizont vorüberflogen. Sternenhelle Nächte

brachte er hin mit astronomischer oder, wie man wissen wollte, mit

astrologischer Arbeit, worin ihm der alte Hausverwalter beistand.

Überhaupt ging zu seinen Lebzeiten die Sage, daß er geheimer

Wissenschaft, der sogenannten schwarzen Kunst, ergeben sei, und daß

eine verfehlte Operation, durch die ein hohes Fürstenhaus auf das

empfindlichste gekränkt wurde, ihn aus Kurland vertrieben habe. Die

leiseste Erinnerung an seinen dortigen Aufenthalt erfüllte ihn mit

Entsetzen, aber alles sein Leben Verstörende, was ihm dort geschehen,

schrieb er lediglich der Schuld der Vorfahren zu, die die Ahnenburg

böslich verließen.

 

Um für die Zukunft wenigstens das Haupt der Familie an das Stammhaus

zu fesseln, bestimmte er es zu einem Majoratsbesitztum. Der

Landesherr bestätigte die Stiftung um so lieber, als dadurch eine an

ritterlicher Tugend reiche Familie, deren Zweige schon in das Ausland

herüberrankten, für das Vaterland gewonnen werden sollte. Weder

Roderichs Sohn, Hubert, noch der jetzige Majoratsherr, wie sein

Großvater Roderich geheißen, mochte indessen in dem Stammschlosse

hausen, beide blieben in Kurland. Man mußte glauben, daß sie, heitrer

und lebenslustiger gesinnt als der düstre Ahnherr, die schaurige Öde

des Aufenthaltes scheuten.

 

Freiherr Roderich hatte zwei alten, unverheirateten Schwestern seines

Vaters, die, mager ausgestattet, in Dürftigkeit lebten, Wohnung und

Unterhalt auf dem Gute gestattet. Diese saßen mit einer bejahrten

Dienerin in den kleinen warmen Zimmern des Nebenflügels, und außer

ihnen und dem Koch, der im Erdgeschoß ein großes Gemach neben

der Küche inne hatte, wankte in den hohen Zimmern und Sälen des

Hauptgebäudes nur noch ein abgelebter Jäger umher, der zugleich die

Dienste des Kastellans versah. Die übrige Dienerschaft wohnte im Dorfe

bei dem Wirtschaftsinspektor.

 

Nur in später Herbstzeit, wenn der erste Schnee zu fallen begann, und

die Wolfs-, die Schweinsjagden aufgingen, wurde das öde, verlassene

Schloß lebendig. Dann kam Freiherr Roderich mit seiner Gemahlin,

begleitet von Verwandten, Freunden und zahlreichem Jagdgefolge,

herüber aus Kurland. Der benachbarte Adel, ja selbst jagdlustige

Freunde aus der naheliegenden Stadt fanden sich ein, kaum vermochten

Hauptgebäude und Nebenflügel die zuströmenden Gäste zu fassen, in

allen Öfen und Kaminen knisterten reichlich zugeschürte Feuer, vom

grauen Morgen bis in die Nacht hinein schnurrten die Bratenwender,

Trepp' auf, Trepp' ab liefen hundert lustige Leute, Herren und Diener,

dort erklangen angestoßene Pokale und fröhliche Jägerlieder, hier die

Tritte der nach gellender Musik Tanzenden, überall lautes Jauchzen und

Gelächter, und so glich vier bis sechs Wochen hindurch das Schloß mehr

einer prächtigen, an vielbefahrner Landstraße liegenden Herberge, als

der Wohnung des Gutsherrn.

 

Freiherr Roderich widmete diese Zeit, so gut es sich nur tun ließ,

ernstem Geschäfte, indem er, zurückgezogen aus dem Strudel der Gäste,

die Pflichten des Majoratsherrn erfüllte. Nicht allein, daß er sich

vollständige Rechnung der Einkünfte legen ließ, so hörte er auch jeden

Vorschlag irgendeiner Verbesserung, sowie die kleinste Beschwerde

seiner Untertanen an und suchte alles zu ordnen, jedem Unrechten oder

Unbilligen zu steuern, wie er es nur vermochte. In diesen Geschäften

stand ihm der alte Advokat V., von Vater auf Sohn vererbter

Geschäftsträger des R..schen Hauses und Justitiarius der in P.

liegenden Güter, redlich bei, und V. pflegte daher schon acht Tage vor

der bestimmten Ankunft des Freiherrn nach dem Majoratsgute abzureisen.

 

Im Jahre 179- war die Zeit gekommen, daß der alte V. nach R..sitten

reisen sollte. So lebenskräftig der Greis von siebzig Jahren sich auch

fühlte, mußte er doch glauben, daß eine hülfreiche Hand im Geschäft

ihm wohltun werde. Wie im Scherz sagte er daher eines Tages zu mir:

 

»Vetter!« (so nannte er mich, seinen Großneffen, da ich seine Vornamen

erhielt) »Vetter! ich dächte, du ließest dir einmal etwas Seewind um

die Ohren sausen und kämst mit mir nach R..sitten. Außerdem, daß du

mir wacker beistehen kannst in meinem manchmal bösen Geschäft, so

magst du dich auch einmal im wilden Jägerleben versuchen und zusehen,

wie, nachdem du einen Morgen ein zierliches Protokoll geschrieben,

du den andern solch trotzigem Tier, als da ist ein langbehaarter,

greulicher Wolf oder ein zahnfletschender Eber, ins funkelnde Auge

zu schauen oder gar es mit einem tüchtigen Büchsenschuß zu erlegen

verstehest.«

 

Nicht so viel Seltsames von der lustigen Jagdzeit in R..sitten hätte

ich schon hören, nicht so mit ganzer Seele dem herrlichen alten

Großonkel anhängen müssen, um nicht hocherfreut zu sein, daß er mich

diesmal mitnehmen wolle. Schon ziemlich geübt in derlei Geschäften,

wie er sie vorhatte, versprach ich mit tapferm Fleiß ihm alle Mühe und

Sorge abzunehmen.

 

Andern Tags saßen wir, in tüchtige Pelze eingehüllt, im Wagen

und fuhren durch dickes, den einbrechenden Winter verkündendes

Schneegestöber nach R..sitten.

 

Unterwegs erzählte mir der Alte manches Wunderliche von dem Freiherrn

Roderich, der das Majorat stiftete und ihn, seines Jünglingsalters

ungeachtet, zu seinem Justitiarius und Testamentsvollstrecker

ernannte. Er sprach von dem rauhen, wilden Wesen, das der alte Herr

gehabt und das sich auf die ganze Familie zu vererben schiene, da

selbst der jetzige Majoratsherr, den er als sanftmütigen, beinahe

weichlichen Jüngling gekannt, von Jahr zu Jahr mehr davon ergriffen

werde.

 

Er schrieb mir vor, wie ich mich keck und unbefangen betragen müßte,

um in des Freiherrn Augen was wert zu sein, und kam endlich auf die

Wohnung im Schlosse, die er ein für allemal gewählt, da sie warm,

bequem und so abgelegen sei, daß wir uns, wenn und wie wir wollten,

dem tollen Getöse der jubilierenden Gesellschaft entziehen könnten. In

zwei kleinen, mit warmen Tapeten behangenen Zimmern, dicht neben dem

großen Gerichtssaal im Seitenflügel, dem gegenüber, wo die alten

Fräuleins wohnten, da wäre ihm jedesmal seine Residenz bereitet.

Endlich nach schneller, aber beschwerlicher Fahrt kamen wir in tiefer

Nacht nach R..sitten.

 

Wir fuhren durch das Dorf, es war gerade Sonntag, im Kruge Tanzmusik

und fröhlicher Jubel, des Wirtschaftsinspektors Haus von unten bis

oben erleuchtet, drinnen auch Musik und Gesang; desto schauerlicher

wurde die Öde, in die wir nun hineinfuhren. Der Seewind heulte in

schneidenden Jammertönen herüber und, als habe er sie aus tiefem

Zauberschlaf geweckt, stöhnten die düstern Föhren ihm nach in dumpfer

Klage. Die nackten schwarzen Mauern des Schlosses stiegen empor aus

dem Schneegrunde, wir hielten an dem verschlossenen Tor. Aber da half

kein Rufen, kein Peitschengeknalle, kein Hämmern und Pochen, es war,

als sei alles ausgestorben, in keinem Fenster ein Licht sichtbar.

 

Der Alte ließ seine starke dröhnende Stimme erschallen: »Franz -

Franz! Wo steckt Ihr denn? Zum Teufel, rührt Euch! - Wir erfrieren

hier am Tor! Der Schnee schmeißt einem ja das Gesicht blutrünstig

- rührt Euch, zum Teufel.« Da fing ein Hofhund zu winseln an, ein

wandelndes Licht wurde im Erdgeschosse sichtbar, Schlüssel klapperten,

und bald knarrten die gewichtigen Torflügel auf.

 

»Ei, schön willkommen, schön willkommen, Herr Justitiarius, ei, in dem

unsaubern Wetter!« So rief der alte Franz, indem er die Laterne hoch

in die Hände hob, so daß das volle Licht auf sein verschrumpftes, zum

freundlichen Lachen sonderbar verzogenes Gesicht fiel. Der Wagen fuhr

in den Hof, wir stiegen aus, und nun gewahrte ich erst ganz des alten

Bedienten seltsame, in eine altmodische, weite, mit vielen Schnüren

wunderlich ausstaffierte Jägerlivrei gehüllte Gestalt.

 

Über die breite weiße Stirn legten sich nur ein paar graue Löckchen,

der untere Teil des Gesichts hatte die robuste Jägerfarbe, und

unerachtet die verzogenen Muskeln das Gesicht zu einer beinahe

abenteuerlichen Maske formten, söhnte doch die etwas dümmliche

Gutmütigkeit, die aus den Augen leuchtete und um den Mund spielte,

alles wieder aus.

 

»Nun, alter Franz«, fing der Großonkel an, indem er sich im Vorsaal

den Schnee vom Pelze abklopfte, »nun, alter Franz, ist alles bereitet,

sind die Tapeten in meinen Stuben abgestaubt, sind die Betten

hineingetragen, ist gestern und heute tüchtig geheizt worden?« »Nein«,

erwiderte Franz sehr gelassen, »nein, mein wertester Herr Justitiarius,

das ist alles nicht geschehen.«

 

»Herr Gott«, fuhr der Großonkel auf, »ich habe ja zeitig genug

geschrieben, ich komme ja stets nach dem richtigen Datum, das ist

ja eine Tölpelei, nun kann ich in eiskalten Zimmern hausen.« »Ja,

wertester Herr Justitiarius«, sprach Franz weiter, indem er sehr

sorglich mit der Lichtschere von dem Docht einen glimmenden Räuber

abschnippte und ihn mit dem Fuße austrat, »ja, sehn Sie, das alles,

vorzüglich das Heizen, hätte nicht viel geholfen, denn der Wind und

der Schnee, die hausen gar zu sehr hinein durch die zerbrochenen

Fensterscheiben, und da« »Was«, fiel der Großonkel ihm in die Rede,

den Pelz weit auseinanderschlagend und beide Arme in die Seiten

stemmend, »was, die Fenster sind zerbrochen, und Ihr, des Hauses

Kastellan, habt nichts machen lassen?«

 

»Ja, wertester Herr Justitiarius«, fuhr der Alte ruhig und gelassen

fort, »man kann nur nicht recht hinzu wegen des vielen Schutts und der

vielen Mauersteine, die in den Zimmern herumliegen.« »Wo zum Tausend

Himmel Sapperment kommen Schutt und Steine in meine Zimmer?« schrie

der Großonkel. »Zum beständigen fröhlichen Wohlsein, mein junger

Herr!« rief der Alte, sich höflich bückend, da ich eben nieste,

setzte aber gleich hinzu: »Es sind die Steine und der Kalk von der

Mittelwand, die von der großen Erschütterung einfiel.«

 

»Habt Ihr ein Erdbeben gehabt?« platzte der Großonkel zornig heraus.

»Das nicht, wertester Herr Justitiarius«, erwiderte der Alte, mit

dem ganzen Gesicht lächelnd, »aber vor drei Tagen ist die schwere,

getäfelte Decke des Gerichtssaals mit gewaltigem Krachen eingestürzt.«

»So soll doch das« - Der Großonkel wollte, heftig und aufbrausend,

wie er war, einen schweren Fluch ausstoßen; aber indem er mit der

Rechten in die Höhe fuhr und mit der Linken die Fuchsmütze von der

Stirn rückte, hielt er plötzlich inne, wandte sich nach mir um und

sprach laut auflachend: »Wahrhaftig, Vetter! wir müssen das Maul

halten, wir dürfen nicht weiter fragen; sonst erfahren wir noch

ärgeres Unheil, oder das ganze Schloß stürzt uns über den Köpfen

zusammen.«

 

»Aber«, fuhr er fort, sich nach dem Alten umdrehend, »aber, Franz,

konntet Ihr denn nicht so gescheit sein, mir ein anderes Zimmer

reinigen und heizen zu lassen? Konntet Ihr nicht irgendeinen Saal im

Hauptgebäude schnell einrichten zum Gerichtstage?« »Dieses ist auch

bereits alles geschehen«, sprach der Alte, indem er freundlich nach

der Treppe wies und sofort hinaufzusteigen begann. »Nun seht mir

doch den wunderlichen Kauz«, rief der Onkel, indem wir dem Alten

nachschritten.

 

Es ging fort durch lange hochgewölbte Korridore, Franzens flackerndes

Licht warf einen wunderlichen Schein in die dicke Finsternis.

Säulen, Kapitäler und bunte Bogen zeigten sich oft wie in den Lüften

schwebend, riesengroß schritten unsere Schatten neben uns her, und die

seltsamen Gebilde an den Wänden, über die sie wegschlüpften, schienen

zu zittern und zu schwanken, und ihre Stimmen wisperten in den

dröhnenden Nachhall unserer Tritte hinein: »Weckt uns nicht, weckt uns

nicht, uns tolles Zaubervolk, das hier in den alten Steinen schläft!«

 

Endlich öffnete Franz, nachdem wir eine Reihe kalter, finstrer

Gemächer durchgangen, einen Saal, in dem ein hellaufloderndes

Kaminfeuer uns mit seinem lustigen Knistern wie mit heimatlichem Gruß

empfing. Mir wurde gleich, sowie ich eintrat, ganz wohl zumute, doch

der Großonkel blieb mitten im Saal stehen, schaute ringsumher und

sprach mit sehr ernstem, beinahe feierlichem Ton: »Also hier, dies

soll der Gerichtssaal sein?« - Franz, in die Höhe leuchtend, so daß

an der breiten dunklen Wand ein heller Fleck, wie eine Türe groß,

ins Auge fiel, sprach dumpf und schmerzhaft: »Hier ist ja wohl schon

Gericht gehalten worden!«

 

»Was kommt Euch ein, Alter?« rief der Onkel, indem er den Pelz schnell

abwarf und an das Kaminfeuer trat. »Es fuhr mir nur so heraus«, sprach

Franz, zündete die Lichter an und öffnete das Nebenzimmer, welches zu

unsrer Aufnahme ganz heimlich bereitet war.

 

Nicht lange dauerte es, so stand ein gedeckter Tisch vor dem Kamin,

der Alte trug wohlzubereitete Schüsseln auf, denen, wie es uns beiden,

dem Großonkel und mir, recht behaglich war, eine tüchtige Schale nach

echt nordischer Art gebrauten Punsches folgte. Ermüdet von der Reise,

suchte der Großonkel, sowie er gegessen, das Bette; das Neue, Seltsame

des Aufenthalts, ja selbst der Punsch, hatte aber meine Lebensgeister

zu sehr aufgeregt, um an Schlaf zu denken. Franz räumte den Tisch

ab, schürte das Kaminfeuer zu und verließ mich mit freundlichen

Bücklingen.

 

Nun saß ich allein in dem hohen, weiten Rittersaal. Das Schneegestöber

hatte zu schlackern, der Sturm zu sausen aufgehört, heitrer Himmel

war's geworden, und der helle Vollmond strahlte durch die breiten

Bogenfenster, alle finstre Ecken des wunderlichen Baues, wohin der

düstere Schein meiner Kerzen und des Kaminfeuers nicht dringen konnte,

magisch erleuchtend.

 

So wie man es wohl noch in alten Schlössern antrifft, waren auf

seltsame altertümliche Weise Wände und Decke des Saals verziert,

diese mit schwerem Getäfel, jene mit fantastischer Bilderei und

buntgemaltem, vergoldetem Schnitzwerk. Aus den großen Gemälden,

mehrenteils das wilde Gewühl blutiger Bären- und Wolfsjagden

darstellend, sprangen in Holz geschnitzte Tier- und Menschenköpfe

hervor, den gemalten Leibern angesetzt, so daß, zumal bei der

flackernden, schimmernden Beleuchtung des Feuers und des Mondes, das

Ganze in greulicher Wahrheit lebte.

 

Zwischen diesen Gemälden waren lebensgroße Bilder, in Jägertracht

dahinschreitende Ritter, wahrscheinlich der jagdlustigen Ahnherren,

eingefügt. Alles, Malerei und Schnitzwerk, trug die dunkle Farbe

langverjährter Zeit; um so mehr fiel der helle kahle Fleck an

derselben Wand, durch die zwei Türen in Nebengemächer führten, auf;

bald erkannte ich, daß dort auch eine Tür gewesen sein müßte, die

später zugemauert worden, und daß eben dies neue, nicht einmal der

übrigen Wand gleich gemalte oder mit Schnitzwerk verzierte Gemäuer auf

jene Art absteche. -

 

Wer weiß es nicht, wie ein ungewöhnlicher, abenteuerlicher Aufenthalt

mit geheimnisvoller Macht den Geist zu erfassen vermag, selbst

die trägste Fantasie wird wach in dem von wunderlichen Felsen

umschlossenen Tal in den düstern Mauern einer Kirche o. s., und will

sonst nie Erfahrnes ahnen.

 

Setze ich nun noch hinzu, daß ich zwanzig Jahr alt war und mehrere

Gläser starken Punsch getrunken hatte, so wird man es glauben, daß

mir in meinem Rittersaal seltsamer zumute wurde als jemals. Man denke

sich die Stille der Nacht, in der das dumpfe Brausen des Meers, das

seltsame Pfeifen des Nachtwindes wie die Töne eines mächtigen, von

Geistern gerührten Orgelwerks erklangen - die vorüberfliegenden

Wolken, die oft, hell und glänzend, wie vorbeistreifende Riesen durch

die klirrenden Bogenfenster zu gucken schienen - in der Tat, ich mußt'

es in dem leisen Schauer fühlen, der mich durchbebte, daß ein fremdes

Reich nun sichtbar und vernehmbar aufgehen könne.

 

Doch dies Gefühl glich dem Frösteln, das man bei einer lebhaft

dargestellten Gespenstergeschichte empfindet und das man so gern

hat. Dabei fiel mir ein, daß in keiner günstigeren Stimmung das

Buch zu lesen sei, das ich so wie damals jeder, der nur irgend

dem Romantischen ergeben, in der Tasche trug. Es war Schillers

»Geisterseher«. Ich las und las und erhitzte meine Fantasie immer mehr

und mehr.

 

Ich kam zu der mit dem mächtigsten Zauber ergreifenden Erzählung von

dem Hochzeitsfest bei dem Grafen von V.- Gerade wie Jeronimos blutige

Gestalt eintritt, springt mit einem gewaltigen Schlage die Tür auf,

die in den Vorsaal führt. - Entsetzt fahre ich in die Höhe, das Buch

fällt mir aus den Händen. Aber in demselben Augenblick ist alles

still, und ich schäme mich über mein kindliches Erschrecken.

 

Mag es sein, daß durch die durchströmende Zugluft oder auf andere

Weise die Tür aufgesprengt wurde. - Es ist nichts - meine überreizte

Fantasie bildet jede natürliche Erscheinung gespenstisch! - So

beschwichtigt, nehme ich das Buch von der Erde auf und werfe

mich wieder in den Lehnstuhl - da geht es leise und langsam mit

abgemessenen Tritten quer über den Saal hin, und dazwischen seufzt und

ächzt es, und in diesem Seufzen, diesem Ächzen liegt der Ausdruck des

tiefsten menschlichen Leidens, des trostlosesten Jammers - Ha! das ist

irgendein eingesperrtes krankes Tier im untern Stock. Man kennt ja die

akustische Täuschung der Nacht, die alles entfernt Tönende in die Nähe

rückt - wer wird sich nur durch so etwas Grauen erregen lassen. - So

beschwichtige ich mich aufs neue, aber nun kratzt es, indem lautere,

tiefere Seufzer, wie in der entsetzlichen Angst der Todesnot

ausgestoßen, sich hören lassen, an jenem neuen Gemäuer.

 

»Ja, es ist ein armes eingesperrtes Tier - ich werde jetzt laut rufen,

ich werde mit dem Fuß tüchtig auf den Boden stampfen, gleich wird

alles schweigen oder das Tier unten sich deutlicher in seinen

natürlichen Tönen hören lassen!«- So denke ich, aber das Blut gerinnt

in meinen Adern - kalter Schweiß steht auf der Stirne, erstarrt bleib'

ich im Lehnstuhle sitzen, nicht vermögend aufzustehen, viel weniger

noch zu rufen.

 

Das abscheuliche Kratzen hört endlich auf - die Tritte lassen sich

aufs neue vernehmen - es ist, als wenn Leben und Regung in mir

erwachte, ich springe auf und trete zwei Schritte vor, aber da

streicht eine eiskalte Zugluft durch den Saal, und in demselben

Augenblick wirft der Mond sein helles Licht auf das Bildnis eines sehr

ernsten, beinahe schauerlich anzusehenden Mannes, und als säusle seine

warnende Stimme durch das stärkere Brausen der Meereswellen, durch

das gellendere Pfeifen des Nachtwindes, höre ich deutlich: »- Nicht

weiter - nicht weiter, sonst bist du verfallen dem entsetzlichen Graus

der Geisterwelt!«

 

Nun fällt die Tür zu mit demselben starken Schlage wie zuvor, ich

höre die Tritte deutlich auf dem Vorsaal - es geht die Treppe hinab

- die Haupttür des Schlosses öffnet sich rasselnd und wird wieder

verschlossen. Dann ist es, als würde ein Pferd aus dem Stalle gezogen

und nach einer Weile wieder in den Stall zurückgeführt dann ist alles

still! In demselben Augenblick vernahm ich, wie der alte Großonkel im

Nebengemach ängstlich seufzte und stöhnte, dies gab mir alle Besinnung

wieder, ich ergriff die Leuchter und eilte hinein. Der Alte schien mit

einem bösen, schweren Traume zu kämpfen.

 

»Erwachen Sie - erwachen Sie«, rief ich laut, indem ich ihn sanft bei

der Hand faßte und den hellen Kerzenschein auf sein Gesicht fallen

ließ. Der Alte fuhr auf mit einem dumpfen Ruf, dann schaute er mich

mit freundlichen Augen an und sprach: »Das hast du gut gemacht,

Vetter, daß du mich wecktest. Ei, ich hatte einen sehr häßlichen

Traum, und daran ist bloß hier das Gemach und der Saal schuld, denn

ich mußte dabei an die vergangene Zeit und an manches Verwunderliche

denken, was hier sich begab. Aber nun wollen wir recht tüchtig

ausschlafen!«

 

Damit hüllte sich der Alte in die Decke und schien sofort

einzuschlafen. Als ich die Kerzen ausgelöscht und mich auch ins Bette

gelegt hatte, vernahm ich, daß der Alte leise betete.

 

Am andern Morgen ging die Arbeit los, der Wirtschaftsinspektor kam

mit den Rechnungen, und Leute meldeten sich, die irgendeinen Streit

geschlichtet, irgendeine Angelegenheit geordnet haben wollten. Mittags

ging der Großonkel mit mir herüber in den Seitenflügel, um den beiden

alten Baronessen in aller Form aufzuwarten. Franz meldete uns,

wir mußten einige Augenblicke warten und wurden dann durch ein

sechzigjähriges gebeugtes, in bunte Seide gekleidetes Mütterchen,

die sich das Kammerfräulein der gnädigen Herrschaft nannte, in das

Heiligtum geführt.

 

Da empfingen uns die alten, nach längst verjährter Mode abenteuerlich

geputzten Damen mit komischem Zeremoniell, und vorzüglich war ich ein

Gegenstand ihrer Verwunderung, als der Großonkel mich mit vieler Laune

als einen jungen, ihm beisteheenden Justizmann vorstellte. In ihren

Mienen lag es, daß sie bei meiner Jugend das Wohl der R..sittenschen

Untertanen gefährdet glaubten.

 

Der ganze Auftritt bei den alten Damen hatte überhaupt viel

Lächerliches, die Schauer der vergangenen Nacht fröstelten aber noch

in meinem Innern, ich fühlte mich wie von einer unbekannten Macht

berührt, oder es war mir vielmehr, als habe ich schon an den Kreis

gestreift, den zu überschreiten und rettungslos unterzugehen es nur

noch eines Schritts bedürfte, als könne nur das Aufbieten aller mir

inwohnenden Kraft mich gegen das Entsetzen schützen, das nur dem

unheilbaren Wahnsinn zu weichen pflegt. So kam es, daß selbst die

alten Baronessen in ihren seltsamen hochaufgetürmten Frisuren,

in ihren wunderlichen stoffnen, mit bunten Blumen und Bändern

ausstaffierten Kleidern mir statt lächerlich, ganz graulich und

gespenstisch erschienen.

 

In den alten gelbverschrumpften Gesichtern, in den blinzenden Augen

wollt' ich es lesen, in dem schlechten Französisch, das halb durch

die eingekniffenen blauen Lippen, halb durch die spitzen Nasen

herausschnarrte, wollt' ich es hören, wie sich die Alten mit den

unheimlichen, im Schlosse herumspukenden Wesen wenigstens auf guten

Fuß gesetzt hätten und auch wohl selbst Verstörendes und Entsetzliches

zu treiben vermochten.

 

Der Großonkel, zu allem Lustigen aufgelegt, verstrickte mit seiner

Ironie die Alten in ein solches tolles Gewäsche, daß ich in anderer

Stimmung nicht gewußt hätte, wie das ausgelassenste Gelächter in mich

hineinschlucken, aber wie gesagt, die Baronessen samt ihrem Geplapper

waren und blieben gespenstisch, und der Alte, der mir eine besondere

Lust bereiten wollte, blickte mich ein Mal übers andere ganz

verwundert an.

 

Sowie wir nach Tische in unserm Zimmer allein waren, brach er los:

»Aber, Vetter, sag' mir um des Himmels willen, was ist dir? - Du

lachst nicht, du sprichst nicht, du issest nicht, du trinkst nicht?

Bist du krank? oder fehlt es sonst woran?«

 

Ich nahm jetzt gar keinen Anstand, ihm alles Grauliche, Entsetzliche,

was ich in voriger Nacht überstanden, ganz ausführlich zu erzählen.

Nichts verschwieg ich, vorzüglich auch nicht, daß ich viel Punsch

getrunken und in Schillers »Geisterseher« gelesen. »Bekennen muß

ich dies«, setzte ich hinzu, »denn so wird es glaublich, daß meine

überreizte arbeitende Fantasie all die Erscheinungen schuf, die nur

innerhalb den Wänden meines Gehirns existierten.«

 

Ich glaubte, daß nun der Großonkel mir derb zusetzen würde mit

körnichten Späßen über meine Geisterseherei, statt dessen wurde er

sehr ernsthaft, starrte in den Boden hinein, warf dann den Kopf

schnell in die Höhe und sprach, mich mit dem brennenden Blick seiner

Augen anschauend: »Ich kenne dein Buch nicht, Vetter! aber weder

seinem, noch dem Geist des Punsches hast du jenen Geisterspuk zu

verdanken. Wisse, daß ich dasselbe, was dir widerfuhr, träumte. Ich

saß, so wie du (so kam es mir vor), im Lehnstuhl bei dem Kamin, aber

was sich dir nur in Tönen kundgetan, das sah ich, mit dem innern Auge

es deutlich erfassend.

 

Ja! ich erblickte den greulichen Unhold, wie er hereintrat, wie

er kraftlos an die vermauerte Tür schlich, wie er in trostloser

Verzweiflung an der Wand kratzte, daß das Blut unter den zerrissenen

Nägeln herausquoll, wie er dann hinabstieg, das Pferd aus dem Stalle

zog und in den Stall zurückbrachte. Hast du es gehört, wie der Hahn

im fernen Gehöfte des Dorfes krähte? Da wecktest du mich, und ich

widerstand bald dem bösen Spuk des entsetzlichen Menchen, der noch

vermag, das heitre Leben grauenhaft zu verstören.«

 

Der Alte hielt inne, aber ich mochte nicht fragen, wohlbedenkend, daß

er mir alles aufklären werde, wenn er es geraten finden sollte. Nach

einer Weile, in der er, tief in sich gekehrt, dagesessen, fuhr der

Alte fort: »Vetter, hast du Mut genug, jetzt nachdem du weißt, wie

sich alles begibt, den Spuk noch einmal zu bestehen? und zwar mit mir

zusammen?«

 

Es war natürlich, daß ich erklärte, wie ich mich jetzt dazu ganz

entkräftigt fühle. »So wollen wir«, sprach der Alte weiter, »in

künftiger Nacht zusammen wachen. Eine innere Stimme sagt mir, daß

meiner geistigen Gewalt nicht sowohl, als meinem Mute, der sich auf

festes Vertrauen gründet, der böse Spuk weichen muß, und daß es kein

freveliches Beginnen, sondern ein frommes, tapferes Werk ist, wenn ich

Leib und Leben daran wage, den bösen Unhold zu bannen, der hier die

Söhne aus der Stammburg der Ahnherrn treibt. -

 

Doch! von keiner Wagnis ist ja die Rede, denn in solch festem

redlichen Sinn, in solch frommen Vertrauen, wie es in mir lebt, ist

und bleibt man ein siegreicher Held. - Aber sollt' es dennoch Gottes

Wille sein, daß die böse Macht mich anzutasten vermag, so sollst du,

Vetter, es verkünden, daß ich im redlichen christlichen Kampf mit dem

Höllengeist, der hier sein verstörendes Wesen treibt, unterlag! - Du!

- halt dich ferne! dir wird dann nichts geschehen!«

 

Unter mancherlei zerstreuenden Geschäften war der Abend herangekommen.

Franz hatte, wie gestern, das Abendessen abgeräumt und uns Punsch

gebracht, der Vollmond schien hell durch die glänzenden Wolken, die

Meereswellen brausten, und der Nachtwind heulte und schüttelte die

klirrenden Scheiben der Bogenfenster. Wir zwangen uns, im Innern

aufgeregt, zu gleichgültigen Gesprächen. Der Alte hatte seine

Schlaguhr auf den Tisch gelegt. Sie schlug zwölfe. Da sprang mit

entsetzlichem Krachen die Tür auf, und wie gestern schwebten leise und

langsam Tritte quer durch den Saal, und das Ächzen und Seufzen ließ

sich vernehmen.

 

Der Alte war verblaßt, aber seine Augen erstrahlten in ungewöhnlichem

Feuer, er erhob sich vom Lehnstuhl, und indem er in seiner großen

Gestalt, hochaufgerichtet, den linken Arm in die Seite gestemmt, den

rechten weit vorstreckend nach der Mitte des Saals, dastand, war er

anzusehen, wie ein gebietender Held.

 

Doch immer stärker und vernehmlicher wurde das Seufzen und Ächzen, und

nun fing es an abscheulicher als gestern an der Wand hin und her zu

kratzen. Da schritt der Alte vorwärts, gerade auf die zugemauerte Tür

los, mit festen Tritten, daß der Fußboden erdröhnte. Dicht vor der

Stelle, wo es toller und toller kratzte, stand er still und sprach mit

starkem, feierlichem Ton, wie ich ihn nie gehört:

 

»Daniel, Daniel! was machst du hier zu dieser Stunde!« Da kreischte es

auf grauenvoll und entsetzlich, und ein dumpfer Schlag geschah, wie

wenn eine Last zu Boden stürzte. »Suche Gnade und Erbarmen vor dem

Thron des Höchsten, dort ist dein Platz! Fort mit dir aus dem Leben,

dem du niemals mehr angehören kannst!«

 

So rief der Alte noch gewaltiger als vorher, es war, als ginge ein

leises Gewimmer durch die Lüfte und ersterbe im Sausen des Sturms, der

sich zu erheben begann. Da schritt der Alte nach der Tür und warf sie

zu, daß es laut durch den öden Vorsaal widerhallte.

 

In seiner Sprache, in seinen Gebärden lag etwas Übermenschliches, das

mich mit tiefem Schauer erfüllte. Als er sich in den Lehnstuhl setzte,

war sein Blick wie verklärt, er faltete seine Hände, er betete im

Innern. So mochten einige Minuten vergangen sein, da frug er mit der

milden, tief in das Herz dringenden Stimme, die er so sehr in seiner

Macht hatte: »Nun, Vetter?« Von Schauer - Entsetzen - Angst - heiliger

Ehrfurcht und Liebe durchbebt, stürzte ich auf die Kniee und benetzte

die mir dargebotene Hand mit heißen Tränen. Der Alte schloß mich in

seine Arme, und indem er mich innig an sein Herz drückte, sprach er

sehr weich: »Nun wollen wir auch recht sanft schlafen, lieber Vetter!«

 

Es geschah auch so, und als sich in der folgenden Nacht durchaus

nichts Unheimliches verspüren ließ, gewannen wir die alte Heiterkeit

wieder, zum Nachteil der alten Baronessen, die, blieben sie auch in

der Tat ein wenig gespenstisch, mit ihrem abenteuerlichen Wesen, doch

nur ergötzlichen Spuk trieben, den der Alte auf possierliche Weise

anzuregen wußte.

 

Endlich, nach mehreren Tagen, traf der Baron ein mit seiner Gemahlin

und zahlreichem Jagdgefolge, die geladenen Gäste sammelten sich, und

nun ging in dem plötzlich lebendig gewordenen Schlosse das laute wilde

Treiben los, wie es vorhin beschrieben.

 

Als der Baron gleich nach seiner Ankunft in unsern Saal trat, schien

er über unsern veränderten Aufenthalt auf seltsame Weise befremdet,

er warf einen düstern Blick auf die zugemauerte Tür, und schnell

sich abwendend, fuhr er mit der Hand über die Stirn, als wolle er

irgendeine böse Erinnerung verscheuchen. Der Großonkel sprach von der

Verwüstung des Gerichtssaals und der anstoßenden Gemächer, der Baron

tadelte es, daß Franz uns nicht besser einlogiert habe, und forderte

den Alten recht gemütlich auf, doch nur zu gebieten, wenn ihm irgend

etwas in dem neuen Gemach, das doch viel schlechter sei, als das, was

er sonst bewohnt, an seiner Bequemlichkeit abginge.

 

Überhaupt war das Betragen des Barons gegen den alten Großonkel

nicht allein herzlich, sondern ihm mischte sich eine gewisse

kindliche Ehrfurcht bei, als stehe der Baron mit dem Alten in

verwandtschaftlichem Respektsverhältnis. Dies war aber auch das

einzige, was mich mit dem rauhen, gebieterischen Wesen des Barons,

das er immer mehr und mehr entwickelte, einigermaßen zu versöhnen

vermochte. Mich schien er wenig oder gar nicht zu beachten, er sah in

mir den gewöhnlichen Schreiber.

 

Gleich das erstemal, als ich eine Verhandlung aufgenommen, wollte er

etwas in der Fassung unrichtig finden, das Blut wallte mir auf, und

ich war im Begriff, irgend etwas Schneidendes zu erwidern, als der

Großonkel, das Wort nehmend, versicherte, daß ich denn nun einmal

alles recht nach seinem Sinne mache, und daß dieser doch nur hier in

gerichtlicher Verhandlung walten könne.

 

Als wir allein waren, beschwerte ich mich bitter über den Baron,

der mir immer mehr im Grunde der Seele zuwider werde. »Glaube

mir, Vetter!« erwiderte der Alte, »daß der Baron trotz seines

unfreundlichen Wesens der vortrefflichste, gutmütigste Mensch von der

Welt ist. Dieses Wesen hat er auch, wie ich dir schon sagte, erst seit

der Zeit angenommen, als er Majoratsherr wurde, vorher war er ein

sanfter, bescheidener Jüngling. Überhaupt ist es denn doch aber nicht

mit ihm so arg, wie du es machst, und ich möchte wohl wissen, warum er

dir so gar sehr zuwider ist.«

 

Indem der Alte die letzten Worte sprach, lächelte er recht höhnisch,

und das Blut stieg mir siedend heiß ins Gesicht. Mußte mir nun nicht

mein Innres recht klar werden, mußte ich es nicht deutlich fühlen, daß

jenes wunderliche Hassen aufkeimte aus dem Lieben, oder vielmehr aus

dem Verlieben in ein Wesen, das mir das holdeste, hochherrlichste zu

sein schien, was jemals auf Erden gewandelt?

 

Dieses Wesen war niemand als die Baronesse selbst. Schon gleich als

sie angekommen und in einem russischen Zobelpelz, der knapp anschloß

an den zierlich gebauten Leib, das Haupt in reiche Schleier gewickelt,

durch die Gemächer schritt, wirkte ihre Erscheinung auf mich wie ein

mächtiger unwiderstehlicher Zauber. Ja, selbst der Umstand, daß die

alten Tanten in verwunderlicheren Kleidern und Fontangen, als ich

sie noch gesehen, an beiden Seiten neben ihr her trippelten und ihre

französischen Bewillkommnungen herschnatterten, während sie, die

Baronin, mit unbeschreiblich milden Blicken um sich her schaute und

bald diesem, bald jenem freundlich zunickte, bald in dem rein tönenden

kurländischen Dialekt einige deutsche Worte dazwischen flötete, schon

dieses gab ein wunderbar fremdartiges Bild, und unwillkürlich reihte

die Fantasie dies Bild an jenen unheimlichen Spuk, und die Baronesse

wurde der Engel des Lichts, dem sich die bösen gespenstischen Mächte

beugen.

 

Die wunderherrliche Frau tritt lebhaft vor meines Geistes Augen. Sie

mochte wohl damals kaum neunzehn Jahre zählen, ihr Gesicht, ebenso

zart wie ihr Wuchs, trug den Ausdruck der höchsten Engelsgüte,

vorzüglich lag aber in dem Blick der dunklen Augen ein

unbeschreiblicher Zauber, wie feuchter Mondesstrahl ging darin eine

schwermütige Sehnsucht auf; so wie in ihrem holdseligen Lächeln ein

ganzer Himmel voll Wonne und Entzücken. Oft schien sie ganz in sich

selbst verloren, und dann gingen düstre Wolkenschatten über ihr holdes

Antlitz.

 

Man hätte glauben sollen, irgendein verstörender Schmerz müsse sie

befangen, mir schien es aber, daß wohl die düstere Ahnung einer

trüben, unglücksschwangeren Zukunft es sei, von der sie in solchen

Augenblicken erfaßt werde, und auch damit setzte ich auf seltsame

Weise, die ich mir weiter gar nicht zu erklären wußte, den Spuk im

Schlosse in Verbindung.

 

Den andern Morgen, nachdem der Baron angekommen, versammelte sich die

Gesellschaft zum Frühstück, der Alte stellte mich der Baronesse vor,

und wie es in solcher Stimmung, wie die meinige war, zu geschehen

pflegt, ich nahm mich unbeschreiblich albern, indem ich auf die

einfachen Fragen der holden Frau, wie es mir auf dem Schlosse gefalle

u.s., mich in die wunderlichsten sinnlosesten Reden verfing, so daß

die alten Tanten meine Verlegenheit wohl lediglich dem profunden

Respekt vor der Herrin zuschrieben, sich meiner huldreich annehmen

zu müssen glaubten und mich in französischer Sprache als einen ganz

artigen und geschickten jungen Menschen, als einen »garcon tres joli«

anpriesen.

 

Das ärgerte mich, und plötzlich mich ganz beherrschend, fuhr mir ein

Witzwort heraus in besserem Französisch, als die Alten es sprachen,

worauf sie mich mit großen Augen anguckten und die langen spitzen

Nasen reichlich mit Tabak bedienten.

 

An dem ernsteren Blick der Baronesse, mit dem sie sich von mir ab zu

einer anderen Dame wandte, merkte ich, daß mein Witzwort hart an eine

Narrheit streifte, das ärgerte mich noch mehr, und ich verwünschte die

Alten in den Abgrund der Hölle.

 

Die Zeit des schäferischen Schmachtens, des Liebesunglücks in

kindischer Selbstbetörung hatte in mir der alte Großonkel längst

wegironiert, und wohl merkt' ich, daß die Baronin tiefer und mächtiger

als noch bis jetzt eine Frau mich in meinem innersten Gemüt gefaßt

hatte. Ich sah, ich hörte nur sie, aber bewußt war ich mir deutlich

und bestimmt, daß es abgeschmackt, ja wahnsinnig sein würde,

irgendeine Liebelei zu wagen, wiewohl ich auch die Unmöglichkeit

einsah, wie ein verliebter Knabe von weitem zu staunen und anzubeten,

dessen ich mich selbst hätte schämen müssen.

 

Der herrlichen Frau näherzutreten, ohne ihr nur mein inneres Gefühl

ahnen zu lassen, das süße Gift ihrer Blicke, ihrer Worte einsaugen und

dann fern von ihr, sie lange, vielleicht immerdar im Herzen tragen,

das wollte und konnte ich. Diese romantische, ja wohl ritterliche

Liebe, wie sie mir aufging in schlafloser Nacht, spannte mich

dermaßen, daß ich kindisch genug war, mich selbst auf pathetische

Weise zu haranguieren und zuletzt sehr kläglich zu seufzen:

»Seraphine, ach Seraphine!« so daß der Alte erwachte und mir zurief:

»Vetter! Vetter! ich glaube, du fantasierst mit lauter Stimme! Tu's

bei Tage, wenn's möglich ist, aber zur Nachtzeit laß mich schlafen!«

 

Ich war nicht wenig besorgt, daß der Alte, der schon mein aufgeregtes

Wesen bei der Ankunft der Baronin wohl bemerkt, den Namen gehört haben

und mich mit einem sarkastischen Spott überschütten werde, er sagte

am andern Morgen aber nichts weiter, als bei dem Hineingehen in

den Gerichtssaal: »Gott gebe jedem gehörigen Menschenverstand und

Sorglichkeit, ihn in gutem Verschluß zu halten. Es ist schlimm, mir

nichts, dir nichts sich in einen Hasenfuß umzusetzen.« Hierauf nahm er

Platz an dem großen Tisch und sprach: »Schreibe fein deutlich, lieber

Vetter! damit ich's ohne Anstoß zu lesen vermag.«

 

Die Hochachtung, ja die kindliche Ehrfurcht, die der Baron meinem

alten Großonkel erzeigte, sprach sich in allem aus. So mußte er auch

bei Tische den ihm von vielen beneideten Platz neben der Baronesse

einnehmen, mich warf der Zufall bald hier-, bald dorthin, doch

pflegten gewöhnlich ein paar Offiziere aus der nahen Hauptstadt mich

in Beschlag zu nehmen, um sich über alles Neue und Lustige, was dort

geschehen, recht auszusprechen und dabei wacker zu trinken.

 

So kam es, daß ich mehrere Tage hindurch ganz fern von der Baronesse,

am untern Ende des Tisches saß, bis mich endlich ein Zufall in ihre

Nähe brachte. Als der versammelten Gesellschaft der Eßsaal geöffnet

wurde, hatte mich gerade die Gesellschafterin der Baronin, ein nicht

mehr ganz junges Fräulein, aber sonst nicht häßlich und nicht ohne

Geist, in ein Gespräch verwickelt, das ihr zu behagen schien. Der

Sitte gemäß mußte ich ihr den Arm geben, und nicht wenig erfreut war

ich, als sie der Baronin ganz nahe Platz nahm, die ihr freundlich

zunickte.

 

Man kann denken, daß nun alle Worte, die ich sprach, nicht mehr der

Nachbarin allein, sondern hauptsächlich der Baronin galten. Mag es

sein, daß meine innere Spannung allem, was ich sprach, einen besondern

Schwung gab, genug, das Fräulein wurde aufmerksamer und aufmerksamer,

ja zuletzt unwiderstehlich hineingezogen in die bunte Welt stets

wechselnder Bilder, die ich ihr aufgehen ließ.

 

Sie war, wie gesagt, nicht ohne Geist, und so geschah es bald, daß

unser Gespräch, ganz unabhängig von den vielen Worten der Gäste, die

hin und her streiften, auf seine eigene Hand lebte und dorthin, wohin

ich es haben wollte, einige Blitze sandte. Wohl merkt' ich nämlich,

daß das Fräulein der Baronin bedeutende Blicke zuwarf, und daß diese

sich mühte uns zu hören. Vorzüglich war dies der Fall, als ich, da

das Gespräch sich auf Musik gewandt, mit voller Begeisterung von

der herrlichen, heiligen Kunst sprach und zuletzt nicht verhehlte,

daß ich, trockner, langweiliger Juristerei, der ich mich ergeben,

unerachtet, den Flügel mit ziemlicher Fertigkeit spiele, singe und

auch wohl schon manches Lied gesetzt habe.

 

Man war in den andern Saal getreten, um Kaffee und Liköre zu nehmen,

da stand ich unversehens, selbst wußte ich nicht wie, vor der Baronin,

die mit dem Fräulein gesprochen. Sie redete mich sogleich an, indem

sie, doch freundlicher und in dem Ton, wie man mit einem Bekannten

spricht, jene Fragen, wie mir der Aufenthalt im Schlosse zusage u.s.,

wiederholte. Ich versicherte, daß in den ersten Tagen die schauerliche

Öde der Umgebung, ja selbst das altertümliche Schloß mich seltsam

gestimmt habe, daß aber eben in dieser Stimmung viel Herrliches

aufgegangen und daß ich nur wünsche, der wilden Jagden, an die ich

nicht gewöhnt, überhoben zu sein.

 

Die Baronin lächelte, indem sie sprach: »Wohl kann ich's mir denken,

daß Ihnen das wüste Treiben in unsern Föhrenwäldern nicht eben

behaglich sein kann. Sie sind Musiker, und täuscht mich nicht alles,

gewiß auch Dichter! Mit Leidenschaft liebe ich beide Künste! - ich

spiele selbst etwas die Harfe, das muß ich nun in R..sitten entbehren,

denn mein Mann mag es nicht, daß ich das Instrument mitnehme, dessen

sanftes Getön schlecht sich schicken würde zu dem wilden Halloh, zu

dem gellenden Hörnergetöse der Jagd, das sich hier nur hören lassen

soll! - O mein Gott! wie würde mich hier Musik erfreun!«

 

Ich versicherte, daß ich meine ganze Kunst aufbieten werde, ihren

Wunsch zu erfüllen, daß es doch im Schlosse unbezweifelt ein

Instrument, sei es auch nur ein alter Flügel, geben werde. Da lachte

aber Fräulein Adelheid (der Baronin Gesellschafterin) hell auf und

frug, ob ich denn nicht wisse, daß seit Menschengedenken im Schlosse

keine andern Instrumente gehört worden, als krächzende Trompeten, im

Jubel lamentierende Hörner der Jäger und heisere Geigen, verstimmte

Bässe, meckernde Hoboen herumziehender Musikanten.

 

Die Baronin hielt den Wunsch, Musik und zwar mich zu hören, fest, und

beide, sie und Adelheid, erschöpften sich in Vorschlägen, wie ein

leidliches Fortepiano herbeigeschafft werden könne. In dem Augenblick

schritt der alte Franz durch den Saal. »Da haben wir den, der für

alles guten Rat weiß, der alles herbeischafft, selbst das Unerhörte

und Ungesehene!«

 

Mit diesen Worten rief ihn Fräulein Adelheid heran, und indem sie

ihm begreiflich machte, worauf es ankomme, horchte die Baronin mit

gefalteten Händen, mit vorwärts gebeugtem Haupt, dem Alten mit mildem

Lächeln ins Auge blickend, zu. Gar anmutig war sie anzusehen, wie ein

holdes, liebliches Kind, das ein ersehntes Spielzeug nur gar zu gern

schon in Händen hätte. Franz, nachdem er in seiner weitläufigen Manier

mehrere Ursachen hergezählt hatte, warum es denn schier unmöglich sei,

in der Geschwindigkeit solch ein rares Instrument herbeizuschaffen,

strich sich endlich mit behaglichem Schmunzeln den Bart und sprach:

»Aber die Frau Wirtschaftsinspektorin drüben im Dorfe schlägt ganz

ungemein geschickt das Clavizimbel, oder wie sie es jetzt nennen mit

dem ausländischen Namen, und singt dazu so fein und lamentabel, daß

einem die Augen rot werden wie von Zwiebeln und man hüpfen möchte mit

beiden Beinen.«

 

»Und besitzt ein Fortepiano!« fiel Fräulein Adelheid ihm in die

Rede. »Ei, freilich«, fuhr der Alte fort, »direkt aus Dresden ist es

gekommen - ein -« »O das ist herrlich«, unterbrach ihn die Baronin

»ein schönes Instrument«, sprach der Alte weiter, »aber ein wenig

schwächlich, denn als der Organist neulich das Lied: >In allen meinen

Taten< darauf spielen wollte, schlug er alles in Grund und Boden, so

daß-«

 

»O mein Gott«, riefen beide, die Baronin und Fräulein Adelheid, »so

daß«, fuhr der Alte fort, »es mit schweren Kosten nach R - geschafft

und dort repariert werden mußte.« »Ist es denn nun wieder hier?« frug

Fräulein Adelheid ungeduldig. »Ei freilich, gnädiges Fräulein! und die

Frau Wirtschaftsinspektorin wird es sich zur Ehre rechnen.«

 

In diesem Augenblick streifte der Baron vorüber, er sah sich wie

befremdet nach unserer Gruppe um und flüsterte spöttisch lächelnd der

Baronin zu: »Muß Franz wieder guten Rat erteilen?« Die Baronin schlug

errötend die Augen nieder, und der alte Franz stand, erschrocken

abbrechend, den Kopf gerade gerichtet, die herabhängenden Arme dicht

an den Leib gedrückt, in soldatischer Stellung da.

 

Die alten Tanten schwammen in ihren stoffnen Kleidern auf uns zu

und entführten die Baronin. Ihr folgte Fräulein Adelheid. Ich war

wie bezaubert stehen geblieben. Entzücken, daß ich nun ihr, der

Angebeteten, die mein ganzes Wesen beherrschte, mich nahen werde,

kämpfte mit düsterm Mißmut und Ärger über den Baron, der mir als ein

rauher Despot erschien. War er dies nicht, durfte dann wohl der alte

eisgraue Diener so sklavisch sich benehmen?

 

»Hörst du, siehst du endlich?« rief der Großonkel, mir auf die

Schulter klopfend; wir gingen hinauf in unser Gemach. »Dränge dich

nicht so an die Baronin«, sprach er, als wir angekommen, »wozu soll

das, überlaß es den jungen Gecken, die gern den Hof machen, und an

denen es ja nicht mangelt.« - Ich erzählte, wie alles gekommen, und

forderte ihn auf mir nun zu sagen, ob ich seinen Vorwurf verdiene, er

erwiderte aber darauf nichts als: »Hm hm« - zog den Schlafrock an,

setzte sich mit angezündeter Pfeife in den Lehnstuhl und sprach

von den Ereignissen der gestrigen Jagd, mich foppend über meine

Fehlschüsse.

 

Im Schloß war es still geworden, Herren und Damen beschäftigten sich

in ihren Zimmern mit dem Putz für die Nacht. Jene Musikanten mit den

heisern Geigen, mit den verstimmten Bässen und den meckernden Hoboen,

von denen Fräulein Adelheid gesprochen, waren nämlich angekommen, und

es sollte für die Nacht nichts Geringeres geben, als einen Ball in

bestmöglicher Form.

 

Der Alte, den ruhigen Schlaf solch faselndem Treiben vorziehend, blieb

in seinem Gemach, ich hingegen hatte mich eben zum Ball gekleidet,

als es leise an unsere Tür klopfte und Franz hineintrat, der mir mit

behaglichem Lächeln verkündete, daß soeben das Clavizimbel von der

Frau Wirtschaftsinspektorin in einem Schlitten angekommen und zur

gnädigen Frau Baronin getragen worden sei. Fräulein Adelheid ließe

mich einladen, nur gleich herüberzukommen.

 

Man kann denken, wie mir alle Pulse schlugen, mit welchem innern süßen

Erbeben ich das Zimmer öffnete, in dem ich sie fand. Fräulein Adelheid

kam mir freudig entgegen. Die Baronin, schon zum Ball völlig geputzt,

saß ganz nachdenklich vor dem geheimnisvollen Kasten, in dem die Töne

schlummern sollten, die zu wecken ich berufen.

 

Sie stand auf, so in vollem Glanz der Schönheit strahlend, daß ich,

keines Wortes mächtig, sie anstarrte. »Nun Theodor«, (nach der

gemütlichen Sitte des Nordens, die man im tieferen Süden wiederfindet,

nannte sie jeden bei seinem Vornamen) »nun, Theodor«, sprach sie

freundlich, »das Instrument ist gekommen, gebe der Himmel, daß es

Ihrer Kunst nicht ganz unwürdig sein möge.«

 

Sowie ich den Deckel öffnete, rauschten mir eine Menge gesprungener

Saiten entgegen, und sowie ich einen Akkord griff, klang es, da alle

Saiten, die noch ganz geblieben, durchaus verstimmt waren, widrig

und abscheulich. »Der Organist ist wieder mit seinen zarten Händchen

drüber her gewesen«, rief Fräulein Adelheid lachend, aber die Baronin

sprach ganz mißmutig: »Das ist denn doch ein rechtes Unglück! ach,

ich soll denn hier nun einmal keine Freude haben!« Ich suchte in dem

Behälter des Instruments und fand glücklicherweise einige Rollen

Saiten, aber durchaus keinen Stimmhammer! - Neue Klagen! - jeder

Schlüssel, dessen Bart in die Wirbel passe, könne gebraucht werden,

erklärte ich; da liefen beide, die Baronin und Fräulein Adelheid,

freudig hin und wieder, und nicht lange dauerte es, so lag ein ganzes

Magazin blanker Schlüsselchen vor mir auf dem Resonanzboden.

 

Nun machte ich mich emsig drüber her - Fräulein Adelheid, die Baronin

selbst mühte sich mir beizu stehen, diesen - jenen Wirbel probierend

- Da zieht einer den trägen Schlüssel an, »es geht, es geht!« riefen

sie freudig - Da rauscht die Saite, die sich schier bis zur Reinheit

herangeächzt, gesprungen auf, und erschrocken fahren sie zurück!

Die Baronin hantiert mit den kleinen zarten Händchen in den spröden

Drahtsaiten, sie reicht mir die Nummern, die ich verlange, und hält

sorgsam die Rolle, die ich abwickle, plötzlich schnurrt eine auf, so

daß die Baronin ein ungeduldiges Ach! ausstößt - Fräulein Adelheid

lacht laut auf, ich verfolge den verwirrten Knäuel bis in die Ecke des

Zimmers, und wir alle suchen aus ihm noch eine gerade unzerknickte

Saite herauszuziehen, die dann aufgezogen zu unserm Leidwesen wieder

springt - aber endlich - endlich sind gute Rollen gefunden, die Saiten

fangen an zu stehen, und aus dem mißtönigen Summen gehen allmählich

klare, reine Akkorde hervor!

 

»Ach, es glückt, es glückt - das lnstrument stimmt sich!« ruft die

Baronin, indem sie mich mit holdem Lächeln anblickt! - Wie schnell

vertrieb dies gemeinschaftliche Mühen alles Fremde, Nüchterne,

das die Konvenienz hinstellt, wie ging unter uns eine heimische

Vertraulichkeit auf, die, ein elektrischer Hauch mich durchglühend,

die verzagte Beklommenheit, welche wie Eis auf meiner Brust lag,

schnell wegzehrte.

 

Jener seltsame Pathos, wie ihn solche Verliebtheit, wie die meinige,

wohl erzeugt, hatte mich ganz verlassen und so kam es, daß, als nun

endlich das Pianoforte leidlich gestimmt war, ich, statt, wie ich

gewollt, meine innern Gefühle in Fantasien recht laut werden zu

lassen, in jene süße liebliche Kanzonetten verfiel, wie sie aus dem

Süden zu uns herübergeklungen.

 

Während dieser »Senza di te« - dieser »Sentimi idol mio«, dieser

»Almen se non poss'io« und hundert »morir mi sento's« und »Addio's«

und »Oh dio's« wurden leuchtender und leuchtender Seraphinens Blicke.

Sie hatte sich dicht neben mir an das Instrument gesetzt, ich fühlte

ihren Atem an meiner Wange spielen; indem sie ihren Arm hinter mir

auf die Stuhllehne stützte, fiel ein weißes Band, das sich von dem

zierlichen Ballkleide losgenestelt, über meine Schulter und flatterte,

von meinen Tönen, von Seraphinens leisen Seufzern berührt, hin und

her wie ein getreuer Liebesbote! Es war zu verwundern, daß ich den

Verstand behielt!

 

Als ich, mich auf irgendein neues Lied besinnend, in den Akkorden

herumfuhr, sprang Fräulein Adelheid, die in einer Ecke des Zimmers

gesessen, herbei, kniete vor der Baronin hin und bat, ihre beiden

Hände erfassend und an die Brust drückend: »O liebe Baronin

Seraphinchen, nun mußt du auch singen!« Die Baronin erwiderte: »Wo

denkst du aber auch hin, Adelheid! - wie mag ich mich denn vor unserm

Virtuosen da mit meiner elenden Singerei hören lassen!«

 

Es war lieblich anzuschauen, wie sie, gleich einem frommverschämten

Kinde, die Augen niederschlagend und hocherrötend mit der Lust und mit

der Scheu kämpfte.

 

Man kann denken, wie ich sie anflehte, und, als sie kleine

kurländische Volkslieder erwähnte, nicht nachließ, bis sie, mit der

linken Hand herüberlangend, einige Töne auf dem Instrument versuchte,

wie zur Einleitung. Ich wollte ihr Platz machen am Instrument, sie

ließ es aber nicht zu, indem sie versicherte, daß sie nicht eines

einzigen Akkordes mächtig sei, und daß ebendeshalb ihr Gesang ohne

Begleitung sehr mager und unsicher klingen werde.

 

Nun fing sie mit zarter, glockenreiner, tief aus dem Herzen tönender

Stimme ein Lied an, dessen einfache Melodie ganz den Charakter jener

Volkslieder trug, die so klar aus dem Innern herausleuchten, daß wir

in dem hellen Schein, der uns umfließt, unsere höhere poetische Natur

erkennen müssen.

 

Ein geheimnisvoller Zauber liegt in den unbedeutenden Worten des

Textes, der zur Hieroglyphe des Unaussprechlichen wird, von dem unsere

Brust erfüllt. Wer denkt nicht an jene spanische Kanzonetta, deren

Inhalt den Worten nach nicht viel mehr ist, als: »Mit meinem Mädchen

schifft' ich auf dem Meer, da wurd' es stürmisch, und mein Mädchen

wankte furchtsam hin und her. Nein! nicht schiff' ich wieder mit

meinem Mädchen auf dem Meer!« So sagte der Baronin Liedlein nichts

weiter: »Jüngst tanzt' ich mit meinem Schatz auf der Hochzeit, da

fiel mir eine Blume aus dem Haar, die hob er auf und gab sie mir und

sprach: >Wann, mein Mädchen, gehn wir wieder zur Hochzeit?<«

 

Als ich bei der zweiten Strophe dies Liedchen in harpeggierenden

Akkorden begleitete, als ich in der Begeisterung, die mich erfaßt,

die Melodien der folgenden Lieder gleich von den Lippen der Baronin

wegstahl, da erschien ich ihr und der Fräulein Adelheid wie der größte

Meister der Tonkunst, sie überhäuften mich mit Lobsprüchen. Die

angezündeten Lichter des Ballsaals im Seitenflügel brannten hinein in

das Gemach der Baronin, und ein mißtöniges Geschrei von Trompeten und

Hörnern verkündete, daß es Zeit sei, sich zum Ball zu versammeln.

 

»Ach, nun muß ich fort«, rief die Baronin, ich sprang auf vom

Instrument. »Sie haben mir eine herrliche Stunde bereitet - es waren

die heitersten Momente, die ich jemals hier in R..sitten verlebte.«

 

Mit diesen Worten reichte mir die Baronin die Hand; als ich sie im

Rausch des höchsten Entzückens an die Lippen drückte, fühlte ich ihre

Finger heftig pulsierend an meiner Hand anschlagen! Ich weiß nicht,

wie ich in des Großonkels Zimmer, wie ich dann in den Ballsaal kam. -

Jener Gaskogner fürchtete die Schlacht, weil jede Wunde ihm tödlich

werden müsse, da er ganz Herz sei! - Ihm mochte ich, ihm mag jeder in

meiner Stimmung gleichen! Jede Berührung wird tödlich. Der Baronin

Hand, die pulsierenden Finger hatten mich getroffen wie vergiftete

Pfeile, mein Blut brannte in den Adern!

 

Ohne mich gerade auszufragen, hatte der Alte am andern Morgen doch

bald die Geschichte des mit der Baronin verlebten Abends heraus, und

ich war nicht wenig betreten, als er, der mit lachendem Munde und

heitrem Tone gesprochen, plötzlich sehr ernst wurde und anfing: »Ich

bitte dich, Vetter, widerstehe der Narrheit, die dich mit aller Macht

ergriffen! Wisse, daß dein Beginnen, so harmlos wie es scheint, die

entsetzlichsten Folgen haben kann, du stehst in achtlosem Wahnsinn

auf dünner Eisdecke, die bricht unter dir, ehe du dich es versiehst,

und du plumpst hinein. Ich werde mich hüten, dich am Rockschoß

festzuhalten, denn ich weiß, du rappelst dich selbst wieder heraus

und sprichst, zum Tode erkrankt: >Das bißchen Schnupfen bekam ich

im Traume<; aber ein böses Fieber wird zehren an deinem Lebensmark,

und Jahre werden hingehen, ehe du dich ermannst. Hol' der Teufel

deine Musik, wenn du damit nichts Besseres anzufangen weißt, als

empfindelnde Weiber hinauszutrompeten aus friedlicher Ruhe.«

 

»Aber«, unterbrach ich den Alten, »kommt es mir denn in den Sinn, mich

bei der Baronin einzuliebeln?« »Affe!« rief der Alte, »wüßt' ich das,

so würfe ich dich hier durchs Fenster!«

 

Der Baron unterbrach das peinliche Gespräch, und das beginnende

Geschäft riß mich auf aus der Liebesträumerei, in der ich nur

Seraphinen sah und dachte. In der Gesellschaft sprach die Baronin nur

dann und wann mit mir einige freundliche Worte, aber beinahe kein

Abend verging, daß nicht heimliche Botschaft kam von Fräulein

Adelheid, die mich hinrief zu Seraphinen. Bald geschah es, daß

mannigfache Gespräche mit der Musik wechselten. Fräulein Adelheid, die

beinahe nicht jung genug war, um so naiv und drollig zu sei, sprang

mit allerlei lustigem und etwas konfusem Zeuge dazwischen, wenn ich

und Seraphine uns zu vertiefen begannen in sentimentale Ahnungen und

Träumereien. Aus mancher Andeutung mußt' ich bald erfahren, daß der

Baronin wirklich irgend etwas Verstörendes im Sinn liege, wie ich

es gleich, als ich sie zum ersten Male sah, in ihrem Blick zu lesen

glaubte, und die feindliche Wirkung des Hausgespenstes ging mir ganz

klar auf. Irgend etwas Entsetzliches war oder sollte geschehen. Wie

oft drängte es mich, Seraphinen zu erzählen, wie mich der unsichtbare

Feind berührt, und wie ihn der Alte, gewiß für immer, gebannt habe,

aber eine mir selbst unerklärliche Scheu fesselte mir die Zunge in dem

Augenblick, als ich reden wollte.

 

Eines Tages fehlte die Baronin bei der Mittagstafel; es hieß, sie

kränkle und könne das Zimmer nicht verlassen. Teilnehmend frug man

den Baron, ob das Übel von Bedeutung sei. Er lächelte auf fatale

Art, recht wie bitter höhnend, und sprach: »Nichts als ein leichter

Katarrh, den ihr die rauhe Seeluft zugeweht, die nun einmal hier kein

süßes Stimmchen duldet und keine andern Töne leidet, als das derbe

Halloh der Jagd.« - Bei diesen Worten warf der Baron mir, der ihm

schrägüber saß, einen stechenden Blick zu.

 

Nicht zu dem Nachbar, zu mir hatte er gesprochen. Fräulein Adelheid,

die neben mir saß, wurde blutrot; vor sich hin auf den Teller starrend

und mit der Gabel darauf herumkritzelnd, lispelte sie: »Und noch heute

siehst du Seraphinen, und noch heute werden deine süßen Liederchen

beruhigend sich an das kranke Herz legen.« Auch Adelheid sprach diese

Worte für mich, aber in dem Augenblick war es mir, als stehe ich mit

der Baronin in unlauterm verbotenem Liebesverhältnis, das nur mit dem

Entsetzlichen, mit einem Verbrechen, endigen könne.

 

Die Warnungen des Alten fielen mir schwer aufs Herz. - Was sollte ich

beginnen! Sie nicht mehr sehen? - Das war, solange ich im Schlosse

blieb, unmöglich, und durfte ich auch das Schloß verlassen und nach K.

zurückgehen, ich vermochte es nicht. Ach! nur zu sehr fühlt' ich, daß

ich nicht stark genug war, mich selbst aufzurütteln aus dem Traum,

der mich mit fantastischem Liebesglück neckte. Adelheid erschien mir

beinahe als gemeine Kupplerin, ich wollte sie deshalb verachten und

doch, mich wieder besinnend, mußte ich mich meiner Albernheit schämen.

 

Was geschah in jenen seligen Abendstunden, das nur im mindesten ein

näheres Verhältnis mit Seraphinen, als Sitte und Anstand es erlaubten,

herbeiführen konnte? Wie durfte es mir einfallen, daß die Baronin

irgend etwas für mich fühlen sollte, und doch war ich von der Gefahr

meiner Lage überzeugt!

 

Die Tafel wurde zeitiger aufgehoben, weil es noch auf Wölfe gehen

sollte, die sich in dem Föhrenwalde, ganz nahe dem Schlosse, hatten

blicken lassen. Die Jagd war mir recht in meiner aufgeregten Stimmung,

ich erklärte dem Alten, mitziehn zu wollen, er lächelte mich zufrieden

an, sprechend: »Das ist brav, daß du auch einmal dich herausmachst,

ich bleibe heim, du kannst meine Büchse nehmen, und schnalle auch

meinen Hirschfänger um, im Fall der Not ist das eine gute sichre

Waffe, wenn man nur gleichmütig bleibt.«

 

Der Teil des Waldes, in dem die Wölfe lagern mußten, wurde von den

Jägern umstellt. Es war schneidend kalt, der Wind heulte durch die

Föhren und trieb mir die hellen Schneeflocken ins Gesicht, daß ich,

als nun vollends die Dämmerung einbrach, kaum sechs Schritte vor mir

hinschauen konnte. Ganz erstarrt verließ ich den mir angewiesenen

Platz und suchte Schutz tiefer im Walde. Da lehnte ich an einem Baum,

die Büchse unterm Arm. Ich vergaß die Jagd, meine Gedanken trugen mich

fort zu Seraphinen ins heimische Zimmer. Ganz entfernt fielen Schüsse,

in demselben Moment rauschte es im Röhricht, und nicht zehn Schritte

von mir erblickte ich einen starken Wolf, der vorüberrennen wollte.

 

Ich legte an, drückte ab, - ich hatte gefehlt, das Tier sprang mit

glühenden Augen auf mich zu, ich war verloren, hatte ich nicht

Besonnenheit genug, das Jagdmesser herauszureißen, das ich dem Tier,

als es mich packen wollte, tief in die Gurgel stieß, so daß das Blut

mir über Hand und Arm spritzte. Einer von den Jägern des Barons, der

mir unfern gestanden, kam nun mit vollem Geschrei herangelaufen, und

auf seinen wiederholten Jagdruf sammelten sich alle um uns.

 

Der Baron eilte auf mich zu: »Um des Himmels willen. Sie bluten? - Sie

bluten - Sie sind verwundet?« Ich versicherte das Gegenteil; da fiel

der Baron über den Jäger her, der mir der nächste gestanden, und

überhäufte ihn mit Vorwürfen, daß er nicht nachgeschossen, als ich

gefehlt, und unerachtet dieser versicherte, daß das gar nicht möglich

gewesen, weil in derselben Sekunde der Wolf auf mich zugestürzt, so

daß jeder Schuß mich hätte treffen können, so blieb doch der Baron

dabei, daß er mich, als einen minder erfahrnen Jäger, in besondere

Obhut hätte nehmen sollen.

 

Unterdessen hatten die Jäger das Tier aufgehoben, es war das größte

der Art, das sich seit langer Zeit hatte sehen lassen, und man

bewunderte allgemein meinen Mut und meine Entschlossenheit, unerachtet

mir mein Benehmen sehr natürlich schien, und ich in der Tat an die

Lebensgefahr, in der ich schwebte, gar nicht gedacht hatte.

 

Vorzüglich bewies sich der Baron teilnehmend, er konnte gar nicht

aufhören zu fragen, ob ich, sei ich auch nicht von der Bestie

verwundet, doch nichts von den Folgen des Schrecks fürchte. Es ging

zurück nach dem Schlosse, der Baron faßte mich, wie einen Freund,

unter den Arm, die Büchse mußte ein Jäger tragen. Er sprach noch

immer von meiner heroischen Tat, so daß ich am Ende selbst an meinen

Heroismus glaubte, alle Befangenheit verlor und mich selbst dem

Baron gegenüber als ein Mann von Mut und seltener Entschlossenheit

festgestellt fühlte.

 

Der Schulknabe hatte sein Examen glücklich bestanden, war kein

Schulknabe mehr, und alle demütige Ängstlichkeit des Schulknaben

war von ihm gewichen. Erworben schien mir jetzt das Recht, mich

um Seraphinens Gunst zu mühen. Man weiß ja, welcher albernen

Zusammenstellungen die Fantasie eines verliebten Jünglings fähig ist.

 

Im Schlosse, am Kamin bei dem rauchenden Punschnapf, blieb ich der

Held des Tages; nur der Baron selbst hatte außer mir noch einen

tüchtigen Wolf erlegt, die übrigen mußten sich begnügen, ihre

Fehlschüsse dem Wetter - der Dunkelheit zuzuschreiben und greuliche

Geschichten von sonst auf der Jagd erlebtem Glück und überstandener

Gefahr zu erzählen.

 

Von dem Alten glaubte ich nun gar sehr gelobt und bewundert zu werden;

mit diesem Anspruch erzählte ich ihm mein Abenteuer ziemlich breit und

vergaß nicht, das wilde, blutdürstige Ansehn der wilden Bestie mit

recht grellen Farben auszumalen. Der Alte lachte mir aber ins Gesicht

und sprach: »Gott ist mächtig in den Schwachen!«

 

Als ich des Trinkens, der Gesellschaft überdrüssig, durch den Korridor

nach dem Gerichtssaal schlich, sah ich vor mir eine Gestalt, mit dem

Licht in der Hand, hineinschlüpfen. In den Saal tretend, erkannte ich

Fräulein Adelheid. »Muß man nicht umherirren wie ein Gespenst, wie ein

Nachtwandler, um Sie, mein tapferer Wolfsjäger, aufzufinden!« - So

lispelte sie mir zu, indem sie mich bei der Hand ergriff.

 

Die Worte: »Nachtwandler - Gespenst«, fielen mir, hier an diesem Orte

ausgesprochen, schwer aufs Herz; augenblicklich brachten sie mir die

gespenstischen Erscheinungen jener beiden graulichen Nächte in Sinn

und Gedanken, wie damals heulte der Seewind in tiefen Orgeltönen

herüber, es knatterte und pfiff schauerlich durch die Bogenfenster,

und der Mond warf sein bleiches Licht gerade auf die geheimnisvolle

Wand, an der sich das Kratzen vernehmen ließ. Ich glaubte Blutflecke

daran zu erkennen.

 

Fräulein Adelheid mußte, mich noch immer bei der Hand haltend, die

Eiskälte fühlen, die mich durchschauerte. »Was ist Ihnen, was ist

Ihnen«, sprach sie leise, »Sie erstarren ja ganz? - Nun, ich will

Sie ins Leben rufen. Wissen Sie wohl, daß die Baronin es gar nicht

erwarten kann, Sie zu sehen? Eher glaubt sie nicht, daß der böse Wolf

Sie wirklich nicht zerrissen hat. Sie ängstigt sich unglaublich! Ei,

ei, mein Freund, was haben Sie mit Seraphinchen angefangen! Noch

niemals habe ich sie so gesehen. - Hu! - wie jetzt der Puls anfängt zu

prickeln! - wie der tote Herr so plötzlich erwacht ist! Nein, kommen

Sie - fein leise - wir müssen zur kleinen Baronin!«

 

Ich ließ mich schweigend fortziehen; die Art, wie Adelheid von der

Baronin sprach, schien mir unwürdig, und vorzüglich die Andeutung des

Verständnisses zwischen uns gemein. Als ich mit Adelheid eintrat,

kam Seraphine mir mit einem leisen Ach! drei - vier Schritte rasch

entgegen, dann blieb sie, wie sich besinnend, mitten im Zimmer stehen,

ich wagte, ihre Hand zu ergreifen und sie an meine Lippen zu drücken.

 

Die Baronin ließ ihre Hand in der meinigen ruhen, indem sie sprach:

»Aber mein Gott, ist es denn Ihres Berufs, es mit Wölfen aufzunehmen?

Wissen Sie denn nicht, daß Orpheus', Amphions fabelhafte Zeit

längst vorüber ist, und daß die wilden Tiere allen Respekt vor den

vortrefflichsten Sängern ganz verloren haben?«

 

Diese anmutige Wendung, mit der die Baronin ihrer lebhaften Teilnahme

sogleich alle Mißdeutung abschnitt, brachte mich augenblicklich in

richtigen Ton und Takt. Ich weiß selbst nicht, wie es kam, daß ich

nicht, wie gewöhnlich, mich an das Instrument setzte, sondern neben

der Baronin auf dem Kanapee Platz nahm.

 

Mit dem Wort: »Und wie kamen Sie denn in Gefahr?« erwies sich unser

Einverständnis, daß es heute nicht auf Musik, sondern auf Gespräch

abgesehen sei. Nachdem ich meine Abenteuer im Walde erzählt und der

lebhaften Teilnahme des Barons erwähnt, mit der leisen Andeutung, daß

ich ihn deren nicht für fähig gehalten, fing die Baronin mit sehr

weicher, beinahe wehmütiger Stimme an: »O, wie muß Ihnen der Baron so

stürmisch, so rauh vorkommen, aber glauben Sie mir, nur während des

Aufenthalts in diesen finstern unheimlichen Mauern, nur während des

wilden Jagens in den öden Föhrenwäldern ändert er sein ganzes Wesen,

wenigstens sein äußeres Betragen. Was ihn vorzüglich so ganz und gar

verstimmt, ist der Gedanke, der ihn beständig verfolgt, daß hier

irgend etwas Entsetzliches geschehen werde: daher hat ihn Ihr

Abenteuer, das zum Glück ohne üble Folgen blieb, gewiß tief

erschüttert.

 

Nicht den geringsten seiner Diener will er der mindesten Gefahr

ausgesetzt wissen, viel weniger einen lieben neugewonnenen Freund,

und ich weiß gewiß, daß Gottlieb, dem er schuld gibt, Sie im Stiche

gelassen zu haben, wo nicht mit Gefängnis bestraft werden, doch die

beschämende Jägerstrafe dulden wird, ohne Gewehr, mit einem Knittel in

der Hand, sich dem Jagdgefolge anschließen zu müssen.

 

Schon, daß solche Jagden, wie hier, nie ohne Gefahr sind, und daß der

Baron, immer Unglück befürchtend, doch in der Freude und Lust daran

selbst den bösen Dämon neckt, bringt etwas Zerrissenes in sein Leben,

das feindlich selbst auf mich wirken muß. Man erzählt viel Seltsames

von dem Ahnherrn, der das Majorat stiftete, und ich weiß es wohl, daß

ein düsteres Familiengeheimnis, das in diesen Mauern verschlossen, wie

ein entsetzlicher Spuk die Besitzer wegtreibt und es ihnen nur möglich

macht, eine kurze Zeit hindurch im lauten wilden Gewühl auszudauern.

 

Aber ich! wie einsam muß ich mich in diesem Gewühl befinden, und wie

muß mich das Unheimliche, das aus allen Wänden weht, im Innersten

aufregen! Sie, mein lieber Freund, haben mir die ersten heitern

Augenblicke, die ich hier verlebte, durch Ihre Kunst verschafft! - wie

kann ich Ihnen denn herzlich genug dafür danken!« - Ich küßte die mir

dargebotenen Hand, indem ich erklärte, daß auch ich gleich am ersten

Tage oder vielmehr in der ersten Nacht das Unheimliche des Aufenthalts

bis zum tiefsten Entsetzen gefühlt habe.

 

Die Baronin blickte mir starr ins Gesicht, als ich jenes Unheimliche

der Bauart des ganzen Schlosses, vorzüglich den Verzierungen im

Gerichtssaal, dem sausenden Seewinde u.s.w. zuschrieb. Es kann sein,

daß Ton und Ausdruck darauf hindeuteten, daß ich noch etwas anderes

meine, genug, als ich schwieg, rief die Baronin heftig: »Nein, nein -

es ist Ihnen irgend etwas Entsetzliches geschehen in jenem Saal, den

ich nie ohne Schauer betrete! - ich beschwöre Sie - sagen Sie mir

alles!«-

 

Zur Totenblässe war Seraphinens Gesicht verbleicht, ich sah wohl

ein, daß es nun geratener sei, daß ich alles, was mir widerfahren,

getreulich zu erzählen, als Seraphinens aufgeregter Fantasie es zu

überlassen, vielleicht einen Spuk, der in mir unbekannter Beziehung,

noch schrecklicher sein konnte als der erlebte, sich auszubilden. Sie

hörte mich an, und immer mehr und mehr stieg ihre Beklommenheit und

Angst. Als ich des Kratzens an der Wand erwähnte, schrie sie auf:

»Das ist entsetzlich - ja, ja in dieser Mauer ist jenes fürchterliche

Geheimnis verborgen!«

 

Als ich dann weiter erzählte, wie der Alte mit geistiger Gewalt und

Übermacht den Spuk gebannt, seufzte sie tief, als würde sie frei von

einer schweren Last, die ihre Brust gedrückt. Sich zurücklehnend,

hielt sie beide Hände vors Gesicht. Erst jetzt bemerkte ich, daß

Adelheid uns verlassen.

 

Längst hatte ich geendet, und da Seraphine noch immer schwieg,

stand ich leise auf, ging an das Instrument und mühte mich, in

anschwellenden Akkorden tröstende Geister heraufzurufen, die

Seraphinen dem finstern Reiche, das sich ihr in meiner Erzählung

erschlossen, entführen sollten. Bald intonierte ich so zart, als ich

es vermochte, eine jener heiligen Kanzonen des Abbate Steffani.

 

In den wehmutsvollen Klängen des: »Ooi, perchè piangete« - erwachte

Seraphine aus düstern Träumen und horchte mild lächelnd, glänzende

Perlen in den Augen, mir zu. - Wie geschah es denn, daß ich vor ihr

hinkniete, daß sie sich zu mir herabbeugte, daß ich sie mit meinen

Armen umschlang, daß ein langer glühender Kuß auf meinen Lippen

brannte? - Wie geschah es denn, daß ich nicht die Besinnung verlor,

daß ich es fühlte, wie sie sanft mich an sich drückte, daß ich sie aus

meinen Armen ließ und, schnell mich emporrichtend, an das Instrument

trat?

 

Von mir abgewendet, ging die Baronin einige Schritte nach dem Fenster

hin, dann kehrte sie um und trat mit einem beinahe stolzen Anstande,

der ihr sonst gar nicht eigen, auf mich zu. Mir fest ins Auge

blickend, sprach sie: »Ihr Onkel ist der würdigste Greis, den

ich kenne, er ist der Schutzengel unserer Familie - möge er mich

einschließen in sein frommes Gebet!«

 

Ich war keines Wortes mächtig, verderbliches Gift, das ich in jenem

Kusse eingezogen, gärte und flammte in allen Pulsen, in allen Nerven!

- Fräulein Adelheid trat herein - die Wut des innern Kampfes strömte

aus in heißen Tränen, die ich nicht zurückzudrängen vermochte!

Adelheid blickte mich verwundert und zweifelhaft lächelnd an - ich

hätte sie ermorden können. Die Baronin reichte mir die Hand und sprach

mit unbeschreiblicher Milde: »Leben Sie wohl, mein lieber Freund! -

Leben Sie recht wohl, denken Sie daran, daß vielleicht niemand besser

als ich Ihre Musik verstand. - Ach! diese Töne werden lange - lange in

meinem Innern wiederklingen.«

 

Ich zwang mir einige unzusammenhängende alberne Worte ab und lief nach

unserm Gemach. Der Alte hatte sich schon zur Ruhe begeben. Ich blieb

im Saal, ich stürzte auf die Knie, ich weinte laut - ich rief den

Namen der Geliebten, kurz, ich überließ mich den Torheiten des

verliebten Wahnsinns trotz einem, und nur der laute Zuruf des über

mein Toben aufgewachten Alten: »Vetter, ich glaube du bist verrückt

geworden oder balgst dich aufs neue mit einem Wolf? - Schier dich zu

Bette, wenn es dir sonst gefällig ist«- nur dieser Zuruf trieb mich

hinein ins Gemach, wo ich mich mit dem festen Vorsatz niederlegte, nur

von Seraphinen zu träumen.

 

Es mochte schon nach Mitternacht sein, als ich, noch nicht

eingeschlafen, entfernte Stimmen, ein Hin- und Herlaufen und das

Öffnen und Zuschlagen von Türen zu vernehmen glaubte. Ich horchte auf,

da hörte ich Tritte auf dem Korridor sich nahen, die Tür des Saals

wurde geöffnet, und bald klopfte es an unser Gemach.

 

»Wer ist da?« rief ich laut; da sprach es draußen: »Herr Justitiarius

- Herr Justitiarius, wachen Sie auf - wachen Sie auf!« Ich erkannte

Franzens Stimme, und indem ich frug: »Brennt es im Schlosse?« wurde

der Alte wach und rief: »Wo brennt es? wo ist schon wieder verdammter

Teufelsspuk los?« »Ach, stehen Sie auf, Herr Justitiarius«, sprach

Franz, »stehen Sie auf, der Herr Baron verlangt nach Ihnen!« »Was will

der Baron von mir«, frug der Alte weiter, »was will er von mir zur

Nachtzeit? weiß er nicht, daß das Justitiariat mit dem Justitiarius zu

Bette geht und ebensogut schläft, als er?«

 

»Ach«, rief nun Franz ängstlich, »lieber Herr Justitiarius, stehen Sie

doch nur auf - die gnädige Frau Baronin liegt im Sterben!« Mit einem

Schrei des Entsetzens fuhr ich auf. »Öffne Franzen die Tür«, rief mir

der Alte zu; besinnungslos wankte ich im Zimmer herum, ohne Tür und

Schloß zu finden. Der Alte mußte mir beistehen, Franz trat bleich mit

verstörtem Gesicht herein und zündete die Lichter an.

 

Als wir uns kaum in die Kleider geworfen, hörten wir schon den Baron

im Saal rufen: »Kann ich Sie sprechen, lieber V?« »Warum hast du dich

angezogen, Vetter, der Baron hat nur nach mir verlangt?« frug der

Alte, im Begriff herauszutreten. »Ich muß hinab - ich muß sie sehen

und dann sterben«, sprach ich dumpf und wie vernichtet vom trostlosen

Schmerz.

 

»Ja so! da hast du recht, Vetter!« Dies sprechend, warf mir der Alte

die Tür vor der Nase zu, daß die Angeln klirrten, und verschloß sie

von draußen. Im ersten Augenblick, über diesen Zwang empört, wollt'

ich die Tür einrennen, aber mich schnell besinnend, daß dieses nur die

verderblichen Folgen einer ungezügelten Raserei haben könne, beschloß

ich, die Rückkehr des Alten abzuwarten, dann aber, koste es, was es

wolle, seiner Aufsicht zu entschlüpfen.

 

Ich hörte den Alten heftig mit dem Baron reden, ich hörte mehrmals

meinen Namen nennen, ohne weiteres verstehen zu können. Mit jeder

Sekunde wurde mir meine Lage tödlicher. Endlich vernahm ich, wie dem

Baron eine Botschaft gebracht wurde, und wie er schnell davonrannte.

Der Alte trat wieder in das Zimmer »Sie ist tot« mit diesem Schrei

stürzte ich dem Alten entgegen »Und du bist närrisch!« fiel er

gelassen ein, faßte mich und drückte mich in einen Stuhl. »lch muß

hinab«, schrie ich, »Ich muß hinab, sie sehen, und sollt' es mir das

Leben kosten!«

 

»Tue das, lieber Vetter«, sprach der Alte, indem er die Tür verschloß,

den Schlüssel abzog und in die Tasche steckte. Nun flammte ich auf in

toller Wut, ich griff nach der geladenen Büchse und schrie: »Hier vor

Ihren Augen jage ich mir die Kugel durch den Kopf, wenn Sie nicht

sogleich mir die Tür öffnen.« Da trat der Alte dicht vor mir hin

und sprach, indem er mich mit durchbohrendem Blick ins Auge faßte:

»Glaubst du, Knabe, daß du mich mit deiner armseligen Drohung

erschrecken kannst? - Glaubst du, daß mir dein Leben was wert ist,

wenn du vermagst, es in kindischer Albernheit wie ein abgenutztes

Spielzeug wegzuwerfen? Was hast du mit dem Weibe des Barons zu

schaffen? - wer gibt dir das Recht, dich wie ein überlästiger Geck da

hinzudrängen, wo du nicht hingehörst, und wo man dich auch gar nicht

mag? Willst du den liebenden Schäfer machen in ernster Todesstunde?«

 

Ich sank vernichtet in den Lehnstuhl - Nach einer Weile fuhr der

Alte mit milderer Stimme fort: »Und damit du es nur weißt, mit der

angeblichen Todesgefahr der Baronin ist es wahrscheinlich ganz und gar

nichts - Fräulein Adelheid ist denn nun gleich außer sich über alles,

wenn ihr ein Regentropfen auf die Nase fällt, so schreit sie: >Welch

ein schreckliches Unwetter!< Zum Unglück ist der Feuerlärm bis zu den

alten Tanten gedrungen, die sind unter unziemlichem Weinen mit einem

ganzen Arsenal von stärkenden Tropfen - Lebenselixieren, und was weiß

ich sonst, angerückt - Eine starke Anwandlung von Ohnmacht.«

 

Der Alte hielt inne, er mochte bemerken, wie ich im Innern kämpfte. Er

ging einigemal die Stube auf und ab, stellte sich wieder vor mir hin,

lachte recht herzlich und sprach: »Vetter, Vetter! was treibst du für

närrisches Zeug? Nun! es ist einmal nicht anders, der Satan treibt

hier seinen Spuk auf mancherlei Weise, du bist ihm ganz lustig in die

Krallen gelaufen, und er macht jetzt sein Tänzchen mit dir.«

 

Er ging wieder einige Schritte auf und ab, dann sprach er weiter: »Mit

dem Schlaf ist's nun einmal vorbei, und da dächt' ich, man rauchte

eine Pfeife und brächte so noch die paar Stündchen Nacht und

Finsternis hin!« - Mit diesen Worten nahm der Alte eine tönerne Pfeife

vom Wandschrank herab und stopfte sie, ein Liedchen brummend, langsam

und sorgfältig. Dann suchte er unter vielen Papieren, bis er ein Blatt

herausriß, es zum Fidibus zusammenknetete und ansteckte.

 

Die dicken Rauchwolken von sich blasend, sprach er zwischen den

Zähnen: »Nun, Vetter, wie war es mit dem Wolf?« Ich weiß nicht, wie

dies ruhige Treiben des Alten seltsam auf mich wirkte. - Es war, als

sei ich gar nicht mehr in R..sitten - die Baronin weit weit von mir

entfernt, so daß ich sie nur mit den geflügelten Gedanken erreichen

könne! - Die letzte Frage des Alten verdroß mich. »Aber«, fiel ich

ein, »finden Sie mein Jagdabenteuer so lustig, so zum Bespötteln

geeignet?«

 

»Mitnichten«, erwiderte der Alte, »mitnichten, Herr Vetter, aber du

glaubst nicht, welch komisches Gesicht solch ein Kiekindiewelt wie

du schneidet, und wie er sich überhaupt so possierlich dabei macht,

wenn der liebe Gott ihn einmal würdigt, was Besonderes ihm passieren

zu lassen. Ich hatte einen akademischen Freund, der ein stiller,

besonnener, mit sich einiger Mensch war. Der Zufall verwickelte ihn,

der nie Anlaß zu dergleichen gab, in eine Ehrensache, und er, den die

mehresten Burschen für einen Schwächling, für einen Pinsel hielten,

benahm sich dabei mit solchem ernstem entschlossenem Mute, daß alle

ihn höchlich bewunderten.

 

Aber seit der Zeit war er auch umgewandelt. Aus dem fleißigen

besonnenen Jünglinge wurde ein prahlhafter, unausstehlicher Raufbold.

Er kommerschierte und jubelte und schlug, dummer Kinderei halber,

sich so lange, bis ihn der Senior einer Landsmannschaft, die er auf

pöbelhafte Weise beleidigt, im Duell niederstieß.

 

Ich erzähle dir das nur so, Vetter, du magst dir dabei denken, was du

willst! Um nun wieder auf die Baronin und ihre Krankheit zu kommen«-

Es ließen sich in dem Augenblick leise Tritte auf dem Saal hören, und

mir war es, als ginge ein schauerliches Ächzen durch die Lüfte! »Sie

ist hin!« - der Gedanke durchfuhr mich wie ein tötender Blitz!

 

Der Alte stand rasch auf und rief laut: »Franz Franz!« »Ja, lieber

Herr Justitiarius«, antwortete es draußen. »Franz«, fuhr der Alte

fort, »schüre ein wenig das Feuer im Kamin zusammen, und ist es

tunlich, so magst du für uns ein paar Tassen guten Tee bereiten! - Es

ist verteufelt kalt«, wandte sich der Alte zu mir, »und da wollen wir

uns lieber draußen am Kamine was erzählen.« Der Alte schloß die Tür

auf, ich folgte ihm mechanisch.

 

»Wie geht's unten?«, frug der Alte. »Ach«, erwiderte Franz, »es hatte

gar nicht viel zu bedeuten, die gnädige Frau Baronin sind wieder ganz

munter und schieben das bißchen Ohnmacht auf einen bösen Traum!« Ich

wollte aufjauchzen vor Freude und Entzücken, ein sehr ernster Blick

des Alten wies mich zur Ruhe. »Ja«, sprach der Alte, »im Grunde

genommen wär's doch besser, wir legten uns noch ein paar Stündchen

aufs Ohr - Laß es nur gut sein mit dem Tee, Franz!«

 

»Wie Sie befehlen, Herr Justitiarius«, erwiderte Franz und verließ den

Saal mit dem Wunsch einer geruhsamen Nacht, unerachtet schon die Hähne

krähten. »Höre, Vetter«, sprach der Alte, indem er die Pfeife im

Kamin ausklopfte, »höre, Vetter, gut ist's doch, daß dir kein Malheur

passiert ist mit Wölfen und geladenen Büchsen!« Ich verstand jetzt

alles und schämte mich, daß ich dem Alten Anlaß gab, mich zu behandeln

wie ein ungezogenes Kind.

 

»Sei so gut«, sprach der Alte am andern Morgen, »sei so gut, lieber

Vetter, steige herab und erkundige dich, wie es mit der Baronin steht.

Du kannst nur immer nach Fräulein Adelheid fragen, die wird dich denn

wohl mit einem tüchtigen Bulletin versehen.« - Man kann denken, wie

ich hinabeilte. Doch in dem Augenblick, als ich leise an das Vorgemach

der Baronin pochen wollte, trat mir der Baron rasch aus demselben

entgegen.

 

Er blieb verwundert stehen und maß mich mit finsterm, durchbohrenden

Blick. »Was wollen Sie hier!« fuhr es ihm heraus. Unerachtet mir das

Herz im Innersten schlug, nahm ich mich zusammen und erwiderte mit

festem Ton: »Mich im Auftrage des Onkels nach dem Befinden der

gnädigen Frau erkundigen.« »O es war ja gar nichts - ihr gewöhnlicher

Nervenzufall. Sie schläft sanft, und ich weiß, daß sie wohl und munter

bei der Tafel erscheinen wird! Sagen Sie das - Sagen Sie das« Dies

sprach der Baron mit einer gewissen leidenschaftlichen Heftigkeit, die

mir anzudeuten schien, daß er um die Baronin besorgter sei, als er es

wolle merken lassen.

 

Ich wandte mich, um zurückzukehren, da ergriff der Baron plötzlich

meinen Arm und rief mit flammendem Blick: »Ich habe mit Ihnen zu

sprechen, junger Mann!« Sah ich nicht den schwerbeleidigten Gatten vor

mir, und mußt' ich nicht einen Auftritt befürchten, der vielleicht

schmachvoll für mich enden konnte? Ich war unbewaffnet, doch im Moment

besann ich mich auf mein künstliches Jagdmesser, das mir der Alte erst

in R..sitten geschenkt und das ich noch in der Tasche trug.

 

Nun folgte ich dem mich rasch fortziehenden Baron mit dem Entschluß,

keines Leben zu schonen, wenn ich Gefahr laufen sollte, unwürdig

behandelt zu werden. Wir waren in des Barons Zimmer eingetreten,

dessen Tür er hinter sich abschloß. Nun schritt er mit

übereinandergeschlagenen Armen heftig auf und ab, dann blieb er vor

mir stehen und wiederholte: »Ich habe mit Ihnen zu sprechen, junger

Mann!«

 

Der verwegenste Mut war mir gekommen, und ich wiederholte mit erhöhtem

Ton: »Ich hoffe, daß es Worte sein werden, die ich ungeahndet hören

darf!« Der Baron schaute mich verwundert an, als verstehe er mich

nicht. Dann blickte er finster zur Erde, schlug die Arme über den

Riicken und fing wieder an im Zimmer auf und ab zu rennen. Er nahm die

Büchse herab und stieß den Ladestock hinein, als wolle er versuchen,

ob sie geladen sei oder nicht!

 

Das Blut stieg mir in den Adern, ich faßte nach dem Messer und schritt

dicht auf den Baron zu, um es ihm unmöglich zu machen, auf mich

anzulegen. »Ein schönes Gewehr«, sprach der Baron, die Büchse wieder

in den Winkel stellend. Ich trat einige Schritte zurück und der Baron

an mich heran; kräftiger auf meine Schulter schlagend, als gerade

nötig, sprach er dann: »Ich muß Ihnen aufgeregt und verstört

vorkommen, Theodor, ich bin es auch wirklich von der in tausend

Ängsten durchwachten Nacht.

 

Der Nervenzufall meiner Frau war durchaus nicht gefährlich, das sehe

ich jetzt ein, aber hier - hier in diesem Schloß, in das ein finstrer

Geist gebannt ist, fürcht' ich das Entsetzliche, und dann ist es auch

das erstemal, daß sie hier erkrankte. Sie - Sie allein sind schuld

daran!«

 

Wie das möglich sein könne, davon hätte ich keine Ahnung, erwiderte

ich gelassen. »Oh«, fuhr der Baron fort, »o wäre der verdammte

Unglückskasten der Inspektorin auf blankem Eise zerbrochen in tausend

Stücke, o wären Sie doch nein! - nein! Es sollte, es mußte so sein,

und ich allein bin schuld an allem. An mir lag es, in dem Augenblick,

als Sie anfingen in dem Gemach meiner Frau Musik zu machen, Sie von

der ganzen Lage der Sache, von der Gemütsstimmung meiner Frau zu

unterrichten.«

 

Ich machte Miene zu sprechen »Lassen Sie mich reden«, rief der Baron,

»ich muß im voraus Ihnen alles voreilige Urteil abschneiden. Sie

werden mich für einen rauhen, der Kunst abholden Mann halten. Ich bin

das keineswegs, aber eine auf tiefe Überzeugung gebaute Rücksicht

nötigt mich, hier womöglich solcher Musik, die jedes Gemüt und auch

gewiß das meinige ergreift, den Eingang zu versagen. Erfahren Sie,

daß meine Frau an einer Erregbarkeit kränkelt, die am Ende alle

Lebensfreude wegzehren muß.

 

In diesen wunderlichen Mauern kommt sie gar nicht heraus aus dem

erhöhten, überreizten Zustande, der sonst nur momentan einzutreten

pflegt, und zwar oft als Vorbote einer ernsten Krankheit. Sie fragen

mit Recht, warum ich der zarten Frau diesen schauerlichen Aufenthalt,

dieses wilde verwirrte Jägerleben nicht erspare? Aber nennen Sie

es immerhin Schwäche, genug, mir ist es nicht möglich, sie allein

zurückzulassen. In tausend Ängsten und nicht fähig Ernstes zu

unternehmen würde ich sein, denn ich weiß es, die entsetzlichsten

Bilder von allerlei verstörendem Ungemach, das ihr widerfahren,

verließen mich nicht im Walde, nicht im Gerichtssaal.

 

Dann aber glaube ich, daß dem schwächlichen Weibe gerade diese

Wirtschaft hier wie ein erkräftigendes Stahlbad anschlagen muß.

Wahrhaftig, der Seewind, der nach seiner Art tüchtig durch die Föhren

saust, das dumpfe Gebelle der Doggen, der keck und munter schmetternde

Hörnerklang muß hier siegen über die verweichelnden, schmachtelnden

Pinseleien am Klavier, das so kein Mann spielen sollte, aber Sie haben

es darauf angelegt, meine Frau methodisch zu Tode zu quälen!«

 

Der Baron sagte dies mit verstärkter Stimme und wildfunkelnden Augen -

das Blut stieg mir in den Kopf, ich machte eine heftige Bewegung mit

der Hand gegen den Baron, ich wollte sprechen, er ließ mich nicht zu

Worte kommen »Ich weiß, was Sie sagen wollen«, fing er an, »ich weiß

es und wiederhole es, daß Sie auf dem Wege waren, meine Frau zu töten,

und daß ich Ihnen dies auch nicht im mindesten zurechnen kann, wiewohl

Sie begreifen, daß ich dem Dinge Einhalt tun muß. - Kurz! - Sie

exaltieren meine Frau durch Spiel und Gesang, und als sie in dem

bodenlosen Meere träumerischer Visionen und Ahnungen, die Ihre Musik

wie ein böser Zauber heraufbeschworen hat, ohne Halt und Steuer

umherschwimmt, drücken Sie sie hinunter in die Tiefe mit der Erzählung

eines unheimlichen Spuks, der Sie oben im Gerichtssaal geneckt haben

soll.

 

Ihr Großonkel hat mir alles erzählt, aber ich bitte Sie, wiederholen

Sie mir alles, was Sie sahen oder nicht sahen - hörten - fühlten

- ahnten.« Ich nahm mich zusammen und erzählte ruhig, wie es sich

damit begeben, von Anfang bis zu Ende. Der Baron warf nur dann und

wann einzelne Worte, die sein Erstaunen ausdrückten, dazwischen.

Als ich darauf kam, wie der Alte sich mit frommem Mut dem Spuk

entgegengestellt und ihn gebannt habe mit kräftigen Worten, schlug

er die Hände zusammen, hob sie gefaltet zum Himmel empor und rief

begeistert: »Ja, er ist der Schutzgeist der Familie! ruhen soll in der

Gruft der Ahnen seine sterbliche Hülle!«

 

Ich hatte geendet. »Daniel, Daniel! was machst du hier zu

dieser Stunde!« murmelte der Baron in sich hinein, indem er mit

übereinandergeschlagenen Armen im Zimmer auf- und abschritt. »Weiter

war es also nichts, Herr Baron?« frug ich laut, indem ich Miene machte

mich zu entfernen. Der Baron fuhr auf wie aus einem Traum, faßte

freundlich mich bei der Hand und sprach: »Ja lieber Freund, meine

Frau, der Sie so arg mitgespielt haben, ohne es zu wollen, die müssen

Sie wieder herstellen, - Sie allein können das.«

 

Ich fühlte mich errötend, und stand ich dem Spiegel gegenüber, so

erblickte ich gewiß in demselben ein sehr albernes verdutztes Gesicht.

Der Baron schien sich an meiner Verlegenheit zu weiden, er blickte mir

unverwandt ins Auge mit einem recht fatalen ironischen Lächeln. »Wie

in aller Welt sollte ich es anfangen«, stotterte ich endlich mühsam

heraus.

 

»Nun, nun«, unterbrach mich der Baron, »Sie haben es mit keiner

gefährlichen Patientin zu tun. Ich nehme jetzt ausdrücklich Ihre

Kunst in Anspruch. Die Baronin ist nun einmal hereingezogen in den

Zauberkreis Ihrer Musik, und sie plötzlich herauszureißen, würde

töricht und grausam sein. Setzen Sie die Musik fort. Sie werden zur

Abendstunde in den Zimmern meiner Frau jedesmal willkommen sein. Aber

gehen Sie nach und nach über zu kräftigerer Musik, verbinden Sie

geschickt das Heitere mit dem Ernsten und dann, vor allen Dingen,

wiederholen Sie die Erzählung von dem unheimlichen Spuk recht oft. Die

Baronin gewöhnt sich daran, sie vergißt, daß der Spuk hier in diesen

Mauern hauset, und die Geschichte wirkt nicht stärker auf sie, als

jedes andere Zaubermärchen, das in irgendeinem Roman, in irgendeinem

Gespensterbuch ihr aufgetischt worden. Das tun sie, lieber Freund.«

 

Mit diesen Worten entließ mich der Baron. Ich ging - Ich war

vernichtet in meinem eignen Innern, herabgesunken zum bedeutungslosen,

törichten Kinde! Ich Wahnsinniger, der ich glaubte, Eifersucht könne

sich in seiner Brust regen; er selbst schickt mich zu Seraphinen, er

selbst sieht in mir nur das willenlose Mittel, das er braucht und

wegwirft, wie es ihm beliebt! Vor wenigen Minuten fürchtete ich den

Baron, es lag in mir tief im Hintergrunde verborgen das Bewußtsein

der Schuld, aber diese Schuld ließ mich das höhere, herrliche Leben

deutlich fühlen, dem ich zugereift; nun war alles versunken in

schwarze Nacht, und ich sah nur den albernen Knaben, der in kindischer

Verkehrtheit die papierne Krone, die er sich auf den heißen Kopf

stülpte, für echtes Gold gehalten.

 

Ich eilte zum Alten, der schon auf mich wartete. »Nun Vetter, wo

bleibst du denn, wo bleibst du denn?« rief er mir entgegen. »lch habe

mit dem Baron gesprochen«, warf ich schnell und leise hin, ohne den

Alten anschauen zu können. »Tausend Sapperlot!« sprach der Alte wie

verwundert, »Tausend Sapperlot, dacht ich's doch gleich! - der Baron

hat dich gewiß herausgefordert, Vetter?« - Das schallende Gelächter,

das der Alte gleich hinterher aufschlug, bewies mir, daß er auch

dieses Mal, wie immer, ganz und gar mich durchschaute.

 

Ich biß die Zähne zusammen ich mochte kein Wort erwidern, denn wohl

wußt' ich, daß es dessen nur bedurfte, um sogleich von den tausend

Neckereien überschüttet zu werden, die schon auf des Alten Lippen

schwebten.

 

Die Baronin kam zur Tafel im zierlichen Morgenkleide, das, blendend

weiß, frisch gefallenen Schnee besiegte. Sie sah matt aus und

abgespannt, doch als sie nun, leise und melodisch sprechend, die

dunklen Augen erhob, da blitzte süßes, sehnsüchtiges Verlangen aus

düsterer Glut, und ein flüchtiges Rot überflog das lilienblasse

Antlitz. Sie war schöner als jemals. Wer ermißt die Torheiten eines

Jünglings mit zu heißem Blut im Kopf und Herzen!

 

Den bittern Groll, den der Baron in mir aufgeregt, trug ich über auf

die Baronin. Alles erschien mir wie eine heillose Mystifikation, und

nun wollt' ich beweisen, daß ich gar sehr bei vollem Verstande sei und

über die Maßen scharfsichtig. - Wie ein schmollendes Kind vermied ich

die Baronin und entschlüpfte der mich verfolgenden Adelheid, so daß

ich, wie ich gewollt, ganz am Ende der Tafel zwischen den beiden

Offizieren meinen Platz fand, mit denen ich wacker zu zechen begann.

Beim Nachtisch stießen wir fleißig die Gläser zusammen, und, wie es in

solcher Stimmung zu geschehen pflegt, ich war ungewöhnlich laut und

lustig.

 

Ein Bedienter hielt mir einen Teller hin, auf dem einige Bonbons

lagen, mit den Worten: »Von Fräulein Adelheid.« Ich nahm, und bemerkte

bald, daß auf einem der Bonbons mit Silberstift gekritzelt stand: »Und

Seraphine?«- Das Blut wallte mir auf in den Adern. Ich schaute hin

nach Adelheid, die sah mich an mit überaus schlauer, verschmitzter

Miene, nahm das Glas und nickte mir zu mit leisem Kopfnicken.

 

Beinahe willkürlos murmelte ich still: »Seraphine«, nahm mein Glas und

leerte es mit einem Zuge. Mein Blick flog hin zu ihr, ich gewahrte,

daß sie auch in dem Augenblick getrunken hatte und ihr Glas eben

hinsetzte - ihre Augen trafen die meinen, und ein schadenfroher Teufel

raunte es mir in die Ohren: »Unseliger! - Sie liebt dich doch!«

Einer der Gäste stand auf und brachte, nordischer Sitte gemäß, die

Gesundheit der Frau vom Hause aus. Die Gläser erklangen im lauten

Jubel - Entzücken und Verzweiflung spalteten mir das Herz - die Glut

des Weins flammte in mir auf, alles drehte sich in Kreisen, es war,

als müßte ich vor aller Augen hinstürzen zu ihren Füßen und mein Leben

aushauchen!

 

»Was ist Ihnen, lieber Freund?« Diese Frage meines Nachbars gab mir

die Besinnung wieder, aber Seraphine war verschwunden. - Die Tafel

wurde aufgehoben. Ich wollte fort, Adelheid hielt mich fest, sie

sprach allerlei, ich hörte, ich verstand kein Wort - sie faßte mich

bei beiden Händen und rief mir laut lachend etwas in die Ohren. - Wie

von der Starrsucht gelähmt, blieb ich stumm und regungslos. Ich weiß

nur, daß ich endlich mechanisch ein Glas Likör aus Adelheids Hand nahm

und es austrank, daß ich mich einsam in einem Fenster wiederfand, daß

ich dann hinausstürzte aus dem Saal, die Treppe hinab, und hinauslief

in den Wald.

 

In dichten Flocken fiel der Schnee herab, die Föhren seufzten, vom

Sturm bewegt; wie ein Wahnsinniger sprang ich umher in weiten Kreisen,

und lachte und schrie wild auf: »Schaut zu, schaut zu! - Heisa! der

Teufel macht sein Tänzchen mit dem Knaben, der zu speisen gedachte

total verbotene Früchte.«

 

Wer weiß, wie mein tolles Spiel geendet, wenn ich nicht meinen Namen

laut in den Wald hineinrufen gehört. Das Wetter hatte nachgelassen,

der Mond schien hell durch die zerrissenen Wolken, ich hörte Doggen

anschlagen und gewahrte eine finstere Gestalt, die sich mir näherte.

Es war der alte Jäger. »Ei, ei, lieber Herr Theodor!« fing er an, »wie

haben Sie sich denn verirrt in dem bösen Schneegestöber, der Herr

Justitiarius warten auf Sie mit vieler Ungeduld!«

 

Schweigend folgte ich dem Alten. Ich fand den Großonkel im

Gerichtssaal arbeitend. »Das hast du gut gemacht«, rief er mir

entgegen, »das hast du sehr gut gemacht, daß du ein wenig ins Freie

gingst, um dich gehörig abzukühlen. Trinke doch nicht so viel Wein, du

bist noch viel zu jung dazu, das taugt nicht.« Ich brachte kein Wort

hervor, schweigend setzte ich mich hin an den Schreibtisch.

 

»Aber sage mir nur, lieber Vetter, was wollte denn eigentlich der

Baron von dir?« - Ich erzählte alles und schloß damit, daß ich

mich nicht hergeben wollte zu der zweifelhaften Kur, die der Baron

vorgeschlagen. »Würde auch gar nicht angehen«, fiel der Alte mir in

die Rede, »denn wir reisen morgen in aller Frühe fort, lieber Vetter!«

Es geschah so, ich sah Seraphinen nicht wieder!

 

Kaum angekommen in K., klagte der alte Großonkel, daß er mehr als

jemals sich von der beschwerlichen Fahrt angegriffen fühle. Sein

mürrisches Schweigen, nur unterbrochen von heftigen Ausbrüchen der

übelsten Laune, verkündete die Rückkehr seiner podagristischen

Zufälle. Eines Tages wurd' ich schnell hingerufen, ich fand den Alten,

vom Schlage getroffen, sprachlos auf dem Lager, einen zerknitterten

Brief in der krampfhaft geschlossenen Hand.

 

Ich erkannte die Schriftzüge des Wirtschaftsinspektors aus R..sitten,

doch, von dem tiefsten Schmerz durchdrungen, wagte ich es nicht, den

Brief dem Alten zu entreißen, ich zweifelte nicht an seinem baldigen

Tod. Doch, noch ehe der Arzt kam, schlugen die Lebenspulse wieder, die

wunderbar kräftige Natur des siebzigjährigen Greises widerstand dem

tödlichen Anfall, noch desselben Tages erklärte ihn der Arzt außer

Gefahr. Der Winter war hartnäckiger als jemals, ihm folgte ein rauher,

düsterer Frühling, und so kam es, daß nicht jener Zufall sowohl, als

das Podagra, von dem bösen Klima wohl gehegt, den Alten für lange Zeit

auf das Krankenlager warf.

 

In dieser Zeit beschloß er, sich von jedem Geschäft ganz

zurückzuziehen. Er trat seine Justitiariate an andere ab, und so

war mir jede Hoffnung verschwunden, jemals wieder nach R..sitten zu

kommen. Nur meine Pflege litt der Alte, nur von mir verlangte er

unterhalten, aufgeheitert zu werden. Aber wenn auch in schmerzlosen

Stunden seiner Heiterkeit wiedergekehrt war, wenn es an derben Späßen

nicht fehlte, wenn es selbst zu Jagdgeschichten kam, und ich jeden

Augenblick vermutete, meine Heldentat, wie ich den greulichen Wolf

mit dem Jagdmesser erlegt, würde herhalten müssen - niemals - niemals

erwähnte er unseres Aufenthalts in R..sitten, und wer mag nicht

einsehen, daß ich aus natürlicher Scheu mich wohl hütete, ihn geradezu

darauf zu bringen.

 

Meine bittre Sorge, meine stete Mühe um den Alten hatte Seraphinens

Bild in den Hintergrund gestellt. Sowie des Alten Krankheit nachließ,

gedachte ich lebhafter wieder jenes Moments im Zimmer der Baronin,

der mir wie ein leuchtender, auf ewig für mich untergegangener Stern

erschien. Ein Ereignis rief allen empfundenen Schmerz hervor, indem es

mich zugleich, wie eine Erscheinung aus der Geisterweit, mit eiskalten

Schauern durchbebte!

 

Als ich nämlich eines Abends die Brieftasche, die ich in R..sitten

getragen, öffne, fällt mir aus den aufgeblätterten Papieren eine

dunkle, mit einem weißen Bande umschlungene Locke entgegen, die ich

augenblicklich für Seraphinens Haar erkenne! Aber als ich das Band

näher betrachte, sehe ich deutlich die Spur eines Blutstropfens!

Vielleicht wußte Adelheid in jenen Augcnblicken des bewußtlosen

Wahnsinns, der mich am letzten Tage ergriffen, mir dies Andenken

geschickt zuzustellen, aber warum der Blutstropfe, der mich

Entsetzliches ahnen ließ und jenes beinahe zu schäfermäßige Pfand zur

schauervollen Mahnung an eine Leidenschaft, die teures Herzblut kosten

konnte, hinaufsteigerte?

 

Das war jenes weiße Band, das mich, zum erstenmal Seraphinen nahe, wie

im leichten losen Spiel umflatterte, und dem nun die dunkle Macht das

Wahrzeichen der Verletzung zum Tode gegeben. Nicht spielen soll der

Knabe mit der Waffe, deren Gefährlichkeit er nicht ermißt!

 

Endlich hatten die Frühlingsstürme zu toben aufgehört, der Sommer

behauptete sein Recht, und war erst die Kälte unerträglich, so wurd'

es nun, als der Julius begonnen, die Hitze. Der Alte erkräftigte sich

zusehends und zog, wie er sonst zu tun pflegte, in einen Garten der

Vorstadt. An einem stillen lauen Abende saßen wir in der duftenden

Jasminlaube, der Alte war ungewöhnlich heiter und dabei nicht,

wie sonst, voll sarkastischer Ironie, sondern mild, beinahe weich

gestimmt.

 

»Vetter«, fing er an, »ich weiß nicht, wie mir heute ist, ein ganz

besonderes Wohlsein, wie ich es seit vielen Jahren nicht gefühlt,

durchdringt mich mit gleichsam elektrischer Wärme. Ich glaube, das

verkündet mir einen baldigen Tod.« Ich mühte mich, ihn von dem düstern

Gedanken abzubringen. »Laß es gut sein, Vetter«, sprach er, »lange

bleibe ich nicht mehr hier unten, und da will ich dir noch eine Schuld

abtragen! Denkst du noch an die Herbstzeit in R..sitten?« - Wie ein

Blitz durchfuhr mich diese Frage des Alten, noch ehe ich zu antworten

vermochte, fuhr er weiter fort: »Der Himmel wollte es, daß du dort

auf ganz eigne Weise eintratst und wider deinen Willen eingeflochten

wurdest in die tiefsten Geheimnisse des Hauses. Jetzt ist es an der

Zeit, daß Du alles erfahren mußt.

 

Oft genug, Vetter, haben wir über Dinge gesprochen, die du mehr

ahntest als verstandest. Die Natur stellt den Zyklus des menschlichen

Lebens in dem Wechsel der Jahreszeiten symbolisch dar, das sagen sie

alle, aber ich meine das auf andere Weise als alle. Die Frühlingsnebel

fallen, die Dünste des Sommers verdampfen, und erst des Herbstes

reiner Äther zeigt deutlich die ferne Landschaft, bis das Hienieden

versinkt in die Nacht des Winters.

 

Ich meine, daß im Hellsehen des Alters sich deutlicher das Walten der

unerforschlichen Macht zeigt. Es sind Blicke vergönnt in das gelobte

Land, zu dem die Pilgerfahrt beginnt mit dem zeitlichen Tode.

 

Wie wird mir in diesem Augenblick so klar das dunkle Verhängnis

jenes Hauses, dem ich durch festere Bande, als Verwandtschaft sie zu

schlingen vermag, verknüpft wurde. Wie liegt alles so erschlossen vor

meines Geistes Augen! - doch, wie ich nun alles so gestaltet vor mir

sehe, das Eigentliche, das kann ich nicht mit Worten sagen, keines

Menschen Zunge ist dessen fähig. Höre, mein Sohn, das, was ich dir nur

wie eine merkwürdige Geschichte, die sich wohl zutragen konnte, zu

erzählen vermag. Bewahre tief in deiner Seele die Erkenntnis, daß die

geheimnisvollen Beziehungen, in die du dich vielleicht nicht unberufen

wagtest, dich verderben konnten! - doch das ist nun vorüber!«

 

Die Ceschichte des R..schen Majorats, die der Alte jetzt erzählte,

trage ich so treu im Gedächtnis, daß ich sie beinahe mit seinen Worten

(er sprach von sich selbst in der dritten Person) zu wiederholen

vermag.

 

In einer stürmischen Herbstnacht des Jahres 1760 weckte ein

entsetzlicher Schlag, als falle das ganze weitläuftige Schloß in

tausend Trümmer zusammen, das Hausgesinde in R..sitten aus tiefem

Schlafe. Im Nu war alles auf den Beinen, Lichter wurden angezündet,

Schrecken und Angst im leichenblassen Gesicht, keuchte der

Hausverwalter mit den Schlüsseln herbei, aber nicht gering war jedes

Erstaunen, als man in tiefer Totenstille, in der das pfeifende

Gerassel der mühsam geöffneten Schlösser, jeder Fußtritt recht

schauerlich widerhallte, durch unversehrte Gänge, Säle, Zimmer fort

und fort wandelte.

 

Nirgends die mindeste Spur irgendeiner Verwüstung. Eine finstere

Ahnung erfaßte den alten Hausverwalter. Er schritt hinauf in den

großen Rittersaal, in dessen Seitenkabinett der Freiherr Roderich v.

R. zu ruhen pflegte, wenn er astronomische Beobachtungen angestellt.

Eine zwischen der Tür dieses und eines andern Kabinetts angebrachte

Pforte führte durch einen engen Gang unmittelbar in den astronomischen

Turm.

 

Aber sowie Daniel (so war der Hausverwalter geheißen) diese Pforte

öffnete, warf ihm der Sturm, abscheulich heulend und sausend, Schutt

und zerbröckelte Mauersteine entgegen, so daß er von Entsetzen weit

zurückprallte und, indem er den Leuchter, dessen Kerzen prasselnd

verlöschten, an die Erde fallen ließ, laut aufschrie: »O Herr des

Himmels! der Baron ist jämmerlich zerschmettert!«

 

In dem Augenlick ließen sich Klagelaute vernehmen, die aus dem

Schlafkabinett des Freiherrn kamen. Daniel fand die übrigen Diener um

den Leichnam ihres Herrn versammelt. Vollkommen und reicher gekleidet

als jemals, ruhigen Ernst im unentstellten Gesichte, fanden sie ihn

sitzend in dem großen, reich verzierten Lehnstuhle, als ruhe er aus

von gewichtiger Arbeit.

 

Es war aber der Tod, in dem er ausruhte. Als es Tag geworden,

gewahrte man, daß die Krone des Turms in sich eingestürzt. Die großen

Quadersteine hatten Decke und Fußboden des astronomischen Zimmers

eingeschlagen, nebst den nun voranstürzenden mächtigen Balken mit

gedoppelter Kraft des Falles das untere Gewölbe durchbrochen und einen

Teil der Schloßmauer und des engen Ganges mit fortgerissen. Nicht

einen Schritt durch die Pforte des Saals durfte man tun, ohne Gefahr,

wenigstens achtzig Fuß hinabzustürzen in tiefe Gruft.

 

Der alte Freiherr hatte seinen Tod bis auf die Stunde vorausgesehen

und seine Söhne davon benachrichtigt. So geschah es, daß gleich

folgenden Tages Wolfgang Freiherr von R., ältester Sohn des

Verstorbenen, mithin Majoratsherr, eintraf. Auf die Ahnung des alten

Vaters wohl bauend, hatte er, sowie er den verhängnisvollen Brief

erhalten, sogleich Wien, wo er auf der Reise sich gerade befand,

verlassen und war, so schnell es nur gehen wollte, nach R..sitten

geeilt.

 

Der Hausverwalter hatte den großen Saal schwarz ausschlagen und

den alten Freiherrn in den Kleidern, wie man ihn gefunden, auf ein

prächtiges Paradebette, das hohe silberne Leuchter mit brennenden

Kerzen umgaben, legen lassen. Schweigend schritt Wolfgang die Treppe

herauf, in den Saal hinein und dicht hinan an die Leiche des Vaters.

Da blieb er mit über die Brust verschränkten Armen stehen und schaute

starr und düster mit zusammengezogenen Augenbrauen dem Vater ins

bleiche Antlitz. Er glich einer Bildsäule, keine Träne kam in seine

Augen. Endlich, mit einer beinahe krampfhaften Bewegung, den rechten

Arm hin nach der Leiche zuckend, murmelte er dumpf:

 

»Zwangen dich die Gestirne, den Sohn, den du liebtest, elend zu

machen?« - Die Hände zurückgeworfen, einen kleinen Schritt hinter sich

getreten, warf nun der Baron den Blick in die Höhe und sprach mit

gesenkter, beinahe weicher Stimme: »Armer, betörter Greis! Das

Fastnachtsspiel mit seinen läppischen Täuschungen ist nun vorüber! Nun

magst du erkennen, daß das kärglich zugemessene Besitztum hienieden

nichts gemein hat mit dem jenseits über den Sternen - Welcher Wille,

welche Kraft reicht hinaus über das Grab?«

 

Wieder schwieg der Baron einige Sekunden - dann rief er heftig:

»Nein, nicht ein Quentlein meines Erdenglücks, das du zu vernichten

trachtetest, soll mir dein Starrsinn rauben«, und damit riß er ein

zusammengelegtes Papier aus der Tasche und hielt es zwischen zwei

Fingern hoch empor an eine dicht bei der Leiche stehende brennende

Kerze. Das Papier, von der Kerze ergriffen, flackerte hoch auf, und

als der Widerschein der Flamme auf dem Gesicht des Leichnams hin und

her zuckte und spielte, war es, als rührten sich die Muskeln und der

Alte spräche tonlose Worte, so daß der entfernt stehenden Dienerschaft

tiefes Grauen und Entsetzen ankam.

 

Der Baron vollendete sein Geschäft mit Ruhe, indem er das letzte

Stückchen Papier, das er flammend zu Boden fallen lassen, mit dem Fuße

sorglich austrat. Dann warf er noch einen düstern Blick auf den Vater

und eilte mit schnellen Schritten zum Saal hinaus.

 

Andern Tages machte Daniel den Freiherrn mit der neuerlich geschehenen

Verwüstung des Turms bekannt und schilderte mit vielen Worten, wie

sich überhaupt alles in der Todesnacht des alten seligen Herrn

zugetragen, indem er damit endete, daß es wohl geraten sein würde,

sogleich den Turm herstellen zu lassen, da, stürze noch mehr zusammen,

das ganze Schloß in Gefahr stehe, wo nicht zertrümmert, doch hart

beschädigt zu werden.

 

»Den Turm herstellen?« fuhr der Freiherr den alten Diener, funkelnden

Zorn in den Augen, an, »den Turm herstellen? Nimmermehr! - Merkst du

denn nicht«, fuhr er dann gelassener fort, »merkst du denn nicht,

Alter, daß der Turm nicht so, ohne weitern Anlaß, einstürzen konnte?

Wie, wenn mein Vater selbst die Vernichtung des Orts, wo er seine

unheimliche Sterndeuterei trieb, gewünscht, wie, wenn er selbst

gewisse Vorrichtungen getroffen hätte, die es ihm möglich machten,

die Krone des Turms, wenn er wollte, einstürzen und so das Innere des

Turms zerschmettern zu lassen? Doch dem sei, wie ihm wolle, und mag

auch das Schloß zusammenstürzen, mir ist es recht. Glaubt ihr denn,

daß ich in dem abenteuerlichen Eulenneste hier hausen werde? - Nein!

jener kluge Ahnherr, der in dem schönen Talgrunde die Fundamente zu

einem neuen Schloß legen ließ, der hat mir vorgearbeitet, dem will ich

folgen.«

 

»Und so werden«, sprach Daniel kleinlaut, »dann auch wohl die

alten treuen Diener den Wanderstab zur Hand nehmen müssen.« »Daß

ich«, erwiderte der Freiherr, »mich nicht von unbehülflichen

schlotterbeinichten Greisen bedienen lassen werde, versteht sich von

selbst, aber verstoßen werde ich keinen. Arbeitslos soll euch das

Gnadenbrot gut genug schmecken.«

 

»Mich«, rief der Alte voller Schmerz, »mich, den Hausverwalter, so

außer Aktivität -« Da wandte der Freiherr, der, dem Alten den Rücken

gekehrt, im Begriff stand, den Saal zu verlassen, sich plötzlich um,

blutrot im ganzen Gesichte vor Zorn, die geballte Faust vorgestreckt,

schritt er auf den Alten zu und schrie mit fürchterlicher Stimme:

 

»Dich, du alter heuchlerischer Schurke, der du mit dem alten Vater das

unheimliche Wesen triebst dort oben, der du dich wie ein Vampir an

sein Herz legtest, der vielleicht des Alten Wahnsinn verbrecherisch

nützte, um in ihm die höllischen Entschlüsse zu erzeugen, die mich an

den Rand des Abgrunds brachten dich sollte ich hinausstoßen wie einen

räudigen Hund!«

 

Der Alte war vor Schreck über diese entsetzlichen Reden dicht neben

dem Freiherrn auf beide Knie gesunken, und so mochte es geschehen,

daß dieser, indem er vielleicht unwillkürlich, wie denn im Zorn oft

der Körper dem Gedanken mechanisch folgt und das Gedachte mimisch

ausführt, bei den letzten Worten den rechten Fuß vorschleuderte, den

Alten so hart an der Brust traf, daß er mit einem dumpfen Schrei

umstürzte. Er raffte sich mühsam in die Höhe, und indem er einen

sonderbaren Laut, gleich dem heulenden Gewimmer eines auf den Tod

wunden Tieres, ausstieß, durchbohrte er den Freiherrn mit einem Blick,

in dem Wut und Verzweiflung glühten. Den Beutel mit Geld, den ihm

der Freiherr im Davonschreiten zugeworfen, ließ er unberührt auf dem

Fußboden liegen.

 

Unterdessen hatten sich die in der Gegend befindlichen nächsten

Verwandten des Hauses eingefunden, mit vielem Prunk wurde der alte

Freiherr in der Familiengruft, die in der Kirche von R..sitten

befindlich, beigesetzt, und nun, da die geladenen Gäste sich wieder

entfernt, schien der neue Majoratsherr, von der düstern Stimmung

verlassen, sich des erworbenen Besitztums recht zu erfreuen. Mit V.,

dem Justitiarius des alten Freiherrn, dem er gleich, nachdem er ihn

nur gesprochen, sein volles Vertrauen schenkte und ihn in seinem Amt

bestätigte, hielt er genaue Rechnung über die Einkünfte des Majorats

und überlegte, wieviel davon verwandt werden könne zu Verbesserungen

und zum Aufbau eines neuen Schlosses.

 

V. meinte, daß der alte Freiherr unmöglich seine jährlichen Einkünfte

aufgezehrt haben könne, und daß, da sich unter den Briefschaften nur

ein paar unbedeutende Kapitalien in Bankoscheinen befanden, und die

in einem eisernen Kasten befindliche bare Summe tausend Taler nur um

weniges überstiege, gewiß irgendwo noch Geld verborgen sein müsse. Wer

anders konnte davon unterrichtet sein, als Daniel, der, störrisch und

eigensinnig, wie er war, vielleicht nur darauf wartete, daß man ihn

darum befrage.

 

Der Baron war nicht wenig besorgt, daß Daniel, den er schwer

beleidigt, nun nicht sowohl aus Eigennutz, denn was konnte ihm, dem

kinderlosen Greise, der im Stammschlosse R..sitten sein Leben zu enden

wünschte, die größte Summe Geldes helfen, als vielmehr, um Rache zu

nehmen für den erlittenen Schimpf, irgendwo versteckte Schätze lieber

vermodern lassen, als ihm entdecken werde. Er erzählte V. den ganzen

Vorfall mit Daniel umständlich und schloß damit, daß nach mehreren

Nachrichten, die ihm zugekommen, Daniel allein es gewesen sei, der

in dem alten Freiherrn einen unerklärlichen Abscheu, seine Söhne in

R..sitten wiederzusehen, zu nähren gewußt habe. Der Justitiarius

erklärte diese Nachrichten durchaus für falsch, da kein menschliches

Wesen auf der Welt imstande gewesen sei, des alten Freiherrn

Entschlüsse nur einigermaßen zu lenken, viel weniger zu bestimmen, und

übernahm es übrigens, dem Daniel das Geheimnis wegen irgend in einem

verborgenen Winkel aufbewahrten Geldes zu entlocken.

 

Es bedurfte dessen gar nicht, denn kaum fing der Justitiarius an:

»Aber wie kommt es denn, Daniel, daß der alte Herr so wenig bares Geld

hinterlassen?« so erwiderte Daniel mit widrigem Lächeln: »Meinen Sie

die paar Taler, Herr Justitiarius, die Sie in dem kleinen Kästchen

fanden? das übrige liegt ja im Gewölbe neben dem Schlafkabinett des

alten gnädigen Herrn! Aber das Beste«, fuhr er dann fort, indem sein

Lächeln sich zum abscheulichen Grinsen verzog und blutrotes Feuer

in seinen Augen funkelte, »aber das Beste, viele tausend Goldstücke

liegen da unten im Schutt vergraben!«

 

Der Justitiarius rief sogleich den Freiherrn herbei, man begab sich

in das Schlafkabinett, in einer Ecke desselben rückte Daniel an dem

Getäfel der Wand, und ein Schloß wurde sichtbar. Indem der Freiherr

das Schloß mit gierigen Blicken anstarrte, dann aber Anstalt machte,

die Schlüssel, welche an dem großen Bunde hingen, den er mit vielem

Geklapper mühsam aus der Tasche gezerrt, an dem glänzenden Schlosse zu

versuchen, stand Daniel da, hoch aufgerichtet und wie mit hämischem

Stolz herabblickend auf den Freiherrn, der sich niedergebückt hatte,

um das Schloß besser in Augenschein zu nehmen.

 

Den Tod im Antlitz, mit bebender Stimme, sprach er dann: »Bin ich ein

Hund, hochgnädiger Freiherr! - so bewahr' ich auch in mir des Hundes

Treue.« Damit reichte er dem Baron einen blanken stählernen Schlüssel

hin, den ihm dieser mit hastiger Begier aus der Hand riß und die Tür

mit leichter Mühe öffnete. Man trat in ein kleines, niedriges Gewölbe,

in welchem eine große eiserne Truhe mit geöffnetem Deckel stand. Auf

den vielen Geldsäcken lag ein Zettel. Der alte Freiherr hatte mit

seinen wohlbekannten großen altväterischen Schriftzügen darauf

geschrieben:

 

Einmal hundert und fünfzigtausend Reichstaler in alten Friedrichsdor

erspartes Geld von den Einkünften des Majoratsgutes R..sitten, und

ist diese Summe bestimmt zum Bau des Schlosses. Es soll ferner der

Majoratsherr, der mir folgt, im Besitztum von diesem Gelde auf

dem höchsten Hügel, östlich gelegen dem alten Schloßturm, den er

eingestürzt finden wird, einen hohen Leuchtturm zum Besten der

Seefahrer aufführen und allnächtlich feuern lassen.

 

R..sitten in der Michaelisnacht des Jahres 1760.

 

Roderich Freiherr von R.

 

Erst als der Freiherr die Beutel, einen nach dem andern, gehoben und

wieder in den Kasten fallen lassen, sich ergötzend an dem klirrenden

Klingen des Goldes, wandte er sich rasch zu dem alten Hausverwalter,

dankte ihm für die bewiesene Treue und versicherte, daß nur

verleumderische Klätschereien schuld daran wären, daß er ihm anfangs

übel begegnet. Nicht allein im Schlosse, sondern in vollem Dienst als

Hausverwalter, mit verdoppeltem Gehalt, solle er bleiben.

 

»Ich bin dir volle Entschädigung schuldig, willst du Gold, so nimm dir

einen von jenen Beuteln!«- So schloß der Freiherr seine Rede, indem er

mit niedergeschlagenen Augen, vor dem Alten stehend, mit der Hand nach

dem Kasten hinzeigte, an den er nun aber noch einmal hintrat und die

Beutel musterte. Dem Hausverwalter trat plötzlich glühende Röte ins

Gesicht, und er stieß einen entsetzlichen, dem heulenden Gewimmer

eines auf den Tod wunden Tiers ähnlichen Laut aus, wie ihn der

Freiherr dem Jutistitiarius beschrieben. Dieser erbebte, denn was der

Alte nun zwischen den Zähnen murmelte, klang wie: »Blut für Gold!« Der

Freiherr, vertieft in den Anblick des Schatzes, hatte von allem nicht

das mindeste bemerkt; Daniel, den es wie im krampfigen Fieberfrost

durch alle Glieder geschüttelt, nahte sich mit gebeugtem Haupt in

demütiger Stellung dem Freiherrn, küßte ihm die Hand und sprach mit

weinerlicher Stimme, indem er mit dem Taschentuch sich über die Augen

fuhr, als ob er Tränen wegwische:

 

»Ach, mein lieber gnädiger Herr, was soll ich armer, kinderloser

Greis mit dem Golde? - aber das doppelte Gehalt, das nehme ich an mit

Freuden und will mein Amt verwalten rüstig und unverdrossen!«

 

Der Freiherr, der nicht sonderlich auf die Worte des Alten geachtet,

ließ nun den schweren Deckel der Truhe zufallen, daß das ganze Gewölbe

krachte und dröhnte, und sprach dann, indem er die Truhe verschloß

und die Schlüssel sorgfältig auszog, schnell hingeworfen: »Schon gut,

schon gut Alter! Aber du hast noch«, fuhr er fort, nachdem sie schon

in den Saal getreten waren, »aber du hast noch von vielen Goldstücken

gesprochen, die unten im zerstörten Turm liegen sollen« Der Alte trat

schweigend an die Pforte und schloß sie mit Mühe auf. Aber sowie er

die Flügel aufriß, trieb der Sturm dickes Schneegestöber in den Saal;

aufgescheucht flatterte ein Rabe kreischend und krächzend umher,

schlug mit schwarzen Schwingen gegen die Fenster und stürzte sich, als

er die offene Pforte wiedergewonnen, in den Abgrund.

 

Der Freiherr trat hinaus in den Korridor, bebte aber zurück, als er

kaum einen Blick in die Tiefe geworfen. »Abscheulicher Anblick -

Schwindel«, stotterte er und sank wie ohnmächtig dem Justitiarius in

die Arme. Er raffte sich jedoch gleich wieder zusammen und frug, den

Alten mit scharfen Blicken erfassend: »Und da unten?« -

 

Der Alte hatte indessen die Pforte wieder verschlossen, er drückte nun

noch mit ganzer Leibeskraft dagegen, so daß er keuchte und ächzte, um

nur die großen Schlüssel aus den ganz verrosteten Schlössern loswinden

zu können. Dies endlich zustande gebracht, wandte er sich um nach

dem Baron und sprach, die großen Schlüssel in der Hand hin und her

schiebend, mit seltsamen Lächeln: »Ja, da unten liegen tausend und

tausend - alle schönen Instrumente des seligen Herrn - Teleskope,

Quadranten - Globen - Nachtspiegel alles liegt zertrümmert im Schutt

zwischen den Steinen und Balken!«

 

»Aber, bares Geld, bares Geld«, fiel der Freiherr ein, »du hast von

Goldstücken gesprochen, Alter?«

 

»Ich meine nur«, erwiderte der Alte, »Sachen, welche viele tausend

Goldstücke gekostet.«

 

Mehr war aus dem Alten nicht herauszubringen. Der Baron zeigte sich

hoch erfreut, nun, mit einemmal, zu allen Mitteln gelangt zu sein,

deren er bedurfte, seinen Lieblingsplan ausführen, nämlich ein neues

prächtiges Schloß aufbauen zu können. Zwar meinte der Justitiarius,

daß nach dem Willen des Verstorbenen nur von der Reparatur, von dem

völligen Ausbau des alten Schlosses, die Rede sein könne, und daß in

der Tat jeder neue Bau schwerlich die ehrwürdige Größe, den ernsten

einfachen Charakter des alten Stammhauses erreichen werde, der

Freiherr blieb aber bei seinem Vorsatz und meinte, daß in solchen

Verfügungen, die nicht durch die Stiftungsurkunde sanktioniert worden,

der tote Wille des Dahingeschiedenen weichen müsse.

 

Er gab dabei zu verstehen, daß es seine Pflicht sei, den Aufenthalt

in R..sitten so zu verschönern, als es nur Klima, Boden und Umgebung

zulasse, da er gedenke, in kurzer Zeit als sein innig geliebtes Weib

ein Wesen heimzuführen, die in jeder Hinsicht der größten Opfer würdig

sei.

 

Die geheimnisvolle Art, wie der Freiherr sich über das vielleicht

schon insgeheim geschlossene Bündnis äußerte, schnitt dem Justitiarius

jede weitere Frage ab, indessen fand er sich durch die Entscheidung

des Freiherrn insofern beruhigt, als er wirklich in seinem Streben

nach Reichtum mehr die Begier, eine geliebte Person das schönere

Vaterland, dem sie entsagen mußte, ganz vergessen zu lassen, als

eigentlichen Geiz finden wollte.

 

Für geizig, wenigstens für unausstehlich habsüchtig mußte er sonst

den Baron halten, der, im Golde wühlend, die alten Friedrichsdor

beäugelnd, sich nicht enthalten konnte, mürrisch aufzufahren: »Der

alte Halunke hat uns gewiß den reichsten Schatz verschwiegen, aber

künftigen Frühling laß ich den Turm ausräumen unter meinen Augen.«

 

Baumeister kamen, mit denen der Freiherr weitläufig überlegte, wie mit

dem Bau am zweckmäßigsten zu verfahren sei. Er verwarf Zeichnung auf

Zeichnung, keine Architektur war ihm reich, großartig genug. Nun

fing er an, selbst zu zeichnen, und, aufgeheitert durch diese

Beschäftigungen, die ihm beständig das sonnenhelle Bild der

glücklichsten Zukunft vor Augen stellten, erfaßte ihn eine frohe

Laune, die oft an Ausgelassenheit anstreifte, und die er allen

mitzuteilen wußte.

 

Seine Freigebigkeit, die Opulenz seiner Bewirtung widerlegte

wenigstens jeden Verdacht des Geizes. Auch Daniel schien nun ganz

jenen Tort, der ihm geschehen, vergessen zu haben. Er betrug sich

still sind demütig gegen den Freiherrn, der ihn, des Schatzes in der

Tiefe halber, oft mit mißtrauischen Blicken verfolgte. Was aber allen

wunderbar vorkam, war, daß der Alte sich zu verjüngen schien von Tage

zu Tage. Es mochte sein, daß ihn der Schmerz um den alten Herrn tief

gebeugt hatte, und er nun den Verlust zu verschmerzen begann, wohl

aber auch, daß er nun nicht, wie sonst, kalte Nächte schlaflos auf

dem Turm zubringen und bessere Kost, guten Wein, wie es ihm gefiel,

genießen durfte, genug, aus dem Greise schien ein rüstiger Mann werden

zu wollen mit roten Wangen und wohlgenährtem Körper, der kräftig

auftrat und mit lauter Stimme mitlachte, wo es einen Spaß gab.

 

Das lustige Leben in R..sitten wurde durch die Ankunft eines Mannes

unterbrochen, von dem man hätte denken sollen, er gehöre nun gerade

hin. Wolfgangs jüngerer Bruder, Hubert, war dieser Mann, bei dessen

Anblick Wolfgang, im Antlitz den bleichen Tod, laut aufschrie:

»Unglücklicher, was willst du hier!« Hubert stürzte dem Bruder in die

Arme, dieser faßte ihn aber und zog ihn mit sich fort und hinauf in

ein entferntes Zimmer, wo er sich mit ihm einschloß. Mehrere Stunden

blieben beide zusammen, bis endlich Hubert herabkam mit verstörtem

Wesen und nach seinen Pferden rief.

 

Der Justitiarius trat ihm in den Weg, er wollte vorüber, V., von der

Ahnung ergriffen, daß vielleicht gerade hier ein tödlicher Bruderzwist

enden könnte, bat ihn, wenigstens ein paar Stunden zu verweilen, und

in dem Augenblick kam auch der Freiherr herab, laut rufend: »Bleibe

hier, Hubert! Du wirst dich besinnen!« - Huberts Blicke heiterten sich

auf, er gewann Fassung, und indem er den reichen Leibpelz, den er,

schnell abgezogen, hinter sich dem Bedienten zuwarf, nahm er V.s Hand

und sprach, mit ihm in die Zimmer schreitend, mit einem verhöhnenden

Lächeln: »Der Majoratsherr will mich doch also hier leiden.«

 

V. meinte, daß gewiß sich jetzt das unglückliche Mißverständnis lösen

werde, welches nur bei getrenntem Leben habe gedeihen können. Hubert

nahm die stählerne Zange, die beim Kamin stand, zur Hand, und indem

er damit ein astiges, dampfendes Stück Holz auseinander klopfte und

das Feuer besser aufschürte, sprach er zu V.: »Sie merken, Herr

Justitiarius, daß ich ein gutmütiger Mensch bin und geschickt

zu allerlei häuslichen Diensten. Aber Wolfgang ist voll der

wunderlichsten Vorurteile und - ein kleiner Geizhals.«

 

V. fand es nicht geraten, weiter in das Verhältnis der Brüder

einzudringen, zumal Wolfgangs Gesicht, sein Benehmen, sein Ton den

durch Leidenschaften jeder Art im Innersten zerrissenen Menschen ganz

deutlich zeigte.

 

Um des Freiherrn Entschlüsse in irgendeiner das Majorat betreffenden

Angelegenheit zu vernehmen, ging V. noch am späten Abend hinauf

in sein Gemach. Er fand ihn, wie er, die Arme über den Rücken

zusammengeschränkt, ganz verstört mit großen Schritten das Zimmer maß.

Er blieb stehen, als er endlich den Justitiarius erblickte, faßte

seine beiden Hände, und düster ihm ins Auge schauend, sprach er mit

gebrochener Stimme: »Mein Bruder ist gekommen! Ich weiß«, fuhr er

fort, als V. kaum den Mund zur Frage geöffnet, »ich weiß, was Sie

sagen wollen. Ach, Sie wissen nichts. Sie wissen nicht, daß mein

unglücklicher Bruder - ja unglücklich nur will ich ihn nennen - daß er

wie ein böser Geist mir überall in den Weg tritt und meinen Frieden

stört. An ihm liegt es nicht, daß ich nicht unaussprechlich elend

wurde, er tat das Seinige dazu, doch der Himmel wollt' es nicht.

 

Seit der Zeit, daß die Stiftung des Majorats bekannt wurde, verfolgt

er mich mit tödlichem Haß. Er beneidet mich um das Besitztum, das

in seinen Händen wie Spreu verflogen wäre. Er ist der wahnsinnigste

Verschwender, den es gibt. Seine Schuldenlast übersteigt bei weitem

die Hälfte des freien Vermögens in Kurland, die ihm zufällt, und nun,

verfolgt von Gläubigern die ihn quälen, eilt er her und bettelt um

Geld.«

 

»Und Sie, der Bruder, verweigern« wollte ihm V. in die Rede fallen,

doch der Freiherr rief, indem er V.s Hände fahren ließ und einen

starken Schritt zurücktrat, laut und heftig: »Halten Sie ein! ja!

ich verweigere! Von den Einkünften des Majorats kann und werde ich

keinen Taler verschenken! Aber hören Sie, welchen Vorschlag ich dem

Unsinnigen vor wenigen Stunden vergebens machte, und dann richten Sie

über mein Pflichtgefühl.

 

Das freie Vermögen in Kurland ist, wie Sie wissen, bedeutend, auf die

mir zufallende Hälfte wollt' ich verzichten, aber zugunsten seiner

Familie. Hubert ist verheiratet in Kurland an ein schönes armes

Fräulein. Sie hat ihm Kinder erzeugt und darbt mit ihnen. Die Güter

sollten administriert, aus den Revenüen ihm die nötigen Gelder zum

Unterhalt angewiesen, die Gläubiger vermöge Abkommens befriedigt

werden. Aber was gilt ihm ein ruhiges, sorgenfreies Leben, was gilt

ihm Frau und Kind! Geld, bares Geld in großen Summen will er haben,

damit er in verruchtem Leichtsinn es verprassen könne!

 

Welcher Dämon hat ihm das Geheimnis mit den einhundert und

funfzigtausend Talern verraten, davon verlangt er die Hälfte nach

seiner wahnsinnigen Weise, behauptend, dies Geld sei, getrennt vom

Majorat, als freies Vermögen zu achten. Ich muß und werde ihm dies

verweigern, aber mir ahnt es, mein Verderben brütet er aus im Innern!«

 

So sehr V. sich auch bemühte, dem Freiherrn den Verdacht wider seinen

Bruder auszureden, wobei er sich freilich, uneingeweiht in die näheren

Verhältnisse, mit ganz allgemeinen moralischen, ziemlich flachen

Gründen behelfen mußte, so gelang ihm dies doch ganz und gar nicht.

Der Freiherr gab ihm den Auftrag, mit dem feindseligen geldgierigen

Hubert zu unterhandeln.

 

V. tat dies mit so viel Vorsicht, als ihm nur möglich war, und freute

sich nicht wenig, als Hubert endlich erklärte: »Mag es dann sein, ich

nehme die Vorschläge des Majoratsherrn an, doch unter der Bedingung,

daß er mir jetzt, da ich auf dem Punkt stehe, durch die Härte meiner

Gläubiger Ehre und guten Namen auf immer zu verlieren, tausend

Friedrichsdor bar vorschieße und erlaube, daß ich künftig, wenigstens

einige Zeit hindurch, meinen Wohnsitz in dem schönen R..sitten bei dem

gütigen Bruder nehme.« »Nimmermehr!« schrie der Freiherr auf, als ihm

V. diese Vorschläge des Bruders hinterbrachte, »nimmermehr werde ich's

zugeben, daß Hubert auch nur eine Minute in meinem Hause verweile,

sobald ich mein Weib hergebracht! - Gehen Sie, mein teurer Freund,

sagen Sie dem Friedenstörer, daß er zweitausend Friedrichsdor haben

soll, nicht als Vorschuß, nein als Geschenk, nur fort - fort!«

 

V. wußte nun mit einemmal, daß der Freiherr sich ohne Wissen des

Vaters schon verheiratet hatte, und daß in dieser Heirat auch der

Grund des Bruderzwistes liegen mußte. Hubert hörte stolz und gelassen

den Justitiarius an und sprach, nachdem er geendet, dumpf und düster:

»Ich werde mich besinnen, vor der Hand aber noch einige Tage hier

bleiben!«

 

V. bemühte sich, dem Unzufriedenen darzutun, daß der Freiherr doch

in der Tat alles tue, ihn durch die Abtretung des freien Vermögens,

soviel als möglich, zu entschädigen, und daß er über ihn sich durchaus

nicht zu beklagen habe, wenn er gleich bekennen müsse, daß jede

Stiftung, die den Erstgeborenen so vorwiegend begünstige und die

andern Kinder in den Hintergrund stelle, etwas Gehässiges habe.

 

Hubert riß, wie einer, der Luft machen will der beklemmten Brust, die

Weste von oben bis unten auf; die eine Hand in die offne Busenkrause

begraben, die andere in die Seite gestemmt, drehte er sich mit einer

raschen Tänzerbewegung auf einem Fuße um und rief mit schneidender

Stimme: »Pah! - das Gehässige wird geboren vom Haß« dann schlug er ein

gellendes Gelächter auf und sprach: »Wie gnädig doch der Majoratsherr

dem armen Bettler seine Goldstücke zuzuwerfen gedenkt.« V. sah nun

wohl ein, daß von völliger Aussöhnung der Brüder gar nicht die Rede

sein könne.

 

Hubert richtete sich in den Zimmern, die ihm in den Seitenflügeln des

Schlosses angewiesen worden, zu des Freiherrn Verdruß auf recht langes

Bleiben ein. Man merkte, daß er oft und lange mit dem Hausverwalter

sprach, ja, daß dieser sogar zuweilen mit ihm auf die Wolfsjagd zog.

Sonst ließ er sich wenig sehen und mied es ganz, mit dem Bruder allein

zusammen zu kommen, welches diesem eben ganz recht war.

 

V. fühlte das Drückende dieses Verhältnisses, ja er mußte sich es

selbst gestehen, daß die ganz besondere unheimliche Manier Huberts

in allem, was er sprach und tat, alle Lust recht geflissentlich

zerstörend, eingriff. Jener Schreck des Freiherrn, als er den Bruder

eintreten sah, war ihm nun ganz erklärlich.

 

V. saß allein in der Gerichtsstube unter den Akten, als Hubert

eintrat, ernster, gelassener als sonst, und mit beinahe wehmütiger

Stimme sprach: »Ich nehme auch die letzten Vorschläge des Bruders

an, bewirken Sie, daß ich die zweitausend Friedrichsdor noch heute

erhalte, in der Nacht will ich fort zu Pferde - ganz allein« »Mit dem

Geld?« frug V. »Sie haben recht«, erwiderte Hubert, »ich weiß, was Sie

sagen wollen - die Last! Stellen sie es in Wechsel auf Isak Lazarus

in K.! - Noch in dieser Nacht will ich hin nach K. Es treibt mich von

hier fort, der Alte hat seine bösen Geister hier hineingehext!«

 

»Sprechen Sie von Ihrem Vater, Herr Baron?« frug V. sehr ernst.

Huberts Lippen bebten, er hielt sich an dem Stuhl fest, um nicht

umzusinken, dann aber, sich plötzlich ermannend, rief er: »Also noch

heute, Herr Justitiarius«, und wankte, nicht ohne Anstrengung, zur Tür

hinaus. »Er sieht jetzt ein, daß keine Täuschungen mehr möglich sind,

daß er nichts vermag gegen meinen festen Willen«, sprach der Freiherr,

indem er den Wechsel auf Isak Lazarus in K. ausstellte. Eine Last

wurde seiner Brust entnommen durch die Abreise des feindlichen

Bruders, lange war er nicht so froh gewesen als bei der Abendtafel.

Hubert hatte sich entschuldigen lassen, alle vermißten ihn recht gern.

 

V. wohnte in einem etwas abgelegenen Zimmer, dessen Fenster nach dem

Schloßhofe herausgingen. In der Nacht fuhr er plötzlich auf aus dem

Schlafe, und es war ihm, als habe ein fernes, klägliches Wimmern ihn

aus dem Schlafe geweckt. Mochte er aber auch horchen, wie er wollte,

es blieb alles totenstill, und so mußte er jenen Ton, der ihm in die

Ohren geklungen, für die Täuschung eines Traums halten. Ein ganz

besonderes Gefühl von Grauen und Angst bemächtigte sich seiner aber so

ganz und gar, daß er nicht im Bette bleiben konnte. Er stand auf und

trat ans Fenster. Nicht lange dauerte es, so wurde das Schloßtor

geöffnet, und eine Gestalt mit einer brennenden Kerze in der Hand trat

heraus und schritt über den Schloßhof. V. erkannte in der Gestalt

den alten Daniel und sah, wie er die Stalltür öffnete, in den Stall

hineinging und bald darauf ein gesatteltes Pferd herausbrachte.

 

Nun trat aus der Finsternis eine zweite Gestalt hervor, wohl

eingehüllt in einen Pelz, eine Fuchsmütze auf dem Kopf. V. erkannte

Hubert, der mit Daniel einige Minuten hindurch heftig sprach, dann

aber sich zurückzog. Daniel führte das Pferd wieder in den Stall,

verschloß diesen und ebenso die Tür des Schlosses, nachdem er über den

Hof, wie er gekommen, zurückgekehrt. Hubert hatte wegreisen wollen und

sich in dem Augenblick eines andern besonnen, das war nun klar. Ebenso

aber auch, daß Hubert gewiß mit dem alten Hausverwalter in irgendeinem

gefährlichen Bündnisse stand. V. konnte kaum den Morgen erwarten, um

den Freiherrn von den Ereignissen der Nacht zu unterrichten. Es galt

nun wirklich, sich gegen Anschläge des bösartigen Hubert zu waffnen,

die sich, wie V. jetzt überzeugt war, schon gestern in seinem

verstörten Wesen kundgetan.

 

Andern Morgens zur Stunde, wenn der Freiherr aufzustehen pflegte,

vernahm V. ein Hin- und Herrennen, Türauf-, Türzuschlagen, ein

verwirrtes Durcheinander und Schreien. Er trat hinaus und stieß

überall auf Bediente, die, ohne auf ihn zu achten, mit leichenblassen

Gesichtern ihm vorbei - treppauf - treppab - hinaus - hinein durch die

Zimmer rannten.

 

Endlich erfuhr er, daß der Freiherr vermißt und schon stundenlang

vergebens gesucht werde. In Gegenwart des Jägers hatte er sich ins

Bette gelegt, er mußte dann aufgestanden sein und sich im Schlafrock

und Pantoffeln, mit dem Armleuchter in der Hand, entfernt haben,

denn eben diese Stücke wurden vermißt. V. lief, von düsterer Ahnung

getrieben, in den verhängnisvollen Saal, dessen Seitenkabinett gleich

dem Vater Wolfgang zu seinem Schlafgemach gewählt hatte.

 

Die Pforte zum Turm stand weit offen, tief entsetzt schrie V. laut

auf: »Dort in der Tiefe liegt er zerschmettert!« - Es war dem so.

Schnee war gefallen, so daß man von oben herab nur den zwischen

den Steinen hervorragenden starren Arm des Unglücklichen deutlich

wahrnehmen konnte. Viele Stunden gingen hin, ehe es den Arbeitern

gelang, mit Lebensgefahr auf zusammengebundenen Leitern herabzusteigen

und dann den Leichnam an Stricken heraufzuziehen. Im Krampf der

Todesangst hatte der Baron den silbernen Armleuchter festgepackt, die

Hand, die ihn noch festhielt, war der einzige unversehrte Teil des

ganzen Körpers, der sonst durch das Anprallen an die spitzen Steine

auf das gräßlichste zerschellt worden.

 

Alle Furien der Verzweiflung im Antlitz, stürzte Hubert herbei, als

die Leiche eben hinaufgeborgen und in dem Saal, gerade an der Stelle

auf einen breiten Tisch gelegt worden, wo vor wenigen Wochen der alte

Roderich lag. Niedergeschmettert von dem gräßlichen Anblick, heulte

er: »Bruder - o mein armer Bruder nein, das hab' ich nicht erfleht

von den Teufeln, die über mir waren!« - V. erbebte vor dieser

verfänglichen Rede, es war ihm so, als müsse er zufahren auf Hubert,

als den Mörder seines Bruders. Hubert lag von Sinnen auf dem Fußboden,

man brachte ihn ins Bette, und er erholte sich, nachdem er stärkende

Mittel gebraucht, ziemlich bald.

 

Sehr bleich, düstern Gram im halb erloschnen Auge, trat er dann bei V.

ins Zimmer und sprach, indem er, vor Mattigkeit nicht fähig zu stehen,

sich langsam in einen Lehnstuhl niederließ: »Ich habe meines Bruders

Tod gewünscht, weil der Vater ihm den besten Teil des Erbes zugewandt

durch eine törichte Stiftung - jetzt hat er seinen Tod gefunden

auf schreckliche Weise - ich bin Majoratsherr, aber mein Herz ist

zermalmt, ich kann, ich werde niemals glücklich sein. Ich bestätige

Sie im Amte, Sie erhalten die ausgedehntesten Vollmachten rücksichts

der Verwaltung des Majorats, auf dem ich nicht zu hausen vermag!«

Hubert verließ das Zimmer und war in ein paar Stunden schon auf dem

Wege nach K.

 

Es schien, daß der unglückliche Wolfgang in der Nacht aufgestanden

war und sich vielleicht in das andere Kabinett, wo eine Bibliothek

aufgestellt, begeben wollen. In der Schlaftrunkenheit verfehlte er

die Tür, öffnete statt derselben die Pforte, schritt vor und stürzte

hinab. Diese Erklärung enthielt indessen immer viel Erzwungenes.

Konnte der Baron nicht schlafen, wollte er sich noch ein Buch aus der

Bibliothek holen, um zu lesen, so schloß dieses alle Schlaftrunkenheit

aus, aber nur so war es möglich, die Tür des Kabinetts zu verfehlen

und statt dieser die Pforte zu öffnen. Überdem war diese fest

verschlossen und mußte erst mit vieler Mühe aufgeschlossen werden.

»Ach«, fing endlich, als V. diese Unwahrscheinlichkeit vor

versammelter Dienerschaft entwickelte, des Freiherrn Jäger, Franz

geheißen, an, »ach, lieber Herr Justitiarius, so hat es wohl sich

nicht zugetragen!« - »Wie denn anders?« fuhr ihn V. an.

 

Franz, ein ehrlicher treuer Kerl, der seinem Herrn hätte ins Grab

folgen mögen, wollte aber nicht vor den andern mit der Sprache heraus,

sondern behielt sich vor, das, was er davon zu sagen wisse, dem

Justistiarius allein zu vertrauen. V. erfuhr nun, daß der Freiherr zu

Franz sehr oft von den vielen Schätzen sprach, die da unten in dem

Schutt begraben lägen, und daß er oft, wie vom bösen Geist getrieben,

zur Nachtzeit noch die Pforte, zu der den Schlüssel ihm Daniel hatte

geben müssen, öffnete und mit Sehnsucht hinabschaute in die Tiefe nach

den vermeintlichen Reichtümern. Gewiß war es nun wohl so, daß in jener

verhängnisvollen Nacht der Freiherr, nachdem ihn der Jäger schon

verlassen, noch einen Gang nach dem Turm gemacht und ihn dort ein

plötzlicher Schwindel erfaßt und herabgestürzt hatte.

 

Daniel, der von dem entsetzlichen Tode des Freiherrn auch sehr

erschüttert schien, meinte, daß es gut sein würde, die gefährliche

Pforte fest vermauern zu lassen, welches denn auch gleich geschah.

Freiherr Hubert von R., jetziger Majoratsbesitzer, ging, ohne sich

wieder in R..sitten sehen zu lassen, nach Kurland zurück. V. erhielt

alle Vollmachten, die zur unumschränkten Verwaltung des Majorats nötig

waren.

 

Der Bau des neuen Schlosses unterblieb, wogegen, so viel möglich, das

alte Gebäude in guten Stand gesetzt wurde. Schon waren mehrere Jahre

verflossen, als Hubert zum erstenmal zur späten Herbstzeit sich in

R..sitten einfand, und nachdem er mehrere Tage mit V., in seinem

Zimmer eingeschlossen, zugebracht, wieder nach Kurland zurückging. Bei

seiner Durchreise durch K. hatte er bei der dortigen Landesregierung

sein Testament niedergelegt.

 

Während seines Aufenthaltes in R..sitten sprach der Freiherr, der in

seinem tiefsten Wesen ganz geändert schien, viel von Ahnungen eines

nahen Todes. Diese gingen wirklich in Erfüllung, denn er starb schon

das Jahr darauf. Sein Sohn, wie er Hubert geheißen, kam schnell

herüber von Kurland, um das reiche Majorat in Besitz zu nehmen. Ihm

folgten Mutter und Schwester.

 

Der Jüngling schien alle bösen Eigenschaften der Vorfahren in sich zu

vereinen, er bewies sich als stolz, hochfahrend, ungestüm, habsüchtig

gleich in den ersten Augenblicken seines Aufenthalts in R..sitten. Er

wollte auf der Stelle vieles ändern lassen, welches ihm nicht bequem,

nicht gehörig schien, den Koch warf er zum Hause hinaus, den Kutscher

versuchte er zu prügeln welches aber nicht gelang, da der baumstarke

Kerl die Frechheit hatte, es nicht leiden zu wollen; kurz, er war im

besten Zuge, die Rolle des strengen Majoratsherrn zu beginnen, als V.

ihm mit Ernst und Festigkeit entgegentrat, sehr bestimmt versichernd,

kein Stuhl solle hier gerückt werden, keine Katze das Haus verlassen,

wenn es ihr noch sonst darin gefalle, vor Eröffnung des Testaments.

»Sie unterstehen sich hier, dem Majoratsherrn« fing der Baron an. V.

ließ den vor Wut schäumenden Jüngling jedoch nicht ausreden, sondern

sprach, indem er ihn mit durchbohrenden Blicken maß:

 

»Keine Übereilung, Herr Baron! Durchaus dürfen Sie hier nicht regieren

wollen vor Eröffnung des Testaments; jetzt bin ich, ich allein hier

Herr und werde Gewalt mit Gewalt zu vertreiben wissen. Erinnern Sie

sich, daß ich kraft meiner Vollmacht als Vollzieher des väterlichen

Testaments, kraft der getroffenen Verfügungen des Gerichts berechtigt

bin, Ihnen den Aufenthalt hier in R..sitten zu versagen, und ich rate

Ihnen, um das Unangenehme zu verhüten, sich ruhig nach K. zu begeben.«

 

Der Ernst des Gerichtshalters, der entschiedene Ton, mit dem er

sprach, gab seinen Worten gehörigen Nachdruck, und so kam es, daß der

junge Baron, der mit gar zu spitzigen Hörnern anlaufen wollte wider

den festen Bau, die Schwäche seiner Waffen fühlte und für gut

fand, im Rückzuge seine Beschämung mit einem höhnischen Gelächter

auszugleichen.

 

Drei Monate waren verflossen und der Tag gekommen, an dem nach dem

Willen des Verstorbenen das Testament in K., wo es niedergelegt

worden, eröffnet werden sollte. Außer den Gerichtspersonen, dem

Baron und V. befand sich noch ein junger Mensch von edlem Ansehn

in dem Gerichtssaal, den V. mitgebracht, und den man, da ihm ein

eingeknöpftes Aktenstück aus dem Busen hervorragte, für V.s Schreiber

hielt. Der Baron sah ihn, wie er es beinahe mit allen übrigen machte,

über die Achsel an und verlangte stürmisch, daß man die langweilige

überflüssige Zeremonie nur schnell und ohne viele Worte und

Schreiberei abmachen solle. Er begreife nicht, wie es überhaupt in

dieser Erbangelegenheit, wenigstens hinsichts des Majorats, auf ein

Testament ankommen könne, und werde, insofern hier irgend etwas

verfügt sein solle, es lediglich von seinem Willen abhängen, das zu

beachten oder nicht.

 

Hand und Siegel des verstorbenen Vaters erkannte der Baron an, nachdem

er einen flüchtigen mürrischen Blick darauf geworfen, dann, indem der

Gerichtsschreiber sich zum lauten Ablesen des Testaments anschickte,

schaute er gleichgültig nach dem Fenster hin, den rechten Arm

nachlässig über die Stuhllehne geworfen, den linken Arm gelehnt

auf den Gerichtstisch, und auf dessen grüner Decke mit den Fingern

trommelnd.

 

Nach einem kurzen Eingange erklärte der verstorbene Freiherr Hubert v.

R., daß er das Majorat niemals als wirklicher Majoratsherr besessen,

sondern dasselbe nur namens des einzigen Sohnes des verstorbenen

Freiherrn Wolfgang von R., nach seinem Großvater Roderich geheißen,

verwaltet habe; dieser sei derjenige, dem nach der Familiensukzession

durch seines Vaters Tod das Majorat zugefallen. Die genauesten

Rechnungen über Einnahme und Ausgabe, über den vorzufindenden Bestand

u.s.w. würde man in seinem Nachlaß finden. Wolfgang von R., so

erzählte Hubert in dem Testament, lernte auf seinen Reisen in Genf

das Fräulein Julie von St. Val kennen und faßte eine solche heftige

Neigung zu ihr, daß er sich nie mehr von ihr zu trennen beschloß. Sie

war sehr arm, und ihre Familie, unerachtet von gutem Adel, gehörte

eben nicht zu den glänzendsten.

 

Schon deshalb durfte er auf die Einwilligung des alten Roderich,

dessen ganzes Streben dahin ging, das Majoratshaus auf alle nur

mögliche Weise zu erheben, nicht hoffen. Er wagte es dennoch,

von Paris aus dem Vater seine Neigung zu entdecken; was aber

vorauszusehen, geschah wirklich, indem der Alte bestimmt erklärte, daß

er schon selbst die Braut für den Majoratsherrn erkoren und von einer

andern niemals die Rede sein könne.

 

Wolfgang, statt, wie er sollte, nach England hinüberzuschiffen, kehrte

unter dem Namen Born nach Genf zurück und vermählte sich mit Julien,

die ihm nach Verlauf eines Jahres den Sohn gebar, der mit dem Tode

Wolfgangs Majoratsherr wurde. Darüber, daß Hubert, von der ganzen

Sache unterrichtet, so lange schwieg und sich selbst als Majoratsherr

gerierte, waren verschiedene Ursachen angeführt, die sich auf frühere

Verabredungen mit Wolfgang bezogen, indessen unzureichend und aus der

Luft gegriffen schienen.

 

Wie vom Donner gerührt, starrte der Baron den Gerichtsschreiber an,

der mit eintöniger schnarrender Stimme alles Unheil verkündete. Als er

geendet, stand V. auf, nahm den jungen Menschen, den er mitgebracht,

bei der Hand und sprach, indem er sich gegen die Anwesenden verbeugte:

»Hier, meine Herren, habe ich die Ehre, Ihnen den Freiherrn Roderich

von R., Majoratsherrn von R..sitten, vorzustellen!« Baron Hubert

blickte den Jüngling, der, wie vom Himmel gefallen, ihn um das reiche

Majorat, um die Hälfte des freien Vermögens in Kurland brachte,

verhaltenen Grimm im glühenden Auge, an, drohte dann mit geballter

Faust und rannte, ohne ein Wort hervorbringen zu können, zum

Gerichtssaal hinaus.

 

Von den Gerichtspersonen dazu aufgefordert, holte jetzt Baron Roderich

die Urkunden hervor, die ihn als die Person, für die er sich ausgab,

legitimieren sollten. Er überreichte den beglaubigten Auszug aus den

Registern der Kirche, wo sein Vater sich trauen lassen, worin bezeugt

wurde, daß an dem und dem Tage der Kaufmann Wolfgang Born, gebürtig

aus K., mit dem Fräulein Julie von St. Val in Gegenwart der genannten

Personen durch priesterliche Einsegnung getraut worden. Ebenso hatte

er seinen Taufschein (er war in Genf als von dem Kaufmann Born mit

seiner Gemahlin Julie, geb. v. St. Val, in gültiger Ehe erzeugtes Kind

getauft worden), verschiedene Briefe seines Vaters an seine schon

längst verstorbene Mutter, die aber alle nur mit W. unterzeichnet

waren.

 

V. sah alle diese Papiere mit finsterm Gesichte durch und sprach,

ziemlich bekümmert, als er sie wieder zusammenschlug: »Nun, Gott wird

helfen!«

 

Schon andern Tages reichte der Freiherr Hubert von R. durch

einen Advokaten, den er zu seinem Rechtsfreunde erkoren, bei der

Landesregierung in K. eine Vorstellung ein, worin er auf nichts

weniger antrug, als sofort die Übergabe des Majorats R..sitten an

ihn zu veranlassen. Es verstehe sich von selbst, sagte der Advokat,

daß weder testamentarisch, noch auf irgendeine andere Weise,

der verstorbene Freiherr Hubert von R. habe über das Majorat

verfügen können. Jenes Testament sei also nichts anders, als die

aufgeschriebene und gerichtlich übergebene Aussage, nach welcher der

Freiherr Wolfgang von R. das Majorat an einen Sohn vererbt haben

solle, der noch lebe, die keine höhere Beweiskraft, als jede andere

irgendeines Zeugen haben und also unmöglich die Legitimation des

angeblichen Freiherrn Roderich von R. bewirken könne.

 

Vielmehr sei es die Sache dieses Prätendenten, sein vorgebliches

Erbrecht, dem hiermit ausdrücklich widersprochen werde, im Wege des

Prozesses darzutun und das Majorat, welches jetzt nach dem Recht

der Sukzession dem Baron Hubert von R. zugefallen, zu vindizieren.

Durch den Tod des Vaters sei der Besitz unmittelbar auf den Sohn

übergegangen; es habe keiner Erklärung über den Erbschaftsantritt

bedurft, da der Majoratsfolge nicht entsagt werden könne, mithin

dürfte der jetzige Majoratsherr in dem Besitze nicht durch ganz

illiquide Ansprüche turbiert werden.

 

Was der Verstorbene für Grund gehabt habe, einen andern Majoratsherrn

aufzustellen, sei ganz gleichgültig, nur werde bemerkt, daß er selbst,

wie aus den nachgelassenen Papieren erforderlichen Falls nachgewiesen

werden könne, eine Liebschaft in der Schweiz gehabt habe, und so sei

vielleicht der angebliche Bruderssohn der eigne, in einer verbotenen

Liebe erzeugte, dem er in einem Anfall von Reue das reiche Majorat

zuwenden wollen.

 

So sehr auch die Wahrscheinlichkeit für die im Testament behaupteten

Umstände sprach, so sehr auch die Richter hauptsächlich die letzte

Wendung, in der der Sohn sich nicht scheute, den Verstorbenen eines

Verbrechens anzuklagen, empörte, so blieb doch die Ansicht der Sache,

wie sie aufgestellt worden, die richtige, und nur den rastlosen

Bemühungen V.s, der bestimmten Versicherung, daß der die Legitimation

des Freiherrn Roderich von R. bewirkende Beweis in kurzer Zeit auf das

bündigste geführt werden solle, konnte es gelingen, daß die Übergabe

des Majorats noch ausgesetzt und die Fortdauer der Administration bis

nach entschiedener Sache verfügt wurde.

 

V.sah nur zu gut ein, wie schwer es ihm werden würde, sein

Versprechen zu halten. Er hatte alle Briefschaften des alten Roderich

durchstöbert, ohne die Spur eines Briefes oder sonst eines Aufsatzes

zu finden, der Bezug auf jenes Verhältnis Wolfgangs mit dem Fräulein

von St. Val gehabt hätte. Gedankenvoll saß er in R..sitten in dem

Schlafkabinett des alten Roderich, das er ganz durchsucht, und

arbeitete an einem Aufsatze für den Notar in Genf, der ihm als ein

scharfsinniger tätiger Mann empfohlen worden, und der ihm einige

Notizen schaffen sollte, die die Sache des jungen Freiherrn ins klare

bringen konnten.

 

Es war Mitternacht worden, der Vollmond schien heil hinein in den

anstoßenden Saal, dessen Tür offen stand. Da war es, als schritte

jemand langsam und schwer die Treppe herauf und klirre und klappere

mit Schlüsseln. V. wurde aufmerksam, er stand auf, ging in den Saal

und vernahm nun deutlich, daß jemand sich durch den Flur der Türe des

Saals nahte. Bald darauf wurde diese geöffnet, und ein Mensch mit

leichenblassem entstellten Antlitz, in Nachtkleidern, in der einen

Hand den Armleuchter mit brennenden Kerzen, in der andern den großen

Schlüsselbund, trat langsam hinein.

 

V. erkannte augenblicklich den Hausverwalter und war im Begriff,

ihm zuzurufen, was er so spät in der Nacht wolle, als ihn in dem

ganzen Wesen des Alten, in dem zum Tode erstarrten Antlitz etwas

Unheimliches, Gespenstisches mit Eiskälte anhauchte. Er erkannte, daß

er einen Nachtwandler vor sich habe. Der Alte ging mit gemessenen

Schritten quer durch den Saal, gerade los auf die vermauerte Tür, die

ehemals zum Turm führte. Dicht vor derselben blieb er stehen und stieß

aus tiefer Brust einen heulenden Laut aus, der so entsetzlich in dem

ganzen Saale widerhallte, daß V. erbebte vor Grauen.

 

Dann, den Armleuchter auf den Fußboden gestellt, den Schlüsselbund an

den Gürtel gehängt, fing Daniel an, mit beiden Händen an der Mauer zu

kratzen, daß bald das Blut unter den Nägeln hervorquoll, und dabei

stöhnte er und ächzte, wie gepeinigt von einer namenlosen Todesqual.

Nun legte er das Ohr an die Mauer, als wolle er irgend etwas

erlauschen, dann winkte er mit der Hand, wie jemanden beschwichtigend,

bückte sich, den Armleuchter wieder vom Boden aufhebend, und schlich

mit leisen gemessenen Schritten nach der Türe zurück.

 

V. folgte ihm behutsam mit dem Leuchter in der Hand. Es ging die

Treppe herab, der Alte schloß die große Haupttür des Schlosses auf, V.

schlüpfte geschickt hindurch; nun begab er sich nach dem Stall, und

nachdem er zu V.s tiefem Erstaunen den Armleuchter so geschickt

hingestellt hatte, daß das ganze Gebäude genugsam erhellt wurde ohne

irgendeine Gefahr, holte er Sattel und Zeug herbei und rüstete mit

großer Sorglichkeit, den Gurt fest-, die Steigbügel hinaufschnallend,

ein Pferd aus, das er losgebunden von der Krippe.

 

Nachdem er noch ein Büschel Haare über den Stirnriemen weg durch die

Hand gezogen, nahm er, mit der Zunge schnalzend und mit der einen Hand

ihm den Hals klopfend, das Pferd beim Zügel und führte es heraus.

Draußen im Hofe blieb er einige Sekunden stehen in der Stellung, als

erhalte er Befehle, die er kopfnickend auszuführen versprach. Dann

führte er das Pferd zurück in den Stall, sattelte es wieder ab und

band es an die Krippe. Nun nahm er den Armleuchter, verschloß den

Stall, kehrte in das Schloß zurück und verschwand endlich in sein

Zimmer, das er sorgfältig verriegelte.

 

V. fühlte sich von diesem Auftritt im Innerstein ergriffen, die

Ahnung einer entsetzlichen Tat erhob sich vor ihm wie ein schwarzes

höllisches Gespenst, das ihn nicht mehr verließ. Ganz erfüllt von

der bedrohlichen Lage seines Schützlings, glaubte er wenigstens das,

was er gesehen, nützen zu müssen zu seinem Besten. Andern Tages, es

wollte schon die Dämmerung einbrechen, kam Daniel in sein Zimmer, um

irgendeine sich auf den Hausstand beziehende Anweisung einzuholen.

 

Da faßte ihn V. bei beiden Armen und fing an, indem er ihn zutraulich

auf den Sessel niederdrückte: »Höre, alter Freund Daniel! lange habe

ich dich fragen wollen, was hältst du denn von dem verworrenen Kram,

den uns Huberts sonderbares Testament über den Hals gebracht hat?

Glaubst du denn wohl, daß der junge Mensch wirklich Wolfgangs in

rechtsgültiger Ehe erzeugter Sohn ist?« Der Alte, sich über die Lehne

des Stuhls wegbeugend und V.s starr auf ihn gerichteten Blicken

ausweichend, rief mürrisch: »Pah! er kann es sein; er kann es auch

nicht sein. Was schiert's mich, mag nun hier Herr werden, wer da

will.«

 

»Aber ich meine«, fuhr V. fort, indem er dem Alten näher rückte und

die Hand auf seine Schulter legte, »aber ich meine, da du des alten

Freiherrn ganzes Vertrauen hattest, so verschwieg er dir gewiß nicht

die Verhältnisse seiner Söhne. Er erzählte dir von dem Bündnis, das

Wolfgang wider seinen Willen geschlossen?« - »Ich kann mich auf

dergleichen gar nicht besinnen«, erwiderte der Alte, indem er auf

eingezogene Art laut gähnte. »Du bist schläfrig, Alter«, sprach V.,

»hast du vielleicht eine unruhige Nacht gehabt?« - »Daß ich nicht

wüßte«, entgegnete der Alte frostig, »aber ich will nun gehen und das

Abendessen bestellen.«

 

Hiermit erhob er sich schwerfällig vom Stuhl, indem er sich den

gekrümmten Rücken rieb und abermals und zwar noch lauter gähnte als

zuvor. »Bleibe doch noch, Alter«, rief V., indem er ihn bei der Hand

ergriff und zum Sitzen nötigen wollte, der Alte blieb aber vor dem

Arbeitstisch stehen, auf den er sich mit beiden Händen stemmte, den

Leib übergebogen nach V. hin, und mürrisch fragend: »Nun was soll's

denn, was schiert mich das Testament, was schiert mich der Streit um

das Majorat« »Davon«, fiel ihm V. in die Rede, »wollen wir auch gar

nicht mehr sprechen: von ganz etwas anderm, lieber Daniel! - Du bist

mürrisch, du gähnst, das alles zeugt von besonderer Abspannung, und

nun möcht' ich beinahe glauben, daß du es wirklich gewesen bist in

dieser Nacht.« »Was bin ich gewesen in dieser Nacht«, frug der Alte,

in seiner Stellung verharrend. »Als ich« sprach V. weiter, »gestern

mitternacht dort oben in dem Kabinett des alten Herrn neben dem großen

Saal saß, kamst du zur Türe herein, ganz starr und bleich, schrittest

auf die zugemauerte Tür los, kratztest mit beiden Händen an der Mauer

und stöhntest, als wenn du große Qualen empfändest. Bist du denn ein

Nachtwandler, Daniel?«

 

Der Alte sank zurück in den Stuhl, den ihm V. schnell unterschob. Er

gab keinen Laut von sich, die tiefe Dämmerung ließ sein Gesicht nicht

erkennen, V. bemerkte nur, daß er kurz Atem holte und mit den Zähnen

klapperte.

 

»Ja«, fuhr V. nach kurzem Schweigen fort, »Ja, es ist ein eignes Ding

mit den Nachtwandlern. Andern Tages wissen sie von diesem sonderbaren

Zustande, von allem, was sie wie in vollem Wachen begonnen haben,

nicht das allermindeste.« - Daniel blieb still. »Ähnliches«, sprach V.

weiter, »wie gestern mit dir, habe ich schon erlebt. Ich hatte einen

Freund, der stellte so wie du, trat der Vollmond ein, regelmäßig

nächtliche Wanderungen an. Ja, manchmal setzte er sich hin und schrieb

Briefe. Am merkwürdigsten war es aber, daß, fing ich an, ihm ganz

leise ins Ohr zu flüstern, es mir bald gelang ihn zum Sprechen zu

bringen. Er antwortete gehörig auf alle Fragen, und selbst das, was er

im Wachen sorglich verschwiegen haben würde, floß nun unwillkürlich,

als könne er der Kraft nicht widerstehen, die auf ihn einwirkte, von

seinen Lippen. - Der Teufel! ich glaube, verschwiege ein Mondsüchtiger

irgendeine begangene Untat noch so lange, man könnte sie ihm abfragen

in dem seltsamen Zustande. - Wohl dem, der ein reines Gewissen hat,

wie wir beide, guter Daniel, wir können schon immer Nachtwandler sein,

uns wird man kein Verbrechen abfragen.

 

Aber höre, Daniel, gewiß willst du herauf in den astronomischen Turm,

wenn du so abscheulich an der zugemauerten Türe kratzest? - Du willst

gewiß laborieren wie der alte Roderich? Nun, das werd' ich dir

nächstens abfragen!« Der Alte hatte, während V. dieses sprach, immer

stärker und stärker gezittert, jetzt flog sein ganzer Körper, von

heillosem Krampf hin- und hergeworfen, und er brach aus in ein

gellendes, unverständiges Geplapper. V. schellte die Diener herauf.

Man brachte Lichter, der Alte ließ nicht nach, wie ein willkürlos

bewegtes Automat hob man ihn auf und brachte ihn ins Bette. Nachdem

beinahe eine Stunde dieser heillose Zustand gedauert, verfiel er in

tiefer Ohnmacht ähnlichen Schlaf. Als er erwachte, verlangte er Wein

zu trinken, und als man ihm diesen gereicht, trieb er den Diener, der

bei ihm wachen wollte, fort und verschloß sich, wie gewöhnlich, in

sein Zimmer.

 

V. hatte wirklich beschlossen, den Versuch anzustellen, in dem

Augenblick, als er davon gegen Daniel sprach, wiewohl er sich selbst

gestehen mußte, einmal, daß Daniel, vielleicht erst jetzt von seiner

Mondsucht unterrichtet, alles anwenden werde, ihm zu entgehen, dann

aber, daß Geständnisse, in diesem Zustande abgelegt, eben nicht

geeignet sein würden, darauf weiter fortzubauen. Demunerachtet begab

er sich gegen Mitternacht in den Saal, hoffend, daß Daniel, wie es

in dieser Krankheit geschieht, gezwungen werden würde, willkürlos zu

handeln.

 

Um Mitternacht erhob sich ein großer Lärm auf dem Hofe. V. hörte

deutlich ein Fenster einschlagen, er eilte berab, und als er die Gänge

durchschritt, wallte ihm ein stinkender Dampf entgegen, der, wie

er bald gewahrte, aus dem geöffneten Zimmer des Hausverwalters

herausquoll. Diesen brachte man eben todstarr herausgetragen, um ihn

in einem andern Zimmer ins Bette zu legen. Um Mitternacht wurde ein

Knecht, so erzählten die Diener, durch ein seltsames dumpfes Pochen

geweckt, er glaubte, dem Alten sei etwas zugestoßen, und schickte sich

an aufzustehen, um ihm zu Hülfe zu kommen, als der Wächter auf dem

Hofe laut rief: »Feuer, Feuer! in der Stube des Herrn Verwalters

brennt's lichterloh!«

 

Auf dies Geschrei waren gleich mehrere Diener bei der Hand, aber alles

Mühen, die Tür des Zimmers einzubrechen, blieb umsonst. Nun eilten

sie heraus auf den Hof, aber der entschlossene Wächter hatte schon

das Fenster des niedrigen, im Erdgeschosse befindlichen Zimmers

eingeschlagen die brennenden Gardinen herabgerissen, worauf ein paar

hineingegossene Eimer Wasser den Brand augenblicklich löschten. Den

Hausverwalter fand man mitten im Zimmer auf der Erde liegend in tiefer

Ohnmacht. Er hielt noch fest den Armleuchter in der Hand, dessen

brennende Kerzen die Gardinen erfaßt und so das Feuer veranlaßt

hatten. Brennende herabfallende Lappen hatten dem Alten die

Augenbrauen und ein gut Teil Kopfhaare weggesengt. Bemerkte der

Wächter nicht das Feuer, so hätte der Alte hülflos verbrennen müssen.

Zu nicht geringer Verwunderung fanden die Diener, daß die Tür des

Zimmers von innen durch zwei ganz neu angeschrobene Riegel, die noch

den Abend vorher nicht dagewesen, verwahrt war.

 

V. sah ein, daß der Alte sich hatte das Hinausschreiten aus dem Zimmer

unmöglich machen wollen, widerstehen konnt er dem blinden Triebe

nicht. Der Alte verfiel in eine ernste Krankheit; er sprach nicht, er

nahm nur wenig Nahrung zu sich und starrte, wie festgeklammert von

einem entsetzlichen Gedanken, mit Blicken, in denen sich der Tod

malte, vor sich hin. V. glaubte, daß der Alte von dem Lager nicht

erstehen werde.

 

Alles, was sich für seinen Schützling tun ließ, hatte V. getan, er

mußte ruhig den Erfolg abwarten und wollte deshalb nach K. zurück. Die

Abreise war für den folgenden Morgen bestimmt. V. packte spät abends

seine Skripturen zusammen, da fiel ihm ein kleines Paket in die

Hände, welches ihm der Freiherr Hubert von R. versiegelt und mit der

Aufschrift: »Nach Eröffnung meines Testaments zu lesen« zugestellt und

das er unbegreiflicherweise noch nicht beobachtet hatte. Er war im

Begriff dieses Paket zu entsiegeln, als die Tür aufging und mit leisen

gespenstischen Schritten Daniel hereintrat. Er legte eine schwarze

Mappe, die er unter dem Arm trug, auf den Schreibtisch, dann mit einem

tiefen Todesseufzer auf beide Knie sinkend, V.s Hände mit den seinen

krampfhaft fassend, sprach er hohl und dumpf, wie aus tiefem Grabe:

»Auf dem Schafott stürb' ich nicht gern! der dort oben richtet!« -

dann richtete er sich unter angstvollem Keuchen mühsam auf und verließ

das Zimmer, wie er gekommen.

 

V. brachte die ganze Nacht hin, alles das zu lesen, was die schwarze

Mappe und Huberts Paket enthielt. Beides hing genau zusammen und

bestimmte von selbst die weitern Maßregeln, die nun zu ergreifen.

Sowie V. in K. angekommen, begab er sich zum Freiherrn Hubert von

R., der ihn mit rauhem Stolz empfing. Die merkwürdige Folge einer

Unterredung, welche mittags anfing und bis spät in die Nacht hinein

ununterbrochen fortdauerte, war aber, daß der Freiherr andern Tages

vor Gericht erklärte, daß er den Prätendenten des Majorats dem

Testamente seines Vaters gemäß für den in rechtsgültiger Ehe von dem

ältesten Sohn des Freiherrn Roderich von R., Wolfgang von R., mit dem

Fräulein Julie von St. Val erzeugten Sohn, mithin für den rechtgültig

legitimierten Majoratserben anerkenne. Als er von dem Gerichtssaal

herabstieg, stand sein Wagen mit Postpferden vor der Türe, er reiste

schnell ab und ließ Mutter und Schwester zurück. Sie würden ihn

vielleicht nie wiedersehen, hatte er ihnen mit andern rätselhaften

Äußerungen geschrieben.

 

Roderichs Erstaunen über diese Wendung, die die Sache nahm, war nicht

gering, er drang in V. ihm doch nur zu erklären, wie dies Wunder habe

bewirkt werden können, welche geheimnisvolle Macht im Spiele sei. V.

vertröstete ihn indessen auf künftige Zeiten, und zwar, wenn er Besitz

genommen haben würde von dem Majorat. Die Übergabe des Majorats

konnte nämlich deshalb nicht geschehen, weil nun die Gerichte, nicht

befriedigt durch jene Erklärung Huberts, außerdem die vollständige

Legitimation Roderichs verlangten. V. bot dem Freiherrn die Wohnung in

R..sitten an und setzte hinzu, daß Huberts Mutter und Schwester, durch

seine schnelle Abreise in augenblickliche Verlegenheit gesetzt, den

stillen Aufenthalt auf dem Stammgute der geräuschvollen teuren Stadt

vorziehen würden.

 

Das Entzücken, womit Roderich den Gedanken ergriff, mit der Baronin

und ihrer Tochter wenigstens eine Zeitlang unter einem Dache zu

wohnen, bewies, welchen tiefen Eindruck Seraphine, das holde, anmutige

Kind, auf ihn gemacht hatte. In der Tat wußte der Freiherr seinen

Aufenthalt in R..sitten so gut zu benutzen, daß er, wenige Wocben

waren vergangen, Seraphinens innige Liebe und der Mutter beifällig

Wort zur Verbindung mit ihr gewonnen hatte.

 

Dem V. war das alles zu schnell, da bis jetzt Roderichs Legitimation

als Majoratsherr von R..sitten noch immer zweifelhaft geblieben.

Briefe aus Kurland unterbrachen das Idyllenleben auf dem Schlosse.

Hubert hatte sich gar nicht auf den Gütern sehen lassen, sondern war

unmittelbar nach Petersburg gegangen, dort in Militärdienste getreten

und stand jetzt auf dem Felde gegen die Perser, mit denen Rußland

gerade im Kriege begriffen. Dies machte die schnelle Abreise der

Baronin mit ihrer Tochter nach den Gütern, wo Unordnung und Verwirrung

herrschte, nötig.

 

Roderich, der sich schon als den aufgenommenen Sohn betrachtete,

unterließ nicht die Geliebte zu begleiten, und so wurde, da V.

ebenfalls nach K. zurückkehrte, das Schloß einsam, wie vorher. Des

Hausverwalters böse Krankheit wurde schlimmer und schlimmer, so daß

er nicht mehr daraus zu erstehen glaubte, sein Amt wurde einem alten

Jäger, Wolfgangs treuem Diener, Franz geheißen, übertragen. Endlich

nach langem Harren erhielt V. die günstigsten Nachrichten aus der

Schweiz. Der Pfarrer, der Wolfgangs Trauung vollzogen, war längst

gestorben, indessen fand sich in dem Kirchenbuche von seiner Hand

notiert, daß derjenige, den er unter dem Namen Born mit dem Fräulein

Julie St. Val ehelich verbunden, sich bei ihm als Freiherr Wolfgang

von R., ältesten Sohn des Freiherrn Roderich von R. auf R..sitten,

vollständig legitimiert habe.

 

Außerdem wurden noch zwei Trauzeugen, ein Kaufmann in Genf und ein

alter französischer Kapitän, der nach Lyon gezogen, ausgemittelt,

denen Wolfgang ebenfalls sich entdeckt hatte, und ihre eidlichen

Aussagen bekräftigten den Vermerk des Pfarrers im Kirchenbuche.

Mit den in rechtlicher Form ausgefertigten Verhandlungen in der

Hand, fuhrte nun V. den vollständigen Nachweis der Rechte seines

Machtgebers, und nichts stand der Übergabe des Majorats im Wege, die

im künftigen Herbst erfolgen sollte. Hubert war gleich in der ersten

Schlacht, der er beiwohnte, geblieben, ihn hatte das Schicksal seines

jüngern Bruders, der ein Jahr vor seines Vaters Tode ebenfalls im

Felde blieb, getroffen; so fielen die Güter in Kurland der Baronesse

Seraphine von R. zu und wurden eine schöne Mitgift für den

überglücklichen Roderich.

 

Der November war angebrochen, als die Baronin, Roderich mit seiner

Braut in R..sitten anlangte. Die Übergabe des Majorats erfolgte und

dann Roderichs Verbindung mit Seraphinen. Manche Woche verging im

Taumel der Lust, bis endlich die übersättigten Gäste nach und nach das

Schloß verließen zur großen Zufriedenheit V.s, der von R..sitten nicht

scheiden wollte, ohne den jungen Majoratsherrn auf das genaueste

einzuweihen in alle Verhältnisse des neuen Besitztums.

 

Mit der strengsten Genauigkeit hatte Roderichs Oheim die Rechnungen

über Einnahme und Ausgabe geführt, so daß, da Roderich nur eine

geringe Summe jährlich zu seinem Unterhalt bekam, durch die

Überschüsse der Einnahme jenes bares Kapital, das man in des alten

Freiherrn Nachlaß vorfand, einen bedeutenden Zuschuß erhielt. Nur in

den ersten drei Jahren hatte Hubert die Einkünfte des Majorats in

seinen Nutzen verwandt, darüber aber ein Schuldinstrument ausgestellt

und es auf den ihm zustehenden Anteil der Güter in Kurland versichern

lassen.

 

V. hatte seit der Zeit, als ihm Daniel als Nachtwandler erschien, das

Schlafgemach des alten Roderich zu seinem Wohnzimmer gewählt, um desto

sicherer das erlauschen zu können, was ihm Daniel nachher freiwillig

offenbarte. So kam es, daß dies Gemach und der anstoßende große Saal

der Ort blieb, wo der Freiherr mit V. im Geschäft zusammenkam. Da

saßen nun beide beim hellodernden Kaminfeuer an dem großen Tische, V.

mit der Feder in der Hand, die Summen notierend und den Reichtum des

Majoratsherrn berechnend, dieser mit aufgestemmtem Arm hineinblinzelnd

in die aufgeschlagenen Rechnungsbücher, in die gewichtigen Dokumente.

 

Keiner vernahm das dumpfe Brausen der See, das Angstgeschrei der

Möwen, die, das Unwetter verkündend, im Hin- und Herflattern an

die Fensterscheiben schlugen, keiner achtete des Sturms, der, um

Mitternacht heraufgekommen, in wildem Tosen das Schloß durchsauste, so

daß alle Unkenstimmen in den Kaminen, in den engen Gängen erwachten

und widerlich durcheinander pfiffen und heulten. Als endlich nach

einem Windstoß, vor dem der ganze Bau erdröhnte, plötzlich der ganze

Saal im düstern Feuer des Vollmonds stand, rief V.: »Ein böses

Wetter!«

 

Der Freiherr, ganz vertieft in die Aussicht des Reichtums, der ihm

zugefallen, erwiderte gleichgültig, indem er mit zufriedenem Lächeln

ein Blatt des Einnahmebuchs umschlug: »In der Tat, sehr stürmisch.«

Aber wie fuhr er, von der eisigen Faust des Schreckens berührt, in die

Höhe, als die Tür des Saals aufsprang und eine bleiche, gespenstische

Gestalt sichtbar wurde, die, den Tod im Antlitz, hineinschritt.

Daniel, den V. so wie jedermann in tiefer Krankheit ohnmächtig

daliegend, nicht für fähig hielt ein Glied zu rühren, war es, der,

abermals von der Mondsucht befallen, seine nächtliche Wanderung

begonnen.

 

Lautlos starrte der Freiherr den Alten an, als dieser nun aber unter

angstvollen Seufzern der Todesqual an der Wand kratzte, da faßte

den Freiherrn tiefes Entsetzen. Bleich im Gesicht wie der Tod, mit

emporgesträubtem Haar sprang er auf, schritt in bedrohlicher Stellung

zu auf den Alten und rief mit starker Stimme, daß der Saal dröhnte:

»Daniel! Daniel! was machst du hier zu dieser Stunde!« Da stieß der

Alte jenes grauenvolle heulende Gewimmer aus, gleich dem Todeslaut des

getroffenen Tiers, wie damals, als ihm Wolfgang Gold für seine Treue

bot, und sank zusammen.

 

V. rief die Bedienten herbei, man hob den Alten auf, alle Versuche,

ihn zu beleben, blieben vergebens. Da schrie der Freiherr wie außer

sich: »Herr Gott! - Herr Gott! habe ich denn nicht gehört, daß

Nachtwandler auf der Stelle des Todes sein können, wenn man sie beim

Namen ruft? Ich! - Ich Unglückseligster - ich habe den armen Greis

erschlagen! - Zeit meines Lebens habe ich keine ruhige Stunde mehr!«

 

V., als die Bedienten den Leichnam fortgetragen und der Saal leer

geworden, nahm den immerfort sich anklagenden Freiherrn bei der Hand,

führte ihn in tiefem Schweigen vor die zugemaurte Tür und sprach:

»Der hier tot zu Ihren Füßen niedersank, Freiherr Roderich, war der

verruchte Mörder Ihres Vaters!« Als säh' er Geister der Hölle, starrte

der Freiherr den V. an. Dieser fuhr fort: »Es ist nun wohl an der

Zeit, Ihnen das gräßliche Geheimnis zu enthüllen, das auf diesem

Unhold lastete und ihn, den Fluchbeladenen, in den Stunden des Schlafs

umhertrieb. Die ewige Macht ließ den Sohn Rache nehmen an dem Mörder

des Vaters. Die Worte, die Sie dem entsetzlichen Nachtwandler in

die Ohren donnerten, waren die letzten, die Ihr unglücklicher Vater

sprach!«

 

Bebend, unfähig, ein Wort zu sprechen, hatte der Freiherr neben V.,

der sich vor den Kamin setzte, Platz genommen. V. fing mit dem Inhalt

des Aufsatzes an, den Hubert für V. zurückgelassen und den er erst

nach Eröffnung des Testaments entsiegeln sollte. Hubert klagte sich

mit Ausdrücken, die von der tiefsten Reue zeigten, des unversöhnlichen

Hasses an, der in ihm gegen den ältern Bruder Wurzel faßte von dem

Augenblick, als der alte Roderich das Majorat gestiftet hatte. Jede

Waffe war ihm entrissen, denn wär' es ihm auch gelungen auf hämische

Weise, den Sohn mit dem Vater zu entzweien, so blieb dies ohne

Wirkung, da Roderich selbst nicht ermächtigt war, dem ältesten Sohn

die Rechte der Erstgeburt zu entreißen, und es, wandte sich auch sein

Herz und Sinn ganz ab von ihm, doch nach seinen Grundsätzen nimmermehr

getan hätte.

 

Erst als Wolfgang in Genf das Liebesverhältnis mit Julien von St.

Val begonnen, glaubte Hubert den Bruder verderben zu können. Da fing

die Zeit an, in der er im Einverständnisse mit Daniel auf bübische

Weise den Alten zu Entschlüssen nötigen wollte, die den Sohn zur

Verzweiflung bringen mußten.

 

Er wußte, daß nur die Verbindung mit einer der ältesten Familien des

Vaterlandes nach dem Sinn des alten Roderich den Glanz des Majorats

auf ewige Zeiten begründen konnte. Der Alte hatte diese Verbindung

in den Gestirnen gelesen, und jedes freveliche Zerstören der

Konstellation konnte nur Verderben bringen über die Stiftung.

Wolfgangs Verbindung mit Julien erschien in dieser Art dem Alten ein

verbrecherisches Attentat, wider Beschlüsse der Macht gerichtet, die

ihm beigestanden im irdischen Beginnen, und jeder Anschlag, Julien,

die wie ein dämonisches Prinzip sich ihm entgegengeworfen, zu

verderben, gerechtfertigt.

 

Hubert kannte des Bruders an Wahnsinn streifende Liebe zu Julien, ihr

Verlust müßte ihn elend machen, vielleicht töten, und um so lieber

wurde er tätiger Helfershelfer bei den Plänen des Alten, als er selbst

sträfliche Neigung zu Julien gefaßt und sie für sich zu gewinnen

hoffte. Eine besondere Schickung des Himmels wollt' es, daß die

giftigsten Anschläge an Wolfgangs Entschlossenheit scheiterten, ja

daß es ihm gelang, den Bruder zu täuschen. Für Hubert blieb Wolfgangs

wirklich vollzogene Ehe sowie die Geburt eines Sohnes ein Geheimnis.

 

Mit der Vorahnung des nahen Todes kam dem alten Roderich zugleich der

Gedanke, daß Wolfgang jene ihm feindliche Julie geheiratet habe, in

dem Briefe, der dem Sohn befahl, am bestimmten Tage nach R..sitten zu

kommen, um das Majorat anzutreten, fluchte er ihm, wenn er nicht jene

Verbindung zerreißen werde. Diesen Brief verbrannte Wolfgang bei der

Leiche des Vaters.

 

An Hubert schrieb der Alte, daß Wolfgang Julien geheiratet habe, er

werde aber diese Verbindung zerreißen. Hubert hielt dies für die

Einbildung des träumerischen Vaters, erschrak aber nicht wenig, als

Wolfgang in R..sitten selbst mit vieler Freimütigkeit die Ahnung des

Alten nicht allein bestätigte, sondern auch hinzufügte, daß Julie ihm

einen Sohn geboren, und daß er nun in kurzer Zeit Julien, die ihn bis

jetzt für den Kaufmann Born aus M. gehalten, mit der Nachricht seines

Standes und seines reichen Besitztums hoch erfreuen werde. Selbst

wolle er hin nach Genf, um das geliebte Weib zu holen.

 

Noch ehe er diesen Entschluß ausführen konnte, ereilte ihn der Tod.

Hubert verschwieg sorglich, was ihm von dem Dasein eines in der Ehe

mit Julien erzeugten Sohnes bekannt, und riß so das Majorat an sich,

das diesem gebührte. Doch nur wenige Jahre waren vergangen, als ihn

tiefe Reue ergriff. Das Schicksal mahnte ihn an seine Schuld auf

fürchterliche Weise durch den Haß, der zwischen seinen beiden Söhnen

mehr und mehr emporkeimte. »Du bist ein armer dürftiger Schlucker«,

sagte der älteste, ein zwölfjähriger Knabe, zu dem jüngsten, »aber ich

werde, wenn der Vater stirbt, Majoratsherr von R..sitten, und da mußt

du demütig sein und mir die Hand küssen, wenn ich dir Geld geben soll

zum neuen Rock.« - Der jüngste, in volle Wut geraten über des Bruders

höhnenden Stolz, warf das Messer, das er gerade in der Hand hatte,

nach ihm hin und traf ihn beinahe zum Tode.

 

Hubert, großes Unglück fürchtend, schickte den jüngsten fort nach

Petersburg, wo er später als Offizier unter Suwarow wider die

Franzosen focht und blieb. Vor der Welt das Geheimnis seines

unredlichen betrügerischen Besitzes kundzutun, davon hielt ihn die

Scham, die Schande, die über ihn gekommen, zurück, aber entziehen

wollte er dem rechtmäßigen Besitzer keinen Groschen mehr. Er zog

Erkundigungen ein in Genf und erfuhr, daß die Frau Born, trostlos über

das unbegreifliche Verschwinden ihres Mannes gestorben, daß aber der

junge Roderich Born von einem wackern Mann, der ihn aufgenommen,

erzogen werde. Da kündigte sich Hubert unter fremdem Namen als

Verwandter des auf der See umgekommenen Kaufmann Born an und schickte

Summen ein, die hinreichten, den jungen Majoratsherrn sorglich und

anständig zu erziehn.

 

Wie er die Überschüsse der Einkünfte des Majorats sorgfältig sammelte;

wie er dann testamentarisch verfügte, ist bekannt. Über den Tod seines

Bruders sprach Hubert in sonderbaren rätselhaften Ausdrücken, die

so viel erraten ließen, daß es damit eine geheimnisvolle Bewandtnis

haben mußte, und daß Hubert wenigstens mittelbar teilnahm an einer

gräßlichen Tat. Der Inhalt der schwarzen Mappe klärte alles auf. Der

verräterischen Korrespondenz Huberts mit Daniel lag ein Blatt bei, das

Daniel beschrieben und unterschrieben hatte. V. las ein Geständnis,

vor dem sein Innerstes erbebte.

 

Auf Daniels Veranlassung war Hubert nach R..sitten gekommen,

Daniel war es, der ihm von den gefundenen einhundertfünfzigtausend

Reichstalern geschrieben. Man weiß, wie Hubert von dem Bruder

aufgenommen wurde, wie er, getäuscht in allen seinen Wünschen und

Hoffnungen, fort wollte, wie ihn V. zurückhielt. In Daniels Innerm

kochte blutige Rache, die er zu nehmen hatte an dem jungen Menschen,

der ihn ausstoßen wollen wie einen räudigen Hund. Der schürte und

schürte an dem Brande, von dem der verzweifelnde Hubert verzehrt

wurde. Im Föhrenwalde auf der Wolfsjagd, im Sturm und Schneegestöber

wurden sie einig über Wolfgangs Verderben. »Wegschaffen« murmelte

Hubert, indem er seitwärts wegblickte und die Büchse anlegte. »Ja,

wegschaffen,« grinste Daniel, »aber nicht so, nicht so.«

 

Nun vermaß er sich hoch und teuer, er werde den Freiherrn ermorden,

und kein Hahn solle darnach krähen. Hubert, als er endlich Geld

erhalten, tat der Anschlag leid, er wollte fort, um jeder weitern

Versuchung zu widerstehen. Daniel selbst sattelte in der Nacht

das Pferd und führte es aus dem Stalle, als aber der Baron sich

aufschwingen wollte, sprach Daniel mit schneidender Stimme: »Ich

dächte, Freiherr Hubert, du bliebst auf dem Majorat, das dir in

diesem Augenblick zugefallen, denn der stolze Majoratsherr liegt

zerschmettert in der Gruft des Turms!«

 

Daniel hatte beobachtet, daß, von Golddurst geplagt, Wolfgang oft in

der Nacht aufstand, vor die Tür trat, die sonst zum Turme führte, und

mit sehnsüchtigen Blicken hinabschaute in die Tiefe, die nach Daniels

Versicherung noch bedeutende Schätze bergen sollte. Darauf gefaßt,

stand in jener verhängnisvollen Nacht Daniel vor der Türe des Saals.

Sowie er den Freiherrn die zum Turm führende Tür öffnen hörte, trat er

hinein und dem Freiherrn nach, der dicht an dem Abgrunde stand. Der

Freiherr drehte sich um und rief, als er den verruchten Diener, dem

der Mord schon aus den Augen blitzte, gewahrte, entsetzt: »Daniel,

Daniel, was machst du hier zu dieser Stunde!«

 

Aber da kreischte Daniel wild auf: »Hinab mit dir, du räudiger Hund«

und schleuderte mit einem kräftigen Fußstoß den Unglücklichen hinunter

in die Tiefe! - Ganz erschüttert von der gräßlichen Untat, fand der

Freiherr keine Ruhe auf dem Schlosse, wo sein Vater ermordet. Er ging

auf seine Güter nach Kurland und kam nur jedes Jahr zur Herbstzeit

nach R..sitten. Franz, der alte Franz, behauptete, daß Daniel, dessen

Verbrechen er ahnde, noch oft zur Zeit des Vollmonds spuke, und

beschrieb den Spuk gerade so, wie ihn V. später erfuhr und bannte. Die

Entdeckung dieser Umstände, welche das Andenken des Vaters schändeten,

trieben auch den jungen Freiherrn Hubert fort in die Welt.

 

So hatte der Großonkel alles erzählt, nun nahm er meine Hand und

sprach, indem ihm volle Tränen in die Augen traten, mit sehr weicher

Stimme: »- Vetter - Vetter auch sie die holde Frau, hat das böse

Verhängnis, die unheimhche Macht, die dort auf dem Stammschlosse

hauset, ereilt! Zwei Tage nachdem wir R..sitten verlassen,

veranstaltete der Freiherr zum Beschluß eine Schlittenfahrt. Er selbst

fährt seine Gemahlin, doch, als es talabwärts geht, reißen die Pferde,

plötzlich auf unbegreifliche Weise scheu geworden, aus in vollem

wütenden Schnauben und Toben. >Der Alte - der alte ist hinter uns

her<, schreit die Baronin auf mit schneidender Stimme! In dem

Augenblick wird sie durch den Stoß, der den Schatten umwirft, weit

fortgeschleudert. - Man findet sie leblos - sie ist hin! Der Freiherr

kann sich nimmer trösten, seine Ruhe ist die eines Sterbenden! Nimmer

kommen wir wieder nach R..sitten, Vetter!«

 

Der alte Großonkel schwieg, ich schied von ihm mit zerrissenem Herzen,

und nur die alles beschwichtigende Zeit konnte den tiefen Schmerz

lindern, in dem ich vergehen zu müssen glaubte.

 

Jahre waren vergangen. V. ruhte längst im Grabe, ich hatte mein

Vaterland verlassen. Da trieb mich der Sturm des Krieges, der

verwüstend über ganz Deutschland hinbrauste, in den Norden hinein,

fort nach Petersburg. Auf der Rückreise, nicht mehr weit von K., fuhr

ich in einer finstern Sommernacht dem Gestade der Ostsee entlang, als

ich vor mir am Himmel einen großen funkelnden Stern erblickte. Näher

gekommen, gewahrte ich wohl an der roten flackernden Flamme, daß das,

was ich für einen Stern gehalten, ein starkes Feuer sein müsse, ohne

zu begreifen, wie es so hoch in den Lüften schweben könne.

 

»Schwager! was ist das für ein Feuer dort vor uns?« frug ich den

Postillon. »Ei«, erwiderte dieser, »ei, das ist kein Feuer, das ist

der Leuchtturm von R..sitten.« R..sitten! sowie der Postillon den

Namen nannte, sprang in hellem Leben das Bild jener verhängnisvollen

Herbsttage hervor, die ich dort erlebte. Ich sah den Baron -

Seraphinen, aber auch die alten wunderlichen Tanten, mich selbst

mit blankem Milchgesicht, schön frisiert und gepudert, in zartes

Himmelblau gekleidet ja mich, den Verliebten, der wie ein Ofen seufzt,

mit Jammerlied auf seiner Liebsten Braue!

 

In der tiefen Wehmut, die mich durchbebte, flackerten wie bunte

Lichterchen V.s derbe Späße auf, die mir nun ergötzlicher waren als

damals. So von Schmerz und wunderbarer Lust bewegt, stieg ich am

frühen Morgen in R..sitten aus dem Wagen, der vor der Postexpedition

hielt. Ich erkannte das Haus des Ökonomieinspektors, ich frug nach

ihm. »Mit Verlaub«, sprach der Postschreiber, indem er die Pfeife aus

dem Munde nahm und an der Nachtmütze rückte, »mit Verlaub, hier ist

kein Ökonomieinspektor, es ist ein königliches Amt, und der Herr

Amtsrat belieben noch zu schlafen.«

 

Auf weiteres Fragen erfuhr ich, daß schon vor sechzehn Jahren

der Freiherr Roderich von R., der letzte Majoratsbesitzer, ohne

Deszendenten gestorben und das Majorat der Stiftungsurkunde gemäß dem

Staate anheimgefallen sei. Ich ging hinauf nach dem Schlosse, es lag

in Ruinen zusammengestürzt. Man hatte einen großen Teil der Steine zu

dem Leuchtturm benutzt, so versicherte ein alter Bauer, der aus dem

Föhrenwalde kam und mit dem ich mich ins Gespräch einließ. Der wußte

auch von dem Spuk zu erzählen, wie er auf dem Schlosse gehaust

haben sollte, und versicherte, daß noch jetzt sich oft, zumal beim

Vollmonde, grauenvolle Klagelaute in dem Gestein hören ließen.

 

Armer, alter, kurzsichtiger Roderich! Welche böse Macht beschworst du

herauf, die den Stamm, den du mit fester Wurzel für die Ewigkeit zu

pflanzen gedachtest, im ersten Aufkeimen zum Tode vergiftete.

 

 

 

Das Gelübde

 

Am Michaelistage, eben als bei den Karmelitern die Abendhora

eingeläutet wurde, fuhr ein mit vier Postpferden bespannter

stattlicher Reisewagen, donnernd und rasselnd durch die Gassen des

kleinen polnischen Grenzstädtchens L., und hielt endlich still vor der

Haustür des alten teutschen Bürgermeisters. Neugierig steckten die

Kinder die Köpfe zum Fenster heraus, aber die Hausfrau stand auf von

ihrem Sitze und rief, indem sie ganz unmutig ihr Nähzeug auf den Tisch

warf, dem Alten, der aus dem Nebenzimmer schnell eintrat, entgegen:

»Schon wieder Fremde, die unser stilles Haus für eine Gastwirtschaft

halten, das kommt aber von dem Wahrzeichen her. Warum hast du auch die

steinerne Taube über der Tür aufs neue vergolden lassen?« Der Alte

lächelte schlau und bedeutsam ohne etwas zu erwidern; im Augenblick

hatte er den Schlafrock abgeworfen, das Ehrenkleid, das vom Kirchgange

her noch wohlgebürstet über der Stuhllehne hing, angezogen, und ehe

die ganz erstaunte Frau den Mund zur Frage öffnen konnte, stand er

schon, sein Samtmützchen unterm Arm, so daß sein silberweißes Haupt

in der Dämmerung hell aufschimmerte, vor dem Kutschenschlage, den

indessen ein Diener geöffnet. Eine ältliche Frau im grauen Reisemantel

stieg aus dem Wagen, ihr folgte eine hohe jugendliche Gestalt mit

dicht verhülltem Antlitz die auf des Bürgermeisters Arm gestützt, in

das Haus hinein mehr wankte als schritt, und kaum ins Zimmer getreten,

wie halb entseelt in den Lehnstuhl sank, den die Hausfrau auf des

Alten Wink schnell herangerückt. Die ältere Frau sprach leise und sehr

wehmütig zu dem Bürgermeister: »Das arme Kind! - ich muß wohl noch

einige Augenblicke bei ihr verweilen«, damit machte sie Anstalt ihren

Reisemantel herunterzuziehen, worin ihr des Bürgermeisters ältere

Tochter beistand, so daß bald ihr Nonnengewand, sowie ein auf der

Brust funkelndes Kreuz sichtbar wurde, welches sie als Äbtissin eines

Zisterzienser Nonnenklosters darstellte. Die verhüllte Dame hatte

unterdessen nur durch ein leises, kaum vernehmbares Ächzen kund getan,

daß sie noch lebe und endlich die Hausfrau um ein Glas Wasser gebeten.

Die brachte aber allerlei stärkende Tropfen und Essenzen herbei, und

pries ihre Wunderkraft, indem sie die Dame bat, doch nur die dicken,

schweren Schleier, die ihr alles freie Atmen verhindern müßten,

abzulegen. Mit der Hand jede Annäherung der Hausfrau abwehrend, mit

allen Zeichen des Abscheues den Kopf zurückbeugend, verwarf aber die

Kranke den Vorschlag, und selbst, als sie endlich es sich gefallen

ließ, den Duft einer starken Lebensessenz einzuziehen, als sie etwas

von dem verlangten Wasser, in das die besorgte Hausfrau einige Tropfen

eines bewährten Elixiers hineingetan, genoß, tat sie alles dies unter

den Schleiern, ohne sie nur im mindesten zu lüpfen. »Ihr habt doch,

mein lieber, alter Herr!« wandte sich die Äbtissin zum Bürgermeister,

»Ihr habt doch alles so bereitet, wie es gewünscht worden?«

- »Jawohl«, erwiderte der Alte, »jawohl! ich hoffe, mein

durchlauchtigster Fürst soll mit mir zufrieden sein, so wie die Dame,

für die ich alles zu tun bereit bin, was nur in meinen Kräften steht.«

- »So laßt mich«, fuhr die Äbtissin fort, »mit meinem armen Kinde noch

einige Augenblicke allein.« Die Familie mußte das Zimmer verlassen.

Man hörte, wie die Äbtissin eifrig und salbungsvoll der Dame zusprach,

und wie diese endlich auch zu reden begann mit einem Ton, der tief bis

ins Herz drang. Ohne gerade zu horchen, blieb denn doch die Hausfrau

an der Türe des Zimmers stehen, indessen wurde italienisch gesprochen,

und selbst dies machte für sie den ganzen Auftritt geheimnisvoller und

vermehrte die Beklommenheit, welche ihr den Mund verschloß. Frau und

Tochter trieb der Alte fort, um für Wein und andere Erfrischungen zu

sorgen, er selbst ging in das Zimmer zurück. Getrösteter, gefaßter

schien die verschleierte Dame, welche mit gebeugtem Haupt und

gefalteten Händen vor der Äbtissin stand. Diese verschmähte es nicht,

etwas von den Erfrischungen anzunehmen, die ihr die Hausfrau darbot,

dann rief sie: »Nun ist es Zeit!« Die verschleierte Dame sank nieder

auf die Knie, die Äbtissin legte die Hände auf ihr Haupt und sprach

leise Gebete. Als diese geendet, schloß sie, indem häufige Tränen ihr

über die Wangen rollten, die Verschleierte in die Arme und drückte sie

heftig wie im Übermaß des Schmerzes an die Brust, dann gab sie gefaßt

und würdevoll der Familie die Benediktion und eilte, vom Alten

geleitet, rasch in den Wagen, vor dem die frisch angelegten Postpferde

laut wieherten. In vollem Juchzen und Blasen jug der Postillion durch

die Gassen zum Tore hinaus. Als nun die Hausfrau gewahrte, daß die

verschleierte Dame, für die man ein paar schwere Koffer vom Wagen

abgepackt und hineingetragen, dablieb, wohl gar auf lange Zeit

eingezogen sei, konnte sie sich gar nicht lassen vor peinlicher

Neugier und Sorge. Sie trat hinaus auf den Hausflur und dem Alten, der

eben in das Zimmer wollte, in den Weg. »Um Christus willen«, flüsterte

sie leise und ängstlich, »um Christus willen, welch einen Gast bringst

du mir ins Haus, denn du weißt doch ja von allem und hast es mir nur

verschwiegen.« - »Alles, was ich weiß, sollst du auch erfahren«,

erwiderte der Alte ganz ruhig. »Ach, ach!« fuhr die Frau noch

ängstlicher fort, »du weißt aber vielleicht nicht alles; wärst du nur

jetzt im Zimmer gewesen. Sowie die Frau Äbtissin abgefahren, mochte es

der Dame doch wohl zu beklommen werden in ihren dicken Schleiern. Sie

nahm den großen schwarzen Kreppflor, der ihr bis an die Knie reichte,

herab, und da sah ich« - »Nun was sahst du denn«, fiel der Alte der

Frau, die zitternd sich umschaute, als erblicke sie Gespenster, in die

Rede. »Nein«, sprach die Frau weiter, »die Gesichtszüge konnte ich

unter den dünnen Schleiern gar nicht deutlich erkennen, aber wohl die

Totenfarbe, ach die greuliche Totenfarbe. Aber nun Alter, nun merk

auf: deutlich, nur zu deutlich, ganz sonnenklar liegt's am Tage,

daß die Dame guter Hoffnung ist. In wenigen Wochen kommt sie ins

Kindbett.« - »Das weiß ich ja, Frau«, sprach der Alte ganz mürrisch,

»und damit du nur nicht umkommen mögest vor Neugier und Unruhe, will

ich dir mit zwei Worten alles erklären. Wisse also, daß Fürst Z.,

unser hoher Gönner, mir vor einigen Wochen schrieb, die Äbtissin des

Zisterzienserklosters in O. werde mir eine Dame bringen, die ich bei

mir in meinem Hause aufnehmen solle, in aller Stille, jedes Aufsehen

sorglich vermeidend. Die Dame, welche nicht anders genannt sein

wolle, als schlechtweg Cölestine, werde bei mir ihre nahe Entbindung

abwarten, und dann nebst dem Kinde, das sie geboren, wieder

abgeholt werden. Füge ich nun noch hinzu, daß der Fürst mir mit den

eindringlichsten Worten die sorgsamste Pflege der Dame empfohlen und

für die ersten Auslagen und Bemühungen einen tüchtigen Beutel mit

Dukaten, den du in meiner Kommode finden und beäugeln kannst,

beigefügt hat, so werden wohl alle Bedenken aufhören.« - »So müssen

wir«, sprach die Hausfrau, »vielleicht arger Sünde, wie sie die

Vornehmen treiben, die Hand bieten.« Noch ehe der Alte darauf etwas

erwidern konnte, trat die Tochter zum Zimmer heraus, und rief ihn zur

Dame, welche sich nach Ruhe sehne und in das für sie bestimmte Gemach

geführt zu werden wünsche. Der Alte hatte die beiden Zimmerchen des

obern Stocks so gut ausschmücken lassen, als er es nur vermochte,

und war nicht wenig betreten, als Cölestine frug, ob er außer diesen

Gemächern nicht noch eins, dessen Fenster hintenheraus gingen,

besitze. Er verneinte das und fügte nur, um ganz gewissenhaft zu sein,

hinzu, daß zwar noch ein einziges Gemach mit einem Fenster nach dem

Garten heraus, vorhanden, dies dürfte aber gar kein Zimmer, sondern

nur eine schlechte Kammer genannt werden; kaum so geräumig, um ein

Bette, einen Tisch und einen Stuhl hineinzustellen, ganz einer elenden

Klosterzelle gleich. Cölestine verlangte augenblicklich, diese Kammer

zu sehen, und erklärte, kaum hineingekommen, daß eben dieses Gemach

ihren Wünschen und Bedürfnissen angemessen sei, daß sie nur in diesem

und keinem andern wohnen, und es nur dann, wenn ihr Zustand durchaus

größeren Raum und eine Krankenwärterin erfordern solle, mit einem

größern vertauschen werde. Verglich der Alte schon jetzt dieses enge

Gemach mit einer Klosterzelle, so war es andern Tages ganz dazu

geworden. Cölestine hatte ein Marienbild an die Wand geheftet und auf

den alten hölzernen Tisch, der unter dem Bilde stand, ein Kruzifix

hingestellt. Das Bette bestand in einem Strohsack und einer wollenen

Decke, und außer einem hölzernen Schemmel und noch einem kleinen

Tisch, litt Cölestine kein anderes Gerät. Die Hausfrau, ausgesöhnt

mit der Fremden durch den tiefen zehrenden Schmerz, der sich in

ihrem ganzen Wesen offenbarte, glaubte nach gewöhnlicher Weise sie

aufheitern, unterhalten zu müssen, die Fremde bat aber mit den

rührendsten Worten, eine Einsamkeit nicht zu verstören, in der allein

mit ganz der Jungfrau und den Heiligen zugewandtem Sinn sie Tröstung

finde. Jedes Tages, sowie der Morgen graute, begab sich Cölestine zu

den Karmelitern, um die Frühmesse zu hören; den übrigen Tag schien sie

unausgesetzt Andachtsübungen gewidmet zu haben, denn so oft es auch

nötig wurde sie in ihrem Zimmer aufzusuchen, fand man sie entweder

betend oder in frommen Büchern lesend. Sie verschmähte andere Speise

als Gemüse, anderes Getränk als Wasser, und nur die dringendsten

Vorstellungen des Alten, daß ihr Zustand, das Wesen, das in ihr

lebe, bessere Kost fordere, konnte sie endlich vermögen, zuweilen

Fleischbrühe und etwas Wein zu genießen. Dieses strenge klösterliche

Leben, hielt es auch jeder im Hause für die Buße begangener Sünde,

erweckte doch zu gleicher Zeit inniges Mitleiden und tiefe Ehrfurcht,

wozu denn auch der Adel ihrer Gestalt, die siegende Anmut jeder ihrer

Bewegungen nicht wenig beitrug. Was aber diesen Gefühlen für die

fremde Heilige etwas Schauerliches beimischte, war der Umstand, daß

sie die Schleier durchaus nicht ablegte, so daß keiner ihr Gesicht zu

erschauen vermochte. Niemand kam in ihre Nähe, als der Alte und der

weibliche Teil seiner Familie, und diese, niemals aus dem Städtchen

gekommen, konnten unmöglich durch das Wiedererkennen eines Gesichts,

das sie vorher nicht gesehen, dem Geheimnis auf die Spur kommen. Wozu

also die Verhüllung? - Die geschäftige Fantasie der Weiber erfand bald

ein greuliches Märchen. Ein fürchterliches Abzeichen (so lautete die

Fabel), die Spur der Teufelskralle, hatte das Gesicht der Fremden

gräßlich verzerrt, und darum die dicken Schleier. Der Alte hatte Mühe

dem Gewäsche zu steuern und zu verhindern, daß wenigstens _vor_ der Türe

seines Hauses nicht Abenteuerliches von der Fremden geschwatzt wurde,

deren Aufenthalt in des Bürgermeisters Hause freilich in der Stadt

bekannt geworden. Ihre Gänge nach dem Karmeliterkloster blieben auch

nicht unbemerkt, und bald nannte man sie des Bürgermeisters schwarze

Frau, womit freilich sich von selbst die Idee einer spukhaften

Erscheinung verband. Der Zufall wollte, daß eines Tages, als die

Tochter der Fremden die Speisen in das Zimmer brachte, der Luftstrom

den Schleier erfaßte und aufhob; mit Blitzesschnelle wandte sich die

Fremde, so daß sie sich in demselben Moment dem Blick des Mädchens

entzog. Diese kam aber erblaßt und an allen Gliedern zitternd herab.

Keine Verzerrung, aber so wie die Mutter ein totenbleiches, hatte

sie ein marmorweißes Antlitz erschaut, aus dessen tiefen Augenhöhlen

es seltsam hervorblitzte. Der Alte schob mit Recht vieles auf des

Mädchens Einbildung, aber auch ihm war es, im Grunde genommen, so

zumute wie allen; er wünschte das verstörende Wesen, trotz aller

Frömmigkeit, die es bewies, fort aus seinem Hause. Bald darauf weckte

in einer Nacht der Alte die Hausfrau und sagte ihr, daß er schon seit

einigen Minuten ein leises Wimmern und Ächzen, ein Klopfen vernehme,

das von Cölestinens Zimmer zu kommen scheine. Die Frau, von der Ahnung

ergriffen, was das sein könne, eilte hinauf. Sie fand Cölestinen,

angezogen und in ihre Schleier gewickelt, auf dem Bette halb

ohnmächtig liegen und überzeugte sich bald, daß die Niederkunft nahe

sei. Schnell traf man die längst vorbereiteten Anstalten, und in

weniger Zeit war ein gesundes holdes Knäblein geboren. Dies Ereignis,

hatte man es auch längst vorausgesehen, trat doch wie unerwartet ein,

und vernichtete in seinen Folgen das drückende unheimliche Verhältnis

mit der Fremden, welches auf der Familie schwer gelastet hatte. Der

Knabe schien, wie ein sehnender Mittler, Cölestinen dem Menschlichen

wieder näher zu bringen. Ihr Zustand litt keine strenge asketische

Übungen, und indem ihre Hülflosigkeit ihr die Menschen, welche sie mit

liebender Sorgfalt pflegten, aufnötigte, gewöhnte sie sich mehr und

mehr an ihren Umgang. Die Hausfrau dagegen, die nun die Kranke warten,

ihr selbst die nahrhafte Suppe kochen und darreichen konnte, vergaß in

dieser häuslichen Sorge alles Böse, was ihr sonst über die rätselhafte

Fremde in den Sinn gekommen. Sie dachte nicht mehr daran, daß ihr

ehrbares Haus vielleicht zum Schlupfwinkel der Schande dienen sollte.

Der Alte jubelte ganz verjüngt und hätschelte den Knaben, als sei ihm

ein Enkelkind geboren, und er, wie alle übrige, hatten sich daran

gewöhnt, daß Cölestine verschleiert blieb, ja selbst während der

Entbindung. Die Wehmutter hatte ihr schwören müssen, daß, trete ja

ein Zustand der Bewußtlosigkeit ein, doch die Schleier nicht gelüpft

werden sollten, außer von ihr, der Wehmutter selbst, im Fall der

Todesgefahr. Es war gewiß, daß die Alte Cölestinen unverschleiert

gesehen, sie sagte aber darüber nichts, als: »Die arme junge Dame

muß sich ja wohl so verhüllen« - Nach einigen Tagen erschien der

Karmelitermönch, der den Knaben getauft hatte. Seine Unterredung mit

Cölestinen, niemand durfte zugegen sein, dauerte länger als zwei

Stunden. Man hörte ihn eifrig sprechen und beten. Als er fortgegangen,

fand man Cölestinen im Lehnstuhl sitzend, auf dem Schoße den Knaben,

um dessen kleine Schultern ein Skapulier gelegt war, und der ein

Agnusdei auf der Brust trug. Wochen und Monate vergingen, ohne daß,

wie der Bürgermeister geglaubt hatte, und wie es ihm auch vom Fürsten

Z. gesagt worden, Cölestine mit dem Kinde abgeholt wurde. Sie hätte

ganz eintreten können in den friedlichen Kreis der Familie, wären die

fatalen Schleier nicht gewesen, die immer den letzten Schritt zur

freundlichen Annährung hemmten. Der Alte nahm es sich heraus, dies

der Fremden selbst freimütig zu äußern, doch als sie mit dumpfem

feierlichen Ton erwiderte: »Nur im Tode fallen diese Schleier«,

schwieg er davon und wünschte aufs neue, daß der Wagen mit der

Äbtissin erscheinen möge.

 

Der Frühling war herangekommen, von einem Spaziergange kehrte die

Familie des Bürgermeisters heim, Blumensträuße in den Händen tragend,

deren schönste der frommen Cölestine bestimmt waren. Eben als sie

ins Haus treten wollten, sprengte ein Reiter heran, eifrig nach

dem Bürgermeister fragend. Der Alte sprach, er sei selbst der

Bürgermeister und stehe vor seinem Hause. Da sprang der Reiter herab

vom Pferde, das er festband an den Pfosten und stürzte mit dem

gellenden Ruf. »Sie ist hier, sie ist hier«, ins Haus und die Treppe

herauf. Man hörte eine Tür einschlagen und Cölestinens Angstgeschrei.

Der Alte, von Entsetzen erfaßt, eilte nach. Der Reiter - wie nun

sichtlich, war ein Offizier von der französischen Jägergarde mit

vielen Orden geschmückt, hatte den Knaben aus der Wiege gerissen und

in den linken, mit dem Mantel umschlungenen Arm genommen; den rechten

hatte Cölestine erfaßt, alle Kraft aufbietend, den Räuber des Kindes

zurückzuhalten. Im Ringen riß der Offizier den Schleier herab ein

todstarres marmorweißes Antlitz, von schwarzen Locken umschattet,

blickte ihn an, glühende Strahlen aus den tiefen Augenhöhlen

schießend, während schneidende Jammertöne aus den halbgeöffneten

unbewegten Lippen quollen. Der Alte nahm wahr, daß Cölestine eine

weiße, dicht anschließende Maske trug. »Entsetzliches Weib! willst du,

daß auch mich deine Raserei ergreife?« schrie der Offizier, indem er

sich mit Gewalt losriß, so daß Cölestine zu Boden stürzte. Nun umfaßte

sie aber seine Knie, indem sie mit dem Ausdruck des unsäglichsten

Schmerzes, mit einem Ton, der das Herz durchschnitt, flehte: »Laß mir

das Kind! - o laß mir das Kind! - nicht um die ewige Seligkeit sollst

du mich bringen. - Um Christus - um der heiligen Jungfrau willen - laß

mir das Kind - laß mir das Kind.« - Und bei diesen Jammertönen regte

sich keine Muskel, regten sich nicht die Lippen des Totenantlitzes, so

daß dem Alten, der Hausfrau - allen, die ihm gefolgt, vor Grauen das

Blut in den Adern stockte! »Nein«, schrie der Offizier wie in heller

Verzweiflung, »nein, unmenschliches, unerbittliches Weib, das Herz

konntest du aus dieser Brust reißen, aber verderben sollst du nicht im

heillosen Wahnsinn das Wesen, das sich tröstend an die blutende Wunde

legt!« - Fester drückte der Offizier das Kind an sich, so daß es laut

zu weinen begann - da brach Cölestine aus in ein dumpfes Heulen:

»Rache - des Himmels Rache über dich - du Mörder!« - »Laß ab! -

laß ab - fort mit dir, du Höllenspuk!« kreischte der Offizier, und

schleuderte mit einer konvulsivischen Bewegung des Fußes Cölestinen

weit von sich, und wollte zur Türe heraus. Der Alte trat ihm in den

Weg, er riß aber schnell ein Terzerol hervor, rief, die Mündung gegen

den Alten gekehrt: »Die Kugel durch den Kopf dem, der dem Vater sein

Kind zu entreißen gedenkt«, stürzte die Treppe herab, schwang sich

aufs Pferd ohne das Kind zu lassen, und sprengte in vollem Galopp

davon. - Die Hausfrau voll Herzensangst, wie es nun um Cölestinen

stehen, und was nun mit ihr anzufangen sein würde, überwand ihr Grauen

vor der entsetzlichen Totenmaske, und eilte herauf ihr beizustehen.

Wie erstaunte sie, als sie Cölestinen mitten im Zimmer gleich einer

Statue mit herabhängenden Armen lautlos stehend fand. Sie redete sie

an, keine Antwort. Nicht vermögend den Anblick der Maske zu tragen,

hing sie ihr die Schleier um, die auf dem Boden lagen, kein Regen und

Bewegen. Cölestine war in einen automatähnlichen Zustand gesunken,

der die Hausfrau mit neuer Angst und Pein erfüllte, so daß sie ganz

inbrünstig zu Gott flehte, sie nur von dieser unheimlichen Fremden zu

befreien. Ihre Bitte wurde zur Stelle erhört, denn eben hielt derselbe

Wagen, der Cölestinen gebracht, vor der Türe. Die Äbtissin kam, mit

ihr Fürst Z. des alten Bürgermeisters hoher Gönner. Als der erfahren,

was sich soeben zugetragen, sprach er sehr mild und ruhig: »So kamen

wir zu spät, und müssen uns wohl in Gottes Fügung schicken.« Man

brachte Cölestinen herab, die sich starr und lautlos, ohne Zeichen

eignen Willens und eigner Willkür, fortführen und in den Wagen setzen

ließ, der schnell fortrollte. Dem Alten, der ganzen Familie war so

zumute, als erwachten sie nun erst aus einem bösen spukhaften Traum,

der sie sehr geängstet.

 

Bald darauf, als sich dies in dem Hause des Bürgermeisters von

L. begeben, wurde in dem Zisterzienser Nonnenkloster zu O. eine

Logenschwester mit ungewöhnlicher Feierlichkeit begraben und ein

dumpfes Gerücht ging, daß diese Logenschwester die Gräfin Hermenegilda

von C. gewesen, von der man glaubte, sie sei mit ihres Vaters

Schwester, der Fürstin von Z., nach Italien gegangen. Zur selbigen

Zeit erschien Graf Nepomuk von C., Hermenegildas Vater, in Warschau

und trat, sich nur ein kleines Gütchen in der Ukraine vorbehaltend,

seine sämtlichen übrigen beträchtlichen Besitzungen den beiden Söhnen

des Fürsten Z., seinen Neffen, vermöge eines gerichtlichen Akts ohne

Einschränkung ab. Man fragte nach der Ausstattung seiner Tochter,

da hob er den düstern tränenschweren Blick gen Himmel und sagte mit

dumpfer Stimme: »Sie ist ausgestattet!« - Er nahm gar keinen Anstand,

nicht allein jenes Gerücht von Hermenegildas Tode im Kloster zu O. zu

bestätigen, sondern auch das besondere Verhängnis zu offenbaren, das

über Hermenegilda gewaltet und sie einer duldenden Märtyrin gleich

frühzeitig in das Grab gezogen. Manche Patrioten, gebeugt, aber nicht

zerknickt durch den Fall des Vaterlandes, gedachten den Grafen aufs

neue in geheime Verbindungen zu ziehen, die die Herstellung des

polnischen Staats bezweckten, aber nicht mehr den feurigen, für

Freiheit und Vaterland beseelten Mann, der sonst zu jeder gewagten

Unternehmung mit unerschütterlichem Mute die Hand bot, fanden sie,

sondern einen ohnmächtigen, von wildem Schmerz zerrissenen Greis,

der allen Welthändeln entfremdet im Begriff stand, sich in tiefer

Einsamkeit zu vergraben. Sonst, zu jener Zeit, als nach der ersten

Teilung Polens die Insurrektion vorbereitet wurde, war des Grafen

Nepomuk von C. Stammgut der geheime Sammelplatz der Patrioten. Dort

entzündeten sich die Gemüter bei feierlichen Mahlen zum Kampf für

das gefallene Vaterland. Dort erschien wie ein Engelsbild vom Himmel

gesendet zur heiligen Weihe Hermenegilda in dem Kreise der jungen

Helden. Wie es den Frauen ihrer Nation eigen, nahm sie teil an allen,

selbst an politischen Verhandlungen und äußerte, die Lage der Dinge

wohl beachtend und erwägend, in einem Alter von noch nicht siebzehn

Jahren, oft manchmal allen übrigen entgegen, eine Meinung, die von dem

außerordentlichsten Scharfsinn, von der klarsten Umsicht zeigte und

die mehrenteils den Ausschlag gab. Nächst ihr war niemanden das

Talent des schnellen Überblicks, des Auffassens und scharfgeründeten

Darstellens der Lage der Dinge mehr eigen, als dem Grafen Stanislaus

von R., einem feurigen, hochbegabten Jünglinge von zwanzig Jahren.

So geschah es, daß Hermenegilda und Stanislaus oft allein in raschen

Diskussionen die zur Sprache gebrachten Gegenstände verhandelten,

Vorschläge prüften - annahmen - verwarfen, andere aufstellten, und daß

die Resultate des Zweigesprächs zwischen dem Mädchen und dem Jünglinge

oft selbst von den alten staatsklugen Männern, die zu Rate saßen, als

das Klügste und Beste, was zu beginnen, anerkannt werden mußten. Was

war natürlicher, als an die Verbindung dieser beiden zu denken, in

deren wunderbaren Talenten das Heil des Vaterlandes emporzukeimen

schien. Außerdem war aber auch die nähere Verzweigung beider Familien

schon deshalb in dem Augenblick politisch wichtig, weil man sie von

verschiedenem Interesse beseelt glaubte, wie der Fall bei manchen

andern Familien in Polen zutraf. Hermenegilda, ganz durchdrungen von

diesen Ansichten, nahm den ihr bestimmten Gatten als ein Geschenk des

Vaterlandes auf, und so wurden mit ihrer feierlichen Verlobung die

patriotischen Zusammenkünfte auf dem Gute des Vaters beschlossen. Es

ist bekannt, daß die Polen unterlagen, daß mit Kosziuskos Fall eine

zu sehr auf Selbstvertrauen und falsch vorausgesetzte Rittertreue

basierte Unternehmung scheiterte. Graf Stanislaus, dem seine frühere

militärische Laufbahn, seine Jugend und Kraft eine Stelle im

Heer anwies, hatte mit Löwenmut gefochten. Mit Not schmählicher

Gefangenschaft entgangen, auf den Tod verwundet, kam er zurück. Nur

Hermenegilda fesselte ihn noch ans Leben, in ihren Armen glaubte er

Trost, verlorne Hoffnung wiederzufinden. Sowie er nur leidlich von

seinen Wunden genesen, eilte er auf die Güter des Grafen Nepomuk, um

dort aufs neue, aufs schmerzlichste verwundet zu werden. Hermenegilda

empfing ihn mit beinahe höhnender Verachtung. »Seh ich den Helden,

der in den Tod gehen wollte für das Vaterland?« - So rief sie ihm

entgegen; es war, als wenn sie in törichtem Wahnsinn den Bräutigam

für einen jener Paladine der fabelhaften Ritterzeit gehalten, dessen

Schwert allein Armeen vernichten konnte. Was halfen alle Beteuerungen,

daß keine menschliche Kraft zu widerstehen vermochte dem brausenden,

alles verschlingenden Strom, der sich über das Vaterland hinwälzte,

was half alles Flehen der inbrünstigen Liebe, Hermenegilda, als

könne sich ihr todkaltes Herz nur im wilden Treiben der Welthändel

entzünden, blieb bei dem Entschluß, ihre Hand nur dann dem Grafen

Stanislaus geben zu wollen, wenn die Fremden aus dem Vaterlande

vertrieben sein würden. Der Graf sah zu spät ein, daß Hermenegilda ihn

nie liebte, so wie er sich überzeugen mußte, daß die Bedingnis, die

Hermenegilda aufstellte, vielleicht niemals, wenigstens erst in

geraumer Zeit erfüllt werden konnte. Mit dem Schwur der Treue bis in

den Tod verließ er die Geliebte und nahm französische Dienste, die ihn

in den Krieg nach Italien führten. - Man sagt den polnischen Frauen

nach, daß ein eignes launisches Wesen sie auszeichne. Tiefes Gefühl,

sich hingebender Leichtsinn, stoische Selbstverleugnung, glühende

Leidenschaft, todstarre Kälte, alles das, wie es bunt gemischt in

ihrem Gemüte liegt, erzeugt das wunderliche unstete Treiben auf

der Oberfläche, das dem _Spiel_ gleicht der in stetem Wechsel

fortplätschernden Wellen des im tiefsten Grunde bewegten Bachs. -

Gleichgültig sah Hermenegilda den Bräutigam scheiden, aber kaum waren

einige Tage vergangen, als sie sich von solch unaussprechlicher

Sehnsucht befangen fühlte, wie sie nur die glühendste Liebe erzeugen

kann. Der Sturm des Krieges war verrauscht, die Amnestie wurde

proklamiert, man entließ die polnischen Offiziere aus der

Gefangenschaft. So geschah es, daß mehrere von Stanislaus'

Waffenbrüdern sich nach und nach auf des Grafen Gute einfanden. Mit

tiefem Schmerz gedachte man jener unglücklichen Tage, aber auch mit

hoher Begeisterung des Löwenmuts, womit alle, aber keiner mehr als

Stanislaus gefochten. Er hatte die zurückweichenden Bataillone, da, wo

schon alles verloren schien, aufs neue ins Feuer geführt, es war ihm

geglückt, die feindlichen Reihen mit seiner Reuterei zu durchbrechen.

Das Schicksal des Tages wankte, da traf ihn eine Kugel und mit dem

Ausruf: »Vaterland - Hermenegilda!« stürzte er in Blut gebadet vom

Pferde herab. Jedes Wort dieser Erzählung war ein Dolchstich, der tief

in Hermenegildas Herz fuhr. »Nein! ich wußt es nicht, daß ich ihn

unaussprechlich liebte seit dem ersten Augenblick, als ich ihn sah!

- Welch ein höllisches Blendwerk konnte mich Ärmste verführen, daß

ich zu leben gedachte ohne ihn, der mein einziges Leben ist! - Ich

habe ihn in den Tod geschickt - er kehrt nicht wieder!« - So brach

Hermenegilda aus in stürmische Klagen, die allen in die Seele drangen.

Schlaflos, von steter Unruhe gefoltert, durchirrte sie zur Nachtzeit

den Park, und, als vermöge der Nachtwind ihre Worte hinzutragen zu

dem fernen Geliebten, rief sie in die Lüfte hinein: »Stanislaus -

Stanislaus - kehre zurück - ich bin es - Hermenegilda ist es, die dich

ruft - hörst du mich denn nicht - kehre zurück, sonst muß ich vergehen

in banger Sehnsucht, in trostloser Verzweiflung!«

 

Hermenegildas überreizter Zustand schien übergehen zu wollen in

wirklichen hellen Wahnsinn, der sie zu tausend Torheiten trieb. Graf

Nepomuk, voll Kummer und Angst um das geliebte Kind, glaubte, daß

ärztliche Hülfe hier vielleicht wirksam sein könnte, und es gelang ihm

in der Tat, einen Arzt zu finden, der es sich gefallen ließ einige

Zeit auf dem Gute zu bleiben und sich der Leidenden anzunehmen. So

richtig berechnet seine mehr psychische als physische Kurmethode aber

auch sein mochte, so wenig sich ihre Wirkung auch ganz ableugnen ließ,

so blieb es doch zweifelhaft, ob von wirklichem Genesen jemals die

Rede würde sein können, da nach langer Stille sich ganz unerwartet

wieder die seltsamsten Paroxismen einstellten. Ein eignes Abenteuer

gab der Sache eine andere Wendung. Hermenegilda hatte eben den kleinen

Ulanen, ein Püppchen, das sie sonst wie den Geliebten ans Herz

gedrückt, dem sie die süßesten Namen gegeben, unwillig ins Feuer

geworfen, weil er durchaus nicht singen wollte: »Podrosz twoia nam

niemila, milsza przyiaszn w Kraiwbyla etc.« Im Begriff, von dieser

Expedition in ihr Zimmer zurückzukehren, befand sie sich auf dem

Vorsaal, als es klingend und klirrend hinter ihr her schritt. Sie

schaute um sich, erblickte einen Offizier in voller Uniform der

französischen Jägergarde, der den linken Arm in der Binde trug, und

stürzte mit dem lauten Ruf.- »Stanislaus, mein Stanislaus!« ihm

ohnmächtig in die Arme. Der Offizier, eingewurzelt im Boden vor

Erstaunen und Überraschung, hatte nicht wenig Mühe Hermenegilda, die,

groß und üppig gebaut, eben keine geringe Last war, mit einem Arm,

dessen er nur mächtig, aufrecht zu erhalten. Er drückte sie fest

und fester an sich, und indem er Hermenegildas Herz an seiner

Brust schlagen fühlte, mußte er sich gestehen, daß dies eins der

entzückendsten Abenteuer sei, das er je erlebt. Sekunde auf Sekunde

verging, der Offizier ganz entzündet vom Liebesfeuer, das in tausend

elektrischen Funken der holden Gestalt, die er in seinen Armen hielt,

entströmte, drückte glühende Küsse auf die süßen Lippen. So fand ihn

Graf Nepomuk, der aus seinen Zimmern trat. Auch er rief aufjauchzend

vor Freude: »Graf Stanislaus!« - In dem Augenblick erwachte

Hermenegilda, und umschlang ihn inbrünstig, indem sie ganz außer sich

von neuem rief. »Stanislaus! - mein Geliebter! mein Gatte!« - Der

Offizier im ganzen Gesicht glühend, zitternd - außer aller Fassung,

trat einen Schritt zurück, indem er sich sanft Hermenegildas

stürmischer Umarmung entzog. »Es ist der süßeste Augenblick meines

Lebens - aber nicht schwelgen will ich in der Seligkeit, die mir nur

ein Irrtum bereitet - ich bin ja nicht Stanislaus - ach ich bin es

ja nicht.« - So sprach der Offizier stotternd und zagend; entsetzt

prallte Hermenegilda zurück, und als sie sich, den Offizier schärfer

ins Auge fassend, überzeugt, daß die freilich ganz wunderbare

Ähnlichkeit des Offiziers mit dem Geliebten sie getäuscht, eilte sie

fort laut jammernd und klagend. Graf Nepomuk konnte, da der Offizier

sich nun als den jüngern Vetter des Grafen Stanislaus, als den Grafen

Xaver von R. kund tat, es kaum für möglich halten, daß der Knabe in

so kurzer Zeit zum kräftigen Jünglinge herangewachsen. Freilich kam

hinzu, daß die Strapazen des Kriegs dem Gesicht, der ganzen Haltung,

einen männlichern Charakter gaben, als es sonst der Fall gewesen sein

würde. Graf Xaver hatte nämlich mit seinem ältern Vetter Stanislaus

zugleich das Vaterland verlassen, wie er, französische Kriegsdienste

genommen und in Italien gefochten. Damals kaum achtzehn Jahre alt,

zeichnete er sich doch bald, als besonnener und löwenkühner Kriegsheld

auf solche Weise aus, daß ihn der Feldherr zu seinem Adjutanten erhob,

und jetzt war er, ein zwanzigjähriger Jüngling, schon zum Obristen

heraufgestiegen. Erhaltene Wunden, nötigten ihn einige Zeit

auszuruhen. Er kehrte in das Vaterland zurück, und Aufträge von

Stanislaus an die Geliebte führten ihn auf den Landsitz des Grafen

Nepomuk, wo er empfangen wurde, als sei er der Geliebte selbst. Graf

Nepomuk und der Arzt, beide gaben sich alle nur ersinnliche Mühe,

Hermenegilda, die ganz vernichtet von Scham und bitterm Schmerz, ihr

Zimmer nicht verlassen wollte, solange Xaver im Hause, zu beruhigen,

aber umsonst. Xaver war außer sich, daß er Hermenegilda nicht

wiedersehen sollte. Er schrieb ihr, daß er unverschuldet eine für ihn

unglückliche Ähnlichkeit zu hart büße. Aber nicht ihn allein, sondern

den Geliebten Stanislaus selbst träfe das von jenem verhängnisvollen

Moment erzeugte Mißgeschick, da ihm, dem Überbringer süßer

Liebesbotschaft, jetzt alle Gelegenheit geraubt worden, ihr selbst,

wie er gesollt, den Brief, den er von Stanislaus bei sich trage,

einzuhändigen, und noch alles von Mund zu Mund hinzuzufügen, was

Stanislaus in der Hast des Augenblicks nicht mehr schreiben konnte.

Hermenegildas Kammerfrau, die Xaver in sein Interesse gezogen,

übernahm die Bestellung zur günstigen Stunde, und was dem Vater, dem

Arzt nicht gelungen, bewirkte Xaver durch sein Schreiben. Hermenegilda

entschloß sich ihn zu sehen. In tiefem Schweigen, mit niedergesenktem

Blick empfing sie ihn in ihrem Gemach. Xaver nahte sich mit leisem

schwankenden Schritt, er nahm Platz vor dem Sofa, auf dem sie saß,

aber indem er sich herabbeugte von dem Stuhl, kniete er mehr vor

Hermenegilda, als daß er saß, und so flehte er in den rührendsten

Ausdrücken, mit einem Ton, als habe er sich des unverzeihlichsten

Verbrechens anzuklagen, nicht auf sein Haupt möge sie die Schuld des

Irrtums laden, der ihn die Seligkeit des geliebten Freundes empfinden

lassen. Nicht ihn, nein Stanislaus selbst habe sie in der Wonne des

Wiedersehens umarmt. Er übergab den Brief, und fing an von Stanislaus

zu erzählen, wie er mit echt ritterlicher Treue selbst im blutigen

Kampf seiner Dame gedenke, wie nur sein Herz glühe für Freiheit

und Vaterland usw. Xaver erzählte mit lebendigem Feuer, er riß

Hermenegilden hin, die alle Scheu bald überwunden, den zauberischen

Blick ihrer Himmelsaugen unverwandt auf ihn richtete, so daß er, ein

neuer, von Turandots Blick getroffener, Kalaf, durchbebt von süßer

Wonne, nur mühsam die Erzählung fortspann. Ohne es selbst zu wissen,

bedrängt von dem innern Kampf gegen die Leidenschaft, die in hellen

Flammen auflodern wollte, verlor er sich in die weitläuftige

Beschreibung einzelner Gefechte. Er sprach von Kavallerieangriffen -

gesprengten Massen - eroberten Batterien. - Ungeduldig unterbrach ihn

Hermenegilda, indem sie rief. »Oh, weg mit diesen blutigen Szenen

eines Schauspiels der Hölle - sage - sage mir nur, daß er mich liebt,

daß Stanislaus mich liebt!« - Da ergriff Xaver, ganz ermutigt,

Hermenegildas Hand, die er heftig an seine Brust drückte. »Höre

ihn selbst, deinen Stanislaus!« so rief er, und nun strömten die

Beteurungen der glühendsten Liebe, wie sie nur dem Wahnsinn der

verzehrendsten Leidenschaft eigen, von seinen Lippen. Er war zu

Hermenegildas Füßen gesunken, sie hatte ihn mit beiden Armen

umschlungen, aber indem er, schnell aufgesprungen, sie an seine Brust

drücken wollte, fühlte er sich heftig zurückgestoßen. Hermenegilda

sah ihn mit starrem seltsamen Blick an und sprach mit dumpfer Stimme:

»Eitle Puppe, wenn ich dich auch zum Leben erwärme an meiner Brust, so

bist du doch nicht Stanislaus, und kannst es auch nimmer werden!« -

Hierauf verließ sie das Zimmer mit leisen langsamen Schritten. Xaver

sah zu spät seine Unbesonnenheit ein. Daß er bis zum Wahnsinn in

Hermenegilda, in die Braut des verwandten Freundes verliebt sei,

fühlte er nur zu lebhaft, ebenso aber auch, daß er bei jedem Schritt,

den er zugunsten seiner törichten Leidenschaft zu tun gesonnen, sich

würde treulosen Freundschaftsbruch vorwerfen müssen. Schnell abreisen,

ohne Hermenegilda wiederzusehen, das war der heroische Entschluß, den

er wirklich auf der Stelle so weit ausführte, daß er zu packen und

seinen Wagen anzuspannen befahl. Graf Nepomuk war hoch verwundert, als

Xaver von ihm Abschied nahm; er bot alles auf ihn festzuhalten, doch

mit einer Festigkeit, mehr von einer Art Krampf, als von wahrer

Geistesstärke erzeugt, blieb Xaver dabei, daß besondere Ursachen ihn

forttrieben. Den Säbel umgeschnallt, die Feldmütze in der Hand, stand

er in der Mitte des Zimmers, der Bediente mit dem Mantel auf dem

Vorsaal - unten vor der Türe wieherten ungeduldig die Pferde. - Da

ging die Tür auf, Hermenegilda trat herein, mit unbeschreiblicher

Anmut schritt sie auf den Grafen zu, und sprach hold lächelnd: »Sie

wollen fort, lieber Xaver? - und noch so vieles dacht ich von meinem

geliebten Stanislaus zu hören! - Wissen Sie wohl, daß mich Ihre

Erzählungen wunderbar trösten?« - Xaver schlug hocherrötend die Augen

nieder, man nahm Platz, Graf Nepomuk versicherte ein Mal über das

andere, seit vielen Monaten habe er Hermenegilda nicht in dieser

heitern unbefangenen Stimmung gesehen. Auf seinen Wink wurde, da die

Zeit herangekommen, die Abendtafel in demselben Zimmer bereitet. Der

edelste Ungarwein perlte in den Gläsern, und volle Glut auf den Wangen

nippte Hermenegilda aus dem gefüllten Pokal hochfeiernd das Andenken

des Geliebten, Freiheit und Vaterland. Zur Nacht reise ich fort,

dachte Xaver im Innern, und frug in der Tat, als die Tafel aufgehoben,

den Bedienten, ob der Wagen warte; der, erwiderte der Bediente, sei

längst, wie Graf Nepomuk befohlen, abgepackt und abgespannt in die

Remise geschoben, die Pferde fräßen im Stall und Woyciech schnarche

unten auf dem Strohsack. Xaver ließ es dabei bewenden. Hermenegildas

unvermutete Erscheinung hatte den Grafen überzeugt, daß es nicht

allein möglich, sondern auch rätlich und angenehm sei zu bleiben, und

von dieser Überzeugung kam er zu der andern, daß es nur darauf ankomme

sich zu besiegen, das heißt, Ausbrüchen der innern Leidenschaft zu

wehren, die, den geisteskranken Zustand Hermenegildas aufreizend, nur

ihm in jeder Hinsicht verderblich werden könnten. Wie dann nun alles

sich weiter fügen würde, so beschloß Xaver seine Betrachtung, sollte

selbst Hermenegilda aus ihren Träumen erwacht, die heitere Gegenwart

der düstern Zukunft vorziehen, das liege denn alles in der

Konstellation zusammenwirkender Umstände und an Treulosigkeit, an

Freundschaftsbruch sei nicht zu denken. Sowie Xaver andern Tages

Hermenegilden wiedersah, gelang es ihm in der Tat, indem er sorglich

auch das Kleinste vermied, was sein zu heißes Blut hätte in Wallung

setzen können, seine Leidenschaft niederzukämpfen. In den Schranken

der strengsten Sitte bleibend, ja selbst ein frostig Zeremoniell

beachtend, gab er nur dem Gespräch die Schwingen jener Galanterie, die

den Weibern mit süßem Zucker verderbliches Gift beibringt. Xaver, ein

zwanzigjähriger Jüngling, in eigentlichen Liebeshändeln unerfahren,

entfaltete, von dem sichern Takt fürs Böse im Innern geleitet,

die Kunst des erfahrenen Meisters. Nur von Stanislaus, von seiner

unaussprechlichen Liebe zur süßen Braut, sprach er, aber durch die

volle Glut, die er dann entzündet, wußte er geschickt sein eignes Bild

durchschimmern zu lassen, so daß Hermenegilda in arger Verwirrung

selbst nicht wußte, wie beide Bilder, das des abwesenden Stanislaus

und das des gegenwärtigen Xaver, trennen. Xavers Gesellschaft wurde

bald der aufgeregten Hermenegilda zum Bedürfnis, und so geschah

es, daß man sie beinahe beständig, und oft wie im traulichen

Liebesgespräch zusammen sah. Die Gewohnheit überwand mehr und mehr

Hermenegildas Scheu und in eben dem Grade überschritt Xaver jene

Schranken des frostigen Zeremoniells, in die er sich anfangs mit

klugem Vorbedacht gebannt hatte. Arm in Arm gingen Hermenegilda

und Xaver in dem Park umher, und sorglos ließ sie ihre Hand in der

seinigen, wenn er im Zimmer neben ihr sitzend von dem glücklichen

Stanislaus erzählte. Kam es nicht auf Staatshändel, auf die Sache

des Vaterlandes an, so war Graf Nepomuk eben keines Blickes in die

Tiefe fähig, er begnügte sich mit dem, was er auf der Oberfläche

wahrzunehmen imstande, sein für alles übrige totes Gemüt vermochte die

vorüberfliehenden Bilder des Lebens nur dem Spiegel gleich im Moment

zu reflektieren, spurlos schwanden sie dahin. Ohne Hermenegildas

inneres Wesen zu ahnen, hielt er es für gut, daß sie endlich die

Püppchen, die bei ihrem törigten wahnsinnigen Treiben den Geliebten

vorstellen mußten, mit einem lebendigen Jüngling vertauscht, und

glaubte mit vieler Schlauheit vorauszusehen, daß Xaver, der ihm als

Schwiegersohn ebenso lieb, bald ganz in Stanislaus' Stelle treten

werde. Er dachte nicht mehr an den treuen Stanislaus. Xaver glaubte

dieses ebenfalls, da nun, nachdem ein paar Monate vergangen,

Hermenegilda, so sehr ihr ganzes Wesen auch von dem Andenken an

Stanislaus erfüllt schien, es sich doch gefallen ließ, daß Xaver

mehr und mehr sich ihr annäherte mit eigner Bewerbung. Eines Morgens

hieß es, daß Hermenegilda sich in ihre Gemächer mit der Kammerfrau

eingeschlossen habe, und durchaus niemanden sehen wolle. Graf Nepomuk

glaubte nicht anders, als daß ein neuer Paroxismus eingetreten sei,

der sich bald legen werde. Er bat den Grafen Xaver, die Gewalt, die er

über Hermenegilda gewonnen, jetzt zu ihrem Heil zu üben, wie erstaunte

er aber, als Xaver es nicht allein durchaus verweigerte, sich

Hermenegilden auf irgend eine Weise zu nähern, sondern sich auch in

seinem ganzen Wesen auf eigne Art verändert zeigte. Statt wie sonst

beinahe zu keck aufzutreten, war er verschüchtert, als habe er

Gespenster gesehen, der Ton seiner Stimme schwankend - der Ausdruck

matt und unzusammenhängend. - Er sprach davon, daß er nun durchaus

nach Warschau müßte, daß er Hermenegilden wohl niemals wiedersehen

werde - daß in der letzten Zeit ihr verstörtes Wesen ihm Grauen

und Entsetzen erregt - daß er Verzicht geleistet auf alles Glück

der Liebe, daß er nun erst in der an Wahnsinn grenzenden Treue

Hermenegildas, die Treulosigkeit, die er an dem Freunde begehen

wollen, zu seiner tiefsten Beschämung fühle, daß schleunige Flucht

sein einziges Rettungsmittel sei. Graf Nepomuk begriff alles

nicht, nur schien es ihm endlich klar zu werden, daß Hermenegildas

wahnsinnige Schwärmerei den Jüngling angesteckt. Er suchte ihm dies

zu beweisen, doch umsonst. Xaver widerstrebte um so heftiger, als

dringender Nepomuk ihm die Notwendigkeit bewies, daß er Hermenegilda

von allen Bizarrerien heilen, folglich sie wiedersehen müsse.

Schnell war der Streit geendet, als Xaver, wie von unsichtbarer

unwiderstehlicher Gewalt getrieben, hinabrannte, sich in den Wagen

warf und davonfuhr.

 

Graf Nepomuk, voller Gram und Zorn über Hermenegildas Betragen,

bekümmerte sich nicht mehr um sie, und so geschah es, daß mehrere Tage

vergingen, die sie ungestört, auf ihrem Zimmer eingeschlossen, von

niemanden als ihrer Kammerfrau gesehen, zubrachte.

 

In tiefen Gedanken, ganz erfüllt von den Heldentaten jenes Mannes, den

die Polen damals anbeteten wie ein falsches Götzenbild, saß Nepomuk

eines Tages in seinem Zimmer, als die Tür aufging und Hermenegilda

in voller Trauer mit lang herabhängendem Witwenschleier eintrat.

Langsamen feierlichen Schrittes nahte sie sich dem Grafen, ließ sich

dann auf die Knie nieder und sprach mit bebender Stimme: »O mein Vater

- Graf Stanislaus, mein geliebter Gatte, ist hinüber - er fiel als

Held im blutigen Kampf: - vor dir kniet seine bejammernswerte Witwe!«

- Graf Nepomuk mußte dies um so mehr für einen neuen Ausbruch der

zerrütteten Gemütsstimmung Hermenegildas halten, als noch Tages zuvor

Nachrichten von dem Wohlbefinden des Grafen Stanislaus eingelaufen

waren. Er hob Hermenegilden sanft auf, indem er sprach: »Beruhige dich

liebe Tochter, Stanislaus ist wohl, bald eilt er in deine Arme.« -

Da atmete Hermenegilda auf wie im schweren Todesseufzer und sank von

wildem Schmerz zerrissen neben dem Grafen hin in die Polster des

Sofas. Doch nach wenigen Sekunden wieder zu sich selbst gekommen,

sprach sie mit wunderbarer Ruhe und Fassung: »Laß es mich dir sagen,

lieber Vater! wie sich alles begeben, denn du mußt es wissen, damit du

in mir die Witwe des Grafen Stanislaus von R. erkennest. - Wisse, daß

ich vor sechs Tagen in der Abenddämmerung mich in dem Pavillon an der

Südseite unseres Parks befand. Alle meine Gedanken, mein ganzes Wesen

dem Geliebten zugewendet, fühlt ich meine Augen sich unwillkürlich

schließen, nicht in Schlaf, nein, in einen seltsamen Zustand versank

ich, den ich nicht anders nennen kann, als waches Träumen. Aber bald

schwirrte und dröhnte es um mich her, ich vernahm ein wildes Getümmel,

es fiel ganz in der Nähe Schuß auf Schuß. Ich fuhr auf, und war nicht

wenig erstaunt mich in einer Feldhütte zu befinden. Vor mir kniete er

selbst - mein Stanislaus. - Ich umschlang ihn mit meinen Armen, ich

drückte ihn an meine Brust - >Gelobt sei Gott<, rief er, >du lebst, du

bist mein!< - Er sagte mir, ich sei gleich nach der Trauung in tiefe

Ohnmacht gesunken, und ich törigt Ding erinnerte mich jetzt erst, daß

ja Pater Cyprianus, den ich in diesem Augenblick erst zur Feldhütte

hinausschreiten sah, uns ja eben in der nahen Kapelle unter dem Donner

des Geschützes, unter dem wilden Toben der nahen Schlacht getraut

hatte. Der goldne Trauring blinkte an meinem Finger. Die Seligkeit,

mit der ich nun aufs neue den Gatten umarmte, war unbeschreiblich; nie

gefühltes namenloses Entzücken des beglückten Weibes durchbebte mein

Inneres - mir schwanden die Sinne - da wehte es mich an mit eiskaltem

Frost - ich schlug die Augen auf - entsetzlich! mitten im Gewühl der

wilden Schlacht - vor mir die brennende Feldhütte, aus der man mich

wahrscheinlich gerettet! - Stanislaus bedrängt von feindlichen Reitern

- Freunde sprengen heran ihn zu retten - zu spät, von hinten haut

ihn ein Reiter herab vom Pferde.« - Aufs neue sank Hermenegilda

überwältigt von dem entsetzlichen Schmerz ohnmächtig zusammen. Nepomuk

eilte nach stärkenden Mitteln, doch es bedurfte ihrer nicht, mit

wunderbarer Kraft faßte sich Hermenegilda zusammen. »Der Wille des

Himmels ist erfüllt«, sprach sie dumpf und feierlich, »nicht zu klagen

ziemt es mir, aber bis zum Tode dem Gatten treu, soll kein irdisches

Bündnis mich von ihm trennen. Um ihn trauern, für ihn, für unser Heil

beten, das ist jetzt meine Bestimmung, und nichts soll diese mir

verstören.« Graf Nepomuk mußte mit vollem Recht glauben, daß der

innerlich brütende Wahnsinn Hermenegildas sich durch jene Vision Luft

gemacht habe, und da die ruhige klösterliche Trauer Hermenegildas um

den Gatten kein ausschweifendes beunruhigendes Treiben zuließ, so

war dem Grafen Nepomuk dieser Zustand, den die Ankunft des Grafen

Stanislaus schnell enden mußte, ganz recht. Ließ Nepomuk zuweilen

etwas von Träumereien und Visionen fallen, so lächelte Hermenegilda

schmerzlich, dann drückte sie aber den goldnen Ring, den sie am Finger

trug, an den Mund und benetzte ihn mit heißen Tränen. Graf Nepomuk

bemerkte mit Erstaunen, daß dieser Ring wirklich ein ganz fremder war,

den er nie bei seiner Tochter gesehen, da es indessen tausend Fälle

gab, wie sie dazu gekommen sein konnte, so gab er sich nicht einmal

die Mühe weiter nachzuforschen. Wichtiger war ihm die böse Nachricht,

daß Graf Stanislaus in feindliche Gefangenschaft geraten sei.

Hermenegilda fing an auf eigne Weise zu kränkeln, sie klagte oft über

eine seltsame Empfindung, die sie eben nicht Krankheit nennen könne,

die aber ihr ganzes Wesen auf seltsame Art durchbebe. Um diese Zeit

kam Fürst Z. mit seiner Gemahlin. Die Fürstin hatte, als Hermenegildas

Mutter frühzeitig starb, ihre Stelle vertreten und schon deshalb wurde

sie von ihr mit kindlicher Hingebung empfangen. Hermenegilda erschloß

der würdigen Frau ihr ganzes Herz und klagte mit der bittersten

Wehmut, daß, unerachtet sie für die Wahrheit aller Umstände rücksichts

der wirklich vollzogenen Trauung mit Stanislaus, die überzeugendsten

Beweise habe, man sie doch eine wahnsinnige Träumerin schelte. Die

Fürstin, von allem unterrichtet und von Hermenegildas zerrüttetem

Gemütszustande überzeugt, hütete sich wohl ihr zu widersprechen; sie

begnügte sich damit, ihr zu versichern, daß die Zeit alles aufklären

werde und daß es wohlgetan sei, sich in frommer Demut dem Willen

des Himmels ganz zu ergeben. Aufmerksamer wurde die Fürstin,

als Hermenegilda von ihrem körperlichen Zustande sprach und die

sonderbaren Anfälle beschrieb, die ihr Inneres zu verstören schienen.

Man sah, wie die Fürstin mit der ängstlichsten Sorgfalt über

Hermenegilda wachte und wie ihre Bekümmernis in dem Grade stieg, als

Hermenegilda sich ganz zu erholen schien. Die todblassen Wangen und

Lippen röteten sich wieder, die Augen verloren das düstre unheimliche

Feuer, der Blick wurde mild und ruhig, die abgemagerten Formen

rundeten sich mehr und mehr, kurz Hermenegilda blühte ganz auf in

voller Jugend und Schönheit. Und doch schien die Fürstin sie für

kränker als jemals zu halten, denn: »Wie ist dir, was hast du mein

Kind? - was fühlst du?« so frug sie, quälende Besorgnis im Gesicht,

sobald Hermenegilda nur seufzte oder im mindesten erblaßte. Graf

Nepomuk, der Fürst, die Fürstin berateten sich, was es denn nun werden

solle mit Hermenegilda und ihrer fixen Idee, Stanislaus' Witwe zu

sein. »Ich glaube leider«, sprach der Fürst, »daß ihr Wahnsinn

unheilbar bleiben wird, denn sie ist körperlich kerngesund und nährt

den zerrütteten Zustand ihrer Seele mit voller Kraft. - Ja«, fuhr er

fort, als die Fürstin schmerzlich vor sich hinblickte, »ja sie ist

kerngesund, unerachtet sie zur Ungebühr und zu ihrem offenbaren

Nachteil wie eine Kranke gepflegt, gehätschelt und geängstet wird.«

Die Fürstin, welche diese Worte trafen, faßte den Grafen Nepomuk ins

Auge und sprach rasch und entschieden: »Nein! - Hermenegilda ist nicht

krank, aber, läge es nicht im Reich der Unmöglichkeit, daß sie sich

vergangen haben könnte, so würde ich überzeugt sein, daß sie sich in

guter Hoffnung befinde.« Damit stand sie auf und verließ das Zimmer.

Wie vom Blitz getroffen starrten sich Graf Nepomuk und der Fürst

an. Dieser, zuerst das Wort aufnehmend, meinte, daß seine Frau auch

zuweilen von den sonderbarsten Visionen heimgesucht werde. Graf

Nepomuk sprach aber sehr ernst: »Die Fürstin hat darin recht, daß

ein Vergehen der Art von seiten Hermenegildas durchaus im Reich der

Unmöglichkeit liegt, wenn ich dir aber sage, daß, als Hermenegilda

gestern vor mir herging, mir es selbst wie ein närrischer Gedanke

durch den Sinn fuhr: >Nun seht einmal, die junge Witwe ist ja guter

Hoffnung<; daß dieser Gedanke offenbar nur durch das Betrachten ihrer

Gestalt erzeugt werden konnte, wenn ich dir das alles sage, so wirst

du es natürlich finden, wie die Worte der Fürstin mich mit trüber

Besorgnis, ja mit der peinlichsten Angst erfüllen.« - »So muß«,

erwiderte der Fürst, »der Arzt oder die weise Frau entscheiden und

entweder das vielleicht voreilige Urteil der Fürstin vernichtet oder

unsere Schande bestätigst werden.« Mehrere Tage schwankten beide von

Entschluß zu Entschluß. Beiden wurden Hermenegildas Formen verdächtig,

die Fürstin sollte entscheiden was jetzt zu tun. Sie verwarf die

Einmischung eines vielleicht plauderhaften Arztes und meinte, daß

andere Hülfe wohl erst in fünf Monaten nötig sein würde. »Welche

Hülfe?« schrie Graf Nepomuk entsetzt. »Ja«, fuhr die Fürstin mit

erhöhter Stimme fort, »es ist nun gar kein Zweifel mehr, Hermenegilda

ist entweder die verruchteste Heuchlerin, die jemals geboren, oder

es waltet ein unerforschliches Geheimnis - genug, sie ist guter

Hoffnung!« Ganz erstarrt vor Schreck fand Graf Nepomuk keine Worte;

endlich sich mühsam ermannend beschwor er die Fürstin, koste es was es

wolle, von Hermenegilda selbst zu erforschen, wer der Unglückselige

sei, der die unauslöschliche Schmach über sein Haus gebracht. »Noch«,

sprach die Fürstin, »noch ahnet Hermenegilda nicht, daß ich um ihren

Zustand weiß. Von dem Moment, wenn ich es ihr sagen werde, wie es um

sie steht, verspreche ich mir alles. Überrascht wird sie die Larve der

Heuchlerin fallen lassen oder es muß sich sonst ihre Unschuld auf eine

wunderbare Weise offenbaren, unerachtet ich es auch nicht zu träumen

vermag, wie dies sollte geschehen können.« Noch denselben Abend war

die Fürstin mit Hermenegilda, deren mütterliches Ansehn mit jeder

Stunde zuzunehmen schien, allein auf ihrem Zimmer. Da ergriff die

Fürstin das arme Kind bei beiden Armen, blickte ihr scharf ins Auge

und sagte mit schneidendem Ton: »Liebe, du bist guter Hoffnung!« Da

schlug Hermenegilda den wie von himmlischer Wonne verklärten Blick

in die Höhe und rief mit dem Ton des höchsten Entzückens: »O Mutter,

Mutter, ich weiß es ja! - Lange fühlt ich es, daß ich, fiel auch

der teure Gatte unter den mörderischen Streichen der wilden Feinde,

dennoch unaussprechlich glücklich sein sollte. Ja! - jener Moment

meines höchsten irdischen Glücks lebt in mir fort, ich werde ihn ganz

wieder haben den geliebten Gatten in dem teuern Pfande des süßen

Bundes.« Der Fürstin war es, als finge sich alles an um sie zu drehen,

als wollten ihr die Sinne schwinden. Die Wahrheit in Hermenegildas

Ausdruck - ihr Entzücken, ihre wahrhafte Verklärung ließ keinen

Gedanken an erheucheltes Wesen, an Trug aufkommen und doch konnte

nur toller Wahnsinn auf ihre Behauptung etwas geben. Von dem letzten

Gedanken ganz erfaßt, stieß die Fürstin Hermenegilda von sich, indem

sie heftig rief. »Unsinnige! Ein Traum hätte dich in den Zustand

versetzt, der Schmach und Schande über uns alle bringt! - glaubst du,

daß du mich mit albernen Märchen zu hintergehen vermagst? - Besinne

dich - laß alle Ereignisse der vorigen Tage dir vorübergehen. Ein

reuiges Bekenntnis kann uns vielleicht versöhnen.« In Tränen gebadet,

ganz aufgelöst von herbem Schmerz sank Hermenegilda vor der Fürstin

auf die Knie und jammerte: »Mutter, auch du schiltst mich eine

Träumerin, auch du glaubst nicht daran, daß die Kirche mich mit

Stanislaus verband, daß ich sein Weib bin? - Aber sieh doch nur hier

den Ring an meinem Finger was sage ich! - _Du_, _du_ kennst ja meinen

Zustand, ist denn das nicht genug dich zu überzeugen, daß ich nicht

träumte?« Die Fürstin nahm mit dem tiefsten Erstaunen wahr, daß

Hermenegilden der Gedanke eines Vergehens gar nicht einkam, daß sie

die Hindeutung darauf gar nicht aufgefaßt, gar nicht verstanden. Der

Fürstin ihre Hände heftig an die Brust drückend, flehte Hermenegilda

immerfort, sie möge doch nur jetzt, da es ihr Zustand außer Zweifel

setze, an ihren Gatten glauben, und die ganz bestürzte, ganz außer

sich gesetzte Frau wußte in der Tat selbst nicht mehr, was sie der

Armen sagen, welchen Weg sie überhaupt einschlagen sollte, dem

Geheimnis, das hier walten mußte, auf die Spur zu kommen. Erst nach

mehreren Tagen erklärte die Fürstin dem Gemahl und dem Grafen Nepomuk,

daß es unmöglich sei von Hermenegilda, die sich von dem Gatten

schwanger glaube, mehr herauszubringen, als wovon sie selbst im

Innersten der Seele überzeugt sei. Die Männer voller Zorn schalten

Hermenegilda eine Heuchlerin und insonderheit schwur Graf Nepomuk,

daß, wenn gelinde Mittel sie nicht von dem wahnsinnigen Gedanken, ihm

ein abgeschmacktes Märchen aufzuheften, zurückbringen würden, er es

mit strengen Maßregeln versuchen werde. Die Fürstin meinte dagegen,

daß jede Strenge eine zwecklose Grausamkeit sein würde. Überzeugt sei

sie nämlich, wie gesagt, daß Hermenegilda keinesweges heuchle, sondern

daran, was sie sage, mit voller Seele glaube. »Es gibt«, fuhr sie

fort, »noch manches Geheimnis in der Welt, das zu begreifen wir

gänzlich außerstande sind. Wie, wenn das lebhafte Zusammenwirken des

Gedankens auch eine physische Wirkung haben könnte, wie wenn eine

geistige Zusammenkunft zwischen Stanislaus und Hermenegilda sie in den

uns unerklärlichen Zustand versetzte?« Unerachtet alles Zorns, aller

Bedrängnis des fatalen Augenblicks konnten sich der Fürst und Graf

Nepomuk doch des lauten Lachens nicht enthalten, als die Fürstin

diesen Gedanken äußerte, den die Männer den sublimsten nannten, der

je das Menschliche ätherisiert habe. Die Fürstin blutrot im ganzen

Gesicht meinte, daß den rohen Männern der Sinn für dergleichen

abginge, daß sie das ganze Verhältnis, in das ihr armes Kind,

an dessen Unschuld sie unbedingt glaube, geraten, anstößig und

abscheulich finde, und daß eine Reise, die sie mit ihr zu unternehmen

gedenke, das einzige und beste Mittel sei, sie der Arglist, dem Hohne

ihrer Umgebung zu entziehen. Graf Nepomuk war mit diesem Vorschlage

sehr zufrieden, denn da Hermenegilda selbst gar kein Geheimnis aus

ihrem Zustande machte, so mußte sie, sollte ihr Ruf verschont bleiben,

freilich aus dem Kreise der Bekannten entfernt werden.

 

Dies ausgemacht, fühlten sich alle beruhigt. Graf Nepomuk dachte kaum

mehr an das beängstigende Geheimnis selbst, als er nur die Möglichkeit

sah, es der Welt, deren Hohn ihm das bitterste war, zu verbergen, und

der Fürst urteilte sehr richtig, daß bei der seltsamen Lage der Dinge,

bei Hermenegildas unerheucheltem Gemütszustande freilich gar nichts

anders zu tun sei, als die Auflösung des wunderbaren Rätsels der Zeit

zu überlassen. Eben wollte man nach geschlossener Beratung auseinander

gehen, als die plötzliche Ankunft des Grafen Xaver von R. über alle

neue Verlegenheit neue Kümmernis brachte. Erhitzt von dem scharfen

Ritt, über und über mit Staub bedeckt, mit der Hast eines von wilder

Leidenschaft Getriebenen stürzte er ins Zimmer und rief, ohne Gruß,

alle Sitte nicht beachtend, mit starker Stimme: »Er ist tot, Graf

Stanislaus! nicht in Gefangenschaft geriet er - nein - er wurde

niedergehauen von den Feinden - hier sind die Beweise!« - Damit

steckte er mehrere Briefe, die er schnell hervorgerissen, dem Grafen

Nepomuk in die Hände. Dieser fing ganz bestürzt an zu lesen. Die

Fürstin sah in die Blätter hinein, kaum hatte sie wenige Zeilen

erhascht, als sie mit zum Himmel emporgerichtetem Blick die Hände

zusammenschlug und schmerzlich ausrief: »Hermenegilda! - armes Kind!

- welches unerforschliche Geheimnis!« - Sie hatte gefunden, daß

Stanislaus' Todestag gerade mit Hermenegildas Angabe zusammentraf, daß

sich alles so begeben, wie sie es in dem verhängnisvollen Augenblick

geschaut hatte. »Er ist tot«, sprach nun Xaver rasch und feurig,

»Hermenegilda ist frei, mir, der ich sie liebe wie mein Leben,

steht nichts mehr entgegen, ich bitte um ihre Hand!« - Graf Nepomuk

vermochte nicht zu antworten, der Fürst nahm das Wort und erklärte,

daß gewisse Umstände es ganz unmöglich machten, jetzt auf seinen

Antrag einzugehen, daß er in diesem Augenblick nicht einmal

Hermenegilda sehen könne, daß es also das beste sei, sich wieder

schnell zu entfernen, wie er gekommen. Xaver entgegnete, daß er

Hermenegildas zerrütteten Gemütszustand, von dem wahrscheinlich die

Rede sei, recht gut kenne, daß er dies aber um so weniger für ein

Hindernis halte, als gerade seine Verbindung mit Hermenegilda jenen

Zustand enden würde. Die Fürstin versicherte ihm, daß Hermenegilda

ihrem Stanislaus Treue bis in den Tod geschworen, jede andere

Verbindung daher verwerfen würde, übrigens befinde sie sich gar nicht

mehr auf dem Schlosse. Da lachte Xaver laut auf und meinte, nur des

Vaters Einwilligung bedürfe er; Hermenegildas Herz zu rühren, das

solle man nur ihm überlassen. Ganz erzürnt über des Jünglings

ungestüme Zudringlichkeit erklärte Graf Nepomuk, daß er in diesem

Augenblick vergebens auf seine Einwilligung hoffe und nur sogleich

das Schloß verlassen möge. Graf Xaver sah ihn starr an, öffnete die

Tür des Vorsaals und rief hinaus, Woyciech solle den Mantelsack

hereinbringen, die Pferde absatteln und in den Stall führen. Dann kam

er ins Zimmer zurück, warf sich in den Lehnstuhl, der dicht am Fenster

stand, und erklärte ruhig und ernst: ehe er Hermenegilda gesehen und

gesprochen, werde ihn nur offne Gewalt vom Schlosse wegtreiben. Graf

Nepomuk meinte, daß er dann auf einen recht langen Aufenthalt rechnen

könne, übrigens aber erlauben müsse, daß er seinerseits das Schloß

verlasse. Alle, Graf Nepomuk, der Fürst und seine Gemahlin gingen

hierauf aus dem Zimmer, um so schnell als möglich Hermenegilda

fortzuschaffen. Der Zufall wollte indessen, daß sie gerade in dieser

Stunde, ganz wider ihre sonstige Gewohnheit, in den Park gegangen war.

Xaver, durch das Fenster blickend, an dem er saß, gewahrte sie ganz

in der Ferne wandelnd. Er rannte hinunter in den Park und erreichte

endlich Hermenegilda, als sie eben in jenen verhängnisvollen Pavillon

an der Südseite des Parks trat. Ihr Zustand war nun schon beinahe

jedem Auge sichtlich. »O all ihr Mächte des Himmels«, rief Xaver, als

er vor Hermenegilda stand, dann stürzte er aber zu ihren Füßen und

beschwor sie, unter den heiligsten Beteurungen seiner glühendsten

Liebe, ihn zum glücklichsten Gatten aufzunehmen. Hermenegilda, ganz

außer sich vor Schreck und Überraschung, sagte ihm: ein böses Geschick

habe ihn hergeführt, ihre Ruhe zu stören - niemals, niemals würde

sie, dem geliebten Stanislaus zur Treue bis in den Tod verbunden, die

Gattin eines andern werden. Als nun aber Xaver nicht aufhörte mit

Bitten und Beteurungen, als er endlich in toller Leidenschaft ihr

vorhielt, daß sie sich selbst täusche, daß sie _ihm_ ja schon die

süßesten Liebesaugenblicke geschenkt, als er, aufgesprungen vom Boden,

sie in seine Arme schließen wollte, da stieß sie ihn, den Tod im

Antlitz, mit Abscheu und Verachtung zurück, indem sie rief. »Elender,

selbstsüchtiger Tor, ebensowenig, wie du das süße Pfand meines Bundes

mit Stanislaus vernichten kannst, ebensowenig vermagst du mich zum

verbrecherischen Bruch der Treue zu verführen - fort aus meinen

Augen!« Da streckte Xaver die geballte Faust ihr entgegen, lachte laut

auf in wildem Hohn und schrie: »Wahnsinnige, brachst du denn nicht

selbst jenen albernen Schwur? - Das Kind, das du unter dem Herzen

trägst, _mein_ Kind ist es, _mich_ umarmtest du hier an dieser Stelle -

_meine_ Buhlschaft warst du und bleibst du, wenn ich dich nicht erhebe

zu meiner Gattin.« - Hermenegilda blickte ihn an, die Glut der Hölle

in den Augen, dann kreischte sie auf. »Ungeheuer!« und sank wie zum

Tode getroffen nieder auf den Boden.

 

Wie von allen Furien verfolgt, rannte Xaver in das Schloß zurück, er

traf auf die Fürstin, die er mit Ungestüm bei der Hand ergriff und

hineinzog in die Zimmer. »Sie hat mich verworfen mit Abscheu - mich,

den Vater ihres Kindes!« - »Um aller Heiligen willen! Du? - Xaver! -

mein Gott! - sprich, wie war es möglich?« - so rief, von Entsetzen

ergriffen, die Fürstin. »Mag mich verdammen«, fuhr Xaver gefaßter

fort, »mag mich verdammen wer da will, aber glüht ihm gleich mir das

Blut in den Adern, gleich mir wird er in solchem Moment sündigen.

In dem Pavillon traf ich Hermenegilda in einem seltsamen Zustande,

den ich nicht zu beschreiben vermag. Sie lag wie festschlafend und

träumend auf dem Kanapee. Kaum war ich eingetreten, als sie sich

erhob, auf mich zukam, mich bei der Hand ergriff und feierlichen

Schritts durch den Pavillon ging. Dann kniete sie nieder, ich tat ein

gleiches, sie betete, und ich bemerkte bald, daß sie im Geiste einen

Priester vor uns sah. Sie zog einen Ring vom Finger, den sie dem

Priester darreichte, ich nahm ihn und steckte ihr einen goldnen

Ring an, den ich von meinem Finger zog, dann sank sie mit der

inbrünstigsten Liebe in meine Arme. - Als ich entfloh, lag sie in

tiefem bewußtlosen Schlaf.« - »Entsetzlicher Mensch! - ungeheurer

Frevel!« schrie die Fürstin ganz außer sich. - Graf Nepomuk und

der Fürst traten hinein, in wenigen Worten erfuhren sie Xavers

Bekenntnisse, und wie tief wurde der Fürstin zartes Gemüt verwundet,

als die Männer Xavers freveliche Tat sehr verzeihlich und durch

seine Verbindung mit Hermenegilda gesühnt fanden. »Nein«, sprach die

Fürstin, »nimmer wird Hermenegilda _dem_ die Hand als Gattin reichen,

der es wagte, wie der hämischte Geist der Hölle, den höchsten Moment

ihres Lebens mit dem ungeheuersten Frevel zu vergiften.« - »Sie wird«,

sprach Graf Xaver mit kaltem höhnenden Stolz, »sie wird mir die Hand

reichen müssen, um ihre Ehre zu retten - ich bleibe hier und alles

fügt sich.« - In diesem Augenblick entstand ein dumpfes Geräusch, man

brachte Hermenegilda, die der Gärtner im Pavillon leblos gefunden,

in das Schloß zurück. Man legte sie auf das Sofa; ehe es die Fürstin

verhindern konnte, trat Xaver hinan und faßte ihre Hand. Da fuhr sie

mit einem entsetzlichen Schrei, nicht menschlicher Ton, nein, dem

schneidenden Jammerlaut eines wilden Tiers ähnlich, in die Höhe und

starrte in gräßlicher Verzuckung den Grafen mit funkensprühenden Augen

an. Der taumelte wie vom tötenden Blitz getroffen zurück und lallte

kaum verständlich: »Pferde!« - Auf den Wink der Fürstin brachte

man ihn herab. - »Wein! - Wein!« schrie er, stürzte einige Gläser

hinunter, warf sich dann erkräftigt aufs Pferd und jug davon. -

Hermenegildas Zustand, der aus dumpfen Wahnsinn in wilde Raserei

übergehen zu wollen schien, änderte auch Nepomuks und des Fürsten

Gesinnungen, die nun erst das Entsetzliche, Unsühnbare von Xavers Tat

einsahen. Man wollte nach dem Arzt senden, aber die Fürstin verwarf

alle ärztliche Hülfe, wo nur geistlicher Trost vielleicht wirken

könne. Statt des Arztes erschien also der Karmelitermönch Cyprianus,

Beichtvater des Hauses. Auf wunderbare Weise gelang es ihm,

Hermenegilda aus der Bewußtlosigkeit des stieren Wahnsinns zu

erwecken. Noch mehr! - bald wurde sie ruhig und gefaßt; sie sprach

ganz zusammenhängend mit der Fürstin, der sie den Wunsch äußerte, nach

ihrer Niederkunft ihr Leben im Zisterzienserkloster zu O. in steter

Reue und Trauer hinzubringen. Ihren Trauerkleidern hatte sie Schleier

hinzugefügt, die ihr Gesicht undurchdringlich verhüllten und die

sie niemals lüpfte. Pater Cyprianus verließ das Schloß, kam aber

nach einigen Tagen wieder. Unterdessen hatte der Fürst Z. an den

Bürgermeister zu L. geschrieben, dort sollte Hermenegilda ihre

Niederkunft abwarten und von der Äbtissin des Zisterzienserklosters,

einer Verwandten des Hauses, dahingebracht werden, während die Fürstin

nach Italien reiste, und angeblich Hermenegilda mitnahm. - Es war

Mitternacht, der Wagen, der Hermenegilda nach dem Kloster bringen

sollte, stand vor der Türe. Von Gram gebeugt erwartete Nepomuk, der

Fürst, die Fürstin, das unglückliche Kind, um von ihr Abschied zu

nehmen. Da trat sie in Schleier gehüllt, an der Hand des Mönchs,

in das von Kerzen hell erleuchtete Zimmer. Cyprianus sprach mit

feierlicher Stimme: »Die Laienschwester Cölestina sündigte schwer,

als sie sich noch in der Welt befand, denn der Frevel des Teufels

befleckte ihr reines Gemüt, doch ein unauflösliches Gelübde bringt ihr

Trost - Ruhe und ewige Seligkeit! - Nie wird die Welt mehr das Antlitz

schauen, dessen Schönheit den Teufel anlockte - schaut her! - so

beginnt und vollendet Cölestina ihre Buße!« - Damit hob der Mönch

Hermenegildas Schleier auf, und schneidendes Weh durchfuhr alle,

da sie die blasse Totenlarve erblickten, in die Hermenegildas

engelschönes Antlitz auf immer verschlossen! - Sie schied, keines

Wortes mächtig, von dem Vater, der ganz aufgelöst von verzehrendem

Schmerz nicht mehr leben zu können dachte. Der Fürst, sonst ein

gefaßter Mann, badete sich in Tränen, nur der Fürstin gelang es, mit

aller Macht den Schrecken jenes grauenvollen Gelübdes niederkämpfend,

sich aufrecht zu erhalten in milder Fassung.

 

Wie Graf Xaver Hermenegildas Aufenthalt und sogar den Umstand, daß

das geborne Kind der Kirche geweiht sein sollte, erfahren, ist

unerklärlich. Wenig nutzte ihm der Raub des Kindes, denn als er nach

P. gekommen, und es in die Hände einer vertrauten Frau zur Pflege

geben wollte, war es nicht, wie er glaubte, von der Kälte ohnmächtig

geworden, sondern tot. Darauf verschwand Graf Xaver spurlos, und man

glaubte, er habe sich den Tod gegeben. Mehrere Jahre waren vergangen,

als der junge Fürst Boleslaw von Z. auf seinen Reisen nach Neapel in

die Nähe des Posilippo kam. Dort in der anmutigsten Gegend liegt ein

Kamaldulenserkloster, zu dem der Fürst heraufstieg, um eine Aussicht

zu genießen, die ihm als die reizendste in ganz Neapel geschildert

worden. Eben im Begriff, auf die herausspringende Felsenspitze im

Garten zu treten, die ihm als der schönste Punkt beschrieben, bemerkte

er einen Mönch, der vor ihm auf einem großen Stein Platz genommen

und, ein aufgeschlagenes Gebetbuch auf dem Schoß, in die Ferne

hinausschaute. Sein Antlitz, in den Grundzügen noch jugendlich, war

nur durch tiefen Gram entstellt. Dem Fürsten kam, als er den Mönch

näher und näher betrachtete, eine dunkle Erinnerung. Er schlich näher

heran und es fiel ihm gleich ins Auge, daß das Gebetbuch in polnischer

Sprache abgefaßt war. Darauf redete er den Mönch polnisch an, dieser

wandte sich voller Schreck um, kaum hatte er aber den Fürsten

erblickt, als er sein Gesicht verhüllte und schnell, wie vom

bösen Geist getrieben, durch die Gebüsche entfloh. Fürst Boleslaw

versicherte, als er dem Grafen Nepomuk das Abenteuer erzählte, dieser

Mönch sei niemand anders gewesen, als der Graf Xaver von R.

 

 

 

Das steinerne Herz

 

Jedem Reisenden, der bei guter Tageszeit sich dem Städtchen G. von der

südlichen Seite bis auf eine halbe Stunde Weges genähert, fällt der

Landstraße rechts ein stattliches Landhaus in die Augen, welches mit

seinen wunderlichen bunten Zinnen aus finsterm Gebüsch blickend,

emporsteigt. Dieses Gebüsch umkränzte den weitläufigen Garten,

der sich in weiter Strecke talabwärts hinzieht. Kommst du einmal,

vielgeliebter Leser! des Weges, so scheue weder den kleinen Aufenthalt

deiner Reise, noch das kleine Trinkgeld, das du etwa dem Gärtner geben

dürftest, sondern steige fein aus dem Wagen, und laß dir Haus und

Garten aufschließen, vorgebend, du hättest den verstorbenen Eigentümer

des anmutigen Landsitzes, den Hofrat Reutlinger in G., recht gut

gekannt. Im Grunde genommen kannst du dies alsdann mit gutem Fug tun,

wenn es dir gefallen sollte, alles, was ich dir zu erzählen eben im

Begriff stehe, bis ans Ende durchzulesen; denn ich hoffe, der Hofrat

Reutlinger soll dir alsdann mit all seinem sonderbaren Tun und Treiben

so vor Augen stehen, als ob du ihn wirklich selbst gekannt hättest.

Schon von außen findest du das Landhaus auf altertümliche groteske

Weise mit bunten gemalten Zieraten verschmückt, du klagst mit Recht

über die Geschmacklosigkeit dieser zum Teil widersinnigen Wandgemälde,

aber bei näherer Betrachtung weht dich ein besonderer wunderbarer

Geist aus diesen bemalten Steinen an und mit einem leisen Schauer, der

dich überläuft, trittst du in die weite Vorhalle. Auf den in Felder

abgeteilten, mit weißem Gipsmarmor bekleideten Wänden erblickest

du mit grellen Farben gemalte Arabesken, die in den wunderlichsten

Verschlingungen, Menschen- und Tiergestalten, Blumen, Früchte,

Gesteine, darstellen, und deren Bedeutung du ohne weitere

Verdeutlichung zu ahnen glaubst. Im Saal, der den untern Stock in der

Breite einnimmt und bis über den zweiten Stock hinaufsteigt, scheint

in vergoldeter Bilderei alles das plastisch ausgeführt, was erst

durch Gemälde angedeutet wurde. Du wirst im ersten Augenblick vom

verdorbenen Geschmack des Zeitalters Ludwig des Vierzehnten reden,

du wirst weidlich schmälen über das Barocke, Überladene, Grelle,

Geschmacklose dieses Stils, aber bist du nur was weniges meines

Sinnes, fehlt es dir nicht an reger Fantasie, welches ich allemal bei

dir, mein gütiger Leser! voraussetze, so wirst du bald allen in der

Tat gegründeten Tadel vergessen. Es wird dir so zumute werden, als

sei die regellose Willkür nur das kecke Spiel des Meisters mit

Gestaltungen, über die er unumschränkt zu herrschen wußte, dann aber,

als verkette sich alles zur bittersten Ironie des irdischen Treibens,

die nur dem tiefen, aber an einer Todeswunde kränkelnden Gemüt eigen.

Ich rate dir, geliebter Leser! die kleinen Zimmer des zweiten Stocks,

die wie eine Galerie den Saal umgeben, und aus deren Fenstern man

hinabschaut in den Saal, zu durchwandern. Hier sind die Verzierungen

sehr einfach, aber hin und wieder stößest du auf teutsche, arabische

und türkische Inschriften, die sich wunderlich genug ausnehmen. Du

eilst jetzt nach dem Garten, er ist nach altfranzösischer Art mit

langen, breiten, von hohen Taxuswänden umschlossenen Gängen, mit

geräumigen [Bosketts] angelegt, und mit Statuen, mit Fontänen

geschmückt. Ich weiß nicht, ob du, geliebter Leser, nicht auch den

ernsten feierlichen Eindruck, den solch ein altfranzösischer Garten

macht, mit mir fühlst, und ob du solch ein Gartenkunstwerk nicht der

albernen Kleinigkeitskrämerei vorziehst, die in unsern sogenannten

englischen Gärten mit Brückchen und Flüßlein, und Tempelchen und

Gröttchen getrieben wird. Am Ende des Gartens trittst du in einen

finstern Hain von Trauerweiden, Hängebirken und Weymouthskiefern.

Der Gärtner sagt dir, daß dies Wäldchen, wie man es von der Höhe des

Hauses hinabschauend, deutlich wahrnehmen kann, die Form eines Herzens

hat. Mitten darin ist ein Pavillon von dunklem schlesischen Marmor in

der Form eines Herzens erbaut. Du tritts hinein, der Boden ist mit

weißen Marmorplatten ausgelegt, in der Mitte erblickst du ein Herz

in gewöhnlicher Größe. Es ist ein dunkelroter in den weißen Marmor

eingefugter Stein. Du bückst dich herab, und entdeckest die in den

Stein eingegrabenen Worte: _Es_ruht!_ In diesem Pavillon, bei diesem

dunkelroten steinernen Herzen, das damals jene Inschrift noch nicht

trug, standen am Tage Mariä Geburt, das heißt am achten September des

Jahres 180- ein großer stattlicher alter Herr und eine alte Dame,

beide sehr reich und schön nach der Mode der sechziger Jahre

gekleidet. »Aber«, sprach die alte Dame, »aber wie kam Ihnen, lieber

Hofrat, denn wieder die bizarre, ich möchte lieber sagen, die

schauervolle Idee, in diesem Pavillon das Grabmal Ihres Herzens, das

unter dem roten Stein ruhen soll, bauen zu lassen?« »Lassen Sie uns«,

erwiderte der alte Herr, »lassen Sie uns, liebe Geheime Rätin, von

diesen Dingen schweigen! - Nennen Sie es das krankhafte Spiel eines

wunden Gemüts, nennen Sie es wie Sie wollen, aber erfahren Sie, daß,

wenn mich mitten unter dem reichen Gut, das das hämische Glück wie ein

Spielzeug dem einfältigen Kinde, das darüber die Todeswunden vergißt,

mir zuwarf, der bitterste Unmut ergreift, wenn alles erfahrne Leid von

neuem auf mich zutritt, daß ich dann hier in diesen Mauern Trost und

Beruhigung finde. Meine Blutstropfen haben den Stein so rot gefärbt,

aber er ist eiskalt, bald liegt er auf meinem Herzen und kühlt die

verderbliche Glut, welche darin loderte.« Die alte Dame sah mit einem

Blick der tiefsten Wehmut herab zum steinernen Herzen, und indem sie

sich etwas herabbückte, fielen ein paar große perlenglänzende Tränen

auf den roten Stein. Da faßte der alte Herr schnell herüber und

ergriff ihre Hand. Seine Augen erblitzten im jugendlichen Feuer; wie

ein fernes mit Blüten und Blumen reich geschmücktes herrliches Land im

schimmernden Abendrot lag eine längst vergangene Zeit voll Liebe und

Seligkeit in seinen glühenden Blicken. »Julie! - Julie! und auch _Sie_

konnten dieses arme Herz so auf den Tod verwunden.« - So rief der alte

Herr mit von der schmerzlichsten Wehmut halberstickter Stimme. »Nicht

mich«, erwiderte die alte Dame sehr weich und zärtlich, »nicht

mich, klagen Sie an, Maximilian! - War es denn nicht Ihr starrer

unversöhnlicher Sinn, Ihr träumerischer Glaube an Ahnungen, an

seltsame, Unheil verkündende Visionen, der Sie forttrieb von mir, und

der mich zuletzt bestimmen mußte, dem sanfteren, beugsameren Mann,

der mit Ihnen zugleich sich um mich bewarb, den Vorzug zu geben.

Ach! Maximilian, Sie mußten es ja wohl fühlen, wie innig Sie geliebt

wurden, aber Ihre ewige Selbstqual, peinigte sie mich nicht bis zur

Todesermattung?« Der alte Herr unterbrach die Dame, indem er ihre Hand

fahren ließ: »O Sie haben recht, Frau Geheime Rätin, ich muß allein

stehen, kein menschliches Herz darf sich mir anschmiegen, alles was

Freundschaft, was Liebe vermag, prallt wirkungslos ab von diesem

steinernen Herzen.« - »Wie bitter«, fiel die Dame dem alten Herrn in

die Rede, »Wie bitter, wie ungerecht gegen sich selbst, und andere

sind Sie, Maximilian! - Wer kennt Sie denn nicht als den freigebigsten

Wohltäter der Bedürftigen, als den unwandelbarsten Verfechter des

Rechts, der Billigkeit, aber welches böse Geschick warf jenes

entsetzliche Mißtrauen in Ihre Seele, das in einem Wort, in einem

Blick, ja in irgend einem von jeder Willkür unabhängigen Ereignis

Verderben und Unheil ahnet?« - »Hege ich denn nicht alles«, sprach der

alte Herr mit weicherer Stimme und Tränen in den Augen, »hege ich denn

nicht alles, was sich mir nähert, mit der vollsten Liebe? Aber diese

Liebe zerreißt mir das Herz, statt es zu nähren. - Ha!« fuhr er mit

erhöhter Stimme fort, »dem unerforschlichen Geist der Welten gefiel es

mich mit einer Gabe auszustatten, die, mich dem Tode entreißend, mich

hundertmal tötet! - Gleich dem Ewigen Juden, sehe ich das unsichtbare

Kainszeichen auf der Stirne des gleisnerischen Meuters! - Ich

erkenne die geheimen Warnungen, die oft wie spielende Rätsel der

geheimnisvolle König der Welt, den wir Zufall nennen, uns in den Weg

wirft. Eine holde Jungfrau schaut uns mit hellen klaren Isisaugen

an, aber wer ihre Rätsel nicht löst, den ergreift sie mit kräftigen

Löwentatzen, und schleudert ihn in den Abgrund.« - »Noch immer«,

sprach die alte Dame, »noch immer diese verderblichen Träume. Wo blieb

der schöne, artige Knabe, Ihres jüngern Bruders Sohn, den Sie vor

einigen Jahren so liebreich aufgenommen, in dem so viel Liebe und

Trost für Sie aufzukeimen schien?« - »Den«, erwiderte der alte Herr

mit rauher Stimme, »den habe ich verstoßen, es war ein Bösewicht,

eine Schlange, die ich mir zum Verderben im Busen nährte.« - »Ein

Bösewicht! - der Knabe von sechs Jahren?« fragte die Dame ganz

bestürzt. »Sie wissen«, fuhr der alte Herr fort, »die Geschichte

meines jüngern Bruders; Sie wissen, daß er mich mehrmals auf bübische

Weise täuschte, daß, alles brüderliche Gefühl in seiner Brust

ertötend, ihm jede Wohltat, die ich ihm erzeigte, zur Waffe gegen mich

diente. An ihm, an seinem rastlosen Streben lag es nicht, daß nicht

meine Ehre, meine bürgerliche Existenz verloren ging. Sie wissen, wie

er vor mehreren Jahren, in das tiefste Elend versunken, zu mir kam,

wie er mir Änderung seiner verworrenen Lebensweise, wiedererwachte

Liebe heuchelte, wie ich ihn hegte und pflegte, wie er dann seinen

Aufenthalt in meinem Hause nutzte, um gewisse Dokumente - doch genug

davon. Sein Knabe gefiel mir, und diesen behielt ich bei mir, als

der Schändliche, nachdem seine Ränke, die mich in einen meine Ehre

vernichtenden Kriminalprozeß verwickeln sollten, entdeckt worden,

fliehen mußte. Ein warnender Wink des Schicksals befreiete mich von

dem Bösewicht.« - »Und dieser Wink des Schicksals war gewiß einer

Ihrer bösen Träume.« So sprach die alte Dame, doch der alte Herr fuhr

fort: »Hören Sie, urteilen Sie Julie! - Sie wissen, daß meines Bruders

Teufelei mir den härtesten Stoß gab, den ich erlitten - es sei denn,

daß - doch still davon. Mag es sein, daß ich der Seelenkrankheit, die

mich befallen, den Gedanken zuschreiben muß, mir in diesem Wäldchen

eine Grabstätte für mein Herz bereiten zu lassen. Genug, es geschah!

- Das Wäldchen war in Herzform angepflanzt, der Pavillon erbaut, die

Arbeiter beschäftigten sich mit der Marmortäfelung des Fußbodens. Ich

trete hinan, um nach dem Werk zu sehen. Da bemerke ich, daß in einiger

Entfernung der Knabe, so wie ich, Max geheißen, etwas hin- und

herkugelt unter allerlei tollen Bockssprüngen und lautem Gelächter.

Eine finstere Ahnung geht durch meine Seele! - Ich gehe los auf

den Knaben und erstarre, als ich sehe, daß es der rote herzförmig

ausgearbeitete Stein ist, der zum Einlegen in dem Pavillon bereit lag,

den er mit Mühe herausgekugelt hat und mit dem er nun spielt! >Bube!

du spielst mit meinem Herzen, wie dein Vater!< - Mit diesen Worten

stieß ich ihn voll Abscheu von mir, als er sich weinend mir nahte. -

Mein Verwalter erhielt die nötigen Befehle ihn fortzuschaffen, ich

habe den Knaben nicht wiedergesehen!« - »Entsetzlicher Mann!« rief die

alte Dame, die aber der alte Herr sich höflich verbeugend, und mit den

Worten: »Des Schicksals große Grundstriche fügen sich nicht dem feinen

Nonpareil der Damen«, unter dem Arm faßte, und aus dem Pavillon

hinausführte durch das Wäldchen in den Garten. - Der alte Herr war der

Hofrat Reutlinger, die alte Dame aber die Geheime Rätin Foerd. - - Der

Garten bot das allermerkwürdigste Schauspiel dar, was man nur sehen

konnte. Eine große Gesellschaft alter Herren, Geheime Räte, Hofräte

u.a. nebst ihren Familien aus den benachbarten Städtchen hatte sich

versammelt. Alle, selbst die jungen Leute und Mädchen waren ganz

streng nach der Mode des Jahres 1760 gekleidet mit großen Perücken,

gesteiften Kleidern, hohen Frisuren, Reifröcken usw., welches denn

um so mehr einen wunderlichen Eindruck machte, als die Anlagen des

Gartens ganz zu jenem Kostüm paßten. Jeder glaubte sich, wie durch

einen Zauberschlag, in eine längst verflossene Zeit zurückversetzt.

Der Maskerade lag eine wunderliche Idee Reutlingers zum Grunde. Er

pflegte alle drei Jahre am Tage Mariä Geburt auf seinem Landsitz das

»Fest der alten Zeit« zu feiern, wozu er alles aus dem Städtchen, was

nur kommen wollte, einlud, jedoch war es unerläßliche Bedingung, daß

jeder Gast sich in das Kostüm des Jahres 1760 werfen mußte. Jungen

Leuten, denen es lästig gewesen sein würde, dergleichen Kleider

herbeizuschaffen, half der Hofrat aus mit seiner eigenen reichen

Garderobe. - Offenbar wollte der Hofrat diese Zeit hindurch (das Fest

dauerte zwei bis drei Tage) in Rückerinnerungen der alten Jugendzeit

recht schwelgen.

 

In einer Seitenallee begegneten sich Ernst und Willibald. Beide sahen

sich eine Weile schweigend an und brachen dann in ein helles Gelächter

aus. »Du kommst mir vor«, rief Willibald, »wie der im Irrgarten der

Liebe herumtaumelnde Kavalier.« »Und mich dünkt«, erwiderte Ernst,

»ich hätte dich schon in der asiatischen Banise erblickt.« - »Aber in

der Tat«, fuhr Willibald fort, »des alten Hofrats Einfall ist so übel

nicht. Er will nun einmal sich selbst mystifizieren, er will eine Zeit

hervorzaubern, in der er wahrhaft lebte, unerachtet er noch jetzt ein

munterer starker Greis mit unverwüstlicher Lebenskraft und herrlicher

Frischheit des Geistes, an Erregbarkeit und fantasiereicher Laune es

manchem vor der Zeit abgestumpften Jünglinge zuvortut. Er darf nicht

dafür sorgen, daß jemand in Wort und Gebärde aus dem Kostüm falle,

denn dafür steckt jeder eben in den Kleidern die ihm das ganz

unmöglich machen. Sieh nur wie jüngferlich und zunferlich unsere

jungen Damen in ihren Reifröcken einhertrippeln, wie sie sich des

Fächers zu bedienen wissen. - Wahrhaftig mich selbst ergreift unter

der Perücke, die ich auf meinen Titus gestülpt, ein ganz besonderer

Geist altertümlicher Courtoisie, da ich eben das allerliebste Kind,

des Geh. Rates Foerd jüngste Tochter, die holde Julie erblicke, so

weiß ich gar nicht was mich abhält, mich ihr in demütiger Stellung zu

nahen und mich also zu applizieren und explizieren: >Allerschönste

Julia! wenn wird mir doch die längst gewünschte Ruhe durch deine

Gegenliebe gewährt werden! Es ist ja unmöglich, daß den Tempel dieser

Schönheit ein steinerner Abgott bewohnen könne. Den Marmor bezwingt

der Regen und der Diamant wird durch schlechtes Blut erweichet; dein

Herz will aber einem Ambosse gleichen, welches sich nur durch Schläge

verhärtet; je mehr nun mein Herze klopfet, je unempfindlicher wirst

du. Laß mich doch das Ziel deines Blicks sein, schaue doch wie mein

Herz kocht und meine Seele nach der Erquickung lechzet, welche aus

deiner Anmut quillt. Ach! - willst du mich durch Schweigen betrüben,

unempfindliche Seele? Die toten Felsen antworten ja den Fragenden

durch ein Echo und du willst mich Trostlosen keiner Antwort würdigen?

- O Allerschönste<« - »Ich bitte dich«, unterbrach hier Ernst den

Freund, der mit dem wunderlichsten Gebärdenspiel das alles gesprochen,

»ich bitte dich, halt ein, du bist nun einmal wieder in deiner tollen

Laune und merkst nicht, wie Julie, erst sich uns freundlich nähernd,

mit einem Mal ganz scheu ausbog. Ohne dich zu verstehen, glaubt sie

gewiß so wie alle in gleichem Fall, schonungslos von dir bespöttelt zu

sein, und so bewährst du deinen Ruf als eingefleischten ironischen

Satan und ziehst mich neuen Ankömmling ins Unglück, denn schon

sprechen alle mit zweideutigem Seitenblick und bittersüßem Lächeln:

>Es ist Willibalds Freund.<« - »Laß es gut sein«, sprach Willibald,

»ich weiß es ja, daß viele Leute, zumal junge hoffnungsvolle Mädchen

von sechszehn, siebzehn Jahren mir sorglich ausweichen, aber ich kenne

das Ziel, wohin alle Wege führen, und weiß auch, daß sie dort mir

begegnend oder vielmehr mich wie im eignen Hause angesiedelt treffend,

recht mit vollem freundlichen Gemüt mir die Hand reichen werden.«

- »Du meinst«, sprach Ernst, »eine Versöhnung, wie im ewgen Leben,

wenn der Drang des Irdischen abgeschüttelt.« - »O ich bitte dich«,

unterbrach ihn Willibald, »laß uns doch gescheut sein und nicht alte,

längst besprochene Dinge aufs neue und gerade zur ungünstigsten Stunde

aufrühren. Ungünstig für derlei Gespräche nenne ich nämlich deshalb

eben diese Stunden, weil wir gar nichts Besseres tun können, als uns

dem seltsamen Eindruck alles des Wunderlichen, womit uns Reutlingers

Laune, wie in einen Rahmen eingefaßt hat, hingeben. Siehst du

wohl jenen Baum, dessen ungeheure weiße Blüten der Wind hin- und

herschüttelt? - Cactus grandiflorus kann es nicht sein, denn der blüht

nur mitternachts und ich spüre auch nicht das Aroma, welches sich bis

hierher verbreiten müßte. Weiß der Himmel, welchen Wunderbaum der

Hofrat wieder in sein Tusculum verpflanzt hat.« - Die Freunde gingen

auf den Wunderbaum los und wunderten sich in der Tat nicht wenig, als

sie einen dicken dunklen Holunderbusch trafen, dessen Blüten nichts

anders waren, als hineingehängte weißgepuderte Perücken, die mit

ihren darangehängten Haarbeuteln und Zöpfchen, ein kurioses Spielzeug

des launigten Südwinds, auf- und niederschaukelten. Lautes Lachen

verkündete was hinter den Büschen verborgen. Eine ganze Gesellschaft

alter gemütlicher lebenskräftiger Herren hatte sich auf einem breiten

von buntem Buschwerk umgebenen Rasenplatz versammelt. Die Röcke

ausgezogen, die lästigen Perücken in den Holunder gehängt, schlugen

sie Ballon. Aber niemand übertraf den Hofrat Reutlinger, der den

Ballon bis zu einer unglaublichen Höhe und so geschickt zu treiben

wußte, daß er jedesmal dem Gegenspieler schlaggerecht niederfiel. In

dem Augenblick ließ sich eine abscheuliche Musik von kleinen Pfeifen

und dumpfen Trommeln hören. Die Herren endeten schnell ihr Spiel und

griffen nach ihren Röcken und Perücken. »Was ist denn das nun wieder?«

sprach Ernst. »Ich wette«, erwiderte Willibald, »der türkische

Gesandte zieht ein.« - »Der türkische Gesandte?« frug Ernst ganz

erstaunt. »So nenne ich«, fuhr Willibald fort, »den Baron von Exter,

der sich in G. aufhält und den du noch viel zu wenig gesehen hast, um

in ihm nicht eins der wunderlichsten Originale zu erkennen, die es

geben mag. Er ist ehemals Gesandter unseres Hofes in Konstantinopel

gewesen und noch immer sonnt er sich in dem Reflex dieser

wahrscheinlich genußreichsten Frühlingszeit seines Lebens. Seine

Beschreibung des Palastes, den er in Pera bewohnte, erinnert an

die diamantnen Feen-Paläste in Tausendundeiner Nacht, und seine

Lebensweise an den weisen König Salomo, dem er auch darin gleichen

will, daß er sich wirklich der Herrschaft über unbekannte Naturkräfte

rühmt. In der Tat hat dieser Baron Exter seiner lügnerischen

Prahlerei, seiner Charlatanerie unerachtet, doch etwas Mystisches, das

mich wenigstens in drolligem Abstich mit seiner äußern etwas skurrilen

Erscheinung oft wirklich mystifiziert. Davon, ich meine von seinem

wirklich mystischen Treiben geheimer Wissenschaften, rührt auch seine

enge Verbindung mit Reutlingern her, der diesem Wesen ganz ergeben ist

mit Leib und Seele. - Beide sind wunderliche Träumer, aber jeder auf

seine Weise, übrigens aber entschiedene Mesmerianer.« - Unter diesem

Gespräch waren die Freunde bis an des Gartens großes Gattertor

gelangt, durch welches soeben der türkische Gesandte einzog. Ein

kleiner rundlicher Mann mit einem schönen türkischen Pelz und hohem

aus farbigten Shawls aufgewickeltem Turban angetan. Aus Gewohnheit

hatte er sich aber nicht von der eng anschließenden Zopfperücke

mit kleinen Löckchen, aus Bedürfnis nicht von den filznen

Podagristenstiefeln trennen können, wodurch freilich das türkische

Kostüm schwer verletzt wurde. Seine Begleiter, die das abscheuliche

musikalische Geräusch machten und in denen Willibald trotz der

Vermummung Exters Koch und anderes Hausgesinde erkannte, waren zu

Mohren angerußt und trugen spitze gemalte Papiermützen, den Sanbenitos

nicht unähnlich, welches drollig genug aussah. Den türkischen

Gesandten führte am Arm ein alter Offizier, nach seiner Tracht von

irgend einem Schlachtfelde des Siebenjährigen Krieges erwacht und

erstanden. Es war der General Rixendorf, Kommandant von G., der dem

Hofrat zu Gefallen samt seinen Offizieren sich in das alte Kostüm

geworfen hatte. »Salama milek!« sprach der Hofrat den Baron Exter

umarmend, der sofort den Turban abnahm, und ihn wieder auf die

Perücke stülpte, nachdem er sich den Schweiß von der Stirne mit einem

ostindischen Tuch weggetrocknet. In dem Augenblick bewegte sich auch

in den Zweigen eines Spätkirschenbaums der goldstrahlende Fleck, den

Ernst schon lange betrachtet hatte, ohne enträtseln zu können, was da

oben sitze. Es war bloß der Geheime Kommerzienrat Harscher in einem

goldstoffnen Ehrenkleide, ebensolchen Beinkleidern und silberstoffner

mit blauen Rosenboukets bestreuter Weste, der nun sich aus den

Blättern des Kirschbaums entwickelte, und für sein Alter behende

genug auf der angelehnten Leiter herabstieg und mit ganz feiner etwas

quäkender Stimme singend oder vielmehr kreischend: »Ah! che vedo -

o dio che sento!« dem türkischen Gesandten in die Arme eilte. Der

Kommerzienrat hatte seine Jugendzeit in Italien zugebracht, war ein

großer Musikus und wollte noch immer mittelst eines lang geübten

Falsetts singen wie Farinelli. »Ich weiß«, sprach Willibald, »daß

Harscher sich die Taschen mit Spätkirschen vollgestopft hat, die er,

irgend ein Madrigal süß lamentierend, den Damen präsentieren wird. Da

er aber wie Friedrich der Zweite den Spaniol ohne Dose in der Tasche

ausgeschüttet trägt, wird er mit seiner Galanterie nur widerwilliges

Ablehnen und finstre Gesichter einernten.« - Überall war nun der

türkische Gesandte sowie der Held des Siebenjährigen Krieges mit

Freude und Jubel empfangen worden. Letzterer wurde von Julchen Foerd

mit kindlicher Demut begrüßt, tief beugte sie sich vor dem alten Herrn

und wollte ihm die Hand küssen, da sprang aber der türkische Gesandte

wild dazwischen, rief. »Narrheiten, tolles Zeug!« umarmte Julchen mit

Heftigkeit, wobei er dem Kommerzienrat Harscher sehr hart auf die Füße

trat, der aber vor Schmerz nur ein ganz klein wenig miaute und rannte

dann mit Julien, die er unter den Arm gefaßt, davon. - Man sah, daß er

sehr eifrig mit den Händen focht, den Turban auf- und abstülpte usw.

»Was hat der Alte mit dem Mädchen vor?« sprach Ernst. »In der Tat«,

erwiderte Willibald, »es scheint Wichtiges, denn, ist Exter gleich

des Mädchens Pate und ganz vernarrt in sie, so pflegt er doch nicht

sogleich aus der Gesellschaft mit ihr davonzulaufen.« - In dem

Augenblick blieb der türkische Gesandte stehen, streckte den rechten

Arm weit von sich und rief mit starker Stimme, daß es im ganzen Garten

widerhallte: »Apporte!« - Willibald brach in ein lautes Gelächter aus.

»Wahrhaftig«, sprach er dann, »es ist weiter nichts, als daß Exter

Julien zum tausendstenmal die merkwürdige Geschichte vom Seehunde

erzählt.« Ernst wollte diese merkwürdige Geschichte durchaus wissen.

»Erfahre denn«, sprach Willibald, »daß Exters Palast dicht am Bosporus

lag, so daß Stufen von dem feinsten karrarischen Marmor hinabführten

ins Meer. Eines Tages steht Exter auf der Galerie in die

tiefsinnigsten Betrachtungen versunken, aus denen ihn ein

durchdringender gellender Schrei hinausreißt. Er schaut hinab und

siehe, ein ungeheurer Seehund ist aus dem Meer hinaufgetaucht und

hat einem armen türkischen Weibe, die auf den Marmorstufen saß, den

Knaben von dem Arm hinabgerissen, mit dem er eben abfährt in die

Meereswellen. Exter eilt hinab, das Weib fällt ihm trostlos weinend

und heulend zu Füßen. Exter besinnt sich nicht lange, er tritt dicht

ans Meer auf die letzte Stufe, streckt den Arm aus und ruft mit

starker Stimme: >Apporte!< - Sogleich steigt der Seehund aus der Tiefe

des Meers, im weiten Maule den Knaben, den er zierlich und geschickt,

wie auch ganz unversehrt dem Magier überreicht und sodann jedem Dank

ausweichend, sich wieder entfernt in das Meer niedertaucht.« - »Das

ist stark - das ist stark«, rief Ernst. »Siehst du wohl«, fuhr

Willibald fort, »siehst du wohl, wie Exter jetzt einen kleinen Ring

vom Finger zieht und ihn Julien zeigt? Keine Tugend bleibt unbelohnt!

- Außer dem, daß Exter dem türkischen Weibe den Knaben gerettet hatte,

so beschenkte er sie noch, als er vernahm, daß ihr Mann ein armer

Lastträger, kaum das tägliche Brot zu verdienen vermochte, mit einigen

Juwelen und Goldstücken, freilich nur eine Lumperei, höchstens

zwanzig- bis dreißigtausend Taler an Wert; darauf zog das Weib

einen kleinen Saphir vom Finger und drang ihn Extern auf mit der

Versicherung, es sei ein teures ererbtes Familienstück, das nur durch

Exters Tat gewonnen werden könne. Exter nahm den Ring, der ihm von

geringem Werte schien und erstaunte nicht wenig, als er später durch

eine kaum sichtbare arabische Inschrift an des Ringes Reif belehrt

wurde, daß er des großen Alis Siegelring am Finger trage, mit dem er

jetzt zuweilen Mahomeds Tauben heranlockt und mit ihnen konversiert.«

- »Das sind ganz erstaunliche Dinge«, rief Ernst lachend, »doch laß

uns sehen, was dort in dem geschlossenen Kreise vorgeht, in dessen

Mitte ein klein Ding, wie ein kartesianisches Teufelchen, auf- und

niedergaukelt und quinkeliert.« -

 

Die Freunde traten auf einen runden Rasenplatz, ringsumher saßen

alte und junge Herren und Damen, in der Mitte sprang ein sehr bunt

gekleidetes, kaum vier Fuß hohes Dämchen, mit einem etwas zu großen

Apfelköpfchen umher, und schnappte mit den Fingerchen und sang mit

einem ganz kleinen, dünnen Stimmchen: »Amenez vos troupeaux bergères!«

- »Solltest du wohl glauben«, sprach Willibald, »daß dies putzige

Figurchen, die so überaus naiv und scharmant tut, Juliens ältere

Schwester ist? Du merkst, daß sie leider zu den Weibern gehört, die

die Natur mit recht bittrer Ironie mystifiziert, indem sie trotz alles

Sträubens zu ewiger Kindheit verdammt, vermöge ihrer Figur und ihres

ganzen Wesens im Alter noch mit jener kindischen Naivität kokettierend

sich und andern herzlich zur Last werden müssen, wobei es denn oft

an gehöriger Verhöhnung nicht mangelt.« - Beiden Freunden wurde das

Dämchen mit ihrer französischen Faselei recht fatal, sie schlichen

daher fort wie sie gekommen und schlossen sich lieber an den

türkischen Gesandten an, der sie fortführte in den Saal, wo eben, da

die Sonne schon niedersank, alles zu der Musik vorbereitet wurde, die

man heute zu geben im Sinne hatte. Der Österleinische Flügel wurde

geöffnet und jedes Pult für die Künstler an seinen Ort gestellt.

Die Gesellschaft sammelte sich nach und nach, Erfrischungen wurden

herumgereicht in altem reichen Porzellan; dann ergriff Reutlinger

eine Geige und führte mit Geschicklichkeit und Kraft eine Sonate von

Corelli aus, wozu ihn der General Rixendorf auf dem Flügel begleitete,

dann bewährte sich der goldstoffne Harscher als Meister auf

der Theorbe. Hierauf begann die Geheime Rätin Foerd eine große

italienische Szene von Anfossi mit seltenem Ausdruck. Die Stimme war

alt, tremulierend und ungleich, aber noch wurde alles dieses durch

die ihr eigne Meisterschaft des Gesanges besiegt. In Reutlingers

verklärtem Blick glänzte das Entzücken längst vergangener Jugend.

Das Adagio war geendet, Rixendorf begann das Allegro, als plötzlich

die Tür des Saals aufgerissen wurde und ein junger wohlgekleideter

Mensch, von hübschem Ansehen, ganz erhitzt und atemlos hinein und zu

Rixendorfs Füßen stürzte. »O Herr General! - Sie haben mich gerettet

- Sie allein - es ist alles gut alles gut! O mein Gott, wie soll ich

Ihnen denn danken.« So schrie der junge Mensch wie außer sich, der

General schien verlegen, er hob den jungen Menschen sanft auf und

führte ihn mit beschwichtigenden Worten heraus in den Garten. Die

Gesellschaft war von dem Auftritt überrascht worden, jeder hatte

in dem Jüngling den Schreiber des Geheimen Rates Foerd erkannt und

schaute diesen mit neugierigen Blicken an. Der nahm aber eine Prise

nach der andern und sprach mit seiner Frau französisch, bis er

endlich, da ihm der türkische Gesandte näher auf den Leib rückte,

rund heraus erklärte: »Ich weiß, Hochzuverehrende! durchaus mir nicht

zu erklären, welcher böse Geist meinen Max hier so plötzlich mit

exaltierten Danksagungen hineingeschleudert hat, werde aber sogleich

die Ehre haben.« - Damit schlüpfte er zur Türe heraus und Willibald

folgte ihm auf dem Fuße. Das dreiblättrige Kleeblatt der Foerdschen

Familie, nämlich die drei Schwestern, Nannette, Clementine und Julie,

äußerten sich auf ganz verschiedene Weise. Nannette ließ den Fächer

auf- und niederrauschen, sprach von Etourderie und wollte endlich

wieder singen: Amenez vos troupeaux, worauf aber niemand achtete.

Julie war abseits in den Winkel getreten und der Gesellschaft den

Rücken zugewendet, war es, als wolle sie nicht allein ihr glühendes

Gesicht, sondern auch einige Tränen verbergen, die ihr, wie man schon

bemerkt, in die Augen getreten. »Freude und Schmerz verwunden mit

gleichem Weh die Brust des armen Menschen, aber färbt der dem

verletzenden Dorn nachquillende Blutstropfe nicht mit höherem Rot die

verbleichende Rose?« So sprach mit vielem Pathos die jeanpaulisierende

Clementine, indem sie verstohlen die Hand eines hübschen jungen,

blonden Menschen faßte, der gar zu gern sich aus den Rosenbanden,

womit ihn Clementine bedrohlich umstrickt und in denen er etwas zu

spitze Dornen verspürt hatte, losgewickelt. Der lächelte aber etwas

fade und sprach nur: »O ja, Beste!« - Dabei schielte er nach einem

seitwärts stehenden Glase Wein, welches er gern auf Clementinens

sentimentalen Spruch geleert. Das ging aber nicht, da Clementine seine

linke Hand festhielt, er aber mit der Rechten soeben das Besitztum

eines Stücks Kuchen ergriffen. In dem Augenblick trat Willibald zur

Saaltür herein und alles stürzte auf ihn zu mit tausend Fragen, wie,

was, warum und woher? Er wollte durchaus nichts wissen, zog aber ein

verschmitzteres Gesicht als jemals. Man ließ nicht ab von ihm, weil

man deutlich bemerkt, daß er im Garten sich mit dem Geheimen Rat

Foerd zum General Rixendorf und zum Schreiber Max gesellt, und heftig

mitgesprochen hatte. »Soll ich denn«, fing er endlich an, »soll ich

denn in der Tat die wichtigste aller Begebenheiten vor der Zeit

ausplaudern, so muß es mir vergönnt werden, zuvörderst an Sie, meine

hochzuverehrenden Damen und Herren, einige Fragen zu richten.« - Man

erlaubte das gern. »Ist Ihnen«, fuhr Willibald nun pathetisch fort,

»ist Ihnen nicht allen der Schreiber des Herrn Geheimen Rat Foerd,

Max geheißen, als ein wohlgebildeten, von der Natur reichlich

ausgestatteter Jüngling bekannt?« - »Ja, ja, ja!« rief der Chor der

Damen. »Ist Ihnen«, frug Willibald weiter, »ist Ihnen nicht sein

Fleiß, seine wissenschaftliche Bildung, seine Geschicklichkeit im

Geschäft bekannt?« - »Ja -ja!« rief der Chor der Herren, und wieder

»Ja, ja, ja!« der vereinigte Chor der Herren und Damen, als Willibald

noch frug, ob Max nicht weiter als der aufgeweckteste Kopf, voller

Possen und Schnurren, sowie endlich als solch geschickter Zeichner

bekannt sei, daß Rixendorf, der als Dilettant in der Malerei

Ungewöhnliches leiste, es nicht verschmäht habe, selbst ihm

zweckmäßigen Unterricht zu erteilen. »Es begab sich«, erzählte nun

Willibald, »daß vor einiger Zeit ein junges Meisterlein von der

ehrsamen Schneiderzunft seine Hochzeit feierte. Es ging dabei hoch

her, Bässe schnurrten, Trompeten schmetterten durch die Gasse. Mit

rechter Wehmut sah des Herrn Geheimen Rats Bedienter, Johann, zu den

erleuchteten Fenstern herauf, das Herz wollte ihm springen, wenn er

unter den Tanzenden Jettchens Tritte zu vernehmen glaubte, die, wie

er wußte, auf der Hochzeit war. Als nun aber Jettchen wirklich zum

Fenster herausguckte, da konnte er es nicht länger aushalten, er lief

nach Hause, warf sich in seinen besten Staat und ging keck herauf in

den Hochzeitsaal. Er wurde wirklich zugelassen, freilich unter der

schmerzlichen Bedingung, daß im Tanz jeder Schneider vor ihm den

Vorzug haben sollte, wodurch er freilich auf die Mädchen angewiesen

wurde, mit denen ob ihrer Häßlichkeit oder sonstigen Untugenden,

niemand tanzen mochte. Jettchen war auf alle Tänze versagt, aber sowie

sie den Geliebten sah, vergaß sie alles, was sie versprochen, und der

beherzte Johann stieß das dünnleibige Schneiderlein, das ihm Jettchen

abtrotzen wollte, zu Boden, daß es über und über purzelte. Dies gab

das Signal zum allgemeinen Aufstande. Johann wehrte sich wie ein Löwe,

Rippenstöße und Ohrfeigen nach allen Seiten austeilend, doch er mußte

der Menge seiner Feinde erliegen und wurde auf schmähliche Weise von

Schneidergesellen die Treppe herabgeworfen. Voll Wut und Verzweiflung

wollte er die Fenster einwerfen, er schimpfte und fluchte, da kam Max,

der nach Hause ging, des Weges und befreite den unglücklichen Johann

aus den Händen der Scharwacht, die eben über ihn herzufallen im

Begriff stand. Nun klagte Johann sein Unglück und wollte durchaus

nicht abstehen von tumultuarischer Rache, doch gelang es endlich dem

klügern Max, ihn zu beruhigen, wiewohl nur unter dem Versprechen, daß

er sich seiner annehmen und die ihm geschehene Unbill so rächen wolle,

daß er ganz gewiß zufrieden sein werde« - Willibald hielt plötzlich

ein. - »Nun? - nun? Und weiter? - Eine Schneiderhochzeit - ein

Liebespaar - Prügel - was soll das dann werden?« So rief es von

allen Seiten. »Erlauben Sie«, fuhr Willibald fort, »erlauben Sie,

Hochzuverehrende! zu bemerken, daß, um mit dem berühmten Weber Zettel

zu reden, in dieser Komödie von Johann und Jettchen Dinge vorkommen,

die nimmermehr gefallen werden. - Es könnte sogar wider den feinsten

Anstand gesündigt werden.« - »Sie werden's schon einzurichten wissen,

lieber Herr Willibald«, sprach die alte Stiftsrätin von Krain, indem

sie ihn auf die Schulter klopfte, »ich für meinen Teil kann einen Puff

vertragen.« - »Der Schreiber Max«, erzählte Willibald weiter, »setzte

sich andern Tages hin, nahm ein großes schönes Blatt Velinpapier,

Bleifeder und Tusche, und zeichnete mit der vollendetsten Wahrheit

einen großen stattlichen Ziegenbock hin. Die Physiognomie dieses

wunderbaren Tiers gab jedem Physiognomen reichlichen Stoff

zum Studium. In dem Blick der geistreichen Augen lag etwas

Überschwengliches, wiewohl um das Maul und um den Bart herum einige

Konvulsionen zitternd zu spielen schienen. Das Ganze zeugte von

innerer unaussprechlicher Qual. In der Tat war auch der gute Bock

beschäftigt, auf eine sehr natürliche, wiewohl schmerzliche Weise

ganz kleine allerliebste, mit Schere und Bügeleisen bewaffnete

Schneiderlein zur Welt zu befördern, die in den wunderlichsten Gruppen

ihre Lebenstätigkeit bewiesen. Unter dem Bilde stand ein Vers, den ich

leider vergessen, doch irr ich nicht, so hieß die erste Zeile: >Ei was

hat der Bock - gegessen.< Ich kann übrigens versichern, daß dieser

wunderbare Bock« - »Genug - genug«, riefen die Damen, »genug von dem

garstigen Tier - von Max, von Max wollen wir hören.« - »Besagter

Max«, nahm Willibald das Wort wieder auf, »besagter Max gab das

wohlausgeführte und vollkommen geratene Tableau dem gekränkten Johann,

der es so geschickt an die Schneiderherberge anzuheften wußte, daß

einen ganzen Tag hindurch das müßige Volk nicht von dem Bildnis

wegkam. Die Straßenjungen schwenkten jubelnd die Mützen und tanzten

jedem Schneiderlein, das sich sehen ließ, hinterher, und sangen und

kreischten gewaltig: >Ei was hat der Bock gegessen.< - >Niemand anders

hat das Blatt gezeichnet, als des Geheimen Rats Max<, sagten die

Maler, >niemand hat die Worte geschrieben, als des Geheimen Rats Max<,

riefen die Schreibmeister, als die ehrsame Schneiderzunft die nötigen

Erkundigungen einzog. Max wurde verklagt und sah, da er nicht wohl

leugnen konnte, einer empfindlichen Gefängnisstrafe entgegen. Da

rannte er voll Verzweiflung zu seinem Gönner, dem General Rixendorf;

bei allen Advokaten war er schon gewesen. Die runzelten die Stirn,

schüttelten die Köpfe und sprachen von hartnäckigem Ableugnen usw.,

was dem ehrlichen Max nicht wohlgefiel. Der General sprach dagegen:

>Du hast einen dummen Streich gemacht, lieber Sohn! die Advokaten

werden dich nicht retten, aber ich, und bloß darum, weil in deinem

Bilde, das ich bereits gesehen, korrekte Zeichnung und verständige

Anordnung ist. Der Bock, als Hauptfigur, hat Ausdruck und

Haltung, sowie die bereits auf dem Boden liegenden Schneider eine

gute Pyramidalgruppe bilden, die reich ist, ohne das Auge zu

verwirren. Sehr weise hast du den im Schmerz der Quetschung sich

hervorarbeitenden Schneider wieder als Hauptfigur der untern Gruppe

behandelt, in seinem Gesicht liegt laokoontisches Weh! Ebenso rühmlich

ist es, daß die fallenden Schneider nicht etwa schweben, sondern

wirklich fallen, wiewohl nicht aus dem Himmel; manche zu gewagte

Verkürzungen sind recht hübsch durch die Bügeleisen maskiert, auch

hast du mit reger Fantasie die Hoffnung neuer Geburten angedeutet.<«

- Die Damen fingen an ungeduldig zu murmeln, und der Goldstoffne

lispelte: »Aber Maxens Prozeß, Verehrter?« - »>Indessen nimm mir's

nicht übel<, sprach der General«, (so fuhr Willibald fort) »>die Idee

des Bildes ist nicht die deinige, sondern uralt; doch das ist es eben,

was dich rettet.< Mit diesen Worten kramte der General in seinem alten

Schreibschranke, holte einen Tabaksbeutel hervor, auf dem sich Maxens

Gedanke sauber und zwar beinahe ganz nach Maxens Weise ausgeführt

befand, überließ denselben seinem Liebling zum Gebrauch und nun war

alles gut.« - »Wie das, wie das?« rief alles durcheinander, aber die

Juristen, die sich in der Gesellschaft befanden, lachten laut, und der

Geheime Rat Foerd, der unterdessen auch hineingetreten war, sprach

lächelnd: »Er leugnete den animum injuriandi, die Absicht zu

beleidigen, und wurde freigesprochen.«- »Will soviel heißen«, fiel

Willibald ihm in die Rede, »als daß Max sprach: >Ich kann nicht

leugnen, daß das Bild von meiner Hand ist; absichtslos und ohne irgend

die von mir so hochverehrte Schneiderzunft kränken zu wollen, kopierte

ich das Blatt nach dem Original, das ich hier mit diesem Tabaksbeutel,

der dem General Rixendorf, meinem Lehrer in der Zeichenkunst, gehört,

überreiche. Einige Variationen habe ich meiner schaffenden Fantasie zu

danken. Das Bild ist mir aus den Händen gekommen, ich habe es weder

jemanden sonst gezeigt, noch gar etwa angeheftet. Über diesen Umstand,

in dem allein die Injurie liegt, erwarte ich den Nachweis.< - Diesen

Nachweis ist die ehrsame Schneiderzunft schuldig geblieben und Max

heute freigesprochen worden. Daher sein Dank, seine unmäßige Freude.«

- Man fand allgemein, daß doch die halb wahnsinnige Art und Weise,

wie Max seinen Dank geäußert, durch die erzählten Umstände nicht ganz

motiviert werde, nur die Geheime Rätin Foerd sprach mit bewegter

Stimme: »Der Jüngling hat ein leicht verwundbares Gemüt und ein

zarteres Ehrgefühl, als je ein anderer. Körperliche Strafe erdulden

zu müssen hätte ihn elend gemacht, ihn auf immer von G. vertrieben.«

- »Vielleicht«, fiel Willibald ein, »liegt hier noch etwas ganz

Besonderes im Hintergrunde.« - »So ist es, lieber Willibald«, sprach

Rixendorf, der hineingetreten war und die Worte der Geheimen Rätin

vernommen hatte, »so ist es, und will es Gott, so soll sich bald alles

recht hell und fröhlich aufklären.« -

 

Clementine fand die ganze Geschichte sehr unzart, Nannette dachte

gar nichts, aber Julie war sehr heiter geworden. Jetzt ermunterte

Reutlinger die Gesellschaft zum Tanze. Sogleich spielten vier

Theorbisten, unterstützt von ein paar Zinken, Violinen und Bässen,

eine pathetische Sarabande. Die Alten tanzten, die Jungen schauten

zu. Der Goldstoffne zeichnete sich aus durch zierliche und gewagte

Sprünge. Der Abend ging ganz heiter hin, so auch der andere Morgen.

Wie gestern sollte auch heute Konzert und Ball den festlichen

Tag beschließen. Der General Rixendorf saß schon am Flügel, der

Goldstoffne hatte die Theorbe im Arm, die Geheime Rätin Foerd die

Partie in der Hand. Man wartete nur auf die Rückkehr des Hofrats

Reutlinger. Da hörte man im Garten ängstlich rufen und sah die

Bedienten herausrennen. Bald trugen sie den Hofrat mit geisterbleichem

entstelltem Gesicht herein, der Gärtner hatte ihn unweit des

Herzpavillons in tiefer Ohnmacht auf der Erde liegend gefunden. - Mit

einem Schrei des Entsetzens sprang Rixendorf auf vom Flügel. Man eilte

herbei mit spirituosen Mitteln, man fing an, dem Hofrat, der auf einem

Kanapee lag, die Stirne mit Kölnischem Wasser zu reiben, der türkische

Gesandte stieß aber alle zurück, indem er unaufhörlich rief. »Zurück,

zurück, ihr unwissenden ungeschickten Leute! - ihr macht mir den

kerngesunden, muntern Hofrat nur matt und elend!« - Damit schleuderte

er seinen Turban über alle Köpfe weg in den Garten hinein, den Pelz

hinterher. Nun beschrieb er mit der flachen Hand seltsame Kreise um

den Hofrat, die enger und enger werdend, zuletzt beinahe Schläfe und

Herzgrube berührten. Dann hauchte er den Hofrat an, der sogleich die

Augen aufschlug und mit matter Stimme sprach: »Exter! Du hast nicht

gut getan, mich zu wecken! - Die dunkle Macht hat mir den nahen

Tod verkündet, und vielleicht war es mir vergönnt in dieser tiefen

Ohnmacht hineinzuschlummern in den Tod.« - »Possen, Träumer«, rief

Exter, »deine Zeit ist noch nicht gekommen. Schau dich nur um, Herr

Bruder, wo du bist, und sei fein munter wie es sich schickt.« - Der

Hofrat wurde nun gewahr, daß er sich im Saal in voller Gesellschaft

befand. Er erhob sich rüstig vom Kanapee, trat in die Mitte des Saals,

und sprach mit anmutigem Lächeln: »Ich gab Ihnen ein böses Schauspiel,

Verehrte! aber an mir lag es nicht, daß das ungeschickte Volk mich

gerade in den Saal trug. Lassen Sie uns über das störende Intermezzo

schnell hinweggehen, lassen Sie uns tanzen!« - Die Musik begann

sofort, aber als sich alles in der ersten Menuett pathetisch wandte

und drehte, verschwand der Hofrat mit Exter und Rixendorf aus dem

Saal. Als sie in ein entferntes Zimmer gekommen, warf sich Reutlinger

erschöpft in einen Lehnsessel, hielt beide Hände vors Gesicht und

sprach mit von Schmerz gepreßter Stimme: »Oh, meine Freunde! meine

Freunde!« Exter und Rixendorf vermuteten mit Recht, daß irgend etwas

Entsetzliches den Hofrat erfaßt haben müsse, und daß er sich jetzt

darüber erklären werde. »Sag's nur heraus, alter Freund«, sprach

Rixendorf, »sag's nur heraus, dir ist, Gott weiß auf welche Weise,

Schlimmes im Garten begegnet.« - »Aber«, fiel Exter ein, »ich begreife

gar nicht, wie dem Hofrat heute, und überhaupt in diesen Tagen

Schlimmes begegnen konnte, da eben jetzt sein siderisches Prinzip

reiner und herrlicher sich gestaltet als jemals.« - »Doch, doch!« fing

der Hofrat mit dumpfer Stimme an, »Exter! es ist bald aus mit uns, der

kecke Geisterseher klopfte nicht ungestraft an die dunklen Pforten.

Ich wiederhole es dir, daß die geheimnisvolle Macht mich hinter den

Schleier schauen ließ - der nahe, vielleicht gräßliche Tod ist mir

verkündet.« - »So erzähle nur was dir geschah«, fiel Rixendorf ihm

ungeduldig in die Rede, »ich wette, daß alles auf eine wunderliche

Einbildung hinausläuft, ihr verderbt euch beide das Leben mit euern

Fantastereien, du und Exter.«

 

»So vernehmt es denn«, fuhr der Hofrat fort, indem er aufstand von dem

Lehnstuhl, und zwischen beide Freunde trat, »so vernehmt es denn, was

mich vor Entsetzen und Graus in tiefe Ohnmacht warf. Ihr hattet euch

schon alle in dem Saal versammelt, als ich, selbst weiß ich nicht

wodurch, angetrieben wurde noch einsam einen Gang durch den Garten zu

machen. Unwillkürlich lenkten sich meine Schritte nach dem Wäldchen.

Es war mir, als höre ich ein leises, hohles Pochen und eine leise

klagende Stimme. - Die Töne schienen aus dem Pavillon zu kommen - ich

trete näher, die Tür des Pavillons steht offen - ich erblicke - mich

selbst! - mich selbst! - aber so wie ich war vor dreißig Jahren, in

demselben Kleide, das ich trug an jenem verhängnisvollen Tage, als ich

in trostloser Verzweiflung mein elendes Leben enden wollte, als Julie

wie ein Engel des Lichts mir erschien im bräutlichen Schmuck - es war

ihr Hochzeitstag - die Gestalt - ich - ich lag auf dem Boden vor dem

Herzen, und darauf klopfend, daß es hohl widerhallte, murmelte ich:

>Nie - nie kannst du dich erweichen, du steinernes Herz!< - Regungslos

starrte ich hin, wie der eiskalte Tod rannte es durch meine Adern.

Da trat Julie bräutlich geschmückt, in voller Pracht der blühendsten

Jugend, aus den Gebüschen hervor, und streckte voll süßen Verlangens

die Arme aus nach der Gestalt, nach mir - nach mir dem Jünglinge!

Bewußtlos stürzte ich zu Boden!« Der Hofrat sank halb ohnmächtig

in den Lehnstuhl zurück, aber Rixendorf faßte seine beiden Hände,

rüttelte sie, und rief mit starker Stimme: »Das sahst du, das sahst

du, Bruder, weiter nichts? - Viktoria laß ich schießen aus deinen

japanischen Kanonen! - mit deinem nahen Tode, mit der Erscheinung ist

es nichts, gar nichts! Ich rüttle dich auf aus deinen bösen Träumen,

damit du genesen, und noch lange leben mögest auf Erden.« - Damit

sprang Rixendorf schneller, als es sein Alter zuzulassen schien, zum

Zimmer heraus. Der Hofrat hatte wohl wenig von Rixendorfs Worten

vernommen, er saß da mit geschlossenen Augen. Exter ging mit großen

Schritten auf und ab, runzelte mißmütig die Stirn und sprach: »Ich

wette, der Mensch will wieder alles auf gewöhnliche Manier erklären,

aber das soll ihm schwer werden, nicht wahr, Hofrätchen? wir verstehen

uns auf Erscheinungen! - Ich wollt nur, ich hätte meinen Turban und

meinen Pelz!« - Dies wünschend pfiff er sehr stark auf einer kleinen

silbernen Pfeife, die er beständig bei sich trug, und sogleich brachte

auch ein Mohr aus seinem Gefolge beides, Turban und Pelz. Bald darauf

trat die Geheime Rätin Foerd hinein, ihr folgte der Geheime Rat mit

Julien. Der Hofrat raffte sich auf, und in den Versicherungen, daß ihm

wieder ganz wohl geworden, wurde er es wirklich. Er bat, des ganzen

Vorfalls zu vergessen, und eben wollten alle bis auf Exter, der sich

in seiner türkischen Kleidung aufs Sofa gestreckt, und aus einer

übermäßig langen Pfeife, deren Kopf, auf Räder gestellt, am Boden

hin und her schurrte, Tabak schmauchte und Kaffee trank, in den Saal

zurückkehren, als die Tür aufging, und Rixendorf hastig hereintrat. An

der Hand hielt er einen jungen Menschen in alttatarischer Kleidung.

Es war Max, bei dessen Anblick der Hofrat erstarrte. »Sieh hier dein

Ich, dein Traumbild«, hub Rixendorf an, »es ist mein Werk, daß mein

trefflicher Max hier blieb und von deinem Kammerdiener aus deiner

Garderobe Kleider empfing, um gehörig kostümiert erscheinen zu können.

Er war es, der im Pavillon an dem Herzen kniete. - Ja, an deinem

steinernen Herzen, du harter unempfindlicher Oheim! kniete der Neffe,

den du unbarmherzig verstießest, einer träumerischen Einbildung

halber! Verging sich der Bruder schwer gegen den Bruder, so hat er es

längst gebüßt mit dem Tode im tiefsten Elend - da steht die vaterlose

Waise, dein Neffe - Max, wie du geheißen, dir ähnlich an Leib und

Seele, wie der Sohn dem Vater - tapfer hielt sich der Knabe, der

Jüngling auf den Wellen des brausenden Lebensstroms empor - da - nimm

ihn auf - erweiche dein hartes Herz! - reiche ihm die wohltätige Hand,

daß er eine Stütze habe, wenn zu sehr der Sturm auf ihn einbricht.« -

In demütiger gebeugter Stellung, heiße Tränen in den Augen, hatte sich

der Jüngling dem Hofrat genähert. Der stand da geisterbleich, mit

blitzenden Augen, den Kopf stolz in die Höhe geworfen, stumm und

starr, aber sowie der Jüngling seine Hand erfassen wollte, wich er,

ihn mit beiden Händen von sich abwehrend, zwei Schritte zurück, und

rief mit fürchterlicher Stimme: »Verruchter - willst du mich morden? -

Fort - aus meinen Augen, ja du spielst mit meinem Herzen, mit mir! -

Und auch du Rixendorf verschworen zum läppischen Puppenspiel, das ihr

mir auftischt? - fort - fort aus meinen Augen - _du_ - _du_, der du zu

meinem Untergange geboren - du Sohn des schändlichsten Ver...« - »Halt

ein«, brach Max plötzlich los, indem Zorn und Verzweiflung glühende

Blitze aus seinen Augen schossen, »halt ein, unnatürlicher Oheim

- herzloser, unnatürlicher Bruder. Schuld auf Schuld, Schande und

Schmach hast du auf meines armen unglücklichen Vaters Haupt gehäuft,

der verderblichen Leichtsinn, aber nie Verbrechen in sich hegen

konnte! - Ich wahnsinniger Tor, daß ich glaubte, jemals dein

steinernes Herz rühren, jemals, mit Liebe dich umfangene, meines

Vaters Vergehen sühnen zu können! - Elend - verlassen von aller Welt,

aber an der Brust eines Sohnes hauchte mein Vater sein mühseliges

Leben aus - >Max! - sei brav! - sühne den unversöhnlichen Bruder

- werde sein Sohn<, das war das letzte, was er sprach. - Aber du

verwirfst mich, so wie du alles verwirfst, was sich dir naht mit Liebe

und Ergebung, während der Teufel selbst dich mit trügerischen Träumen

umgaukelt. - Nun, so stirb denn einsam und verlassen! - Mögen

habsüchtige Diener auf deinen Tod lauern und sich in die Beute teilen,

wenn du kaum die lebensmüden Augen geschlossen - statt der Seufzer,

statt der trostlosen Klagen derer, die dir mit treuer Liebe bis in

den Tod anhängen wollten, magst du sterbend das Hohngelächter, die

frechen Scherze der Unwürdigen hören, die dich pflegten, weil du sie

bezahltest mit schnödem Golde! - Niemals, niemals siehst du mich

wieder!« -

 

Der Jüngling wollte zur Türe hinausstürzen, da sank Julie laut

schluchzend nieder, schnell sprang Max zurück, fing sie in seinen

Armen auf, und heftig sie an seine Brust drückend, rief er mit dem

herzzerreißenden Ton des trostlosesten Jammers: »O Julie, Julie, alle

Hoffnung ist verloren!« - Der Hofrat hatte dagestanden, zitternd

an allen Gliedern, sprachlos - kein Wort konnte sich entwinden den

bebenden Lippen, doch als er Julien in Maxens Armen sah, schrie er

laut auf, wie ein Wahnsinniger. Er ging mit starkem kräftigen Schritt

auf sie los, er riß sie von Maxens Brust hinweg, hob sie hoch in die

Höhe und frug kaum vernehmbar: »Liebst du diesen Max, Julie?« - »Wie

mein Leben«, erwiderte Julie voll tiefen Schmerzes, »wie mein Leben.

Der Dolch, den Sie in sein Herz stoßen, trifft auch das meine!« - Da

ließ sie der Hofrat langsam herab, und setzte sie behutsam nieder in

einen Lehnstuhl. Dann blieb er stehen, die gefalteten Hände an die

Stirn gedrückt. - Es war totenstill ringsumher. Kein Laut - keine

Bewegung der Anwesenden! - Dann sank der Hofrat auf beide Knie.

Lebensröte im Gesicht, helle Tränen in den Augen hob er das Haupt

empor, beide Arme hoch ausgestreckt zum Himmel, sprach er leise und

feierlich: »Ewig wartende unerforschliche Macht dort oben, das war

dein Wille - mein verworrenes Leben nur der Keim, der im Schoß der

Erde ruhend, den frischen Baum emportreibt mit herrlichen Blüten und

Früchten? - O Julie, Julie! - o ich armer verblendeter Tor!« - Der

Hofrat verhüllte sein Gesicht, man vernahm sein Weinen. - So dauerte

es einige Sekunden, dann sprang der Hofrat plötzlich auf, stürzte auf

Max, der wie betäubt dastand, los, riß ihn an seine Brust, und schrie,

wie außer sich: »Du liebst Julien, du bist mein Sohn - nein mehr als

das, du bist _ich_, _ich_ selbst - alles gehört dir - du bist reich, sehr

reich - du hast ein Landgut - Häuser, bares Geld - laß mich bei dir

bleiben, du sollst mir das Gnadenbrot geben in meinen alten Tagen -

nicht wahr, du tust das? - Du liebst mich ja! - nicht wahr, du mußt

mich ja lieben, du bist ja ich selbst - scheue dich nicht vor meinem

steinernen Herzen, drücke mich nur fest an deine Brust, deine

Lebenspulse erweichen es ja! - Max - Max mein Sohn - mein Freund, mein

Wohltäter!« - So ging es fort, daß allen vor diesen Ausbrüchen des

überreizten Gefühls bange wurde. Rixendorf, dem besonnenen Freunde,

gelang es endlich, den Hofrat zu beschwichtigen, der, ruhiger

geworden, nun erst ganz einsah, was er an dem herrlichen Jünglinge

gewonnen, und mit tiefer Rührung gewahrte, wie auch die Geheime Rätin

Foerd in der Verbindung ihrer Julie mit Reutlingers Neffen das neue

Aufkeimen einer alten verlornen Zeit erblickte. Großes Wohlgefallen

äußerte der Geheime Rat, der viel Tabak schnupfte und sich in

wohlgestelltem nationell ausgesprochenem Französisch darüber

ausließ. Zuvörderst sollten nun Juliens Schwestern von dem Ereignis

benachrichtigt werden, die waren aber nirgends aufzufinden. Nannettens

halber hatte man schon in allen großen japanischen Vasen, die in dem

Vestibule herumstanden, nachgesehen, ob sie, zu sehr sich über den

Rand beugend, vielleicht hineingefallen, aber vergebens, endlich fand

man die Kleine unter einem Rosenbüschchen eingeschlafen, wo man sie

nur nicht gleich bemerkt, und ebenso holte man Clementinen in einer

entfernteren Allee ein, wo sie dem entfliehenden blonden Jüngling,

dem sie vergebens nachgesetzt, eben mit lauter Stimme nachrief. »O

der Mensch sieht es oft spät ein, wie sehr er geliebt wurde, wie

vergeßlich und undankbar er war und wie groß das verkannte Herz!« -

Beide Schwestern waren etwas mißmütig über die Heirat der jüngern,

wiewohl viel schöneren und reizenderen Schwester, und vorzüglich

rümpfte die schmähsüchtige Nannette das kleine Stülpnäschen; Rixendorf

nahm sie aber auf den Arm und meinte, sie könnte wohl einmal einen

viel vornehmeren Mann mit einem noch schöneren Gute bekommen. Da

wurde sie vergnügt und sang wieder: »Amenez vos troupeaux bergères!«

Clementine sprach aber sehr ernst und vornehm: »In der häuslichen

Glückseligkeit sind die windstillen, zwischen vier engen Wänden

vorgetriebnen bequemen Freuden nur der zufälligste Bestandteil: ihr

Nerven- und Lebensgeist sind die lodernden Naphthaquellen der Liebe,

die aus den verwandten Herzen ineinanderspringen.« - Die Gesellschaft

im Saal, die schon Kunde bekommen von den wunderlichen aber fröhlichen

Ereignissen, erwartete mit Ungeduld das Brautpaar, um mit den

gehörigen Glückwünschen losfahren zu können. Der Goldstoffne, der am

Fenster alles angehört und angeschaut, bemerkte schlau: »Nun weiß ich,

warum der Ziegenbock dem armen Max so wichtig war. Hätte er einmal im

Gefängnis gesteckt, so war durchaus an keine Aussöhnung zu denken.«

Alles applaudierte dieser Meinung, wozu Willibald die Losung gab.

Schon wollte man fort aus dem Nebenzimmer in den Saal, als der

türkische Gesandte, der so lange auf dem Sofa geblieben, nichts

gesprochen, sondern nur durch Hin- und Herrutschen und durch die

seltsamsten Grimassen seine Teilnahme zu erkennen gegeben hatte, wie

toll aufsprang und zwischen die Brautleute fuhr: »Was was«, rief er,

»nun gleich heiraten, gleich heiraten? - Deine Geschicklichkeit,

deinen Fleiß in Ehren, Max! aber du bist ein Kiek-in-die-Welt, ohne

Erfahrung, ohne Lebensklugheit, ohne Bildung. Du setzest deine Füße

einwärts und bist grob in deinen Redensarten wie ich vorhin vernommen,

als du deinen Oheim den Hofrat Reutlinger Du nanntest. Fort in die

Welt! nach Konstantinopel! - da lernst du alles was du brauchst fürs

Leben - dann kehre wieder und heirate getrost mein liebes holdes Kind,

das schöne Julchen.« Alle waren ganz erstaunt über Exters seltsames

Begehren. Der nahm aber den Hofrat auf die Seite; beide stellten sich

gegenüber, legten einander die Hände auf die Achseln und wechselten

einige arabische Worte. Darauf kam Reutlinger zurück, nahm Maxens Hand

und sprach sehr mild und freundlich: »Mein lieber guter Sohn, mein

teurer Max, tue mir den Gefallen und reise nach Konstantinopel, es

kann höchstens sechs Monate dauern, dann richte ich hier die Hochzeit

aus!« - Aller Protestationen der Braut unerachtet mußte Max fort nach

Konstantinopel.

 

 

Nun könnte ich, sehr geliebter Leser! wohl füglich meine Erzählung

schließen, denn du magst es dir vorstellen, daß Max, nachdem er aus

Konstantinopel, wo er die Marmorstufe, wohin der Seehund Extern das

Kind apportiert, nebst vielem andern Merkwürdigen geschaut hatte,

zurückgekehrt war, wirklich Julien heiratete, und verlangst wohl nicht

noch zu wissen, wie die Braut geputzt war und wieviel Kinder das Paar

bis jetzt erzeugt hat. Hinzusetzen will ich nur noch, daß am Tage

Mariä Geburt des Jahres 18- Max und Julie einander gegenüber im

Pavillon bei dem roten Herzen knieten. Häufige Tränen fielen auf den

kalten Stein, denn unter ihm lag das ach! nur zu oft blutende Herz des

wohltätigen Oheims. Nicht um des Lord Horions Grabmal nachzuahmen,

sondern weil er des armen Onkels ganze Lebens- und Leidensgeschichte

darin angedeutet fand, hatte Max mit eignet Hand die Worte in den

Stein gegraben:

 

Es ruht!

 

----------------------------------------------------------------------------------------------------------------

 

 

*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, NACHTSTUECKE ***

 

This file should be named 8nach10.txt or 8nach10.zip

Corrected EDITIONS of our eBooks get a new NUMBER, 8nach11.txt

VERSIONS based on separate sources get new LETTER, 8nach10a.txt

 

Project Gutenberg eBooks are often created from several printed

editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US

unless a copyright notice is included. Thus, we usually do not

keep eBooks in compliance with any particular paper edition.

 

We are now trying to release all our eBooks one year in advance

of the official release dates, leaving time for better editing.

Please be encouraged to tell us about any error or corrections,

even years after the official publication date.

 

Please note neither this listing nor its contents are final til

midnight of the last day of the month of any such announcement.

The official release date of all Project Gutenberg eBooks is at

Midnight, Central Time, of the last day of the stated month. A

preliminary version may often be posted for suggestion, comment

and editing by those who wish to do so.

 

Most people start at our Web sites at:

http://gutenberg.net or

http://promo.net/pg

 

These Web sites include award-winning information about Project

Gutenberg, including how to donate, how to help produce our new

eBooks, and how to subscribe to our email newsletter (free!).

 

 

Those of you who want to download any eBook before announcement

can get to them as follows, and just download by date. This is

also a good way to get them instantly upon announcement, as the

indexes our cataloguers produce obviously take a while after an

announcement goes out in the Project Gutenberg Newsletter.

 

http://www.ibiblio.org/gutenberg/etext04 or

ftp://ftp.ibiblio.org/pub/docs/books/gutenberg/etext04

 

Or /etext03, 02, 01, 00, 99, 98, 97, 96, 95, 94, 93, 92, 92, 91 or 90

 

Just search by the first five letters of the filename you want,

as it appears in our Newsletters.

 

 

Information about Project Gutenberg (one page)

 

We produce about two million dollars for each hour we work. The

time it takes us, a rather conservative estimate, is fifty hours

to get any eBook selected, entered, proofread, edited, copyright

searched and analyzed, the copyright letters written, etc. Our

projected audience is one hundred million readers. If the value

per text is nominally estimated at one dollar then we produce $2

million dollars per hour in 2002 as we release over 100 new text

files per month: 1240 more eBooks in 2001 for a total of 4000+

We are already on our way to trying for 2000 more eBooks in 2002

If they reach just 1-2% of the world's population then the total

will reach over half a trillion eBooks given away by year's end.

 

The Goal of Project Gutenberg is to Give Away 1 Trillion eBooks!

This is ten thousand titles each to one hundred million readers,

which is only about 4% of the present number of computer users.

 

Here is the briefest record of our progress (* means estimated):

 

eBooks Year Month

 

1 1971 July

10 1991 January

100 1994 January

1000 1997 August

1500 1998 October

2000 1999 December

2500 2000 December

3000 2001 November

4000 2001 October/November

6000 2002 December*

9000 2003 November*

10000 2004 January*

 

 

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation has been created

to secure a future for Project Gutenberg into the next millennium.

 

We need your donations more than ever!

 

As of February, 2002, contributions are being solicited from people

and organizations in: Alabama, Alaska, Arkansas, Connecticut,

Delaware, District of Columbia, Florida, Georgia, Hawaii, Illinois,

Indiana, Iowa, Kansas, Kentucky, Louisiana, Maine, Massachusetts,

Michigan, Mississippi, Missouri, Montana, Nebraska, Nevada, New

Hampshire, New Jersey, New Mexico, New York, North Carolina, Ohio,

Oklahoma, Oregon, Pennsylvania, Rhode Island, South Carolina, South

Dakota, Tennessee, Texas, Utah, Vermont, Virginia, Washington, West

Virginia, Wisconsin, and Wyoming.

 

We have filed in all 50 states now, but these are the only ones

that have responded.

 

As the requirements for other states are met, additions to this list

will be made and fund raising will begin in the additional states.

Please feel free to ask to check the status of your state.

 

In answer to various questions we have received on this:

 

We are constantly working on finishing the paperwork to legally

request donations in all 50 states. If your state is not listed and

you would like to know if we have added it since the list you have,

just ask.

 

While we cannot solicit donations from people in states where we are

not yet registered, we know of no prohibition against accepting

donations from donors in these states who approach us with an offer to

donate.

 

International donations are accepted, but we don't know ANYTHING about

how to make them tax-deductible, or even if they CAN be made

deductible, and don't have the staff to handle it even if there are

ways.

 

Donations by check or money order may be sent to:

 

Project Gutenberg Literary Archive Foundation

PMB 113

1739 University Ave.

Oxford, MS 38655-4109

 

Contact us if you want to arrange for a wire transfer or payment

method other than by check or money order.

 

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation has been approved by

the US Internal Revenue Service as a 501(c)(3) organization with EIN

[Employee Identification Number] 64-622154. Donations are

tax-deductible to the maximum extent permitted by law. As fund-raising

requirements for other states are met, additions to this list will be

made and fund-raising will begin in the additional states.

 

We need your donations more than ever!

 

You can get up to date donation information online at:

 

http://www.gutenberg.net/donation.html

 

 

***

 

If you can't reach Project Gutenberg,

you can always email directly to:

 

Michael S. Hart <hart@pobox.com>

 

Prof. Hart will answer or forward your message.

 

We would prefer to send you information by email.

 

 

**The Legal Small Print**

 

 

(Three Pages)

 

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They tell us you might sue us if there is something wrong with

your copy of this eBook, even if you got it for free from

someone other than us, and even if what's wrong is not our

fault. So, among other things, this "Small Print!" statement

disclaims most of our liability to you. It also tells you how

you may distribute copies of this eBook if you want to.

 

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By using or reading any part of this PROJECT GUTENBERG-tm

eBook, you indicate that you understand, agree to and accept

this "Small Print!" statement. If you do not, you can receive

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you got it from. If you received this eBook on a physical

medium (such as a disk), you must return it with your request.

 

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is a "public domain" work distributed by Professor Michael S. Hart

through the Project Gutenberg Association (the "Project").

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on or for this work, so the Project (and you!) can copy and

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efforts to identify, transcribe and proofread public domain

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codes that damage or cannot be read by your equipment.

 

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processing or hypertext software, but only so long as

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form by the program that displays the eBook (as is

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no additional cost, fee or expense, a copy of the

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or other equivalent proprietary form).

 

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Tag der Veröffentlichung: 28.05.2018

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