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Das Waldweiblein von Wilhelmsdorf

In Wilhelmsdorf hatte sich bei einem Bauern ein Waldweibchen einquartiert, das in der Wirtschaft mehr leistete als die beste Magd. Abends nach der Arbeit saß es immer auf seinem Platz hinter dem Ofen und gab von da aus den Leuten allerlei zum besten. So sagte sie:

"Piep kein Brot*),

Schäl keinen Baum,

Erzähl keinen Traum,

Back keinen Kümmel ins Brot**),

So hilft dir Gott in aller Not.*)

(Piepen = mit den Fingerspitzen vor dem Backen ein Kreuzzeichen in das Brot machen.**)

 

Von stark riechenden Würzkräutern wie Kümmel, Lauch, Thymian wollen solche unterirdische Wesen nichts wissen.

Aber manchmal mußte sich die Bäuerin auch über das Waldweibchen ärgern; es holte sich, ohne zu fragen, die Klöße aus dem Topf und das Brot aus dem Ofen, alles Schelten und Zanken half nichts. Da meinte die Bäuerin zuletzt, diesen Unfug wolle sie dem Waldweiblein doch austreiben, buk Kümmel in die Brote und piepte sie ganz gehörig. Sobald das kleine Wesen von dem neuen Brot gekostet hatte, wurde es böse, lief aus dem Hause weg in den Wald und schrie dabei:

"Sie haben mir gebacken Kümmelbrot,

Das bringe diesem Hause lauter Not."

 

Seitdem ging es mit dem Wohlstand der Leute bergab; sie verfielen in Armut und Not und zählten bald zu den ärmsten Leuten im Dorf. Die Bäuerin hat es später noch oft bitter bereut, dass sie den Rat des Waldweibchens nicht befolgte.

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Texte: Gemeinfrei
Tag der Veröffentlichung: 05.05.2014

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