Cover

Hexenmondin

Das Trauma jetzt im Traum zerrinnt

so wie die Spinne ihr Netzwerk spinnt,

so wird es wieder abgebaut,

durch Raum und Zeit

der alte Alb vom Traum geklaut.

Hexenmondin

 

„Ich habe Sehnsucht nach meinem Mann und er merkt es nicht einmal“, dachte Melinda und schob seufzend das Buch zur Seite, ging zum Schreibtisch und schrieb den Gedanken nieder, bevor sie ihn vergaß. Sie wollte sich irgendwann einmal an alles Wichtige in ihrem Leben erinnern, um den Sinn zu erkennen, der hinter den Dingen stand.

Sie war überzeugt, dass jeder Mensch mit dem sie Kontakt hatte, entweder Teil des Problems oder Teil der Lösung war und versuchte deshalb immer herauszubekommen, was die Menschen von ihr wollten. Bei ihrem Mann war ihr das bis heute nicht gelungen. Er entzog sich ihrem prüfenden Blick, ihrer Ansprache und Zuwendung. Er wandte sich einfach ab. Offenbar wollte er tatsächlich nur ‚seine Ruhe’ haben. Man muss sich das einmal vorstellen: Er hatte geheiratet, um seine Ruhe zu haben! Was sollte man davon bloß halten? Echtes Kommunizieren war zu viel für ihn. Was sollte sie nur damit anfangen?

Dabei hatte alles so leidenschaftlich angefangen, obwohl sie von Anfang an die treibende Kraft war. Da fiel ihr plötzlich ein wie ihr alter Vater kurz vor seinem Ableben, als er schon lange krank war, einmal gesagt hatte: „Immer wenn ich ins Zimmer komme, gehen alle weg.“ Er war tatsächlich allmählich zu einer Person geworden, die keiner mehr ertragen konnte. Vielleicht war es bei ihrem Mann und ihr genauso? Er konnte oder wollte sie in ihrer Art nicht mehr ertragen. Weil sie nicht zuhören wollte und ständig forderte? Was forderte? Liebe!? Sie forderte unablässig Zuwendung und Liebe, und er konnte ihr nicht das geben was sie brauchte. Niemand konnte das.

Tja, und damit waren wir wieder am Anfang. So konnte es nicht weiter gehen.

Es war Dezember, drei Tage vor Silvester. Ein nasskaltes ungemütliches Wetter, bei dem sich jeder am liebsten in der warmen Stube verkroch, trübte die Stimmung. Niemand war zuhause. Es war 17 Uhr nachmittags. Im Treppenhaus klingelte jemand beim Nachbarn. Melinda setzte sich auf ihre Couch und dachte darüber nach, was sie als nächstes tun wollte. Zum Fernsehen hatte sie keine Lust. Die Schreibtischlampe verbreitete ihr Licht auf die Tastatur des Computers, der Rest des Zimmers lag im Halbdunkel. Melinda seufzte und lehnte sich zurück. Da erschien wie aus dem Nichts ihr Mann im Zimmer, er blickte Melinda fordernd an und sie wunderte sich. Sie erzählte ihm von ihren Sorgen und Sehnsüchten und versuchte ihm die Verzweiflung zu erklären, die in ihr bohrte. Aber er beschwichtigte sie, war nett zu ihr und sie überließ sich seinen Armen. Sie sah das rote Gesicht ihres Mannes über sich und dachte: „Wie schön, dass es wieder so wie früher ist.“ Da veränderte sich das Muster der Wandtapete und sie fühlte sich hinauskatapultiert in einen taghellen Himmel, schwebte etwa einen Meter über dem Zimmer, das keine Zimmerdecke mehr hatte und in dem sich riesige Bambusgewächse eng aneinander zu ihr nach oben drängten und glucksende Geräusche machten.

Das Geräusch eines Schlüssels, der im Schloss umgedreht wurde, ließ die Szenerie verschwinden und Melinda fand sich allein auf dem Sofa liegend, mit klopfendem Herzen aus einem Traum erwachend, in der Dunkelheit ihres Wohnzimmers wieder.

Ihr Sohn war nach Hause gekommen, betrat das Zimmer, drehte das Oberlicht an und fragte: „Mama, was gibt es zu essen?“

Sofort fühlte Melinda, wie die Wut in ihr hochstieg. Eine solche Frage brachte sie fürchterlich in Rage. „Kannst Du Dir nicht selbst etwas zu essen machen? Das ist doch hier kein Restaurant!“ - „Sorry Mom, reg Dich nicht auf. Ich frag ja nur mal.“

Melinda war überfordert und reagierte über. Ihr Sohn Timo war inzwischen einundzwanzig Jahre alt und hätte eigentlich längst aus ihrer Wohnung ausziehen sollen. Das hatte er vor zwei Jahren auch getan und war mit einem Freund zusammen in eine Wohngemeinschaft gezogen. Er befand sich damals noch in der Ausbildung und die Eltern übernahmen den Mietanteil für das Zimmer in der Wohngemeinschaft. Aber der Sohn fing ein Techtelmechtel mit einer in demselben Haus wohnenden Schlampe an. Diese leichtfertige junge Dame schlief außerdem mit dem anderen Mitbewohner der Wohngemeinschaft, obwohl sie einen festen Freund hatte. Das zerstörte natürlich das Verhältnis zwischen den beiden jungen Männern. Der Mitbewohner, der auch der Hauptmieter war, zog aus und kündigte die Wohnung. Der Sohn musste wieder zurück in die Elternwohnung. Die einst so schöne heile Welt zwischen zwei Freunden war aufgrund von deren Handlungen ins Wanken geraten und hatte sich in den Auswirkungen auch für die Eltern verändert. Was einmal gewollt war, war nun nicht mehr durchführbar.

Am meisten litt Melinda unter den Auswirkungen dieser Handlung. Ihre kleine Wohnung war jetzt noch zusätzlich mit den Möbeln aus dem Wohngemeinschaftszimmer voll gestellt. Überall im Flur, in den Zimmern und im Bad lagen die Sachen von Timo herum.

Melinda, die bemüht war, Ordnung in ihr Leben zu bringen, was sie mittels Feng Shui in ihrer Wohnung versuchte, war über die zunehmenden Yin-Kräfte so entsetzt, dass sie beschloss diese Schlampe, der sie das Chaos in ihrer Wohnung verdankte, zu verfluchen. Das tat sie mit einem Ritual. Daraufhin träumte sie des Nachts wie sie ein Sicherungssystem in ihrem Haus anbrachte. Man konnte es jedoch austricksen. Eine fremde Frau rief an und behauptete, sie solle etwas liefern. Melinda schaltete das System aus. Die Frau fuhr mit einem roten Auto auf die Einfahrt, kam ins Haus und erschoss Melinda. Im zweiten Teil des Traums sah Melinda überall goldene kleine Schlangen herumliegen. Sie sahen aus wie Armreifen. Dann war sie plötzlich über und über mit kleinen echten Schlangen bedeckt. Sie machte sie von sich ab. Sie waren wie Klebstoff. Timo war auch im Traum dabei und von Schlangen bedeckt.

Es war ein Traum von Tod und Teufel. Aber für Melinda war dieser Traum ein gutes Zeichen, denn in einer früheren Inkarnation im alten Ägypten hatte sie gelernt, dass Schlangen als Symbol für Lebenskraft gelten. Wie zur Bestätigung fand sie, als sie morgens zur Arbeit ins Büro ging, auf dem Bürgersteig einen goldfarbenen Armreif, der wie eine Schlange geformt war.

Melinda fühlte sich nun beschützt und machte sich weder Sorgen wegen der Wohnsituation noch Gewissensbisse aufgrund des Albtraums.

Was Melinda derzeit weitaus mehr beunruhigte, war das Verhältnis zu ihrem Mann. Dieser litt unter schweren Depressionen und stand ihr daher nicht zur Verfügung. Das machte sie wütend. Sie ärgerte sich, dass er ihr mehr und mehr entglitt und fühlte sich vernachlässigt. Ständig bohrte in ihr der Wunsch, sich zu trennen. Sie sprach mit ihrer Freundin darüber, konnte sich aber noch nicht zu einer solchen Entscheidung durchringen. Mit ihrem Mann selbst konnte sie nicht sprechen. Er ließ sie einfach nicht an sich heran. Das letzte Mal, als sie ihre Eheprobleme ansprechen wollte, ging er einfach aus dem Zimmer.

 

Der Arbeitstag verlief ruhig. Auf der Treppe in der Behörde, in der Melinda arbeitete, begegneten ihr zwei befreundete Sekretärinnen, die sich über ihren Chef beklagten. Melinda hörte zufällig was sie sagten und sprach sie an. Im Laufe des Gesprächs riet sie ihnen, sich so schnell wie möglich einen anderen Job zu suchen, bevor sie krank werden. Dann erzählte sie ihnen von ihrer eigenen Bossing-Erfahrung mit ihrem ehemaligen Chef, dem sie auch nur dadurch entkam, dass sie sich in einer anderen Abteilung bewarb und dort auch eingestellt wurde. Eine der beiden Sekretärinnen war nicht vollständig davon überzeugt, dass das der einzige Ausweg sein sollte.

Die Situation in einer großen Behörde war durch Sachzwänge gekennzeichnet. Diese, Korporatokratie genannte Gesellschaft, in der Melinda lebte, war eine Gesellschaft des Diebstahls von oben, ausgeführt durch Eliten im Namen des Sachzwangs. Die Massenhysterie des Sachzwangs führte zum Burnout bei den Menschen. Burnout resultierte aus dem Druck der Sachzwänge und wurde durch die zunehmende Technisierung und Digitalisierung der Arbeitsabläufe beschleunigt. Das führte bei den einzelnen Angestellten dazu, keine Zeit mehr zum Nachdenken zu finden, nicht mehr zur Ruhe kommen zu können. Die zunehmende Kompliziertheit der Bürokratie durch ausufernde Vorschriften der Regelung und Kontrolle wurde von den Funktionseliten eingeführt, damit die zeitlich wechselnden Eliten aufgrund der Undurchschaubarkeit der bürokratischen Vorgänge umso leichter ihr 'eigenes Süppchen kochen' konnten und das bestand darin: untereinander und von anderen Mehrarbeit abzupressen und ihnen Geld, Privilegien und Annehmlichkeiten wegzunehmen und bei sich selbst anzuhäufen. Die Frage blieb, wie konnte sich der einzelne Mensch dagegen wehren, im Namen des Sachzwangs zum Opfer derjenigen zu werden, die gerade 'das Sagen' hatten? Denn, wenn es ein strukturelles Problem war, dann nützte ein anderer Chef wenig. Da konnte man allenfalls vom Regen in die Traufe kommen.

Diese Gedanken gingen Melinda abends auf dem Weg zur U-Bahn durch den Kopf. Jedoch ohne Ergebnis.

Zuhause angekommen, zeigte Timo ihr das erste Wohnungsangebot, das der Vermieter auf seine Bewerbung hin geschickt hatte. Beide freuten sich riesig und machten gleich einen Termin mit der Vormieterin aus, um die Wohnung zu besichtigen. Die Wohnung war angenehm, klein, ein Zimmer, und die Miete war annehmbar. Der Sohn sagte dem Vermieter zu und wartete darauf, einen Mietvertrag abzuschließen. Nichts passierte. Stattdessen trafen immer mehr Wohnungsangebote ein. Wieder wurden Besichtigungstermine vereinbart. Wieder wurden die Wohnungen dem Vermieter zugesagt. Nur - ein Mietvertrag kam nicht zustande. Inzwischen waren sechs Monate verstrichen. Das 'Hotel-Mama' in Melindas Wohnung hatte sich nicht geändert. Mutter und Sohn fühlten sich veräppelt.

Melinda beschloss jetzt selbst direkt beim Vermieter nachzufragen, wann sie mit einer Wohnung für ihren Sohn rechnen könne. Der Vermieter teilte lakonisch mit, dass das noch Jahre dauern könne, da der Sohn auf der Warteliste der Wohnungsgesellschaft noch lange nicht an der Reihe sei, man sei aber verpflichtet, immer allen Interessenten jede frei werdende Wohnung anzubieten. Da war er – der Sachzwang. Verzagt und entmutigt legte Melinda den Hörer aufs Telefon und ging in die Küche, um ihr Abendessen zuzubereiten. Wieso war immer alles so schwierig? Müde ging sie zu Bett. Nachts erschien ihre verstorbene Tante in ihrem Traum. Am nächsten Morgen wurde ihr klar, dass diese Wohnsituation mit ihrer Enge eine Wiederholung war. Melindas Eltern und ihr Bruder mussten unmittelbar nach dem Krieg, als die meisten Häuser ausgebombt waren, bei einer Tante wohnen. Zwei Familien, das waren sieben Personen in einer 3-Raum-Wohnung.

Ein Lächeln lag auf Melindas Gesicht, als sie an ihre Tante dachte. Ihre Tante, die gute Seele, war eine große Verehrerin des Dichters Goethe gewesen. Der alte Geheimrat Goethe, der ungefähr 300 Jahre vor Melinda lebte, in einem Jahrhundert, das der Mystik besonders zugetan war, hatte folgenden Spruch an die Nachwelt überliefert:

Feiger Gedanken

bängliches Wanken,

weibisches Zagen,

ängstliches Klagen

wendet kein Elend,

macht nicht frei.

Allen Gewalten

zum Trutz sich verhalten;

nimmer sich beugen,

kräftig sich zeigen,

rufet die Arme

der Götter herbei.

 

Melinda wollte sich jedenfalls nicht länger von der Wohnungsgesellschaft foppen lassen und die unerträgliche Situation in ihrer Wohnung, die sie zur Verzweiflung trieb, beenden. Sie folgte Goethes Ratschlag und rief buchstäblich 'die Arme der Götter' herbei, indem sie sich auf ihre Fähigkeiten als Hexe besann und sich in Trance, ein bestimmter Schwingungszustand ihres Körpers, versenkte, um Wesen, die ihr helfen konnten, auf der Astralebene anzurufen.

 

 

 

Weiterlesen?  "Hexenmondin"  im epub-Format und mobi-Format, für 2,99 Euro im Online Buchhandel. Oder: https://shaktimorgane.jimdo.com/shop/

Impressum

Texte: Shakti Morgane
Tag der Veröffentlichung: 02.05.2014

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Leseprobe

Nächste Seite
Seite 1 /