Sie hatte nicht nur enorme Versagensängste, sondern auch hochgradig gefährdende Depressionsschübe. Wenn sie kamen warf sie alles weg. Alles war ihr egal. Jegliche zwischenmenschliche Beziehung war für sie ohne Belang. Diese Menschen fand sie, mochten das was sie in ihr sahen. Was sie normalerweise in ihr sahen. Jetzt war sie für sie wertlos. Ballast. Ballast der sie auch sonst schon war. Sie machte ihnen nur etwas vor. Und sich selbst. Sich selbst vor allem. Doch gerade jetzt. Jetzt sah sie klar. Alle Illusionen, die sie sich aufgebaut hatte, waren geschwunden. Sie war ein kleines Miststück. Ein Tumor. Ihre Eltern hatten etwas Besseres verdient. Jemanden Besseren. Niemand hatte sie verdient. Doch sie war einfach so egoistisch und ignorierte sich selbst die meiste Zeit. Aber manchmal brach die Realität einfach durch. Und in Momenten wie jetzt war ihr klar, dass sie so nicht mehr weitermachen konnte. Sie hinderte andere Menschen. Sie belastete sie. Die Welt wäre ohne sie ein so viel besserer Ort. Die Menschen waren bloß zu freundlich und zu gut um es ihr zu sagen. Aber manchmal war sie so schlimm und so böse, dass sie nicht mehr an sich halten konnten und es ihr trotzdem sagten.
Warum hatte sie es bloß noch nicht getan...
Warum war sie noch am Leben...
Sie konnte doch nicht ewig darauf warten, dass ihr jemand die Entscheidung des wie abnahm.
Irgendwie hatte sie immer überlebt. Ihr Unterbewusstsein hatte es schon einige Male versucht. Ohne Erfolg.
Sie war einfach ein zu rücksichtsloser Mensch um es wirklich zu tun.
So egoistisch und eingebildet, dass sie glaubte es gäbe Hoffnung auf Besserung ihrerseits.
Der Gedanke jemand könne sie lieben ließ sich einfach nicht vertreiben. So irrsinnig er auch war. In einem Eck ihres Gehirns war dieser kleine Funken Hoffnung, dass sie nicht ganz so bösartig war wie sie glaubte.
Es tat weh so unglaublich weh. Diese Erkenntnis. Ihr Selbsthass. Es nahm ihr die Luft zum Atmen. Das Zittern am ganzen Körper und ihre japsende Atmung brachten sie schließlich in eine Art angenehmen Dämmerzustand in dem sie verharrte, bis sie schließlich einschlief.
So sah seit Wochen jeder ihrer Tage aus.
Sie sprach kaum. Lächelte und tat was sie immer tat. Niemand bemerkte die Änderung die in ihr vorging.
Sie war eine Hülle, die nur noch funktionierte. Der Mensch in ihr verkümmerte. Ihr ich zog sich immer weiter zurück. Sie begann mehr und mehr zu existieren und weniger zu leben. Ihre sonst so vielfältigen Gedankenautobanen bündelten sich zu einer Fahrspur. Erst eine Landstraße und irgendwann wurde aus ihr ein Feldweg. Ein Trampelpfad. Aus dem Wald ein dichtes Untergehölz. Ein Dschungel in dem man bald nur noch den Weg erahnen konnte.
Ihr Empfinden wurde taub. Das nächtliche Weinen hörte auf. Das am Tage bald auch. Essen und Trinken nahm sie zu sich wie ein Uhrwerk. Was sie dazu bewegte war unklar. Sie selbst machte sich darum zu diesem Zeitpunkt bereits keine Gedanken mehr.
Auch ihre anderen Empfindungen erstarben.
Angst kannte sie nicht mehr.
Egal wie spät es war.
Egal welche Gegend.
Schlafen konnte sie überall und tat es manchmal auch.
Manchmal hielt sie inne und ein Gedanke sprang durch ihr Hirn.
„Mir ist so komisch. Als müsste ich etwas fühlen.“
Schnell verwarf sie ihn wieder und ging ihrem Alltag nach.
Dies war ihre Art von Glück.
Taubheit war besser als der Schmerz, den sie nur noch dunkel in Erinnerung hatte.
Gefühle anderer sah sie jetzt als faszinierenden Zeitvertreib der anderen Menschen und hielt manchmal einige Sekunden inne um zu überlegen wie es war, als sie auch noch empfunden hatte wie sie.
Kannst du dir vorstellen, dass das Mädchen was du als ach so intelligent bezeichnest und auf das du ein klein wenig eifersüchtig bist nachts nicht richtig schlafen kann, weil es sich für wertlos hält. Es hält deinen Neid für Verachtung ihm gegenüber und traut Lob nicht über den Weg. Etwas in ihm sagt ihm immer wieder wie schlecht es ist. Wertlos.
Vielleicht scheint dass Mädchen viel zu wissen. Die meisten wenden sich an es wenn sie Rat suchen und doch sagt das Mädchen es hätte schlechte Leistungen. Du glaubst ihm nicht. Ihr glaubt ihm nicht. Doch vielleicht ist es genau so. Wie kann dass sein? Es weiß es selbst nicht. Es bemüht sich, doch es erbringt nicht die gewünschte Leistung. Dieses Mädchen ist eifersüchtig auf dich. Weil es kämpfen muss um gerade so durch zu kommen. Es ist unfähig sobald es um Leistungsnachweise geht, um Bewertungen.
Es denkt oft und lange darüber nach wie es sein Leben beenden kann. In Momenten in denen es dazu kommt. Diese Momente gibt es immer. In Warteschlangen. Vor Prüfungen. Und vor allem auf der Toilette. Dort ist es allein. Die Tränen kommen sofort. Die Gedanken folgen. Es fühlt sich wie eine Belastung. Es fühlt sich falsch. Es fühlt sich schuldig, weil es weiß, dass du auf es eifersüchtig bist. Doch dass bist du ohne Grund.
Es hat permanente Schuldgefühle und es ist Jahre her, dass es gelacht hat. So lange, dass es nicht mehr weiß wie es sich anfühlt. Wie es sich anfühlt sich zu freuen. Glücklich zu sein. So etwas wie liebe zu empfinden.
Es kann sich nicht entspannen. Es hat das Gefühl als müsse es sich und der Welt etwas beweisen. Es ist sich selbst nicht gut genug. Es erwartet so viel von sich. Zu viel.
Du hast dass Gefühl ihm nicht gut genug zu sein in der Gruppenarbeit. Da liegst du falsch. Dass bist du. Es gibt sich selbst die Schuld. Nicht dir. Der Gedanke würde ihm niemals kommen. Es bewundert dich. Würde es aber niemals sagen. Zu groß die Komplexe. Zu groß die Angst von dir und der Gesellschaft verstoßen zu werden.
Es fühlt sich schon jetzt als Fremdkörper und würde so gerne dazu gehören.
Du denkst es grenzt sich ab. Dabei will es nur niemanden verletzen. Es denkt es ist besser wenn es niemanden zu nahe kommt. Es würde nur Schaden anrichten.
Es fühlt sich so unglaublich wertlos und es weiß nicht was es dagegen tun kann.
Es ist gefangen in Ketten und kann sich nicht selbst befreien. Zu tief ist das Loch, dass es sich selbst gegraben hat.
Es lässt sich nicht mehr helfen. Zu tief die Narben, die es sich ins eigene Fleisch geschnitten hat. Es ist blind und taub für deine Hilfe.
Das Letze was bleibt sind die Fingerknöchel die es immer wieder über den harten Stein schleift, als endlose Selbstbestrafung.
Wenn du es davon abhältst wird es tobend. Dann wird es zu dem Monster für das es sich hält.
Kann eine warme Umarmung überhaupt noch irgendetwas bewirken?
Wer würde noch solch ein Wesen akzeptieren?
So gebrochen und kaputt. Pflegeintensiv.
In einer Welt, in der man kaum Zeit hat seine eigenen Narben zu lecken.
Was wird da aus solch einem Mädchen?
Tag der Veröffentlichung: 12.07.2015
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