Dumpf rattern die alten Räder des Bummelzugs über die Schienen. Es huscht eine Landschaft an mir vorbei, die mich schmerzlich an meinen letzten Urlaub in Asien erinnert.
Mein Name ist Jasmin Winter und ich möchte Sie nun mitnehmen auf eine meiner Reisen und Sie mit meinen Erinnerungen aus Ihrem Alltag holen und in eine andere Welt entführen.
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Es war schon lange mein Traum, einmal ganz auf mich gestellt, mit aller Zeit der Welt im Gepäck durch Thailand zu reisen. Ich wollte mich treiben lassen von dem Zufall und neugierig sein auf das, was mir das Leben so bietet und offen für das sein, was das Schicksal für mich bereithält. Ich wollte frei sein, wie ein Vogel und nur die Flügel ausbreiten und sehen, wohin der Wind mich trägt.
Weil ich gerne Nägel mit Köpfen mache, hatte ich schon früh meine Bordkarten online gebucht und ausgedruckt. Ich hängte sie mir in einem Bilderrahmen neben die Garderobe, damit ich sie täglich vor Augen hatte, weil die Vorfreude doch die größte Freude ist, wie man sagt, und ich hatte dann einen Grund mehr, keinen Rückzieher zu machen.
Nicht, dass ich wankelmütig war oder sonst wie keine Entschlusskraft besäße, aber man weiß ja, wie das so ist mit den Träumen und Vorsätzen. Man fasst sie und glaubt, sie sind unumstößlich und dann kommt der Alltagstrott und verwischt sie, wie der Wind die Spuren im Sand.
Wie oft schon hatte ich mir diese Reise vorgestellt, hatte die Route fast bis ins kleinste Detail geplant und war in meinen Träumen schon etliche Male auf dem Weg.
Doch immer kam etwas dazwischen. Zuletzt die Hochzeit meiner Schwester Melanie. Da konnte ich doch unmöglich in Ruhe durch die Welt tingeln und sie mit ihren Vorbereitungen oder der Feier alleine lassen.
Als meine Schwester mich damals spontan besuchte – und das tat sie nur, wenn sie große Sorgen hatte – nahm sie mich in die Arme und sagte, dass sie in zwei Monaten eine Braut sein wird. Sie war 21 und mit ihrem Matthias nun schon über vier Jahre zusammen und sie liebten sich sehr. Ich freute mich für sie und kniff ihr in die vor Aufregung roten Wangen und gab ihr einen dicken Kuss. Es machte mir auch bewusst, dass ich, als Ältere von uns beiden, immer noch niemanden gefunden hatte, mit dem ich mein Leben teilen wollte.
Es war nicht so, dass ich keine Verehrer gehabt hätte. Einige ziemlich nette waren auch dabei. Aber nett allein reicht nicht aus für ein ganzes Leben, dachte ich mir, da muss ein Knall dabei sein, da muss das Herz verrückt spielen und im Bauch tausend Schmetterlinge taumeln.
Ja, ich wusste, dass all diese Gefühle der Sturmzeit vergänglich waren, aber das, was übrig blieb, musste so gewaltig sein, dass es für die nächsten Jahrzehnte reichen würde.Und auf so jemanden wartete ich mein ganzes, bis damals 23-jähriges Leben lang.
Sie schaute mich an und sagte: „Wo bist du mit deinen Gedanken? Hast du gar nicht gehört, was ich dir eben gesagt habe?“
Verdutzt schaute ich sie an. „Doch klar, du heiratest in zwei Monaten“, antwortete ich.
„Nee, danach verriet ich dir den Grund, Mensch Jassy, immer träumst du bloß rum!“
„Huch, was ist denn der Grund, bist du etwa ...“
„schwanger!“ beendete sie den Satz und lächelte verschmitzt.
„Oh, meine Kleine bekommt ein Baby!“, jubelte ich, „Wann ist es denn soweit?“
„Wir haben es vor einer Woche erfahren“, sagte sie „dazu sagte Matthias, dass wir nun endlich einen Grund haben, zu heiraten und im Dezember kommt dann unser Weihnachtsgeschenk. Stichtag ist der 22.“
„Oh, ein Weihnachtsbaby, wie schön!“, freute ich mich, „Habt ihr schon Namen ausgesucht?“
„Nein, das ist noch etwas früh, wir sind noch am schwanken und finden immer wieder neue“, ließ sie mich wissen, „Wenn du einen schönen kennst, dann sag es mir ruhig, noch ist nichts entschieden.“
Damit war meine Reise für das Jahr eben auf das nächste verschoben. Und so war es auch die Jahre danach.
Eine aufregende Zeit begann für sie und für mich auch, denn ich war immer dabei.
Wir suchten zusammen ihr Hochzeitskleid aus. Sie mochte es schlicht und weiß und kurz und sie sah darin so bezaubernd aus, wie eine Elfe. Statt eines Schleiers hatte sie sich für einen großen weißen Hut entschieden, der vorzüglich zu ihren blonden, langen Haaren passte.
Wir planten zusammen die Feier, fanden ein herrliches Lokal am Rhein, stellten das Menü zusammen und bastelten am Tag zuvor an der Tischdekoration, die wir für den Mai gebührlich, ganz in grün und weiß mit vielen Maiglöckchen zauberten. Auch die Tischkarten hatten die Form eines langen Maiglöckchenblattes und mit Goldschrift schrieben wir die Namen darauf.
Die Feier fand im kleinen Rahmen statt, mit der Familie, einigen engen Freunden und den liebsten Kollegen. Es war ein sehr harmonisches Fest, bei dem niemand aus der Reihe tanzte und auf dem viel gelacht und getanzt wurde.
Ich war froh, dass ich dabei sein durfte und bereute es nicht, meinen eigenen Traum dafür nach hinten gestellt zu haben.
Der Sommer verging wie im Flug und ihr Bäuchlein wurde immer runder. Zum Herbst hin war es so beachtlich, dass sie froh war, dass die Hitze vorbei war.
Als dann das Baby fast pünktlich am 23. Dezember kam, war ich bei der Geburt dabei, weil Matthias gerade auf Geschäftsreise war und erst am nächsten Tag, also am Heiligabend wieder zu Hause sein konnte.
Sie rief mich morgens um 4:00 Uhr an, dass die Wehen losgehen und ich brachte sie in die Klinik. Ich habe stundenlang ihre Hand gehalten und mit ihr gehechelt. Sie war froh, die schmerzlichen Stunden nicht alleine in diesem unpersönlichen Krankenhaus sein zu müssen.
Dann um 17:03 Uhr war er da, der kleine Henry. Ein properes Kerlchen mit einem hellen Flaum auf dem verrunzelten Köpfchen und puterrot von der Anstrengung und dem ersten kräftigen Schrei. Er beruhigte sich aber schnell, wurde in warme Handtücher gewickelt und meiner Schwester auf die Brust gelegt. Nun konnten wir in Ruhe seine winzigen Händchen betrachten, und seine kleinen Äuglein, die er versuchte, zu öffnen. Doch die ungewohnt helle Umgebung blendete ihn, so dass er sie nur einen Spalt auf bekam.
Dann wurde er zum Baden abgeholt und die Hebamme bat mich, nun eine Weile draußen zu warten.
Da es eine ambulante Geburt war, durften wir ein paar Stunden später wieder nach Hause fahren. Wir haben den Kleinen angezogen, in seine Kinderwippe gepackt und wir bekamen noch ein paar Tipps von der freundlichen Hebamme.
Als wir den kleinen Henry in seine hübsche Kinderwiege, die aus einem ausgekleideten Wäschekorb mit Himmel bestand, in der schon wir beide gelegen hatten, bin ich über Nacht bei ihr geblieben, bis ihr Mann am nächsten Tag wiederkam. Nun wollte ich die kleine Familie nicht stören und bin zu mir gefahren, um mich umzuziehen.
Nachmittags fuhr ich zu unseren Eltern. Bei ihnen Weihnachten zu feiern, ist eine jährliche Tradition bei uns.
Sie waren natürlich schon ganz gespannt auf meinen Bericht, wie die Geburt war und wie der Kleine denn aussieht und waren ganz verzückt bei meinen Beschreibungen.
Abends kam auch die kleine Familie zum Essen, damit die frisch gebackenen Großeltern den kleinen Henry bewundern konnten. Der schlief die ganze Zeit tief und zufrieden.
Lange blieben sie jedoch nicht, weil Melanie noch ziemlich schwach war und außerdem die Wochenbettdepression zugeschlagen hatte und sie dauernd weinen musste, aber selbst nicht genau wusste, warum.
In den nächsten Monaten habe ich oft auf den kleinen Henry aufgepasst. Er machte mir so viel Freude mit seinen kleinen dicken Patschhändchen und dem süßen Schnäuzchen, das so niedlich brabbeln und später auch lächeln konnte. Muddi, wie ich meine Mutter gerne nannte, riss sich auch um ihn, doch meinem Vater wurde das oft zu viel. Er fürchtete um seine Ruhe und seine geliebte Modelleisenbahn, wenn der Kleine mit seinen Händchen darauf patschte und versuchte, sie zu greifen.
So war Henry meistens bei mir, wenn meine Schwester etwas zu erledigen hatte, wohin sie ihn nicht mitnehmen konnte.
Als er älter wurde, hatten wir viel zu lachen zusammen, weil er sich so witzige Dinge ausdenken konnte.
Einmal, er war vielleicht knapp 2 Jahre, hängten wir zusammen Wäsche auf und danach kochte ich in der Küche etwas für uns. Als ich wieder ins Wohnzimmer kam, hatte er die restlichen Klammern in seinen lockigen Haaren befestigt. Es müssen wohl so um die 30 Stück gewesen sein und er sah zum Schießen lustig aus, wie er mich so angrinste. „Haare macht“, sagte er und ich lachte Tränen und machte schnell ein Foto fürs Familienalbum.
Später machte er sich auch viele ernste Gedanken, dass ich mich wunderte, dass ein Vierjähriger schon über so etwas grübelt. Einmal zum Beispiel schaute er lange in den Himmel und sagte plötzlich: „Du Jassy? Wenn alle Menschen sterben müssen, sind dann alle wieder zusammen im Himmel?“ Ich sagte: „Ich weiß es nicht, aber es kann ja gut sein, weil wir hier auch zusammen sind. Vielleicht trifft man sich dort wieder.“ Dann sagte er: „Aber das ist doof, weil welche früher sterben und auf die anderen dann solange warten müssen. Dann erkennen sie sich ja vielleicht gar nicht mehr.“
Nun war ich mittlerweile 29 Jahre alt geworden und hatte meinen letzten Geburtstag mit einer 2 davor gebührend mit all meinen Freunden und meinen Lieben gefeiert.
Da ich am 1. Januar geboren bin, bot sich das Silvesterfest schon immer an, um hinein zu feiern. Das hat den großen Vorteil, dass man am nächsten Tag meist seine Ruhe hat, weil ja alle schon gratuliert hatten und ausschlafen konnte, weil ja eh ein Feiertag war.
An diesem Geburtstag hatte ich den festen Entschluss gefasst, meinen Traum nun zu verwirklichen und setzte alle davon in Kenntnis, dass ich meinen 30. Geburtstag in Thailand feiern werde. Sie dachten alle, ich sage das nur so dahin, wie schon so oft. Aber dieses Mal war es mir ernst.
Henry kam sowieso diesen Sommer in die Schule und Muddi war ja da zum Aufpassen, wenn mal Not am Mann war.
Ich sprach also in den nächsten Tagen mit meinem Chef, dass ich das Sabbatical-Jahr in Anspruch nehmen möchte. Er hatte nichts dagegen, wenn ich es bis dahin schaffte, meine Aufgaben zu erledigen, bzw. sie an meine Kollegen zu delegieren. Es war ja erst Anfang Januar und ich hatte den Oktober ins Auge gefasst, damit ich langsam mit den Vorbereitungen beginnen konnte und Anfang November meine Reise starten konnte.
Das klappte auch alles prima. Anfang Oktober verabschiedete ich mich mit allerlei Süßigkeiten als Nervennahrung von meinen Kolleginnen und Kollegen in mein Jahr, das mir so lang und endlos schien, dass ich es gar nicht fassen konnte, so lange keine Verpflichtungen mehr haben zu sollen.
Frei wie ein Adler fuhr ich an diesem letzten Feierabend in mein neues Leben. Ein bisschen wehmütig blickte ich zurück auf mein Bürofenster im 3. Stock und ein bisschen wehmütig fuhr ich die bekannten Straßen entlang, die ich lange Zeit nicht mehr sehen würde. Aber das tolle Gefühl überwog.
Und nun war ich schon dabei, meinen Rucksack mit dem Notwendigsten zu packen, denn jedes Gramm zu viel würde sich auf der Länge der Fußmärsche in meine Schultern graben. Das hatte ich auf anderen Backpackertouren schon zur Genüge erlebt, das sollte mir auf meinem ersten Alleintrip nicht passieren. So war es gut zu überlegen, was wirklich notwendig ist und was man besser zu Hause lassen sollte. Und trotzdem wurde der Rucksack schnell immer voller und immer schwerer.
Wenn man überhaupt nicht weiß, wie lange eine Reise dauern wird, ist es umso schwerer, für alle Eventualitäten gewappnet zu sein. Ich weiß, dass Thailands Süden ein klimatisch heißes Land ist, doch im Norden gibt es auch Gebirge, auf denen es kühl ist. Vielleicht führte mich mein Schicksal ja genau dorthin und so nahm ich lieber noch ein paar wärmere Kleidungsstücke mit.
Und dann kam das Thema Schuhe. Richtige klobige Wanderschuhe besitze ich gar nicht und wollte sie mir auch nicht extra kaufen, dafür hatte ich aber äußerst gemütliche Treter, mit denen ich Kilometer abreißen konnte, wenn es sein musste. In denen würden meine Füße aber kochen, wenn es zu warm ist. Also überlegte ich, dass ich mit Flip-Flops sowohl am Strand liegen, wie auch einen Stadtbummel machen könnte und die Kilometer-Treter nur anziehe, wenn ich durch unwegsames Gelände käme. Also reichten 2 Paar Schuhe wohl. Doch dann überlegte ich, was ist, wenn ich einmal eingeladen werde und etwas eleganter aussehen will? Also entschied ich mich, auch meine Pumps mit einzupacken, die wiegen ja fast nichts.
Bei der Oberbekleidung waren es genau die gleichen Fragen. Also T-Shirts sind ein Muss – Hilfe, ich kann mich nicht entscheiden, welche und welche nicht – kurze und lange Hosen, eine feinere Bluse, eine Jacke, Unterwäsche für 10 Tage, das sollte reichen, in der Zeit wird sich ja wohl irgendwo eine Wasch- und Trockengelegenheit bieten. Das machen ja andere auch.
Die ganzen kleinen Tiegel und Tuben mit Creme und Körperpflegemittel und etwas Duft nahmen auch nicht gerade wenig Platz weg.
Die Zahnbürste, eine Reisetube Zahnpasta, etwas Seife, Kamm und einige Morgentoiletteutensilien sollte man gleich im Handgepäck verstauen, da die lange Reise die ganze Nacht durch ging und ich mich im Flieger am nächsten Morgen frisch machen wollte. Für diesen Zweck hatte ich einen Minirucksack, der auch für Städtetrips perfekt ist.
Dann musste ich den schweren Rucksack nicht immer mitschleppen, sondern konnte ihn in der Unterkunft lassen. Außerdem hatte ich darin etwas Reiseproviant, damit ich nicht die teuren Snacks auf dem Flug kaufen muss.
Als endlich alles eingepackt war und abreisebereit dort im Flur stand, hatte ich plötzlich ein ganz komisches Gefühl im Bauch. Es ist kaum zu beschreiben. Etwas Wehmut, gemischt mit ganz viel Freude aber auch Angst und schon Heimweh, trotzdem ich ja noch zu Hause war und es schob sich eine Portion Abschiedsschmerz dazu. Denn das kam ja gleich noch auf mich zu.
An diesem letzten Abend sollte es noch ein Abschiedsessen für mich geben, zu dem meine Freunde und Familie zusammenkamen um mir alles Gute zu wünschen. Ich hasse solche Szenen, hätte mich lieber klammheimlich davongemacht, weil das nicht ganz so weh tat.
Doch nun war es so beschlossen und ich wollte sie nicht enttäuschen. Etwas mehr als sieben Stunden noch, bis mein Flieger um 2:40 Uhr in der Nacht ging. Spätestens um 0:40 Uhr musste ich am Flughafen sein zur Gepäckabgabe. Um halb sieben schleppte ich meine Sachen die Treppen hinunter, wo Martin, einer meiner Freunde, gerade freudestrahlend den letzten Parkplatz ergattert hatte . Wir verstauten die Rucksäcke in seinem Kofferraum und fuhren zum Restaurant, wo schon alle meine Lieben versammelt waren.
Wir hatten einen tollen Abend,
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Martina Bublitz
Bildmaterialien: Martina Bublitz
Lektorat: Martina Bublitz
Tag der Veröffentlichung: 27.02.2017
ISBN: 978-3-7396-9998-1
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
vielen Dank, dass Sie mit Jassy zusammen Ihre Reisetasche gepackt haben und sich mitnehmen ließen auf diese ungewöhnliche Reise.
ich hoffe, dass ich Sie aus Ihrem Alltag in eine andere Welt entführen konnte, in der nichts ist, wie es scheint und doch alles so vertraut ist.
Sobald Sie sich wieder von den Strapazen erholt haben, wäre ich Ihnen sehr dankbar für eine Rezension oder eine Weiterempfehlung an Ihre Familie, Freunde und Bekannten.
Auch würde ich mich sehr über eine Nachricht freuen, wie Ihnen diese Geschichte gefallen hat.
Meine E-Mail-Adresse lautet: martina.bublitz@gmx.de
Herzlichst
Ihre Martina Bublitz
Übrigens:
Jasmin Winter und alle Personen und Handlungen dieses Buches sind frei erfunden. Einige Erfahrungen und Gedanken, die ich eingearbeitet habe, sind es jedoch nicht.