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Prolog

Prolog.

 

Ich hatte keine Ahnung wie viel Zeit wir schon in diesem Labor verbracht haben mussten, nicht einmal den Wochentag wusste ich mehr. Eingesperrt wurden wir hier, festgehalten. Höchstsicherheitsstufe hatte man uns bei der Einbuchtung gesagt. Hierbei handele es sich um einen Fall der nationalen Sicherheit. Mir war die Nation eigentlich ziemlich egal, denn es ging hier um so viel mehr. Mit unseren Forschungsergebnissen würden wir die gesamte Menschheit revolutionieren. Keiner würde mehr an lächerlichen Depressionen leiden, weil er sich zu hässlich, zu fett oder gar abscheulich fand. Falls es soweit kommen sollte, dass unsere Testreihe tatsächlich Erfolg haben würde, könne ein jeder, der es auch wollte, Perfektion erlangen.

Vielleicht klingt das für einige nach purem Wahnsinn, doch das ist genau das, was die Menschheit braucht, Perfektion. Wie viele Leute sind unnütz gestorben, weil sie unsinniger Weise Selbstmord begannen haben, mit Sicherheit aus tiefster Überzeugung heraus, keiner von ihnen wollte ein erbärmliches Leben im Schatten ihrer selbst führen. Sie wollten sich selbst entkommen. Schwache, naive Idioten. Hätten sie einige Jahre länger gewartet hätten sie schon noch bekommen wonach sie sich so sehr sehnten. Doch diese Chance werden sie nicht mehr bekommen.

 

„Abigail? Schau dir seine Herzfrequenz an!“, rief mich die tiefe Stimme von Lucas zu sich. Lucas Brighton und ich arbeiteten schon seit unserer Ausbildung gemeinsam an diesem Projekt, wir hatten nahezu nie eine freie Minute gehabt.

Außer ihm sah ich eigentlich nie einen anderen Menschen, abgesehen von mir selbst und Professor Isaacs. Manchmal konnte ich es mir beim besten Willen nicht verkneifen ihn als eine männliche Kopie von mir zu beschreiben. Würde ich es nicht wissen hätte ich die Behauptung aufgestellt, dass es sich bei ihm um meinen Bruder handeln müsste. Hierzu muss ich sagen, dass ich ein Einzelkind bin und vermutlich auch niemals weitere Geschwister bekommen werde.

Es ist nicht so, dass meine Eltern nicht noch das ein oder andere Kind gewollt hätten, aber dazu wären sie einfach nicht mehr in der Lage. Allein bei dem Gedanken huschte mir ein schmales Lächeln über die Lippen, es war gut, dass sich diese armseligen Gestalten nicht noch weiter vermehren konnten. Mir zu liebe, zu liebe ihres einzigen Kindes, hatten sie sich freiwillig dafür gemeldet an einer wissenschaftlichen Studie teilzunehmen, und hier war ich mir ziemlich sicher, dass es sich am Ende auszahlen würde. Schließlich befanden sie sich im Dienste der Menschheit. Darauf konnten sie nun wirklich stolz sein.

Nun gut zurück zu Lucas, er saß vollkommen fasziniert vor dem Bildschirm seines Laptops. Seine dunklen Haare fielen ihm strähnig ins Gesicht, hier drin war es aber auch wirklich ziemlich warm. Kann mich auch schon gar nicht mehr daran erinnern, wann wir das letzte Mal die Möglichkeit dazu gehabt haben uns zu duschen oder für ein paar Stunden die Augen zu schließen. Sein filigraner Zeigefinger deutete auf den grünlichen Balken, der sich mit langsamer Geschwindigkeit stetig auf und ab bewegte. Für einen kurzen Augenblick musterte ich die ergonomische Frequenz, ehe ich das Wort an meinen Kollegen richten konnte. „Er befindet sich im Trance-Stadium?“, fragte ich obwohl ich die Antwort darauf ganz genau kannte.

 

Fällt die Herzfrequenz eines Versuchsobjektes stark ab und pendelt sich daraufhin auf einer sehr geringen Stufe wieder ein, bedeutet das, dass sich der Proband in einer Art Trance befindet. In dieser Trance erschlafft der Körper vollkommen, es werden nur noch die wichtigsten Organe mit Blut und Sauerstoff versorgt, für uns an dieser Stelle besonders wichtig ist das Gehirn, es darf keinerlei Schäden davon tragen sonst lässt sich der Versuch als 'Gescheitert', in der Akte, verzeichnen.

 

Aufgrund dessen, dass ich nicht vollkommen fanatisch auf den Bildschirm starrte, sondern meinen Blick auf die große Scheibe gerichtet hatte, die das Labor von den Versuchsobjekten trennte, konnte ich feststellen, dass die Arme von Proband 209, besser bekannt als mein Vater, schlaff an den Enden der Liege herunter hingen. Vollkommen wehrlos lag er auf dieser Trage, wie mich dieser Anblick doch erfreute. Doch jäh riss mich Lucas aus meinen Gedanken indem er mir auf die Schulter tippte. „Meinst du wir können beginnen?“, fragte er mich sichtlich verwirrt. Eigentlich hätte ich nur mit den Schultern gezuckt, da ich nicht das Recht dazu hatte ihm irgendwelche Anweisungen zu erteilen. Doch in diesem Moment war mir das ziemlich egal.

„Du holst den Professor. Ich fange an ihn aufzutrennen“, sagte ich schon fast in einem gebieterischen Ton. Zu meiner Überraschung hörte Lucas auch noch auf mich. Abermals breitete sich das schmale Grinsen auf meinem gesamten Gesicht aus. Dieses Mal würde nichts schief laufen, davon war ich überzeugt. Mit festen Schritten ging ich auf die Schleuse zu, bei der ich mir Zugang zu Proband 209 verschaffte. In der Schleuse ergriff ich natürlich erst Einmal alle wichtigen Sicherheitsvorkehrungen. Mit einem Handgriff war ich in den Anzug geschlüpft, hatte mir die Atemmaske drüber gestülpt und die Gummihandschuhe bis zu den Ellenbogen hinauf gezogen. Ein Knopfdruck war ausreichend und ich konnte das von Neonröhren durchflutete, weiß gekachelte Zimmer betreten. Mein gekonnter Blick sagte mir, dass sich die Vitalzeichen von Proband 209 noch im optimalen Bereich befanden.

 

Er sah blass aus, fast schon leblos, was eindeutig als positiv einzustufen war. Drei große Schritte reichten aus und ich stand direkt neben seiner Liege. Man konnte kaum noch seinen Atem hören und ich wusste, wenn ich zu lange warte, würde er uns wegsterben bevor wir die Testergebnisse erzielen konnten. Vorsichtig legte ich meine feingliedrigen Finger zuerst auf seine Stirn, dann an seinen Hinterkopf und zum Schluss an seine Schläfen. Wir brauchten hier anscheinend die stärkste Fräse die wir hatten, sonst würden wir durch seinen Dickschädel nicht durchkommen, da war ich überzeugt. Langsam legte ich Proband 209 ein OP-Tuch über das gesamte Gesicht, eigentlich war das völlig sinnlos, aber Professor Isaacs bestand nun einmal darauf. Immerhin waren wir kein Schlachthaus, obwohl die nutzlosen Körper am Ende ja doch alle weggeworfen wurden. Kurz blickte ich zur zweiten Liege, wenn alles glatt laufen würde, dann hätte diese erbärmliche Gestalt bald den Körper eines Adonis. Gottgleich lag der leblose Körper auf der Trage, ihm mangelte es an nichts, außer einem Gehirn, welches ihm von Proband 209 geliefert werden sollte.

 

Keine Minute später stand auch schon Lucas mit dem Professor im Raum. „Wir müssen uns beeilen Professor“, fuhr ich den etwas betagten Mann, mit der schief sitzenden Brille, an. Er war nicht immer der schnellste, aber bei ihm handelte es sich um ein einzigartiges Genie. „Hast du die Instrumente schon gereinigt?“, überprüfte er mit kritischem Blick. Ich konnte nicht anders als mit den Augen zu rollen, denn es machte überhaupt keinen Sinn die Instrumente zu desinfizieren, das Haupt des neuen Körpers war schon von Anfang an abgetrennt gewesen und dieser Körper brauchte seinen Kopf wohl auch nicht mehr länger, wenn wir das Gehirn erst einmal umgepflanzt haben. „Natürlich habe ich das“, log ich ihn eiskalt an und versicherte mich mit einem Blick in die Richtung von Lucas, dass er mich nicht verpetzen würde. Mit bebenden Händen reichte der aufgeregte biologische Assistent dem Professor die Fräse. Diese begann sich mit einem ohrenbetäubenden Geräusch in die Schädelplatte des Probanden 209 zu fressen. Meine Augen waren einzig und allein auf die Monitore geheftet, die mir bestätigten, dass er sich bei vollem Bewusstsein, jedoch noch immer im Trance-Stadium befand.

Das Blut quoll aus seinem Kopf hervor und tropfte ohne Unterlass auf die weißen Kacheln. Es dauerte nicht lange, da hatte sich bereits eine gesamte Lache vor unseren Füßen ausgebreitet. Umso mehr Schichten sich von seiner Schädeldecke trennten, desto gespannter war ich darauf endlich sein Gehirn erblicken zu können, doch das würde noch eine Weile dauern. Knochen bot doch härteren Widerstand als ich es mir erhofft hatte, dennoch konnte das nichts an meiner guten Laune ändern.

Mit federnden Schritten ging ich zu dem neuen, perfekten Körper, den dieses Gehirn in den nächsten Augenblicken erhalten würde. Ich schloss ihn an die ersten Maschinen an, die sein Herz zum schlagen bringen sollte, damit sich der Blutkreislauf in Gang setzten konnte. Wie gebannt sah ich auf den kalkweißen Körper, dessen Arterien sich langsam mit rotem Blut voll saugten, bis zu diesem Punkt war der Versuch also geglückt. Jetzt musste nur noch das Gehirn sicher an seinen neuen Platz gebracht werden und von dem Körper angenommen werden. Das lief ähnlich ab wie bei einer ganz normalen Transplantation, schließlich handelt es sich bei dem Gehirn auch bloß um ein Organ.

 

Ein extrem lautes und fürchterliches Knacken kündigte mir letztendlich an, dass Lucas dem Probanden 209 das Genick gebrochen hatte. Ich spürte, wie die Wut in mir hochkochte. Der Idiot durfte es nicht vermasseln! Doch der Professor hielt das Gehirn schon in seinen zittrigen Händen, alter Greis. Mit vorsichtigen Schritten kam er zu mir herüber. Für einen kurzen Augenblick richtete ich meine Aufmerksamkeit noch ein aller letztes Mal auf Proband 209, der nun vollkommen ausblutete. Mitleid hatte ich keines, schließlich würde er zum Prototyp werden, der Beginn einer völlig neuen Lebensform.

Impressum

Texte: Jacqueline Schitterer
Tag der Veröffentlichung: 25.08.2013

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