Cover

Titel & Widmung

Die Berrá Chroniken

~Das fünfte Zeitalter~

 

Die Saat der Elfen

René Pöplow

Für Anton

 

 

Du hast unser Leben mit deiner Treue und deiner Liebe bereichert. Kein anderer wird jemals deinen Platz einnehmen können. Die Erinnerungen an dich, werden uns bis an das Ende unseres Lebens begleiten. Als der Moment des Abschieds kam haben wir dir gesagt, dass wir uns eines Tages wiedersehen. In deinen Augen konnten wir sehen, dass du auf der anderen Seite auf uns wartest.

Der Autor

 

René Pöplow, geboren 1980 in Hannover.Meine Bücher sind was von mir bleibt.

Wenn sich in hundert Jahren noch jemand an meinen Texten erfreut, dann habe ich erreicht was ich wollte.

 

 

Kein Studium in Literaturwissenschaften oder Linguistik. Keine zwei Dutzend Schreiber Workshops. Einfach nur Leidenschaft für Märchen und fantasievolle Geschichten.

 

Ich bin ein Self Publisher. Die wenigen Verlagsbewerbungen, die ich bisher versandt habe, führten leider zu keinem positiven Ergebnis. Also entschloss ich mich 2010 mein erstes Buch selbst zu veröffentlichen. „Jetzt bist du gebrandmarkt für alle Buchverlage!“, wurde mir damals gesagt. Dem kann ich nur ein schlichtes „Na und?“ entgegnen. Soll ich denn mein Leben lang auf die Vernunft eines Verlages hoffen? Auf die Erkenntnis, dass meine Buchreihe das Potenzial zu einem Klassiker hat? Dass es künftig in einem Atemzug mit der Bibel genannt wird? Nö. Ich schreibe so lange mein Herz mir die Ideen dafür gibt. Und ich veröffentliche meine Bücher so lange in Eigenregie, wie ich die Möglichkeit dazu habe oder endlich einem Verlag die Augen aufgehen.

Somit präsentiere ich euch nun mein siebtes Buch, meine neunte Geschichte, den zweiten Band der Reihe „Das fünfte Zeitalter“, Die Saat der Elfen.

 

Impressum

 

Deutsche Erstauflage 2022

© René Pöplow

Sämtliche Rechte liegen beim Autor.

Illustrationen & Fotos: Sarah Bergmann

 

Ähnlichkeiten mit toten oder noch lebenden Personen, sowie geschichtlichen Ereignissen sind Zufall und vom Autor nicht beabsichtigt.

Unerlaubte Vervielfältigung, Verletzungen gegen das Urheberrecht oder das Verwenden von Buchinhalten zu unautorisierten Zwecken werden vom Rechteinhaber zur Anzeige gebracht.

 

Informationen über die Berrá Chroniken und andere Buchprojekte des Autors finden Sie unter www.elrikh.de

Vorwort

 

Die Saat der Elfen hat sehr viel Zeit in Anspruch genommen. Die Ideen waren da. der Wille auch. Aber gesundheitliche Probleme haben mich über Monate in Schach gehalten. Nachdem Anton mich verlassen hatte wurde alles anders. Menschen die das vierzigste Lebensjahr vollenden fragen sich oft, was sie von ihrem Leben noch erwarten können. Private und berufliche Perspektiven werden plötzlich in Frage gestellt. Ich gehörte nie zu denjenigen, die der klassischen Midlife Crises entgegensahen. Doch als meine Gesundheit mir knapp nach dem gefürchteten Tag einen Strich durch die Rechnung machte, fing auch ich an mir Gedanken zu machen. Von einem Tag auf den anderen wird einem die eigene Verletzlichkeit vorgehalten. Die eigene Sterblichkeit. Ich habe sicherlich viele Entscheidungen in meinem Leben getroffen, die mir einiges verbaut haben. Doch hätte ich diese Entscheidungen nicht getroffen, hätte ich wahrscheinlich auch keines meiner Bücher geschrieben. Doch sie sind es die bleiben. Lemmy Kilmister hat einmal gesagt „Von mir aus klaut unser neues Album. Ich will das ihr die Songs hört.“ Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass mir illegale eBook Plattformen nicht ein Dorn im Auge wären. Dennoch ist es mir lieber jemand liest meine Bücher ohne zu bezahlen, als dass er sie niemals lesen würde.

Noch heute denke ich an einzelne Abschnitte von Romanen die ich vor 20 Jahren gelesen habe. Ich verbinde mit diesen Romanen auch andere schöne Erinnerungen meiner jüngeren Jahre. Und wenn ich dieses Gefühl bei meinen Lesern erreichen kann, dann habe ich alles erreicht was ich wollte.

So wünsche ich euch nun viel Vergnügen mit dem zweiten Band der Reihe „Das Fünfte Zeitalter“.

Die Geburt des Hexenmeisters

(Auszug aus „Der Dunkelgott“)

 

Obaru

Befay widerstand den Einflüsterungen seines Gegners und zwang ihn damit zum Zweikampf. Alkeer wusste natürlich um die Fähigkeiten des Elfen und hatte versucht ihn anderweitig besiegen zu können. Doch jetzt, da sich ihre Waffen kreuzten, entfesselte der Gefallene seinen ganzen Hass und nutzte ihn um Befay zu vernichten.

Das Axtblatt seines Speers schlug immer wieder gegen den Schild des Elfen. Blaue Funken sprühten als die beiden Artefakte aufeinanderprallten. Der Schwertmeister konnte nicht abstreiten, dass Alkeers giftige Worte irgendetwas in ihm bewegt hatten. Doch genau das hatte Bremax ihn ja auch zu lehren versucht. Dass er Wahrheiten akzeptierte ohne an ihnen zu zerbrechen, anstatt sie zu leugnen und sich selbst zu verlieren. Das Schwert der Läuterung glomm auf als der Elf es gegen den Schaft des Speers schlug. Er war von Alkeers Kampfkünsten überrascht und versuchte immer noch ein Muster in seinen Bewegungen zu erkennen. Ein Sprung nach vorne und ein sofortiger Richtungswechsel nach der Landung, brachten den Dämon aus dem Gleichgewicht und erlaubten Befay einen gezielten Schlag anzubringen. Das Schwert traf Alkeer in die Seite konnte aber gegen die dicke Plattenrüstung nichts ausrichten. Der stilisierte Fratzenhelm schien den Schwertmeister auszulachen. Doch Befay ließ sich davon nicht entmutigen und griff wieder an. Ein schneller Stoß, direkt auf das Herz, wurde von Alkeer jedoch abgewehrt. Er vollführte eine halbe Drehung und schaffte es dabei irgendwie sich seinen roten Umhang abzustreifen. Dieser flog direkt auf Befay zu nahm ihm kurz die Sicht. Alkeer nutzte die Gelegenheit und schwang seinen Speer in einer weiten Bewegung. Das Axtblatt krachte gegen den Schild und riss diesen mit sich fort. Der Elf machte einen Satz rückwärts um sich vor weiteren Attacken zu schützen.

„Du kannst nicht gewinnen, Befay. Lass uns damit aufhören.“

Der Schwertmeister sah eine Chance sich zu sammeln und hielt das Gespräch aufrecht.

„Ich weiß warum du dies alles tust, Alkeer. Weil du dich von der Welt verraten fühlst.“

„Rührend. Aber deine Worte sind in den Wind gesprochen, Elf. Der den du meinst, ist vor Jahren gestorben. Er lag verstümmelt und halbtot unter Trümmern begraben. Zum Sterben bereit. Ich habe seinen Körper genommen und ihm versprochen, die Verbrechen an seinem Blut zu rächen.“

„Du sprichst von Rache und kämpfst gegen mich. Aber ich war es, der deine Brüder rettete und sich ihrer annahm.“

Der Dämon blieb plötzlich stehen und sprach mit ernster Stimme.

„Schweig!“

„Wieso? Weil die Wahrheit dich womöglich als Monster entlarven könnte? Ich habe Vahin und Ralepp aufgenommen und sie aufgezogen als wären es meine eigenen Söhne. Sie wurden von dem Ort beschützt nach dessen Vernichtung du trachtest.“

„Deine Lügen sind nicht mehr von Bedeutung, Schwertmeister. Dieser Körper ist nur die Hülle einer vergangenen Seele. Als sie starb, bin ich an ihre Stelle getreten. Ich bin das, was Alkeer immer sein wollte. Stark, mächtig, unbesiegbar. Und ich werde alles und jeden vernichten, der mir diese absolute Macht wieder nehmen will!“

Ein plötzlicher Vorstoß des Dämons brachte Befay in Bedrängnis. Er konnte einigen Rundumschlägen gerade noch ausweichen, aber schließlich musste er sein Schwert heben um einen der Hiebe zu parieren. Die Wucht des Treffers ließ ihn Straucheln und schon im nächsten Augenblick wurde er vom Griff seines Gegners an der Kehle gepackt. Der eiserne Handschuh bohrte sich regelrecht in das Fleisch des Elfen und brachte bereits erstes Blut hervor. Befay hätte geschrien wenn er dafür die Luft bekommen hätte. Ungezielt schlug er mit seinem Schwert nach dem Angreifer als dieser ihn am ausgestreckten Arm in die Luft hob.

„Siehst du wie schwach du bist? Ich werde dir jetzt dein Leben aus dem Körper quetschen.“ Befays Bemühungen sich zu befreien versiegten allmählich. Seine Linke hielt den Arm seines Gegners umklammert, konnte aber gegen den stählernen Griff nichts ausrichten. Seine Rechte schwang immer noch ungezielt das Schwert. Er sah sich bereits als Verlierer dieses Kampfes tot am Boden liegen. Dabei wurde ihm klar, dass er niemals eine Chance gegen den Dämon hatte. „Ja. Ich kann deine Verzweiflung spüren. Deine Angst vor dem Tod.“ Alkeer stieß seinen Speer neben sich in den Boden und griff mit der freien Hand nach Befays Helm. Bei der Berührung mit dem heiligen Stahl glühte die Eisenrüstung des Dämons auf. Alkeer gab einen kurzen Schmerzensschrei von sich, schaffte es aber schließlich dem Elfen das Artefakt abzunehmen. Er warf den Helm verächtlich beiseite, so als ob er eine Ratte fortjagte. „Schmerz ist das wichtigste Gefühl das es gibt. Menschen zerbrechen an ihm. Genauso wie Elfen. Aber ich wachse durch ihn. Der Schmerz gibt mir die Kraft zu tun was ich tun muss.“

Die eiserne Hand des Dämons, die den Helm angefasst hatte, schien immer noch zu glühen. Und so drückte er sie dem Elfen ins Gesicht. Es zischte als ob jemand ein Stück Fleisch in heißes Öl warf. Fast das gesamte Gesicht des Schwertmeisters wurde von der eisernen Klaue bedeckt. Angefacht von der qualvollen Pein, mit welcher der Dämon ihn strafte, riss er das Schwert ein letztes Mal hoch um sich zur Wehr zu setzen. Die Klinge der Läuterung fand ihren Weg von unten zwischen zwei Rüstungsplatten hindurch und drang dabei so tief in Alkeers linke Schulter ein, dass sie am anderen Ende wieder austrat und gegen die rückwärtige Rüstung stieß. Ein Schrei wie ihn hundert Trolle nicht lauter hätten ausstoßen können ertönte. Der Griff um seinen Hals löste sich und Befay stürzte ohne sein Schwert zu Boden, wo er wie ein Fisch auf dem Trockenen um Luft rang. Zudem war beinahe sein gesamtes Gesicht verbrannt worden. Rote und schwarze Hautfetzen hingen an verkohltem Fleisch und ließen erahnen, welche Schmerzen der Elf in diesem Moment erleiden musste. Alkeer packte das Schwert der Läuterung am Griff und schrie erneut auf. Blaue Flammen umspielten seinen Oberkörper. Die Klinge hatte sich in der Plattenrüstung verklemmt und ließ sich nicht entfernen. Seine unmenschlichen Schreie sorgten dafür, dass die Krieger beider Armeen einen immer größeren Abstand zur Mitte des Schlachtfeldes und zueinander suchten. Keine der beiden Seiten schien einschätzen zu können, wie dieser Kampf ausging. Schließlich nahm der Dämon all seine Kraft zusammen, packte das Schwert und riss es aus seinem Körper. Blaue und rote Funken sprühten auf als der Stahl den Körper verließ. Alkeer ließ das Schwert fallen und blieb regungslos stehen. Einen Herzschlag lang erstarb jedes Geräusch. Dann ging eine Sturmbö von dem Dämon aus die sich kreisförmig um ihn herum ausbreitete und in einem gewaltigen Windstoß mündete. Er griff sich seinen Speer und presste das Klauenende auf den Brustkorb des Elfen. Dieser war blind vor Schmerz und Blut und begriff gar nicht, was mit ihm geschah.

„Oh nein. So leicht werde ich es dir nicht machen. Jetzt wirst du wahren Schmerz erfahren, Schwertmeister Vinosals!“

Befay konnte spüren wie sein Geist von demselben Griff umklammert wurde, der zuvor seinen Körper gequält hatte. Er sah vor seinen Augen wie Isamaria von den Druulen überrannt wurde. Tempel wurden angezündet und die betenden Gläubigen bei lebendigem Leibe verbrannt. Rahbock wurde den abscheulichen Reittieren der Druule zum Fraß vorgeworfen. Seine Schreie hallten immer wieder durch Befays Kopf. Doch die Flut aus Tod und Verderben hatte erst ihren Anfang genommen. Der Elf sah wie die Flüchtlinge auf ihrem Weg zur Küste abgefangen wurden. Frauen und Kinder wurden erschlagen während ihre Männer zusehen mussten. Anschließend wurden die Überlebenden in Ketten gelegt und in die Sklaverei geführt. Befay sah, wie sich der Dämon eine Festung auf den Trümmern der valantarischen Königsstadt errichten ließ. Die Menschen mussten arbeiten bis sie tot umfielen. Ihre Leichen dienten den Wachen als Nahrung. Dann richtete sich der Blick des Einen gen Osten. Über das Meer hinweg bis zur Heimat des Elfenvolkes. Der Horizont wurde von tausenden von Schiffen verdunkelt, welche das Verderben nach Vinosal brachten. Druule und andere abscheuliche Wesen, überfielen das Land wie Heuschrecken. Hinter ihnen blieb nichts als Zerstörung zurück. Die Stimme des Einen erklang in Befays Kopf.

Die Unsterblichkeit deines Volkes wird ihr Verderben sein. Sie werden bis in alle Ewigkeit die Qualen der Unterdrückung erleiden, Schwertmeister. Weil du versagt hast!“

Teberoth

„Letztes Mal hattest du Glück, Fleischklops. Aber dieses Mal wirst du mir nicht so einfach davonkommen.“ Rethika war sich nicht sicher, aber der Blick des Hünen schien sich auf den Armstumpf des Zentauren zu richten. Der Pferdemann schnalzte mit der Zunge und fuhr damit fort den mächtigen Gegner zu umrunden. „Das hat nichts zu bedeuten. Alles was ich brauche um dich zu besiegen, habe ich hier.“

Er deutete mit seinem Kurzschwert auf Krowotk. Der Hüne gab ein gedämpftes Schnauben von sich und spurtete ohne Vorwarnung auf den Zentauren zu. Die großen Doppeläxte surrten durch die Luft und verlangten Rethika gleich zu Beginn des Kampfes seine ganze Geschicklichkeit ab. Krowotk bewies erneut, dass er kein geistloses Muskelpaket war. Seine Schläge waren taktisch gezielt und richteten sich auf die linke Seite seines Gegners aus. Doch auch Rethika hatte aus dem ersten Kampf gegen den Fleischberg gelernt und verhielt sich bedeutend umsichtiger als letztes Mal. Er versuchte gar nicht erst die wuchtigen Schläge zu parieren, sondern wich ihnen aus um Krowotk ins Leere laufen zu lassen. Einer der Hiebe ging nur knapp an Rethikas Kopf vorbei. Die Doppelaxt krachte in eine Steinsäule und brach ein großes Stück aus ihr heraus. Doch der Hüne verlangsamte sein Tempo nicht. Er trieb den Zentauren quer durch die Höhle und achtete dabei nicht darauf, was um ihn herum passierte.

 

Elrikh hatte die Maske an sich genommen und kletterte nun wieder an der Wand empor, um sie zu den anderen zu bringen. Doch das Artefakt war auch von den Dienern Ozanuhls nicht unbemerkt geblieben. Eine Handvoll kleinerer Druule jagte kreischend und quiekend die Wand nach oben um den Bockentaler abzufangen. Sie erinnerten Elrikh eher an Gnome, als denn an die ausgewachsenen Exemplare welche er bisher gesehen hatte. Gerade als er die oberste Kante erreichte, packte ihn eine der Kreaturen am Fuß. Elrikh musste darum kämpfen nicht vollständig den Halt zu verlieren. Er trat nach seinem Verfolger, bis dieser das Gleichgewicht verlor und schreiend in die Tiefe stürzte. Mit letzter Kraft zog der Bockentaler sich auf das Plateau hinauf und blickte sich suchend nach Tymae um. Dabei fiel sein Blick auf Rethika, der gegen den tobenden Krowotk anzukämpfen versuchte. Der Zentaur wollte anscheinend gerade einen Gegenangriff starten, als der Hüne eine seiner Äxte nach ihm warf und ihn somit zum Ausweichen zwang. Diesen Moment nutzte Krowotk, um mit der zweiten Axt auszuholen, welche Rethika den Schädel spalten sollte. Elrikh sah seinen Freund bereits tot am Boden liegen, als aus dem Schatten der Treppe plötzlich Saba hervorsprang und sein Ordensschwert in den Unterleib des Fleischberges bohrte. Ein bösartiger Schrei drang unter der Henkersmaske hervor. Krowotk machte einen Schritt zurück und brachte Saba damit aus dem Gleichgewicht, da dieser immer noch sein Schwert festhielt. Ein kräftiger Rückhandschlag ließ den Ordensritter durch die Luft fliegen. Der Jenseitige wollte sich das Schwert gerade aus dem Körper ziehen, als Rethika ihn sein Kurzschwert bis zum Heftansatz in den Brustkorb stieß. Dieses Mal gab es keinen Schrei. Seine Doppelaxt weiterhin umklammert, fiel Krowotk um wie ein vom Blitz gefällter Baum.

„ELRIKH! DIE MASKE!“

Tymaes Ruf riss Elrikh aus seiner Starre. Er nahm all seinen Mut zusammen und warf dem Schattenkind das Relikt entgegen. Die Elfenkriegerin fing das Antlitz des Einen auf und spürte dabei wie ihr Herz schneller schlug. Plötzlich wurde sie von Rigga am Oberarm gepackt. Die Schamanin deutete die steinernen Stufen hinab. Dort war Malek zu sehen. Der Untote schien von Sabas Schwert nicht erlöst worden zu sein. Wie eine Motte die vom Licht angezogen wird, stürzte er auf Tymae und die Maske zu.

„Tu es!“, rief die Schamanin. „Jetzt!“

Tymae holte in einer weiten Bewegung aus und schmetterte die heilige Klinge gegen die Dunkelgottmaske. Ein starkes Kribbeln ging durch ihren Körper als die beiden Artefakte aufeinanderprallten. Doch die Maske war noch nicht zerstört. Sie lag glühend auf dem Boden vor dem Weltentor und wehrte sich gegen ihre endgültige Vernichtung. Tymae wollte erneut ausholen, doch da kam Malek heran. Er zielte mit seiner Klinge direkt auf die Schattenelfe und schlug zu. Tymae glaubte bereits zu sterben, als ein Schatten neben ihr auftauchte und den untoten Ritter abwehrte. Es war Rigga. Die Schamanin lenkte den Schlag des Angreifers mit ihrem Stab ab und versuchte anschließend ihn mit einem Zauber festzuhalten. Doch die Kraft der Sahlet war nahezu verbraucht. So schaffte es Malek ihrem Zauber zu widerstehen und sie an der Gurgel zu packen. Er holte aus, um der Echsenfrau den Kopf abzutrennen, als er ruckartig nach hinten gerissen wurde. Rigga fiel halb bewusstlos zu Boden ohne zu wissen was ihr soeben das Leben gerettet hatte. Tymae nutzte die Verwirrung und schlug erneut auf die Maske ein. Sie legte all ihre Kraft in diesen Schlag und schließlich zerbarst die Fratze des Einen mit einem lauten Donnerschlag. Ein heißer Windstoß ging durch die Höhle und brachte die Druule augenblicklich dazu das Weite zu suchen. Der Dämon im Weltentor sah aus als wollte er versuchen seinem Gefängnis zu entfliehen. Doch so sehr er sich auch bemühte, seine Kraft reichte nicht aus um in die Welt der Lebenden zu wechseln. Dann offenbarte sich den Gefährten ein grausames Schauspiel. Die Gestalt des Dämons, welche an sich schon ein Wesen von abschreckender Natur gewesen war, begann sich aufzulösen. Fleisch, Muskeln und Knochen schienen regelrecht zu schmelzen. Die Augen verfärbten sich weiß und liefen schließlich aus. Schwarzes Blut tropfte aus Mund, Augen und Nase. Eine röchelnde, geradezu ekelerregende Stimme erklang in den Köpfen der Gefährten.

>Ihr mögt mein Antlitz zerstört haben. Aber ich werde einen anderen Weg in diese Welt finden. Und wenn der Tag gekommen ist, werde ich eure Seelen aufspüren und ihnen die schlimmsten Qualen zuteilwerden lassen. Ich werde…<

Die Stimme erstarb und mit ihr auch der Wind. Eine unbefriedigende Stille setzte ein, als die Freunde sich umsahen und erkannten, welchen Preis sie für die Vernichtung der Dunkelgottmaske bezahlt hatten. Am Fuße der Treppe lag Rethika. Der Körper des Zentauren war auf unnatürliche Weise verdreht. Unter sich hatte er den untoten Malek begraben, welcher ohne die Macht des Einen nun auch endlich seinen Frieden gefunden hatte. Der Pferdemann hatte mit seinem Eingreifen nicht nur Riggas Leben, sondern auch Maleks Seele gerettet. Als Rigga den toten Zentauren erblickte, sackte sie weinend zusammen.

 

Obaru

Befay wusste nicht was geschehen war. Er lag immer noch geblendet am Boden und versuchte gegen den Schmerz anzukämpfen. Alkeer hatte von ihm abgelassen und hielt sich die Brust. Ein schmerzerfülltes Keuchen war unter dem schwarzen Helm zu hören. Auch die Armee der Druule wich immer weiter zurück.

„Das kann nicht sein. Das ist unmöglich. Er kann nicht besiegt werden.“ Als sein Blick auf den Elfen fiel verdrängte der Hass seine Schmerzen. „Ich werde vollenden was ich begonnen habe!“

Alkeer holte mit seinem Speer aus, um seinen Gegner zu vernichten, doch da schoss eine Klinge vor und hielt ihn auf.

„Du wirst nichts vollenden!“ Der Fremde trat den Speer beiseite und holte mit seinem breiten Hackschwert aus. Er verfehlte Alkeer nur knapp und setzte sofort nach. „Du und dein Gott haben auf dieser Welt nichts verloren.“

Alkeer ging zum Gegenangriff über und attackierte den Fremden mit schnellen Speerstößen. Dabei spürte er, wie ihn seine Kraft zu verlassen schien.

„Jämmerlicher Mensch. Wie kannst du es wagen und mich herausfordern?“

Alkeer griff wieder an, als ein einfacher Pferdekarren, welcher über die Ebene auf ihn zu geprescht kam, seine Aufmerksamkeit erregte. Während er mit dem glatzköpfigen Menschen kämpfte, richteten seine Sinne sich auf die merkwürdige Kutsche. Das hölzerne Gefährt wurde von einem alten Mann gelenkt. Er brachte den Karren ruckartig neben dem am Boden liegenden Befay zum Stehen. Plötzlich sprangen zwei Menschenjungen von der Ladefläche und zogen den Elfen mit sich mit. Als Alkeer sie sah, stockte er in seiner Bewegung. Dies nutzte sein Gegner aus um einen vernichtenden Treffer zu landen. Das mächtige Hackschwert des Glatzenmannes zertrümmerte die Brustpanzerung von Alkeer und fügte diesem außerdem eine tiefe Wunde zu. Doch noch gab er sich nicht geschlagen. Er stieß seinen Speer in die Seite des Menschen und brachte diesen beinahe zu Fall. Der Fremde stolperte rückwärts, behielt Alkeer jedoch im Auge. Dieser blickte dem wegfahrenden Karren hinterher. Plötzlich spurtete der Mensch an ihm vorbei, sprang über einen weiteren Speerhieb hinweg, landete mit einer Vorwärtsrolle, stand wieder auf und machte einen Hechtsprung auf Alkeer zu. Dieser hatte nicht mit einem weiteren Angriff gerechnet und war nicht in der Lage zu kontern. Doch der Fremde schwang dieses Mal nicht sein eigenes Schwert. Bei der Vorwärtsrolle hatte er das Schwert der Läuterung an sich genommen. Dieses trieb er Alkeer von oben in den Körper. Die Klinge leuchtete blau auf und fand ihren Weg von der Schulter bis hinab in den Brustkorb des Gegners. Es Blitz leuchtete zwischen den beiden auf und der Glatzenmann wurde hinfort geschleudert. Er flog einige Schritte weit und krachte ungebremst gegen einen Felsen. Sein Körper blieb reglos im zertrampelten Gras zwischen toten Druulen und Menschen liegen. Und als das Herz des einäugigen Fremden zu schlagen aufhörte, legte sich ein friedvolles Lächeln auf sein Gesicht.

Alkeer ließ seinen Speer fallen und fiel zu Boden. Obgleich dieser Hieb jeden anderen getötet hätte, hielten sein unbändiger Wille und sein Sinnen auf Rache ihn immer noch am Leben. Dunkles Blut quoll aus der Wunde hervor und verätzte den Boden auf den es tropfte. Eine Schar von Druulen eilte herbei und verdeckte den zuckenden Körper vor neugierigen Blicken. Im Gegensatz zu ihrem sonstigen Auftreten, verhielten die Monster sich ungewohnt still. Ein paar Augenblicke später zogen sie sich wieder zurück. Der Körper von Alkeer, verschwand mit ihnen.

Die Saat der Elfen

 

 

 

 

Die Saat der Elfen

Veränderte Welt (2 Monate später)

 

Manchmal wartet die Welt auf eine Veränderung. Sie sehnt sich danach. Sie verlangt danach. So als würde sie in einem Meer aus Stillstand ertrinken, wenn die Winde der Erneuerung sie nicht davor bewahren würden. Was als Beständigkeit beginnt wandelt sich irgendwann in Trägheit. Wie ein gelangweilter Adliger, der auf einem samtenen Tagesbett liegt, sich von Bediensteten die Speisen in den Hals stopfen lässt und dabei jeden Tag fetter wird und gelegentlich einen Untertan hinrichten lässt, um der Eintönigkeit wenigstens für ein paar Augenblicke entfliehen zu können, liegt die Welt in einem Bett aus Gleichgültigkeit und hofft auf ein Ereignis welches sie aus diesem Zustand befreit.

 

Die Ankunft der Flüchtlinge von Obaru hatte dem Kontinent Vinosal ein neues Gesicht gegeben. Doch es war keinesfalls so, dass das Elfenvolk davon sprach in ein schönes Antlitz zu blicken. Vielmehr wurden die Neuankömmlinge als Narbe auf der Wange der Reinheit betrachtet. Nicht wenige Elfen ließen es die fremden Völker spüren, dass sie unerwünscht waren. Edelleute, welche über eine eigene kleine Armee verfügten, ließen ihre Soldaten an den Grenzen der Reservate nahezu täglich patrouillieren. Sie misstrauten den Menschen und auch den anderen Völkern wurde nicht mit Offenheit begegnet. Zu groß war die Sorge, dass das Gleichgewicht ihrer Welt gestört werden könnte. Obgleich aus Ilbanas tatkräftige Hilfe geschickt wurde, was vermutlich der Allwissenden Nathei zu verdanken war, lebten die meisten Flüchtlinge immer noch provisorisch. Abertausenden fehlte ein solides Dach über dem Kopf. Zu groß waren die Unterschiede in der Lebensweise im Vergleich zu den Elfen. Da es ihnen verboten war gesunde Bäume zu fällen, um daraus Hütten zu bauen, gab es nicht genügend Baumaterial. Häuser aus Steinen zu bauen war eine äußerst kräftezehrende Arbeit. Einige versuchten sich eine Behausung aus Lehm zu errichten, aber das Anfertigen der Ziegel war zeitaufwendig. Immer wieder kam es deshalb zu unerlaubten Fällungen kleinerer Wälder und immer wieder gab es einen Tadel aus Ilbanas. Aber was sollten die Allwissenden schon tun, außer den Gesetzesbrechern zu drohen? So versuchte man ihnen zu bringen was sie brauchten, um weitere Verstöße zu verhindern. Manchmal erfolgreich, manchmal vergebens. Außerdem wurden einzelne Menschen ausgesucht, die sogar mit ihren Karren in die Herrscherstadt einreisen durften, um dort Saatgut und andere wichtige Dinge abzuholen. Auf diese Weise wollte man zeigen, dass man den Neuankömmlingen Vertrauen schenkte. Dass diese jedoch bei jedem Besuch kontrolliert und bewacht wurden, bewirkte eher das Gegenteil.

Die Zentauren hatten weniger Schwierigkeiten sich anzupassen. Sie erhielten ein großzügiges Steppengebiet im Norden und begangen sehr schnell eine Übereinkunft mit den Minotauren aus Dakarion zu treffen. Die Zentauren arbeiteten für die Stiermänner in deren Schmieden, Bergbauanlagen und auf deren Feldern. Die Entlohnung war angemessen und in Dakarion war man über die fleißigen Arbeiter sehr erfreut. Jene aus dem Pferdevolk, welche der Kriegerkaste angehörten, wurden als Jäger beschäftigt. Dies kam ihren Fähigkeiten noch am nächsten. Da auch die Minotauren einen etwas raueren Umgangston pflegten, gab es mit den Neuankömmlingen keine nennenswerten Schwierigkeiten. Lediglich der oberste Clanführer Moran tat sich schwer damit nicht mehr der Alleinherrscher seines Volkes zu sein. Zu groß waren die Zugeständnisse die er den Minotauren machen musste, als dass er eine vollständige Unabhängigkeit für sich geltend machen konnte. So sammelte er seine engsten Verbündeten und ein beachtliches Kriegergefolge um sich herum und besetzte ein verlassenes Dorf weiter westlich. Der Anblick seiner einstigen Krieger, die nun für andere Herren Fallen bauten und Raubtiere jagten, missfiel dem arroganten Fürsten.

 

Während die Reggits ein Leben in Ruhe und Unauffälligkeit führten, fühlten sich die Menschen dazu genötigt ihre vermeintlich neue Heimat nach ihren Vorstellungen zu prägen. Obgleich viele sich schwer damit taten alles Verlorene hinter sich zu lassen und neu zu beginnen, ergriffen andere diese Gelegenheit für einen persönlichen  Neuanfang. Jene, die in der Vergangenheit Bedienstete hatten, waren plötzlich auf sich selbst gestellt. Ihr Vermögen war verloren gegangen oder in dieser Welt schlicht nichts wert. Diese ehemals Privilegierten waren nicht in der Lage sich selbst ein Haus zu bauen, ein Feld zu bestellen oder eine andere wichtige Arbeit zu verrichten. So drehten sich mancherorts die Machtverhältnisse ins Gegenteil um. Doch auch in dieser Hinsicht gab es einige Ausnahmen. Fürsten und Gutsbesitzer, die auf ihrer Flucht das Leben anderer riskiert hatten, um ihr Eigentum zu retten, scharten Anhänger und Verbündete um sich und waren ständig versucht eine Rolle als legitime Anführer einzunehmen. Sie nutzten die Notlage der Mittellosen aus und zwangen sie in Frondienste. Andere folgten ihnen freiwillig. Versprachen diese selbsternannten Anführer doch, dass sie für die Rechte der Menschen auf Vinosal kämpfen würden. Alles geschah unter dem Deckmantel des Wiederaufbaus. Die eigentlichen Anführer der freien Völker waren derart damit beschäftigt alles zusammenzuhalten und Schlimmeres zu verhindern, dass die Agitatoren vorerst unbemerkt blieben.

Und während die Überlebenden des großen Krieges von Obaru noch mit sich selbst beschäftigt waren, stand das Volk der Elfen selbst an einem Scheideweg.   

 

 

Einklang

 

Das Leben im Tal hatte etwas in ihr wachgerufen. Die frostigen Tage in Azurn schienen so weit weg zu sein. Schneeflocken, die in der klirrend kalten Luft umhertanzten, suchte man hier vergebens. So wie ihre Artverwandten entschieden auch die Schattenelfen wie sehr sie ihren Körper den Elementen aussetzten. Sperrten sie ihren Geist für Kälte und Hitze, waren sie nichts weiter als vorüberziehende Wesen auf einer anderen Bewusstseinsebene. Was einst als einzigartige Fähigkeit begann, hatte im Laufe der Jahrtausende zu einer Entfremdung geführt. Das Aussperren der weltlichen Kälte hatte zu einer seelischen Veränderung beigetragen. Abgespalten von allem was um sie herum passierte, führten die Elfenvölker ein Dasein in Isolation. Keine Sonnenstrahlen die die Haut erwärmten. Kein erfrischendes Aufatmen wenn der Körper in das kühle Nass eines Bachlaufes eintauchte. Doch seit sie bei den Elseni war fand Helenia zu diesen Dingen zurück. Dieser Stamm verschloss sich nicht vor den äußeren Elementen. Er begrüßte sie. Umarmte und verinnerlichte sie. Diese Lebensweise schien Helenia nicht fremd zu sein. Schemenhafte Erinnerungen zogen vor ihrem geistigen Auge vorbei, doch sie konnte diese flackerhaften Bilder nicht einordnen. Waren es Träume, Visionen, Wunschvorstellungen oder tatsächlich aufgeweckte Erinnerungen an vergangene Tage?

Die Elseni führten ein völlig anderes Leben als die Schattenelfen in Azurn oder den anderen Städten. Bisher hatte Helenia immer nur von Einsiedlern gehört, welche in dunklen Höhlen sitzen und über den Sinn ihres Daseins philosophieren. Das Bild der zurückgebliebenen Sonderlinge hatte sich wohl in allen Köpfen der Städter manifestiert. Doch vielleicht war genau das der Plan dieses friedliebenden Volkes gewesen. Kein Interesse zu wecken war sicherlich eine bessere Taktik, als durch Erzählungen vom harmonischen Tal auf sich aufmerksam zu machen. Hier war nichts so, wie sie es sich gedacht hatte. Keine Einsiedler. Keine dunklen Höhlen. Keine dumpfen Gebetsschwüre die runterlamentiert wurden. An diesem Ort wurde Frieden gelebt. Geatmet. Die Schattenkinder dieses Stammes schienen Dinge wie Neid, Missgunst und Intrigen gar nicht zu kennen. Sie halfen einander ohne sich davon einen persönlichen Vorteil zu versprechen. Sie fällten Bäume, um daraus Hütten zu bauen, aber nur so viel wie sie wirklich brauchten. Sie töteten Tiere um zu essen, aber nur so viele wie nötig waren um ihren Hunger zu stillen. Diese Schattenelfen lebten nicht als Asketen, aber sie lebten auch kein Leben im Überfluss. Helenia gewann mit jedem Tag den sie hier war mehr den Eindruck, dass die Elseni beständig bestrebt waren ein inneres Gleichgewicht zu finden. Anders als die Hochelfen im Westen oder ihre eigenen Leute in Azurn, wollte dieser Stamm das Land nicht prägen, sondern einfach nur ein Teil davon sein. Sie wollten niemanden missionieren. Niemanden auf den rechten Pfad bringen. Wenn jemand zu ihnen kam wurde Hilfe angeboten. Niemand wurde gefragt warum er kam. Es war ihnen egal, ob ein armer Bauer, ein entflohener Mörder, ein gestürzter Herrscher oder ein reicher Edelmann vor ihnen stand. Wer ihr Land betrat wurde nach dem beurteilt was er tat und nicht nach dem was er war. So wie Tharemes Helenia getestet hatte, wurden auch alle anderen die kamen einer Prüfung unterzogen. Die Prüfung war nicht immer dieselbe, aber sie hatte stets dasselbe Ziel. Sie sollte zeigen was für eine Seele in den Neuankömmlingen schlummerte. Wenn sich jemand als ungeeignet erwies wurde er, ohne es zu merken, vom Tal weggeführt. Auf diese Weise blieben die Elseni unentdeckt und der Fremde bekam eine Chance sein Glück woanders zu versuchen. Helenia wurde gleich zwei Mal getestet. Zuerst musste sie beweisen, dass das Leben eines hilfebedürftigen Lebewesens ihr wertvoll genug war um selbst ein kleines Wagnis einzugehen. Das tat sie indem sie einen Hund von einem Felsvorsprung rettete. Dann musste sie zeigen, dass sie bereit war ihre Habseligkeiten mit jemanden zu teilen, ohne dafür eine Gegenleistung zu erwarten. Das tat sie indem sie einem schwer verletzten Igel ihre letzten Vorräte überlies. Helenia bewies, dass sie bereit war in die Gemeinschaft der Elseni aufgenommen zu werden. So wurde ihr der Weg in das Tal geöffnet.

Die erste Zeit war eine große Herausforderung für sie gewesen. Im Steinschildtal herrschte ein Friede den sie nie kennengelernt hatte. Als man ihr mit Hilfsbereitschaft begegnete, erwiderte ihr innerster Instinkt diese Geste mit Misstrauen. Freundschaft ohne Gegenleistung war ihr fremd. Und obgleich alles in dieser Gemeinschaft das vollständige Gegenteil von dem zu sein schien, was sie bisher kannte, gab es einen kleinen Teil in ihr der sich in dieser Umgebung wiederzufinden schien. Es war, als ob sie einen Geruch aus längst vergessenen Tagen vernahm der ihr Bilder aus Ihrer Vergangenheit zeigte. Wie eine Melodie die man nach vielen Jahren zum ersten Mal wieder hört und die einen überlegen lässt wann man sie zuletzt gesummt hat. Doch es war kein Geruch. Es war keine Melodie. Sie wusste nicht was diese Gefühle in ihr weckte. Je mehr sie ihren Geist anstrengte, desto stärker schien dieser sich gegen die Erinnerung zu wehren. Wie ein sich ausdehnender Schatten. Wie das Wasser, wenn es bei Ebbe vor dem Sand zurückweicht. Wie aufsteigender Dampf, der aus dem Körper eines aufgeschlitzten Hirsches in der klirrenden Kälte entschwindet. So wich die Erinnerung vor ihrem geistigen Auge zurück. Helenia bemühte sich diese Gedanken zu verdrängen. Sie hoffte, dass ihre Gefühle sich eines Tages von selbst erklären würden. So nutzte sie die hellen Tage um von Tharemes zu lernen und die dunklen Nächte, um Pläne für die Zukunft zu schmieden. Denn schon jetzt war ihr bewusst, dass dies nicht ihr Schicksal war. Das Reich der Schattenelfen drohte unter der Herrschaft von Yubor zu zerbrechen. Die Kunde war bis zu den Elseni durchgedrungen, dass sich das Volk im Bürgerkrieg befand. Die meisten Städte und Siedlungen hatten ihre Grenzen geschlossen und ließen niemand fremdes hinein. Selbst benachbarte Sippen wurden mit Vorsicht betrachtet. Hinter jedem Baum vermutete man Spitzel vom Wolfskult. Geschichten machten die Runde, dass Yubor Azurn mit schwarzer Magie verflucht hatte. Die einst so stolze Herrscherstadt war ein Ort der Finsternis geworden. Macht war ihrem Volk stets wichtig gewesen. Aber darüber hinaus strebten auch die Schattenelfen nach der vom Göttervater zum Gesetz gemachten Reinheit des Herzens. Helenia konnte nicht umhin einzugestehen, dass die Schattenkinder seit langem hauptsächlich dadurch glänzten, dass sie Stärke und Entschlossenheit demonstrierten. Die gemeinsamen Wurzeln mit den Westelfen schienen seit Generationen immer mehr verdorrt zu sein.

Wenn sich die jüngst erleuchtete Schattenelfe die Gemeinschaft ansah in welcher sie nun lebte, konnte sie nicht erkennen wie sie etwas zur Rettung ihrer Leute beitragen sollte. Ohne einen Kampf würde Yubor die Führung nicht wieder aufgeben. Doch Krieger fand man unter den Elseni nicht. Und selbst wenn dies anders wäre, wie könnte sie es verantworten diese Unbeteiligten in eine Schlacht zu führen, die unweigerlich mit ihrer Vernichtung enden müsste?

 

Helenia betrachtete den Beutel, welchen ihr ein junges Mädchen geschenkt hatte und fuhr dabei mit ihren Fingern über das eingestickte Muster. Er war aus braun gefärbten Leinen gefertigt und verfügte über einen breiten Schultergurt der mit kleinen Sonnen und anderen Symbolen versehen war. Er schmiegte sich weich an ihre Haut und ließ sich bedeutend angenehmer tragen als ihre selbst genähte Tasche aus Tierhäuten. Die Unterkunft der ehemaligen Ratsfrau war bescheiden und dennoch gemütlich. So wie alle Elseni lebte auch Helenia in einer Hütte aus Steinen und Holz. Sie hätte auch ein Baumhaus beziehen können, doch der Gedanke daran so hoch oben zu schlafen behagte ihr nicht sonderlich. Die Hütte verfügte nur über zwei Wände. Der Rest war mit großen Leinentüchern abgespannt. Die milde Witterung verlangte den Bewohnern des Tals nicht mehr als diese bescheidenen Unterkünfte ab. Außer einem weichen Bett aus Langgras und Fellen, fand man hier lediglich einen kleinen Beistelltisch und mehrere kleine Krüge mit Vorräten. Vor der Behausung befand sich eine kleine Feuergrube, um welche flache Steine zum Sitzen lagen. Helenia wollte gerade die Glut der letzten Nacht anfachen um etwas Haferbrei zum Frühstück aufzuwärmen, als sie Besuch bekam. Es war Tharemes. Der hochgewachsene Elf trug sein Haar an diesem Morgen offen. Seine dunkelblonden Haare fielen spielerisch über seine bloßen gebräunten Schultern. Helenia ertappte sich selbst dabei, wie sie ein wenig ins Schwärmen geriet, als ihr selbstgewählter Lehrmeister auf sie zukam.

„Wie ich sehe hat Marika dir bereits ihr Willkommensgeschenk gegeben. Sie hat lange daran gearbeitet. Ich glaube der erste Nadelstich fiel noch am Abend deiner Ankunft.“

Helenia begrüßte ihren Lehrer mit einem Lächeln und legte sich den Beutel um.

„Die schönsten Geschenke sind jene auf die wir am längsten warten müssen.“

Sie vollzog eine einladende Geste der Tharemes dankend nachkam.

„Ich hoffe du denkst ebenso über dein Frühstück. Kolma hat mir gesagt, dass der Bachlauf ungewöhnlich stark abgesunken ist. Wahrscheinlich sind bei dem Sturm vor zwei Tagen ein paar größere Bäume umgerissen worden, die nun das Wasser aufhalten. Ich wollte mir Flussaufwärts das Gelände ansehen und dich bitten mich zu begleiten.“ Tharemes ging in die Hocke und stützte sich dabei auf seinen Wanderstab. „Kolma wollte selbst mitkommen, aber seit er letzten Monat den Berglöwen erlegt hat redet er über nichts anderes mehr. Wenn ich diese Geschichte noch einmal hören muss, dann werde ich selbst ins Gebirge aufbrechen, um auf die Löwenjagd zu gehen. Nur damit er endlich aufhört darüber zu sprechen.“

Helenia lachte.

„Du kannst uns doch nicht mit ihm alleine lassen.“ Als das Schattenkind seine eigenen Worte hörte kam sie sich wie ein einfältiges Mädchen vor. Sie schallt sich selber eine Närrin und versuchte mit fester Stimme zu sprechen. „Ich meine… Lass uns einfach gehen. Der Brei schmeckt ohnehin besser, wenn man sich etwas Appetit geholt hat.“

„Fragt sich nur auf was man Hunger hat“, gab Tharemes zweideutig zurück. Als er sah wie sich die Wangen seiner Schülerin röteten lachte er erneut. „Keine Sorge. Ich habe frisches Obst dabei. Und wenn sich herausstellt, dass es keine Probleme am Fluss gibt, sind wir zeitig wieder daheim.“

Helenia fühlte sich sehr wohl in der Gesellschaft ihres neuen Freundes. Tharemes strahlte eine angenehme Ruhe und Ausgeglichenheit aus, die das Schattenkind so noch nie gespürt hatte. In ihrer Heimatstadt hatten Misstrauen und Rachsucht schon vor Jahren das ehrbare Vermächtnis ihrer Vorfahren vergiftet. Keine Handlung blieb unbemerkt. Kein Geheimnis verborgen. Kein Wort ungehört. Die Schattenelfen hatten sich selbst in Ketten gelegt. Und Yubor hatte sich zu ihrer aller Wärter gemacht. Mit seiner schwarzen Magie hielt eine neue Macht in Azurn Einzug. Eine Macht der schon so viele zum Opfer gefallen waren. Schmerzhaft drang die Erinnerung an Ewanas in Helenias Geist ein. Ein junger Schattenelf mit ehrbaren Absichten. Ein wenig forsch aber treu zu den Gesetzen seines Volkes und dem Rat. Helenia zuckte zusammen als sie an sein Schicksal dachte. Verwandelt in eine grausame Kreatur, getrieben von Blutdurst und zerschmettert von einem Felsbrocken.

„Geht es dir nicht gut?“, hörte sie die Stimme von Tharemes plötzlich laut und deutlich. „Du warst wieder in einem deiner Tagträume nicht wahr?“

Sie nickte. Diese Träume suchten Helenia heim seitdem sie im Steinschildtal angekommen war. Manchmal waren es Visionen deren Herkunft sie sich nicht erklären konnte. Dann gab es da noch Erinnerungen die sich anfühlten als würde sie das Erlebte erneut durchlaufen. Ihre Augenlider zitterten und ihr Mund war trocken als sie versuchte zu antworten.

„Es… es kam ganz plötzlich. Als wäre ich eben noch dort gewesen.“

„War es eine Erinnerung oder…?“

„Ja. Eine furchtbare Erinnerung. Lass uns bitte nicht mehr davon sprechen.“

Tharemes setzte einen strengen Blick auf und atmete hörbar aus.

„Gut. Nicht jetzt. Aber es wird langsam Zeit, dass wir uns deiner Visionen annehmen. Du weißt das. Dein Geist möchte dir etwas mitteilen und du tätest gut daran zu zuhören.“ Als er sah wie sehr die kurze Erinnerung Helenia mitgenommen hatte, zeigte er sich nachsichtig. Er strich ihr über die Wange und lächelte. „Lass uns gehen. Es sei denn du willst hierbleiben und Kolma dabei zuhören wie er den Jünglingen erneut die Geschichte vom Berglöwen erzählt.“

„Lass uns gehen“, war die mehr als rasche und deutliche Erwiderung des Schattenkindes.

 

Auf ihrem Weg gingen die beiden durch die Mitte der Siedlung und begrüßten noch einige ihrer Freunde. Obgleich überall bereits reges Treiben herrschte, wirkte alles sehr ruhig und harmonisch. Die Elseni hatten es wirklich in jeder Hinsicht geschafft eine Einheit mit dem Land zu bilden. Die Hütten wirkten als wären sie direkt aus dem Boden gewachsen. Wie die Farben eines friedlichen Gemäldes, gingen Lebewesen und Siedlung fließend ineinander über.

Helenia deutete auf einen Platz an welchem sonst oft andere Bewohner saßen und Körbe flochten. Überreste von Schilf und Stroh zeugten von ihren letzten Werken.

„Wo sind die Korbflechter? Für gewöhnlich sind sie die ersten die morgens bei der Arbeit sind.“

„Ihre Vorräte sind aufgebraucht. Ein paar sind auf den Feldern, um nach übrig gebliebenen Ähren zu schauen. Andere sind unterwegs zum Fluss, um nach Schilf zu suchen und nach einer Stelle für eine neue Lehmgrube.“

„Was ist mit der alten Grube?“

„Sie ist nahezu ausgetrocknet. Eine weitere Bewässerung macht keinen Sinn. Da ist es besser wir nutzen den Platz für die Öfen und suchen eine neue Grube.“

Sie gingen an etlichen Behausungen vorbei und wurden dabei immer wieder aufgefordert Platz zu nehmen, um gemeinsam zu frühstücken oder wenigstens einen Becher Tee zu trinken. Nicht immer ließen sich die Einladungen leicht ausschlagen. Tharemes war ein beliebter Zeitgenosse, welcher hohes Ansehen bei allen Generationen genoss. Hinzu kam, dass die meisten Elseni noch keine Gelegenheit hatten sich mit Helenia zu unterhalten. Zugeben würde es keiner von ihnen, aber sie alle wollten Geschichten aus Azurn hören. Die Neugier über das Leben in der berüchtigten Stadt war groß. Und nicht zuletzt die Erzählungen über den kürzlichen Machtwechsel hatten das Interesse von Vielen geweckt, sich über das Geschehen jenseits des Tals zu erkundigen. Doch weder Tharemes noch Helenia verspürten die Lust sich an diesem Morgen über derlei Dinge zu unterhalten. So setzten sie ihren Weg zügig fort und atmeten beinahe gleichzeitig erleichtert auf, als sie die Ausläufer der Siedlung hinter sich lassen konnten.

 

Der nahe gelegene Wald wirkte trotz des Wildwuchses hell und einladend. Helenia war bisher nie sehr weit gegangen, wenn sie die Siedlung denn überhaupt einmal verlies. Es war beinahe so als hätte sie Angst, dass unweit der Idylle des Dorfes die kalte Außenwelt darauf wartete ihr hässliches Antlitz zu zeigen. Tharemes schob mit seinem Langstock einen tief hängenden Ast beiseite und überließ seiner Begleiterin den Vortritt.

„Du bist so ruhig. Ich nahm an den fragenden Gesichtern unserer Freunde zu entgehen, würde dir ein wenig Erleichterung verschaffen.“

„Ich dachte du wolltest mir ein wenig Zeit geben ehe du wieder…“

„So war das nicht gemeint“, unterbrach der Elseni seine Schülerin. „Niemand hat gesagt, dass du mir hier und jetzt alle deine Gedanken offenbaren sollst. Aber auf eine kleine Unterhaltung hatte ich schon gehofft.“

Es dauerte noch eine Weile ehe Helenia das Schweigen wieder brach und ihrem Begleiter wenigstens einen Teil ihrer Gedanken offenbarte.

„Ich bin es nicht gewohnt meine Gefühle und meine Gedanken so zwanglos auszusprechen. Im Rat von Azurn musste man seine Worte mit Bedacht wählen. Und auch außerhalb des Stuhlkreises war man vor neugierigen Ohren nicht sicher. Ohren die zu vermeintlichen Verbündeten gehörten und nur darauf warteten etwas aufzugreifen, was sie dann später gegen dich verwenden konnten. So habe ich es im Laufe der Jahre geschafft nur noch die Dinge laut auszusprechen, die nichts über meinen wahren Gemütszustand vermuten ließen.“

Tharemes wollte seine Schülerin nicht unterbrechen und wartete mit seiner Erwiderung deshalb so lange, bis sie eine längere Pause einlegte.

„Ich weiß gar nicht wo ich beginnen soll. Es ist traurig, dass du solch ein Leben führen musstest. Seine Gefühle zu unterdrücken war schon immer eine Eigenart unserer Ahnen, welche ich nicht nachvollziehen konnte. Unser Wesen wird geprägt von unserem Umfeld. Unser Umfeld reagiert mit unserem Verhalten. Unser Verhalten wird von unseren Emotionen bestimmt. Indem du deine Gefühle unterdrückst verweigerst du dem Leben um dich herum dein wahres Wesen zu erblicken. Elfen die so leben, beschränken ihr Dasein und sie verschließen sich dem was wirklich wichtig ist im Leben.“

„Und was ist wichtig im Leben?“, fragte Helenia teils trotzig, teils verzweifelt.

Tharemes hielt einen Moment inne und ließ dann ein leichtes Kopfschütteln erkennen. Es schien so, als hadere er mit sich selbst, ob seine Schülerin schon bereit war diesen großen Schritt der Erkenntnis zu tun.

„Diese Antwort ist für uns alle anders. Und doch ist sie für uns alle gleich.“

„So einen Satz habe ich erwartet von einem Philosophen“, erwiderte Helenia spöttischer als beabsichtigt.

Doch der Elseni zeigte sich davon unbeeindruckt.

„Bevor wir darüber weiterreden, beantworte mir bitte eine Frage. Du hast gesagt, dass du im Herrscherrat deines Volkes gesessen hast. Du warst eine Führerin und deine Aufgabe war es das Beste für die Schattenkinder zu tun was du konntest.“

„Ja.“

„Und ich nehme an, die Aufgabe der anderen Ratsmitglieder war dieselbe. Jede Ratsfrau und jeder Ratsherr hatten die Aufgabe, eigentlich die Pflicht, das Beste für euer Volk zu tun.“

„Ja. Worauf willst du hinaus?“

„Nun. Ich frage mich wie es sein kann, dass man einerseits für dieselbe Sache kämpft, aber anderseits jede Gelegenheit nutzt, um seinen Mitstreitern Schaden zuzufügen.“

„So einfach ist das nicht. Einige der Ratsmitglieder waren einfach nicht für Argumente zugänglich. Egal was ich ihnen gesagt habe, sie haben immer das Gegenteil gefordert.“

Tharemes kam ins Grübeln.

„Dann haben diese Ratsmitglieder also nicht zum Wohle des Volkes gehandelt?“

„Doch.“

„Aber wie konntet ihr dann unterschiedlicher Meinung sein?“

„Das ist Haarspalterei“, gab Helenia leicht zornig zurück. „Willst du mir etwa erzählen, dass die Ältesten der Elseni nicht auch hin und wieder unterschiedliche Meinungen haben? Wird bei euch denn nicht diskutiert und verhandelt?“

Sie kamen an einer Felskante zum Stehen. Unter ihnen lag ein tiefer Taleinschnitt. Von der Erhöhung aus konnte man weit in das Tal hineinblicken. Dichter Waldwuchs wechselte sich mit weiten Ebenen ab. Und dazwischen sah man viele kleine Flüsse und Bachläufe, welche allesamt am Horizont zusammen zu laufen schienen. Tharemes deutete auf das Tal und den großen Fluss in der Mitte.

„All diese Gewässer speisen einen großen Fluss. Dieser wiederum fließt so lange weiter bis er das Meer erreicht und sich dort mit anderen Flüssen vereint. Die kleinen Bäche und Flussläufe nehmen unterschiedliche Wege. Sie sind unterschiedlich groß und das Wasser fließt unterschiedlich schnell. Einige Bäche sind trüb, andere sind klar. Einige sind kalt, einige sind…“

„Ist ja schon gut. Was willst du mir sagen?“

Tharemes nahm auf einem Felsen Platz und bedeutete Helenia sich zu ihm zu setzen. Das Schattenkind wurde ungeduldig, folgte der Einladung aber schließlich doch.

„Unsere Ältesten sind wie diese Gewässer. Sie gehen unterschiedliche Wege, haben jedoch alle dasselbe Ziel. Sie wollen Teil von etwas Größerem sein. Eure Ratsmitglieder wollen selbst das Große sein. Sie wollen der Fluss sein und nicht der Bachlauf. Doch wenn jeder ein großer Fluss sein will, gibt es keine Bäche die ihn nähren. Also trocknet der Fluss aus. Das trockene Flussbett sehnt Regen herbei. Es würde alles für ein paar Tropfen des kühlen Nasses tun. Wenn die Gebete schließlich erhört werden kommen jedoch nicht nur ein paar Tropfen. Ein Sturmregen begleitet von Blitz und Donner lässt den trockenen Boden bersten und ertränkt jene die nicht schnell genug entkommen können. Und so ist Yubor über euren Rat gekommen. Wie eine Sintflut kam er über euer Volk. Und nun seid ihr gefangen zwischen Verdursten und Ertrinken.“

Der Elseni erkannte ein leichtes Glitzern in Helenias Augen. Das Schattenkind starrte auf den großen Fluss und schluckte.

„Siehst du auch mich so?“ Sie blickte ihn an. „Wie jemanden der vor lauter Ehrgeiz den Sinn für das eigene Selbst verloren hat?“

Er nahm ihre Hand und drückte sie. Die warme Berührung hätte Helenia beinahe Schluchzen lassen.

„Was auch immer du warst bevor du in das Tal gekommen bist, jetzt bist du etwas Anderes. Du hast erkannt was du warst. Nun lass mich dir zeigen was du werden kannst.“

Sie nickte und wischte sich in Windeseile eine Träne von der Wange. Lehrer und Schülerin blieben noch eine Weile so sitzen und beobachteten das friedliche Tal. Erst als der schrille Pfiff eines Vogels wie ein mahnender Ruf über ihren Köpfen ertönte, besannen sie sich auf ihr eigentliches Ziel an diesem Tag.

 

Endlich hatten sie den Grund für den abgesunkenen Wasserspiegel gefunden. Ein größerer Erdrutsch hatte dafür gesorgt, dass ein Teil des Flusses aufgestaut wurde. Geröll, Erde und mehrere Baumstämme hatten das Flussbett nicht unwesentlich verkleinert. Tharemes verlor keine Zeit und sprang zielsicher auf die eindrucksvolle Barrikade. Als er sicher war, dass das Geröll nicht nachgeben würde, bedeutete er Helenia ihm zu folgen. Zusammen überquerten sie den ungewollten Damm. Der Blick auf die andere Seite verriet die Kraft mit welcher das Wasser eigentlich seinem Verlauf folgte. Der Fluss krachte unaufhörlich gegen die Stämme und löste dabei das Geröll ein wenig auf. Eine Welle nach der anderen strömte heran. Jedes Mal, wenn etwas von dem Geröll fortgespült wurde, rutschte neues vom Ufer nach. Es wirkte beinahe wie ein Kampf der Naturgewalten. Wasser gegen Erde. Auf der anderen Seite des Flusses angekommen, besah sich Tharemes den Boden. Die Wurzeln der Bäume waren unbeschädigt. Keine Fäule, kein morsches Holz. Seine feingliederige Hand befühlte die aufgerissene Erde. Helenia verstand nicht was ihr Lehrmeister dort machte und wurde neugierig.

„Du siehst aus, als ob du etwas Unerwartetes gefunden hast.“

„Vielleicht habe ich das“, gab Tharemes beinahe flüsternd zurück. Er erhob sich wieder und schritt ein wenig umher. Dabei wirkte er so, als ob seine Augen etwas Bestimmtes suchen würden. Immer wieder kniete er sich hin und befühlte umherliegende Steine, Erde und umgestürzte Bäume. „Diese Bäume wurden nicht unterspült. Ihre Wurzeln waren stark und hielten am Erdreich fest. Und der Boden hier ist fest und trocken.“ Sein Blick fiel auf die naheliegenden Ausläufer eines größeren Berges. „Der Fluss hat das nicht angerichtet. Das war ein Erdbeben.“

Die treuen Krieger

Lathivar saß auf seinem Nachtlager und dachte an seine Schwester. Manchmal glaubte er ihr Gesicht im Schatten des Kerkers aufblitzen zu sehen. Es gab Momente in denen er jeden Augenblick damit rechnete, dass sich das Verlies öffnen würde und ein Bote der Allwissenden ihrer aller Begnadigung verkündete. Sie hatten doch nichts falsch gemacht. Obgleich sie es nicht vollbringen konnten das Auge nach Ilbanas zu bringen, wurden sie mit Gefahren konfrontiert die niemand vorausgesehen hatte. Noch dazu sollten die Allwissenden im Augenblick darauf bedacht sein jeden Krieger kampfbereit zu wissen. Das was hinter dem östlichen Horizont lauerte, war mehr als nur ein machthungriges Schattenkind. Flüchtige Bilder gingen dem Bogenschützen durch seinen Kopf. Visionen aus seinem Dasein als Lichtbringer. Der unwirkliche nicht enden wollende Kampf gegen die Geschöpfe der Unterwelt. Es waren Bilder des Grauens. Und doch konnte er die Verbundenheit zwischen den Soldaten spüren, als er mit ihnen auf dem Schlachtfeld stand. Einigkeit, Brüderlichkeit, Loyalität. Sie gaben ihre Leben füreinander. So kämpften seine Ahnen. So sollte sein Volk auch heute kämpfen.

Er blickte zu Elynos und rang sich ein Schmunzeln ab.

„Meine Hände wollen einfach keine Ruhe finden. Wenn wir sonst so ruhig beieinandersitzen, ist es an einem Lagerfeuer und ich pflege meine Klingen. Wir haben weder ein Lagerfeuer noch unsere Waffen. Und doch verrichten meine Hände ihre Arbeit.“

Der Elfenfürst erwiderte das Schmunzeln und rückte ein wenig näher an seinen Kameraden heran.

„Deine Hände sind so pflichtbewusst wie ihr Besitzer. Ich habe außerdem schon immer vermutet, dass du deine Klingen nicht ständig schärfst um sie schnellstmöglich wiedereinzusetzen. Du tust es um dich von deinen gefallenen Gegnern abzulenken.“

„Was willst du damit sagen?“

Elynos hob seine Hand und zum Vorschein kam jene Kette, die jeder von seinen Gefährten trug. Fünf kleine Anhänger, als Symbol für die fünfköpfige Gemeinschaft. Die fünf Messer des Ostens.

„Wir haben dies zu Anfang unserer gemeinsamen Reise erhalten. Vor zweitausend Jahren wurde unsere Gruppe für nur einen Zweck gegründet. Das zu tun, wofür andere nicht bereit waren. Wir waren die geheimen Attentäter unserer Herrscher. Wir waren ihre Dolche in der Nacht. Der tödliche Schatten in einer Illusion aus Licht. Diese Kette sollte uns stets an unsere Aufgabe erinnern. Das Reich auf eine Weise zu beschützen die unser Gesetz nicht erlaubte. Doch irgendwann, es muss schon sehr lange zurückliegen, sind wir von unserem Pfad der blinden Pflichterfüllung abgewichen. Wir wurden zu etwas, vor dem sich unsere Herrscher fürchteten. Attentäter mit Gewissen. Wir stellten Fragen. Verweigerten Aufträge. Wir handelten auf eigene Faust.“ Er ließ die Kette unter seinem Wams verschwinden. „Wir sind nicht dafür geschaffen gewissenlose Mörder zu sein. Und so sehr Befay und du auch immer versucht habt euch einzureden, dass ihr kaltherzig sein könnt, im Inneren kennen wir alle die Wahrheit. Deswegen polierst du beständig deine Schwerter. Du willst das Blut deiner Gegner aus deiner Erinnerung verbannen.“

Sein langjähriger Freund und Waffenbruder legte die Hände in den Schoß und seufzte.

„Wir leben in einer Welt voller Widersprüche, Elynos. Wie viele haben wir niedergestreckt in all den Jahren? Wie viele hatten wirklich den Tod verdient? Und wie viele mussten ihr Leben nur lassen, weil sie auf der falschen Seite standen? Unser oberstes Gesetz verbietet den Mord an der eigenen Rasse. Doch es reicht ein Fingerzeig der Allwissenden und das Grundrecht auf Leben erlischt. Was macht uns denn besser als die Schattenkrieger? Sie stehen wenigstens zu dem was sie sind. Wir wickeln uns in die Decke der Unschuld und lassen dann unsere Waffen sprechen. Und wofür bestraft man uns nun? Dafür, dass wir Schattenelfen töteten um Menschen zu retten.“

„Wir leben in einer Welt die dem Wandel unterliegt. Wir können uns für die Vergangenheit schämen und unser Schicksal akzeptieren. Oder wir kämpfen für das an was wir glauben.“

„Und an was glauben wir? An das Reich? An unseren Schwur? An Pflichterfüllung?“

„Wir glauben an unsere Gemeinschaft. Und an das was wir tun. Sobald wir aus diesem Kerker hinaus sind, werden wir nach Ashkara suchen. Sie braucht uns.“

Lathivars Lippen wurden zu einem schmalen Strich. Es war offensichtlich, dass er mit diesem Plan nicht einverstanden war.

„Es hat sich nichts geändert. Du willst immer noch gegen Dinge kämpfen, die bedeutend größer sind als wir. Ashkara, Yubor, die Allwissenden, Flin und seine Mischwesen…“

„Was sollten wir deiner Meinung nach tun? Einfach aufgeben?“

„Aufgeben? Was aufgeben? Du sprichst so, als ob wir etwas gegen diese Feinde unternehmen könnten. Erinnere dich an den Kampf gegen Yubors Laufburschen. Nach allem was du und Insani mir darüber erzählt habt, wart ihr selbst zu zweit nicht in der Lage ihn zu besiegen. Und er war nur einer. Einer von vielen die Yubor folgen. Du hast sein Hexenwerk gesehen. Gegen so etwas können wir zu dritt nicht bestehen.“

Elynos Blick wanderte an die Decke des Kerkers. Man konnte sehen wie seine Gedanken in die Vergangenheit reisten um sich an bessere Zeiten zu erinnern.

„Als du und Befay nicht genug bekommen konntet von euren ewigen Jagden nach Ungeheuern und immer gefährlicher werdenden Gegnern, habe ich diesen Satz einmal zu dir gesagt. Doch du hast nicht zugehört. Wie ein sturer Jüngling hast du dich benommen. Ihr beide habt euch so benommen. Nach dem Krieg hatte alles für euch seinen Reiz verloren. Ihr habt euch in waghalsige Abenteuer gestürzt, um euch wieder lebendig zu fühlen. Nutzlose Wagnisse die niemanden geholfen haben. Und doch habt ihr eure Leben dafür riskiert.“

„Wir haben anderen mit unseren Taten geholfen. Tu nicht so als ob…“

„Du hast Recht. Ich hörte von den Elfen denen ihr das Leben gerettet habt, weil ihr Gehöft von Waldogern bedroht wurde. Ich hörte von der Geschichte wie die beiden tapferen Elfenkrieger den größten Berglöwen enthaupteten, um ein Waisenkind zu retten. Und die Geschichte wie ihr den Trollkönig vom Thron gestoßen habt, um sein Volk vor dem Untergang zu bewahren. Nicht schlecht für ein paar Jahrhunderte des Müßigganges.“

„Wir hatten nun einmal nicht das Privileg als Botschafter zu den freien Völkern entsandt zu werden. Es gab nur die Wahl zwischen den Allwissenden und unserem eigenen Weg. Lieber kämpfte ich gegen tausend Oger, Löwen und Trolle, als mich zum Handlanger dieser selbstgefälligen Auserwählten zu machen. Doch auch Jahrhunderte des Reisens und der Flucht konnten mich nicht vor dem Schicksal bewahren, welches mir die Gefolgschaft unter dir nun beschert hat.“ Elynos wollte etwas erwidern, doch Lathivar ließ ihn nicht zu Wort kommen. „Ich bin dir gefolgt, Elynos. Und ich folge dir weiter. Aber die Zeiten des blinden Gehorsams sind endgültig vorbei. Wenn ich der Meinung bin, dass deine Pläne meiner Schwester oder mir schaden, dann stelle ich mich dagegen.“

Der Elfenfürst brauchte ein paar Augenblicke der Ruhe, um das Gesagte zu verarbeiten. Seit ihrer Reise nach Thios gab es zwischen ihm und Lathivar ständig Meinungsverschiedenheiten. Vielleicht war es gut, dass sein Freund sich seine Gedanken einmal von der Seele reden konnte.

„Sag mir. Welchen Weg würdest du wählen?“

Lathivar musste nicht erst nachdenken, um darauf zu antworten.

„Wir sollten nach Thios zurückkehren und Melyna holen. Wir hätten sie nicht an diesem Ort zurücklassen sollen. Sie ist eine von uns.“

In den Augen seines Freundes konnte Elynos großen Kummer erkennen. Es war kein Trotz gegen seine Entscheidung als Anführer. Es war die aufrichtige Sorge um eine lebenslange Freundin, die nun auf sich allein gestellt die Grenzen dieser Welt beschützte. Er legte Lathivar seine Hand auf die Schulter und sah ihm tief in die Augen. In diesem Augenblick schienen beide die Schmerzen des anderen zu erkennen.

„Wir können nichts für sie tun, Lathivar. Melyna hat für sich selbst entschieden. Wenn sie Thios verlässt, ohne dass Ashkara ihren Platz einnimmt, ist alles verloren. Alle bisherigen Opfer wären dann umsonst gewesen.“

„Aber wir dürfen sie nicht…“

„Wir lassen sie nicht im Stich. Indem wir Ashkara aus Yubors Fängen befreien helfen wir Melyna mehr als wir auf andere Weise je könnten.“ Der gefallene Fürst trat einen Schritt zurück. „Im Grünhain hast du dich von mir abgewendet. Du hast meine Loyalität unserer Gruppe gegenüber in Frage gestellt. Doch du kamst zurück. Du kamst zurück, weil du gespürt hast, dass ich recht hatte. So bitte ich dich nun erneut, mein Bruder. Vertraue meinem Urteil noch dieses eine Mal. Dann können wir unsere Gemeinschaft ein für alle Mal, aus dem Griff aller befreien, die meinen unser Schicksal bestimmen zu können.“

 

 

Gefangen

 

Zeit war für sie nicht mehr als ein Wort gewesen. Jahrtausende hatte sie in der Einsamkeit von Thios verbracht ohne an das zu denken was außerhalb seiner Mauern geschah. Sie hatte eine Aufgabe. Sie war die Auserwählte. Sie verharrte in stiller Aufopferung damit die Welt weiter Atmen konnte. Ein Schlag ihres Herzens hallte für Tage durch die alte Feste. Anfangs ein Käfig, dann ein Bollwerk, schlussendlich ein zu Hause. Mit ihrer Macht beeinflusste sie Zeit und Raum innerhalb von Thios. Es war ihr Land. Doch nun war sie den allzu vertrauten Festungsmauern entzogen worden. Ein Stab des ersten Zeitalters hatte vollbracht wozu abertausende heranstürmende Feinde nicht in der Lage waren. Er hatte sie besiegt. Der Stab des Undalan, benutzt von einem unwürdigen Diener ihres aufgezwungenen Gastgebers, war in der Lage ihre Macht zu unterdrücken. Yubor, Herr des Tränengebirges und neuer Herrscher über Azurn, wollte Ashkaras Kraft für sich nutzen. Doch ihre Fähigkeiten zu unterdrücken war eine Sache. Sie ihr zu entziehen eine andere. Letzteres wollte Yubor einfach nicht gelingen. Tagelang hatte er sie verhört, mit Visionen gequält und bedroht. Doch seine Bemühungen waren erfolglos. In dieser Welt gab es nichts mehr was Ashkara am Herzen lag. Familie, Freunde, Kameraden. Sie alle waren schon lange tot. Ihr Peiniger hatte nichts gegen sie in der Hand. Er versuchte sogar sie zu bestechen. Sie auf seine Seite zu kriegen. Er versprach ihr Macht, Reichtum und Unsterblichkeit. Als die weiße Elfe ihm bei ihren Gesprächen in die Augen blickte erkannte sie wie tief die Rasse der Schattenelfen gesunken war. Selbst die Schattenkinder zeigten in der Vergangenheit so etwas wie Ehre. Doch mit dem kriegslüsternen Tyrann hatte sich dies geändert. Dass Yubor es nicht schaffte die Macht Ashkaras für sich zu nutzen, war der einzige Grund aus dem es noch einen trügerischen Frieden gab. Wenn die Magierin ihm anheimfiel, würde Vinosal brennen.

 

Es war wieder ein Tag vergangen, an welchem die weiße Elfe die Nahrung verweigert hatte. Wieder ein Tag, ohne dass sie Yubor gab wonach es ihm verlangte. Und wie bereits am Tag zuvor, begab sich der Herrscher Azurns erneut in das eindrucksvolle Verlies hinab, um seine Redekunst in den Geist der Gefangenen einzuflüstern. Seine harten Absätze knallten hörbar auf dem steinernen Boden, während sein schlicht schwarzrotes Gewand ihn mit der mäßig beleuchteten Dunkelheit verschmelzen ließ. Seine schwarzen Augen wirkten wie Löcher in der blassen Haut. Yubor führte den Stab des Undalan auf den Rücken geschnallt mit sich. Es schien als wollte er das bedeutungsvolle Artefakt wie einen einfachen Ziergegenstand aussehen lassen, damit er unter keinen Umständen sein eigenes Erscheinungsbild in den Schatten stellte. Doch Ashkara konnte er nichts vormachen. So mächtig er auch war, konnte er mit den Kräften der weißen Elfe nicht mithalten. Die Eisenkette um Ashkaras Knöchel war eher ein Symbol, als denn eine Fessel. Denn nur der Stab allein war es, welcher sie hier gefangen hielt. Yubor blieb einige Schritt entfernt von ihr stehen und besah sich seine Beute in aller Ruhe.

„Es ist tragisch, dass du so geendet bist. So viel hast du für dieses Land geopfert. Dein ganzes Leben hast du für die selbsternannten Herrscher dieser Welt gegeben. Du hast auf alles verzichtet, was deinem Leben eine Erfüllung hätte geben können. Einen Gefährten, Kinder, ein Leben voller Anerkennung und Ruhm. Statuen sollten in jeder Stadt stehen, damit die Niederen sich vor dir verneigen können. Dankesgebete sollten für dich gesprochen werden. Du solltest ein Leben führen, in welchem dir jeder Wunsch von den Augen abgelesen wird. Dies wäre eine angemessene Stellung für jenes Geschöpf, welches uns seit Jahrtausenden den Frieden geschenkt hat. Doch nichts von all dem hast du.“ Der Meister des Wolfskultes umkreiste seine Gefangene, während er weiter auf sie einredete. Seine Stimme klang dunkel und tückisch. „Sieh dich nur an. Gefangen, hilflos, allein. Niemand kommt, um dich zu retten. Niemand war da, um dich zu beschützen.“

Die Gefangene belächelte seinen Versuch sie zu verunsichern. Der Ausdruck ihrer erhabenen Gesichtszüge war wie ein Schild gegen das gesprochene Gift Yubors.

„Deine Worte sind wie bitterer Honig“, entgegnete Ashkara mit sicherer Stimme. „Spar dir deine Tricks, Yubor Taschenspieler. Mit deinen Lügen täuschst du niemanden. Frag deinen Laufburschen. Er wird dir sicherlich erzählt haben, wie eines deiner kostbaren Schoßtiere den Tod gefunden hat.“

„Du meinst diese erbärmlichen Westelfen aus Ilbanas waren in Thios, um dich zu beschützen? Dann belügst du dich selbst, Ashkara. Sie kamen nur aus einem Grund in die Feste. Sie wollten die Macht des Auges für ihre Herrscher stehlen. Vielleicht hat man ihnen Gold und Edelsteine versprochen. Vielleicht auch Ländereien und Adelstitel. Oder es waren nur einfache Diener welche von blindem Gehorsam getrieben wurden. Aber eines waren sie auf keinen Fall. Deine Freunde.“ Er näherte sich ihr von der Seite und wisperte mit leiser Stimme. „Aber du könntest hier Freunde haben. Ich könnte dein Freund sein. Dein Kamerad. Dein Gefährte.“

So geschwächt sie sich auch fühlte, konnte sich Ashkara ein Lachen nicht verkneifen.

„Mein Gefährte? Ich ahnte ja, dass du dem Wahnsinn verfallen bist. Aber jetzt bin ich mir sicher. Wie kannst du auch nur in den tiefsten Winkeln deiner kranken Seele glauben, dass ich jemals als Verbündete an deiner Seite stehen würde? Ganz zu schweigen davon deine Gefährtin zu werden. Bist du wirklich so verzweifelt, dass du dir diese Lügen bereits selbst eingeredet hast?“

Yubor blieb abrupt stehen und musterte die weiße Elfe. Ungeduld stieg in ihm auf, da ihr Verhalten nicht darauf schließen ließ, dass sie seinen Bekehrungsversuchen nachgeben würde. Der Herrscher Azurns sah nun aus wie eine der Marmorstatuen, welche die Stadt zierten. Hart, kalt und ohne jede Gefühlsregung. Seine blasse Haut verlieh ihm ein geisterhaftes Aussehen, während seine ausdruckslosen Augen Ashkara einfingen.

„Du weißt noch nicht was Verzweiflung ist, Hüterin von Thios. Ich kenne die Verzweiflung sehr genau. Ich habe sie schon vor Jahrhunderten erfahren. Als mein Volk sich den Gesetzen unserer schwachen Artverwandten unterworfen hat. Gesetze die die Schwachen schützen. So dass sie ihre Schwäche weiter in das Herz dieser Welt tragen können. Mein Kult hat dieser Schwäche immer getrotzt. Unter meiner Führung haben wir unserem Volk seine alte Stärke bewahrt. Und diese Stärke ist das einzige, was uns noch gegen die Bedrohung aus der jenseitigen Welt retten kann.“

„Du sprichst als würdest du glauben was du sagst. Doch war es dein Diener, welcher mich aus der Feste entführt und damit die Grenzen gefährdet hat.“

Thios hat weiterhin Bestand. Doch was hilft es ein Übel fernzuhalten, wenn ein anderes bereits unter uns wandelt.“

„Du redest vom Dämon Ozanuhls?“

„Ja. Ein Dämon mit beinahe göttlicher Macht. Ein Dämon der nun in Gestalt eines Hexenmeisters über einen ganzen Kontinent herrscht. Seine Macht wird nur noch von seinem Hass übertroffen. Und sein Hass gilt all jenen, welche den Klingen seiner Diener entkommen sind. Menschen, Zentauren, Reggits, Trolle, Sahlets. Sie haben sich gegen ihn gestellt oder sind vor ihm geflohen. Und wohin? Auf unseren Kontinent. Die Überheblichkeit der Allwissenden war es, die diese niederen Wesen hierhergebracht hat. Nicht nur, dass sie diese Welt verseuchen werden, ihr Häscher wird Jagd auf sie machen und dabei alles und jeden vernichten der ihm dabei im Weg steht. Und wieder einmal wird die Rettung der Schwachen, zum Tod der Starken führen.“

Ashkara funkelte ihren Peiniger an.

„Und du willst nun unser aller Retter sein? Indem du mit meiner Hilfe… was tust? Den Hexenmeister bekämpfen?“

Ein Moment der Stille durchzog den kalten Kerker.

„Ich werde ihn davon abhalten Vinosal zu zerstören. Doch dazu muss ich zunächst unsere Heimat vor sich selber retten. Und deine Kräfte, werden mir dabei helfen.“

Ashkara richtete sich vollends auf. Ihr Trotz gab ihr gerade genug Kraft, um einen Teil der umliegenden Dunkelheit zu vertreiben.

„Meine Kräfte werden niemals die deinen sein. Du magst mich hier gefangen halten bis die Welt in Flammen aufgeht. Aber niemals werde ich dir helfen.“

Yubor zog den Stab des Undalan hervor und ließ ein Ende laut auf den Kerkerboden krachen.

„Du weißt, wozu dieser Stab fähig ist. Undalan vermochte Nekromantenzauber für sich zu nutzen und auch ich habe diese Gabe entdeckt. Und ebenso weißt du, welche Gabe der Wolfskult besitzt. Du hast sie gesehen. Meine treuen, wilden, erbarmungslosen Diener.“ Wieder schritt er um die weiße Elfe herum. „Ich kann mir nur vorstellen, was du für ein mächtiges Wesen wärst. Eine Kreatur die meinen Feinden das Fürchten lehren würde. Eine Wolfselfe, wie es sie noch nie gegeben hat. Und mit jedem Tod, mit jeder Wiedererweckung, steigt deine Kraft und deine Ergebenheit mir gegenüber. Sicherlich würdest du das Rudel übernehmen. Deine neuen Artgenossen würden deine Fänge fürchten und deine Klauen. Dein Verlangen nach Blut und Tod würde ins Unermessliche steigen. Und wenn deine Gier größer ist als alles andere, dann schicke ich dich zurück in deine Feste.“ Ashkara erschrak, was Yubor wiederum schmunzeln ließ. „Oh ja. Das dachte ich mir doch. Zuerst war ich nicht sicher, dass du nach so vielen Jahrtausenden der Einsamkeit, wieder so etwas wie Liebe empfinden könntest. Doch nun spüre ich es genau. Eine aus der Truppe der Elfenkrieger ist in Thios geblieben. Wie sonst könntest du beruhigt sein, dass die Grenze geschützt wird? Und ich kenne die Legende, Ashkara. Die Wächterin der Feste kann nur von ihrer Aufgabe befreit werden, wenn sie einem anderen Wesen, welches sie bedingungslos liebt, diese Bürde überträgt.“

„Du Scheusal!“

„Wie wird dieser Kampf wohl ausgehen? Wird sie dich als Feind sehen und dich mit ihrer Klinge niederstrecken, nur um dann auf den ihr vertrauten Körper hinab zu blicken, der von ihr durchbohrt wurde? Oder wirst du sie mit deinen Fängen zerfleischen und ihr warmes Blut kosten?“

„Niemals werde ich eine von deinen abscheulichen Missgeburten!“

Yubor wandte sich langsam um und verließ den Kerker.

„Deine Macht wird mir gehören, Hüterin der Feste. Du kannst entscheiden wie dies geschehen soll. Entweder wirst du meine Gefährtin, oder mein Schoßtier. Mit diesen Gedanken bleib nun ein wenig allein. Ich werde mir deine Entscheidung anhören, wenn mir danach ist.“

So als wollte er seine Gefangene nochmals daran erinnern, welche Macht ihm Undalans Stab verlieh, knallte Yubor ihn zum Abschied auf den Boden und ließ Ashkara damit in Ohnmacht fallen.

 

 

Die Last der Führung

 

Es waren kalte Tage, die die Halle der Allwissenden erfüllten. Der Glanz aus vergangenen Epochen war binnen kurzer Zeit zu einem leisen Funkeln in der Dunkelheit geworden. Eine Dunkelheit die in Gestalt von erstarrten Anführern feste Form angenommen hatte. Die Herausforderung, welche mit den Flüchtlingen von Obaru einhergegangen war, stellte ohnehin schon einen bisher kaum dagewesenen Zustand dar. Doch die geradezu unfreiwillige Aufnahme der Heimatlosen schien angesichts der Bedrohung aus dem Osten an Gewicht zu verlieren. Elynos und seine Kameraden hatten das Auge an die Schattenkinder verloren. Das allein war bereits eine Wendung, welche die Pläne der Allwissenden ins Wanken brachte. Doch damit nicht genug, überbrachten die Gefährten auch noch die Forderung der Mischlinge. Minathen wusste besser als alle anderen, dass das Vermächtnis seines Vorgängers mehr als nur ein Zünglein an der Waage sein konnte. Niemand kannte die genaue Zahl der Mischlingselfen. Das Leugnen ihrer Existenz hatte eine nicht zu unterschätzende Wissenslücke geschaffen. Sollten sie sich als waffenstarkes Stellrädchen erweisen, könnte ein Konflikt mit ihnen ungeahnte Folgen nach sich ziehen. Auf der anderen Seite wäre ein Bündnis kaum vorstellbar. Sie waren Ausgestoßene. Mehr noch. Sie waren Wesen deren Existenz aus den Geschichtsbüchern getilgt wurde. Weniger als ein blasser Nebel der schon von wenigen Sonnenstrahlen seines Daseins beraubt wird. So zerbrechlich die Taktik der Verleumdung nun durch den Gebietsanspruch der Mischlinge wurde, so zerbrechlich könnte sich auch das Bündnis mit Hochelfen wie Alandruin erweisen. Der Herrscher der Perleninsel schätzte die Reinheit seines Volkes wie kaum ein anderer seiner Stellung. Alleine in Erwägung zu ziehen ein Abkommen mit den Verstoßenen einzugehen, könnte die Allwissenden um die Unterstützung des mächtigen Fürsten bringen. Viel gab es in diesen Zeiten abzuwägen.

Während Minathen über die verschiedenen Szenarien nachdachte fiel ihm ein, dass Elynos nur davon gesprochen hatte, dass die Mischlinge sich gegen die Hochelfen stellen würden, falls man ihre Forderung ausschlug. Eine Unterstützung hatten sie hingegen nicht zugesagt. Die Allwissenden konnten sich also lediglich eine Nichteinmischung von den Namenlosen erkaufen. Bei dem Gedanken, von einer Sippe Ausgestoßener erpresst zu werden, stieg Minathen das Blut in die Wangen. Waren sie tatsächlich so weit gesunken, dass sie sich ihre Entscheidungen von Umbalios Brut diktieren ließen? Und was würde geschehen, wenn sie sich dem Willen der Mischlinge beugen würden? Wäre dies vielleicht ein Weckruf für andere sich gegen die Führung aus Ilbanas zu stellen? Seiner Ansicht nach mussten sie jetzt Härte zeigen. Härte und Entschlossenheit waren die angemessenen Mittel, um gegen den lauernden Feind aus dem Osten zu bestehen.

Der Vorhang, welcher den Eingang des Lesezimmers verhüllte in welchem der Allwissende seinen Gedanken in aller Ruhe nachging, glitt zur Seite und Nathei trat ein. Die Elfe war so schön wie das Meer unendlich, doch in diesem Moment wirkte sie auf Minathen nur wie ein Schemen ihrer eigentlichen Erscheinung. Auch die glitzernden Perlen, die in die silbernen Strähnen ihrer langen Haare eingeflochten waren, konnten über ihre Trübheit nicht hinwegtäuschen. Sie trug ein nachtblaues Gewand welches mit goldenem Brokat verziert war. Um ihre Hüften lag ein Gürtel aus blassgrauen Leder. Minathen hatte ihr diesen Gürtel vor vielen Jahren zum Geschenk gemacht. Er wurde einst aus der Haut einer Smaragdnatter gefertigt. Diese Schlange gilt bei den Elfen als Omen für gute Ereignisse. Etwas, von dem die Allwissenden in letzter Zeit nicht allzu viel gekostet haben.

„Du ziehst dich in letzter Zeit immer häufiger in dieses Lesezimmer zurück. Doch sehe ich dich nie mit einem Buch in der Hand. Geht es dir womöglich um die Abgeschiedenheit dieser Räume?“

Minathen zeigte keine Gefühlsregung. Der Instinkt des erfahrenen Diplomaten veranlasste ihn sonst immer dazu seinem Gegenüber, schon alleine mit der Mimik, eine Botschaft zu signalisieren. Doch Nathei war an diesem Tag nicht die einzige in schemenhafter Gestalt. Auch Minathen verspürte keinerlei Anlass seine gegenwärtige Gemütslage zu verbergen. Geradezu teilnahmslos nahm er in dem weich gepolsterten Stuhl Platz und ließ seine Hände auf den aufwendig verzierten Armlehnen ruhen. Der Ausdruck in seinen Augen ließ Nathei erahnen, dass ihr Mitregent im Geiste weiterhin über die Ereignisse der letzten Monde nachdachte, während er ihr seine vermeintliche Aufmerksamkeit schenkte.

„In unserem Reich gibt es nichts was man uns vorenthalten könnte. Mit Ausnahme einer Sache. Ruhe. Die Zeit bleibt nicht stehen während wir nach einem Weg suchen unsere Aufgabe als Herrscher zu erfüllen. Keine Stunde vergeht, ohne dass ein Bote, Kundschafter oder irgendein Befehlshaber den Thronsaal betritt und meint meine Gedanken unterbrechen zu müssen.“

„Du kannst ihnen dafür keinen Vorwurf machen“, sprach die Allwissende mit sanfter Stimme. „Für uns alle ist die Ankunft der Menschen eine große Herausforderung. Ich habe bereits mit den Lehnsherren der Westgefilde gesprochen. Sie haben Anweisung ihre Truppen im Verborgenen zu halten. Das letzte was wir jetzt gebrauchen können, ist eine Panik unter den Flüchtlingen. Sie haben Land bekommen und Mittel, um sich dieses zur neuen Heimat zu gestalten. Was sie jetzt brauchen ist Frieden. Und was unsere Fürsten betrifft, so benötigen diese ein wenig mehr innere Stärke.“

Minathen verzog die Augenbrauen.

„Willst du etwa sagen, dass unsere Leute diejenigen sind die alles in Unruhe stürzen?“

„Ich will sagen, dass sich die Bequemlichkeit der letzten Jahrhunderte nun zu rächen scheint. Es ist nicht schwer zu herrschen, wenn man nur treue und glückliche Untertanen hat. Du weißt es doch selbst, Minathen. Was ist die größte Herausforderung, die einem Lehnsherr oder Stadthalter in unserem Reich begegnen könnte? Ein paar Minotauren die sich mit ihnen über die richtige Art der Pferdezucht streiten? Ein Faun der über Algenwuchs ist einer Zisterne klagt? Der aufkeimende Konflikt mit den Schattenkindern war für viele wie ein Schlag ins Gesicht. Ihre Welt des Friedens hat sie blind für die echte Gefahr gemacht.“

Minathen verstand was sie ihm sagen wollte. Doch es missfiel ihm den Kern der Probleme bei seinem eigenen Volk zu suchen. Die Elfen nahmen bereits genug in Kauf, um den Menschen und den anderen Völkern Obarus zu helfen. Gerade in diesen Zeiten war es riskant die Grenzen der Heimat für Fremdlinge zu öffnen. Diese Geste der Barmherzigkeit könnte von den Schattenkindern ausgenutzt werden, um die verfeindeten Reiche endgültig in den Krieg zu stürzen.

„Ich kenne deine Ansichten. Du siehst in den Fremden eine Gelegenheit unsere Position zu festigen. Heimatlose die nicht in der Lage waren ihr eigenes Land zu verteidigen, sollen uns gegen einen Feind helfen für den sie nicht mehr als lästige Mitläufer sind.“

„Du unterschätzt die Menschen, Minathen. Ich gebe zu, dass ich dies auch einst tat. Doch seit meinem Gespräch mit einigen von ihnen an der Westküste, muss ich meine Meinung zu ihnen überdenken. Sie sind vielschichtig. Trotz einer gewaltigen Übermacht haben sie es geschafft ihr Volk am Leben zu halten. Ihre Kultur wird überleben. Sie sind bereits dabei sich auf diesem Kontinent eine neue Heimat zu errichten. Ihre Anführer helfen beim Bau der Häuser. Sie schleppen Steine, graben Brunnen und hacken Holz. Vielleicht sollten wir einmal in uns selbst hineinhorchen und uns fragen, ob unser Volk ebenso in der Lage wäre aus einer so erdrückenden Niederlage die Kraft für einen Neuanfang zu schöpfen.“

Eisblaue Augen blickten die Allwissende an. Minathen und Nathei wirkten wie zwei lebensgroße Statuen, die ein begnadeter Künstler so geschaffen hatte, dass sie sich gegenseitig auffordernd anblickten. Statuen die in ihrer Schönheit und Anmut jedes andere aus Stein gehauene Werk in den Schatten stellen sollten. Erst als die Elfe ihren Kopf zur Seite drehte wurde die Illusion gebrochen. Minathen folgte ihrem Blick und fand sich vor einer großen Landkarte wieder. Als er die unscheinbaren Markierungen sah entsprang ihm ein leiser Seufzer.

„Jedes Kreuz steht für ein Gebiet welches wir an die Fremdlinge verloren haben. Wie Löcher in einem Kettenhemd, werden uns die Waffen unserer Feinde durch diese Gebiete erreichen. Wir hätten ihnen nicht erlauben dürfen sich derartig auszubreiten.“

„Und was wäre deine Wahl gewesen? Sie alle zusammengepfercht in einem Tal oder an der Küste bewachen lassen und darauf warten, dass ihr Unmut so groß wird, dass sie sich gegen uns wenden anstatt uns zu helfen?“

Der Mund des anmutigen Elfen verzog sich zu einem dünnen Strich.

„Ich will ihre Hilfe nicht. Und ich brauche sie auch nicht. WIR brauchen sie nicht. Der Göttervater hat uns diese Heimat nicht ohne Grund gegeben. Unser Volk sollte vor den Einflüssen der Unwürdigen verschont bleiben. Doch jetzt sitzen sie mitten unter uns.“

„Unwürdige? Wer bist du, dass du sie so nennst?“

„Ich bin einer von dreien die für diesen Kontinent verantwortlich sind. Unsere Soldaten werden sehr bald gegen Artverwandte in die Schlacht ziehen müssen. So etwas hat es schon seit Generationen nicht mehr gegeben. Der einzige Weg diesen Krieg zu verhindern liegt darin, die Schattenkinder davon zu überzeugen, dass nur der Frieden unsere Kultur am Leben erhalten kann. Doch was sollte sie dazu veranlassen eine Kultur schützen zu wollen, die von außenstehenden Fremdlingen unterwandert wurde? Nicht auszudenken, wenn sie sich in unsere Städte begeben und unsere Straßen, Gärten und Felder mit ihrem Unrat verseuchen.“ Minathen wandte sich von der Landkarte ab. Zornesfalten verunstalteten sein makelloses Gesicht. „Alandruin hat Kunde geschickt. Sein Verbündeter aus Azurn ist offenbar verschwunden. Das Bündnis mit ihm könnte ins Wanken geraten sobald er von unserer Offenherzigkeit den Menschen gegenüber erfährt.“

„Alandruin hat sein eigen Fleisch und Blut dazu benutzt ein Band zwischen unserem Volk und dem der Schattenkinder zu schmieden. Er ist niemand der von Rassenreinheit besessen ist.“

„Du kannst die Schattenkinder nicht mit den Völkern Obarus vergleichen. Glaubst du, dass Alandruin es dulden würde, wenn Zentauren über seine Steppe galoppieren? Wenn Menschen und Reggits seine Wälder roden um nach Schätzen zu suchen? Beim Anblick der silbernen Korallen würden sie, von ihrer Gier getrieben, jedes Riff mit Äxten und Hacken zerstören, um sich an den heiligen Steinen zu bereichern.“

Nathei schlug auf den Tisch und stoppte auf diese Weise ihren Vertrauten, welcher sich immer mehr in Rage geredet hatte. Die Wucht des Schlages ließ das Bild der zarten Elfe für einen Augenblick verschwimmen. Fassungslos blickte sie Minathen an.

„Ich kann nicht fassen was du da sagst. Es ist deines Standes nicht würdig derart vergiftete Worte in die Welt zu entlassen. Erinnere dich daran wer du bist, Minathen! Die Zeit der Leichtigkeit ist vorüber. Kein Schwarz und Weiß mehr. Kein Licht und Schatten. Kein Gut und Böse. Diese Grenzen verschmelzen ineinander. Doch wir haben dafür Sorge zu tragen, dass in diesem Feuer der Läuterung keine Unschuldigen geopfert werden. Wir sind nicht die Allwissenden der Elfen. Wir sind die Allwissenden von Vinosal. Und als solche für alle Lebewesen dieses Kontinentes verantwortlich. Die Völker Obarus sind nicht unsere Feinde. Sie sind anders als wir. Doch das macht sie nicht zu minder wertvollen Geschöpfen. Nach allem was sie durchgemacht haben, nach allem was man ihnen genommen hat, haben sie sich gegenseitig beigestanden und sind dem Dunkel entkommen. Du bist ein gläubiger Diener des Göttervaters. Wie kannst du dann noch daran zweifeln, dass er seine schützende Hand über sie gehalten hat, um ihnen noch größeres Leid zu ersparen? Wie kannst du noch daran zweifeln, dass er seine Kinder wieder vereinen will? Alle seine Geschöpfe zusammen in einer Welt des Friedens vereint. Das war sein Wille.“

Die Worte der weisen Elfe hatten ihre Wirkung scheinbar nicht verfehlt. Der Zorn wich aus Minathens Antlitz und er atmete hörbar und erleichtert aus.

„Der Wille der Götter ist nicht länger von Bedeutung.“ Nathei glaubte ihren Ohren nicht zu trauen. Doch ein Blick in die müden Augen ihres Gegenübers ließ sie erkennen, dass sich Hoffnungslosigkeit in Minathen eingeschlichen hatte. „Du weist was Bremax getan hat, um den Einen aus Berrá zu bannen. Die Pfade in die Welt der Götter sind durchtrennt. Sie können uns nicht mehr beistehen. Wir müssen jetzt an uns selbst denken.“

„Das kann nicht dein Ernst sein. Auch wenn Bremax die Verbindung zerstört hat, wird Zinakyl einen Weg finden uns beizustehen. Er ist der Vater der Götter. Der Schöpfer dieser Welt und allen Lebens. Nichts wird ihn davon abhalten…“

„Bremax war die letzte Wiedergeburt einer unserer Götter. Beseelt von Rykanos, dem Gott des Wassers. Doch wo war er, als Ozanuhl seinen Weg zurück nach Berrá fand? Wo war er, als der Dämon Gestalt annahm? Bremax ist tot. Doch das Feuer des Dunkelgottes ist noch nicht erloschen. Du weißt es genauso gut wie ich. Der Hexenmeister, welcher nun über ganz Obaru herrscht, ist mehr als ein Kriegsherr. Mehr als ein Zauberer. Sein Verlangen nach Tod und Zerstörung wird nicht an den Grenzen des Meeres Halt machen. So wie einst Zatara, giert es den Hexenmeister nach immer mehr Vernichtung. Er wird es nicht akzeptieren, dass die Völker Obarus sich seinem Feuer entzogen haben. Sein Hass wird ihn dazu treiben sie weiter zu jagen, so lange, bis auch der letzte von ihnen ausgelöscht ist. Und wohin wird ihn die Fährte führen?“ Minathen ließ sich zurück in seinen Sessel sinken. Seine Hände umfassten die Armlehnen betont ruhig, so als wolle er beweisen, dass er Herr über seine Gefühle war. „Sie haben einen Feind in unser Land gebracht gegen den wir nichts ausrichten können. Wir sitzen zwischen den Schattenkindern und dem Hexenmeister wie zwischen Hammer und Amboss. Und wir können nichts weiter tun als abzuwarten wann der Schmied zuschlägt.“

Trotz spiegelte sich in Natheis Gesicht wider. Meinungsverschiedenheiten zwischen ihr und ihrem Mitregenten hatte es auch in der Vergangenheit gegeben. Doch dieses Mal ließ sie das Gefühl nicht los, dass Minathen nicht an bereichernden Diskussionen und dem Austausch von Gedanken interessiert war. Vielmehr schien er sein Urteil gefällt zu haben und versuchte nun alles um seine Ansicht als die einzig richtige darzustellen.

„Sind wir denn wirklich so furchtsam geworden, dass wir lieber das Leben von Tausenden opfern anstatt ihnen beizustehen? Drehen wir uns weg und hoffen, dass der Feind von uns ablässt, wenn wir uns ihm nicht in den Weg stellen? Willst du unsere Herrscherlinie wirklich auf diese feige Weise sicherstellen?“

Minathen hielt den bohrenden Blicken seiner gegenüber stand. Kälte war in seinen Augen zu sehen.

„Ich trage die Verantwortung für ein ganzes Volk, Nathei. Überbleibsel eines untergegangenen Kontinentes interessieren mich nicht.“

Nathei wandte sich enttäuscht ab. Eine derartige Uneinigkeit hatte es zwischen den Allwissenden seit Umbalios Regentschaft nicht mehr gegeben.

„Wancrei wird bis zum Einbruch der Nacht zurück sein. Wir werden über diese Dinge sprechen nachdem wir seine Meinung gehört haben.“ Ihre feingliedrigen Finger glitten erneut über die Landkarte mit den zahlreichen Markierungen. „Danach werden wir eine gemeinsame Entscheidung treffen, Minathen. So wie es die Tradition verlangt.“

„Es gibt noch mehr zu entscheiden. Etwas das keinen Aufschub mehr duldet. Elynos und seine Gefährten. Wir sollten unser Urteil fällen.“

Nathei war mit sich selbst nicht im Reinen, was Elynos und die anderen betraf. Sie hatte insgeheim sehr große Hoffnungen in den Fürsten gesetzt. Nicht zuletzt durch seine vielen Jahre in Isamaria, wäre er am besten geeignet, um sich um die Flüchtlinge zu kümmern. Doch sein Versagen wog schwer bei dieser Entscheidung.

„Es wäre sicherlich ein Leichtes sie für ihr Scheitern zu verurteilen. Doch was hätten wir dadurch gewonnen? So wie die Dinge im Augenblick stehen, brauchen wir jede Hilfe die wir kriegen können.“

Minathen senkte seinen Blick. Für einen kurzen Augenblick schien der Allwissende mit sich selbst ein Zwiegespräch zu führen. Nathei konnte spüren, dass ihr Vertrauter nicht mit sich im Reinen war. Mit jedem weiteren Tag wurde seine Unsicherheit deutlicher. Er schloss seine Augen und bemühte sich mit ruhiger Stimme zu sprechen.

„Ich gebe offen zu, dass es mich danach verlangt Elynos zu bestrafen. Zuerst hat er gegen das Gesetz verstoßen und Artverwandte umgebracht. Und nun hat er das Auge von Vinosal verloren und sie unserem Widersacher überlassen.“

Nathei stellte sich neben ihn und legte ihre Hand auf die seine.

„Was bedeutet es dieser Tage noch, dass einer der unseren ein Schattenkind getötet hat? Zumal er aus Notwehr gehandelt hat?“ Minathen wollte etwas erwidern, hielt sich dann jedoch zurück. „Und für das Scheitern einer Mission können wir ihn nicht verurteilen. Das weißt du, Minathen. Wie könnten wir diese Strafe rechtfertigen? Und wie könnten wir es rechtfertigen, dass wir unsere eigenen Reihen aufgrund von Vergeltungswünschen schwächen?“ Sie dachte an die Anführer der Flüchtlinge, welche sie an der Küste getroffen hatte, und wünschte denselben Zusammenhalt für ihr eigenes Volk. „Die letzten Jahre haben unsere Welt mehr verändert als es ganze Dekaden getan haben. Wir haben so viel Kraft darauf verwendet den Frieden mit Azurn zu bewahren. Zugeständnisse und Beschwichtigungen haben unseren Alltag bestimmt. Wir haben unsere Grenzen zurückgezogen, Siedlungen aufgelöst und selbst als die Schattenkinder ihre Schwarzwölfe ausschickten, um dich zu töten, haben wir versucht eine friedliche Lösung zu finden. Doch dafür ist es nun zu spät, Minathen. Der Krieg ist unvermeidbar. Lass uns wieder zu einer Einheit werden. Du, Wancrei und ich. Wir sind die Allwissenden. Wir sind die Beschützer dieses Kontinentes. Alte Bündnisse sind gebrochen. Nun ist es an uns neue zu schmieden. Die Grenzen dieser Bündnisse bestimmt niemand außer uns selbst. Lass uns die Stärke in diese Mauern zurücktragen!“

Minathen erwiderte den fordernden Blick und ergriff Natheis Hand. Mit geradezu anmutiger Geduld erhob sich der Allwissende aus seinem Stuhl.

„Dann lass uns keine Zeit mehr verlieren.“

 

Wie zu erwarten traf Wancrei kurz nach der Dämmerung im Palast ein. Obwohl er eine lange Reise hinter sich hatte, vergeudete er keine Zeit, sondern schritt auf direktem Weg zur großen Halle. Seine Gedanken kreisten ungewollt um den gefangenen Lumari und die beiden Menschen. Letztere hatte er in die Obhut der Flüchtlinge gegeben, damit sie dort nach ihren Familien suchen konnten. Wancrei dachte immer noch an den jungen Burschen, welcher sich ihm als Inodan vorgestellt hatte. Der Allwissende konnte nicht leugnen, dass der Junge ein ungewöhnliches Wesen hatte. Während der Überfahrt von Obaru konnte Wancrei spüren, dass der Mensch etwas verbarg. Angesichts der jüngsten Ereignisse erschien es ihm jedoch nicht weiter notwendig dieser Sache auf den Grund zu gehen. Dass ihm Inodan gerade jetzt wieder in den Sinn kam, machte für den Hochelfen keinen Sinn. Es gab mehr als genug mit Nathei und Minathen zu besprechen, als dass er sich weiter mit den Menschenkindern beschäftigen sollte.

Er betrat die große Halle und wurde sogleich von seinen beiden Mitregenten begrüßt.

„Deine Ankunft wurde von uns mit großer Sehnsucht erwartet. Es gibt viel zu beraten.“

Wancrei deutete eine Verneigung an und nahm auf seinem Herrschersitz Platz. Nathei reichte ihm einen Becher mit erwärmten Wein und goss auch für Minathen und sich selbst davon ein.

„Ich habe die Völker Obarus gesehen, als mein Schiff die Küste erreichte. Es scheint, als hättet ihr bereits allerhand geleistet während ich fort war. Auf meinem Ritt sah ich zahlreiche Hütten und wie mir scheint wird sogar schon mit Ackerbau angefangen.“

„Du hast noch längst nicht alles gesehen“, fiel Minathen ihm beinahe ins Wort. „Die Zentauren bevölkern den Norden und die Küstenwälder wurden zur Rodung freigegeben. Die Feen waren nicht leicht zu beschwichtigen, aber schließlich haben sie die Notwendigkeit eingesehen. Aber bevor wir weiter über die Geschehnisse auf Vinosal sprechen, lass uns wissen wie deine Reise war.“

Wancrei nahm einen Schluck Wein und ließ die angenehme Wärme für einen Moment auf sich wirken.

„Meine Mission war erfolgreich. Der Lumari war ein nützliches Werkzeug. Er hat das Seelenlicht gefunden und so war es mir möglich den Körper von Molok wiederzubeleben.“

Nathei und Minathen waren sichtlich beeindruckt von dieser Neuigkeit. Sie wussten um das wahre Wesen des verhexten Menschen und um seine Taten in der Vergangenheit. Nathei war vor über dreihundert Jahren dabei, als der Menschenkönig seinen Schwur ablegte und sich Molok von ihm abwandte. Es vergingen viele Jahre, ehe sein Treiben auch den Hochelfen zugetragen wurde. Molok sollte als Kriegstreiber, Rassefanatiker und brutaler Heermeister in die Geschichte eingehen. Erst als das Schwert der Läuterung seine Seele reinigte und seinen Körper zeichnete, wandte er sich von seinem blinden Hass ab. Nicht nur, dass er den Menschen im Kampf gegen die Druule beistand, er war es auch, der den entscheidenden Hieb gegen Alkeer führte und die Schlacht auf Obaru beendete. Minathen leerte seinen Becher und blickte Wancrei erwartungsvoll an.

„Wo ist er?“

„Er ist im Tempel von Hivitur. Sein Körper lebt, aber sein Geist hat die Barriere noch nicht überwunden.“ Nun leerte auch Wancrei seinen Becher. „Und er ist nicht alleine dort. Molok ist nicht der einzige, der von Alkeers Macht getroffen wurde.“

„Von wem sprichst du?“

„Ihr wisst, wer dem Dämon in der Schlacht gegenübergetreten ist. Bremax hatte ihn gut vorbereitet, doch alleine konnte er Alkeer nicht besiegen. Wenn Molok nicht eingegriffen hätte, wäre auch er ein Opfer des Krieges geworden. Doch… er hat überlebt. Dank der Heilkunst eines Druiden.“

Natheis Augen weiteten sich.

„Befay? Er lebt?“

Wancrei nickte.

„Ja. So wie Molok, kämpft auch er gegen die Verdammnis an.“

Minathen war etwas verwundert.

„Ich gebe zu, dass diese Neuigkeit unerwartet kommt, aber es scheint mir beinahe so, als ob du uns noch etwas Anderes mitteilen möchtest.“

Der Allwissende wusste kaum womit er anfangen sollte. Und so erhob er sich wieder und schritt während seinen Erzählungen auf und ab.

„Der Druide der Befay versorgte war nicht allein. Er hatte zwei junge Menschen bei sich. Es sind jene Kinder, welche der Blutlinie von Kolahr entstammen. Dem einzigen Menschen, welcher von uns mit dem Segen der Unsterblichkeit beschenkt wurde.“

„Alkeers Brüder?“

„Ja. So wie mir der Druide berichtet hat, wurde Befay wie ein Ziehvater für die beiden. Ich fand sie kurz vor meiner Abreise von Obaru in einer Höhle nahe der Küste. Befay war bewusstlos. Ich konnte spüren, dass seine Seele im Kampf gegen den Dämon schwer verwundet wurde. An seinem Zustand hat sich auch während der Reise nichts verändert. So wie Molok noch in der Zwischenwelt gefangen ist, ist es auch der Schwertmeister. Es scheint so, als ob die beiden ein gemeinsames Schicksal teilen.“

Nathei trat an den Spiegel von Alyscal heran und bat das Artefakt um eine erschöpfende Erkenntnis. Doch die Bilder blieben hinter einer dichten Nebelwand verborgen.

„Molok sollte uns dazu dienen den Wolfskult zu besiegen. Seine Seele ist auf den Pfaden des Todes gewandelt. Er wurde von einer göttlichen Waffe geläutert und einst von einem mächtigen Hexenweib verflucht. Nur ein Wesen, welches derlei Qualen durchgemacht hat, kann sich gegen die schwarze Magie von Yubor behaupten. Er ist der Schlüssel zur Vernichtung der Wolfselfen. Und nun kehrt auch Befay wieder zurück. Er war es, der Molok damals geläutert hat. Es kann kein Zufall sein, dass beide auf diesem Weg wieder zusammenfinden. Und noch dazu in Begleitung von den letzten Erben Kolahrs.“ Sie sah ihre Mitregenten aufgeregt an. „Diese Menschenkinder sind der Schlüssel zur Vernichtung Alkeers. In ihren Adern fließt dasselbe Blut. Ist euch klar was das bedeutet?“

Minathen hatte eine Ahnung worauf Nathei hinaus wollte und es gefiel ihm nicht.

„Du willst gegen den Hexenmeister in den Krieg ziehen? Damit zwei Kinder gegen ihren verfluchten Bruder kämpfen können?“

„Es sind keine Kinder mehr“, warf Wancrei ein. „Es sind junge Burschen, ja. Aber das Geschehene hat sie dazu gezwungen ihre Kindheit früh zu beenden.“

„Was ändert das schon? Es sind Kinder. Keine Kämpfer. Selbst als Erwachsene könnten sie dem Hexenmeister nicht entgegentreten. Sie mögen dasselbe Blut teilen, aber Alkeer ist vom Bösen beseelt. Ozanuhl selbst hat ihn vergiftet und ihm seine Kraft gegeben.“

Wancrei wollte widersprechen, doch Nathei kam ihm zuvor.

„Wir können nicht ignorieren, dass es sie gibt. Molok, Befay und nun auch noch die Erben von Kolahr. Sie sind der Schlüssel.“

„Der Schlüssel wozu? Zum Frieden auf Obaru? Wir sind hier zusammengekommen, um über den Krieg in unserer Heimat zu sprechen. Der Kampf gegen die Schattenkinder wird uns verzehren, wenn wir auch nur einen falschen Schritt tun. Jedes Schwert und jeder Bogen werden gegen Azurn in den Krieg ziehen. Die Mischlinge drohen uns in die Flanke zu fallen. Die Eskenda haben Yubor die Treue geschworen. Unsere Grenzen werden von abertausenden von Flüchtlingen belagert. Egal für was du das Erscheinen der Menschenkinder hältst, Nathei. Wir haben nicht die Kraft, um an zwei Fronten zu kämpfen.“

Stille legte sich wie ein Tuch aus Eisen über die Halle. Sie alle wussten, dass Minathen Recht hatte. Alkeer anzugreifen, während sie Krieg gegen Yubor führten, würde ihre Vernichtung bedeuten. Es war als sehe man zwei Gläsern zu wie sie zu Boden fielen. Sie konnten nur eines auffangen.

„Wir dürfen nicht warten, bis Yubor uns angreift“, kam es aus Wancrei heraus. „Wir müssen ihn stellen.“

Azurn angreifen?“, erwiderte Minathen. „Das hieße unsere Soldaten in den sicheren Tod schicken. Selbst wenn wir die Mauern überwinden könnten, wenn Yubor den Berg verschließt, ist er unerreichbar.“

„Wir müssen unser Vorgehen überdenken“, sprach Nathei mit bedächtiger Stimme. „Yubor wird zu allererst sich selbst schützen. Ein Sieg auf dem Schlachtfeld bringt ihn nicht in unsere Gewalt.“

„Was wäre der richtige Weg?“

Die Allwissende schmunzelte.

„Wir müssen ihn hervorlocken. Etwas muss seine Neugier wecken und sein Misstrauen verwischen. Etwas das seine persönliche Anwesenheit herbeiführt. Nichts was er einem Vertrauten überlassen würde.“ Ohne Warnung verfinsterte sich das Antlitz der schönen Elfe. „Lasst Elynos herbringen!“

 

 

Abstammung

 

Tharemes verspätete sich für gewöhnlich nicht, wenn Helenia ihn zum Abendessen einlud. Mit jedem Gericht welches sie kochte, versuchte die Elfe aus hohem Hause ihre Kochkünste zu verfeinern. Sie probierte neue Kräuter, suchte in dem umliegenden Tal nach seltenen Früchten und bekam auch von den erfahreneren Elseni den ein oder anderen Ratschlag. Noch vor einem Jahr hätte sie nicht geglaubt, dass sie einmal im Freien, mit einfachsten Mitteln, auf heißen Steinen kochen würde. Doch wie so manch anderes, hatte sich auch ihre Lebensweise drastisch verändert. Jeder Tag im Steinschildtal, ließ sie die Elseni etwas besser verstehen. Und je besser sie dieses friedliebende Volk verstand, desto klarer wurde ihr, warum der Kontakt zu anderen Kulturen gemieden wurde.

Helenia überlegte bereits wie sie das fertige Mahl warmhalten könnte, als Tharemes schließlich an ihrer Hütte ankam.

„Entschuldige bitte. Das Gespräch mit den Ältesten hat länger gedauert als erwartet.“ Er blickte auf die Teller und lächelte. „Da komme ich ja gerade richtig. Und es sieht wirklich sehr appetitlich aus.“

Helenia fühlte sich geschmeichelt und bot ihrem Gast einen Platz an. Sie setzten sich beide an die Feuerstelle vor der Hütte und begangen zu essen.

„Ich hatte schon Sorge, dass es kalt werden würde. Gebratene Makowurzel wird schnell trocken, wenn man sie zu lange auf den heißen Steinen lässt.“ Sie nahm ihren ersten Bissen und war erleichtert, dass das Gericht angemessen aber nicht übertrieben gewürzt war. „Was gab es so lange mit den Ältesten zu besprechen?“

Tharemes nahm einen Schluck Wasser ehe er antwortete und gab seiner Gastgeberin mit einem kurzen Blick zu verstehen, dass das Essen sehr köstlich war. Dann jedoch wurde sein Gesicht ernst.

„Du weißt doch sicherlich noch, dass die Bäume am Fluss durch ein Erdbeben gefällt wurden.“

„Ja.“

„Es hat heute Morgen einen schweren Steinrutsch gegeben. Außerdem scheinen die Vögel den Wald verlassen zu haben.“ Tharemes stellte seinen Teller ab. „Es deutet alles darauf hin, dass irgendetwas den Berg in Unruhe versetzt hat. Nur finden die Ältesten keine Erklärung dafür. Seit Jahrzehnten hat es so etwas nicht mehr gegeben.“

Helenia verstand natürlich, dass Tharemes in Sorge war. Allerdings konnte sie eine gewisse Enttäuschung nicht leugnen, da das gemeinsame Essen nicht so verlief wie sie es erhofft hatte. Das Schattenkind stellte ebenfalls ihren Teller ab und versuchte die Aufmerksamkeit ihres Gastes für sich zu gewinnen, indem sie ihm etwas von einer süßen Nachspeise anbot.

„Die Beeren habe ich in Saft eingelegt und mit Honig gesüßt. Ziemlich viel Arbeit für so eine kleine Portion. Aber vielleicht muntert dich der süße Geschmack etwas auf.“

Tharemes nahm die Schüssel dankend entgegen.

„Es tut mir leid. Du hast dir so viel Mühe gegeben und ich bin mit meinen Gedanken ganz woanders.“

„Unsinn“, erwiderte Helenia zögerlich. „Ein gemeinsames Abendessen ist sicherlich nicht so wichtig wie die Sorgen der Ältesten. Als ich noch…“

Sie geriet ins Stocken und Tharemes bemerkte, dass sie nicht wusste wie sie den Satz beenden sollte.

„Sprich nur weiter.“

„Ich versuche nicht mehr an diese Zeit zu denken. Aber als ich noch im Rat von Azurn gesessen habe, bestand der Großteil meines Tages darin mich mit den Anliegen und Forderungen unserer Gemeinschaft zu beschäftigen. Hätte mich der Küchenmeister dafür gemaßregelt, dass ich sein Essen nicht genügend würdige, während ich über

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: René Pöplow
Bildmaterialien: René Pöplow
Cover: René Pöplow
Lektorat: keines
Korrektorat: keines
Satz: René Pöplow
Tag der Veröffentlichung: 26.03.2022
ISBN: 978-3-7554-1023-2

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Dies ist die Fortsetzung von "Das Auge von Vinosal". Gewidmet ist das Buch meinem geliebten Hund Anton, der im Oktober 2019 von uns ging. Wir werden dich nie vergessen.

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