Elrikh aus Bockental
Kurzgeschichten aus Berrá
René Pöplow
Gewidmet
Allen Leserinnen und Lesern
Ihr gebt mir einen Grund meine Geschichten aufzuschreiben. Durch euch wird ein Teil von mir am Leben bleiben, wenn ich den Weg aller Sterblichen gegangen bin. Mein Dank wird euch auf ewig gewiss sein.
Der Autor
René Pöplow, geboren 1980 in Hannover.
Ich war schon immer ein Autodidakt. Sowohl was meine Musik, als auch meine Bücher betrifft. Als Musiker ist man Teil einer Gruppe und lebt durch die Energie, die Kreativität und das Herzblut seiner Bandkollegen. Mit Herbstschmerz war ich Teil von etwas ganz besonderem. Bei Die Mogeltrolle war es mir vergönnt alleiniger Komponist und Tonangeber zu sein. Beides hat mein Leben bereichert.
Als Schriftsteller war ich jedoch von Anfang an auf mich alleine gestellt. Niemand konnte mir Hilfestellung geben und anders wiederum, wollte ich auch gar keine haben. Es gab immer ein paar Menschen die mir bei der Umsetzung meiner Geschichten geholfen haben. Z.B. Grafiker und Testleser. Aber das eigentliche Schreiben war etwas, dem ich mich ganz alleine stellen musste. Einen Verlag habe ich nie gefunden. Die Bemühungen meinerseits sind diesbezüglich schon vor langer Zeit eingeschlafen. Für mich hat immer nur gezählt, dass da jemand ist, der meine Geschichten wirklich lesen will. Nicht weil es von einem großen Verlag in allen Buchhäusern angepriesen wird. Oder weil im ganzen Land Werbeplakate zu sehen sind. Ich wollte, dass die Leser sich freiwillig auf die Welt Berrá einlassen und sie zu einem Stück ihres Alltags werden lassen. Das ist mir gelungen und damit ist mein Ziel erreicht. Solange es Menschen gibt die meine Geschichten lesen möchten, solange werde ich sie ihnen auch geben. Immer nach dem Motto, welches ich schon als Musiker verfolgte „Zu jedem Zeitpunkt das Beste abliefern was ich kann“.
Impressum
1. Auflage 2016
© René Pöplow
Sämtliche Rechte liegen beim Autor.
Illustrationen: Sarah Bergmann
Ähnlichkeiten mit toten oder noch lebenden Personen, sowie geschichtlichen Ereignissen sind Zufall und vom Autor nicht beabsichtigt.
Unerlaubte Vervielfältigung, Verletzungen gegen das Urheberrecht oder das Verwenden von Buchinhalten zu unautorisierten Zwecken werden vom Rechteinhaber zur Anzeige gebracht.
Informationen über die Berrá Chroniken und andere Buchprojekte des Autors finden Sie unter www.elrikh.de
„Elrikh aus Bockental“. So nannte ich den Hauptcharakter meiner ersten Hörbücher aus dem Jahr 2008. Es waren Kurzgeschichten die ich als Moderator eines mittlerweile aufgelösten Internet-Radiosenders vorlas. Immer nur ein paar Absätze und dann habe ich passend zum Geschehen, die verschiedensten Musikstücke eingeflochten. Elrikhs erstes Abenteuer war noch recht simpel gestrickt und dennoch kamen bereits Charaktere vor, welche in den späteren „Berrá Chroniken“ zu wichtigen Hauptfiguren heran reiften. Rahbock der Weise, Wolkenbrecher der Riesenadler, Kabuji die Federfee, Nassiehm der TotenVERgräber. Sie alle wurden in meinem ersten Hörbuch zum Leben erweckt.
Dieses Buch basiert auf der zweiten Geschichte, welche ich wenige Monate später schrieb und ebenfalls im Radio vorlas. Dieses Mal hatte die Geschichte mehr Struktur und war darauf ausgelegt ein Mehrteiler zu werden. Doch so weit kam es nicht. Unser Radio stellte den Betrieb ein und ich dachte schon, dass ich niemals mehr eine Zeile über Elrikh schreiben würde.
Ende 2008 fasste ich mir schließlich ein Herz, nahm all meinen Mut zusammen und begann damit „Blutlinie der Götter“ zu schreiben. Dieses Buch sollte direkt an mein letztes Hörbuch anknüpfen und Elrikhs Abenteuer erzählen. Das Buch wurde länger und länger. Unzählige Charaktere, Schauplätze und Ereignisse wurden geboren. Ich wollte Berrá mit allem ausstatten was es brauchte um für den Leser so authentisch wie möglich zu sein. Sprache, Speisen, eine Zeitrechnung, Götter, Helden, Bösewichte, Kontinente, Tiere, Monster und Magie. Meine Geschichte sollte alles haben. Schnell wurde mir klar, dass ein Buch allein nicht reichen würde um alles zu erzählen was ich wollte. So wurden es letztendlich vier Bücher mit insgesamt mehr als zweitausend Seiten. Und immer noch gab es vieles was noch erzählt werden musste. So arbeitete ich während des dritten Bandes „Sturm der Läuterung“, bereits an einer meiner ersten Kurzgeschichten. „Der TotenVERgräber“ hat den Auftakt einer weiteren Berrá Buchreihe gebildet, in welcher ich gezielt über einzelne Personen und Ereignisse schreiben wollte. „Meister aller Trolle“ folgte rasch und ist zeitlich gesehen weit vor allen anderen Büchern anzusiedeln.
Nachdem ich mit „Der Dunkelgott“ den vierten und vorerst abschließenden Band der Berrá Chroniken schrieb, wollte ich den Lesern das geben, was sie offensichtlich brauchten. Ihre Lieblingsfiguren als Mittelpunkt einer ganzen Geschichte. Da ich es nicht für sinnvoll hielt, mein allererstes Hörbuch zu Papier zu bringen, da es keinen Bezug zu „Blutlinie der Götter“ hatte, begann ich mit dem Prequel zu ebengenannten. „Elrikh aus Bockental“ ist eine ausführliche, erweiterte und liebevoll geschriebene Geschichte, die den Lesern der Berrá Chroniken erzählen soll, wie der Zimmermann es zu Beginn von „Blutlinie der Götter“ überhaupt auf das Schiff Sturmtaucher gebracht hat. Im ersten Kapitel hatte ich Elrikhs Erlebnisse damals in wenigen Sätzen zusammengefasst und viele Leser mit Unverständnis und Verwirrung zurückgelassen. Dies soll sich mit diesem Buch nun ändern. Begleitet Elrikh auf seiner Reise und erfahrt, wie er in die Ereignisse von Band 1 der Berrá Chroniken verwickelt wurde.
Viel Spaß beim Lesen.
Kleines Extra für Interessierte!
Wie kam ich auf den Namen „Elrikh“? Wie einige vielleicht wissen, war ich 2004 der Mitbegründer einer Gothic Rock Band mit dem Namen Herbstschmerz. Als unser damaliger Grafiker ein paar Entwürfe für unseren Namenszug vorstellte, entschieden wir uns einstimmig für die Schriftart „Elric“. Ich fand diesen kleinen Insider sehr lustig als ich damit anfing meine Kurzgeschichten für das Radio zu schreiben und so entschied ich mich, meine Hauptfigur nach dem Namen dieser Schriftart zu benennen. Erst als ich Ende 2008 damit anfing ein richtiges Buch zu schreiben, gefiel mir der Gedanke nicht, dass mein Hauptcharakter wie eine Schriftart hieß. Da man meine bisherigen Geschichten nur als Hörbuch kannte, beließ ich es bei dem Namen, änderte jedoch die Schreibweise in „Elrikh“. So wurde der Name des Zimmermanns geboren.
Ein einfacher Zimmermannsgeselle. Das war er. Kein Held. Kein Ritter. Kein Zauberer. Kein Gelehrter. Nur ein einfacher Zimmermann mit einem Hang zum Reisen. So sah Elrikh sich selbst. Und so sahen ihn auch seine Eltern. Der junge Mensch hatte im vergangenen Jahr das erste Mal sein vertrautes Tal verlassen um sich die Ländereien seiner Heimat anzusehen. Viel hatte er gesehen in diesen Tagen. Einiges war gut. Einiges war weniger gut. Er traf auf dieser Reise so manch seltsame Gestalt und erlebte viele Abenteuer. Damals suchte Elrikh nach dem Sinn des Lebens und wurde schließlich fündig als er ein Reggitdorf im Osten Obarus erreichte. Der Riesenadler Wolkenbrecher trug ihn über das Ostgebirge und brachte ihn zu Rahbock dem Weisen. Der alte Mann hatte sich in das Dorf der Reggits zurückgezogen um dort ein einfaches und sorgenfreies Leben zu führen. Obgleich Rahbock dem jungen Reisenden nicht den Sinn des Lebens offenbaren konnte verhalf er ihm zu einigen wichtigen Erkenntnissen. So konnte Elrikh seine Suche beenden und sich wieder seinem Leben im Bockental widmen. Er arbeitete bei seinem Meister und half dabei zahlreiche Schiffe, Häuser, Karren und andere Dinge zu bauen. Es erfüllte ihn mit einem stolzen Gefühl etwas Bleibendes erschaffen zu haben. Elrikhs Eltern waren froh ihren Sohn wieder als Zimmermann arbeiten zu sehen. Gethela und Bemahr missfiel der Gedanke, dass er sich zu einem Abenteurer entwickeln könnte der ziellos umherwanderte ohne einer festen Arbeit nachzugehen. So ermutigten sie ihren Sohn noch für zwei Jahre in ihrem Haus zu wohnen, um etwas Geld anzusparen, ehe er seine Jugendliebe ehelichen und eine eigene Familie gründen würde. Elrikhs Vater Bemahr, war einer der angesehensten Jagdführer im ganzen Tal. Kaum eine andere Gruppe brachte so viel Beute von ihren Ausflügen mit wie die seine. Das Wildfleisch war sehr gefragt und bescherte der Familie ein gutes Einkommen. Gethela bewirtschaftete unterdessen den Hof und betrieb Handel mit ein paar Familien im Dorf. Das Haus von Elrikhs Familie befand sich ein wenig außerhalb der Dorfgemeinschaft. Zum Besitz gehörten zwei große Felder mit Weizen und Gemüse, ein kleiner Obsthain und ein Hang an welchem Kühe und Schafe grasten. Elrikh und Bemahr verbrachten viel ihrer gemeinsamen Zeit damit den Zaun des Guts auszubessern. Doch dies war für den jungen Zimmermann keinesfalls eine unangenehme Arbeit. Er genoss die Zeit mit seinem Vater und manchmal hatte er sogar den Eindruck, dass sie Zaunteile austauschten die eigentlich noch gut waren, nur damit Bemahr einen Vorwand hatte um mit seinem Sohn alleine zu sein. Doch so sehr er seine Heimat auch liebte, ließen Elrikh die Gedanken an sein vergangenes Abenteuer in der Fremde nicht los. Und ohne sich dessen bewusst zu sein, lockte ihn sein Geist erneut dazu, das Tal zu verlassen und auf Reisen zu gehen.
An diesem Abend saß Elrikh am Fuße der alten Windmühle und blickte in Richtung der untergehenden Sonne. Die gebrochenen Flügel standen schon seit Jahren still. Ein Sturm hatte der Mühle damals schwer zugesetzt und die Dorfbewohner hatten bisher keinen Sinn darin gesehen sie wieder herzurichten. Dazu gab es zu wenige Bauern die Weizen anbauten. Sie alle benutzten die große Wassermühle im Dorf um ihr Mehl zu malen. So wurde die Mühle auf dem Südhügel sich selbst überlassen. Von Zeit zu Zeit fanden Reisende hier Schutz vor der Nacht. Doch niemand blieb lange genug um sich häuslich einzurichten. Elrikh träumte schon seit längerem davon sie zu reparieren und dann ein großes Weizenfeld anzulegen um die Mühlsteine mit Nahrung zu versorgen. Doch dieses Unterfangen musste noch ein wenig warten. Sein Meister hatte vor kurzem den Auftrag erhalten mehrere große Schiffe zu bauen. Der Auftraggeber hatte dem Zimmermannsmeister eine stolze Summe gezahlt wenn dieser ihm bis zum Ende des nächsten Monats zehn große Koggen baute. Ein Unterfangen das nahezu unmöglich schien. Meister Juhnor hatte einige Dörfler als zusätzliche Arbeiter angeheuert. Und auch Brunal, der Schmied, half mit seinen Leuten aus. Sogar in der Nacht wurde gearbeitet. Im Lichte von zahlreichen Feuern bemühten sich die Arbeiter ihre Müdigkeit zu vergessen und die Schiffe fertig zu stellen. Entgegen dem äußeren Eindruck war Elrikh trotz des gewinnbringenden Auftrags jedoch alles andere als zufrieden. Jede Nacht wälzte er sich im Bett herum und dachte an die Ländereien jenseits des Tals. Er wollte sie noch einmal besuchen. Er wollte noch weiter gehen als letztes Mal. Andere Dörfer besuchen, große Städte ansehen und fremde Orte erforschen. Seitdem seine Eltern ihm das Versprechen abgenommen hatten noch für zwei weitere Jahre als Zimmermann zu arbeiten, um dann Limar heiraten zu können, spürte er eine innere Leere. Er liebte Limar. Bei dem Gedanken sie zur Frau zu nehmen ging eine Woge des Glücks durch seinen Körper. Und dennoch spürte Elrikh, dass er das Bockental nie mehr verlassen würde um sich die Welt anzusehen, wenn er es nicht bald tun würde.
„Du träumst schon wieder.“ Elrikh schreckte zusammen, entspannte sich jedoch sofort wieder als sein Herz die säuselnde Stimme der überraschenden Besucherin erkannte. Nussbraune Haare, die einen leichten Rotschimmer hatten, umrahmten das schönste Lächeln welches er jemals gesehen hatte. Er blickte in das strahlende Antlitz seiner geliebten Limar, die sich einen Spaß daraus machte den Zimmermann erschreckt zu haben. „Kein Wunder, dass Meister Juhnor nicht mit seinen Schiffen fertig wird wenn sein bester Mann hier rumsitzt und Löcher in die Luft starrt.“
„Ich dachte du freust dich über ein gemeinsames Essen. Oder wäre es dir lieber wenn ich bei den anderen wäre um Planken zu sägen und Ruder zu schnitzen?“
Limar lachte und stellte einen großen Weidenkorb vor sich ab.
„Die Einladung wäre vielleicht noch romantischer gewesen wenn nicht ich das Essen hätte kochen müssen zu dem du mich eingeladen hast.“
„Ich wollte dir damit nur zu verstehen geben wie sehr ich deine Kochkunst schätze.“
Limar gab ihrem Liebsten einen Kuss auf die Wange und begann sogleich damit mehrere kleine Bündel aus dem Korb zu holen.
„Das Brot ist noch ganz warm. Ich habe es gerade erst aus dem Ofen geholt. Und die Wurst ist auch gut abgehangen.“
Elrikh sog die Luft ein und grinste schelmisch.
„Mmmh. Terusische Rinderwurst. Weiß Olpa, dass du an seinen geheimen Vorräten warst um uns ein Picknick zu bereiten?“
„Großvater isst ohnehin zu viel von dieser Wurst. In seinem Alter sollte er schweres Essen und starken Wein vermeiden. Aber er hört ja nicht auf mich.“
„Du solltest nicht zu streng mit ihm sein. Nachdem er tagtäglich die Kinder des Dorfes mit Geschichten unterhält hat er sich ein gutes Essen mehr als verdient.“
Limar band ihr dickes Haar zu einem Zopf und bedachte Elrikh dabei mit einem auffordernden Blick.
„Lass uns nicht mehr über Olpa reden. Vielleicht bemühst du dich stattdessen mal den Wein aufzumachen und uns einzuschenken. Keine Sorge. Es ist milder Beerenwein. Ich weiß ja, dass du den anderen nicht magst.“ Sie legte sich auf die erwärmte Erde und atmete hörbar aus. Es war nicht zu übersehen, dass Limar einen anstrengenden Tag hinter sich hatte und weder Zeit zum Essen noch zum Ausruhen gefunden hatte. Träumerisch blickte sie zum Himmel empor. Das kräftige Blau war beinahe vollständig verschwunden und hatte einem rosa Schleier Platz gemacht. „Herrlich. Auf diesen Anblick habe ich mich schon den ganzen Tag gefreut. Es gibt nichts Schöneres.“
Plötzlich schob sich Elrikh mit einem gewinnenden Lächeln zwischen Limar und die malerische Aussicht.
„Nett, dass du das so sagst. Ich habe mich auch schon auf dich gefreut.“
Sie grinste und schob seinen Kopf beiseite.
„Schlaumeier. Mach lieber ein Feuer und lass mich die Aussicht genießen solange sie noch da ist.“
Elrikh lachte und machte sich sogleich daran im windgeschützten Unterbau der Windmühle ein Feuer zu entfachen. Er suchte ein paar Zweige zusammen und bereitete eine kleine Feuerstelle vor in der das trockene Holz gemächlich vor sich hin knisterte. Limar genoss noch eine Weile den Anblick der untergehenden Sonne, fasste sich aber schließlich ein Herz und richtete das Essen an. Elrikh ließ sich neben ihr nieder und schielte auf das appetitlich aussehende Mahl. Wurst, Käse, frisches Brot, Trauben und milder Wein lachten den Zimmermann regelrecht an. Doch kein noch so verführerisches Essen konnte es mit dem strahlenden Blick aufnehmen den Limar ihm in diesem Augenblick schenkte.
„Hättest du vor ein paar Jahren gedacht, dass wir heute zusammensitzen und uns bei einem guten Essen und einer Flasche Wein von unserem anstrengenden Tag erzählen?“
„Sicherlich nicht“, gab sie überzeugt zurück und nippte am Wein. „Du hattest damals nichts als Unsinn im Kopf. Wenn ich nur daran denke wie oft du und deine Freunde in Schwierigkeiten geraten seid. Ihr habt Pferde gestohlen um damit zur Küste zu reiten. Dort habt ihr Fischerboote genommen und seid gleich auf der ersten Sandbank aufgelaufen. Du kannst von Glück reden, dass dein Vater dir damals nicht den Hintern versohlt hat. Verdient hättest du es.“
„Er mich nur verschont weil uns der Fischer dem das Boot gehörte mit einer Rute verdroschen hat. Und anschließend mussten wir wieder zur Sandbank schwimmen und das Boot zurückholen. Und für die gestohlenen Pferde mussten wir fast ein ganzes Jahr bei dem Bauern auf dem Feld arbeiten.“ Elrikh schob sich ein Stück der terusischen Wurst in den Mund und genoss den würzigen Geschmack des Räucherfleisches. „Außerdem solltest du nicht mit dem Finger auf mich zeigen. Soweit ich weiß warst du auch nicht ganz unschuldig. Oder entspricht es etwa nicht der Wahrheit, dass du und deine Freundinnen des Nachts beim Schneider erwischt wurdet wie ihr sein Lager durchwühlt habt? Ich habe gehört ihr wolltet Kleider anprobieren und dabei habt ihr…“
„Schon gut“, unterbrach Limar den schmatzenden Elrikh. „Lass uns von anderen Dingen sprechen.“ Sie füllte seinen Becher auf und schenkte sich selbst auch noch etwas nach. „Olpa hat gesagt, dass ein alter Freund von ihm ein Stück Land im Osten des Tals besitzt das er verkaufen will. Ein schönes Anwesen mit einer großen Hütte und die Erde soll gut für den Ackerbau geeignet sein.“
„Aha“, war alles was Elrikh erwiderte.
Der Zimmermann bemühte sich den direkten Blickkontakt mit Limar zu vermeiden. Er nahm einen großen Schluck Wein und betrachtete das rote Traubenblut dabei wie es im Becher hin und her schwabbte so als hätte er noch nie etwas Vergleichbares gesehen.
„Ist das alles was du dazu zu sagen hast?“
Elrikh seufzte und stellte den Becher ab. Er wusste was Limar hören wollte. Und obgleich sie sein Herz schon lange erobert hatte konnte er die erwarteten Worte nicht über die Lippen bringen.
„Ich habe meinen Eltern versprochen…“
„Schieb jetzt nicht deine Eltern als Ausrede vor. Deine Mutter würde es lieber heute als morgen sehen, dass wir… Du weißt schon.“
Elrikh schüttelte unverständig den Kopf.
„Da hast du es. Du kannst es ja noch nicht einmal aussprechen. Und doch erwartest du, dass ich dir hier und jetzt…“ Eine beklemmende Stille setzte ein. Elrikh ergriff die Hand seiner Liebsten und blickte ihr tief in ihre wunderschönen brauen Augen. „Du weißt was ich für dich empfinde, Limar. Und du weißt, dass ich den Rest meines Lebens mit dir verbringen will. Aber… Es ist noch zu früh. Ich muss…“
„Bemühe dich nicht!“ Limar sprang auf und stieß dabei ihren Becher um. „Offenbar weißt du nicht was du wirklich willst, Elrikh. Also gebe ich dir die Zeit es rauszufinden.“
Sie drehte sich um, ohne noch ein weiteres Wort zu verlieren und ließ den Bockentaler alleine am Feuer zurück. Elrikh setzte seinen Weinbecher an die Lippen, stellte ihn dann jedoch wieder ab. Sein Blick wanderte zum Lagerfeuer in dem bereits die letzten Zweige verbrannten. Ein kurzer Windhauch ließ die Glut aufleuchten.
„Was für ein Abend. Und dafür habe ich Meister Juhnor den halben Tag bekniet damit ich heute Nacht nicht arbeiten muss.“
Er warf noch ein paar Zweige in die Flammen und bemühte sich das Feuer wieder anzufachen. Wieder blickte er über den Horizont. In seinem Geiste sah er den Steinwald vor sich. Jenen Ort an welchem er Kabuji der Federfee begegnet war. Zwischen den hohen Bäumen dieses Waldes standen Ruinen aus alter Zeit und ließen erahnen wie es damals auf Obaru ausgesehen haben mochte. Er dachte an Nassiehm den TotenVERgräber und wie dieser ihm ein Lied über das Dasein der Toten gesungen hatte. Der kleine alte Mann strahlte etwas Seltsames aus. Elrikh hatte das Gefühl in ihm einen alten Freund zu sehen. Und dass obwohl er ihn damals zum ersten Mal traf. Er dachte an Wolkenbrecher und Rahbock. An den Flug über das Ostgebirge und sein Besuch bei den Reggits. Und je länger er so dasaß wurde ihm bewusster, dass er das Tal erneut verlassen musste. Bevor er an ein Leben mit Limar als Ehefrau, einen eigenen Hof und eine eigene Familie denken konnte, musste er seinem inneren Wunsch nachgeben und noch einmal ausziehen um das Land zu bereisen. Elrikh konnte nicht sagen was ihn dazu trieb. Aber in seinem Inneren war irgendetwas1010 das ihn dazu brachte das Bockental zu verlassen. Ein unerklärlicher Drang. Ein stiller Ruf. Ein lockendes Gefühl. Er konnte es nicht anders beschreiben. Aber er wusste, dass er keine Ruhe finden würde ehe er diesem Ruf nicht nachging. Und so fasste er noch in dieser Nacht den Entschluss das Tal mit den ersten Strahlen des neuen Morgens zu verlassen.
Elrikh blieb noch eine ganze Weile an der alten Mühle sitzen. Weil die Sonne inzwischen gänzlich vom Himmel verschwunden war, hatte er eine Laterne entzündet, welche ein angenehm beruhigendes Licht von sich gab. Die Kerzenbehausung hatte schon viele Nächte gesehen. An einigen Stellen war das Glas sehr trüb geworden. Und eine Seite musste Elrikhs Vater schon vor längerer Zeit ersetzen. Da reines Glas etwas sehr Kostbares war, hatte Bemahr verschiedene kleine Scherben genommen um der Laterne wieder ein vollständiges Aussehen zu verleihen. So kam es, dass Elrikh im Schein der bunten Laterne saß und auf das Tal hinabblickte. Insgeheim hoffte er, dass Limar ihm verzeihen und zurückkommen würde um das gemeinsame Picknick zu beenden. Doch irgendwann musste er schließlich einsehen, dass es keinen Sinn mehr machte zu warten. Langsam und sorgfältig packte er die leckeren Speisen und den restlichen Wein wieder in den Weidenkorb, welchen Limar so liebevoll vorbereitet hatte. Gerade als er sich auf den Heimweg machen wollte, fiel sein Blick auf ein paar violette Feenglöckchen. Es waren Limars Lieblingsblumen. Dass sie hier an der Mühle wuchsen war kein Zufall. Als Elrikh vor ein paar Jahren erfuhr wie sehr sie diese Blumen mochte, pflanzte er mehrere Büschel des süßlich duftenden Gewächses rings um die Mühle ein. Er hoffte, dass sie sich früher oder später an diesem Platz über den Weg laufen und sich näher kommen würden. Der Zimmermann schmunzelte. Er hatte Limar niemals von dieser kleinen List erzählt. Er griff in seine Tasche, zückte ein handliches kleines Messer hervor und schnitt ein paar der Feenglöckchen ab. Sofort stieg ihm ihr bestechender Duft in die Nase. Er legte die Blumen zu den anderen Dingen in den Weidenkorb, griff sich die bunte Laterne und machte sich auf den Weg zurück ins Dorf.
Es dauerte nicht lange bis er an den ersten Häusern vorbeikam. Um diese Jahreszeit waren die Tage sehr lang und die Bauern nutzen dies aus um lange auf den Feldern arbeiten zu können. Auch die anderen Dorfbewohner gingen ihrem Handwerk noch bis in die späten Abendstunden nach. Doch mit der Dunkelheit kam dann auch ihre wohlverdiente Nachtruhe. In den Randbezirken des Dorfes lagen die Häuser ein wenig weiter voneinander entfernt. Außer ein paar schemenhaften Umrissen auf einer Veranda oder an einer Feuerstelle, konnte Elrikh niemanden erkennen. Dennoch glaube er ein paar Mal zu sehen, wie jemand seine Hand zum Gruß hob. Der Zimmermann erwiderte die nachbarschaftliche Geste in der Vermutung, dass man ihn an seiner bunten Laterne erkannt hatte.
Das Summen vieler Bienen zeigte ihm an, dass er am Gehöft von Balinda vorbeizog. Die freundliche alte Dame wurde von den Kindern des Dorfes nur Honigfrau genannt. Balinda versorgte die ganze Gemeinschaft mit der goldenen Köstlichkeit. Und nicht nur die Kinder erfreuten sich an ihren süßen Leckereien. Auch die Erwachsenen suchten ihren Marktstand auf um dort Honigwein und süßen Schnaps zu kaufen. Elrikh selbst war dem Honig zwar auch nicht abgeneigt, allerdings
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: René Pöplow
Bildmaterialien: René Pöplow
Lektorat: keines
Tag der Veröffentlichung: 07.05.2016
ISBN: 978-3-7396-5259-7
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Dieses Buch widme ich jenen Menschen die mich bereits seit so vielen Jahren in meinem Tun unterstützen. Den Hörern meiner damaligen Radiosendungen, den Lesern meiner Bücher, dem Publikum der Mogeltrolle und allen anderen die mir ihr Vertrauen schenken indem sie meinen Werken eine Chance geben. Ihr haltet die Welt Berrá am Leben. Dafür bin ich dankbar.