Cover

Die Berrá Chroniken

 

Der Dunkelgott

 

René Pöplow

 

 

 

 

 

 

Gewidmet

Horst Nadolski

 

Meinem Freund, meinem Trainer, meinem Mentor, meinem zweiten Vater. Du warst immer ein Kämpfer. Niemals hast du aufgegeben. Es vergeht kaum ein Tag an dem ich nicht an dich denke. Ich kann nur hoffen, dass du weißt was du mir bedeutet hast. Als viele mich aufgegeben haben hast du zu mir gehalten. An unsere gemeinsame Zeit werde ich immer mit einem Lächeln zurückdenken. Bis wir uns in den goldenen Hallen wiedersehen.

Der Autor

 

René Pöplow, geboren 1980 in Hannover.

Der Dunkelgott“ ist mein viertes großformatiges Buch, welches den Berrá Chroniken zugehörig ist.

Als Musiker war ich Mitbegründer der Gothic Rock Band Herbstschmerz welche sich Ende 2011 auflöste. Zwischenzeitlich schwang ich auch bei der Heavy Metal Gruppe Storykeeper die Drumsticks. Nach dem Ende von Herbstschmerz wechselte ich von den Drums zur akustischen Gitarre und zum Gesang um meine Berrá Chroniken auch in musikalischer Form umzusetzen. Unter dem Namen Die Mogeltrolle habe ich bereits zwei Tonträger veröffentlicht und auch als Straßenmusiker und in kleineren Lokalen bringe ich meine Lieder unter das Volk.

Impressum

 

1. eBook Auflage 2015

© René Pöplow

Sämtliche Rechte liegen beim Autor.

Illustrationen: Sarah Bergmann

 

 

Ähnlichkeiten mit toten oder noch lebenden Personen, sowie geschichtlichen Ereignissen sind Zufall und vom Autor nicht beabsichtigt.

Unerlaubte Vervielfältigung, Verletzungen gegen das Urheberrecht oder das Verwenden von Buchinhalten zu unautorisierten Zwecken werden vom Rechteinhaber zur Anzeige gebracht.

 

Informationen über die Berrá Chroniken und andere Buchprojekte des Autors finden Sie unter www.elrikh.de

Vorwort

 

Beinahe sieben Jahre sind vergangen. Vor sieben Jahren schrieb ich die ersten Zeilen für „Blutlinie der Götter“, nicht ahnend, dass ich damit den Grundstein einer ganzen Reihe legte. Mein Anspruch, eine rundum vollständige und in sich schlüssige Geschichte zu erzählen, wuchs mit jedem Band. Und meine Leser bestätigten mich in meinem Gefühl, dass die Berrá Chroniken mit jedem weiteren Werk wuchsen. Nicht nur an Umfang und Inhalt. Sondern auch an Anspruch und Qualität. „Der Dunkelgott“ hat große Erwartungen zu erfüllen. Und auch wenn sich einiges vielleicht anders entwickelt hat, als ihr es euch gedacht habt, wird dieses Buch euch hoffentlich bis zum Ende fesseln. Doch wer weiß schon was das Ende ist?

 

Prolog

 

Schmerzen. Schmerzen hatte sie in ihrem Leben erfahren. Schmerzen hatte sie anderen zugefügt. Schmerzen waren Teil ihrer Seele geworden. In den Jahrtausenden, die sie nun schon auf Berrá gewandelt war, hatte sie mehr Leben genommen als sie sich jemals erinnern könnte. Das Leid ihrer Opfer war ihr gleich. Sie tat was sie tun musste. Töten, Verletzten, Foltern. Sie kannte keine Grenzen. Von den besten und ältesten Lehrmeistern des Tränengebirges wurde sie unterrichtet. Die Schattenelfen des hohen Geschlechts hatten sie in eine Waffe verwandelt. In eine unbezwingbare Naturgewalt. In eine Gewalt welche entfesselt wurde um Blut zu vergießen. Ausgeschickt einen Menschenjungen zu töten, damit dieser nicht vom Dämon der jenseitigen Welt verführt werden konnte, war es das erste Mal in ihrem Leben als Schattenkriegerin, dass sie ihre Mission nicht erfüllen konnte. Sie hatte versagt. Alkeer stürzte in den Abgrund und entzog sich der Welt der Lebenden. Sie fürchtete um den Tag, an welchem er zurückkehren würde. Besessen von dem schwarzen Zauber der Unterwelt und bereit dem Dunkelgott neues Leben zu verleihen indem er seinen Samen in ein Wesen des Lichtes pflanzt. Sie sollte dieses Wesen sein. Jemand wollte sie in die Fänge der menschlichen Verräter treiben um Ozanuhl auferstehen zu lassen. Doch die Verräter fanden ein jähes Ende als sie selbst nach der göttlichen Macht griffen. Das Schattenkind versuchte den Pfad des Todes zu verlassen. Sie wollte mit aller Macht an das Gute in den Menschen glauben und gemeinsam mit ihren neuen Gefährten die Welt Berrá vor der Dunkelheit bewahren. Und dann kam er. Ein Sohn der Wüste. Verblendet vom falschen Glauben und gierig nach dem Thron der Menschen, schenkte er der Kriegerin diese eine Sache. Jene Sache, welche schon immer ihr Leben bestimmt hatte. Schmerzen. Unendliche Schmerzen. Scharfe Klingen, spitze Nadeln, glühende Eisen, ätzende Säuren. Sie liebkosten ihr Fleisch und brandmarkten sie auf ewig. Doch der Wüstensohn tat mehr, als nur den Körper seines Opfers zu schänden. Er brach ihre Seele. Mit jedem Schnitt und jedem Stich, lobpreiste er den Göttervater Zinakyl. Jenen Gott, für welchen sie ihr ganzes Leben gekämpft hatte. In seinem Namen hatte sie getötet und gefoltert. Und in seinem Namen, hatte nun auch sie ihre Läuterung erfahren müssen.

Seit jener Nacht, umfing Dunkelheit ihren Geist. Unfähig zu sprechen oder sich zu bewegen, lag sie blind, taub und stumm in der Finsternis und fragte sich ob dies ihr Leben nach dem Tod sein sollte. Erst als sie den Geschmack ihres eigenen Blutes auf der Zunge spürte, wusste sie, dass es noch nicht vorbei war.

Der Dämon des Dunkelgottes

 

Die Maske des Dunkelgottes ist das Bindeglied zwischen der Unterwelt und der Welt der Lebenden. Sie ist Ozanuhls Anker auf Berrá. Er spricht durch die Maske zu all jenen, die sich leicht verführen lassen. Er bietet ihnen Macht, Reichtum, Unsterblichkeit. Wer ihm einmal verfällt, wird sich nie mehr der Ketten dieses Martyriums erwehren können. So ist auch der Auserwählte in den Bann des Dunkelgottes gefallen. Der Menschenjunge mit Namen Alkeer, wird vom Dämon gelenkt, welcher in der Maske ruht und die Wiedergeburt Ozanuhls herbeiführen soll. Der Dämon ist gebunden an die Maske und ist nicht imstande feste Gestalt anzunehmen. Deswegen muss Alkeer für ihn handeln. Beseelt mit der dunklen Macht, ist er darauf aus die Welt der freien Völker zu unterwerfen, damit er ein Wesen der reinen Lichtmagie schänden, und so dem Dämon zu einem neuen Körper verhelfen kann. Isamaria ist der einzige Ort, welcher einem Außenstehenden den Weg nach Vinosal eröffnen kann. Der verborgene Kontinent der Elfen ist das, was der Dämon begehrt. Dort kann er seine Widergeburt herbeiführen.

Den Menschenjungen Alkeer zu töten, wird Ozanuhls Schatten nicht für ewig vertreiben können. Nur wenn die Maske zerstört und damit seine Verbindung zur irdischen Welt abgeschnitten wird, kann man das Übel an der Wurzel packen und es für immer ausrotten. Doch dazu bedarf es einer Gemeinschaft, welche es so, noch nie gegeben hat.

Aufzeichnung aus Isamaria

Unbekannte Zeit

Unbekannter Verfasser

Der Weg nach Osten

 

Der Meldereiter hatte Boemborg gerade noch rechtzeitig erreicht. Mit großen Signalfeuern konnte er den Nordmann vor der westlichen Küste Obarus abfangen und ihm von dem Waffenstillstand mit den Nomaden berichten. Boemborg wollte zuerst nicht glauben was er hörte. Aber nachdem ihm seine Späher die Aussage des Boten bestätigen konnten, akzeptierte er die Wahrheit schließlich. Almereth war gefallen und seine Soldaten suchten nun ihr Heil in der Flucht. Boemborg interessierte sich nicht für weitere Einzelheiten. Ihm ging es nur noch darum seine Männer wieder in heimische Gefilde zu bringen. Seine Flotte war nicht in der Lage auf direktem Wege in den Norden zurückzukehren. Dazu war die Strömung zu stark. Bei ihrem Ausweichmanöver in Richtung des offenen Meeres verloren sie zwar einen ganzen Tag aber alles war dem Nordmann lieber als sich den Wüstenhunden noch weiter zu nähern. Boemborg wusste wozu fliehende Soldaten in der Lage waren. Und diese sollte man keinesfalls unterschätzen. Nach allem was der Bote und seine Späher ihm berichten konnten, lagerten immer noch über zwanzigtausend Nomaden an der Westküste. Und ohne eine Führung konnte nun alles passieren. Sie konnten Obaru verlassen und nach Talamarima zurückkehren. Aber genauso gut wäre es möglich, dass sich größere Splittergruppen vom Hauptheer entsagten und mit Gewalt nahmen was ihnen ihrer Meinung nach weiterhin zustand. Der blonde Nordmann hatte schon früher gegen die Nomaden gekämpft. Damals waren sie gierige Wilde, die raubend und plündernd in seine Siedlungen eingefallen waren. Sie versuchten die abgelegenen Dörfer seines Volkes zu versklaven und zu läutern. Doch die Menschen des Nordens waren stark. Sie vertrieben die Wüstensöhne und gingen ein Bündnis mit Isamaria ein. Diese Allianz hatte die Nomaden für viele Jahre abgeschreckt. Doch die Machtgier des Fürsten Almereth war größer als die Angst vor dem Bündnis der freien Völker. Wenn der Stammesführer wirklich den Tod gefunden hätte, könnte dies eine einmalige Gelegenheit darstellen. Man könnte die Wüstenhunde ein für alle Mal vernichten. Doch Boemborg konnte dies nicht alleine vollbringen. Es galt den hohen Rat der Wolkenstadt zu überzeugen.

Am Morgen des zweiten Tages ihrer Rückreise, traf die Flotte auf ein einzelnes Schiff welches weder den Nomaden noch den Valantariern zugehörig schien. Boemborg schaute angestrengt durch den Fernblick und suchte nach Hoheitszeichen. Der ungepflegte Zustand der Schiffswand ließ den Nordmann schnell vermuten, dass es sich hierbei um ein Söldnerschiff handeln musste. Dies wiederum, weckte seine Neugier.

Jeder Söldner und jeder Pirat sollte inzwischen vom Krieg auf Obaru wissen. Keiner der bei Verstand ist, würde sich so nah an die westlichen Gewässer wagen, wenn er nicht einen verdammt guten Grund dafür hätte.

„Steuermann, dreh bei! Rafft die Segel! Ich will sehen ob diese Verrückten abdrehen oder ihren Kurs in unsere Richtung halten.“

 

Die Verrückten drehten nicht ab. Doch das war nicht die einzige Überraschung, welche Boemborg erwartete. Der Kapitän des Schiffes war ihm nicht unbekannt. Brook dá Cal hatte in der Vergangenheit regen Handel mit einigen Siedlungen der Nordmänner betrieben. Niemand zweifelte daran, dass es sich stets um unrechtmäßig erworbene Waren handelte die der Freibeuter ihnen brachte. Aber seine niedrigen Preise ließen diesen Umstand schnell vergessen. Doch es war keinesfalls Brook selbst, der den Nordmann so in Erstaunen versetzt hatte, sondern einer seiner Passagiere. Noch während Boemborg die Hand zum Gruß erhob schritt ein gewaltiger Schatten hinter den Segeln der Wellenschneider hervor. Ein Troll von beeindruckender Größe kam auf dem Deck der Piraten zum Vorschein und verlangte den Nordmännern ein ehrfürchtiges Getuschel ab. Die bärtigen Krieger hatten schon öfters mit den Riesen aus dem Dunkelfelsgebirge zu tun. Nicht immer gingen diese Aufeinandertreffen freundlich aus. Oftmals gab es Streitigkeiten wegen der guten Jagdgründe im hohen Norden. Anfangs beschränkte sich das Volk der Nordmannen auf den Fischfang und die Jagd auf kleineren Inseln vor der Küste. Doch mit der Zeit mussten sie immer weiter auf das Festland und schließlich ins Gebirge ausweichen um ihre Siedlungen ernähren zu können. Oft drangen sie dabei in das Reich der Trolle ein. Die Dickhäuter reagierten sehr ungehalten auf die Grenzverletzungen, ließen es aber nie zum Äußersten kommen. Boemborg gehörte nicht zu denjenigen die einen Groll gegen die Trolle hegten. Aber ebenso wenig wollte er seine Leute dem Hunger aussetzen nur weil ein paar führerlose Riesen ihre dicken Bäuche nicht voll genug kriegen konnten.

„Seid gegrüßt“, rief Brook so laut, dass Boemborg aus seinen Gedanken gerissen wurde. „Wie ich sehe segelt ihr Richtung Norden. Ein weiser Entschluss. Wir kommen aus den Hoheitsgewässern von Elamehr und wollen ins Ostgebirge. Wisst ihr ob die Seeroute sicher ist?“

Der Nordmann nickte nur und gab Brook ein Zeichen, dass er gerne auf dessen Schiff kommen würde. Der Freibeuter war einverstanden und reihte sich in die Flotte der Nordmänner ein.

Was sind das nur für Zeiten? Ein Troll an Bord eines Piratenschiffes. Dieser Tage scheint wirklich nichts unmöglich zu sein.

 

Die Wellenschneider sollte noch mehr Überraschungen für Boemborg bereithalten. Zu seiner Verwunderung, schien ein Großteil der Schiffsbesatzung aus Frauen zu bestehen. Der erfahrene Seefahrer erkannte sofort, dass es sich hierbei nicht um typische Frauenzimmer handelte, die ihr Leben auf einem Schiff verbrachten.

Ein Auge immer noch auf den mächtigen Troll gerichtet, reichte Boemborg seinem Gastgeber die Hand und wurde sogleich mit einem Becher Wein begrüßt.

„Ich hätte nicht mit einer Flotte soweit westlich gerechnet. Was treibt euch in das Kriegsgebiet der Nomaden und Valantarier?“

Der Nordmann stieß mit Brook an und nahm einen kräftigen Zug.

„Es ist nicht länger ein Krieg zwischen Valantar und den Sandfressern. Die freien Völker Isamarias sind ausgezogen um den Kontinent zurück zu erobern. Jedenfalls war dies unsere Absicht.“

„War?“, wiederholte Brook verwirrt.

„Ja. Ich gehöre zu den Kommandanten dieses Feldzuges. Unsere Fußtruppen haben das Heer aus Talamarima in der Ebene gestellt und sie das Fürchten gelehrt. Meine Flotte sollte über den Seeweg in Almereths Rücken fallen und ihm den Rest geben. Doch es kam anders.“

Brook ließ kurz den Kopf sinken und blickte dann verzweifelt zu Mart. Der Troll setzte eine ernste Miene auf.

„Euer Heer wurde vernichtet?“, kam es zögerlich von dem Troll.

„Nein. Im Gegenteil. Ein Bote unseres Heerführers hat berichtet, dass die Zentauren und ein großer Trupp der Valantarier unsere Armee unterstützt haben. Sie hielten der Übermacht aus der Wüste stand und verteidigten sich so gut sie konnten. Dann berichteten Späher, dass Almereth mit zwanzigtausend weiteren Soldaten anrückte. Unsere Leute dachten bereits sie wären verloren. Doch anstatt die Ebene zu überrennen, boten die Nomaden einen Waffenstillstand an.“

„Einen Waffenstillstand? Wozu das?“

Boemborg leerte seinen Becher.

„Angeblich haben sie einen neuen Anführer. Und dieser hat die Kampfhandlungen beendet und gesagt, dass er und seine Leute, Obaru so schnell es geht verlassen werden.“

„Seid ihr euch da sicher“, hakte Brook nach. „Warum sollten die Wüstenhunde den Kampf einfach aufgeben?“

Boemborg bemerkte wie einige der Frauen sich näherten. Sie hatten die Worte des Nordmanns vernommen, schienen ihm jedoch nicht zu glauben. Eine junge Frau stellte sich neben Brook und bedachte den Nordmann mit einem durchdringenden Blick.

„Er hat euch belogen. Der Nomade hat euch belogen. Diese Hunde kennen keine Gnade. Sie haben kein Gewissen. Alles was sie wollen ist Zerstörung. Sie wollen die Menschen versklaven und ….“

„Es ist gut“, unterbrach Brook die junge Frau, welche sich immer mehr in Rage redete. Erst als ein paar der anderen Frauen sie wegzerrten, schien sie sich zu beruhigen. Der Pirat schüttelte den Kopf. „Ihr müsst sie verstehen. Die Nomaden haben ihr Dorf überfallen und unvorstellbar gebrandschatzt. Diejenigen, die nicht sofort den Tod fanden, wurden verschleppt und als Sklaven gehalten.“

„Dann gehören diese Frauen gar nicht zu euch?“

„Eigentlich schon. Einer unserer Gefährten kommt aus dem Dorf dieser Frauen. Er hat sie befreit und zu mir aufs Schiff gebracht. Während wir über den Seeweg nach Isamaria segeln reist er durch das Bockental und warnt die anderen Überlebenden des Massakers.“

„Die anderen Überlebenden?“

„Ja. Als die Dorfbewohner verschleppt wurden, trennte man die Männer von den Frauen. Die Männer kehrten ins Dorf zurück um dort auf uns zu warten. Doch nachdem wir die Frauen an Bord nahmen wurden wir gezwungen einen anderen Kurs einzuschlagen.“

Der Nordmann stellte seinen Becher beiseite und schirmte mit seiner Hand den Blick gen Osten ab.

„Der Wind steht günstig und der Himmel ist klar. Wenn ihr euch uns anschließen wollt seid ihr herzlich willkommen. Unser Weg führt direkt zur Küste des Ostgebirges. Auch wenn die Nomaden ihren Rückzug erklärt haben, kann es nichts schaden zusammen zu bleiben.“

Brook blickte erneut zu Mart, welcher ihm ein kurzes Nicken schenkte. Der Seemann seufzte, leerte seinen Becher in einem Zug und suchte anschließend den Blick des Nordmannes.

„Nicht die Nomaden sollten uns Sorge machen. Ein neuer Feind ist im Anmarsch. Und dieser wird nicht so einfach wieder verschwinden.“

Der bärtige Krieger trat näher an Brook heran und sprach mit flüsternder Stimme.

„Was habt ihr gesehen?“

Was Brook dem Nordmann daraufhin erzählte, bestätigte diesen in seiner Annahme. Dieser Tage schien nichts unmöglich zu sein.

Glanzlose Mauern

 

Die Ratshalle war so voll wie schon lange nicht mehr. Seit dem Verschwinden von Levithar und seinen Artgenossen waren die Bauten der Wolkenstadt nicht mehr das was sie früher einst waren. Der Marmor wirkte glanzlos und kalt. Nichts ließ die Besucher ahnen welche Macht einst von diesem Ort ausging und wer schon alles über den steinernen Boden dieser Halle schritt. Rahbock hätte den Versammelten gerne die ganze Pracht dieses Ortes gezeigt. Doch die Sorgen in ihrer aller Herzen schienen sich auf dem Marmor widerzuspiegeln.

Ehe der Weise auf das Rednerpodest schritt, besah er sich seine Zuhörer. Die Ratsherren aus der valantarischen Königsstadt saßen zu seiner Rechten. Lukamas, Vartik und die anderen Lords, bemühten sich ihren Stolz und ihre Würde aufrecht zu erhalten. Niemand wollte wie ein Flüchtling auf den Rat wirken. Viele von ihnen kannten Isamaria nur aus Erzählungen. Trotz der allgemein trüben Stimmung konnte man Ehrfurcht in den Augen der Gäste sehen während sie die Bauten bewunderten. Mathir, Brunal, Trimalia, Adehrmus und der Zentaurenhäuptling Moran zu seiner Linken, hatten Rahbock in den vergangenen Tagen über den Verlauf des Krieges unterrichtet. Sie erzählten von der Schlacht gegen die Nomaden in der Ebene und auch von dem Meldereiter aus Alchor welcher vom Fall der Hafenstadt durch einen neuen Feind berichtete. Über eben diesen Feind wollte Rahbock die heutige Versammlung aufklären. Obgleich sie in der Vergangenheit ihre Unterstützung verweigert hatten, waren auch die Trolle und Sahlets wieder vertreten. Niemand wollte im Unklaren über die neuesten Ereignisse bleiben. Auch aus der Südregion der Wehrmauer waren einige Besucher gekommen. Es handelte sich dabei um allerlei Flüchtlinge aus den verschiedensten Gebieten Obarus. Als Sprecherin hatten sie eine energische junge Frau namens Malda auserkoren. Sie war eine der wenigen Überlebenden aus Elamehr und hatte sich den Respekt ihrer Leute offenbar mehr als einmal verdient.

Rahbock wusste, dass er seine Ansprache nicht länger hinauszögern konnte. Langsam schritt er auf das Rednerpodest zu und ordnete dabei ein letztes Mal seine Gedanken. Das allgemeine Gemurmel erstarb als die Anwesenden seine unsichere Miene erblickten.

„Meine Freunde. Es ist mir kaum möglich euch all das zu sagen was mir in den letzten Tagen zugetragen wurde. Ein Sturm hat unsere Heimat heimgesucht. Und er wütet immer noch. Auf dem ganzen Kontinent geschehen Dinge welche sich unserem Einfluss entziehen und doch unser aller Leben bestimmen werden. So lasst mich damit beginnen euch von der Schlacht in den Ebenen zu berichten.“ Der Weise nahm einen Schluck Wasser zu sich und fuhr fort. „Entgegen all unseren Befürchtungen war es keine Schlacht bis zum letzten Mann. Die Nomaden haben einen Waffenstillstand ausgerufen welchen wir selbstverständlich angenommen haben. Doch bevor es soweit war, fanden tausende von tapferen Kriegern den Tod. Obgleich wir mit den Zentauren und Kommandant Adehrmus unerwartete Verbündete gewannen, mussten wir viel Blut in den Ebenen lassen. Jene Soldaten, welche nicht im Kampf gefallen sind, lagern nun hinter den Wehrmauern. Kommandant Verius hat den Befehl über die Truppen übernommen während Heerführer Mathir in Isamaria verweilt. Wir konnten…“ Rahbock geriet ins Stocken und musste um Fassung ringen. „Wir konnten unsere Gefallenen nicht vom Schlachtfeld bergen. Eine neue  Gefahr hat sich im Süden aufgetan, weswegen wir unsere Überlebenden schnellstmöglich in das Ostgebirge zurückziehen mussten. Soweit uns bekannt ist haben die Nomaden ihre Toten ebenfalls  auf dem Schlachtfeld hinterlassen.“ Bei dem Gedanken daran, dass die Landschaft Obarus mit tausenden toter Soldaten übersät war, ließen viele der Anwesenden einen mitleidsvollen Seufzer hören. Einige neigten sogar ihr Haupt und gaben sich einem stillen Gebet für die Gefallenen hin. Doch Rahbock konnte ihnen keine Zeit mehr zum Trauern geben. Stattdessen musste er die nächste Unheilsbotschaft verkünden. „Die valantarische Hafenstadt Alchor wurde überrannt. Doch es waren nicht die Nomaden welche diese Schandtat begingen.“ Der Weise holte tief Luft. „Die Diener des Einen haben Obaru erreicht.“

Aufschreie, Flüche und allgemeiner Tumult setzten ein. Rahbock konnte gegen den Lärm nicht anreden und wandte sich hilfesuchend an Heerführer Mathir. Dieser schritt zum Weisen auf das Rednerpodest und rief die Versammlung zur Ordnung.

„Diese Nachricht ist natürlich ein Schock für uns alle. Aber vergessen wir nicht, dass wir mit einem Angriff der Druule bereits gerechnet haben. Obgleich sie in großer Zahl unsere Heimat erreicht haben, sind wir vorbereitet.“ Der Blick des Heerführers fiel auf Adehrmus. Der Kommandant aus Alchor war immer noch von einem feigen Anschlag auf sein Leben gezeichnet. Dass seine Heimatstadt dem Erdboden gleich gemacht wurde, schien seinen Zustand noch zu verschlechtern. „Wir haben Boten in alle Teile Obarus geschickt. Jede Stadt, jedes Dorf, jede Siedlung wurde gewarnt. Jene Menschen, welche nicht bereits zu uns geflohen sind um den Nomaden zu entgehen, werden nun den Schutz des Ostgebirges suchen. So haben wir auch einen Boten nach Valantar entsendet. Lord Dukarus ist tot. Und die wahrscheinlich letzten noch lebenden Ratsherren der Königsstadt, sind hier bei uns. Die Chancen stehen gut, dass wir mit den Valantariern ein starkes Bündnis eingehen können.“ Mathirs Blick schweifte hinüber zu den Trollen und Sahlets. „Häuptling Moran hat uns in der vergangenen Schlacht beigestanden. Sind die Völker der Trolle und Sahlets ebenfalls zu diesem Schritt fähig?“

Bonka, der Rudelführer aller Trolle des Dunkelfelsgebirges, erhob sich und blickte auf den Heerführer hinab.

„Eure Worte zeugen von Stärke und Entschlossenheit. Obwohl die Nomaden einen hohen Blutzoll gefordert haben, haltet ihr weiter stand. Sogar die Zentauren sind, trotz aller vorigen Ablehnungen, eurem Heer beigetreten. Es ist beeindruckend zu sehen wie sich die Völker dieses Kontinentes gegen einen gemeinsamen Feind verbünden können. Ich muss es wissen. Denn mein Volk hat einst gegen euch alle gekämpft. Und der Göttervater allein weiß, was aus meinen Leuten geworden wäre, wenn es keinen Frieden gegeben hätte.“ Mathir schöpfte innerlich Hoffnung als er die Worte des Hünen vernahm. „Dennoch hat sich für uns nichts geändert“, fuhr Bonka fort. „Das Volk der Trolle wird nicht an eurer Seite stehen wenn ihr gegen die Druule in den Kampf zieht.“

Wieder erfüllten Rufe und Flüche die Ratshalle. Doch dieses Mal richteten sie sich nicht gegen die neuen Feinde sondern gegen die Verweigerer des letzten Bündnisses. Bonka ließ sich davon jedoch nicht beeindrucken und nahm gelassen wieder Platz. Auch die Verunglimpfungen vom Zentaurenfürst Moran, prallten an dem Troll ab. Mit größter Mühe konnte Mathir die Anwesenden zum Schweigen bringen, damit Meister Rahbock das Wort ergreifen konnte.

„Bonka. Warum verweigert ihr euch einem Bündnis? Habt ihr immer noch nicht begriffen was unserer Welt bevorsteht? Was glaubt ihr wird passieren wenn die Kreaturen der jenseitigen Welt die Reiche der Menschen, Zentauren, Sahlets und der anderen freien Völker, überrannt haben? Glaubt ihr allen Ernstes, sie würden vorm Dunkelfelsgebirge Halt machen?“

Bonka erhob sich noch nicht einmal für seine Antwort. Mit einem süffisanten Blick strafte er den Weisen einen Narren.

„Wir fürchten die Druule nicht, alter Mann. Mein Volk ist stärker als alle Missgeburten dieser Welt zusammen. Der Dunkelfels ist unser Reich. Nichts und niemand wird jemals einen Fuß auf unseren Stein setzen um ihn zu erobern. Wenn ihr nicht fähig seid eure Heimat zu verteidigen, so ist es vielleicht an der Zeit Platz zu machen für diejenigen die dies vollbringen können. Mir ist es einerlei ob ihr über das Ostgebirge herrscht oder die Druule.“

Rahbock tat einen Schritt vor und bedachte den Troll mit einem hasserfüllten Blick.

„Verlasst diese Halle. Ihr seid in Isamaria nicht länger willkommen.“

Bonka und sein Gefolge erhoben sich und schritten gemächlich an der Versammlung vorbei. Bevor er die Halle verließ drehte der Hüne sich für ein paar letzte Worte zu den Anwesenden um.

„Wenn die Druule ihr Werk vollbracht haben, werden wir sie aus dem Gebirge verjagen und es uns zu Eigen machen. Ich freue mich schon auf den Tag an dem ich als Herrscher über diese Stadt zurückkehren werde.“

Die langsam abklingenden Schritte der Riesen wirkten wie ein Sinnbild des sterbenden Ostgebirges. Wie ein verstummender Herzschlag, würde auch Isamaria im Nichts verschwinden.

Es war jene heißblütige junge Frau aus Elamehr, welche Rahbock schon bei anderen Unterredungen überrascht hatte, die die unerträgliche Stille der Ratshalle brach. Sie erhob sich von ihrem Platz und blickte zum Rednerpodest.

„Mein Name ist Malda und ich bin die gewählte Sprecherin jener Flüchtlinge, welche im Süden der Wehrmauer angesiedelt wurden. Die Männer und Frauen, die mir unterstellt sind, mögen keine erfahrenen Soldaten sein aber sie sind bereit den Wall mit all ihrer Kraft zu verteidigen. Wir haben die Befestigungsanlagen weiter ausgebaut, Unterkünfte geschaffen und sogar Ackerbau betrieben, um die Menschen auch weiterhin mit Nahrung versorgen zu können. Beinahe täglich erreichen uns mehr Menschen. Sie kommen aus den Städten, den Tälern und Ebenen. Sie haben Angst. Aber sie sind bereit für ihre Freiheit zu kämpfen. Sie waren es als die Nomaden angriffen und sie werden es auch sein wenn die gottlosen Druule gegen unsere Mauern rennen.“

Der erschöpfte Rahbock schenkte der jungen Frau ein dankbares Lächeln. Die Anwesenden bedachten sie mit zustimmendem Nicken. Dass eine einfache, unbekannte Frau derart viel Hoffnung auf einen Sieg zeigte gab allen ein Gefühl der Zuversicht. Schließlich war es der Sahlet-Älteste welche sich als erstes bei Malda bedankte. Auch er erhob sich und blickte zu Rahbock und Mathir.

„Die Worte dieser jungen Frau sollten uns allen in Erinnerung bleiben. Auch mein Volk wird von dem Schatten der Druule bedroht. Es wird uns nicht möglich sein unsere Höhlen zu verlassen um gegen die Kreaturen des Dunkelgottes auf euren Wehrmauern zu kämpfen. Meine Leute könnten im Gebirge nicht überleben. Und die Magiebegabten abzuziehen hieße, tausende von Sahlets schutzlos zurück zu lassen. Aber lasst mich euch eines versichern. Hier und heute schwöre ich, dass wir euch nicht im Stich lassen werden, wenn die Zeit des Kampfes gekommen ist. Die Sahlets werden sich nicht in den Sümpfen verstecken und auf ein Ende des Sturmes warten. Wenn es soweit ist werden wir euch beistehen.“

Moran, der Zentaurenfürst, erhob sich und sah den Sahlet-Ältesten abschätzend an.

„Ich habe nie daran geglaubt euer Volk mit dem Schwert in der Hand kämpfen zu sehen. Und dies habt ihr mir wieder einmal bestätigt.“ Leise Unruhe setzte ein und Rahbock glaubte bereits einen erneuten Streit des Zentauren und der Sahlets schlichten zu müssen. „Aber wenn ihr Wort haltet und den freien Völkern zur Seite steht, dann habt ihr euch meine Achtung verdient.“

 

Nach allem was gesagt wurde war es Zeit für eine Unterbrechung der Versammlung. Das Gehörte musste verarbeitet werden und überall im Tempel bildeten sich kleinere Grüppchen welche über Taktik, Verhandlungen und die neuesten Erkenntnisse diskutierten. Rahbock hatte sich in sein Amtszimmer zurückgezogen und verweilte dort in der Gesellschaft von Bremax. Der weise Ratgeber räusperte sich als Rahbock einzuschlafen drohte und reichte ihm etwas Wasser.

„Ihr solltet die Versammlung für heute nicht mehr einberufen. Es wurde genug geredet für einen Tag. Ruht euch aus, mein Freund.“

„Wie stellt ihr euch das vor, Bremax?“ Rahbock griff mit müden Händen nach dem Wasser und nahm einige kleine Schlucke zu sich. „Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren. Es muss entschieden werden was aus Valantar werden soll. Lord Vartik und die anderen Ratsherren der Königsstadt, müssen Gelegenheit bekommen sich zu äußern. Es bleibt die Frage wie wir uns ihnen gegenüber verhalten. Überlassen wir das Königreich seinem Schicksal? Oder sollen wir ihnen beistehen?“

„Ich dachte das versteht sich von selbst“, sprach Bremax gelassen. „Haben uns die letzten Jahre nicht deutlich vor Augen geführt, dass wir auf ein Bündnis mit dem valantarischen Reich angewiesen sind? Fällt der Süden, wird das Ostgebirge in Kürze folgen. Wir brauchen die Valantarier. Und sie brauchen unsere Mauern.“

Rahbock nickte und wischte sich Wassertropfen aus seinem Bart.

„Ihr seht, es gibt einiges zu besprechen. Doch während die Versammlung sich erneut zusammenfindet muss ich euch um einen Gefallen ersuchen.“

„Alles was ihr wünscht, mein Freund.“

Der Ratsweise nahm einen versiegelten Umschlag hervor und reichte ihm seinem Berater.

„Ihr müsst für mich nach Osten gehen. Wenn unsere Mauern fallen müssen wir einen anderen Weg finden um zu überleben.“

 

Lord Vartik hatte Schwierigkeiten sich auf seine Rede zu konzentrieren. Das letzte Mal als er vor einer großen Versammlung sprach, war Dukarus dabei die Führung über Valantar zu übernehmen. Damals hatte Vartik versagt. Er konnte die Machtübernahme nicht mehr verhindern. Zu gut waren ihm die feurigen Reden seines politischen Gegners in Erinnerung geblieben, als dass er sie einfach fortwünschen könnte. Seit diesen Tagen war ihm wieder bewusst geworden wie folgenschwer Worte sein konnten. Sei es um Gutes zu bewirken oder Böses. Bemüht darum sich seine Nervosität von den Anwesenden nicht anmerken zu lassen nahm er Rahbocks Platz auf dem Rednerpodest ein. Er trug ein schlichtes hellblaues Gewand ohne jedweden Schmuck. Vartik wollte nicht, dass seine Worte von denselben Hoheitszeichen begleitet wurden mit denen schon Lord Dukarus sich Respekt verschafft hatte.

„Bevor ich mich an euch alle richte möchte ich die Gelegenheit nutzen und Meister Rahbock meinen Dank aussprechen. Allen voran Schwertmeister Befay, welcher dieser Tage nicht unter uns weilen kann, ist es zu verdanken, dass meine valantarischen Mitstreiter und ich noch am Leben sind.“ Vartik verbeugte sich in Richtung von Rahbock. Dieser hatte Befays Verrat geheim gehalten und rang sich nun ein erzwungenes Lächeln ab. „Das Königreich Valantar steht kurz vor der Vernichtung. Elamehr wurde von den Nomaden ausgelöscht. Alchor ist von den Drullen der jenseitigen Welt überrannt worden. Kommandant Adehrmus hat Kuriere in all unsere westlichen Siedlungen gesandt. Keiner von ihnen kam zurück. Wie es um die Königsstadt und die östlichen Ländereien steht können wir nur vermuten. Die Nomaden haben schwer gewüstet und die Menschen aus ihren Städten und Dörfern getrieben. Und kaum, dass die Wüstensöhne abgerückt sind, reiht sich schon der nächste Feind ein und strebt nach der Vernichtung aller freien Völker. Wir alle wissen zu was diese Kreaturen fähig sind. Und umso mehr wissen wir was unsere Völker bereits erdulden mussten. Der Krieg gegen die Nomaden hat das Königreich Valantar geschwächt. Es ist führerlos, verängstigt und allein.“ Vartik holte tief Luft. Es schmerzte ihn sehr, so von seiner Heimat sprechen zu müssen. „Meister Rahbock und ich haben in der vergangenen Nacht beisammen gesessen. Er hat mir… er hat ALLEN valantarischen Bürgern Zuflucht angeboten.“ Vartik blickte zu Lord Lukamas. Dieser war ehemaliger Stadthalter von Alchor und hätte Vartik im valantarischen Rat beerben sollen. Lukamas hatte gehofft, dass das Königreich wieder zu seiner alten Stärke zurückfinden und unabhängig von allen Bündnissen bleiben würde. Doch Vartiks Blick verriet ihm, dass dieser anderes vorhatte. Der alte Ratsherr atmete schwer. „Ich habe beschlossen, dass es das Beste für das valantarische Volk ist wenn es sich in das Ostgebirge flüchtet.“

Ein Raunen ging durch die Versammlung. Man sah es Lukamas nicht an aber der Stadthalter zerbrach innerlich. Für ihn war Valantar stets das leuchtende Beispiel von Gerechtigkeit, Stärke und Ehre. Niemand musste Hunger leiden. Jedem wurde Obdach gewährt. Schriftgelehrte hatten über Jahrtausende hinweg die Geschichte der Welt festgehalten und ihre Weisheiten in den Bibliotheken des Reiches verewigt. Das alles sollte nun vergangen sein.

So wie Mathir zuvor Rahbock beigestanden hatte erhielt Vartik nun Beistand durch Kommandant Adehrmus. Der angeschlagene Krieger trat auf das Rednerpodest und beruhigte die laut gewordene Menge.

„Lord Vartik und ich haben bereits über diese Entscheidung gesprochen. Obgleich sie einigen vielleicht übereilt oder unverständlich erscheinen mag ist es doch das einzig richtige. Wir haben in der Vergangenheit gezögert weil wir uns für unangreifbar hielten. Elamehr ist gefallen weil Heerführer Gezehm keine Bedrohung in den Nomaden sah. Die Bewohner von Alchor haben den Tod gefunden weil ich sie nicht ihrer Heimat berauben wollte. Die Königsstadt darf nicht dasselbe Schicksal ereilen. Ihre Mauern mögen hoch und ihre Gräben tief sein. Aber diese Bedrohung übersteigt all unsere Vorstellungen. Es gibt nur einen Weg. Wir müssen die freien Völker hinter dem Wall des Ostgebirges einen und die Druule dort zum Kampf zwingen. Bleiben wir uneins werden wir alle den Tod finden.“

 

Seit seinem Abschied auf den Rankhara-Inseln hatten Mathir und Trimalia ihren Ordensbruder Saba nicht mehr gesehen. Die Freude war trotz der jüngsten Ereignisse groß und der dunkelhäutige Hüne schaffte es tatsächlich ein Lächeln auf Mathirs Gesicht zu zaubern. Saba war zum Ende der großen Versammlung in Isamaria eingetroffen und hatte keine Zeit verloren seine Kameraden in deren Quartier zu besuchen. Mathir stellte einen Weinkrug und drei Becher auf den Tisch und bedeutete seinen Freunden Platz zu nehmen.

„Dass ich dich noch einmal wiedersehe… ich hätte es nicht mehr geglaubt. Seitdem du mit Malek, Bolmar, Lemok und Nissina dem Jungen gefolgt bist wurde es von Tag zu Tag schlimmer. Noch nicht einmal unser Ordenshaus blieb von dem Verräter Dukarus verschont.“

Saba nickte und nahm den Wein dankend an.

„Ich weiß. Nachdem ich von eurer Verurteilung hörte habe ich Eurekos angeraten die Stadt zu verlassen. Meine Verbündeten innerhalb Valantars wussten von Dukarus Plänen den gesamten Orden zu vernichten. Eurekos hat das einzig richtige getan und viele unserer Brüder und Schwestern gerettet.“

Mathir und Trimalia tauschten vielsagende Blicke aus. Der ergraute Heerführer schob seinen Becher beiseite und seufzte.

„Ich habe Eurekos lange für seine Flucht verurteilt. Ich dachte er… für mich sah es so aus als würde er Valantar verraten. Aber heute weiß ich es besser.“

Trimalia ergriff die Hand ihres Kameraden und versuchte ihn zu trösten.

„Eurekos hat Mathir zu seinem Nachfolger ernannt. Er ist nun der Tempelvorsteher unseres Ordens.“

Saba blickte seinen Freund mit großen Augen an. Doch dieser wich ihm aus und schritt unruhig im Zimmer auf und ab.

„Es ist nicht die Zeit um die Blutschwerter in einen neuen Tempel zu führen. Meine Kraft wird woanders gebraucht.“

„Dasselbe hast du auch gesagt als du den Posten als Heerführer übernehmen solltest. Und doch war es richtig dies zu tun“, widersprach Trimalia. „Unser Orden braucht jetzt einen Anführer. Sonst werden die Lehren der Blutschwerter für immer aus dieser Welt verschwinden.“

„Wenn wir diesen Krieg verlieren werden wir alle aus dieser Welt verschwinden.“

Die anfangs so freudige Stimmung hatte sich unbemerkt in eine düstere Stunde verwandelt. Unfähig am heutigen Abend eine Entscheidung zu fällen, setzten sich die drei Kameraden wieder zusammen und hoben ihre Becher zum Gruß an alle Gefallenen ihres Ordens. Saba sah Mathir abschätzend an.

„Wusstest du von Vartiks Plan alle Valantarier ins Gebirge zu holen?“

Der neue Tempelvorsteher nickte zögerlich.

„Wir haben einmal kurz darüber gesprochen. Er wollte meine Meinung dazu hören. Ich hatte ihm damals abgeraten. Das Reich ist groß und in der alten Tradition seiner Könige verwurzelt. Die Menschen aus ihren Städten zu holen und ins Ostgebirge zu bringen grenzt an eine unmögliche Aufgabe. Sie werden erwarten, dass ihre Führer sie vor der Bedrohung aus Teberoth beschützen. Wie willst du ihnen begreiflich machen, dass jener Ort, der noch vor wenigen Monaten des Verrats am Reich beschuldigt wurde, nun ihr Überleben sichern soll? Wenn Dukarus eines erreicht hat mit seiner Herrschaft, dann war es, Zwietracht zwischen den Valantariern und Isamaria zu säen.“

„Zeiten ändern sich“, warf Trimalia ein. „Dukarus ist tot. Die Riesenadler haben die Wolkenstadt verlassen. Valantar ist schwer vom Krieg gezeichnet. Die Menschen haben niemanden mehr auf den sie sich verlassen können. Sie brauchen diesen Ort. Und wir brauchen die Menschen. Jeden Soldaten und jeden Bauern.“

Mathir leerte seinen Becher und ging hinaus.

„Morgen wird es ein Treffen mit Rahbock, Vartik, Adehrmus und mir geben. Es soll besprochen werden wie wir Valantar am sichersten räumen können. Ich denke es wäre das Beste wenn die Blutschwerter als Eskorte dienen. Die Bürger kennen den Orden und vertrauen ihm.“

„Dann wirst du die Führung über den Orden übernehmen?“, setzte Saba fragend nach.

Doch Mathir blieb ihm eine Antwort schuldig und schloss die Tür hinter sich.

Reue und Wiedergutmachung

 

Ich schreibe diese Zeilen um unsere Taten für die Nachwelt festzuhalten. Nachdem ich Almereth im Zweikampf tötete und auch seinem neuen Heerführer Eccolor das Leben nahm, habe ich einen Waffenstillstand mit den Völkern Isamarias geschlossen. Die Männer sind uneins über meine Taten und ich glaube nicht, dass sie mich geschlossen als ihren neuen Führer anerkennen. Mein Kampf gegen Almereth hat viele ihren Glauben verlieren lassen. Als ich verkündete, dass wir einem falschen Weg gefolgt sind und künftig keinen Krieg mehr mit der Bevölkerung von Obaru suchen würden, konnte ich Unverständnis, Ratlosigkeit und sogar Hass in den Augen der Männer erkennen. Einige verfluchen mich für die Ermordung ihres Stammesführers. War er doch ein Tyrann und verblendeter Foltermeister, so gab er seinen Leuten ein Ziel. Er gab ihnen Hoffnung und die Aussicht auf ein Leben in gottesgläubiger Erfüllung. Ich habe ihnen das nun genommen. Obgleich wir geschlossen zur Westküste gezogen sind, haben sich bereits die ersten größeren Gruppen zusammengefunden und damit begonnen Schiffe für die Rückkehr nach Talamarima zu bauen. Ich werde nicht versuchen sie aufzuhalten. Sie haben lange genug unter der Knute ihres Herrn gelitten. Nun sollen sie selbst über ihr Schicksal entscheiden. Ich hoffe nur, dass sie davon absehen weiterhin auf Obaru zu brandschatzen. Dies würde den Frieden mit Isamaria zunichtemachen.

Diejenigen, welche bereit sind mir auch weiterhin zu folgen, sind gering an Zahl. Geringer als ich es erwartet hätte. Sobald die anderen uns verlassen werden, um in ihre Heimat zurückzukehren, werde ich erneut einen Boten nach Isamaria entsenden. Er soll dem Anführer der freien Völker mein Angebot unterbreiten, Wiedergutmachung zu leisten. Auch wenn ich nicht weiß wie wir die Überfälle, die Entführungen und nicht zuletzt den Krieg, jemals vergelten können. Sollten die Führer des Ostgebirges uns jedoch nicht länger auf Obaru dulden, werde auch ich nach Talamarima zurückkehren um dort ein Leben im Exil zu führen. Es gibt nichts was meine Taten unvergessen machen könnte. Keine Worte können ausdrücken wie groß das Bedauern ist welches ich empfinde. Und sollte mich noch in dieser Nacht der Tod ereilen werde ich die Hexe nicht noch einmal um Wiederauferstehung bitten. Dieses Mal soll meine Seele auf ewig mit den Qualen der Unterwelt bestraft werden.

Leid und Mitleid

 

Trotz des Gewichtes von Draihn und Elrikh auf seinem Rücken galoppierte Rethika wie ein junger, ungestümer Hengst durch das Tal. Der Zentaur keuchte schwer und seine Flanken glänzten vom Schweiß. Aber eher hätte er sich seinen rechten Arm auch noch amputieren lassen, als dass er sich eine Schwäche eingestanden würde. Elrikh dachte immer noch an Limar und die anderen Frauen. Er war es Leid von seiner Familie und Freunden getrennt zu sein. Er wollte endlich wieder ein Leben unter seinesgleichen führen. Fern ab von Krieg und Zerstörung. Er wollte ins Bockental um dort die alte Mühle auf dem Südhügel zu reparieren. Er wollte sehen wie sich ihre Arme im Wind drehten und den Bauern das Korn mahlten. Und abends würde er wieder mit Limar im oberen Stockwerk sitzen und in die Ferne blicken. Doch dann würde er nicht mehr an romantische Abenteuer in fernen Landen denken. Nicht mehr an schöne Städte und mystische Wälder. Er würde an das denken, was sich wirklich hinter dem Horizont verbarg. Krieg, Neid, Hass, Gier, Verfolgung und Tod. Die Ereignisse der letzten Jahre hatten ihm seine unschuldige Fantasie genommen. Doch das würde er Limar niemals offenbaren.

„Wir müssen rasten“, rief Draihn in den Wind hinein. Der Ordensritter spürte, dass Rethika langsam am Ende seiner Kräfte war. „Du musst dich ausruhen. Wenn du weiter so rennst, wirst du gleich tot umfallen und uns unter dir begraben.“

Doch der Zentaur schüttelte schnaubend sein Haupt.

„Sag du mir nicht wann ich Ruhe brauche. Sitz lieber still oder ich binde dich fest.“

Die Sturheit des Pferdemannes ließ Draihn zornig werden. Ohne Zweifel wollte Rethika beweisen, dass er immer noch von Wert für die Gemeinschaft war. Seitdem er beim Kampf gegen eine Nomadenhorde seinen linken Arm eingebüßt hatte, änderte sich sein Gemütszustand andauernd von überschwänglich freundlich, zu aggressiv und abweisend. Draihn wollte erneut etwas sagen aber Elrikh hielt ihn fest und schüttelte den Kopf. Der Zimmermann wusste, dass es keinen Sinn hatte noch länger mit Rethika zu streiten.

Als das Dreiergespann die letzte Hügelkette vor Elrikhs Dorf erreichte, verlangsamte der Zentaur seinen Schritt bis er schließlich ganz stehen blieb. Seine Gefährten sprangen von seinem breiten Rücken und streckten alle Glieder von sich. Elrikh rieb sich sein Hinterteil und machte ein schmerzverzerrtes Gesicht.

„Ich wünschte Sinal wäre hier. Nichts gegen dich, Rethika. Aber mein Hengst reitet sich weicher.“

Rethikas Gesichtsausdruck konnte man entnehmen, dass er es nicht schätzte mit einem Pferd verglichen zu werden. Schnaubend wandte er sich um und deutete in Richtung Osten.

„Wenn wir die Männer aus dem Dorf geholt haben, sollten wir diesen Weg einschlagen. Er führt uns weit genug in den Wald um vor den Augen der Nomaden verborgen zu bleiben.“

Draihn nickte zustimmend.

„Du hast Recht. Aber heute können wir diesen Weg nicht mehr antreten. Bis wir im Dorf sind wird die Sonne bereits untergegangen sein. Es ist besser wenn wir bis morgen früh warten. So haben die Dorfbewohner Zeit ein paar Sachen zusammenzusuchen.“

Elrikh blickte nach Norden und seufzte. Da stand sie. Seine Mühle. Sie hatte die Brandschatzung der Wüstensöhne überstanden und erhob sich wie ein einsamer Wächter über die Ausläufer des Tals.

„Lasst uns gehen“, sprach der Bockentaler müde. „Es ist nur noch ein kurzer Fußmarsch bis zum Dorf. Wir sollten hier keine Zeit mehr vertrödeln.“

Elrikh zwang sich dazu, die Mühle nicht mehr anzusehen. Erst wenn er wieder ins Tal zurückkehrte um ein Leben in Frieden zu führen, würde er sich an ihrem Anblick erfreuen.

 

Die Freunde wurden mit allerlei Jubelrufen im Dorf empfangen. Besonders Rethika, welcher bei der Befreiung der Dörfler seinen Arm verloren hatte, wurde mit Glückwünschen mit anerkennenden Verbeugungen begrüßt. Obgleich es dem Zentaur beinahe ein wenig peinlich zu sein schien, genoss er den Zuspruch der Bockentaler. Doch Elrikh wollte keine Zeit mehr verschwenden und vergewisserte sich, dass jeder ihn hören konnte.

„Hört mir bitte alle zu. Wir bringen schlechte Nachrichten mit uns. Eine Bedrohung zieht über Obaru herein, derer wir uns nicht entziehen können.“

„Was redest du da?“, rief einer der Bockentaler. „Die Nomaden sind doch abgezogen. Wir haben unsere Heimat zurück.“

„Wovon spricht der Mann?“, fragte Elrikh seine Kameraden.

Einer der anderen Männer trat an das Dreiergespann heran. Er wirkte angespannt und konnte nicht verstehen, warum Elrikh die Dörfler beunruhigen wollte.

„Vor einigen Tagen kam ein Bote hier vorbei. Er sagte uns, dass die Nomaden den Waffenstillstand ausgerufen hätten. Sie sollen sich alle an die westliche Küste zurückgezogen haben. Der Bote war auf dem Weg zur großen Bucht im Norden. Er sagte, dass er Boemborg den Nordmann finden müsste. Warum, hat er uns nicht erzählt.“

Elrikh, Draihn und Rethika sahen sich verblüfft an. Von dem Waffenstillstand wussten sie nichts. Aber warum der Bote so dringend mit den Nordmännern sprechen wollte, war ihnen dafür umso klarer. Der junge Zimmermann bat erneut um Gehör und verlieh seinen Worten dieses Mal besonders viel Nachdruck.

„Bitte hört mir zu. Von dem vermeintlichen Frieden mit den Nomaden wissen wir nichts. Wir kommen direkt von dem Schiff, welches in diesem Moment die Frauen unseres Dorfes auf sicheren Pfaden in das Ostgebirge bringt.“ Einzelne Männer wurden unruhig und wollten wissen wie es ihren Frauen und Töchtern ging, Doch Rethika verschaffte seinem Kameraden wieder Gehör. „Macht euch keine Sorgen um sie. Sie sind in guten Händen. Aber obwohl die Nomaden aus unerfindlichen Gründen den Frieden zu suchen scheinen, zieht eine neue Bedrohung im Westen herauf. Eine Flotte, größer als die der Wüstenbewohner, hält Kurs auf Obaru. Wahrscheinlich sind sie sogar schon vor Tagen an Land gegangen. Sie segelten sehr weit südlich und werden vermutlich das valantarische Reich angreifen.“

Wieder wurden Rufe unter den Männern laut.

„Sind es die Rogharer? Will das Eiserne Imperium die Herrschaft über Valantar erlangen?“

Jetzt war es Draihn, der das Wort ergriff.

„Nein. Es sind die Diener des Dunkelgottes. Druule aus der jenseitigen Welt sind dabei die Königreiche der Menschheit anzugreifen. Diese Monster interessieren sich nicht für Reichtum und Macht. Ihnen geht es nur darum die Menschen und alle anderen freien Völker zu vernichten. Deswegen müssen wir fort von hier. Sucht alles zusammen was ihr an Waffen und Vorräten finden könnt. Beladet die Karren und dann auf nach Isamaria. Die Mauern des Ostens, sind unsere einzige Hoffnung.“

Die Männer hätten vermutlich bei jedem anderen gezögert. Aber Elrikh hatte in der Vergangenheit bewiesen, dass er wusste was er tat. Abgesehen davon, befanden sich die Frauen des Dorfes ebenfalls im Ostgebirge. Es gab also keinen Grund sich zu verweigern. Eilig strömten sie auseinander um zu tun was der Zimmermann und sein Kamerad ihnen aufgetragen hatten. Elrikh blickte seinen Freunden und Nachbarn nachdenklich hinterher. Draihn ging ein paar Schritte und sah seinen Kameraden dann auffordernd an.

„Elrikh. Willst du nicht die Gelegenheit nutzen und das Haus deiner Eltern aufsuchen. Vielleicht sind dort Dinge…“

„Nein“, fiel der Bockentaler seinem Freund ins Wort. „Ich werde das Haus meiner Eltern erst wieder betreten, wenn das Tal seinen Frieden gefunden hat. Bis es soweit ist, soll mich nichts an den Glanz der Vergangenheit erinnern.“

Elrikh ließ Draihn und Rethika alleine, um einem Dörfler beim Beladen des Karrens zur Hand zur gehen. Der Zentaur schnaubte und nickte dem Ordensritter zu.

„Ich weiß nicht wie es dir geht. Aber ich bin der Reisen müde. Wir jagen den Schatten des Todes jetzt schon seit Jahren hinterher. Von Ort zu Ort. Über Land und über Wasser. Alle Pläne, alle Strategien die wir verfolgt haben, sind im Nichts verschwunden. Das kann so nicht weitergehen, Draihn. Sieh dir nur die Männer dieses Dorfes an. Ihre Heimat wurde verwüstet. Sie wurden entführt, kehren zurück und nun müssen sie erneut fliehen. Zum ersten Mal in meinem Leben, komme ich mir hilflos vor. Wie Fliegen in einem Sturm, werden wir von den Schicksalswinden umhergetrieben. Es ist egal welches Ziel wir verfolgen. Am Ende sind wir jedes Mal woanders. Möge der Göttervater mir meine Worte verzeihen. Aber ich hoffe, dass die Druule es an den Wehrmauern zu Ende bringen. Sollen sie alle vor dem Fels den Tod finden oder uns den selbigen bringen. Aber es muss endlich enden.“

Obgleich er lieber etwas gesagt hätte um Rethika aufzubauen, konnte Draihn seinem Waffenbruder nur stumm zustimmen. Es musste zu Ende gebracht werden. So oder so.

 

Obwohl die Sonne noch nicht vollends aufgegangen war, machten sich die Flüchtlinge unter dem ständigen Drängen von Elrikh, Draihn und Rethika auf den Weg. Es war den Bockentalern nur möglich drei Hornbullen zu finden, welche nun die Karren für sie zogen. Das andere Vieh war von den Nomaden verschleppt, abgeschlachtet oder verscheucht worden. So hatten sie die Karren bis obenhin mit Vorräten und einer verschwindend geringen Zahl von Waffen beladen. Einige Werkzeuge waren auch dabei. Immer wieder kamen einzelne Dörfler auf Elrikh zu und stellten ihm Fragen über ihre Ehefrauen, Töchter und Schwestern. Doch der Zimmermann konnte nicht mehr tun, als ihnen allen zu versichern, dass die Frauen wohlauf waren. Erst als Draihn die Dörfler mit verschiedenen Aufgaben bedachte, ließen diese von Elrikh ab. Der Ordensritter winkte ihn zu sich und deutete auf einen nahen Hügel.

„Wir sollten uns von dort einen Überblick verschaffen. Wenn wir den falschen Weg nehmen, werden wir die Karren irgendwann aufgeben müssen. Die Gegend weiter nördlich wird zu steinig, als dass die Räder diesen Weg nehmen könnten. Aber weiter südlich zu gehen hieße, einen Umweg in Kauf zu nehmen.“

Elrikh nickte.

„Du hast Recht. Wir brauchen die Vorräte. Aber die Zeit für einen längeren Marsch haben wir nicht. Lass uns auf den Hügel steigen.“

Der Ordensritter war angenehm überrascht von Elrikhs Einsicht. Er hatte schon damit gerechnet, dass die Gleichgültigkeit vom Bockentaler Besitz ergriffen hätte. Doch diesem schien eine gewisse Entfernung zu den anderen Dörflern sehr willkommen zu sein.

Im Laufschritt erklommen sie die Anhöhe und ließen ihre Blicke über die weite Ebene im Osten schweifen. Draihn deutete auf einen Tannenhain, welcher einen ganzen Tagesmarsch entfernt zu sein schien.

„Siehst du die Tannen im Südosten? Das sind die Ausläufer vom Steinwald. Von dort aus sind es noch gut vier Tage bis zum Wall. Wenn wir auf der Ebene bleiben, könnten wir es in drei Tagen schaffen. Aber nur wenn wir tagsüber keine Rast einlegen.“

Elrikh begann zu grübeln. Er kannte den Steinwald. Dort hatte er vor vielen Jahren Kabuji kennengelernt. Die Federfee hatte ihnen bei der Flucht vor den Nomaden geholfen und die Wüstensöhne auf eine falsche Spur gelockt.

„Wir sollten den Weg durch den Wald nehmen“, sagte Elrikh voller Überzeugung.

„Aber das macht keinen Sinn. Es dauert länger. Außerdem können die Karren nicht durch das Dickicht gezogen werden. Wenn wir auf dem Weg bleiben sind wir zu lange unterwegs.“

Doch der Bockentaler ließ sich nicht beirren.

„Vertrau mir. Der Steinwald ist ein magischer Ort. Er beschützt die Bewohner dieses Landes vor Feinden und spendet ihnen Trost. Es ist der richtige Weg für uns.“

Draihn wollte widersprechen, aber Elrikh schien sich seiner Sache sehr sicher zu sein.

„Nun gut. Aber dann sollten wir den Weg vorher erkunden. Ich kann mit Rethika…“

„Nein. Ich werde gehen. Du bleibst bei den Männern aus meinem Dorf. Rethika und ich werden die Nacht über marschieren und euch morgen bei Sonnenuntergang im Wald treffen.“

„Im Wald? Wie sollen wir euch finden?“

Zum ersten Mal seit Tagen, konnte Draihn so etwas wie ein Lächeln auf Elrikhs Gesicht erkennen.

„Ihr findet uns. Dafür wird gesorgt sein.“

 

Wie Elrikh es erwartet hatte bestand Rethika darauf ihn auf seinem Rücken zum Steinwald zu tragen. Doch dieses Mal war der Ritt angenehmer. Der Zentaur verspürte offenbar nicht mehr den Drang jemandem etwas beweisen zu wollen. Als sie den Rand des Waldes erreichten hielt der Pferdemann inne und beäugte misstrauisch das undurchschaubare Dickicht welches im morgendlichen Dämmerlicht erwachte.

„Mir sind Geschichten zu Ohren gekommen die besagen, dass es in diesen Wäldern finstere Stimmen geben soll die einen in Sümpfe und andere Fallen locken. Warum wolltest du unbedingt hierher?“

Elrikh schmunzelte und hob einen ausgetrockneten Tannenzapfen auf.

„Du verwechselst diesen Ort mit dem Kleewald im Süden. Dort sind es tatsächlich die Bäume und Tiere welche des Nachts Wanderer in den Tod führen. Doch dieser Wald ist anders. Er wird von den Federfeen gehütet und beschützt. Ich durchquerte ihn vor vielen Jahren als ich auf meine erste Reise außerhalb des Bockentals ging. Ein schöner Ort um zu verweilen. Hier finden sich viele Ruinen und Gedenktafeln aus längst vergessenen Zeiten. Die Feen erhalten sie und sorgen dafür, dass ihre Mahnungen nicht vom Wandel der Zeit verschluckt werden.“ Elrikh holte aus und warf den Tannenzapfen in eine Baumgruppe zu seiner Rechten. „Doch wir sind nicht hier um zu verweilen. Vielmehr suche ich den Rat einer Freundin.“

Der Zentaur stutzte.

„Einer Freundin? Hier im dichten Wald? Merkwürdige Freunde hast du.“

Elrikh schenkte Rethika einen neckischen Blick.

„Da auch du zu meinen Freunden zählst will ich dir nicht widersprechen.“

Die Gefährten setzten ihren Weg durch den schattigen Tannenhain fort und ließen die Stille auf sich wirken. Keiner von beiden konnte sich entsinnen wann er das letzte Mal die Ruhe eines Ortes genießen konnte. Obgleich sie nicht hier waren um sich auszuruhen hatte der Steinwald eine entspannte und zugleich belebende Wirkung auf die erschöpften Freunde. Rethika sog die kühle Morgenluft ein und musste unvermittelt an sein Gehöft in der Steppe denken. Der Zentaurenfürst Moran hatte ihm das Land für seine Dienste am Stamm geschenkt. Rethika sollte darauf seinen Lebensabend verbringen und wurde dafür zum Verlassen der Kriegerkaste gezwungen. Solche Vorkommnisse gehörten zu den typischen Machtspielchen des Zentaurenfürsten. Obwohl Rethika nicht sehr viel Zeit auf dem Gehöft verbracht hatte, da ihn kurz darauf die Singula zu sich holten, sehnte er sich unerwarteter Weise nach diesem Ort. Ein Leben als Gutsherr kam für ihn nicht in Frage. Dazu verlangte es den Zentauren zu sehr nach dem Kampf. Aber die Ereignisse der letzten Jahre hatten ihn mehr Kraft gekostet als er zugeben würde. Der Verstoß aus der Kriegerkaste, die schwere Verletzung durch den unheimlichen Krowotk in Rogharo und nicht zuletzt der Verlust seines linken Armes, schienen langsam ihren Tribut von Rethika zu fordern. Der Steinwald hatte ihm vermutlich die notwendige Ruhe gegeben um diesen Umstand zu erkennen. Doch er war noch nicht bereit um sein Leben auf einem Landsitz zu verbringen. Zornig über sich selbst schüttelte der Zentaur diese Gedanken ab und wandte sich an Elrikh.

„Und wie finden wir nun deine Freundin?“

Der Bockentaler zuckte mit den Schultern.

„Sie wird uns finden. Unweit von hier steht die Ruine eines alten Waldschlösschens. Dort können wir rasten und auf sie warten.“

„Und die anderen? Wie sollen sie uns in diesem Dickicht finden?“

„Draihn wird wissen welchem Weg er zu folgen hat. Wart nur ab.“

 

Es dauerte nicht mehr lange und sie kamen zur angekündigten Ruine. Wobei Rethika diese Bezeichnung noch als schmeichelnd empfand. Lediglich ein paar kleine Steinhaufen ließen erahnen, dass ihr vor sehr langer Zeit einmal ein Haus gestanden hatte. An ein Schlösschen hätte der Zentaur dabei jedoch nicht gedacht. Die Sonne mochte bereits zur Gänze am Himmel stehen aber durch die dichten Baumkronen kamen nur sehr wenige ihrer wärmenden Strahlen am Boden an. Elrikh setzte sich auf einen der Steinhaufen und griff in einen kleinen Beutel welchen er am Gürtel befestigt hatte.

„Draihn hat mir dies mitgegeben. Wir sollten die Zeit nutzen und uns etwas stärken.“

Der Zimmermann reichte seinem Kameraden etwas von dem Proviant. Der Zentaur nahm ihn zögerlich an und verzog dabei den Mund.

„Trockenfisch. Ausgerechnet. Ich mochte das Zeug schon auf der Wellenschneider nicht.“

Elrikh grinste und nahm ebenfalls einen kleinen Bissen des salzigen Herings zu sich. Doch die abwechslungsreiche Stille hatte auch in dem Bockentaler einige verdrängte Gedanken geweckt.

„Was mag wohl aus Tymae geworden sein?“, kam es unvermittelt von ihm hervor.

„Du solltest nicht daran denken.“

„Nicht daran denken? Wir haben ihr unser Leben zu verdanken. Wie könnte ich so etwas je vergessen?“

Rethika tat ein paar Schritte durch die Ruine und befühlte den alten Stein.

„Sie ist einen ehrenvollen Tod gestorben. Nach all den Jahren als Schattenkriegerin hat sie schlussendlich ihr Leben gelassen um dafür das von hundert anderen zu retten. Solch eine Gnade ist nicht jedem von uns vergönnt. Erinnere dich an sie in Ehrfurcht. Aber zum Trauern haben wir dennoch keine Zeit. Du weißt das.“

Elrikh dachte an die Kampflektionen welche Tymae ihn gelehrt hatte. Die Schattenelfe war eine Meisterin des Kampfes und schien dasselbe von ihrem menschlichen Schüler zu erwarten. Sowohl ihr als auch Elrikh war natürlich klar, dass er niemals so schnell und gewandt wie ein Elf kämpfen könnte. Dennoch hatte sie ihn immer bis zum Äußersten getrieben. Er erinnerte sich an ihre gemeinsamen Gespräche in Rogharo. Damals hatte sie ihm ein Lächeln geschenkt, welches er nie wieder von ihr gesehen hatte. Für einen kurzen Augenblick schien sie keine Meuchlerin zu sein sondern eine ganz normale Frau die nur mit jemanden reden wollte.

Ein leises Summen drang an Elrikhs Ohr welches ihm die Ankunft einer Freundin ankündigte. Eine hohe Fistelstimme erklang über den Köpfen der Gefährten.

„Zuerst lässt du dich jahrelang nicht blicken und nun tauchst du in jedem Wald zwischen Valantar und dem Ostgebirge auf. Solltest du dich etwa verlaufen haben?“

Die Freunde blickten nach oben und erkannten eine kleine, leuchtende Federfee welche beständig hin und her schwirrte ehe sie sich schließlich auf einem niedrig hängenden Ast niederließ.

„Rethika. Das ist Kabuji. Meine Freundin. Sie hat uns bei der Flucht vor den Nomaden geholfen.“

Der Zentaur schnaubte und bedachte die Federfee mit einem geringschätzenden Blick.

„Dieser Winzling soll uns helfen? Was kommt als nächstes? Willst du eine Schar Waschzwerge gegen die Druule in den Kampf führen?“

Die Fee sprang auf, surrte um den Kopf des Zentauren und setzte sich anschließend wieder auf ihren Zweig.

„Dein Gestank sollte ausreichen um jeden Angreifer in die Flucht zu schlagen. Und der Rest flüchtet sicherlich vor deinem sauren Mundgeruch.“

„Du kleines Mistvieh. Komm von deinem Baum und ich werde sehen ob ich mit einer zerkauten Federfee im Mund besser rieche.“

„Genug jetzt!“, ging Elrikh dazwischen. „Kabuji. Du wirkst nicht gerade überrascht von den Druulen zu hören.“

Die Federfee streckte Rethika ihre Zunge raus bevor sie Elrikh antwortete.

„Glaubst du uns würde so etwas entgehen? Nicht was in der Nähe eines Waldes passiert entzieht sich unserer Kenntnis.“

„Das passt zu eurem Ruf kleine Spione zu sein“, zischte der Zentaur sie an.

Ein Blick von Elrikh genügte jedoch um keinen erneuten Streit aufkommen zu lassen.

„Dann weißt du auch, dass sich die Menschen aus dem Bockental in großer Gefahr befinden. Wir wollen sie nach Isamaria bringen ehe die Druule uns einholen. Deswegen sind wir hier. Wir müssen den schnellsten Weg durch den Wald nehmen und sicherstellen, dass die Monster unseren Spuren nicht folgen können.“

Die Federfee schien plötzlich ernster zu werden.

„Ich will nicht sagen ihr solltet euch nicht beeilen. Aber die Druule sind glücklicherweise noch nicht soweit vorgedrungen. Sie scheinen es auf Valantar abgesehen zu haben.“

„Die Hauptstadt des Königreiches?“, hakte Rethika nach. „Gegen diese Mauern können sie nicht anlaufen. Sie sind hoch wie ihre Gräben tief sind. Und die valantarische Armee weiß sich in ihren eigenen Mauern sehr gut zu verteidigen.“

Kabuji flatterte von ihrem Zweig und setzte sich auf einen Steinhaufen vor Elrikh und den Zentauren.

„Ihr habt keine Ahnung welche Macht sich auf Obaru eingeschlichen hat. Die Druule haben Alchor in nur einer einzigen Nacht überrannt. In diesem Augenblick durchqueren sie die Steppe Richtung Osten und bewegen sich dabei unentwegt auf die Königsstadt zu.“

Alchor ist gefallen?“

„Vernichtet. So als hätte es die Hafenstadt niemals gegeben.“

Der Zentaur konnte immer noch nicht fassen was er da hörte.

„Was ist mit der Armee? Alchor hatte immer eine große Zahl an Kampfverbänden die sowohl die Hafenstadt als auch das Festland überwacht haben.“

„Zwei Tage bevor die Druule angriffen haben wir eine große Reiterei in der Steppe gesehen. Es waren Valantarier die in der Ebene gegen die Nomaden gekämpft haben. Vermutlich war Alchor ohne nennenswerte Gegenwehr als die Diener des Dunkelgottes eintrafen.“ Rethika musste an die Steppe östlich von der Hafenstadt denken. Dort war sein Stamm beheimatet. Es war der Ort an dem sein Gehöft stand. Er kannte Moran. Der Zentaurenhäuptling würde mit Sicherheit gegen die Druule vorgehen um sein Volk zu schützen. Kabuji schien die Gedanken des Zentauren lesen zu können. „Deine Leute werden in Sicherheit sein, Pferdemann.“

Rethika sah über die beleidigende Bezeichnung der Federfee hinweg.

„Was? Woher weißt du…?“

„Wie ich schon sagte. Hier geschieht nichts von dem wir nicht wissen. Die Krieger deines Volkes haben sich ebenfalls an der Schlacht in der Ebene beteiligt. Und nachdem die Nomaden abgezogen sind hat Isamaria all seine Verbündeten in das Ostgebirge in Sicherheit gebracht. Auch die Stämme der Zentauren verweilen derzeit hinter den Mauern aus alter Zeit.“

„Dann ist es also wahr“, murmelte Elrikh. „Die Wüstensöhne sind tatsächlich abgezogen.“

„Ihr solltet euch ein wenig ausruhen“, sprach Kabuji mit versöhnlicher Stimme zum Zentauren. „Morgen werde ich euch den sichersten und schnellsten Weg durch den Wald ins Gebirge zeigen.“

„Da ist noch etwas. Unsere Leute…“

„Ich weiß schon. Der tapfere Ordensritter und die Männer aus deinem Tal. Wir werden dafür sorgen, dass sie euch erreichen. Doch jetzt ruht euch aus. Hier seid ihr sicher.“

Kabuji sprang auf und verschwand ohne ein weiteres Wort in den Baumkronen. Rethika fasste sich wieder und deutete auf den Wald.

„Du solltest Feuer machen. Ich werde in der Zwischenzeit etwas jagen.“

„Das wäre keine gute Idee“, widersprach Elrikh. „Kabuji und die anderen Federfeen beschützen das Leben in diesem Wald. Hier wird kein Zweig gebrochen und kein Zweihörnchen erlegt, ohne dass sie davon erfährt. Du willst ihre Gastfreundschaft doch wohl nicht ausnutzen?“
Maulend lehnte sich der Zentaur an einen dicken Eichenbaum

„Großartig. Und was sollen wir jetzt essen?“

Just in diesem Moment fielen ihm ein paar Beeren und Nüsse auf den Kopf. Ein lachendes Fipsen und das Flattern kleiner Flügel ließ die Spenderin des bescheidenen Mahls erahnen.

 

Nachdem Draihn und die anderen Männer eingetroffen waren gab Elrikh ihnen Gelegenheit sich noch ein paar Stunden auszuruhen. Als sich dann die ersten Sonnenstrahlen des nächsten Tages durch das dichte Blattwerk der Bäume kämpfte ging die Reise weiter. Es wurde fast nicht gesprochen. Ob es Ehrfurcht vor diesem unberührten Stück Land war oder Unbehagen konnte Elrikh nicht sagen. Aber die Männer wirkten sehr angespannt auf ihn. Nur Rethika stampfte selbstbewusst durch den geheimnisvollen Wald und gab das ein oder andere Mal abfällige Bemerkungen von sich. Der Zentaur konnte mit dieser dichten Vegetation nichts anfangen. Sein Volk war für offenes Land und weite Steppen gemacht. Jedes Mal wenn ihm ein Ast auf Augenhöhe hing wollte er ihn abreißen. Doch Elrikh ermahnte den Pferdemann, dass dies keine gute Idee sei. Der Wald war nicht ohne Grund so unberührt und verlassen. Die kleinen Lebewesen und auch die Pflanzen, wussten sich zu wehren. Und das letzte was sie jetzt gebrauchen könnten wäre eine um sich schlagende Mooreiche die die Männer in Panik auseinander trieb. So setzten sie ihren Weg ohne nennenswerte Vorkommnisse fort und Elrikh hatte Gelegenheit über einiges nachzudenken. Er dachte an seine Eltern, an Limar und die große Windmühle und auch an seinen Hengst Sinal. Wie das Schicksal sie alle immer wieder auseinander trieb gab dem Bockentaler zu denken. Sollten Menschen die für gute Dingen kämpften nicht durch den Göttervater beschützt werden? Wäre es nicht seine Aufgabe gewesen die Dorfbewohner vor dem Angriff der Nomaden zu warnen und Limar in Sicherheit zu bringen? Elrikh war bereit gewesen seine Heimat für ein höheres Ziel zu verlassen. Er hatte seine Seele mit jener der Singula verbunden und dadurch einen ewigen Pakt mit ihnen geschlossen. Warum wurden seine Liebsten dann durch solch schlimme Ereignisse gestraft? So sehr er auch versuchte eine Antwort auf seine Fragen zu finden es wollte ihm nicht gelingen.

„Ein schöner Wald.“ Draihn sog die Luft ein und lächelte Elrikh ein. „Findest du nicht? Es riecht nach würzigen Tannennadeln und süßen Blumen. Und die Stille ist so beruhigend.“

„Ich glaube du bist beinahe der einzige der das so sieht.“ Elrikh deutete unauffällig auf die Männer hinter ihnen. „Sie sehen so aus als würden sie am liebsten die Beine in die Hand nehmen und türmen. Wenn Rethika sich nicht dazu bereit erklärt hätte die Nachhut zu bilden würde ich mir Sorgen machen einen von ihnen im Dickicht zu verlieren.“

„Sei nicht unfair, Elrikh“, rügte ihn Draihn. „Diese Männer haben ihr Dorf so gut wie nie verlassen. Im Gegensatz zu dir wissen sie nicht, dass es noch viel schlimmere Orte als diesen hier gibt. Selbst mir wäre nicht wohl bei dem Gedanken hier völlig alleine zu marschieren.“

Der Bockentaler seufzte.

„Der Nomadenüberfall hat mir gezeigt wie hilflos meine Heimat ist, Draihn. Räuber und Gesetzlose haben sich bei uns nie blicken lassen weil sie wussten, dass es weder Gold noch Edelsteine zu erbeuten gibt. Aber die Wüstensöhne waren gekommen um Blut zu vergießen und sich Sklaven zu holen. Selbst wenn wir den Ansturm der Druule im Gebirge überstehen. Das Leben im Bockental wird nie wieder so sein wie früher.“

„Was heißt hier selbst wenn?“ Draihn musste darauf achten mit gesenkter Stimme zu sprechen um die Männer nicht zu beunruhigen. „Das Ostgebirge hat bisher jeder Gefahr standgehalten. Selbst im Trollkrieg wurden die Mauern nicht gebrochen. Abertausende von den Riesen sind gefallen bei dem Versuch die Menschen zu bezwingen. Und wir haben überlebt.“

„Das war etwas anderes“, wiegelte Elrikh ab. „Damals waren die Verteidiger reich an Zahl und die Elfen standen uns als mächtige Verbündete zur Seite. Doch davon ist nichts geblieben. Weißt du noch was uns Tymae einmal erzählt hat? Sie sagte, dass Elfen und Schattenkinder sich fortan nicht mehr an den Kämpfen der anderen Völker beteiligen würden. Ihr Blut ist ihnen zu kostbar. Ihr Blut, Draihn. Wie viel davon haben die anderen gelassen um für die Freiheit dieser Welt zu kämpfen? Wie viel? Und was hat es gebracht? Nichts. Wir werden jeden Tag schwächer und niemand weiß welcher Feind als nächstes vor den Toren steht. Was wird wohl passieren wenn die Druule erst besiegt sind? Wird dann das Imperium angreifen um das Attentat auf ihren Anführer zu rächen?“ Elrikh hielt plötzlich inne und blickte sich um. Die anderen Männer hatten angehalten und sahen ihn teils mit aufgerissenen teils mit gesenkten Augen an. Der Zimmermann bereute, dass sie es auf diese Weise erfahren mussten. Aber auch seine Belastbarkeit hatte ihre Grenzen gefunden. Er tat einen Schritt auf Draihn zu damit seine letzten Worte nicht von jedermann gehört werden konnten. „Wir sind Spatzen in einem Sturm, Draihn. Und wenn der Wind nachlässt laben sich die Geier an unseren Kadavern. Es fragt sich nur wie lange wir noch die Kraft haben zu Fliegen.“

Er wandte sich ab und ging eiligen Schrittes weiter. Innerlich verfluchte er sich selbst für seine Worte. Aber ihm fehlte einfach die Kraft um weiterhin an Hoffnung und Frieden zu glauben. Für Elrikh stand bereits fest, dass niemand von ihnen das Bockental jemals wiedersehen würde.

 

In Ihrer letzten Nacht im Steinwald saß Elrikh einsam auf einer kleinen Lichtung und dachte über seine erste Reise nach, welche ihn damals hierher geführt hatte. Damals wollte er den Sinn des Lebens finden und sich die Welt außerhalb des Bockentals ansehen. Er hatte Angst davor so zu werden wie sein Vater. Nicht, dass an dessen Charakter etwas falsch gewesen wäre. Bemahr war stets ein guter Mensch der sich um seine Familie sorgte. Niemals hätte er sie im Stich gelassen oder gar seine Pflichten anderen gegenüber vernachlässigt. Elrikh war genauso. Wenn er jemandem seine Hilfe anbot dann trug er auch alle Konsequenzen die daraus entstanden. Und gerade weil dem so war, musste der Zimmermann seine Heimat verlassen ehe es dafür zu spät gewesen wäre. Obgleich er von einem Leben mit Limar an seiner Seite träumte und wie sie gemeinsam mit ihren Kindern den Frieden im Bockental genossen, musste Elrikh vorher mehr von der Welt sehen. Er wusste, dass sein Vater eigentlich Zimmermann werden wollte aber durch seine frühe Ehe keine Zeit hatte dieses Handwerk zu erlernen. Er brauchte eine Arbeit die schnell Geld abwarf. Also schloss er sich den Jägern an. Bei Elrikhs Geburt schien für Bemahr bereits festzustehen, dass sein Sohn nun an seiner Statt dieses Handwerk erlernen sollte. Elrikh hatte das nie in Frage gestellt. Aber je älter er wurde desto größer wurde der Wunsch einen eigenen Weg zu gehen. Und dieser Weg führte ihn damals aus dem Tal hinaus. Nach einer Reise, welche ihn über den halben Kontinent führte, fand er damals Rahbock im östlichen Reggitdorf. Der Weise beglückwünschte Elrikh zu den Erfahrungen welche er auf seinem langen Weg gemacht hatte. Und mit nur wenigen Worten gab er dem Bockentaler zu verstehen, dass man seine Zeit nicht damit verbringen sollte den Sinn des Lebens zu suchen. Denn dann würde das Leben an einem vorüber ziehen. Vielmehr war es wichtig seinem Herzen zu folgen und das zu tun wonach es einen verlangte.

„Du solltest nicht darauf bauen in Rahbock einen alten Freund wiederzufinden“, hörte Elrikh eine piepsende Stimme sagen.

Er erschreckte jedoch nicht, da er mit Kabujis Erscheinen gerechnet hatte. Die flatterhafte Federfee zog einen feinen Glitzernebel hinter sich her und landete schließlich auf einem kleinen Felsen direkt vor Elrikh.

„Ich wusste nicht, dass Federfeen auch Gedanken lesen können.“

„Können wir nicht. Aber das ist auch nicht notwendig. Deine Gesichtszüge sind für mich ein offenes Buch seit wir uns das erste Mal getroffen haben.“ Kabuji kicherte. „Wo ist eigentlich mein Freund mit dem großen Hinterteil? Ich dachte du bringst ihn mit?“

Doch dem Bockentaler war nicht zum Scherzen zumute.

„Rethika ist im Lager bei den anderen. Ich wollte alleine mit dir sprechen. Es geht um die Zukunft des Bockentals.“

Kabujis Stimme schien plötzlich das helle Fiepen zu verlieren. Die kleine Gestalt setzte sich im Schneidersitz auf ihren Felsen und sah Elrikh für einen Moment an.

„Was willst du wissen?“

Wo sollte Elrikh nur anfangen?

„Ich will wissen wann meine Leute endlich wieder in Frieden ihre Heimat aufsuchen können. Wir sind kein umherziehendes Volk. Wir sind Bauern, Handwerker, Jäger und Viehtreiber. Diese Leute können kein Leben als Flüchtlinge führen. Und genauso wenig wären sie für ein Leben als Gäste im Ostgebirge geschaffen.“

„Viele müssen in diesen Zeiten Dinge tun für welche sie nicht bestimmt waren. So ist der Krieg nun mal.“

„Aber wir haben diesen Krieg nicht begonnen“, wurde Elrikh lauter. „Und wir werden ihn auch nicht weiterführen!“

„Ja was glaubst du denn? Dass ihr ein Friedensabkommen mit den Druulen schließen könnt? Du tust so als läge es in unseren Händen deinen Leuten ihr Tal wiederzugeben.“

Elrikh winkte ab.

„Ich erwarte nichts von niemandem. Aber ich weiß, dass dein Volk die Gabe der Voraussicht besitzt. Und nach allem was ich geopfert habe um diesen Kontinent zu retten habe ich ein Recht darauf zu erfahren wie es um meine Leute und unsere Heimat bestimmt ist.“ Elrikh beugte sich vor und sah Kabuji mit einem Blick an der eine Mischung aus Flehen und Fordern zu sein schien. „Wann wird mein Volk wieder den Frieden seiner Heimat genießen können, Kabuji? Ich muss es wissen. Ich muss wissen, dass wir darauf hoffen können.“

Ihr winziger Mund verzog sich zu einem Strich.

„Was du verlangst…“

„Ist nicht zu viel“, vollendete Elrikh ihren Satz.

Die Federfee schloss die Augen und ließ den Kopf sinken. Es dauerte nur wenige Augenblicke in denen sie so aussah als würde sie angestrengt nachdenken. Dann hob sie ihren Kopf wieder und atmete hörbar aus.

„Es tut mir leid, Elrikh. Aber deine Leute werden ihre Heimat nie mehr wiedersehen.“

In ihrer Stimme klang so viel Offenheit mit, dass Elrikh sich der Bedeutung ihrer Worte bewusst war. Kabuji spielte keine Spielchen mit ihm. Auch sprach sie nicht in Rätseln. Sie meinte was sie sagte. Er versuchte sich zu beherrschen und kämpfte mit aller Kraft gegen seine Tränen an.

„Wie… wie werden…?“

„Lass es, Elrikh. Auch für mich ist dies schmerzhaft. Wir sollten die verbleibende Zeit nicht damit verbringen über das Unausweichliche zu sprechen.“

„Und was sollten wir dann tun?“

Die Fee erhob sich und wirkte plötzlich ungewohnt kämpferisch auf den Zimmermann.  

„Wir werden die Diener Ozanuhls bekämpfen so gut wir können. Und aus diesem Grund musst du zu Rahbock gehen und ihm eine Nachricht von mir überbringen.“

Überzeugung statt Reue

 So leicht sie mit den Artefakten das Ostgebirge verlassen hatten, so leicht kehrten sie nun wieder ungesehen zurück. Befay und Rigga hatten die unterirdischen Höhlen des Krötenwaldes verlassen und einen verschlungenen Pfad durch das Gebirge eingeschlagen. Der Elf war immer noch mitgenommen von den Erlebnissen im Sahletreich. Die Maske des Dunkelgottes war für sie nun unerreichbar. Dass sich die Prophezeiung auf diese Weise erfüllen würde hätte der Schwertmeister nicht geglaubt. Er wollte Isamaria und den restlichen Kontinent vor dem drohenden Schatten aus Teberoth bewahren. Doch nun hatte er genau das Gegenteil erreicht. Er rechnete damit von Meister Rahbock aufs Schwerste bestraft zu werden. Für seinen Verrat gab es keine Entschuldigung. Schon gar nicht wenn man die schwerwiegenden Folgen bedachte.

„Ich weiß nicht warum wir überhaupt nach Isamaria zurückkehren“, sprach er unvermittelt aus.

Rigga blieb stehen und sah zu ihrem Begleiter zurück.

„Wir gehen zurück um den freien Völkern beizustehen. Die Artefakte der Erlösung sind immer noch in unseren Händen. Das Antlitz des Einen hat seinen Herren gesucht und ist zu ihm zurückgekehrt. Dies war nur möglich weil Awart und sein Zirkel keinen anderen Ausweg mehr sahen.“ Die Schamanin blickte beschämt zu Boden. „Und weil ich ihm vertraut und dich zum Verrat gedrängt habe.“

Langsam ging der Schwertmeister auf Rigga zu. Zum ersten Mal, seit ihrer ersten Begegnung, wirkte sie hilflos auf ihn.

„Es ist dieser Tage nahezu unmöglich die wahren Absichten unserer Freunde und Verbündeten zu erkennen. Sieh mich an. Rahbock hat mit Sicherheit nicht vermutet, dass ich ihn hintergehen und die Artefakte stehlen würde. Und doch tat ich es. Ich tat es um Gutes zu bewirken.“ Der Elf bedachte sich selbst mit einem spöttischen Lachen. „So habe ich mir das alles nicht vorgestellt, Rigga. Dies ist einfach nicht wozu ich mich berufen fühle. Es kommt mir beinahe so vor als wären wir die abgerissenen Blütenblätter einer Sonnenblume die von den Göttern zum Zeitvertreib umhergeweht werden. Nichts scheint einen Sinn zu ergeben. Nichts scheint nach Plan zu verlaufen. Das sind nicht die Geschichten aus denen große Sagen und Legenden hervorgehen. Glaubst du in tausend Jahren wird man sich erzählen wie wir die Artefakte aus der Wolkenstadt stahlen, in den Krötenwald reisten, dort selbst bestohlen wurden, um kurz darauf wieder in nach Isamaria zurück zu kehren? Das ist doch lächerlich. Seitdem wir versucht haben die Prophezeiung des Dunkelgottes abzuwenden machen wir alles nur noch schlimmer.“

„Was hätten wir deiner Meinung nach anders machen können?“, zischelte die Echsenfrau.

„Nicht anders, Rigga. Wir hätten nichts anders machen können. Wir hätten gar nichts machen sollen. In die natürliche Ordnung einzugreifen ist einfach nicht recht. Wir hätten unser Schicksal akzeptieren und…“

Die Schamanin stieß ihren Stab mit aller Kraft auf den harten Fels um den Elfen zum Schweigen zu bringen.

„Das hieße eine ganze Welt dem Untergang preiszugeben. Ich kann nicht glauben was ich da höre. Begreifst du eigentlich was du da sagst? Du erwartest, dass die Bewohner Berrás sich einfach zurücklehnen und auf ihre Vernichtung warten? Sind DAS die Geschichten aus denen große Sagen hervorgehen?“ Der Elf blickte zornig zur Seite doch Rigga ließ nicht locker. „Mich kannst du nicht täuschen, Befay. Ich weiß was du wirklich fürchtest. Es ist nicht die Unbeständigkeit unserer Zeit. Oder unser Versagen im Krötenwald was dich so wütend macht. Es ist Angst. Du hast Angst als Träger der Artefakte zu versagen. Du würdest dich lieber auf Vinosal verstecken. Zusammen mit deinen Menschensöhnen. Doch man hat dir deine wahre Bestimmung offenbart. Deine Bestimmung gegen den fleischgewordenen Dämon des Dunkelgottes zu kämpfen. Und davor hast du Angst. Aber du hast nicht etwa Angst zu sterben. Nein. Dazu bist du bereit. Du hast Angst zu versagen. Du denkst wenn du versagst liegt die Schuld für den Untergang Berrás alleine bei dir.“

Der Schwertmeister sah sie mit glasigen Augen an.

„Und lege ich damit so falsch?“

Die Schamanin blieb ihrem Begleiter  eine Antwort schuldig.

 

In dieser Nacht fand Befay keinen Schlaf. Er und Rigga saßen am Feuer und dachten an den morgigen Tag. Dann würden sie Richtung Westen gehen und den Wall erreichen. Endlich würde er seine Ziehsöhne wiedersehen. Vermutlich wussten sie noch nicht einmal wo er gewesen war. Vor seinem Aufbruch nach Isamaria hatte er nicht mehr die Zeit sich zu verabschieden. Dies hatte Otravia für ihn übernommen. Der alte Druide und dessen Tochter Wiwina hatten sicherlich gut für Vahin und Ralepp gesorgt. Die strohblonde Kräuterhexe mochte die Jungen und würde ihnen die Zeit sicherlich angenehm versüßt haben.

Es war frisch und am dunklen Himmel konnte man vereinzelte Wolken erkennen die den Blick auf die Sterne trübten. Für diese Jahreszeit war das Gebirge ungewöhnlich ruhig. Eigentlich sollte man hier des Nachts die Paarungsrufe der Waldbewohner hören. Doch dem war nicht so. Eine kalte Stille lag in der Luft und nur das Geräusch der schwankenden Baumwipfel im Wind ließ erkennen, dass die Welt nicht erstarrt war.

Der Schwertmeister kaute auf einer harten Nuss herum und reichte Rigga ebenfalls ein paar. Die Sahlet lehnte höflich ab.

„Danke, nein. Ich bleibe bei dem Trockenobst.“ Sie musterte den Elfen. „Hast du dir schon überlegt was du Rahbock morgen sagen wirst?“

„Ich denke pausenlos darüber nach.“ Er schluckte die zerkaute Nuss hinunter und tat die restlichen wieder in seinen Beutel. „Aber jedes Mal wenn ich zu der Stelle komme an der ich mein Verhalten rechtfertigen will, sehe ich mich selbst als Verräter. Mir bleibt nur die Möglichkeit Rahbock zu erzählen was passiert ist. Er soll dann über mich richten.“

„Und was soll aus Vahin und Ralepp werden wenn du…?“

Der Elf sah Rigga herausfordern an.

„Wenn ich was? Wenn ich von Rahbock bestraft werde?“ Er musste eingestehen, dass er nicht an das Schicksal seiner Ziehsöhne gedacht hatte als er über eine mögliche Bestrafung nachdachte. „Vahin und Ralepp sind stark. Für ihre kurzen Leben haben sie schon einiges erlebt. Wenn mir… Wenn Rahbock mich richtet werden sie nicht auf sich allein gestellt sein. Es gibt jemanden dem ich meine Söhne anvertrauen kann.“

„Meinst du sie würden deine Bestrafung jemals akzeptieren, Befay? Diese Kinder lieben dich. Ich habe sie zwar nie gesehen aber nach allem was ich weiß bist du ihnen Vater, Lehrer und Freund zugleich. Du hast dich ihrer angenommen als alle sie verließen. Wie werden sie zu Isamaria und seinen Führern stehen wenn man dich für deine Taten bestraft?“

Befay wusste darauf nichts zu antworten. Für ihn waren die vergangenen Tage zu anstrengend gewesen, als dass er Rigga eine zufriedenstellende Antwort hätte geben können. Erschöpft bettete er sein Haupt auf der kühlen Erde und schloss die Augen.

„Was geschehen ist, ist geschehen. Und was geschehen wird, wird geschehen.“

 

Riggas letzte Bemerkung hatte ihre Spuren hinterlassen. Der Elf fiel in einen unruhigen Schlaf und träumte von seinen Söhnen. Er sah sich selbst vor dem Rat der Weisen in Isamaria stehen. Man beschuldigte ihn des Hochverrats und dem Raub der Artefakte. Zudem wurde ihm vorgeworfen dem Einen sein Antlitz verschafft zu haben. Neben den Ratsweisen standen Vahin und Ralepp. Sie sahen wie ihr Vater in Ketten gelegt und abgeführt wurde. Als die Wachen den Elf aus der Halle brachten begann Vahin zu schreien und um sich zu schlagen. Rahbock versuchte den Jungen zu beruhigen doch das Menschenkind gehorchte nicht. Während Ralepp auf die Erde fiel und weinte griff sich Vahin den Dolch einer Wache und rannte auf Befays Bewacher zu. Völlig überrascht von der Tat des Jungen riss der Soldat seinen Speer nach oben und schlug Vahin damit bewusstlos. Befay rief irgendetwas und wollte zu seinem verletzten Sohn laufen. Doch ein anderer Wachmann hielt ihn zurück. Plötzlich ertönte ein lautes Gebrüll und die Halle wurde in ein rotes Licht getaucht. Ralepp stand mit brennendem Leib zwischen den Ratsweisen und erdrosselte Rahbock. Als Befay seinen Namen rief blickte der Junge zum Elf und sprach einige Worte in einer fremden Sprache. Dann leuchteten seine Augen auf und die gesamte Ratshalle verschwand in einem Meer aus Flammen.

 

Schreiend erwachte der Schwertmeister aus seinem Schlaf und erblickte sogleich das spitze Ende eines Speers. Vor ihm standen mehrere Soldaten aus Isamaria und richteten ihre Waffen auf ihn. Unweit entfernt sah er Rigga, die sich soeben ihre Hände binden ließ. Einer der Soldaten nahm seinen Speer zu Seite und deutete eine leichte Verbeugung an.

„Es tut mir leid, Meister Befay. Aber ihr werdet des Verrats beschuldigt und müsst uns nach Isamaria begleiten. Meister Rahbock und der Rat werden über euer Schicksal und das eurer Komplizin entscheiden.“  

Valantar ist allein

 Es ging alles so schnell. Keiner von uns hatte mit dieser Ausgeburt der Unterwelt gerechnet. Obgleich die Königsstadt schon seit Monaten von Dukarus gegen einen Angriff der Nomaden bewacht wurde sehen wir uns nun einer weitaus größeren Bedrohung gegenüber. Unsere Späher berichten, dass Alchor bereits gefallen ist. Soweit ich in Erfahrung bringen konnte waren Adehrmus und seine Soldaten gegen die Nomaden in den Krieg gezogen, so dass die Hafenstadt schutzlos war. Nur eine geringe Zahl von Überlebenden hat es bis zu uns geschafft. Sie erzählten von einer gewaltigen Flotte, begleitet von schwarzen Wolken und lautlosen Blitzen. Mág Cosalus traf zusammen mit den letzten Überlebenden des Infernos ein. Obwohl ich Dukarus ersten Offizier nicht in jeder Hinsicht traue, scheint er mir aufrichtig besorgt um das Wohl des Landes und seiner Bürger zu sein. Ich habe zugestimmt ihm bis auf weiteres die Befehlsgewalt über Valantar zu geben. Nachdem wir von Dukarus befreit wurden wage ich zu hoffen, dass Lord Vartik und die anderen aufrichtigen Ratsherren bald zurückkommen werden. Allerdings weiß ich nicht ob die politische Führung des Reiches gegenwärtig unser größtes Problem darstellt. Vielmehr müssen wir das Volk vor den Druulen beschützen. Im Westen und Norden wurden bereits einzelne Lager der Bestien ausgemacht. Offenbar wollen sie noch nicht angreifen, sondern uns langsam die Schlinge um den Hals zuziehen.

Tagebuch von Hofmeister Kutor

11 Tag des Monats May

Gespräche im Ostgebirge

Brook war überwältigt von dem Bauwerk im Ostgebirge. Die Wehrmauern übertrafen wirklich all seine Erwartungen. Der Seemann traf vor zwei Tagen zusammen mit Boemborgs Flotte am Nordufer ein und machte sich ohne Umwege auf den Weg zum Wall. Mart, die Bockentalerinnen und eine Schar der Nordmänner begleiteten ihn. Brook und Boemborg hatten in den vergangenen Tagen einige Zeit miteinander verbracht und sich gegenseitig von den Geschehnissen der letzten Jahre erzählt. Dabei war es faszinierend und erschreckend zugleich, wie sehr ihre Erlebnisse miteinander verknüpft zu sein schienen. Auch Mart wohnte den meisten dieser Gespräche bei und gab des Öfteren seine Verwunderung zum Ausdruck.Die Ankunft der außergewöhnlichen Reisegruppe hatte sich schnell rumgesprochen. Und so wurden die Bockentalerinnen von einigen vertrauten Gesichtern begrüßt. Gethela, Bemahr, sowie dessen Jagdgefährten, hießen ihre vermissten Freunde und Nachbarn willkommen und waren sichtlich erleichtert über deren Rettung. Die Frauen fragten sofort nach ihren Männern, welche jedoch noch nicht eingetroffen waren. Gethela suchte das Gespräch mit Brook und zog ihn zur Seite.

„Ich kann euch gar nicht genug für die Rettung der Frauen danken. Als ihr mit meinem Sohn aufbracht um sie zu retten hatte ich schon befürchtet ihn nie wieder zu sehen.“ Sie warf einen Blick hinter die letzten Reihen der Ankommenden und sah den Piraten verwundert an. „Wo ist Elrikh? Warum ist er nicht bei euch?“

Auch Elrikhs Vater Bemahr kam hinzu und blickte sich suchend nach seinem Sohn um. Brook wollte die besorgten Eltern nicht beunruhigen und setzte eine gelöste Miene auf.

„Keine Sorge. Elrikh, Draihn und Rethika sind vor uns an Land gegangen um die Männer aus dem Dorf zu holen. Sie werden sicherlich bald eintreffen.“

„Hättet ihr nicht einfach einen einzelnen Reiter ausschicken können anstatt meinen Sohn wieder einer Gefahr auszusetzen?“

Gethela stieß ihren Mann in die Rippen und deutete Brook ein entschuldigendes Nicken an.

„Ihr kennt meinen Mann noch nicht. Das ist Elrikhs Vater Bemahr.“

Der Jäger neigte sein Haupt und reichte dem Seemann die Hand. Dieser verstand die Sorge des Vaters und gab sich versöhnlich.

„Elrikh hat viel von euch erzählt. Ich dachte mir gleich, dass ihr sein Vater seid. Ihr habt dieselben Augen.“

Jetzt tat es Bemahr noch mehr leid, dass er Brook vorhin so hart angegangen war. Der Pirat wirkte aufrichtig auf ihn. Und wenn Elrikh ihn einen Freund nannte, dann musste er guter Mensch sein.

„Wie ging es Elrikh als ihr ihn das letzte Mal gesehen habt?“

Brook kratzte sich an den Bartstoppeln und blickte hilfesuchend umher. Er wollte Elrikhs Eltern nichts von dessen Verletzungen durch den Funkenwolf erzählen.

„Es ging ihm gut. Er war froh vom Schiff zu kommen. Der Wellengang bekommt ihm auch nach den vielen Monaten der Seereisen noch nicht.“

Bemahr schien die Flunkerei des Piraten zu bemerken, sagte aber nichts da er seine Frau nicht beunruhigen wollte. Stattdessen deutete er auf die Frauen und den Troll.

„Ihr habt wahrlich für eine gute Eskorte gesorgt. Nach allem was ich in den letzten Tagen gehört habe gibt es nicht viele hilfsbereite Dickhäuter. Euer „Kamerad“ bildet da wohl die Ausnahme.“

Brook gefiel nicht wie sich der Tonfall in Bemahrs Stimme wandelte.

„Ich weiß nicht was ihr über die Trolle des Gebirges gehört habt. Aber Mart gehört zu uns. Genauer gesagt kam er zusammen mit Elrikh auf mein Schiff. Er ist eurem Sohn ein Freund geworden und hat ihm mehr als einmal das Leben gerettet.“

Der Bockentaler vernahm die Worte des Piraten sagte aber nichts dazu.

„Wir sollten die Frauen in unser Lager bringen. Bald werden die anderen kommen. Dann sollten wir hier nicht im Wege sein.“

„Die anderen?“, fragte Brook verwundert. „Ihr meint die Männer?“

„Nein. Die anderen Flüchtlinge. Isamaria nimmt seit Monaten die Flüchtlinge der anderen Städte und Dörfer auf. Vor kurzem wurden Boten in jeden Winkel des Landes entsendet, dass jeder der bei Verstand ist, sich hierher flüchten soll. Es sollten also bald noch mehr kommen.“

Brook musste an den Anblick der Druulflotte denken. Und auch die Hafenstadt Alchor brannte vor seinem geistigen Auge. Er hatte viel Zeit an diesem Ort verbracht. Und nicht wenige Freunde dort verloren.

Eine leichte Berührung von Gethela ließ den Piraten aufschrecken.

„Entschuldigt. Ich war mit meinen Gedanken woanders. Aber ihr habt Recht. Bringt die Frauen ruhig in euer Lager. Mart und ich werden hier auf unsere Freunde warten und Elrikh sagen wo er euch findet.“

Kaum, dass Gethela und Bemahr gegangen waren, gesellte sich der Troll auch schon zu seinem Gefährten.

„Ich kann ja verstehen wenn die Menschen mich dauernd anstarren. So oft werden sie ja wohl keinen Troll zu sehen bekommen. Aber einige scheinen mich mit Verachtung und Abscheu zu strafen.“

„Mach dir keine Gedanken, mein großer Freund.“ Sprach Brook während er die Gesichter der Menschen studierte. „Die Angst vor der Zukunft hat sie misstrauisch gemacht. Komm. Wir suchen uns jetzt etwas zu essen und erwarten die anderen vor dem Wall. Auf dieser Seite der Mauern wird mir die Luft zu dick.“

 

Die Tage wurden wärmer und die Nächte kürzer. Als Boemborg das große Versammlungszelt betrat spendete die untergehende Abendsonne immer noch ein paar letzte wärmende Strahlen. Der Nordmann begrüßte die anderen Kommandanten und war verwundert Rahbock nirgends zu sehen. Mathir kam auf den stämmigen Krieger zu und wirkte dabei sichtlich angespannt.

„Habt ihr sie gesehen?“

„Wenn?“, antwortete Boemborg aufrichtig verwirrt.

„Die Schiffe der Druule. Unsere Späher sind sich nicht sicher ob sie weiter nach Norden gesegelt sind. Bisher wissen wir nur, dass Alchor vernichtet wurde. Aber es gibt keine Spur von Flüchtlingen. Und ich kann keine Soldaten mehr entbehren um die Steppen nach Überlebenden absuchen zu lassen. Wenn wir wenigstens mit Sicherheit sagen könnten wohin diese Monster als nächstes ihre Schritte lenken…“

Trimalia eilte herbei und flüsterte ihrem Ordensbruder etwas ins Ohr. Dieser blickte sie ungläubig an.

„Bist du sicher?“

„Natürlich.“

Mathir ging ohne ein weiteres Wort aus dem Zelt und ließ einen verunsicherten Nordmann zurück. Dieser konnte Trimalia gerade noch daran hindern auch einfach hinaus zu stürmen.

„Trimalia. Was ist hier eigentlich los? Jedermann ist in Aufregung und niemand scheint genau zu wissen was uns bevorsteht. Selbst Mathir scheint mir über alle Maßen kopflos zu sein.“

Die Kommandantin seufzte und ließ ihren Blick über die vielen kleinen Gruppen innerhalb des Zeltes schweifen. Überall wurde über die jüngsten Ereignisse diskutiert und nicht selten erhob einer der Anwesenden seine Stimme. Offiziere aus Isamaria stritten mit denen aus Valantar. Und auch einige Vertreter der Flüchtlingslager aus dem Süden waren vertreten. Trimalia glaubte auch deren rothaarige Anführerin im Pulk lauthals reden zu hören. Offenbar diskutierte sie mit dem Zentaurenführer Moran und dessen Beratern.

„Ihr müsst Mathir verzeihen. Die letzten Tage waren das reinste Chaos für ihn und uns. Beinahe stündlich erreichen uns Meldungen aus allen Winkeln des Landes. Nachrichten über Feindbewegungen versetzen die Soldaten in Alarmbereitschaft und eine Stunde später stellt es sich als Falschmeldung heraus. Unsere Grenzwachen melden einen unentwegten Strom von Flüchtlingen aus Inaros und Kamari. Aber bisher sind keine Überlebenden aus den westlichen Regionen eingetroffen. Und Melder die wir zur Königsstadt ausgeschickt haben kehrten nicht zurück. Und als ob dies alles noch nicht schlimm genug sei, gibt es immer wieder Gerüchte, dass die Nomaden sich wieder formiert hätten um erneut anzugreifen.“ Die Kriegerin rieb sich ihre müden Augen. „Mathir hat seit Tagen kein Auge zu getan. Man drängt ihn zu einer Entscheidung.“

„Zu was für einer Entscheidung?“

Trimalia nahm den Nordmann zur Seite damit niemand sie hören konnte.

„Kommandant Adehrmus und einige Ratsherren aus Valantar wollen mit der Armee zur Königsstadt aufbrechen. Sie fürchten um das Reich wenn die Druule ihre Hauptstadt ebenso überrennen wie Alchor.“

„Aber das wäre Wahnsinn. Mathir würde unsere Leute gegen eine Übermacht ins offene Feld führen.“

„Ich sehe das genauso. Aber Adehrmus appelliert an das neue Bündnis. Schließlich stand er uns gegen die Nomaden bei. Nun erwartet er dasselbe um Valantar vor den Druulen zu schützen.“

„Was ist mit Rahbock? Mathir kann die Armee nicht ausziehen lassen wenn der Ratsführer dies verweigert.“

Die Ordensritterin schüttelte den Kopf.

„Rahbock ist nicht mehr in der Lage solche Entscheidungen zu fällen. Sein Geist beschäftigt sich seit dem Feldzug gegen die Nomaden mit anderen Dingen.“

Der Nordmann wirkte plötzlich alarmiert. Rahbock war ein wichtiger Mann für die Bewohner Isamarias geworden. Ihn jetzt als Führer zu verlieren könnte verheerend sein.

„Wovon sprichst du? Womit beschäftigt er sich.“

Sie wollte antworten, doch ein markerschütterndes Gebrüll beendete das Gespräch. Eilig rannten die Versammelten aus dem Zelt und trauten ihren Augen kaum. Ein Troll stand vor einer Reihe isamarianischer Soldaten und fletschte bedrohlich seine Hauer. Seine mächtigen Pranken schienen bereits das erste Ziel zu suchen.

 

„Das ist doch was anderes als Salzhering, Trockenhering oder Brathering. Oder, mein Großer?“

Der Troll konnte Brooks Begeisterung für die karge Verpflegung nicht teilen. Das halbe Laib Brot und der milde Käse hatten gerade ausgereicht um dem Dickhäuter erst richtig Hunger zu machen. Der Pirat war hingegen dankbar für die Abwechslung auf dem Speiseplan und pullte sich die Reste aus seinen Zähnen hinaus. Mart grunzte unzufrieden und lehnte sich gegen die Mauer. Er und sein Kamerad hatten es sich unweit vom Tor gemütlich gemacht. Den Blick auf die vermeintlich friedliche Ebene gerichtet, dachte der Troll an die kommenden Tage. Die untergehende Sonne tauchte die Umgebung in ein sanftes Rot. Sollte dies ein Zeichen sein?

„Was werden wir tun wenn Elrikh, Draihn und Rethika eintreffen?“

„Was meinst du? Willst du nicht hier bleiben?“

Mart schnalzte mit der Zunge.

„Dies ist kein Ort für mich. Hast du das Getuschel der Torwachen vorhin nicht gehört? Offenbar haben meine Leute ihre Unterstützung versagt. Trolle sind hier nicht gerne gesehen.“

„Das bildest du dir ein, Mart. Schließlich bist du ein Held. Du hast die Bockentalerinnen gerettet und viele Nomaden niedergestreckt. Außerdem bist du einer der Auserwählten.“

„Das wäre ein weiterer Grund nicht hier zu bleiben. Unsere Gemeinschaft sollte wieder zusammenfinden. Rigga wird in der Wolkenstadt sein um dort mit den Weisen und Gelehrten über alten Schrifttafeln brüten. Aber sie gehört zu uns. Sie hätte niemals gehen dürfen. Denk nur an Tymae.“

Brook hatte gehofft dieses Gespräch vermeiden zu können. Ihm fehlte die Gesellschaft seiner langjährigen Partnerin. Das Schattenkind war im Laufe der Jahre so etwas wie eine Freundin geworden. Auch wenn sie dies vermutlich vehement bestreiten würde. Zu wissen, dass sie ihren Tod fand indem sie half die Frauen zu befreien, half ihm über nicht über diese traurige Tatsache hinweg.

Das Geräusch von nahenden Reitern riss ihn aus seinen Gedanken. Der Pirat erhob sich aus dem frischen Gras und blickte angestrengt den Wall entlang.

„Vermutlich nur wieder ein paar Meldereiter“, sprach Mart gelangweilt.

Doch Brook wusste es besser.

„Nein. Es sind Soldaten mit Speeren. Und sie tragen Rüstzeug. Das sind keine Späher.“ Jetzt konnte Brook erkennen, dass es mindestens sechs Soldaten sein mussten. Und zwischen Ihnen ritten noch zwei andere Personen. „Das darf doch nicht wahr sein“, sprach er halb lachend. „Sieh doch mal wer da zu uns kommt.“

Jetzt wurde auch der Troll neugierig und erhob sich. Und seine Mühe wurde sofort belohnt. Auf einem der Pferde saß Rigga. Die Schamanin trug ihren unverwechselbaren Umhang und saß kerzengerade auf dem Pferd. Als sie Mart und Brook bemerkte, konnte man die Überraschung in ihrem Echsengesicht erkennen. Doch anstatt anzuhalten ritt die kleine Gruppe wortlos an den beiden Wartenden vorbei und durch das Tor hindurch. Rigga drehte noch einmal den Kopf um ihren Freunden einen Blick zukommen zu lassen aber dann wurde sie auch schon auf die andere Seite des Walls gedrängt.

„Was sollte das denn?“, kam es ungläubig von Brook, der sofort die Beine in die Hand nahm und hinterherrannte.

Mart tat es ihm gleich und setzte mit mächtigen Schritten hinterher. Die Torwachen wirkten auch dieses Mal nicht gerade begeistert den Troll zu sehen, ließen ihn aber ohne Anstalten passieren. Die kleine Reiterei hatte inzwischen angehalten und die Soldaten stiegen von ihren Pferden hinab. Nur Rigga und ein Unbekannter der unter einer Kapuze verborgen war, blieben auf ihren Pferden sitzen. Brook näherte sich langsam als die Männer plötzlich Haltung annahmen. Ein Mann mit grauen Bartstoppeln, strähnigen Haaren und unsteten Augen eilte herbei und wurde von den Reitern als Heerführer Mathir begrüßt. Als er und die Soldaten sich zu einem vertrauten Gespräch zusammenstellten ging Brook auf Rigga zu.

„Rigga. Warum hast du…?“

Doch sofort war einer der Reiter zur Stelle und stellte sich Brook mit seinem Speer in den Weg. Der Pirat wusste nicht wie ihm geschah. Als er erneut zu Rigga blickte konnte er erkennen, dass ihre Hände gefesselt waren.

„Bringt sie weg von hier“, kam es zornig vom Heerführer. „Bringt sie zu Meister Rahbock. Ohne Umwege!“

Doch Brook ließ sich nicht so leicht von der Sahlet abdrängen.

„Augenblick mal. Was soll das alles? Ich verlange…!“

Jener Soldat, welcher Brook zuvor schon abgewehrt hatte, wollte ihn erneut auf Abstand halten. Doch der Seemann tauchte unter dem Speer hinweg und gab dem Mann einen Tritt, so dass dieser zur Seite fiel. Ein Kamerad des Überrumpelten wollte Brook gerade von hinten angreifen als das donnernde Gebrüll von Mart alle erstarren ließ. Der Troll stellte sich neben Brook und hob die Sahlet-Schamanin behutsam vom Pferd hinunter.

„Was erlaubt ihr euch?“, schrie der Heerführer. „Wer seid ihr und wer gibt euch das Recht dazu?“

Doch der Troll beachtete den Menschen gar nicht und zerriss Riggas Fesseln ohne sichtliche Mühe. Die Sahlet war etwas wacklig auf den Beinen und musste sich an ihrem Befreier abstützen. Dass seine Kameradin so mitgenommen wirkte brachte das Blut des Trolls zum Kochen.

„Wenn du ihr noch einmal zu nahe kommst werde ich dir deinen Kopf abreißen!“, grollte der Dickhäuter dem Heerführer zu.

Brook konnte nicht fassen was hier passierte.

„Lasst uns ruhig bleiben. Das ist nur ein Missverständnis. Warum habt ihr diese Frau gefangen genommen?“

Doch die beschwichtigenden Worte des Piraten erreichten Mathir nicht.

„Ich werde meine Befehle nicht mit einem Vagabunden oder einem Troll diskutieren. Ihr werdet die Sahlet sofort wieder übergeben oder meine Männer werden sie mit Gewalt holen!“

Mathir schien zu meinen was er sagte. Auf einmal kamen mehrere Dutzend Soldaten näher und richteten ihre Waffen auf den Troll. Eiliges Getrampel kündigte die nächsten Schaulustigen an. Zu ihnen gehörte auch Boemborg. Der Nordmann blickte fassungslos zu Brook hinüber.

„Brook. Was tust du?“

„Ihr kennt diesen Mann?“, fragte Mathir zögerlich.

„Ja. Er hat die Bockentalerinnen auf seinem Schiff gerettet. Warum bedroht ihr ihn?“

Wieder verhärteten sich Mathirs Gesichtszüge.

„Das tut nichts zur Sache. Wenn er ein so guter Freund von euch ist solltet ihr ihn lieber davon überzeugen meine Gefangene rauszurücken.“

„KOMMEN WIR UNGELEGEN?“

Ohne Vorwarnung preschte jemand durch die hinteren Reihen der Torwachen hindurch und kam neben dem Troll zum Stehen. Doch es war kein einfacher Reiter. Ein einarmiger Zentaur mit zwei Menschen auf dem Rücken ließ die verdutzten Soldaten zurückweichen und auf neue Befehle ihres Heerführers warten. Doch auch dieser schien mehr und mehr verunsichert.

„Rethika“, kam es erfreut von Mart.

„Na, mein Dicker. Machst du schon wieder Ärger?“

„Was soll das alles?“, rief einer der Zentaurenreiter und sprang von dem Rücken des Pferdemannes.

„Draihn?“, kam es ungläubig vom Heerführer.

„Mathir? Was zum…?“

„Rethika?“

Zentaurenfürst Moran trat hervor und starrte auf seinen ehemaligen Untergebenen. Dieser war überrascht ihn hier zu sehen.

„Moran. Es ist lange her.“

„Brook? Brook?“ BROOK!“

Der Pirat erstarrte als er diese Stimme vernahm. Er hätte sie unter tausenden wiedererkannt. Als er den feuerroten Haarschopf seiner geliebten Malda zwischen all den anderen Anwesenden erkannte ließ er sein Schwert fallen und rannte auf sie zu. Und hier zwischen den Speerspitzen der kampfbereiten Menschen, fanden sie endlich wieder zusammen.

„Ich dachte du wärst in Elamehr gefallen“, hauchte Brook ihr entgegen.

Die sonst so starke Frau gab sich ihren Tränen hin und umklammerte den Piraten mit all ihrer Kraft.

„Ich hätte niemals gedacht dich wiederzusehen. Ich dachte…“

Der Rest ihrer Worte ging in Tränen unter. Brook drückte ihren Kopf an seine Brust und roch den unverwechselbaren Duft ihrer Haare.

„Der Göttervater sei mein Zeuge. Nie wieder werde ich dich gehen lassen.“

Als sie sahen wie Brook und Malda sich in den Armen lagen, ließen die Soldaten unbewusst ihre Waffen sinken. Fragende Blicke drangen auf Mathir ein, welcher immer noch nicht glauben konnte Draihn auf diese Weise wiederzusehen. Bemüht darum Haltung zu zeigen schob der Heerführer sein Schwert in die Scheide und deutete auf ein großes Zelt.

„Es wird wohl das Beste sein wenn wir uns unterhalten. Du und deine… deine Freunde können sich als willkommen betrachten. Aber ich muss darauf bestehen, dass sie…“, Mathir deutete auf Rigga, „… das Lager vorerst nicht verlässt.“ Dann zeigte er auf den anderen Gefangenen der sich die ganze Zeit über nicht gerührt hatte. Er saß immer noch still auf seinem Pferd. „Aber ihn muss ich unter Arrest stellen lassen.“

Jeder war mit den Vorschlägen des Heerführers einverstanden und so wurde, nach ein paar flüchtigen Begrüßungen, das große Zelt erneut zum Ort der Versammlung. Doch dieses Mal wurde die Zahl der Anwesenden kleiner gehalten. Die Neuankömmlinge, sowie Mathir, Trimalia, Boemborg, Moran und Malda wollten sich zusammenfinden um über die gegenwärtige Situation zu sprechen. Doch gerade als Elrikh sich seinen Freunden anschließen wollte hörte er eine vertraute Stimme hinter sich.

„Hallo, mein Sohn.“

Dies war wahrlich ein Tag der Zusammenkünfte.

 

Die Ordensritter

Draihn beendete soeben seine Erzählungen über die letzten Jahre und erntete fassungslose Gesichter von seinen langjährigen Kameraden. Besonders die Segnung durch die Singula und die Erlebnisse in Rogharo stießen auf überwältigte Ohren. Mathir schien plötzlich kein unnahbarer Heerführer mehr zu sein. Für ein paar Augenblicke war er wieder ein einfacher Ritter der Blutschwerter, welcher mit seinen Kameraden beisammen saß. Trimalia und Saba waren nicht minder verdutzt von Draihns Ausführungen und das obwohl der dunkelhäutige Hüne bereits einiges davon wusste. Mathir fasste sich schließlich ein Herz und machte seinem weitgereisten Freund ein Zugeständnis.

„Ich hatte noch nie Grund an deinen Worten zu zweifeln. Und das tue ich auch jetzt nicht. Die Sahlet scheint ein aufrichtiges Wesen zu sein. Ich werde sie nicht nach Isamaria bringen lassen wenn sie diesen Weg nicht freiwillig gehen will.“

„Was ist mit dem Elfen? Ich kenne ihn zwar nicht aber…“

„Aber ich kenne ihn“, unterbrach Mathir ihn. „Befay hat dem Ostgebirge große Dienste geleistet. Er ist ein wertvolles Werkzeug von Meister Rahbock gewesen. Doch die Tatsache bleibt, dass er den Rat hintergangen hat und ich ihn übergeben muss.“

„Glaubst du an seine Schuld?“

Mathir und Trimalia tauschten vielsagende Blicke aus.

„Er ist hitzköpfig für jemanden aus dem Volk der Elfen. Er ist aufsässig und geht viele Risiken ein.“

„Du hast meine Frage nicht beantwortet“, drängte Draihn.

Mathir hielt dem Blick seines Freundes stand und musste schließlich lächeln.

„Dieses Spitzohr hat zwei Menschenkinder als seine Söhne angenommen und beschützt. Nein. Ich halte ihn nicht für schuldig. Aber auch meine Befehlsgewalt hat Grenzen. Rahbock hat dem Elfen in einer wichtigen Sache vertraut und wurde verraten. Nur der alte Mann selbst kann Befay von dieser Schuld befreien.“

„Rigga wird mit ihm gehen“, sagte Draihn enttäuscht. „Ich kenne sie. Wenn sie dem Elfen geholfen hat wird sie auch die Verantwortung dafür übernehmen. Ich hoffe nur, dass dein weiser Ratsherr ihr wahres Wesen ebenso schnell erkennt wie du es getan hast.“

„Dann solltest du sie begleiten. Ich werde nicht mehr nach Isamaria zurückkehren ehe dieser Krieg vorbei ist. Die Türme des Lebens und die große Halle haben ihren Glanz verloren. Mir bringt dieser Ort nur Kummer.“

Draihn stand auf und blickte sich suchend nach Rethika um.

„Meine Gefährten und ich würden Rigga ohnehin nicht mehr alleine ziehen lassen. Diese Gemeinschaft muss zusammenbleiben wenn wir Erfolg haben wollen. Jetzt mehr denn je.“

Auch die anderen Ritter erhoben sich und reichten einander die Hände zum Brudergruß. Trimalia schenkte Draihn ein mildes Lächeln.

„Es freut mich zu sehen was dir diese Gemeinschaft bedeutet. Aber ich hoffe, dass du eines Tages wieder den Orden als deine Familie ansehen wirst. Wenn die Zeit reif ist werden Männer wie du gebraucht.“

Draihn lächelte und neigte den Kopf.

„Schmeichel mir nicht zu sehr. Ich werde meine Gefährten aufsuchen ehe unser Bruder seine Rede hält.“

Mathir bemühte sich ebenfalls um ein Lächeln.

„Ich hatte nicht vor eine Rede zu halten. Aber nachdem uns in den letzten Tagen dermaßen viele Flüchtlinge und neue Verbündete erreicht haben halte ich es für das Beste erst mit allen zu reden, ehe ich über unsere weitere Strategie nachdenken kann.“

Draihn wandte sich bereits zum Gehen ab doch dann hielt er noch einmal inne und ging zu Mathir zurück.

„Du solltest unbedingt das Gespräch mit meinem Freund Elrikh suchen. Er hat wichtige Informationen für dich was den Steinwald betrifft.“

 

Krieger und Anführer

Zentauren pflegten schon immer die Tradition sich bei einem Fass guten Weins ihren Diskussionen hinzugeben. Rethika und Moran wollten dieser Sitte Folge leisten, mussten sich aber mit einem eher bescheidenen Tropfen begnügen. Dennoch wurden die Becher stätig gefüllt und wieder geleert während die Pferdemänner sich unterhielten. Moran versuchte den Armstumpf seines Gegenübers zu ignorieren und hielt seinem bohrenden Blick stand.

„Als ich mich dazu entschloss unsere Krieger gegen die Nomaden in die Schlacht zu schicken, ließ ich alle Kampfwilligen zu mir rufen. Ich war überrascht dich nicht unter ihnen zu sehen. Jetzt weiß ich, dass du dir offenbar anders die Zeit vertrieben hast.“

Rethika setzte seinen Becher ab und vergoss den Rest des Weins auf dem Boden.

„Du hast mir meine Kriegerehre genommen, Moran. Du hast mich aus der Kaste verbannt. Und das nur aus Angst. Du hattest Angst deine Stellung zu verlieren.“

„Sei vorsichtig mit dem was du sagst, Rethika! Auch wenn du dich dazu entschlossen hast mit Menschen, Trollen und Sahlets zu reiten bin ich immer noch der Herr über die Steppen. Ich entscheide wer mit meinen Kriegern in die Schlacht zieht. Nicht du!“

„Du hattest kein Recht. Du hattest kein Recht mich aus der Kaste zu verbannen. Ich war dir immer treu und das weist du. Niemals habe ich die Führung beansprucht. Niemals. Und dennoch hast du mich verstoßen.“

Morans Nüstern blähten sich auf und seine Augen wurden zu engen Schlitzen.

„Du hast deine Kameraden mehr als einmal im Stich gelassen, Rethika. Wie viele sind im Kampf gefallen weil du deinen Blutrausch nicht beherrschen konntest? Wie viele Frauen haben ihre Männer wegen dir verloren? Wie viele Söhne ihre Väter?“ Der Zentaurenfürst schlug mit ganzer Kraft auf Tisch. „Frau und Kinder. Du hast weder das eine noch das andere. Du hast nur für den Kampf gelebt und warst jederzeit bereit zu sterben. Doch dabei hast du vergessen, dass es noch andere neben dir gibt. Sie haben dir ihr Leben anvertraut.“

„Du sprichst vom Kampf gegen die Telakhaner? Diese Schlacht liegt schon viele Jahre zurück. Wir waren in der Unterzahl und wurden deswegen geschlagen. Es war nicht meine Schuld.“

„Es war deine Schuld, Rethika! Du hattest den Befehl mit dem Angriff noch einen Tag zu warten. Die Verstärkung war bereits auf dem Weg. Die Telakhaner wären geflüchtet ohne auch nur einen Tropfen Blut zu vergießen. Doch dein Wille einen Heldentod im Kampf zu sterben war einfach übermächtig. Deswegen hast du sie angegriffen und damit über einhundert Zentauren ins Verderben gestoßen.“

„Ich tat was ich tun musste. Sie haben unsere Siedlungen angegriffen. Sie mussten vernichtet werden.“

Morans Wut schien langsam zu weichen. An ihre Stelle trat aufrichtiges Mitleid.

„Du warst schon immer so, Rethika. Und mir war klar, dass du dich niemals ändern wirst. Deswegen habe ich dich der Kaste verwiesen und dir ein eigenes Gut zum Geschenk gemacht. Du solltest erfahren was es heißt etwas aufzubauen. Eine Familie zu gründen. Für sie zu leben anstatt zu töten.“ Moran blickte zum ersten Mal auf Rethikas Armstumpf. „Mit Sicherheit hast du deinen Arm im Kampf verloren. Weil dein Wunsch zu sterben größer war als dein Leben zu bewahren.“ Der Zentaurenfürst drehte sich um und ließ seinen ehemaligen Untergebenen zurück. „Gehe mit deinen neuen Freunden, Rethika. In unserem Stamm ist kein Platz mehr für dich.“

 

Eine geeinte Familie

Elrikh und seine Eltern hielten sich die ganze Zeit an den Händen weil sie Angst hatten, dass einer von ihnen binnen eines Wimpernschlages wieder verschwinden könnte. Besonders Bemahr konnte immer noch nicht fassen seinen Sohn nach all den Jahren endlich wiederzusehen.

„Beim Göttervater. Du siehst so erwachsen aus, mein Junge. Aus dir ist ein richtiger Mann geworden.“

Gethela streichelte ihrem Sohn über das Gesicht.

„Ich sehe immer noch den kleinen Kuchendieb vor mir, der als Kind immer mein Backwerk gestohlen hat.“

Elrikh lachte und gab seiner Mutter einen Kuss auf die Wange.

„Diese Zeiten erscheinen mir so unerreichbar weit entfernt zu sein. Die letzten Jahre habe ich mehr gesehen als ich jemals für möglich gehalten hätte. Und ich habe Dinge getan…“ Der junge Zimmermann schluckte und versuchte das Thema zu wechseln. „Wo ist Limar? Warum ist sie nicht bei euch?“

„Sie kümmert sich um einen alten Freund.“

„Genauer gesagt um zwei alte Freunde“, unterbrach Bemahr seine Frau. „Aber keine Sorge. Wenn diese Versammlung zu Ende ist bringen wir dich zu ihr. Sie wartet sicher schon ganz ungeduldig. Die Frauen sind nur ein paar Stunden vor euch eingetroffen. Limar hat mir gesagt, dass du und deine Begleiter die Männer aus unserem Dorf holen wollten.“ Bemahr ließ den Kopf sinken. „Deine Mutter hat mir erzählt wie unsere Heimat verwüstet wurde. Ich mag gar nicht daran denken was passiert wäre wenn sie oder du…“

„Ist gut, Vater. Ich habe gesehen was unserem Dorf angetan wurde. Aber wenn ich eines gelernt habe nach all meinen Reisen dann, dass es immer Hoffnung auf bessere Zeiten gibt. Wir werden nicht ewig hinter den Mauern des Ostwalls Schutz suchen müssen. Schon bald wird unser Dorf wieder aufgebaut werden und sich mit Leben füllen.“

Bemahrs Augen glänzten voller Stolz.

„Sieh dich nur an. Ein Sohn der seinen Vater mit Weisheiten aufzuheitern versucht. Ich kann dir gar nicht sagen…“

„Elrikh. Tut mir Leid wenn wir euch stören. Aber Mathir wünscht jetzt mit dir zu sprechen“, Draihn deutete den Eltern seines Kameraden eine Entschuldigung an. Dann wandte er sich an Bemahr. „Saba möchte mit euch sprechen. Es sei sehr dringend.“

Gethela drückte ihre beiden Männer an sich und küsste sie auf die Stirn.

„Geht nur, ihr zwei. Ich werde Limar suchen und dann werden wir uns zum Essen beisammen setzen. Ganz so wie früher.“

Die Bockentalerin ging eiligen Schrittes aus dem Zelt ohne sich noch einmal umzudrehen.

„Eine tapfere Frau“, sagte Draihn. „Saba hat mir erzählt wie sie ihn gerettet hat. Ihr müsst sehr stolz auf sie sein, Bemahr.“

Der Jäger nickte.

„Das bin ich. Aber rede mich nicht so förmlich an. Nach allem was mir Elrikh erzählt hat warst du so etwas wie ein großer Bruder für ihn. Das sollte uns doch auch verwandt machen.“

Der junge Zimmermann errötete leicht.

„Lass uns gehen, Vater. Umso schneller sind wir bei Mutter und Limar.“

 

Außenseiter

Mart war nicht entgangen, dass Rethika einen heftigen Streit mit seinem Stammesführer hatte. In der Absicht seinen Gefährten abzulenken ging der Troll zu ihm hinüber und griff sich das angebrochen Fass Wein.

„Ich weiß nicht wie es dir geht aber ich bin froh wenn wir hier wieder weg sind. Alle starren mich an als wenn ich die Pest über sie bringen würde.“

„Mir ist gleich ob wir bleiben oder weiterziehen“, gab Rethika trocken zurück. „Mein Stamm wird mich nicht als Krieger in dieser Schlacht dulden. Wer kann es ihnen auch verdenken? Wie sollte ein einarmiger Zentaur seine Kameraden auch beschützen?“

Der Troll stellte das Fass ab und suchte Rethikas Blick.

„Du warst mir immer ein guter Gefährte und Waffenbruder. Und wenn man mir hundert Trolle zur Seite stellen würde. Ich würde nur mit dir in den Kampf ziehen.“

Rethika fühlte sich geehrt, konnte Mart aber keine aufmunternden Worte erwidern.

„Unsere Reise wird bald vorbei sein, mein großer Freund. Wir können nicht ewig umherziehen und nach dem Sinn unseres Tuns suchen. Dies ist die alles entscheidende Schlacht. Wir wissen es doch beide. Die Druule sind nicht hier um zu verhandeln oder Grenzen abzustecken. Sie wollen vernichten. Sie wollen alles zerstören was auf diesem Kontinent lebt. Und auch wenn mein Stamm mich nicht mit sich in den Kampf ziehen lässt so werde ich mich nicht um diese Schlacht bringen lassen. Ich werde den Missgeburten der jenseitigen Welt schon zeigen, dass ein einarmiger Zentaur mehr Blut vergießen kann als sie bereit sind zu geben. Und wenn es dann soweit ist werde ich in die goldenen Hallen einziehen und dort auf dich warten.“

Ein vertrautes Klappern drang plötzlich an die Ohren des ungleichen Paares. Noch ehe er sich umdrehte erlaubte Rethika sich ein breites Grinsen aufzusetzen.

„Na wenn das mal nicht meine beiden liebsten Ungeheuer sind.“

Der Zentaur wandte sich um und schenkte

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: René Pöplow
Bildmaterialien: René Pöplow
Lektorat: Keines
Tag der Veröffentlichung: 04.07.2015
ISBN: 978-3-7396-0334-6

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Horst Nadolski Meinem Freund, meinem Trainer, meinem Mentor, meinem zweiten Vater. Du warst immer ein Kämpfer. Niemals hast du aufgegeben. Es vergeht kaum ein Tag an dem ich nicht an dich denke. Ich kann nur hoffen, dass du weißt was du mir bedeutet hast. Als viele mich aufgegeben haben hast du zu mir gehalten. An unsere gemeinsame Zeit werde ich immer mit einem Lächeln zurückdenken. Bis wir uns in den goldenen Hallen wiedersehen.

Nächste Seite
Seite 1 /