Cover

Ein ordentlicher Schreibtisch


Notiz an 01.04.2009 in der Firma (man kann ja nicht immer nur arbeiten)



Wenn es stimmt, daß die Ausstattung des Schreibtisches Informationen über die Seele des Schreibtischbesitzers geben kann, dann ist meine Seele unordentlich, partiell verstaubt und voll mit Dingen, die da nicht hingehören. Als Ausgleich wird meiner Seele dauernd etwas geklaut, was sie eigentlich dringend benötigt. Ich bin nicht sicher, für welchen Teil meines Seelenlebens der grüne Textmarker steht, aber der ist immer weg, und auch das Radiergummi finde ich nur dann, wenn ich es nicht brauche. Dabei haben wir ganze 5 Meter von meinem Schreibtisch entfernt einen großen Schrank, in welchem sich Hunderte von grünen Textmarkern gelangweilt die Zeit vertreiben, indem sie mit Radiergummis jonglieren.
Auf meinem Tisch gibt es Überraschungsei-Figuren, Gummibänder aus der Zeit vor der Währungsreform (ich bin nicht mal sicher, ob aus der, von der meine Großmutter immer erzählt, und nach der sie sich das rosafarbene Steingutservice gekauft hat, oder aus unserer letzten. Ich kann mich nicht erinnern, was ich mir von dem neuen Geld als erstes gekauft habe. Es kommt mir vor, als seien Währungsreformen früher spannender gewesen), dann gibt es Handcreme, eine Pflegeanleitung für die weiße Kamelie „Matterhorn“ (halbschattig bis schattig stellen und den Topfballen immer feucht halten!) und diese kleinen laminierten Kärtchen, auf denen auf der einen Seite ein Miniatur-Kalender und auf der anderen Seite die Werbung des edlen Miniaturkalenderspenders gedruckt ist. Ich besitze diese Kalender aus den Jahren 1989 bis 2009 durchgehend, aber da sich auf keinem davon jemals das Antlitz von Maria gezeigt hat, werde ich diese phantastische Sammlung wohl auch nicht bei Ebay los.
Wenn jemand aus der Firma Büroklammern, Kugelschreiber oder die Bürzelfedern eines Dodo benötigt, wendet er sich normalerweise an mich, in der berechtigten Hoffnung, dass sich all das auf meinem Schreibtisch finden wird, wenn man nur lange genug sucht.
Dabei mag ich aufgeräumte Schreibtische! Ich finde kaum etwas phantasieanregender, als ein sauberer, von allem Überflüssigen befreiter Schreibtisch, auf dem sich lediglich ein weißer, an den Ecken nicht abgestoßener, unbeschriebener DIN-A3-Block sowie einige Kugelschreiber und Bleistifte (und ein grüner Textmarker) befindet.
Alle paar Monate überkommt mich ein Aufräumanfall. Dann bin ich fest entschlossen, getreu der Devise „Simplify your life“ (ich liebe dieses Buch; meine Güte, wie ich das liebe...) alles Unnütze von meinem Schreibtisch zu entfernen. Ich wühle mich durch Stapel von unausschlagbaren, aber nie angenommenen Angeboten (gültig bis 02.05.2005) und geheimnisvollen Zetteln mit kryptischen Anweisungen (47b Dav. kontrol.!!!) und vernichte alles, was ich seit mindestens einem Jahr nicht mehr in der Hand hatte. Die Weihnachtskarte der Druckerei Schmidt mit ihrem launigen Weihnachtsgedicht von 2006 landet ebenso in der großen Abfalltüte wie die steinharten Gummibärchen und der Dav.- Kontrol.-Zettel.
Und dann sieht der Schreibtisch wieder schön aus. Sauber. Neu. Als würde hier jemand sehr Effizientes arbeiten, jemand, der nach getaner Arbeit alles sauber und aufgeräumt hinterlässt und dem nie irgendwer den grünen Textmarker klaut.
Einen Tag später stelle ich ganz in die Ecke, hinter dem Monitor, da, wo es keiner sieht, eine Tüte mit Bonbons. Und die kleine Maus aus dem Überraschungsei, denn zum Wegschmeißen ist die doch viel zu schade. Und irgendwann klingelt das Telefon und ich schreibe auf einen kleinen Zettel: „Anr. Med. GS nachf.“, und lege ihn auf den Schreibtisch. Gleich neben das Angebot für den Multifunktionskocher (und eine Dose dänischer Butterkekse, die es gratis dazu gibt).
Wenn man das alles im rechten Winkel zueinander ausrichtet, sieht es immer noch ordentlich aus...


Wahltag


Notizen zur Europawahl
Oder
What would a pirate do



Meine Familie hat einen Hang zum Skurrilen, das weiß ich seit Langem (schließlich hat diese Familie mich hervorgebracht), und ein wenig stolz bin ich auch darauf. Umso mehr erfreut es mich aber, daß ich für den Fortbestand des Skurrilen in dieser Familie gesorgt habe, indem ich meinen ältesten Sohn in die Welt setzte.
Heute fiel es mir besonders auf. Es ist Wahltag, und mein Kind ist seit dem letzten Geburtstag im Vollbesitz sämtlicher Rechte und Pflichten eines mündigen Staatsbürgers, also wollten wir zusammen wählen gehen, Papa, Mama und Kind.
Nachdem ich die Männer aus dem Bett geworfen hatte, versuchte ich meinem Sohn klarzumachen, daß man zum Wählen unbedingt rasiert gehen muss, anders ließen sie einen nicht ins Wahllokal. Leider funktionierte das nicht; den Glauben an meine Geschichten hat er vor vielen Jahren gleichzeitig mit dem Glauben an den Weihnachtsmann verloren, an jenem 24. Dezember, als wir vormittags noch schnell einkaufen wollten und auf dem Parkplatz von LIDL ein Kaninchen fanden. Seitdem war mein Sohn davon überzeugt, daß der Osterhase die Weihnachtsgeschenke bringt und Mama keine Ahnung hat. Soweit ich weiß hat er diese Ansicht nie revidiert.
Jedenfalls gingen wir zusammen los, er unrasiert, wobei wir über die verschiedenen Parteien philosophierten. Mein Sohn sagte, er wolle gerne die Piratenpartei wählen, wenn die denn aufgestellt sei. Keiner von uns weiß genau, was diese Partei eigentlich will, aber der Name klingt gut, und im Wahl-O-Mat der letzten Hamburger Bürgschaftswahl bekam man als Ergebnis die Piratenpartei heraus, wenn man die möglichst undurchführbarsten Vorschläge wählte – statt einer Elbvertiefung die Zuschüttung der gesamten Elbe und Umleitung des überschüssigen Wassers in ein eilig gegrabenes neues Flussbett, so etwas zum Beispiel.
Ich glaube außerdem, daß die Piratenpartei vielleicht das Richtige für Anhänger des fliegenden Spaghettimonsters sind.
Die Anhänger des fliegenden Spaghettimonsters gehören (nur für diejenigen, denen das nicht bekannt sein sollte, man weiß ja nie) einer Religion an, die sich Pastafarianismus nennt. Diese Religion wurde ursprünglich gegründet, um zu beweisen, daß es so etwas wie Religion eigentlich gar nicht gibt, oder daß so etwas zumindest nicht bewiesen werden kann, aber da die Glaubenslehre solche wunderbaren Dinge versprach wie einen Biervulkan und eine Stripperfabrik in dem Himmel, in den man nach dem Tode kommen würde, und da der Wahlspruch der Pastafaris „What would a pirate do“ ist, etablierte sie sich trotzdem außerordentlich schnell.
Hier für alle, die es interessiert, die zentralen Glaubensinhalte dieser Religion, kopiert aus Wikipedia (wer Näheres wissen möchte, kann einfach „Fliegendes Spaghettimonster“ als Suchbegriff bei Wiki eingeben, und wer danach dieser Glaubensgemeinschaft beitreten möchte, nur zu…):

- Die Welt wurde vom nicht nachweisbaren Fliegenden Spaghettimonster erschaffen. Alle Hinweise auf eine Evolution wurden von eben diesem bewusst gestreut, um die Menschen zu verwirren.
- Bobby Henderson ist der Prophet dieser Religion.
- Das Fliegende Spaghettimonster verlangt das Tragen von Pirateninsignien (full pirate regalia). Einzige Ursache für die globale Erwärmung, Orkane und alle anderen Naturkatastrophen ist die sinkende Zahl von Piraten seit Beginn des 19. Jahrhunderts. Dies gilt unter Pastafaris als empirisch bewiesen[4] (siehe auch cum hoc ergo propter hoc). In diesem Zusammenhang wurde auch der mehrdeutige, englische Ausdruck „Pirates are cool!“ bekannt, cool kann in diesem Falle sowohl als abgefahren als auch als kühl verstanden werden. 2008 interpretierte Henderson die wachsende Piraten-Aktivität am Golf von Aden als einen weiteren empirischen Beweis für die Richtigkeit des Erderwärmungs-Dogmas, denn es sei festzustellen, dass Somalia weltweit die höchste Piraten-Dichte und gleichzeitig die niedrigste CO2-Emission aufweise[5].
- Gebete beenden die Anhänger mit dem Wort Ramen, der Bezeichnung für eine japanische Nudelsuppe.
- Im Buch Das Evangelium des Fliegenden Spaghettimonsters werden unter anderem analog zu den Zehn Geboten des Christentums die acht „Am liebsten wäre mir’s“ beschrieben, die vom Spaghettimonster gepredigt werden. Die darin erklärten Grundsätze sprechen sich u. A. gegen Diskriminierung, Vorurteile, religiöse Dogmen, Nötigung, Frauenfeindlichkeit aus. Das achte „Am liebsten wäre mir“ beschreibt eine abgewandelte Form des Kategorischen Imperativs, fordert auf zur Freien Liebe und dem Gebrauch von Kondomen.



Wie man sieht, scheint die Piratenpartei GENAU das Richtige zu sein für Pastafaris. Als mein Sohn allerdings seinen zwei Meter langen Wahlzettel auseinanderklappte und tatsächlich sofort im dritten Knick des Zettels die Piratenpartei entdeckte, ging er anscheinend noch einmal in sich, was die mindestens 10-minütige Bedenkzeit hinter der aus einem Pappkarton gebauten geheimen Wahllocation vermuten lässt. Allerdings behauptet er, er habe es nur nicht fertig gebracht, diesen Zettel so wieder zusammen zu legen, daß die Schrift innen war und von den Wahlhelfern nicht gelesen werden konnte. Er hat nicht ganz Unrecht; der Aufbau dieses Zettels erinnerte ein bisschen an die Beipackzettel von Aspirinverpackungen. Egal wie man sich bemüht, man bekommt die auch nie wieder so zusammen gefaltet, wie sie ursprünglich in der Verpackung waren.
Schließlich gingen wir, stolz und zufrieden mit der Erfüllung unserer Staatsbürgerpflichten, wieder nach Hause, wo uns der jüngste Bruder des ältesten Sohnes damit begrüßte, daß er auf dem Keyboard „This Land Is Your Land“ vorspielte.
Das mag Zufall gewesen sein. Es kann aber auch sein, daß ich mit diesem jüngsten Kind einfach nur dafür gesorgt habe, daß das Skurrile in unserer Familie noch auf viele, viele Jahre hinweg erhalten bleibt…


Männer und Socken


Notizen nach einer Fahrt im Auto, bei der das Radio lief



Gibt es wirklich Männer, die so etwas zu ihren (oder irgendwelchen) Frauen sagen:

I could stay awake just to hear you breathing,
Watch you smile while you are sleeping,
While you're far away and dreaming,
I could spend my life in this sweet surrender,
I could stay lost in this moment forever,
When every moment spent with you is a moment I treasure



...na, und so weiter. Irgendwie erscheint mir gerade völlig fragwürdig, ob Männer außer in den ersten 10 Minuten nach dem Kennenlernen auch etwas anderes von sich geben als: "Ich hab keine Socken mehr"
Natürlich kann man über "Ich hab keine Socken mehr" vom kommerziellen Standpunkt aus gesehen keine Lieder schreiben.
Vermutlich kann man mit "Ich hab keine Socken mehr" ABSOLUT nichts anfangen außer zu antworten: "Himmelnochmal, dann such Dir welche". Ich befürchte aber, das ist der Moment, und dem klar wird, daß NICHT jeder Moment, den man miteinander verbringt, ein "moment in treasure" ist.
Entweder hat Steven Tyler das Lied geschrieben, als er "sie" gerade mal 10 Minuten kannte (aber warum zum Teufel ist sie so schnell eingeschlafen, was für eine Trantüte ist der Mann?) oder aber er trägt aus Überzeugung keine Socken.
Vielleicht auch beides: als sie seine Sockenlosigkeit bemerkte, ist sie ohnmächtig geworden, und da legte er sich einfach neben sie und sang los:

Lying close to you,
feeling your heart beating,

(wenigstens lebte sie noch)
And I'm wondering what you're dreaming,
Wondering if it's me

(oder meine Füße) you're seeing,
And then I kiss your eyes,
And thank God we're together

, (naja, weglaufen konnte sie ja nicht)
I just wanna stay with you in this moment forever,
Forever and ever.

-klar, denn wenn sie wieder aufwacht, hat er ein echtes Problem.

Ich glaube, Liebe ist gar nicht so toll...


Ich hatte Recht


Notiz am 20.5., nach einer Meldung in den Nachrichten



Jetzt ist es passiert! Irgendwo in North Carolina hat ein 17-jähriger ein Internet-Café überfallen – mit einer Banane unter dem T-Shirt als Waffe!
Nach dem umstrittenen Paintballverbot ist nun klar, daß auch das Bananenverbot dringend erforderlich ist. Die sind einfach zu gefährlich, die Dinger. Das sieht man schon daran, wie der Überfall beendet wurde: Der Täter aß die Tatwaffe hinterher fast vollständig auf, so daß kaum Spuren seines dreisten Raubversuches zurück blieben! Glücklicherweise konnten findige und beherzte Polizeibeamte wenigstens die Schale der „gefährlichen Waffe“ (O-Ton Polizist) sicherstellen.
Ich hab jetzt leider keine Zeit mehr, weiter zu schreiben. Ich nehme an, daß es aufgrund der Verschärfung auf der Bananenfront zu Hamsterkäufen bei Aldi und Lidl kommen wird, und ich brauche unbedingt selber noch welche für den Obstsalat heute Nachmittag.
Allerdings bin ich jetzt ernsthaft am überlegen, ob ich nicht meine illegale Haschischplantage aufgeben soll, um stattdessen ein paar illegale Bananenpalmen zu pflanzen. Bananen sind nun einmal reich an Vitaminen, Mineralstoffen und an kriminellem Potential. Eine Allroundwaffe mit Gesundgarantie. Und wenn ich schon dabei bin, werde ich versuchen, gleich noch ein paar Luftdruckwaffen für Paintball zu züchten. Die kann man zwar hinterher nicht aufessen, aber sie kurbeln die Waschmaschinen und Waschmittel-Industrie an, weil man die Klamotten nach den bösen Scheinkämpfen ja auch wieder sauber bekommen muss.
Vielleicht kann man sich auch gleich Bananen und anderes Obst aufs T-Shirt werfen. Das gibt auch Flecken, wenn man es richtig macht, man braucht gar keine Waffen.
Mein Garten ist, wenn ich mir das so überlege, voller krimineller Obst- und Gemüsesorten…


Spinnen und der Klimawandel


Notiz am 6.5., nach einer Meldung in den Nachrichten



Endlich mal wieder eine Meldung, die mich begeistert: Der Klimawandel, so ist zu lesen, mache Spinnen größer.
Klar, das kann sein, der erklärte Zusammenhang ist logisch.
Ich hatte allerdings plötzlich das Bild vor Augen, wie sich einige völlig demoralisierte Wissenschaftler nach dem 150sten Scheitern ihrer Appelle für mehr Klimaschutz in einer Kneipe treffen und über einigen Gläsern Bier kopfschüttelnd den Unverstand der Menschen beklagen.
Nach dem dritten Bier beginnen sie wieder etwas munterer zu werden, und nach den fünften Bier steht der Plan in groben Zügen fest.
„Wir müssen“, spricht einer der Wissenschaftler, ein kleines hageres Männchen mit Nickelbrille, „die Menschen bei ihrer Urangst packen. Klimaveränderungen, da denken sie doch nur an warmes Wetter, und das finden sie toll. Wovor haben Menschen richtig Angst?“
„Davor, dass ihre Frau sie verlässt“, meldet sich schüchtern ein wohlbeleibter Wissenschaftler mit schütterem Haar und starrt traurig auf seinen seit kurzen unberingten Ringfinger.
„Gut“, bestätigt der erste Wissenschaftler, wenn auch etwas zweifelnd.
„Wovor noch?“
Und er blickt in die Runde.
„Wällltwirrrtschaftskrrrise“, schnarrt einer der beiden Russen am Tisch.
Der erste Wissenschaftler nickt.
„Perfekt“, bestätigt er, „aber leider sind uns da dieses Mal die Banken zuvor gekommen.“
„Politiker“, schlägt ein braungebrannter Mann mit kubanischem Akzent vor und spielt mit einer dicken, selbstverständlich unangezündeten Zigarre der Marke „Hoyo de Monterrey“.
„Mäuse“, wirft die einzige Frau in der Runde ein und schüttelt sich, als sie an die schwarz-weißen Labornager denkt.
„Mäuse, die Politik machen“, wirft ein Schweizer ein, dem die Vorurteile gegenüber seinem Volk auf die Nerven gehen.
Der Wortführer der munteren und inzwischen schon reichlich alkoholisierten Runde hört nicht mehr hin. Nachdenklich starrt er auf ein Tier, das langsam mit seinen acht Beinen über den Tisch krabbelt.
„Ich glaube, ich hab’s“, murmelt er dann. „Wenn das nicht klappt, versuchen wir die Politiker als nächstes. Schließlich weiß man, dass die Korruption in warmen Ländern wie Sizilien und Ägypten weitaus mehr Anhänger hat als beispielsweise in Grönland“
Er sieht auf, und ein Strahlen geht über sein Gesicht.
„Aber zuerst einmal“, bekundet er grinsend, „lassen wir die Spinnen wachsen!“
Und dann nimmt er noch einen tiefen Schluck aus seinem Bierglas.


Kulinarisches


Notiz am 4. 5., nach dem Mittagessen



Einer der Lieblingssätze in meiner Familie, der traditionsgemäß vor allem bei Treffen zwischen meinem Bruder und mir angebracht wird, ist, neben „Steck Deinen Kopf in ein Schwein“ und „Setz Dich, nimm Dir’nen Keks“: „Wir hatten ja nichts

“.
Ich weiß gar nicht mehr, wer mit diesem Blödsinn angefangen hat, aber sobald es um unsere Kindheit geht, kommt dieser Spruch. Erinnerst Du Dich an diese furchtbaren Schlaghosen in den 70er Jahren? Klar, aber wir hatten ja nichts, nicht mal vernünftige Hosen. Diese Musik, war die nicht schrecklich? Wir hatten ja nichts, nicht mal vernünftige Musik. Weißt Du noch, wie damals die Katze immer mit dem Tischtennisball abgehauen ist? Wir hatten ja nichts, nicht einmal Tischtennisbälle (jedenfalls nicht mehr, nachdem die Katze sie geklaut hatte). Inzwischen haben wir sogar unsere Mutter angesteckt. Mit „Steck Deinen Kopf in ein Schwein“ kann sie nichts anfangen, aber „Wir hatten ja nichts“, das leuchtet ihr ein. Und so hatte sie dann auch ab und zu mal nichts, aber es muss möglichst schräg sein. Das was sie wirklich nicht hatte zu erwähnen bringt keinen Spaß.
Gerade eben ist mir etwas eingefallen, was wir tatsächlich hatten, und was heute immer seltener wird. Ich hatte Nudeln gekocht, Fleisch und Gemüse angebraten und das ganze in eine Pfanne geworfen, wo ich es mit einer Gewürzmischung des Herrn Maggi zusammen rührte. Und da fiel mir plötzlich auf, daß meine Kinder, egal ob sie bei mir oder bei ihren Freunden essen, dank Herrn Maggi überall ähnliche Geschmäcker kennen lernen. Die Chance, daß die Bratnudelpfanne bei Meyers nebenan genauso schmeckt wie bei mir, ist Dank der praktischen kleinen Tütchen mit Bedienungsanleitung und der fertigen Gewürzmischungen doch recht groß. Meine Oma dagegen kocht mit Kräutern aus dem Garten, mit Pfeffer und Salz (Gott erhalt’s) und mit Senf und einer Prise Zucker. Meine Oma bekommt alle paar Jahre zu Weihnachten ein neues Gewürzregal. Einige Gewürze sind ihr suspekt, wie Garam Masala oder Cayennepfeffer, aber sie weiß genau, wozu man Thymian, Majoran, Zitronenmelisse oder Liebstöckel geben muss, und auch, wie die Kräuter in frischem Zustand aussehen. Wenn meine Oma kocht, schmeckt man, daß meine Oma es gekocht hat. Fertigprodukte wie die von Maggi benutzt sie so gut wie nie, denn das hat sie nicht gelernt.
Also, wir hatten früher ganz sicher die größere Geschmacksvielfalt beim Essen. Andererseits: Wir hatten ja nichts, nicht einmal Tütensuppen und Fertigprodukte…


Amtlich angeordnete Panik


Notiz am 30.4. zwischen Bügelwäsche und Kochtopf



Neulich habe ich mich ja köstlich über den Satz einer Nachrichtensprecherin amüsiert, die mitteilte, das Bundesgesundheitsministerium rate davon ab, aufgrund der Schweinegrippe in Panik zu geraten. Da die WHO die Pandemiegefahr von der damaligen Stufe drei auf die Stufe vier und gerade heute auf Stufe 5 hochgesetzt hat (sechs Stufen gibt es nur), müsste irgendwann im Laufe des Tages wohl bekannt gegeben werden, daß es jetzt angeraten sei, in Panik zu verfallen.
Was aber, frage ich mich, wäre passiert, wenn man es uns nicht mitgeteilt hätte? Seit der Kaiser von Mexiko kein Habsburger mehr ist, sieht Europa dem Land doch zumeist eher desinteressiert entgegen, und wenn 120 Menschen in Mexiko erkranken, hat das bisher auch noch niemanden gestört. Gut, durch wissenschaftliche Untersuchungen, die vor 100 Jahren noch gar nicht möglich waren, weiß man jetzt, daß es sich bei dieser Krankheit mit den Erkältungssymptomen und eventueller Todesfolge um einen neuen Erreger handelt, nicht etwa um einen, den wir schon kennen, also ist es natürlich absolut angebracht, uns mitzuteilen, daß wir in Panik geraten sollen. Immerhin ist der Ausbruch der sogenannten „spanischen Grippe“ noch keine hundert Jahre her, und selbige forderte, genau weiß man es nicht, bis zu 50 Millionen Tote. Warum man die genaue Anzahl der Toten nicht kennt, mag auch daran liegen, daß die Menschen keine Ahnung hatte, woran sie genau starben. Heutzutage muss man ja nur in der Bildzeitung nachsehen, was an Krankheiten gerade aktuell ist, aber damals wurde man eben krank, hatte sich wohl beim Nachbarn angesteckt, und starb dann.
Manchmal frage ich mich auch, was passiert wäre, wenn man uns nicht davon benachrichtigt hätte, daß wir eine weltweite Wirtschaftskrise haben. Klar, einige hätten es bemerkt. Vielleicht hätten sie ihre Arbeit verloren und dann ihr Schicksal beklagt. Dann aber hätten sie die Ärmel aufgekrempelt und sich daran gemacht, einen neuen Arbeitsplatz zu suchen. Jetzt aber, in dem Wissen, daß es sich nicht um simple Arbeitslosigkeit, sondern um eine Wirtschaftskrise handelt, blickt man pessimistisch in die Zukunft. In einer Wirtschaftskrise gibt es keine Arbeit, das weiß doch jeder, warum also anstrengen? Und der Nachbar, der eigentlich genug Geld hat, denn sein Job ist, warum auch immer, nicht von der Krise betroffen, hat es dennoch auch in den Nachrichten gehört und schraubt sein Konsumverhalten prompt in gemäßigtere Bahnen, denn man weiß ja nie, wann es einen selber treffen kann. Durch dieses Verhalten trägt er natürlich zu der Krise überhaupt erst bei – für ihn gäbe es sie nicht, wenn er nicht wüsste, daß es sie gibt.
Vor einiger Zeit hörte ich die Theorie, daß die Menschen besonders in den ländlichen Gebieten des Iran gesünder lebten, da sie weitaus weniger an Krankheiten wie Krebs stürben. Ich widersprach sofort vehement. Nein, sie sterben nicht weniger oft an Krebs. Durch fehlende gesundheitliche Vorsorgeuntersuchungen wissen sie oft nur nicht, daß sie Krebs haben. Sie fühlen sich vielleicht schlapp, dann bekommen sie eines Tages auch Schmerzen und irgendwann fallen sie um, sind tot und werden ohne Untersuchung zur Feststellung der genauen Todesursache beerdigt.
Dieses Argument leuchtete ein – nur mir selber im Nachhinein nicht mehr. Ja, mag sein, daß in den ländlichen Gebieten des Iran in Wahrheit sogar noch viel mehr Menschen an Krebs sterben als in unseren Industrienationen, sie wissen es nur nicht und werden es nie erfahren. Aber die ursprüngliche These stimmt genau deshalb: Sie leben gesünder.


Impressum

Tag der Veröffentlichung: 17.06.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Meiner Familie, ohne die ich nicht halb soviel zu schreiben hätte...

Nächste Seite
Seite 1 /