Packende Evolution
Der Drang des Menschen, zu lieben, fremde Welten zu entdecken oder Gedichte zu schreiben ist bekannt. Über den Wunsch unserer Spezies, die Naturgesetze zu begreifen und interessante Tierarten zu entdecken (und sie möglichst gleich auszurotten) wurden lange Abhandlungen geschrieben. Besonders erwähnenswert unter den Fähigkeiten des Menschen ist seine Gabe, die evolutionäre Auslese zu überlisten indem er mittels Brillen und Contactlinsen trotz eines genetischen Defizits in der Lage ist, das Weibchen oder Männchen seiner Wahl zu finden und sich so fortpflanzen zu können, statt dank evolutionär aussortierungswürdiger Dioptrinwerte versehentlich am möglichen Partner vorbei zu laufen.
Ein ganz außerordentliches Beispiel für die Eigenarten des Homo Sapiens auf unserer Erde wird allerdings kaum jemals beachtet. Nirgendwo im Tierreich findet man diese Marotte: den unbändigen Drang, Dinge aus ihrer natürlichen Verpackung zu entfernen und in eine andere Verpackung zu stecken.
Natürlich haben bereits die Vorfahren unserer heutigen Menschen damit begonnen. Sie nahmen ein Mammut, entfernten die pelzige Verpackung, um den Inhalt zu essen, sich dann selber in die Mammutverpackung zu wickeln und das Ganze dann „Steak“ und „Kleidung“ zu nennen.
Je weiter die Entwicklung des Menschen fortschritt, desto gewaltiger wurde auch der Fortschritt im Bereich der Verpackung. Der Inhalt von Weintrauben wurde in Glasflaschen aufbewahrt, der Inhalt von Gehirnen in Büchern, und der Inhalt von schwangeren Frauen in Brutkästen.
Klar, das ist praktisch. Es rettet Gedanken und Menschenleben vor einem verfrühten Ende. Und trotzdem bin ich der Meinung, daß dieser Verpackungswahn verrückte Blüten treibt. In einem ganz normalen Supermarkt findet man Kartoffeln, deren Originalhülle entfernt wurde, um einer gläsernen Umhüllung Platz zu machen; da gibt es Eier, denen ihre Kalkverpackung, die Jahrtausendelang gut genug für sie war, entwendet wurde um das flüssige Innere, bereits gerührt (damit der Kunde nur nicht zu viel Arbeit hat) in einen Tetrapack zu stecken. Käse wird geraspelt und in Plastiktüten mit improvisierten Reißverschluss gesteckt – eine Verpackung, die ich für unnötig aufwendig halte, da ich immer den ganzen Käse verbrauche und daher die Tüte stets UNTER dem Pseudoreißverschluss aufreiße.
Neulich, als ich in einem der Verpackungsmärkte unterwegs war, um die Errungenschaften der menschlichen Verpackungskultur und deren Inhalte in meinen Einkaufswagen zu werfen, gab es bei den Angeboten der Woche – nicht essbar, aber dennoch stets perfekt eingetütet – Kopfkissen zu kaufen. Die waren recht preiswert und sahen schön flauschig aus, also nahm ich eines in die Hand und bemerkte, in was die Dinger eingepackt waren. Bei der Verpackung handelte es sich um eine viereckige Umhüllung aus sorgfältig genähtem Plastik, die einen Tragegurt an der Längsseite hatte und die mittels eines Reisverschluss’ zu öffnen und zu schließen war.
Ich geriet ins Grübeln. Der Reißverschluß wurde erst im Jahre 1893 zum Patent angemeldet und war auf der Weltausstellung in Chicago im selben Jahr eine ungeheure Attraktion. Erst dreißig Jahre später begann man, serienmäßig Reißverschlüsse in Kleidung einzubauen. Und nun, nur wenig über hundert Jahre nach der Anmeldung des Patentes, lag der Reißverschluss, zum Wegwerfartikel degradiert, auf einem Grabbeltisch im Discountmarkt.
Ich kaufte zwei der Kopfkissen. Klar, Kopfkissen kann man immer gebrauchen, aber besonders schön fand ich den Gedanken, was man alles mit den Umhüllungen anstellen konnte. Omas Häkeldeckchensammlung wäre dort vor Staub und Motten geschützt, die Winterkleidung würde einen adäquaten Aufenthaltsort finden und als Unterbettkommode könnte ich sicher irgendetwas in die Plastikverpackung hineintun – irgendetwas muss es doch geben, was man unbedingt unter dem Bett aufbewahren muss.
Die Kopfkissen waren sicher ihr Geld wert. Aber die Verpackung eigentlich noch mehr – ich stellte mir vor, wie es wohl wäre, eine kleine Zeitreise zu unternehmen und mit meiner Kopfkissenverpackung die Weltausstellung in Chicago zu besuchen. Die Menschen würden mit ungläubigem Blick das frische Weiß des Kunststoffreißverschluss bewundern, mit bebenden Händen diese unglaubliche Erfindung ausprobieren (die um Klassen besser und klemmfreier funktioniert als der Metallverschluss des Whitcomb Judson) und mir zu Füßen liegen, ohne zu wissen, daß ich eigentlich nur eine wegzuwerfende Kopfkissenverpackung in den Händen halte.
Durch diese Gedanken einigermaßen erheitert ging ich auf die Kasse zu, bezahlte meine perfekt verpackten, vor Staub und Schmutz sicher geschützen und durch den Tragegurt einfach zu transportierenden Kopfkissen und wollte gerade gehen, als mich die Verkäuferin fragte: „Möchten sie eine Tüte dazu?“
Zweifellos, diese Frau ist in ihrer evolutionären Entwicklung schon eine Stufe weiter als ich…
Elternabend
Gestern war Elternabend in der Grundschule und am Gymnasium zweier meiner Söhne. Gleichzeitig.
Natürlich hatte mein Mann keine Zeit – Männer sind auf Elternabenden immer in der Unterzahl, speziell dann, wenn gleichzeitig ein Fußballspiel im Fernsehen läuft. Also entschied ich mich für einen der Elternabende und ließ den anderen sausen. Nicht zu ändern…
Diese Elternabende sind immer gleich. Man kommt in eine Schule und riecht als erstes diesen typischen Geruch, eine Mischung aus Bohnerwachs, stinkenden Socken, alten Gardinen und einem Raumspray namens „Schulmief“ (anders ist nicht zu erklären, daß jede, aber auch wirklich jede Schule dieser Welt so riecht). Eigentlich hatte man beim Empfang seines Abschlusszeugnisses gedacht, man ließe diesen Geruch von jetzt ab und für alle Zeiten hinter sich, aber im selben Moment, in dem er einem in die Nase steigt, sind wieder diese alten Schulgefühle da – hat man die Hausaufgaben gemacht, wird der Banknachbar einen wieder ärgern, und kann man sich in Sport noch eine Fehlstunde leisten, oder fällt das zu sehr auf?
Die Klassenlehrerin begrüßt einen freundlich und man sucht sich einen Platz möglichst weit hinten im Raum, um nicht zu sehr aufzufallen. Manchmal. Manchmal hat die Klassenlehrerin auch Namensschilder auf den Sitzplätzen verteilt, damit man gleich weiß, wo das eigene Kind sitzt, und man fühlt sich verpflichtet, sich nun auch genau auf diesen Platz zu setzen. Da weiß man dann gleich, wie sich der Sprössling unter den strengen Blicken der Klassenlehrerin fühlt. Diese Elternverteilung hat einen nicht zu unterschätzenden Vorteil. Bereits bevor der Elternabend offiziell beginnt, kann man unter den Tischen herumwühlen um zu sehen, was das Kind denn so alles im letzten Halbjahr erarbeitet (und nicht mit nach Hause gebracht) hat. Im Material-Kasten meines jüngsten Sohnes finde ich Bonbonpapier, Action-Man-Figuren, Fußballsticker und fünf eingetrocknete, da offene, Klebestifte. Was ich nicht finde sind die Wachsstifte, die Schere und der Anspitzer, welche meines Wissens in den Kasten gehören. Außerdem fehlen: die Englischmappe, die Musikmappe, die Deutschmappe, das Deutschheft für die Schönschreibung und das Englischvokabelheft.
Der Elternabend beginnt. Die Lehrerin schreibt die Programmpunkte mit Schönschrift an die Tafel und lässt einen Zettel herumgehen, auf dem man die Anwesenheit eintragen kann. Sofort wird hektisch nach einem Kugelschreiber gesucht. Die Sitznachbarin (ist das die Mutter von Vanessa? Oder von Kevin-Emanuel?) hat einen zweiten Stift dabei, den sie freundlicherweise ausleiht.
Die Lehrerin beginnt, über die Klassensituation zu berichten. Sie mag die Kinder sehr gerne, ja, eigentlich liebt sie sie sogar heiß und innig. Seit Jahren hat sie keine so nette Klasse mehr gehabt. Nur ein paar kleine Probleme gibt es da… und dann beginnt sie aufzuzählen, und man sieht einige der Mütter immer tiefer in ihre Holzstühlchen rutschen. Irgendwie scheinen die sich angesprochen zu fühlen. Plötzlich blickt die Lehrerin bei ihren Ausführungen genau in die eigene Richtung, und obwohl es gerade um die Bauchfrei-Mode der Mädchen geht, und wie ungesund das bei minus 5 Grad für die Nieren ist, fühlt man sich selber irgendwie angesprochen und rutscht unter das Pult, obwohl man sich beim besten Willen nicht erinnern kann, wann der Sohn das letzte Mal bauchfrei zur Schule gegangen ist.
Nachdem die wichtigsten Programmpunkte abgehakt sind kommt der Horror schlechthin – die Wahl der Elternvertreter. Wie immer herrscht angespannte Stille. Alle gucken auf die Flecken an den Wänden oder die Papierkügelchen, die an der Decke kleben (macht man das tatsächlich immer noch, Papierkügelchen zu Brei zu zerkauen und mit Strohhalmen gegen die Decken schießen?). Schließlich meldet sich irgendjemand zögernd und meint, er würde es noch ein Jahr machen…
Es ist vorgeschrieben, daß die Wahlen schriftlich und geheim stattfinden, aber in den letzten Jahren hat sich dieses Procedere etwas gelockert. Im Allgemeinen werden die Elternvertreter per Handabstimmung gewählt, und zwar genau die, die im letzten Jahr auch schon dran waren. Schließlich seufzt man erleichtert auf, daß dieser Kelch an einem vorübergegangen ist und schielt zur Uhr – war’s das jetzt, kann man gehen? Nein, natürlich nicht… denn jetzt kommt der Satz: „Sind noch irgendwelche Fragen?“
Und die sind da, immer, die Fragen. Wer sorgt dafür, daß beim Bogenschießkurs niemandem ein Pfeil ins Auge fliegt, müssen die Kinder wirklich zwei Paar Sportschuhe zum Unterricht mitnehmen, weil sie damit rechnen müssen, nach draußen zu gehen, werden im Kantinenessen künstliche Farbstoffe verwendet, mein Kind verträgt sie nicht, und wieso fällt Mathe so oft aus, ist die Lehrerin wirklich schwanger?
Schließlich sagt die Lehrerin: „Wenn keine Fragen mehr sind, dann wünsche ich Ihnen noch einen schönen Abend“, und man steht auf, stellt die Stühle hoch und drängelt sich an den Eltern vorbei, die die Lehrerin belagern, weil sie unbedingt noch etwas wissen wollen.
Freiheit.
Endlich.
Bis zum nächsten Mal.
Wenn man sich beeilt, schafft man es noch zur zweiten Halbzeit des Fußballspiels.
Allerdings muss ich meinen Sohn mal fragen, warum der bauchfrei in die Schule gegangen ist, und wann. Das ist nämlich nicht gut für die Nieren.
Übrigens habe ich mich nach langem Grübeln für den Elternabend meines älteren Sohnes entschieden. Das hatte einen ganz praktischen Grund: die Stühle sind da höher als die in der Grundschule, man kann einfach gemütlicher sitzen…
Bücherringelreihen
Eigentlich hatte ich bereits begonnen, mir schriftlich Gedanken zum Faschingskostüm meines Sohnes zu machen (er will unbedingt als Prinz gehen, und ich habe keine Ahnung, wie ein Prinz auszusehen hat. Wie Prinz Charming aus Shrek? Oder wie Prinz Charles, und braucht er dafür Gummiohren und einen Kilt? Warum, ach warum kann er nicht wieder als Jack Sparrow gehen wie im letzten Jahr? Mit Kajalstift kann ich wenigstens umgehen, und den Jack Sparrow-Gang hat er immer noch drauf), da kam eine Familienfeier dazwischen und ich begann, mir Gedanken über die Bücherdynamik in meiner Familie zu machen.
Wir verschenken, verleihen, lesen, verlieren, kaufen und suchen eigentlich dauernd Bücher. Kurz vor Geburtstagen werden Bücherlisten herumgegeben, aus denen sich dann jeder das passende Geschenk für das Geburtstagskind aussuchen kann. Nach dem Kuchenessen verschwindet der weibliche Teil der Verwandtschaft in die als Bibliothek ausgewiesenen Räume und beginnt, sich durch die Buchsammlungen von Schwägerin, Tochter, Mutter oder Oma zu arbeiten, nur meine Großmutter nicht. Die ist 84 Jahre alt, hat keine Lust, Treppen zu steigen und ruft hinter uns her: „Sucht mir einen schönen Krimi aus, spannend und mit viel Blut und als Taschenbuch, damit ich ihn im Bett lesen kann (klar, wenn man im Bett liest, ist „schwere“ Lektüre ganz ungeeignet).
Gestern wurde bei mir gefeiert. Die Kinder bekamen „Die drei Fragezeichen“, Donald Duck und „Die kleine Windsbraut Edeltraut“ von meiner Mutter. Meine Mutter lieh sich „Tante Dimity“ von meiner Schwägerin. Meine Schwägerin suchte aus meiner Büchersammlung alles mit Vampiren raus (es gibt zur Zeit unglaublich viele, echt lustige Vampirromane) und schenkte mir dafür einen Mystik-Thriller und ein Buch, auf dessen Klappentext stand, es sei mit Douglas Adams’ „Anhalter“ zu vergleichen, was zu stimmen scheint – beim Lesen stieß ich auf folgenden Dialog:
„Das auf dem Foto ist eindeutig Dein Bruder. Er hat Deine Nase“
„Ja, wir trugen sie immer abwechselnd
“
Mein Neffe schnappte sich ein Vorschulbuch und begann, fleissig zu arbeiten. Der Opa setzte sich aufs Sofa und vertiefte sich in einen Band über das alte Ägypten, und mein Onkel blätterte die Hundezeitschriften durch, die mir meine Mutter von meiner Patentante mitgebracht hatte, welche leider nicht kommen konnte.
Ich bekam von meiner Mutter einen Stapel Bücher, die jeden überrascht hätten, außer mich selber: vor einigen Monaten erwähnte ich mal, daß ich alle Schneider-Bücher der siebziger Jahre gelesen hätte, nur Trixie Belden habe meine Mutter mit immer vorenthalten. Um diesen eindeutigen Mangel in meiner Erziehung zu beheben, besucht meine Mutter nun mit Begeisterung Flohmärkte und kauft auf, was immer sie an Trixie Beldens Abenteuern finden kann (übrigens bin ich letzte Woche 42 Jahre alt geworden! Ein prima Alter, um mit „Trixie Belden auf falscher Spur" anzufangen. Vorher war ich möglicherweise einfach noch nicht reif genug dafür.)
Lediglich mein Bruder schien vom allgemeinen Bücherringelreihen ausgeschlossen. Inzwischen habe ich erfahren, daß sein Sohn als Polizeiauto zum Fasching gehen will – verständlich, daß er da mit den Gedanken nicht ganz bei der Sache war. Aber das Blaulicht für seinen Kopf haben sie schon...
Flieger, grüß mir die Sonne...
Unser Wohnzimmer zeigt sich derzeit bezaubernd umdekoriert.
Nein, nicht das tolle Bücherregal mit der Bücherleiter dran – das wäre zweifellos einen eigenen Blogeintrag wert, aber ich kann es mir einfach nicht leisten. Es ist auch nicht etwa der Oma gelungen, uns ihre Paradekissen- und Häkeldeckchensammlung aufs Auge zu drücken.
Die Dekoration stammt von meinen Söhnen, zum Teil auch von meinem Mann (und ein oder zwei Exponate sind sogar von mir). Sie heißen verschiedenen Quellen zufolge „Pfeil“, „Tanker“, „Gremlin“ oder auch mal „Sabertooth“ oder „McDonnell Glider“. Und sie bedecken den Fußboden unseres ehemals ganz normalen Wohnzimmers inzwischen ungefähr einen halben Meter hoch.
Für diejenigen, denen bei Nennung der Namen kein Licht aufgegangen ist: es handelt sich um Papierflieger, und wenn einer damit anfängt, dann sind immer alle infiziert.
Ich dachte, diesmal sei die Papierflieger-Epidemie von meinem Jüngsten ausgegangen, aber nachdem er mir voller Stolz mitteilte, der Flieger seiner Grundschullehrerin sei quer über den ganzen Schulhof bis zu den Katholiken geflogen (die katholische Grundschule ist von seiner Schule nur durch einen Zaun getrennt, welcher für die verschiedenen Konfessionen ein Hindernis bilden mag, nicht jedoch für einen richtig guten Papierflieger), wurde ich doch etwas stutzig. Tatsächlich handelt es sich bei der Papierfliegerfalterei dieses Mal um ein höchst offizielles schulisches Projekt, und daher kann ich auch nicht wirklich erwarten, daß der Wohnzimmerfußboden der Ästhetik wegen von den Faltergebnissen freigeräumt wird. Schließlich wird es irgendwann einen Papierfliegerfalttest geben, und dafür muss man sich ja vorbereiten.
Wie gut, wenn man zwei große Brüder hat. Der Mittlere meiner Söhne stellte bereitwillig sein ganzes Wissen über Papierflieger zur Verfügung (sonst gibt er dem Kleinen nicht mal ein Kaugummi ab) und selbst der Älteste kämpfte sich hinter seinen Unterlagen zur Abiturvorbereitung hervor, ließ fünfte Ableitungen, Parabeln und Struktogramme im Stich und wühlte in irgendwelchen Pappkartons nach dem Papierflieger-Anleitungsbuch seiner frühen Jugend. Und fand es auch. Der darin enthaltene Lieblingsflieger meiner Kinder heißt „Vortex“ und ist eigentlich ein gefalteter Kreis, der sich ewig lange in der Luft zu halten vermag.
Die Papierfliegerschwemme wird, das weiß ich, genauso plötzlich wieder vergehen, wie sie begonnen hat. Ich werde noch einige Wochen lang „Vortexe“ hinter dem Fernseher und „Saberteeth“ (ist das die korrekte Mehrzahl?) unter dem Sofa hervorangeln.
Und ein bisschen wehmütig sein, daß jetzt auch der Jüngste meiner Söhne diese Phase überstanden hat.
Obwohl – das Buch wurde von einem erwachsenen Mann geschrieben. Er berichtet darin, wie er aus Langeweile begann, Papierflieger zu basteln und aus dem Fenster seines Studentenwohnheimes zu werfen, woraufhin alle Studenten des Wohnheimes ebenfalls begannen, Gegenstände aus Fenstern zu werfen, die sich möglichst lange in der Luft halten sollten. Bei Socken und Bratpfannen klappte das nicht, aber es entwickelte sich eine richtige Wissenschaft im Falten von Papierfliegern, und tatsächlich gibt es inzwischen sogar Weltmeisterschaften im Papierflier-möglichst-lange-in-der-Luft-halten.
Wer weiß – vielleicht ist diese Phase ja doch nicht endgültig vorbei. Was Papierflieger angeht, bleiben Männer wohl immer irgendwie Kinder…
Heimwerken
Als ich noch alleine lebte, schlug ich Nägel in Wände, bohrte Löcher für Dübel und bastelte Ikea-Schränke mit Hilfe der Gebrauchsanweisung zusammen. Ich renovierte die Küche, nachdem eine Dose Tomatenmark explodiert war und die ehemals weiße Wand aussah, als hätte Jack the Ripper bei mir zu Abend gegessen, und ich verlegte Teppichböden.
Seit ich verheiratet bin, ist das alles anders. Vom ersten Moment an, in dem mein Mann die Schwelle unseres gemeinsamen Heims betrat, war alles, was mit Werkzeugen oder Technik zu tun hat, sein Revier. Einfache Nägel werden nicht mehr mit einfachen Hämmern in einfache Wände geklopft – nein, es wird ein generalstabsmäßiger Plan ausgearbeitet, wo genau das aufzuhängende Bild sich nach getaner Arbeit befinden soll. Dann wird der Abstand zu sämtlichen anderen Wänden gemessen, die Höhe vom Boden respektive der Decke ermittelt, mit Infrarotabstandsmesser und Wasserwaage der richtige Platz für den Nagel gefunden und mittels eines ausgefeilten Computerprogramms eine Voransicht des einzuhämmernden Nagels erstellt. Schließlich wird mittels chemischer Analyse der zum Bild passende Nagel gesucht. Im Normalfall liegt zu diesem Zeitpunkt der Inhalt des großen Werkzeugkoffers und sämtlicher Küchenschränke, sowie der Rasenmäher und die Kiste mit dem Osterschmuck auf dem Fußboden und mein Mann geht alternativ zum Basketball, in die nächste Kneipe oder reist kurz für drei Wochen geschäftlich nach Sri Lanka.
„Lass alles so liegen“, sagt er dann, und wenn ich den Nagel zufällig in der Küchenwand gebraucht habe, ist nun der Zeitpunkt gekommen, die Küche zur Sperrzone zu erklären, den Campingkocher auf der Gästetoilette aufzubauen und fortan dort zu kochen (dort habe ich wenigstens fließend Wasser).
Wenn mein Mann dann irgendwann die Küche wieder betritt, schleicht er entweder mit schlafwandlerischer Sicherheit um das Chaos auf dem Boden herum, um zur Süßigkeitenschublade zu gelangen, oder aber er fragt entsetzt, warum es in der Küche so schlimm aussieht. An den Nagel kann er sich nicht mehr erinnern.
Natürlich wäre es einfacher für mich, den Nagel selber in die Wand zu schlagen, aber dann muss ich mir mittels komplizierter Formeln beweisen lassen, daß das Bild schief hängt oder daß ich schlicht den Lieblingsnagel meines Mannes erwischt habe, den Nagel, an der damals in seiner Studenten-WG die Basketballtrophäe hing, und der daher völlig ungeeignet ist, ein profanes Original-Seerosenbild von irgendso einem „C. Monet“ oder so zu halten.
Natürlich bezieht sich der Drang meines Mannes, zu hand- und heimwerken, nicht alleine auf Nägel. Springt mein Auto nicht an, kann ich sicher sein, daß er sofort zur Hand ist, die Motorhaube öffnet und einen langen Blick darunter wirft. Keine Ahnung, was das helfen soll – daß der Motor noch da ist, sieht man auf den ersten Blick, und für einen zweiten Blick fehlt ihm einfach die richtige Ausbildung.
Neulich rief ich spät abends nach meinem Mann, weil der Stecker der Waschmaschine rausgerutscht war, und ich alleine nicht hinter das Gerät kam. Mein Mann klemmte freiwillig seinen Oberkörper zwischen Wand und Waschmaschine und steckte den Stecker in die Steckdose. Eine Sekunde später lag das Haus im Dunkeln. Ich suchte nach einer Taschenlampe, um im Dunkeln die Sicherung zu wechseln, aber auch die Straßenbeleuchtung, die mir durch das Fenster einen Weg zur Taschenlampe hätte weisen können, war ausgefallen. Ein Blick auf die Fenster der Nachbarhäuser ergab, daß entweder niemand zu Hause war, oder aber auch dort der Strom ausgefallen war. Schließlich fand ich eine Kerze, zündete sie an, ging zum Sicherungskasten und tauschte die Sicherung, zog meinen Mann an den Füßen hinter der Waschmaschine empor und ging ans Telefon, welches zu läuten begonnen hatte.
Meine Mutter im 30 Kilometer entfernten P. war am Apparat, und sie teilte mir mit, daß eben bei ihr der Strom ausgefallen sei.
Ich bin mir sicher, das kann nur Zufall gewesen sein…
Tag der Veröffentlichung: 01.03.2009
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