Ich weiß gar nicht genau, wann meine Liebe zu Büchern begann, und auch nicht, warum. Sicher ist nur, daß ich schon früh die Welt auf dem Papier jener vorzog, in der statt meines Geistes mein Körper gefordert gewesen wäre – eine Einstellung, die mein blöder Sportlehrer denn auch prompt mit einer schlechten Zensur honorierte.
Für jede Eins in der Schule bekam ich von meiner Mutter ein Buch als Belohnung, und ich war keine schlechte Schülerin. So erarbeitete ich mir eine vollständige Sammlung aller damals aktuellen Schneider-Bücher, vorzugsweise mit Tieren (aber auch Hanni und Nanni, ehrlich gesagt), und ich las einfach alles, was mir unter die Finger kam – meine Schneider Bücher genauso wie die Krimis meiner Oma und die dicken Historien-Schwarten, die im Bücherschrank meiner Mutter standen.
Inzwischen teile ich Bücher meistens in vier Kategorien ein. Da gibt es die Bücher, bei denen ich kaum über die ersten zwei Seiten hinauskomme, so sehr beginnen sie mich schon am Anfang zu langweilen. Oft, das muss ich zu meiner Schande gestehen, sind das Bücher, die mir (oder den Lesern irgendwelcher Zeitschriften) wärmstens empfohlen wurden. Diese Bücher lege ich dann vorerst weg, um sie (vielleicht) einmal wieder zu lesen, wenn ich gerade nichts anderes, Spannenderes hier habe. Ich gebe zu, meistens fasse ich diese Bücher nur an, um den Staub von ihnen zu wischen, oder wenn ich den Bücherschrank umräume.
Dann gibt es Bücher, die lese ich, und ich denke, ja, nett, und stelle sie weg, und das war es dann.
Die Steigerung davon sind Bücher, die ich richtig gerne lese. Sie sind so spannend, daß ich sie je nach Anzahl der Seiten ein paar Stunden oder Tage lang überall mit mir herumschleppe, weil ich unbedingt wissen will, wie die Geschichte weiter geht, und ich lese und lese, beim Kochen und in der Badewanne und wenn ich im Auto auf eins meiner Kinder warte, welches ich vom Fußballtraining abholen will. Die Bügelwäsche bleibt liegen und meine Familie schreit verzweifelt nach sauberen Socken, aber wie kann ich mich um so etwas Profanes wie Socken kümmern, wenn ich doch ganz in dieser Bücherwelt gefangen bin?
Irgendwann dann, nachdem ich die halbe Nacht gelesen habe, klappe ich das Buch mit einem befriedigten Seufzer zu – es war wundervoll und jetzt hat mich die Welt wieder, gute Nacht…
Und dann gibt es noch eine andere Sorte Bücher. Die erwische ich selten, und sie sind mir kostbar wie Diamanten.
Ich schlage das Buch auf, und bereits beim ersten Satz denke ich: „Oh, ja, natürlich“
Und jeder weitere Satz erzeugt in mir das unglaubliche Gefühl, auf völlige Perfektion gestoßen zu sein, bei jedem Satz habe ich ein kribbelndes Gefühl der absoluten, ungetrübten Freude im Magen: ja, das ist es, so muss ein Buch sein!
Ich lese diese Bücher nicht schnell, das kann ich nicht. Ich brauche ewig für sie. Ich lese jeden Satz langsam, lasse ihn mir auf der Zunge zergehen, genieße ihn, und dann lese ich den nächsten Satz und bewundere, wie perfekt er zu dem vorigen passt, und manchmal lese ich den vorigen Satz einfach noch mal, oder ich blättere gleich ein paar Seiten zurück, um mit dem, was ich jetzt am Ende das Kapitels weiß, den Anfang noch mal unter ganz anderen Gesichtspunkten lesen zu können.
Gerade jetzt habe ich so ein Buch gefunden. Schon der Einband und die Aufmachung ist eigenwillig perfekt, und ich zögerte eine Woche lang, die Plastikverpackung zu entfernen, aus Angst, der Inhalt könnte nicht halten, was der Einband versprach.
Es ist keins meiner sonst so geliebten Taschenbücher, diesmal nicht. So und nicht anders soll und muss dieses Buch aussehen, der Einband, der Schutzumschlag, die Farben und die Art, wie die Seiten geheftet sind.
Und dann begann ich zu lesen, erst das Vorwort, und dann das erste Kapitel, und dann langsam, ganz langsam, immer weiter, mit Herzklopfen vor Glück über die wunderbare Fügung des Gelesenen und immer in der Angst, die nächste Seite könne sich als weniger perfekt, weniger wunderbar erweisen als die vorige.
Ich bin erst auf Seite siebenundsechzig angekommen. Wer mich kennt, weiß, daß das wirklich NICHTS ist, aber schneller ging es einfach nicht. Zu groß ist die Aufregung vor dem Umblättern jeder Seite, zu groß die Freude, wenn eine weitere Seite, eine weitere Klippe überwunden ist, und das Buch immer noch perfekt ist.
Wie das Buch heißt? Ach, ist denn das wichtig? Nicht alle Menschen lieben dasselbe. Für einen anderen Menschen sieht der Einband vielleicht nur merkwürdig aus, die Geschichte fließt zäh dahin oder die Formulierungen sind zu gestelzt.
Andere Menschen lieben andere Dinge, sind mit Menschen glücklich, mit denen ich nicht auskäme und horten Gegenstände, die ich übersehen würde.
Andere Menschen fühlen nicht dieses Herzklopfen, das ich fühle… und ich bin ja auch erst auf Seite siebenundsechzig angekommen, vielleicht wird mich mein Buch auf Seite achtundsechzig doch enttäuschen?
Man weiß es nicht.
Ich weiß es nicht.
Niemand weiß, was morgen geschehen wird. Vielleicht wird irgend ein kleiner Fehler die Gefühle zerstören. Vielleicht wird das richtige Wort an der richtigen Stelle meine Gefühle aber auch vertiefen, so daß sie bis zum Ende des Lebens bei mir bleiben werden.
Ich weiß nur eines:
Für mich ist es Liebe
Tag der Veröffentlichung: 19.02.2009
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für alle, die noch träumen können.
Für alle, die noch lieben können.
Für alle, die mit einem Buch in der Hand die Zeit vergessen können...
...und für Ilona. Ich denke an Dich.