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Ich gebe es zu, ich bin ein Anachronismus. Ich bin ein Dinosaurier in dieser Welt, und in ein paar Jahren wird die Welt mich überrollt haben mit all ihren Neuerungen, ihren phantastischen Erfindungen und ihrem Drang, immer höher, schneller und besser zu sein.
Ich weiß noch, was ein Raider ist und wie ein Bonanza-Fahrrad aussah, ich kann die Titelmelodie von „Dallas“ summen, und, ehrlich gesagt, ich bin alt genug, um auch noch „Plantschi ist prima, Plantschi ist ne Wucht“ singen zu können.
Aber ich bin nicht nur altmodisch, ich bin auch noch feige. Ich hab noch niemals gewagt, bauchfrei herumzulaufen, nicht mal zu einer Zeit, als bei so einer Aktion nicht die Hälfte (und vermutlich nicht die bessere) meines Körper freigelegen hätte, und die Freundinnen meiner Söhne laufen weitaus perfekter geschminkt herum als ich. Na, gut, Freundinnen von dem Achtjährigen nicht. Aber die anderen.
Ich fürchte, ich drücke mit meinem ganzen Gebaren, mit Aussehen und Kleidung ein zaghaftes „Tu mir nichts, dann tu ich Dir auch nichts“ aus. Tja, da kann man nichts machen. Es gibt eben solche Leute. Und andere.
Andere gibt es hier bei Bookrix viele. Das sind die, die nicht überlesen werden. Die in die Welt – nein, ins Internet hinausschreien: „Hier bin ich, und ich habe ein tolles Buch geschrieben, willst Du es nicht lesen?“
Und weil sie so laut geschrieen haben, liest man es dann eben, und vielleicht gefällt es einem, und man gibt einen Stern, denn das darf man ja.

Ich kann mich nicht erinnern, wann ich zum ersten Mal ein Raider aß, und ob es mich geschmacklich gleich völlig überzeugt hat, aber zumindest hatte ich einen Grund, diesen Schokoladenriegel zu essen. Der Grund hieß: „Raider der Pausensnack“ und wurde im Fernsehen rauf und runter gedudelt. Und irgendwann werde ich dann in dem Tante Emma Laden an der Ecke gestanden haben (nun, eigentlich war es ein Onkel Emma, aber das ist eigentlich nur für meine nostalgischen Gedanken relevant) und zwischen einem No-Name-Riegel und einem vielfach besungenen Raider zu entscheiden gehabt haben. Und ich nahm den Raider, denn die Raider-Macher hatten eben am lautesten geschrieen, und viel Geld in ihre Werbung gesteckt; wer will ihnen das verübeln? So funktioniert die freie Marktwirtschaft nun einmal.

Neulich bekam ich einen Freundschaftsantrag, der mich stutzig machte. Da schrie jemand so richtig raidermäßig herum und fragte, ob ich nicht seine Freundin werden wolle. Das war kein Kettenrundbrief, sondern ich wurde persönlich angesprochen von dieser Person, und als ich nachhakte, bekam ich eine noch persönlichere – und sehr nette – Antwort. Das fand ich klasse, fast so, als hätten die Raiderleute damals gesagt, he, Eloise, kauf doch bitte unseren Riegel und nicht den zwar billigeren aber nicht halb so netten Riegel der in dem Pappkarton nebenan liegt.
Ich nahm den Freundschaftsantrag an, wartete exakt bis der neue Freund 500 Verehrer um sich geschart hatte (na gut, ich habe erst bei Nummer 512 reagieren können, weil ich zwischenzeitlich nicht hier war) und kündigte dann in aller Stille die Freundschaft wieder, in der berechtigten Hoffnung, daß jemand, der 500 Freunde hat, ihnen ohnehin nicht die individuelle Aufmerksamkeit schenken kann, die man Freunden gemeinhin zugesteht. Aber um ehrlich zu sein, ich fand ihn lustig und seine Selbstver-Marketingstrategie pfiffig.
Schließlich schlägt Bookix genau das ja selber vor. In den Emails mit den Freundschaftsanträgen steht: „Jede abgeschlossene BookRix-Freundschaft verbessert die Wahrscheinlichkeit von neuen Lesern und Besuchern auf BookRix-Platform gefunden zu werden.“
Und ganz bestimmt hat er viel Zeit und Mühe in die Werbung investiert, soviel, daß einige Leute, die vielleicht lieber Kinderschokolade gegessen hätten, doch zum Raider-Riegel griffen. Außerdem, das muss ich ihm ebenfalls zugute halten, hat er nicht um Sterne gebeten, sondern es seinen Freunden freigestellt, seine Werke gut zu finden.
Ich habe durchaus auch anderes erlebt, gerade in letzter Zeit. In meiner Mailbox war eine Einladung zu einer ehrlichen, langandauernden Freundschaft aufgrund von Zuneigung und gegenseitiger Achtung – mit dem Zusatz: „Ach übrigens, ich habe Dir auch einen Stern gegeben, und ich würde mich freuen…“ und so weiter.
Also, viele Freunde zu haben, ist wichtig. Sterne zu bekommen ist aber noch wichtiger. Wie soll man denn sonst wissen, ob ein Buch gut ist oder nicht? Im Blickpunkt des Interesses zu stehen, weil das eigene Werk ganz oben auf einer Liste ist – klar, das macht stolz. Das weiß ich, weil mein eigenes Werk da schon mal war.
Mein Werk.
Und das, obwohl ich mich nie bauchfrei auf der Straße zeige, mich kaum schminke und es überhaupt hasse, im Blickpunkt irgendeines Interesses zu stehen.
Wie ich dann dahin gekommen bin? Nicht bauchfrei auf die Straße, ich meine, wie mein Buch auf eine Liste von Bookrix gekommen ist? Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Meine liebste Freundin hat mich so lange benörgelt, bis ich ihr zuliebe einen Account bei Bookrix eröffnet habe und ein paar meiner Geschichten eingestellt habe. Mit einem „so, nun lass mich in Ruhe“ habe ich danach den Computer ausgeschaltet, und ihn mehrere Tage lang nicht wieder angestellt. Aber irgendwer scheint, ganz freundelos, wie ich damals war, doch mein Buch gelesen zu haben, es gut gefunden und mit Stern bewertet zu haben, denn das darf man ja.
Und weil’s so war, und weil man’s darf, hab ich dann neugierig auf die Seiten der Bewerter geklickt, habe mich durch Spannendes, Langweiliges und schlicht Perfektes hindurchgelesen und Sterne verteilt, immer dann, wenn ich dachte, Mensch, so würde ich auch gerne schreiben.

Ich war längere Zeit nicht hier. Inzwischen gibt es einen Wettbewerb, in den man einstellen darf, was immer man will, solange man nicht 20 Seiten überschreitet. Ganz bestimmt gibt es wundervolle Geschichten in diesem Wettbewerb, nur glaube ich fast, diese Geschichten wird man nicht so ohne Weiteres finden. Denn am lautesten schreien nicht die Leute mit den besten Geschichten, sondern die mit den meisten Freunden. Und ich kann nicht an dem Wettbewerb teilnehmen, denn ich habe einfach immer noch nicht genug Freunde, nur meine liebste Freundin und ein paar wirklich tolle, nette andere Freunde, aber Sternevergeberfreunde sind eigentlich nicht darunter. Aber selbst mit Sternevergeberfreunden könnte ich nicht gewinnen, denn für jeden von mir vergebenen Stern erwarten die Freunde ja einen Stern zurück, sonst wäre das ja unfair, und dann haben die Freunde eben immer noch mehr Sterne als ich, weil sie ja auch mehr Freunde haben als ich, und egal wie gut ich schreibe, rechnen kann ich noch besser.
Also, kein Wettbewerb.
Ich bin nämlich, was ich eingangs schon erwähnte, ein Dinosaurier in dieser Welt. Ein lebender Anachronismus.
Was ich will, ist schreiben. Ich gebe mir Mühe, und vielleicht bin ich gut, vielleicht bin ich auch schlecht, das weiß ich nicht so genau. Ich weiß aber, daß es Leute gibt, die meine kleinen Geschichten gerne lesen, denn sie haben es mir, abseits von Sternvergaben, gesagt.

Ich bin gar nicht mehr sicher, ob ein Anachronismus in einem freimarktwirtschaftlichem Bücherforum wie Bookrix gut aufgehoben ist. Vermutlich wird er irgendwann von den an die feindliche Umwelt angepassteren Lebensformen einfach überrollt werden und aussterben. Dann übernehmen irgendwelche höher entwickelten, auf zwei Beinen gehenden Buchprimaten das Ruder, führen den offiziellen Sternekapitalismus ein, verschenken Kometenschweife für richtige Kommasetzung, suchen nach dem Sinn des Lebens und der Antwort auf die große Frage (42, ja, schon klar) und sehnen sich nach jenen Zeiten zurück, da Twix noch Raider hieß und keine Lebenseinstellung war, sondern einfach nur verdammt gut schmeckte.

Liebe Grüße
Eloise

P.S. Ich habe nur unterschrieben, um ein P.S. anbringen zu können
P.P.S. Irgendwie mag ich die Dinger einfach.
P.P.P.S Normalerweise unterschreibe ich Bücher nicht.
P.P.P.P.S. Dazu bin ich nicht prominent genug.
P.P.P.P.P.S. Okay, da oben im Text ist ein Kommafehler, aber ich habe wörtlich zitiert, und da der Kommafehler im Original auch so steht, sollte man mir das, denke ich, verzeihen.
P.P.P.P.P.P.S Ich habe zweimal die wörtliche Rede nicht in Klammern gesetzt. Das war gewollt und fällt unter die Rubrik „Stilmittel“, nicht unter die Rubrik „Fehler“.
P.P.P.P.P.P.P.S. Oder war’s dreimal?
P.P.P.P.P.P.P.P.S Auch egal.
P.P.P.P.P.P.P.P.P.S Einen schönen Abend allen, die das lesen.
P.P.undsoweiter-S ...und besonders allen, die sich über das Wissen, mit ihren Geschichten einen Menschen gut unterhalten zu haben, BEINAHE noch mehr freuen als über einen Stern. Ich möchte gerne mit Euch befreundet sein…

Impressum

Texte: Der Titel ist Reinhard Meys "Es gibt keine Maikäfer mehr" nachempfunden. Möglicherweise gibt es einen Zusammenhang, aber der erschließt sich mir derzeit nicht.
Tag der Veröffentlichung: 22.01.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Meiner liebsten Freundin und allen Freunden, die meine Freunde sind.

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