Cover

Ich mache mir Sorgen



Irgendwann vor vielen Millionen Jahren muss es passiert sein, zwischen dem Moment, als ein netter kleiner Einzeller sich durch Zellteilung fortpflanzte und sich beklommen fragte, wie seine andere Hälfte von jetzt an ohne ihn mit dem Leben zurecht kommen solle, und dem Tag, als eine Steinzeitmutter ihrem Jüngsten beizubringen versuchte, dass es nicht angemessen sei, mit einer 5-Zentimeter-Speerspitze einen Säbelzahntiger erlegen zu wollen: Die Sorge kam in die Welt.
Oh, natürlich gibt es viele Menschen, die Sorgen haben, aber wir Mütter sind ungekrönte Meister darin, sich Sorgen zu machen

, sie quasi neu zu erfinden. Bereits vom Tag der Zeugung an sorgt irgendein geheimnisvoller Instinkt in uns dafür, dass wir uns unsere reiskorngroßen Kinder mit einer eher unwahrscheinlichen Anzahl von Armen und Beinen vorstellen. Sind die Kleinen dann auf der Welt, und sehen doch so aus, wie wir es uns erträumt haben, machen wir uns, statt beruhigt zu sein, gleich über etwas anderes Sorgen. Isst das Kind genug, oder vielleicht zuviel, und isst es auch das Richtige? (Und war es in Ordnung, dass ich Knoblauchbutter gegessen habe, solange ich noch stille?)
Später dann grübeln wir darüber nach, ob ein Kind mit zehn Monaten schon laufen können muss wie der gleichaltrige Sohn der Nachbarin es tut, und ob unser Liebling vielleicht ein Spätentwickler oder einfach nur ein fauler Kerl ist, der festgestellt hat, dass man mittels eines jammernden Bäääh-Lautes viel kraftsparender von einem Ort zum anderen kommt (weil Mama einen sofort trägt).
Wir machen uns Sorgen, ob der Junior wirklich seine Schaufel in der Sandkiste mit Zähnen und Klauen verteidigen sollte, oder ob aus ihm mit einer solchen Einstellung ein Verbrecher werden könnte. So er seine Schaufel aber nicht verteidigt, sondern das Schaufel-abnehmende Kind nur strahlend anlächelt, sehen wir ihn als Versager, der in unserer Ellbogengesellschaft an den Rand gedrängt werden wird.
In der Schule dann sorgen wir uns, weil der Kleine immer das große „S“ spiegelverkehrt schreibt, wenn uns auch die Lehrerin erklärt, das sei völlig normal, und bis zum Übergang auf das Gymnasium hätte auch er den Dreh raus.
Wir sorgen uns wegen Autos, von denen unsere Kinder überfahren werden können und wegen Autos, welche die Luft verschmutzen, die unsere Kinder einatmen, und besonders sorgen wir uns wegen Autos, in die unsere Kinder einsteigen könnten, obwohl sie nicht uns gehören.
Irgendwann, nach zwanzig bis fünfzig Jahren (in Extremfällen auch längerer) eifriger Sorgerei stellen wir dann fest, dass unser Kind erwachsen geworden ist (wird es auch einen Partner finden, mit dem es glücklich ist?), dass es den Trick mit dem großen „S“ zwischenzeitlich herausgefunden hatte (aber wird es mit der Sauklaue einen Ausbildungsplatz finden?) und dass es überhaupt ein ganz tolles Kind ist (he, natürlich, was denn sonst!).
Dann merken wir plötzlich, dass es völlig überflüssig war, sich so viele Sorgen zu machen, und dass wir sicher ein paar Stirnfalten weniger hätten, wenn wir alles etwas lockerer gesehen hätten. Aber die Gabe des Etwas-lockerer-Sehens war uns einfach nicht gegeben worden.
Auch die Steinzeitmami war fest davon überzeugt, ihr Jüngster würde nie ein vernünftiger Mammutjäger werden, wenn er immer soviel Blödsinn im Kopf hat, und die frisch geputzten Höhlenwände mit seinen Schulkreiden verziert, statt Hausaufgaben zu machen. Sie konnte nicht wissen, dass seine Werke viele Jahrtausende später als Kunst bezeichnet werden würden (und man heute verzweifelt nach der tieferen Bedeutung seiner Werke sucht).
Hätte sie es gewusst, ihr Leben wäre sicher sorgenfreier gewesen.
Aber nicht halb so schön…


Die Welt im Plastikdings



Am 10. Dezember 2007 fand in Stockholm die letzte feierliche Verleihung der Nobelpreise statt. Zwei deutsche Forscher waren im letzten Jahr unter den gerührten Geehrten, und beide haben diese Auszeichnung sicher verdient. Besonders, da ich diese Zeilen gerade auf einem Computer schreibe, bin ich dem Herrn Grünberg doch sehr dankbar. Ohne ihn wäre ich vermutlich über den ersten Satz noch nicht hinausgekommen.
Weitaus faszinierenderes Können beweisen jedoch andere Menschen. Ich kenne ihre Namen nicht, ich schätze, ihr Monatslohn kommt nicht annähernd an die 10 Millionen schwedischer Kronen heran, mit denen der Physik-Nobelpreis dotiert ist, und vermutlich geben sie nicht einmal mit ihren unglaublichen Fähigkeiten bei Familienzusammenkünften an. Und dennoch beherrschen sie etwas Einmaliges in dieser Welt.
Eben war es wieder soweit. Ich wickelte ein Überraschungsei aus seinem Stanniolpapier, ließ die zwei Schokoladenhälften mit leichtem Druck auseinander springen und öffnete dann die zum Vorschein kommende gelbe Plastikverpackung. Sofort flogen mir unglaubliche Mengen von Spielzeugeinzelteilen entgegen, dazu eine Bauanleitung, zwei Zettel mit Warnhinweisen in 37 (!) verschiedenen Sprachen und dazu ein weiterer Zettel mit Aufklebern zur Verschönerung des zusammenzubastelnden Werkes.
Angesichts der von mir erwarteten Fähigkeiten fühlte ich leichte Panik in mir aufsteigen. Ich habe leider kein Ingenieursstudium absolviert, daher entschloss ich mich, den Zusammenbau des Spielzeugs bis zum Eintreffen meines Kindes zu verschieben. Ich versuchte also, die Einzelteile wieder in die Plastikverpackung zurückzubefördern. Zuerst das Papier, dann die Plastikbauteile. Es funktionierte nicht. Dann umgekehrt, die Bauteile zuerst, dann das Papier. Es blieb immer noch genug Plastik über, um einen mittelgroßen Wandschrank zu füllen. Schließlich verzichtete ich völlig auf die Warnhinweise. Nichts zu machen, ich bekam die Einzelteile nicht wieder in das gelbe Plastikdings zurück.
Endlich, nach langer Zeit, kam mein Kind nach Hause und fand mich mit wirren Haaren und leichtem Schielen vor einem Berg von Plastikteilen A, welche mittels Gumminöpseln B an Metallkorpus C zu befestigen waren, wobei ich heiser vor mich hinmurmelte: „ Es war doch darin, es muss doch passen“
Mein Kind schnappte sich den Anleitungszettel und baute aus dem Inhalt des Überraschungseis flugs ein handliches Hosentaschen-Atomkraftwerk, welches wir mit vereinten Kräften in die Garage schoben, um im Haus ein wenig Platz zum Abendessen zu haben.
Aber seitdem lässt mir der Gedanke keine Ruhe. Wie, um Himmels Willen, bekommen die taiwanesischen Fabrikarbeiterinnen die Unmengen von einzelnen Bauteilen in die kleine gelbe Plastikverpackung? Und selbst wenn sie den Trick bei einem der Spielzeuge gelernt haben, ein paar Tage später ist es doch wieder an anderes Spielzeug, welches auf kleinsten Raum gequetscht und in Schokolade verborgen werden muss.
Mein Kind sagt, die Lösung sei ganz einfach. Erst an der Luft quellen die kleinen Teilchen auf und werden zu Plastikteilen A, Gumminöpseln B und Metallkorpi C. Es hat keinen Beweis für diese Theorie, hat aber fest vor, darüber dereinst seine Doktorarbeit zu schreiben. Wenn mein Kind dann am 10. Dezember 2023 in Schweden den Nobelpreis für seine bahnbrechenden Forschungen entgegennimmt, werde ich diejenige sein, die in der hintersten Reihe des Saales sitzt und am lautesten klatscht…


Wider den Sittenverfall



Es ist nicht zu übersehen: der Verfall der Sitten ist nicht mehr aufzuhalten. In meinem Job komme ich beinahe täglich mit den schrecklichen Konsequenzen dieser Leichtfertigkeit dem Leben gegenüber in Berührung.
Nein, ich bin kein Sozialarbeiter, auch kein Pastor und ganz sicher auch kein Standesbeamter, welcher Dank der zurückgehenden Zahl der Eheschließungen zu wenig zu tun hat. Wir führen lediglich ein mittelständisches Unternehmen, dem die Kunden von Zeit zu Zeit Geld überweisen.
Und das ist mein Problem.
Nun gut, nicht das Geldüberweisen an sich, das finde ich ja noch ganz nett, und wenn auf dem Kontoauszug steht, Herr Müller hat Geld überwiesen, dann ordne ich diese Überweisung auch der Rechnung von Herrn Müller zu und betrachte die Angelegenheit als erledigt.
Von Zeit zu Zeit überweist anstelle des Herrn Müller allerdings auch Frau Müller das Geld, und wenn sie dann vergessen hat, anzugeben, ob ihr Gatte Karl-Heinz oder Karl-Friedrich heißt, und mir zudem noch die Rechnungsnummer nicht mitgeteilt hat, dann ist schon ein wenig Spürsinn gefragt. Aber was soll’s, das bekommt man hin.
Problematisch ist, dass Herr Müller oftmals gar nicht mehr mit Frau Müller verheiratet ist, sondern mit Fräulein Meier mehr oder weniger lose liiert. Trotzdem geht die Beziehung so weit, dass Fräulein Meier die Rechnung für ihren Lebensabschnittsgefährten bezahlt. Tja, und dann sitze ich da und grüble. Eine Rechnungsnummer hat es nicht angegeben, das Fräulein Meier. Sie könnte also den Daten nach entweder mit Herrn Müller liiert sein, mit Herrn Lehmann oder auch mit Frau Schmidt. Herrn Lehmann kann ich allerdings nach einigem Wühlen in den Kontoauszügen ausschließen, denn für den hat Frau Schulz bezahlt, aber sie hat dankenswerterweise die Rechnungsnummer angegeben.
Da ich nicht wirklich herausfinden kann, ob Fräulein Meier mit Herrn Müller liiert ist oder gar mit Frau Schmidt eine gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaft unterhält, hefte ich an den Kontoauszug mit dem Zahlungseingang einen leuchtend gelben Zettel und warte ab, bis einer der beiden Geld überweist. Der übrig bleibende Part müsste dann ja der LAG des Fräulein Meier sein.
Zwei Seiten weiter dasselbe Spiel. Eine Frau mit eindeutig türkischem Namen überweist Geld, teilt uns aber nicht mit, wofür und für wen. In diesem Fall ist die Zuordnung allerdings leichter. Ich habe da eine passende Rechnung auf den Namen „Özdemir“ – passend nicht zum Namen der überweisenden Dame, aber immerhin zum Betrag. Ich stelle mir einfach vor, dass die beiden aufgrund ihrer Herkunft miteinander verbandelt sind. Aber Sorgen mache ich mir trotzdem. Dass Herr Özdemir eine Freundin hat, welche die Rechnungen für ihn bezahlt, ist ja schön und gut, aber weiß eigentlich Frau Özdemir davon?
Während ich noch grüble, gerate ich an eine Überweisung, die mich vollends verwirrt. Die Rechnung für die angegebene Rechnungsnummer ist auf Herrn A. und Frau B. ausgestellt – moralisch gesehen möglicherweise bedenklich, nicht jedoch für meine Arbeit. Nur, die Rechnung wurde von Frau C. bezahlt! Wer, um Himmels Willen IST Frau C.? Leben die Herrschaften in einer Menage á trois? Ist Frau C. die Hausangestellte, die solche Kleinigkeiten wie Überweisungen von ihrem eigenen Konto tätigt? Oder sind die Herrschaften A. und B. ein ganz ausgekochtes Gaunerpärchen, welches die arme Frau C erpresst, weil sie sich auf der letzten Weihnachtsfeier, leicht angetrunken, auf den Fotokopierer gesetzt und ihren eigenen Hintern fotokopiert hat?

Während ich noch darüber nachdenke, rechtliche Schritte gegen A. und B. einzuleiten, klingelt das Telefon. Ein Fräulein Müller meldet sich und teilt mir mit, sie habe noch eine Frage bezüglich der Rechnung für ihren Vater, Herrn Müller.
Ihren VATER?
Na gut, vielleicht ist die Welt doch nicht ganz so sehr dem Untergang geweiht, wie ich annahm.
Aber ganz ehrlich, wenn alle Leute, die füreinander Rechnungen bezahlen, zuerst einmal heiraten würden, wären viele Leute glücklicher. Die Standesbeamten, die Pastoren, na, und ich, ich sowieso!


Herbert und Rüdiger



In der Cornflakespackung steckt ein Plastikdinosaurier.
„Cool“, sagt das Kind und lässt den kleinen Kerl mit dem Kopf in den Cerealien verschwinden.
„Er hat Hunger“, kommentiert das Kind.
Einige Minuten später ist der Dinosaurier satt und greift stattdessen mein Toastbrot an.
„Saurier sind so“, sagt das Kind, „die greifen alles an, auch Toastbrote.“
Langsam kommt mir ein Verdacht, warum die lieben Tierchen den gnadenlosen Konkurrenzkampf unserer Welt nicht überlebt haben. Außerdem glaube ich fast, der Kleine hat nur wenig Ähnlichkeit mit seinen im Mesozoikum ausgestorbenen Verwandten. Er hat so merkwürdige rote Flecken, die sicher nicht zu seiner Tarnung beigetragen hätten. Allerdings könnte es sich natürlich um Hektik-Flecken handeln. Es ist sicher nicht ganz einfach, wochenlang in einer Cornflakespackung herumzureisen.
Wir ziehen das Internet zu Rate und erfahren, dass es sich bei dem Saurier um einen Triceratops handelt. Das Kind nennt den Triceratops Herbert (ein im Mesozoikum unter Sauriern weit verbreiteter Name) und nimmt ihn mit zur Schule, unter der strengen Auflage, dass Herbert die Schulkameraden nur in der Pause, die Klassenlehrerin dagegen gar nicht angreifen darf, selbst wenn sie Hausaufgaben aufgibt.
Eine Woche und eine Cornflakespackung später hat Herbert ein kleines Brüderchen, einen Allosaurus namens Rüdiger. Wie richtige Brüder streiten sich Herbert und Rüdiger den ganzen Tag lang um alles, worum man sich streiten kann. Die Klassenlehrerin des Kindes bittet höflich darum, die beiden Plastikbrüder doch zuhause zu lassen, da diese im Unterricht dauernd über die Korrektheit der Mathematikergebnisse diskutieren.
Das Kind würde gerne mal wieder eine andere Cornflakessorte essen, aber es hätte auch gerne einen weiteren Dino für die Sammlung. Karl-Heinz hält Einzug in unsere Familie; ein Tyrannosaurus Rex. Obwohl der Jüngste des Kleeblattes, gewinnt er die meisten Kämpfe. Das Kind ist inzwischen gut über die verschiedenen Saurierarten informiert.
Schließlich gibt es keine Saurier mehr in den Cornflakespackungen. Ein Flugsimulator auf CD für den Computer, ein kleiner Stoffball zum Werfen und ein piepsendes Minispiel lösen die Plastiktierchen ab. Karl-Heinz darf den Drachen in der Ritterburg spielen, Herbert entdecke ich in der Sofaritze und Rüdiger bleibt solange verschollen, bis das Kind befindet, es sei nun zu alt für eine Sandkiste. An diesem Abend darf Rüdiger mit diversen Matchboxautos ein Bad nehmen. Natürlich frisst er die Autos, aber der frühere Schwung fehlt. Auch Saurier kommen in die Jahre.

„Ich war mit Papa bei McDonalds“, berichtet das Kind freudestrahlend.
„Und, was habt ihr gegessen?“, will ich wissen.
„Ich kann mich nicht erinnern“, sagt das Kind. „Aber in der Tüte war ein Plastikroboter. Ich nenne ihn Robert.“


Werbung



Eben saß ich entspannt neben meinem Sohn auf der Couch und bemühte mich, nicht einzuschlafen – das Fangen von Pokémon, dem er sich gerade mit viel Hingabe widmete, beginnt ab einem gewissen Alter (nämlich meinem), seine Faszination zu verlieren – als das Telefon klingelte. Natürlich sprang ich sofort auf, unterbrach sämtlichen Informationsaustausch mit meinem Sohn („… ist die Weiterentwicklung von Onyx, die gab es auch schon in der Rubin-Edition… ich bin ja schon ruhig…“) und stürzte ans Telefon – um mir von einer Stimme vom Band mitteilen lassen zu müssen, dass ich ganz viel Geld gewonnen hätte; bis zu dreitausend Euro, wenn ich nur folgende kostenpflichtige Nummer wählen würde… Ich legte auf.
Es war nicht dieser offenkundige Versuch, mich um mein Geld zu erleichtern, den ich übel nahm, sondern die Seelenlosigkeit, mit der selbiger vonstatten ging. Wenn ich schon betrogen werden soll, dann kann sich der Betrüger doch bitte die Mühe machen, mich persönlich anzusprechen, statt eine Bandstimme auf mich zu hetzen.
Ich setzte mich wieder auf das Sofa. Fünf Minuten und einige erbauliche Informationen später („…der DS-Lite-Stift passt genau in meine Zahnlücke, jetzt muss ich nicht mehr die Zähne putzen!“) klingelte das Telefon erneut. Wieder sprang ich erwartungsvoll auf, nur um von einer weiteren Bandstimme mitgeteilt zu bekommen, dass der Tiefkühlkost-Lieferservice am Donnerstag vorbeikäme. An sich fand ich die Information sehr aufschlussreich, allerdings hat sich wohl niemand von der Firma die Mühe gemacht, die Bandansage einmal selber anzuhören. Die Dame nuschelte entsetzlich; es klang wie „Ihr Eischmann kommt schie am Donnerschtag beschuchen.“
Vermutlich hatte die Dame auch einen DS-Lite-Stift in ihrer Zahnlücke stecken.
Auf dem Weg zurück zu meinem Sohn („…eigentlich passt der ganze Gameboy in meine Zahnlücke!“) ging ich kurz am Briefkasten vorbei. Mit drei Briefen setzte ich mich wieder zu meinem Sohn („… doch nicht der ganze Gameboy, Mama, nur der obere Bildschirm“) und öffnete den ersten Umschlag.
Er enthielt das ultimative Angebot, die unschlagbaren Ein-Tages-Kontaktlinsen zu testen, zu einem phänomenal günstigen Preis.
Der zweite Brief handelte von Nudelpfanne Pjöngjang, einer Kaffeemaschine und vielen kernlosen Wassermelonen. Der Absender versuchte mich mit diesen Themen zum Besuch des nahe gelegenen Einkaufszentrums zu überreden.
Der dritte Briefeschreiber war der festen Überzeugung, dass das Leben nur mit der richtigen Versicherung (mit Unfallschutz im Ausland) überhaupt lebenswert sei.
Solchermaßen beeinflusst verkniff ich es mir, den Fernseher anzuschalten. Ich kenne das doch, kurz bevor die Welt im Film gerettet wird, suggeriert mir eine freundliche Damenstimme, dass ich mich längst nicht so aufgebläht fühlen würde, wenn ich nur die richtige Sorte Joghurt zu mir nähme. Wenn das des Rätsels Lösung wäre, bräuchte man den durch ihr eigenes Ego aufgeblähten Politikern nur eine kräftige Portion Joghurt über den Kopf zu gießen.
Mein Sohn löste die Geheimnisse dieser Welt inzwischen auf seine Weise. Er zog den Gameboy aus der Zahnlücke und setzte eine Pflanzenattacke gegen ein Gesteinspokémon ein, woraufhin dieses fast alle KP verlor. Dann benutzte er eine Giftattacke, und fing das solchermaßen geschwächte Pokémon mittels eines Hyperballs, auf dass es fortan für ihn kämpfen solle und ihm zu Ruhm und Ehre verhelfe.
Ich muss zugeben, so viel verrückter klingt mir diese Möglichkeit nun auch nicht.


Vom Schreiben



Ich schreibe wirklich gerne. Ich schreibe auch viel. Allerdings ist Quantität ja bekanntermaßen nicht dasselbe wie Qualität. So zweifle ich seit einigen Wochen an allem was ich schreibe – und schreibe es dann eben letztendlich nicht.
Eben hatte ich endlich mal wieder eine gute Idee. Ich setzte mich an den Computer, tippte einen Satz und wurde unterbrochen: „Mamaaaaa…. Kann ich ein Eis haben.“ Ich erlaubte das Eis (das ging schneller als die Diskussion, die gefolgt wäre, hätte ich das Eis im Hinblick auf die Zahngesundheit verboten) und tippte einen zweiten Satz. Da hörte ich: „Mamaaaaa, wo sind meine Tennisschuhe?“. Ich suchte die Tennisschuhe und schrieb einen weiteren Satz, der von mehreren Zetteln beendet wurde, die mir zum Unterschreiben vor die Nase gehalten wurden. Ich unterschrieb, ohne die Zettel durchzulesen (ich hoffe nur, ich bin jetzt nicht wirklich Teilhaber einer Nerzzuchtfarm in West-Mosambik geworden, wie das zu den Zetteln gehörige Kind mit einem für sein zartes Alter bemerkenswerten Sarkasmus behauptete) und las meine drei Sätze noch einmal durch. Der erste gefiel mir ja noch. Der zweite schon nicht mehr ganz so gut. Der Dritte… nun, ich löschte ihn und begann, ihn erneut zu schreiben, da…
„Mamaaaaa, ich brauche für morgen 3 Euro und 47 Cent, ein paar Kupfer-Manschettenknöpfe, das Kabel von einem Toaster, eine Weinbergschnecke mit Hausdrehung auf der linken Seite und die Kragen-Pappeinlage, die immer in neuen Herrenoberhemden steckt. Außerdem will meine Lehrerin eine Bestätigung, dass meine Läuse nicht ansteckend sind und am Telefon ist ein Mann, der fragt, ob es richtig ist, dass von Deinem Konto 10.000 Euro auf ein Konto in Transsylvanien überwiesen wurde. Der Hund hat einen Eierlöffel gefressen, brauchst Du den noch, und bevor ich das vergesse, Dorian hatte mir sein Rennmauspärchen für eine Woche geliehen, aber jetzt will er nur seine zwei Mäuse zurück, was soll ich mit den 11 Babys von denen anfangen?“
Die Welt wird wohl noch eine weitere Weile ohne meine gute Idee auskommen müssen…

...to be continued...

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 20.10.2008

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /