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Prolog


Er spürte sie, bevor er sie sah. Eine strahlende Wärme ging von ihr aus. Ein Licht, dass nur für ihn sichtbar, eine Wärme, die nur für ihn zu spüren war Sie war es, nach der er suchte, seit er sie im Alter von dreizehn Jahren zum ersten Mal erblickt hatte. Sie war der Grund, warum er zu einem der besten Sucher auf der Welt geworden war. Er wusste nichts weiter, als dass ein unauslöschbares Band sie aneinander kettete. Zugleich war es auch das, was ihn am meisten verärgerte - er wusste nichts über sie, nicht einmal ihren Namen und dennoch fühlte er sich zu ihr hingezogen wie zu niemandem sonst.
Vorsichtig blickte er um die Ecke und sein Atem stockte. Da stand sie - schön wie eh und je - und lachte mit einer Freundin, so nahm er an, über etwas das sie gesagt hatte. Ihr Lächeln enthüllte strahlend weiße Zähne. Ihr helles Gesicht wurde von roten, lockigen Haaren umspielt und sein Herz began zu rasen. Als hätte sie ihn ebenfalls gespürt, hob sie den Kopf und schaute in seine Richtung. Ihre braunen Augen glitten über die Wand, striffen ihn und wanderten weiter. Sie wirkte ein kleines bisschen verwirrt, doch sie wandte sich wieder ihrer Freundin zu.
Sie hatte ihn nicht bemerkt, doch der wandernde Blick aus ihren Augen hatte genügt, um ihn wissenvzulassen, wie sehr er sie brauchte und stärker denn je besaß er auch das Gefühl, sie würde ihn brauchen.
Er verspürte einen stechenden Schmerz in seiner Brust und bemerkte, dass er unbewusst den Atem angehalten hatte. So leise wie irgend möglich stieß er die Luft aus. Seine Knie zitterten, als er sah, wie sie den Kopf wieder hochriss und ohne zu zögern direkt in seine Augen schaute. Zu seiner Verärgerung konnte er das Gefühl, das sich auf ihrem Gesicht ausbreitete, nicht erkennen.
Er wusste, dass er so schnell wie möglich weg musste, er durfte ihr Leben durcheinander bringen! Sie musste es alleine herausfinden! Mit höchster Konzentration und Anstrengung - beides Dinge die sich in ihrer Gegenwart immer verflüchtigten - drehte er sich um und rannte davon.
Obwohl es nur eine Sekunde gewesen war, in der sie sich direkt angeblickt hatten, waren es nur ihre Augen und ihr Lächeln, dass ihm die ganze Zeit im Kopf herumspukte. Er konnte nur hoffen, sie hätte ihn nicht erkannt oder zumindest für eibe Lichtspiegelung gehalten.

1. Kapitel


Er rannte vor mir. Ich vertraute ihm. Wer war er? Ich würde ihm durch die Hölle folgen. Was dachte ich da? Wo kam dieses Gefühl her? Er wurde schneller, ich ebenfalls und doch konnte ich nicht mithalten. Er entglitt mir. Ich schrie ihm nach. Nichts deutete darauf hin, dass er mich gehört hatte. Nein, er wurde sogar noch schneller. Verzweifelt rief ich lauter. Unweigerlich wurde er von Nebel und Dunkelheit verschluckt.

 

Ich erwachte und setzte mich ruckartig auf. Diesen Traum hatte ich nun zum fünften Mal in dieser Woche geträumt. Wie immer war ich schweißnass und von Gefühlen geplagt, die nicht die meinen zu sein schienen, aufgeschreckt. Mit gerunzelter Stirn blickte ich auf meine Uhr, die auf dem Beistelltisch lag. "4.25 Oh nein, nicht schon wieder so früh." Das war der erste Gedanke, der mir durch meinen müden Kopf schoss. "Schon so spät", war der Zweite. Ich hatte vergessen, dass ich heute noch einen der längsten Tage meines Lebens vor mir hatte.

Nachdem mein Dad vor drei Jahren an Krebs gestorben war, verfiel meine Mutter in eine Art Trance, die niemand durchbrechen zu wusste. So wurde sie arbeitslos und ich musste ungewollt die "Beschützerrolle" in meiner kleinen Familie übernehmen. Mit zwölf Jahren wusste ich noch nicht wie ich auf meine Schwester Amy und meine Mum aufpassen sollte, doch mit der Zeit hatte ich gelernt, zu kochen, Geld zu verdienen (ich hatte einen Nebenjob) und vor allem bohrenden Fragen neugieriger Menschen auszuweichen. Damit hatte ich meine Schwester und mich vor dem Waisenhaus gerettet. Nicht weil ich das Waisenhaus so schlimm fand, sondern weil Amy panische Angst hatte von unserer Mum und mir getrennt zu sein. Zu meiner Erleichterung hatte meine Schwester es geschafft eine Verbindung zu Mum aufzunehmen und seit kurzem hatte sie wieder begonnen mit uns zu reden. Lachen habe ich sie seit dem Tod meines Vaters kein einziges Mal mehr gehört.

Ich sprang aus dem Bett und zog mich in Windeseile an. Dann ging zum ins Zimmer meiner Schwester und fragte mich, ob ich sie nicht noch zehn Minuten schlafen lassen sollte. "Nein", entschied ich mich dagegen, wir waren schon spät genug. Leise öffnete ich die Tür und und war überrascht, als ich Amy müde aber wach in ihrem Bett sitzen sah. Sie hörte mich nicht und ich wollte mich schon bemerkbar machen, da sah ich, dass sie weinte und ein Bild an die Brust gedrückt hielt. Vorsichtig ging ich ein paar Schritte in ihre Richtung. Ich hatte geglaubt, sie wäre über Vaters Tod und Mutters Zurückweisung hinweg, doch allem Anschein nach hatte ich mit meiner Vermutung unrecht gehabt.

"Amy, Schatz, was ist denn los? Geht es dir gut?" Meine Stimme klang sanft und leise, trotzdem schrak sie auf und atmete erleichtert wieder aus, als sie mich erkannte. "Mel, ich dachte du schläfst noch!" Leise erklärte ich ihr, dass ich gerade aufgewacht war. Es herrschte eine fast unerträgliche Stille bis Amy wieder das Wort ergriff: "Müssen wir wirklich weg?" Ich kam zu ihr ans Bett und nahm sie ganz fest in die Arme. Dann sagte ich mit leicht zitternder Stimme: "Ja, der Umzug nach Italien wird Mum vielleicht wieder zu uns zurückbringen." Ihr Tonfall, so kindlich, so unschuldig, so traurig, verstörte mich, als sie sagte: "Okay, aber nur für Mum und dich Mel!" Für ein kleines Mädchen von acht Jahren hatte sie schon viel zu viel miterlebt - das wurde mir nun zum ersten Mal richtig bewusst. "Danke, meine tapfere Maus! Komm, du musst jetzt aufstehen, sonst verpassen wir den Flug nach Lucca."

Schweigend stand sie auf und zog sich an. Währenddessen weckte ich meine Mum auf und ging in Gedanken noch einmal alle Vorkehrungen für die Reise durch, um zu prüfen, ob ich nichts vergessen hatte.

Kurz nach fünf Uhr verließen wir unsere Mietwohnung und spazierten zu dem naheliegenden Flughafen. Obwohl der Weg nicht weit war und wir nicht viel Gepäck hatten, wurde es bald unerträglich, denn ich musste außer meiner Tasche auch noch zwei Koffer tragen, während Amy und meine Mum jeweils nur eine Tasche trugen. Ich hatte dem zugestimmt, da Mum die letzten drei Jahre lang immer dünner und zerbrechlicher geworden war. Ihr Aussehen war in keiner Weise mehr mit ihrem früheren Ich zu vergleichen: Unter ihren Augen waren große, dunkle Schatten und ihre Wangen waren eingefallen. Zudem wurden auch ihre Lippen immer spröder und dünner. Nicht einmal ihre grau-blauen Augen waren noch dieselben. Früher war da ein lebhaftes, freudiges Funkeln gewesen und jetzt war nur mehr von Schmerz und Verlust zu lesen. Ihre einstmals schönen, blauschwarzen Haare waren stumpf und lang, da sie sseit geraumer Zeit nicht mehr geschnitten worden sind.

 Wir erreichten gerade den Flughafen, als ich plötzlich angerempelt wurde. Ich stürzte und konnte gerade noch verhindern, dass Amy auf den Boden knallte. Ich schlug mit dem Kopf auf und dann fiel der Koffer auf mich. Ich verlor das Bewusstsein. "Amy, geht es dir gut?", war der letzte Satz, den ich noch herausbrachte.

Es konnte nicht viel Zeit vergangen sein, als ich die Augen wieder aufschlug, denn ich lag noch immer vor dem Flughafen. Amy und ein fremder Mann hatten sich über mich gebeugt. Meine Schwester wirkte sichtlich erleichtert: "Mel, geht es dir gut?" Mit einem aufgesetzten Lächeln bemerkte ich, dass sie genau die gleichen Worte benutzte, wie ich zuvor. "Mir ist nichts...aua...passiert!", presste ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Ich versuchte mich aufzurichten, doch der Fremde hielt mich zurück: "Nicht rühren! Es tut mir so leid, wie konnte ich euch nur übersehen! Warte, ich habe hier etwas gegen die Schmerzen."

Misstrauisch beobachtete ich ihn, wie er mir eine Tablette reichte. Das war schon komisch, erst rannte er mich um und dann gab er mir eine Tablette gegen Schmerzen - die habe ich natürlich auch immer dabei...   Zögerlich fragte ich: "Wer sind Sie?" Er entschuldigte sich wegen seiner Unhöflichkeit und sagte, sein Name sei Julian. Außerdem müsse ich ihn nicht mit "Sie" anreden, denn so alt sei er noch nicht. Ich musterte ihn genauer und bemerkte, dass seine Augen so blau wie das Meer waren und mich besorgt anschauten. Während ich die Tablette schluckte, sah er auf seine Uhr und stellte mit Entsetzen fest, dass es schon so spät war und er los musste, um seinen Flug noch zu erreichen. "Gute Besserung und viel Spaß!", wünschte er mir. "Spaß? In Lucca?", murmelte Amy leise, doch Julian hörte es. "Nach Lucca fliegt ihr also... egal ich muss jetzt wirklich los." Damit drehte er sich um und rannte davon. "Was war das denn?", dachte ich mir. Ich schaute mich um und bemerkte, dass meine Mum nur zugeschaut hatte, aber kein einziges Mal eingegriffen hatte, um ihren Töchtern zu helfen. Wut drang in mir hoch, doch ich bezwang sie und machte mich mit Schmerzen, vielen Koffern, meiner für ihr Alter viel zu reifen Schwester, meiner irren Mutter und ein paar mehr oder weniger großen seelischen Problemen im Schlepptauauf zum Flieger, der uns ins sonnige, warme Lucca bringen sollte.

 

 

2. Kapitel

Das erste was wir von unserer neuen Heimat sahen, waren Sonne, die Stadtmauer und Grünflächen mit ein paar Bäumen. Wäre da nicht diese wundervolle Aussicht und das Glänzen und Glitzern, das die Sonne hervorrief, hätte die ganze Szene unspektakulär ausgesehen. Ob ich diese Meinung nur deshalb getroffen hatte, weil ich bereits im Flugzeug Heimweh gehabt hatte und ich mir voreilig geschworen hatte dieses Haus, diesen  Ort, in dem wir früher manchmal unsere Ferien verbracht hatten, niemals "mein Zuhause" nennen würde, wusste ich nicht genau.

Wir waren in Pisa gelandet und ich hatte uns ein Taxi bestellt, dass uns zu unserem neuen, oder eher alten Haus brachte, direkt an der Stadtmauer von Lucca. Ich weiß noch, wie ich dachte: "Na toll, jetzt wohnen wir in dieser nicht nur mittelalterlich gebauten, sondern auch noch streng gläubigen 'Stadt'! Was Mum nur daran findet..!" Fast gleichzeitig flüsterte Amy mir zu: "Müssen wir wirklich hier bleiben, Mel?"

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 16.05.2013

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