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"Schnell, beeil dich, wir müssen hier weg bevor die Ladenbesitzer wiederkommen.", sagte meine ältere Schwester Dee drängend, aber leise zu mir. Ich hätte sie auch verstanden, wenn sie nichts gesagt hätte, denn wir beide konnten Gedanken lesen. Aber wir wollten, wir durften nicht auffallen, also mussten wir auch hin und wieder miteinander reden. Ich gebe ja zu, es ist nicht das beste Thema das wir uns aussuchen konnten, aber was solls.
Ich ging schneller und versuchte glücklich und entspannt zu wirken, wie ein normaler Teenager eben. Wir verließen den Lebensmittelladen, in dem wir gerade "eingekauft" hatten, unbemerkt und gingen auf eine belebte Straße zu. Das klingt wahrscheinlich widersprüchlich, wenn man auf der Flucht ist, auf belebte Straßen zu gehen, aber Tatsache ist ,dass Dee und ich uns in Menschenmengen leichter taten, nicht bemerkt zu werden.

Früher hatte ich einmal eine ganz normale Familie gehabt, aber an dem Tag, als mein Vater Luke umgebracht wurde, veränderte sich alles. Meine Schwester und ich waren mit unserem Dad campen gewesen und deshalb schob man uns die ganze Schuld zu. Wir wurden verdächtigt unseren eigenen Vater ermordet zu haben. Sogar unsere Mutter Deborah glaubte das. Also flohen wir vor ungefähr 3 Monaten, damit wir nicht untersucht werden würden, weil wir laut Medizin nicht existieren konnten.
Dee und ich besaßen viel zu wenig rote Blutkörperchen, dafür hatten wir irgendeinen Stoff im Blut der es rot-orange färbte. Zu allem Überfluss war auch unser Herzschlag langsamer, als der von normalen Menschen es jemals sein konnte. Das hatte alles meibe Schwester herausgefunden, die früher vorgehabt hatte Ärztin zu werden.
Wir wussten natürlich, dass unsere Flucht wie ein Geständnis wirken musste, aber noch weniger wollten wir, dass jemand unser Geheimnis lüftete.

Ich griff in meine Hosentasche und zog meinen iPod heraus. Es war eines der wenigen Dinge die ich mitgenommen hatte. Dee schaute zu mir herüber und seufzte:" Lucie, musst du immer Musik hören?" Darüber musste ich lächeln, denn es war eine jener Unterhaltungen, die man nicht nur einmal im Leben führt und ich kannte sie schon auswendig.
"Es schützt mich davor Gedanken zu empfangen!", argumentierte ich überzeugt. Dee beschränkte sich darauf die Luft heftig auszuatmen. Ich wusste, dass sie ihr Gegenargument, dass man auch lernen konnte, seine Gedanken zu kontrollieren, nur wegen ihrer Freude über mein Lächeln aufgegeben hatte.
In letzter Zeit hatte ich auch nicht sonderlich viel zu lachen gehabt, aber Dee bemühte sich nach ganzen Kräften mich dazu zu bringen. Ich wüsste nicht, was ich ohne sie machen würde!

Wir schlenderten durch die Straße Richtung Meer. Am Strand würde uns niemand wahrnehmen, vor allem nicht, weil daneben auch ein Hafen war und im Stundentakt Fähren auf eine Insel fuhren.
Auf der anderen Seite wurde der Kiesstrand von Klippen begrenzt. Sie waren ungefähr 15 Meter hoch und es ging steil bergab. Ich fragte mich ob man hier von den Klippen springen konnte, oder ob es zu gefährlich war.
Ich nahm die Kopfhörer aus den Ohren und versuchte die Gedanken eines Mannes, der ganz oben am Rand der Felswand stand, zu empfangen:"... will springen... Aufmerksamkeit..." Also sollte man lieber nicht springen , wenn ich das warnende Gefühl, dass den Gedanken beigewohnt hatte, beachtete.
Dee war gerade beschäftigt einen Stein aus ihren Schuhen heraus zu holen und hatte nichts bemerkt. Ich versuchte heraus zu finden, ob der Mann wirklich springen würde, doch seine Gedanken verrieten nichts anderes, als ich sowieso schon wusste.
Zögernd ging ich ein paar Schritte näher und bald konnte ich ein Schild vor den Klippen erkennen auf dem stand, dass man nur auf eigene Gefahr das Gelände betreten durfte und dass das Springen verboten sei, weil im Wasser lauter Felsen waren. Da rannte ich los und fand einen Pfad, der hinaufführte. Ich stürmte nach oben und lief auf den Mann zu.
Die Wellen erzeugtenein tosendes Geräusch, als sie geen die Felswand schlugen. Der Mann hörte mich nicht und ich sprintete jetzt so schnell ich konnte um ihn daran zu hindern sich in den Tod zu stürzen.
Ich sah wie er sich zum Sprung bereitmachte, warf mich nach vorne und packte ihn am Arm. Doch ich hatte meinen Schwung falsch eingeschätzt und taumelte weiter...

Dann wurde ich von einer starken Hand zurückgerissen und ich hörte eine tiefe Stimme die mich unsanft fragte, warum ich so dumm war und Selbstmord begehen wollte. Zitternd stand ich da und blickte in den Abgrund.
Mein Herz pochte wie verrückt und ich atmete schwer. Plötzlich wurde ich mir dessen bewusst wie nahe ich darab gewesen war, nicht nur ihn hinabspringen zu lassen, sondern auch mein Schicksal zu besiegeln.
"...dummes Kind... bestimmt keine Klippenspringerin...", dröhnten seine Gedanken laut zu mir herüber. Gleich darduf fragte er mich noch einmal warum ich springen wollte. Ich hatte mich noch nicht auch nur ansatzweise von dem Schock erholt, aber es gelang mir einen Schritt zurück zu machen und den Kopf zu heben. Ich versuchte meinen Blick zu fokussieren, was mir erst ein paar Sekunden später gelang.
Ich atmete langsam und tief ein, wollte mich so beruhigen. Meine Augen fanden den Mann, der mich stirnrunzelnd betrachtete, daer feststellte, dass mein Verhalten nicht unbedingt auf eine Selbstmordkandidatin zutraf.
"Was machst du da?", fragte er wieder. Ich ging nochein paar Schritte zurück und wäre dabei fast über einen großen Stein gefallen, hätte er mich nicht aufgefangen.
Vorsichtig setzte ich mich auf den Boden und überlegte, was ich ihm sagen könnte. Wenn ich das mit dem Gedankenhören erzählen würde, hielte er mich verrückt und brächte mich vielleicht in eine Psychiatrie, oder?

Ich spürte die Gegenwart meiner Schwester in meinem Kopf. Sie fragte mich, wo ich sei und las die Antwort auch schon in meinen Gedanken. Ihr Schreck war so groß, dass ich mir sicher war, wenn ich meine Hand danach ausstrecken würde, könnte ich ihn angreifen.
Sie rannte den Weg entlang auf uns zu. Ich war so auf Dee konzentriert, dass ich den Mann komplett vergas und erschrocken zusammen fuhr, als er mich erneut anprach: " Kannst du mir endlich antworten, was du hier machst!?" Leise sagte ich, dass ich eigentlich versuchen wollte ihn zu retten, weil ich das Schild gesehen hatte, auf dem stand, dass man nicht springen sollte.
Er schaute mich nur an und fing an zu lachen. Dann fragte er mich, was mich zu der Vermutung geführt hatte, dass er in Gefahr gewesen wäre. Ich schaute nur auf den Boden, unfähig mir eine kluge und logische Ausrede einfallen zu lassen.

Der Mann seufzte und meninte dann:"Ist doch egal. Du solltest lieber wieder runter zum Strand gehen, Kleine." Ich wollte schon erwidern, dass ich nicht klein sei, hielt aber dann den Mund. Er wusste warscheinlich besser als ich, was man tun sollte und was nicht.

Leise Schritte, die immer lauter wurden, kamen auf uns zu. Ich drehte mich um und sah Dee herüberrennen. Ich fühlte ihre Erleichterung, dass mir nichts passiert war, die Dankbarkeit dem Mann gegenüber, dass er mich aufgefangen hatte und ihre anschwellende Wut, dass ich so dumm gewesen war und fast die Klippen hinabgestürzt bin, weil ich nicht aufgepassst habe.

Bevor sie anfangen konnte, mich zu beschimpfen, fiel ich ihr ins Wort: "Es ist nicht so wie du denkst! Ich wollte nicht runterspringen! Das müsstest du eigentlich wissen." Ich sah, wie sie sich konzentrierte, in meinen Gedanken herum schnüffelte und schließlich einsah, dass ich weder springen wollte, noch so dumm war. Ohne ein Wort zu sagen, schloss Dee mich in die Arme. Der Fremde räusperte sich und fragte dann: "Wenn du also nicht springen wolltest, warum bist du dann wie der Teufel auf die Kante zugerannt?" In seinem Kopf konnte ich hören, dass er mir nicht glaubte, also rückte ich mit der Wahrheit heraus.

Der Mann starrte mich an, als ich sagte, dass ich ihn abhalten wollte zu fallen. Er fragte mich, warum ich das tun wollte. Ich überlegte kurz und sagte dann: "Weil da unten ein Schild ist, auf dem steht das Springen verboten ist und Sie sonst auf lauter Felsen gefallen wären. Also müssten Sie mir eigentlich dankbar sein, dass ich Sie vor dem sicheren Tod bewahrt habe." Zuerst sagte er nichts, doch dann fing er zu lachen an. Er lachte und lachte, als würde er gar nicht mehr aufhören.

 

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Tag der Veröffentlichung: 01.02.2013

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