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Marlene

 

 

 

 

Als ich sie zum ersten Mal sah, stach mich der Stachel des Neides schmerzhaft, doch gleichzeitig war ich von ihr fasziniert. Sie war schlicht und ergreifend perfekt. Groß, schlank und wohlproportioniert, mit ebenmäßigen Gesichtszügen. Ihre lange Beine endeten in Highheels und ihre Art zu gehen, der Schwung ihrer Hüften, wirkten selbstsicher und verführerisch. Sie trug einen engen, dunkelfarbigen Rock in Knielänge und eine weiße Bluse. Ihr blondes Haar hatte sie hochgesteckt und die eine oder andere Strähne fiel ihr schelmenhaft in die Stirn. Ich sehe sie noch heute genau vor mir und immer noch beschleunigt sich mein Herzschlag, wenn ich an ihre Erscheinung denke.

 

Sie ließ ihren Blick durch den Raum schweifen und es schien, als würde sie die Aufmerksamkeit, die ihr in diesem Moment zuteilwurde, gar nicht bemerken oder sie war es einfach gewohnt, dass man sie beachtete. An unserem Tisch war noch ein Platz frei. Ich hoffte und fürchtete gleichermaßen, dass sie sich zu uns setzen würde. Als sie den freien Stuhl bemerkte, kam sie zielstrebig zu uns herüber.

 

»Hallo. Ist hier noch frei?«, fragte sie und ich war erstaunt, wie maskulin ihre Stimme klang, die mir durch und durch ging. Sie hatte tiefblaue Augen, und als sie mich fragend ansah, wurde mir bewusst, dass ich sie unverblümt anstarrte.

»Ja, der Platz ist noch frei«, sagte irgendwer am Tisch, während ich kein Wort über die Lippen brachte und nur errötend den Blick senkte.

»Ich heiße Marlene«, stellte sie sich vor, während sie sich setzte. Lächelnd blickte sie in die Runde, wobei ich mir einbildete, dass ihr Blick einen Augenblick länger auf mir als auf den anderen verweilte. Nun stellten wir uns alle einander vor. An die anderen Teilnehmer des Seminars kann ich mich allerdings nicht mehr erinnern, dafür an Marlene umso intensiver.

 

Ich konnte meine Gefühle nicht einordnen, schließlich war ich eine glücklich verheiratete Frau und hatte mich bisher sexuell auch noch nie zu Frauen hingezogen gefühlt. Aber das, was ich bei Marlenes Anblick spürte, konnte ich als nichts anderes bezeichnen, als eine ungeheure erotische Anziehungskraft, die sie ausstrahlte und die vollkommen gefangen nahm. Während der Dozent sein Seminarprogramm abspulte, das völlig an mir vorbeilief, konnte ich meinen Blick kaum von Marlene lassen.

 

Sie hatte wunderbares, blondes Haar. Ihre Hochsteckfrisur entblößte einen grazilen Nacken, in dem sich ein paar Haare kräuselten. Als mein Blick auf ihrer Halsbeuge ruhte, meinte ich, ihren berauschenden Duft wahrnehmen zu können und am liebsten hätte ich meine Nase an dieser Stelle gerieben, um ihren Duft einzuatmen. Sie hatte volle sinnliche Lippen, und wenn sie lachte, zeigte sich eine Reihe gerader, weißer Zähne.

Ihre Finger waren lang und schlank und ein dezenter Lack ließ ihre gepflegten Nägel rot leuchten. Ihren linken Ringfinger zierte ein schmaler, silberner Ring und ihr zartes linkes Handgelenk wurde von einem filigranen Armreif geschmückt.

Ich stellte mir vor, dass ihre schlanke Hand mich berührt. Wie es sich wohl anfühlte, von ihr gestreichelt und liebkost zu werden? Mir wurde ganz heiß bei diesem Gedanken und ich musste mich zwingen, meine Augen von ihr abzuwenden. In diesem Moment jedoch trafen sich unsere Blicke und sie schenkte mir ein wissendes Lächeln, das mir durch und durch ging. Was passierte hier gerade? Wäre Marlene ein Mann gewesen, dann hätte ich ihr Lächeln zu deuten gewusst, ich hätte gewusst, wie ich zu reagieren habe. Aber ich hatte noch nie mit einer Frau geflirtet. War das überhaupt ein Flirt oder lächelte sie mich doch nur so an, wie Frauen einander anlächeln, wenn sie sich sympathisch sind? Bildete ich mir nur ein, dass es zwischen uns etwas gab, was über Sympathie hinaus ging?

 

Der Dozent läutete eine Kaffee- und Raucherpause ein und wir verließen den Seminarraum. Die Raucher eilten mit ihrem Kaffee nach draußen auf die Terrasse des Schulungsgebäudes. Ich begab mich ebenfalls mit meinem Pott Kaffee vor die Tür aber nicht um zu rauchen, sondern um durch die frische Luft hoffentlich einen klaren Kopf zu kriegen und etwas abzukühlen. Ich stellte mich etwas abseits der Raucher und nippte gerade an meiner Tasse, als ich Marlene auf mich zukommen sah. In der einen Hand hielt sie eine Zigarette, in der anderen eine Tasse. Sie stellte sich wortlos neben mich, nahm einen tiefen Zug von ihrer Zigarette, wobei sie mich liebevoll anblickte, so dass ich ganz nervös wurde. Dann hob sie ihren Kopf etwas an und pustete den Qualm in die Luft. Sie tat das sehr lasziv und sofort sah ich sie in Gedanken vor mir, auf den Laken liegend, sich lustvoll nach hinten beugend. Ich begann, trotz der kühlen Luft zu schwitzen.

»Du bist Nichtraucher?«, fragte sie mich leise.

Ich konnte nur nicken und sie anstarren. Sie lächelte und kam dann mit ihrem Gesicht ganz nah an meines, so dass ich ihren Atem riechen konnte. Eine Mischung aus Zigarettenrauch und Pfefferminz schlug mir entgegen und ich nahm erstaunt wahr, dass mich der Nikotingeruch nicht störte, im Gegenteil, ich fragte mich, wie diese Mischung bei einem Kuss schmecken würde.

»Ich rauche eigentlich auch nicht mehr«, hauchte sie. »Aber, und ich weiß nicht warum, ich bin so nervös, dass ich jetzt unbedingt zur Beruhigung eine rauchen muss.« Sie lachte kehlig und schaute mir tief in die Augen.

Ich schluckte. Sie flirtete tatsächlich ganz ungeniert mit mir. Ich merkte, wie mir die Hitze ins Gesicht schoss und ich befürchtete, dass ich wie ein Teenager mit dunkelrotem Gesicht dastehen und kein Wort über die Lippen bringen würde. Schließlich brachte ich ein verlegenes Lachen zustande, und die Bemerkung, dass die Kaffeepause leider schon zu Ende sei. Marlene ließ den halbaufgerauchten Glimmstängel zu Boden fallen, trat ihn mit der Fußspitze aus und strich mir dann leicht mit ihrer Hand über den Arm.

»Dann komm, wir gehen wieder ins Warme«, murmelte sie dabei, ohne meinen Blick loszulassen. Ich spürte, wie sich die feinen Härchen an meinem Arm aufrichteten und ich eine Gänsehaut bekam. Dass diese leichte Berührung Marlenes solch eine heftige Reaktion bei mir hervorrufen konnte, empfand ich als Verheißung und während des zweiten Teils des Seminars gingen mir ausschließlich nicht jugendfreie Bilder durch den Kopf. Hauptakteurinnen meines Kopfkinos waren Marlene und ich.

 

Ich sah kühle, weiße Laken vor meinen Augen, auf denen sich Marlene, mit ihrer makellosen, elfenbeinfarbenen Haut räkelte und ihren wunderbaren Körper mir darbot. Ich berührte sie mit meinen Händen, mit meinen Lippen und mit meinem ganzen Körper. Ich hörte ihr Seufzen und Stöhnen, ich roch ihren Duft, atmete ihren Atem, und schmeckte ihre Säfte. In diesem Seminarraum, während alle anderen Teilnehmer sich der vorgegebenen Themen annahmen, durchlebte ich eine bisher nie gekannte Lust und Leidenschaft. Ich wusste, ich würde dieses Seminar zu einem späteren Zeitpunkt wiederholen müssen.

 

Bis zu diesem Seminar war ich stets ein treuer Mensch gewesen. Nicht einmal in Gedanken hatte ich meinen Mann betrogen. Aber nun musste ich diese schöne, fremde Frau immer wieder betrachten, entdeckte immer neue bezaubernde Kleinigkeiten an ihr. Hier ein kleiner Leberfleck, dort ein Grübchen, welches sich nur zeigte, wenn sie auf eine bestimmte Art und Weise lächelte, wie sie gedankenverloren auf ihrer Unterlippe kaute. Ich konnte mich nicht sattsehen an ihr und ich verspürte eine beinahe schmerzhafte Sehnsucht nach ihrem Körper. Ich war bereit, eine Dummheit aus Leidenschaft zu begehen. Ich war nicht nur bereit, ich wollte es unbedingt. Nichts schien mir in diesem Moment begehrenswerter, als eine Liebesnacht mit Marlene zu verbringen.

 

Abends landete das gesamte Seminar in der Hotelbar. Ich hatte vorher noch von meinem Zimmer aus mit meinem Mann telefoniert.

»Was ist los?«, fragte er nach einigen Sätzen, die wir tauschten. »Du bist ja ganz aufgedreht.«

Mir fuhr der Schreck in die Glieder. War ich so leicht zu durchschauen? Oder kannte er mich so gut, dass er spüren konnte, was ich vorhatte?

»Gar nichts ist los«, sagte ich möglichst nüchtern und versuchte, meine Aufregung zu verbergen. »Das Seminar war sehr informativ und nun genehmigen wir uns noch einen Absacker in der Hotelbar. Danach geht es ins Bett und morgen sehr früh zum Bahnhof. Am späten Nachmittag hast du mich wieder!«

Ein leises, ungutes Gefühl beschlich mich. Ich belog meinen Mann - schamlos. Ich hatte etwas ganz anderes im Sinn als die Nacht mit harmlosem Schlaf zu verbringen.

»Ich freu mich auf dich. Bis morgen«, antwortete mir mein lieber Mann und danach beendeten wir das Gespräch.

 

Marlene war noch nicht in der Bar. Ich ließ meinen Blick suchend über die Köpfe der Anwesenden schweifen, doch ich konnte sie nirgends entdecken. Enttäuschung machte sich breit. Würde sie gar nicht erscheinen? Nein. Das konnte nicht sein. Ich konnte mich nicht getäuscht haben. Ihre Signale waren dezent aber eindeutig gewesen. Beim Barmann bestellte ich mir einen Drink mit reichem Alkoholgehalt, da ich mir für mein, wie ich überzeugt war, bevorstehendes, erotisches, lesbisches Abenteuer, Mut antrinken wollte. Ich leerte mein Glas in einem Zug. Dann sah ich Marlene. Lachend betrat sie die Bar. Sie trug ihr Haar offen und es fiel in leichten Wellen über ihre Schultern. Mein Herz begann hart zu klopfen, die Hände wurden feucht. Sie sah bezaubernd aus und ich wähnte mich nah meiner Tagträume. Auffordernd blickte ich ihr entgegen. Sie hatte mich auch entdeckt und sie steuerte direkt auf mich zu. Jemand folgte ihr, doch ich war so auf sie konzentriert, dass ich diese Tatsache nur nebenbei wahrnahm. Sie stand strahlend vor mir, griff dann hinter sich und zog einen großen, dunkelhaarigen, sehr attraktiven Mann neben sich an ihre Seite.

»Darf ich dir meinen Mann vorstellen? Richard, das ist Sarah, die sympathische Frau aus dem Seminar. Sarah, das ist mein Mann Richard, der heute schon gekommen ist, um den Abend mit mir zu verbringen. Wir sind frisch verheiratet und können kaum ohne einander. Ist er nicht ein Schatz? Ich habe ihm schon von dir erzählt, und dass wir uns auf den ersten Blick sympathisch waren.«

 

 

 

 

 

 

 

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Tag der Veröffentlichung: 20.11.2014

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