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Verzeih mir

Schwungvoll geht es immer höher und höher. Und je höher ich komme, umso lauter quietsche ich vor Vergnügen. Allein kann ich die Schaukel noch nicht zum Schwingen bringen, schon mal gar nicht in diese Höhen, dafür bin ich noch viel zu klein, aber ich werde kräftig angestoßen.

Plötzlich kommt Mama angelaufen, gestikuliert wild mit den Armen und schreit böse herum. Das Mädchen, das meine Schaukel so schön angestoßen hat, erstarrt vor Schreck. Ihr lachendes Gesicht wird sofort schuldbewusst. Sie senkt ihren Blick und lässt ihre Arme schlaff neben ihrem dünnen Körper herunter hängen. Mama fasst sie grob am Arm und schimpft auf sie ein, ob sie noch ganz bei Trost sei, mich so kräftig anzustoßen. Und überhaupt.

„Aber es macht ihr doch so großen Spaß“ versucht das Mädchen sich zu verteidigen.

Mama holt aus und es klatscht schallend, als ihre Hand auf die Wange des Mädchens trifft, das sogleich aufschluchzt, sich das Gesicht hält und dann ins Haus läuft. Mama hebt mich liebevoll von dem Schaukelbrett und trägt mich ebenfalls ins Haus.

 

Ich erwache. Mein Blick fällt auf die Leuchtziffern meines Weckers. 2.26 Uhr. Seit einigen Wochen träume ich jede Nacht diesen Traum und jede Nacht erwache ich zwischen 2 und 3 Uhr, liege dann verwirrt im Bett und grüble, was dieser Traum für eine Bedeutung haben könnte. Zeit meines Lebens habe ich gut und beinah traumlos geschlafen und nun, an meinem Lebensabend, plagen mich verwirrende Träume und Schlaflosigkeit. Das ärgert mich.

Schwerfällig wuchte ich meine alten Knochen aus den Federn, um den obligatorischen Gang zur Toilette anzutreten. Ich weiß bereits jetzt, dass ich die restliche Nacht keinen Schlaf mehr finden werde.

 

Das Mädchen auf der Schaukel, das bin ich, das weiß ich. Und die Frau ist meine leibliche Mutter, ich kenne ihr Gesicht von einem Foto. Aber wer ist das Mädchen, das meine Schaukel anstößt und die dann von meiner Mutter so heftig gerügt wird? Diese Frage stelle ich mir seit Wochen und je öfter ich diesen Traum träume, desto unruhiger werde ich.

Während ich mich die restlichen Stunden dieser Nacht schlaflos im Bett umher wälze, gebe ich mir selber das Versprechen, heraus zu finden, was dieser Traum zu bedeuten hat.

 

Schon am nächsten Tag buche ich mir einen Sitzplatz im ICE nach Berlin, meiner Geburtsstadt. Wenn überhaupt, bin ich mir sicher, erfahre ich dort etwas über meine ersten Lebensjahre. 1942 bin ich in die Grausamkeiten und Wirrungen des zweiten Weltkriegs hinein geboren. Erinnerungen an meine ersten Lebensjahre habe ich keine. Im Alter von 3 Jahren verlor ich beide Elternteile und man gab mich in die Hände einer Pflegefamilie, die in Braunschweig ansässig ist. Und dort in Braunschweig beginnen auch erst meine Kindheitserinnerungen. Von meinen leiblichen Eltern existiert lediglich ein Foto, welches man mir, dem kleinen Mädchen, zur Erinnerung mitgegeben hatte und welches meine Pflegeeltern, die mich später adoptierten, für mich aufbewahrten.

 

Bis zu dem Zeitpunkt, als die Träume anfingen, mich zu quälen, war ich mit mir und meinem Leben weitgehend im Reinen. Es gibt viele Kriegskinder wie mich, die ihre Eltern verloren haben und bei Pflege- oder Adoptiveltern groß geworden sind. Viele suchen nach ihren Wurzeln, andere nicht. Ich gehörte bisher zur zweiten Kategorie. Mir wurde erzählt, ich sei ein Einzelkind und weitere Verwandte seien nicht bekannt. Damit gab ich mich zufrieden. Bisher. Seit mich diese Träume heimsuchen, frage ich mich aber immer öfter, ob ich wohl doch eine leibliche Schwester hatte und ob diese womöglich noch lebt? Und mit diesen Gedanken kamen die Fragen nach meiner Herkunft, meinen Wurzeln. Ich habe nie erfahren, warum meine Eltern nicht mehr lebten. Ich ging immer davon aus, dass sie zum Ende des zweiten Weltkrieges diesem zum Opfer gefallen waren. Ich glaubte blind den Beteuerungen meiner Adoptiveltern, dass von meiner Ursprungsfamilie außer mir niemand mehr übrig ist. Ich weiß die Namen meiner Eltern und ich habe das Foto von ihnen und die Aussagen meiner Adoptiveltern und bin nie auf die Idee gekommen, Nachforschungen anzustellen. Mit dem Einsetzen dieser Träume änderte sich aber alles.

 

In Berlin nehme ich mir ein Zimmer mit Frühstück in Bahnhofsnähe. Aufenthaltslänge? Ungewiss. Ich gehe davon aus, dass ich etwas länger bleiben werde. Ich zahle gleich für vierzehn Tage im Voraus.

 

Ich schalte eine Annonce in verschiedenen regionalen Berliner Zeitungen, in der ich den Namen und das Foto meiner leiblicher Eltern abdrucken lasse. Ich bitte darin, man möge mit mir Kontakt aufnehmen, sollte jemand zu den auf dem Foto abgebildeten Personen oder ihren Namen etwas sagen können. Dazu hinterlasse ich meine Handynummer.

 

Ich habe nie geheiratet oder Kinder bekommen und weder das eine noch das andere je bereut. Ich fühlte mich in meinem Leben oft bindungslos und gefühlsarm aber nie traumatisiert. Desto mehr verstören mich jetzt diese Träume. Auch hier, während der ersten Nacht in Berlin, kommen sie wieder; Meine leibliche Mutter und das andere Mädchen, das vielleicht meine Schwester ist?

 

Am nächsten Morgen kaufe ich mir alle Zeitungen, in denen ich inseriert habe und gehe erst dann zum Frühstück. Während ich den frischen Kaffee genieße, schaue ich nach, ob die Inserate auch tatsächlich geschaltet sind. Ich habe die erste Tasse Kaffee noch nicht ganz ausgetrunken als mein Handy klingelt. Ich melde mich und höre leichte Atemgeräusche. „Hallo?“ rufe ich. Keine Antwort. Als ich gerade wieder auflegen will, sagt eine leise, weibliche Stimme, sie rufe wegen der Annonce an und wer ich denn überhaupt sei. Ich möchte mich so schnell wie möglich mit der Frau verabreden und bekomme eine Adresse genannt. Es ist ein Altenwohnheim, werde ich noch informiert und dann wird aufgelegt.

Sofort bestelle ich mir ein Taxi und lasse mich zu der angegeben Adresse fahren. Ich bin aufgeregt. Die Anruferin hatte behauptet, sie könne mir Informationen über die in der Annonce abgebildeten Personen geben.

 

Ich betrete ein Foyer und im selben Moment erhebt sich aus einem einer Sitzgruppe zugehörigen Sessel eine uralte Frau und schreitet, auf einen Gehstock gestützt, bedächtig auf mich zu.

„Ingrid Doll?“ fragt sie als direkt vor mir steht und ich nicke. Kleine, stahlblaue Augen schauen mich neugierig an. „Komm, wir gehen ins Cafe“ sagt sie und geht an mir vorbei, während mir nichts anderes übrig bleibt, als ihr zu folgen.

Sie bestellt uns, ohne mich zu fragen ob ich auch möchte, eine Kanne Earl Grey.

„Du bist also Christas Tochter?“ sagt sie und mustert mich wieder neugierig.

„Und wer sind Sie?“ frage ich.

„Christas Cousine. Ich heiße Margit Pollmann und wir können du zueinander sagen oder?“

Ich nicke und nippe an dem heißen Tee.

„Warum hast du die Annonce aufgegeben?“ fragt Margit.

„ Mir wurde immer gesagt, dass meine Eltern verstorben sind, als ich drei Jahre alt war und dass es keine Verwandten geben würde. Nun, das scheint schon mal nicht zu stimmen“, sage ich und nicke meinem Gegenüber zu. In letzter Zeit quälen mich merkwürdige Träume und da ich inzwischen selber in einem Alter bin, in dem der Tod immer näher rückt, wollte ich der Wahrheit doch noch mal auf den Grund gehen.“

Dieses Mal ist Margit an der Reihe zu nicken.

„Hatte meine Mutter weitere Kinder?“ frage ich.

Margit sieht mich merkwürdig an, dann schüttelt sie langsam den Kopf. Ich erzähle ihr von dem Traum mit der Schaukel und dem anderen Mädchen.

„Der Traum ist so real“, sage ich nachdenklich.

Margit ist blass geworden. Sie winkt der Kellnerin und bezahlt den Tee.

„Komm mit auf mein Zimmer“ sagt sie, „dort habe ich noch ein paar Fotos deiner Eltern. Ich möchte sie dir zeigen.“

Die Fotos liegen bereits auf einem kleinen Tisch. Es sind nicht viele aber als ich sie in den Händen halte, ist mir seltsam zumute. Meine leiblichen Eltern in verschiedenen Perspektiven zu sehen, berührt mich nun doch sehr.

„Was ist mit ihnen geschehen?“ frage ich. Margit hat sich in den einzigen Sessel im Zimmer gesetzt und schaut mit einem verkniffenen Zug um den Mund ins Nichts. „Was hat man dir erzählt?“ fragt sie anstatt mir eine Antwort zu geben.

„Nichts weiter“ sage ich und versuche es mir auf dem harten Stuhl, auf dem ich sitze,  bequem zu machen. „Sie sind verstorben und deshalb kam ich zu Pflegeltern, die mich später adoptierten.“

„Deine Mutter hat dich sehr geliebt“, sagt Margit. „Du warst ihr ein und alles!“

Ich habe plötzlich einen Kloß im Hals. Wäre die Liebe meiner leiblichen Mutter intensiver als die Liebe meiner Adoptivmutter gewesen? Wäre ich empathischer geworden, wenn ich bei meiner leiblichen Mutter aufgewachsen wäre? Ich schaue mir wieder die Fotos an. Sehe ein junges, lachendes Paar. Ich schließe die Augen und plötzlich habe ich wieder dieses Mädchen aus dem Traum vor Augen. Es ist eine Blitzaufnahme, kaum ist das Bild da ist es auch schon wieder verschwunden.

„Dieses Mädchen aus meinem Traum, gab es sie?“ frage ich. Margit schaut mich merkwürdig an und holt dann tief Luft und nickt, öffnet den Mund, will etwas sagen und tut es doch nicht. Es fällt ihr eindeutig schwer, sich zu äußern. Etwas scheint sie zu quälen. Sie räuspert sich, sagt, dass es ihr nicht leicht fällt, darüber zu sprechen und dass dieses Thema eigentlich genauso begraben bleiben sollte, wie meine Eltern und dieses Kind aber….und dann sackt sie plötzlich in sich zusammen. Ihre Lippen färben sich augenblicklich blau und sie röchelt nach Luft. Entsetzt springe ich auf, so gut das in meinem Alter möglich ist, eile zur Zimmertür und rufe nach Hilfe. Es dauert eine Weile bis eine Pflegerin und dann ein Arzt ins Zimmer kommen und hilflos schaue ich Margit, meiner einzigen, eben gerade erst gefunden leiblichen Verwandten, beim Sterben zu.

 

Ich hinterlasse meinen Namen, die Adresse meines Hotels und lasse mir ein Taxi kommen. Margits Tod berührt mich nicht so sehr wie die Erkenntnis, dass dieses Mädchen aus meinem Traum nicht nur dort existiert sondern auch in der Realität. Wer ist sie? Warum fiel es Margit so schwer über sie zu reden? Warum erinnere ich mich ausgerechnet jetzt in meinem hohen Alter an sie? Hat sie eine bedeutende Rolle in meinen ersten Lebensjahren gespielt?

Ich überlege kurz, ob ich gefühllos bin, dass mich Margits Sterben so wenig interessiert, beschließe aber, dass ich Margit ja kaum gekannt habe und sie eine alte Frau ist, deren Uhr einfach abgelaufen ist. Vielleicht wurde der Zeiger ihrer Lebensuhr ein paar Sekunden vorgestellt durch die Aufregung mich zu sehen oder, was mich nun wesentlich mehr tangiert, durch die Tatsache, dass ich sie an die Existenz dieses geheimnisvollen Mädchens erinnert habe. Ich bin überzeugter denn je, dass ich herausfinden muss, was es mit diesem Kind auf sich hat.

 

Zurück im Hotel fühle ich mich plötzlich sehr erschöpft. Aber ich bin so unruhig, dass ich mir nach einer kurzen Ruhepause erneut ein Taxi kommen lasse. Ich bitte den Fahrer, mich beim Einwohnermeldeamt abzusetzen. Während der Fahrt vergewissere ich mich, dass ich auch alle mir zu Verfügung stehenden Unterlagen dabei habe. Meine Geburtsurkunde und meine Adoptionspapiere, die mir erst nach dem Tod meiner Adoptiveltern in die Hände gekommen sind. Beim Einwohnermeldeamt schickt man mich von Pontius zu Pilatus und bald kann ich mein Anliegen wie einen auswendig gelernten Text herunter leiern. Doch man schüttelt immer wieder bedauernd den Kopf. Meist ohne sich überhaupt zu bemühen. Doch endlich erbarmt sich ein Behördenmensch meiner, klappert wild auf seiner Tastatur herum, schaut lange auf den Bildschirm seines Computers und bittet mich dann zu warten. Er verschwindet ins Archiv, wie er mir ankündigt und bleibt eine lange Weile dort. Als er wieder kommt, trägt er einen Ordner mit sich. „Wir haben hier einen Rudolf und eine Christa Weberknecht und da ist auch die Geburt des weiblichen Kindes Ingrid eingetragen – das sind Sie, ja?. Geboren am 21. Januar 1942 in Berlin?

Ich nicke.

„ Aber Ingrid scheint das einzige Kind dieses Ehepaares zu sein.“ Er klickt wieder weiter durch seinen PC und dann schaut er mich, wie mir vorkommt, noch bedauernder an. „Sie haben aber wirklich Pech Frau Doll. Aus den Unterlagen geht hervor, dass Ihr Vater Rudolf im Jahre 45 verstarb aber Ihre leibliche Mutter erst vor zwei Jahren. Wenn Sie ein wenig eher gekommen wären, dann hätten Sie….um Gottes Willen Frau Doll….“

 

Ich erwache, als mir jemand mehrmals heftig auf die Wange schlägt. Ich schaue verwirrt in die Augen eines Mannes, der sich als Notarzt entpuppt. Man hievt mich auf die Trage und dann in den Krankenwagen und das, obwohl ich mich dagegen verwehre. Meine Beteuerungen, dass es mir gut gehe, werden ignoriert. Doch im Krankenhaus stellt man schnell fest, dass ich in guter Verfassung bin und entlässt mich nach einer Blutdruckmessung wieder in die Freiheit. Ein Taxi bringt mich zum Hotel und ich bestelle mir eine Flasche trockenen Merlot aufs Zimmer.

 

Ich bin fassungslos. Meine Adoptiveltern haben mich bis zuletzt belogen. Oder wussten sie es selbst nicht besser? Ich werde wütend auf meine Adoptiveltern aber auch auf meine leibliche Mutter. Warum hat sie nie versucht, Kontakt zu mir aufzunehmen? Noch wütender werde ich auf mich selber. Wie konnte ich nur so dumm sein und mich nie selbst davon überzeugen, dass die Informationen, die man mir gab, auch der Wahrheit entsprechen? Ich hätte all die Jahre die Möglichkeit gehabt, meine leibliche Mutter kennen zu lernen und diese Möglichkeit hatte ich aus Gutgläubigkeit und Bequemlichkeit verspielt. Ich weiß nicht, wie ich diese Neuigkeit verkraften soll. Ich trinke selten Alkohol, aber heute brauche ich ihn. Nachdem ich die ganze Flasche Wein geleert habe, falle ich betrunken ins Bett. In dieser Nacht schlafe ich traumlos.

 

Ich erwache mit bösen Kopfschmerzen. In meiner Kulturtasche finde ich Aspirin zum Auflösen, welches ich mir sogleich einverleibe, danach trinke ich schwarzen Kaffee im Frühstücksraum. Hunger habe ich keinen. Das Taxi bringt mich erneut zum Einwohnermeldeamt. Dort erfahre ich die letzte Adresse meiner Mutter. Und wieder lasse ich mich von einem Taxi in ein Pflegeheim bringen. Es ist eine christliche Einrichtung, wesentlich schlichter gehalten als die Seniorenresidenz der verstorbenen Margit. An der Rezeption sitzt eine Nonne, die mir durch ihr Auftreten sofort Respekt einflößt. Ich lege ihr meinen Ausweis und die Adoptionspapiere vor und erkläre ihr, dass ich am Tag zuvor erfahren habe, dass meine leibliche Mutter, die ich für bereits lange verstorben hielt, bis vor zwei Jahren noch lebte und zwar in diesem Haus und ob man mir Informationen über sie geben könne. Die Nonne nimmt ohne zu Zögern das Telefon, wählt eine Nummer, dreht mir dann den Rücken zu und spricht leise in den Hörer. Danach schickt sie mich in den zweiten Stock, letzte Tür links und winkt mich weiter. Ich steige die Treppen hinauf, laufe einen langen Gang entlang, atme den Geruch nach Desinfektionsmitteln, alten Menschen und Krankheit und fühle mich sehr nervös. Was werde ich über meine Mutter erfahren?

 

Ich sitze einer Frau mittleren Alters gegenüber, die sich als Heimleiterin Frau Degenhardt vorstellt und mich lange anschaut, nachdem ich mich vorgestellt habe.

„Sie sind also Christa Weberknechts Tochter!“ sagt sie.

„Ja!“

„Sie kommen leider zu spät. Frau Weberknecht ist vorletztes Jahr verstorben.“

Ich nicke. „Wo ist sie begraben?“

„In einem anonymen Grab unter grünem Rasen. Es gab niemanden, der die Beerdigungskosten und die Grabpflege hätte tragen können oder der sich dafür verantwortlich sah.“

Ich nicke betreten und frage dann, wie lange meine Mutter in dem Heim gewohnt hat, wie sie gestorben ist, ob es jemanden gab, der sich um sie gekümmert hat und noch viele andere Dinge. Frau Degenhardt schaut mich traurig an, holt tief Luft und erzählt mir dann, dass meine Mutter seit 10 Jahren im Pflegeheim untergebracht war. „Sie kam direkt aus der Sicherungsverwahrung einer Psychiatrie hierher.“

„Wie bitte?“ frage ich viel zu laut.

„Ihre Mutter war bis 1965 im Frauengefängnis in der Barnimstraße inhaftiert und ist anschließend zur Sicherungsverwahrung in einer Psychiatrie gewesen“, erklärt mir Frau Degenhardt. „Sie wussten nicht, dass Ihre Mutter eingesessen hat?“

„Nein. Ich wusste gar nichts über meine leibliche Mutter. Bis gestern war ich der Meinung, dass meine Eltern verstorben sind als ich drei Jahre alt war.“

Es entsteht eine lange Pause. Frau Degenhardt scheint mir Gelegenheit geben zu wollen, diese Nachricht zu verdauen.

„Warum hat sie gesessen?“ frage ich leise.

„Das ist uns nicht bekannt“ schüttelt Frau Degenhardt bedauernd den Kopf. „Aber sie war nicht verrückt, wissen Sie. Ich hatte immer den Eindruck, sie hatte die ihr zugetragenen Strafen mehr als angenommen. Ihre Mutter hat sich nie so direkt über ihre Vergangenheit ausgelassen, aber irgendeine Kommission hat sich wohl irgendwann mit alten Kriminalfällen beschäftigt und im Laufe dieser Untersuchungen fand man heraus, dass Ihre Mutter länger als zu lange für ihr Vergehen eingesessen

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Susanne Wolters
Bildmaterialien: Tobias Hilken
Lektorat: Tobias Hilken
Tag der Veröffentlichung: 08.04.2014
ISBN: 978-3-7309-9854-0

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