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Der Mensch ist erst wirklich tot, wenn niemand mehr an ihn denkt.
Bertholt Brecht




Prolog


Es war still. Nicht einmal das Lachen der Angelinos erhellte die Stimmung. Erst Jasper durchbrach die Stille. „Was erwartet ihr von ihr? Dass sie weiter macht, als wäre nichts gewesen? Innerlich ist sie ein Wrack. Ich kenne sie und weiß, wie sie sich fühlt.“, sagte er mit angehobener Stimme. „Aber das gibt ihr immer noch nicht das Recht, sich so zu verhalten!“, widersprach Angelique. Wieder herrschte Stille. Alle wussten, dass sowohl Jasper als auch Anqelique Recht hatten. Was sollte sie also tun? Jemand seufzte laut. Alle Köpfe fuhren zu Michaelangela. Sie lachte leise. „Wir reden über das Mädchen, als wäre sie eine Schwerverbrecherin! Dabei ist sie noch ein Kind! Sie versucht ihr bestes, was ihr aber….“, fing der Angelo an „...was ihr aber völlig misslingt!“, beendete Angelique den Satz. „Genau. Deswegen schlage ich vor, ihr zu helfen! Sie ist ein guter Mensch, ich spüre es!“, sagte Michaelangela. „Und mit Helfen…meinst du da Operation Exordium?“, fragte Jasper. Michaelangelo nickte. „Und als Unterstützung Madéleine?“ Angelique hob fragend eine Augenbraue. „Auch Maddy verdient einen Neuanfang. Auch sie ist ganz tief in ihrem Inneren gut und Nobilia und Madéleine sind sich sehr ähnlich“, sagte Michaelangela. Angelique schnaubte. „Es wird nichts bringen. Man kann Nobilia nicht mehr helfen!“ Die anderen Ratsmitglieder von Caelum wurden unruhig. Michaelangela warf Angelique einen warnenden Blick zu. Aber da sie die Vorsitzende des Rates war, hatte sie das letzte Wort. „So, das ist nun beschlossene Sache!“ Sie war zufrieden mit dem Ausgang der Sitzung. Nobilia brauchte diesen Neuanfang. Michaelangela blickte zu Jasper und sah, dass er zwar glücklich, aber auch nervös war. Auch er brauchte diesen Neunanfang. Jasper musste lernen, loszulassen. Egal, wie schwer es auch war. Er lebte jetzt hier. Hoffentlich würde die Operation Exordium erfolgreich sein. Sie würde nämlich das Leben von drei Menschen retten…




Kapitel I

Irgendetwas lag in der Luft. Es war nicht die Sommerstimmung und auch nicht Rogers Schweißausbrüche. Nein. Es war irgendetwas anders. Und dieses Gefühl machte mir Angst.
„Tief durchatmen! Alles wird gut. Du hast nur Bammel vor dem Treffen mit Dad.“ Das Treffen mit Dad. Ich seufzte. Davor hatte ich wirklich Bammel. Sogar richtig übernäßig fetten bimgbäng Bammel, wie Jess sagen würde. Wie ich ihn vermisste. Ich seufzte. Er hätte über meinen Bammel gelacht. Ich konnte es ihm nicht verübeln. Es war nur ein Treffen mit Dad. Und seiner Freundin Vicky. Meine Stimmung sank auf den Nullpunkt. Vicky war die perfekte Stiefmutter. Schneewittchen hätte sich bestimmt über die Frau gefreut. Ich tu es nicht. Die Frau hasste mich. Mich, mein Aussehen und meine Beliebtheit. Kein Wunder. Ich war so was wie die Schulqueen. Und sie? Sie war nur eine fette Elfe im Gucci-Anzug. Ich versteh echt nicht, was Dad an der findet. Mommy war tausendmal besser als Vicky. Ich betete innerlich, dass irgendwas sie aufhalten würde. Egal was. Hauptsache Dad würde mit Vicky nicht im Prezzo eintreffen. „Alice? Alice? Alice! Alice, verdammt noch mal! Ich hab dich was gefragt!“ Ich zuckte zusammen. Neben mir baute sich Pru auf. „Mensch! Was hast du nur im Kopf? Kommst du jetzt mit ins Kino?“ Ich schaute Pru an. Kino? „Du kannst deine Mom gerne mitnehmen. Wird eh viel lustiger, wenn sie dabei ist“, ergänzte Prudence. Und jetzt wusste ich auch warum, sie meine beste Freundin war. Sie wusste immer, wie ich mich fühlte, was für Sorgen ich hatte. Und jetzt war meine einzige Sorge meine Mutter. Sie war ein Wrack. Im wahrsten Sinne des Wortes. Ein Wrack. „Ich kann nicht. Mein Dad und ich treffen uns im Prezzo!“, antwortete ich. „Miss Hamoynd? Miss Jennson? Was gibt’s da interessantes zu bereden?“ Ich verdrehte die Augen. Der Typ da vorne nervte. Also würde ich ihm zeigen, was es bedeutete mich zu unterbrechen. „ Prudence und ich haben darüber diskutiert, ob die Vielzahl von Blättern, die Sie uns kopieren, nicht schädlich für die Umwelt ist. Sie verstehen schon: Das Waldsterben!“ Ich zog die Augenbrauen hoch und sah Mister Chlores herausfordern an. Ich wusste, er würde nichts sagen. Mein Vater war ein Gönner der Schule. Ich hätte auf jede Schule gehen können. Und das nutze ich auch aus. Warum auch nicht? Wenn man die Möglichkeit hat? Genau wie von mir vorausgesagt, hielt Chlores den Mund. Prue sah mich von der Seite strafend an. Sie hasste es, wenn ich meine Macht ausnutzte. Ich zuckte bloß die Schultern. Ich hatte wichtigeres zu tun. Der Gedanke an meinen Vater hatte wieder leichte Übelkeit verursacht. Ich hatte ein dumpfes Gefühl im Magen.
„So…und nun….ihr habt euch….verbessert…im folgendem Schuljahr….“ Ich höre nur Wortfetzen von Mister Chlores. Die Stimmung in der Klasse war prickelnd und elektrisierend. Jeder freute sich auf den Sommer. Ich nicht. Und trotzdem tat ich so. Ich musste. Ich war schließlich die Schulqueen. „Jeder schaut auf dich. Wirklich jeder. Also musst du auch das tun, was sie von die erwarten!“, hatte Prudence mal gesagt. „Psst…Prudence…Psst!” Ich wandte meinen Kopf nach links und sah, wie Jennifer Pru einen Zettel zusteckte. Ich lächelte amüsiert. Jennifer hat es also immer noch nicht aufgegeben, mich als Freundin zu gewinnen. Mal sehen, was in dem Zettel stand. Bestimmt wieder so ne Einladung zu einer Party. „Pru, komm gib mir den Zettel“, raunte ich ihr zu. Pru grinste und gab ihn mir. Ich öffnete und konnte mir gerade noch ein Grinsen verkneifen.
Prudence und Alice
Morgen Party 18 Uhr bei
Mir zuhause
Kommt ihr?
Jenny :*

Ich sah, wie sie uns flehentlich und bittend anblickte, aber ich schüttelte bloß den Kopf. Mit meinen Lippen formte ich: „Morgen Hawaiiurlaub“. Jenny schien wirklich enttäuscht zu sein, aber ich zuckte bloß mit den Schultern. Sie konnte mir total egal sein. Ich war schließlich Alice Hamoynd. Die Schulqueen. Jenny sah mich mit großen Augen. Die heult doch jetzt nicht, oder? Ich musste lächeln. Meine Zurückweisung tat also wirklich weh. Krass. Schnell huschte Jennifers Blick zu Prudence. Pru wand sich sichtlich. Ich wusste, dass sie keine allzu große Lust hatte auf diese Party zu gehen, aber Jenny tat ihr leid. Man konnte es in ihren Augen sehen. Ich verdrehte die Augen. Gleich würde Pru geschlagen nicken. In zehn Sekunden. Und wirklich, nachdem ich von 10 runtergezählt hatte, nickte sie. Ich grinste und sie sah mich entschuldigend an. „Kein Ding, Mutter Theresa! Du hast es geschafft, dass Jennifer grinst, wie ein Honigkuchenpferd!“, raunte ich ihr zu. Prudence schaffte es nur mit Mühe nicht zu lachen. Das Klingeln rettete sie, sodass Pru sich vor Lachen schütteln konnte. Jennifer sah neugierig zu uns rüber, aber ich beachtete sie gar nicht. Ich nahm Prudence bei der Hand und zog sie schnell aus dem Klassenraum. Ich hatte irgendwie keine Lust auf die geheuchelte Zuneigung der Schule mir gegenüber. Ich fand es okay, Schulqueen zu sein, aber ich fände es auch okay, wenn mich die Menschen wegen mir mochten und nicht wegen Daddys Kohle oder meiner Beliebtheit. Draußen atmete ich die warme Luft ein. Es roch einfach nach Sommer, nach gemähten Gras, nach Blumen, Eis und…“Schon cool, dass du nach Hawaii fährst“, sagte Pru uns schloss die Augen, um auch den süßen Duft der Freiheit einzuatmen. Hawaii. Mit Daddy und Vicky. Ich flog von Sommerwolke 8 tief runter vor den Eingang der Schule. „Ja, ist bestimmt toll“, murmelte ich und ging die Treppen hinunter. Prudence hielt mich an der Schulter fest. „Hey, Zwei Wochen Hawaii. Vergiss Vicky. Genieß es einfach“ Pru war immer so optimistisch. Wäre’ ich an ihrer Stelle auch, aber ihre Familie war noch ganz. Ihr ganzes Leben war ganz. Meins lag in Scherben. Ich blinzelte der Sonne zu und wischte mir eine Träne aus dem Augenwinkel. ‚Jetzt fang bloß nicht an zu heule’, ermahnte ich mich. Ich holte tief Luft, zauberte ein Lächeln auf mein Gesicht und drehte mich um. „Du hast Recht“, sagte ich und versuchte dabei wenigstens ansatzweise glücklich zu klingen. „Alice? Alice Hamoynd?“ Ich drehte mich um und sah, wie ein blasses, braunhaariges Mädchen auf mich zu lief. Ich stöhnte leise. Atemlos blieb sie vor mir stehen. „Ich…ich bin Becky“, japste sie, „kann ich ein Foto mit dir machen?“ Ich nickte und lächelte in die Kamera. „Danke..dankeschön“, murmelte sie schüchtern. Als sie weg war, lachten Prudence und ich erstmal. „Ich muss dann mal gehen“, murmelte ich und umarmte Prudence. Ihre weichen Haare kitzelten meine Wange. Pru roch gut. Sie roch nach Wärme, nach Freundschaft…nach zuhause. Ich blinzelte wieder und hoffte, dass man meine Tränen nicht sah. „Tschüss“, sagte ich und drehte mich schnell um und rannte die letzten Treppen runter. Ich drehte mich noch mal um und lachte Pru an, die ungewohnt ernst an dem Schuleingang stand. Schnell überquerte ich die Straße. „Alice! Hier sind wir!“, kreischte eine schrille Stimme von links, „Oh nein!“, stöhnte ich. Der Albtraum sollte also Wirklichkeit werde. Zwei Wochen mit einer fetten Gucci-Elfe. Angewurzelt blieb ich stehen. Es war mir egal, dass ich mitten auf der Straße stand. Mein Körper wollte nicht zu Vicky. Er wehrte sich dagegen. „Alice!“, kreischte Pru von der Treppe. Langsam drehte ich mich zu ihr um. Ihr Mund stand offen und starrte mich an. Schnell, für mich aber in Zeitlupe, hob sie ihren Zeigefinger und zeigte auf etwas neben mir. Automatisch blickte ich dahin. Ich sah nur ein gelbes Auto, was auf mich zufuhr. Ich konnte mich nicht bewegen. Nicht einmal ein schrei drang aus meiner Kehle, als ich flog.
Weit weg…


Ich spürte nichts. Es war aber ein angenehmes Gefühl von Taubheit. Niemand könnte mich verletzten. Niemand könnte mir Schmerzen zufügen. Aber es war so hell hier. Mit diesem Licht könnte man, glaub ich, alles durchleuchten. Auch mich. Alle meine Gedanken und Hoffnungen. Sogar meine nicht vorhandenen Träume. „Alice? Willkommen Alice“ Die Stimme war angenehm. Sie erinnerte mich an meine Mutter. An meine frühere Mutter. Bevor ein Mensch alles zerstörte. Ich musste einfach die Augen öffnen und sehen, ob es meine Mutter ist. Gewaltsam öffnete ich sie und wurde wiederum von hellem Licht geblendet. Ich kniff die Augen zusammen. „Mom?“ Die Unbekannte lachte leise. Es klang wie Meeresrauschen. Ich mochte diese Frau. Sie hatte etwas an sich. „Nein, ich bin nicht deine Mutter“, antwortete die Unbekannte. „Und wer bist du dann? Wo bin ich überhaupt?“ Ich stockte. Ich erinnerte mich noch dunkel an das Taxi. „Bin ich tot?“, fragte ich leise. „Nein.“ Die Frau schüttelte den Kopf, aber dann nickte sie und wiegte den Kopf hin und her. „Also…wie du es nimmst. Du befindest dich im ‚Vorraum’ von Caelum, dem so genannten ‚Cavaedium’“, sagte die Frau und lächelte. „Aha“, machte ich nur. „Also…uns bleibt nicht mehr viel Zeit. Also…eigentlich bist du tot. Aber du bekommst eine zweite Chance vom Rat. Du wirst lernen dein Leben wieder in Ordnung bringen“, sagte die Frau. Ich nickte, obwohl ich nicht zugehört habe. „Ist er hier?“, frage ich leise. Ich brachte es immer noch nicht über mich, seinen Namen auszusprechen. Die Frau sah mich mitleidig an. „Darüber darf ich nicht sprechen. Tut mir leid. Aber hast du mir zugehört? Du bekommt eine zweite Chance. Du darfst weiter leben. Natürlich nur, wenn du willst.“ Im ersten Moment wollte ich den Kopf schütteln. Ich spürte, dass er hier war, aber dann dachte ich an meine Mutter. Sie würde meinen Tod nicht verkraften. Ich nickte: „Ich will die zweite Chance!“ Die Frau nickte und lächelte. „Aber ich muss dich warnen, du hast…“ Den Rest hörte ich nicht mehr. Denn das grelle Licht wurde dunkle, die Stimme leiser und die Frau verschwand vor meinen Augen. Und wieder einmal flog ich an diesem Tag. Weit weg…




Kapitel II
Diesmal hatte ich kein Gefühl von Wärme oder Zuneigung. Es war hier alles so kalt und leer. Ich spürte das, ohne die Augen zu öffnen. Neben meinem Ohr piepte etwas unaufhörlich. Ich stöhnte leicht genervt. Ich wollte zurück. In die Wärme. Ich kniff noch mal die Augen zusammen und riss sie dann auf. Ich lag anscheinend in einem Bett. Ich blickte mich im Raum um. Er kam mir irgendwie bekannt vor, genau wie der Geruch…Es roch nach…Krankenhaus. Vor Schreck verschlug es mir die Sprache. Ich bekam Panik. Meine Atmung ging ungleichmäßig. Alte Erinnerungen, die ich vergessen wollte, kamen hoch. Ich begann langsam die Schläuche abzuziehen. Ich wollte weg hier. Nach Hause. Es sollte sich nicht noch mal wiederholen. „Na, na! Was soll das denn werden, Schneewittchen?“, sagte eine Stimme. Ich zuckte zusammen und schrie auf. „Hey. Keine Panik. Ich bin’s doch nur. Maddy!“, sagte ie Stimme beschwichtigend. Ich blickte auf das blonde Mädchen, was auf de Stuhl saß fragend an. „Wer?“, wiederholte ich. „Na, Madéleine halt! Hat dir Michaelangela nichts von mir erzählt?“ Das Mädchen schien ehrlich enttäuscht zu sein. Aber ich kannte solche Gesichter schon, also interessierte mich das nicht besonders. „Keine Ahnung, wer du bist und wovon du sprichst. Ich kenne dich nicht und auch keine Michaleangela. Du musst wohl Michaleangelo gemeint haben. Den berühmten Bildhauer“, sagte ich gereizt und etwas hochnäsig, aber das war mir egal. Das Mädchen…okay, Madéleine sah mich etwas verwirrt an, holte dann aber aus ihrer kleinen Tasche einen gelben Zettel raus. „Du bist doch Alice, oder?“, fragte sie dann. „Wie sie leibt und lebt“, sagte ich und lachte. „Was ist das übrigens für ein Zettel?“, fragte ich dann. Madéleine hielt den Zettel hoch und ich sah, dass da nur vier Wörter standen: 10 Dinge für Alice. „Was..was hat das zu bedeuten?“, stammelte ich. Madéleine sprang auf. „Hör mal zu, Schneewittchen, ich muss dir helfen, dein Leben in Ordnung zu bringen, okay? Geschnallt? Dafür bekommst du 10 Dinge als Hilfe, die du erfüllen musst. Was das für Dinge sind, musst du selber raus finden. Du hast zehn Wochen Zeit dafür, okay? Für jede Woche eine Tat! Wenn du versagst, hast du deine zweite Chance vertan und adieu, Schneewittchen! Wenn du versagst, habe ich auch versagt, bekomme meine Lizenz nicht, klar? Also versag nicht!“, hatte Madéleine aufgebracht gebrüllt. Es wunderte mich, dass kein Arzt kam, um mich vor dieser Verrückten zu retten. Ich konnte nicht anders, ich musste lachen. Es war vielleicht der Schock oder der Schmerz, der sich über Wochen angestaut hatte, aber ich musste lachen. Ich gluckste, wie eine dreijährige. „Was ist so witzig, Schneewittchen?“, zischte Madéleine. „Du…bist..irre“, japste ich. Und zu meiner Überraschung lachte Madéleine auch. „Okay, ich würde auch lachen und jemanden für irre halten, wenn er mir so was erzählen würde, aber es stimmt. Ich bin ein Angelo“, grinste Madéleine. „Ein…was?“, fragte ich. Madéleine verdrehte die Augen. „In euerer Sprache ein Engel“, erklärte sie genervt. „Und wo sind dann deine Flüg…?“ Ich hielt Madéleine immer noch für irre und eine Lügnerin. Das war doch alles gelogen. Das konnte nicht wahr sein. „Alles Legenden und Mythen“, erklärte Madéleine weiter. Bestimmt sah ich immer noch skeptisch aus, denn sie verdrehte die Augen und raunte: „Später…Der Arzt kommt!“ Woher sie das wusste, keine Ahnung. Aber wirklich. Nach ein paar Sekunden trat ein älterer Mann ein, der sich als Doktor Rith vorstellte. Obwohl Madéleine demonstrativ und für alle sichtbar neben meinem Bett saß, sah Doktor Rith sie nicht. Ich sah sie fragend an. „Menschen…also, die unsere Hilfe nicht brauchen, sehen uns nicht. Wir sind also unsichtbar“ Madéleine lächelte gezwungen. „Genau wie ich“, murmelte ich und, als ich das sagte, wusste ich, dass es stimmte.

Ich lag mit geschlossenen Augen in meinem Bett. Wenn alles stimmte, was sie mir erzählt hatte, hatte ich eine zweite Chance bekommen? Aber warum? Ich sollte mein Leben ändern. Aber warum? Es lief doch okay. Besser, als ich gedachte habe, dass es je laufen würde. Ich konnte mich also nicht beschweren. Neben mir schimpfte Madéleine lautstark über etwas, aber ich ignorierte sie. Ich brauchte ihre Hilfe nicht und vielleicht bildete ich mir auch alles nur ein. So eine Art Schock. Engel gab es nicht wirklich. Nur eine Einbildung der Kirche. Und selbst, wenn es sie gäbe, würden sie sich dann für mich interessieren, Alice Hamonynd? Okay, ich war die Tochter des Bankenbosses ,Peter Hamoynd, und nach Paris Hilton eine der reichsten Erbinnen und ich war die Schulqueen, aber interessierten sich Engel normalerweise mehr für bedürftige Menschen? Wie Arme, Bettler, Kranke und so? Bestimmt nicht für Menschen, wie mich, die das Glück- in finanziellen Dingen- gepachtet haben! Okay, meine Familie war kaputt. Aber wenn kratzt das? Voll viele Eltern sind geschieden! Oder heißt das, jeder von den Kindern einen Engel hat? Ich setzte mich ruckartig auf und schrie vor Schmerzen. Es war, als ob ein Feuerring sich um meine Taille wand und sich bis zum Hals aufwärts schlich. Madéleine zog eine Augenbraue hoch. „Du wurdest von einem Auto angefahren. Okay, überfahren. Glaubst du, dann kannst du in deine pinken und völlig überteuerten High Heels schlüpfen?“. Sie sah mich an, als ob ich blöd wäre. Ich schnaubte und legte mich wieder vorsichtig wieder hin. „Hör mal zu, Madéleine, ich weiß nicht, was du willst!“. Madéleine öffnete den Mund, um mich zu unterbrechen, aber ich hob meinen Zeigefinger und brachte sie so- zu meinem Erstaunen- zum Schweigen. „Und die Story mit dem Engelsein, zweite Chance und 10 Dingen für mich, kauf ich dir nicht ab. Also, was willst du wirklich?“ Madéleine erhob sich langsam. „Du glaubst mir also nicht? Fein, Schneewittchen. Aber dann beschwer dich nicht, okay? Wir geben dir eine zweite Chance und du?“ Sie schnaubte aufgebracht. „Früher haben die Menschen an uns geglaubt und jetzt? Alles nur Praktiker und Wissenschaftler! Wo ist eurer Glaube geblieben?“ Madéleine schien sich echt aufzuregen. „Madéleine, die Welt verändert sich ständig. Es wäre gut für dich, wenn du das früh genug erkennst und dich damit abfindest. Du wirst erwachsen. Engel, Elfen, Feen, den Weihnachtsmann und den Osterhasen gibt es nicht! Und wenn ich schon dabei bin, die Hose ist schrecklich! Das Top geht noch, aber was soll der Umhang? Geh mal zur Typberatung. Aus dir könnte was werden!“. Ich lächelte milde. Madéleine sah mich fassungslos an, dann warf sie ihre blonden Haare nach hinten. „Ich habe dich ja gewarnt! Also keine Beschwerden, bitte!“ Sie rauschte aus dem Zimmer. „Wovor gewarnt? Und worüber soll ich mich beschweren?“, rief ich ihr hinterher. Aber ich bekam keine Antwort, stattdessen schlug lautstark eine Tür zu. Verwundert sah ihr nach. Ich schloss die Augen, um sie augenblicklich wieder aufzureißen. Warum war keinem der Menschen, Ärzte und Schwestern aufgefallen, dass eine Tür zugeschlagen wurde, und zwar laut? In einem Krankenhaus fiel das doch auf?!


Aber…Michaelangela! Sie ist eine schreckliche Person! Eine billige, ausgestopfte Barbiepuppe, die denkt, dass die ganze Welt sie anhimmelt!“ Ich war außer mir vor Wut. Was bildete sich bloß diese…diese Nobilia ein? Dass sie Gott persöhnlich war? „Ich weiß, Madéleine, dass sie eine schwieriger Person ist. Aber bei all den Gegensätzen seid ihr beide doch gleich. Ihr habt so viele Gemeinsamkeiten!“, versuchte Michaelangela mich zu beruhigen, aber genau das Gegenteil trat ein. „ Ich soll mit der da Gemeinsamkeiten haben?“ Empört schnappte ich nach Luft. „Ja, sie ist genauso einsam wie du und hat viele Verluste erlitten.“ Michalangela achtete gar nicht auf mich. Ich schnaubte. „Verluste? Was weiß sie schon von Verlusten?“ „Oh, Maddy, ich glaube, eine ganze Menge. Versuch es noch mal mit dir. Es würde dir gut tun. Außerdem..Denk an die Lizenz. Enttäusche mich nicht. Ich habe mich beim Rat für dich eingesetzt!“, lächelte Michaelangela. „Das tut ich auch die ganze Zeit. Ich mach es nur für die Lizenz!“ Michaelangela lachte. „Na dann, hol sie dir!“ Ich nickte nur und ging aus dem Raum. „So, Schneewittchen. Du kannst mich nicht leiden und ich dich noch weniger, aber wir müssen miteinander klarkommen. Egal, wie. Ich will diese Lizenz und ich werde sie bekommen. Egal, was du sagt, billige Barbie!“




„Der Unfall wird keinen bleibenden Schäden hinterlassen. Sie hat nur ein paar Prellungen und Blutergüsse. In ein paar Wochen werden da nur noch blaue Flecken zu sehen sein. Sie hatten wohl einen Schutzengel. Einen guten wohlgemerkt. Der Arzt grinste. Schutzengel? Ich lachte hysterisch auf. Ich hörte nur da Gerede von Engeln und jetzt fing auch ein Arzt an. Er war Wissenschaftler und glaubte nur an Fakten. Okay, es gab auch in der Medizin Wunder. Aber glaubte er an Engel? Ganz sicher nicht! Meine Mutter sah mich besorgt an. „Stimmt etwas nicht, Liebes?“ Ich versuchte zu lächeln. Meine Mom machte schon genug durch, da braucht sie keine 17jährige Tochter, die Engel sehen kann. Nein! Stopp, Alice! Wir haben ausgemacht, dass alles nur eine Schockvision war. „Nein, Mom. Alles okay. Ist glaub ich nur der Schock“. „Also, für mich klang das nicht wie ein Schock, Liebling, eher wie ein psychischer Anfall. Ich denke, man sollte sie zu Beobachtung, in eine Anstalt stecken!“ Ich funkelte Vicky böse an. „Ich bin zwar verletzt, Vicky, aber immer noch nicht taub! Und ich bin nicht verrückt, du…!“ Ich holte tief Luft und wollte noch etwas hinzufügen, aber mein Vater warf mir einen warnenden Blick zu. Klar, Vicky darf mich beleidigen, und das öffentlich und ich darf mich nicht einmal mehr wehren? Wo war mein Daddy hin? Der, der mich immer unterstütz hat? Für den ich immer die beste war? Der, der mich wirklich liebte? Vielleicht war ein Stück an diesem Tag gestorben. Vielleicht nicht so viel, wie bei Mom und mir, aber genug, um uns zu vergessen. Ich seufzte, lehnte mich gegen das Kissen und schloss die Augen. Ich wollte nur noch alleine sein. Und alles vergessen. Wirklich alles….


„Schön, dass du wieder zuhause bist!“. Meine Mutter lächelte mich an und ich lächelte unbestimmt zurück. Schön zuhause zu sein? Früher hätte ich alles dafür gegeben, zuhause sein zu dürfen. Aber jetzt? Mit eine wandelnden Tote als Mutter? Darauf könnte ich liebend gerne verzichten. „Ich rufe noch schnell Pru an und sage ihr Bescheid, dass ich wieder da bin, okay?“, rief ich meiner Mutter zu, die in Salon in ihrem Schaukelstuhl saß. „Liebes, Prudence hat gestern angerufen und gesagt, dass ihr Bruder gestern überraschend aus Indien zurückgekommen ist. Anscheindend benötigen sie dort keine Ärzte mehr. Sie sind heute nach Hollow Tree gefahren, um ihre Grandma zu besuchen. Sie wünscht dir gute Besserung“, rief meine Mutter. „Achso“, murmelte ich und ging nach oben auf mein Zimmer. Langsam setzte ich mich auf mein Bett. Prudences Bruder war wieder da. Wie schön für sie. Sie waren bei ihrer Grandma und aßen ihre selbstgemachten Kekse. Wie schön für sie. Ihre Familie war ganz. Wie schön für sie. Langsam liefen mir die Tränen über meine Wangen. Unwirsch wischte ich sie mir weg. Ich hatte mir geschworen, nie nie niemals zu heulen. Mir ging es gut, ja blendend! „Hey, Schneewitche. Wie geh..? Ey, sag mal, weinst du?“ Ich schrie vor Schreck auf und sprang von meinem Bett. „Liebes? Alles okay bei dir?“, rief meine Mutter von unten. „Ähm, ja. Da war nur..eine Spinne“ „Achso“. Meine Mutter lachte unten. „Was machst du hier?“, zischte ich Madéleine ein. „Du hast nicht einmal geklopft! Willst du, dass ich einen Herzinfarkt bekommen?“ Ich war wirklich wütend. Aber Madéleine grinste nur. „Wenn du wirklich sterben würdest, würde mir das viel Ärger ersparen, Schneewittchen!“ Sie lachte. Bei diesen Worten wäre ich ihr am liebsten an die Gurgel gesprungen. „Was.fällt.dir. ein?!“. Ich schrie es beinahe, aber das Mädchen zuckte noch nicht mal mit der Wimper. „Ich will“, begann sie, „Okay, das war gelogen. Ich muss dir helfen. Und du wirst meine Hilfe annehmen, verstanden? Sonst kannst du was erleben!“, fauchte Madéleine. Ich konnte sie nur ungläubig anstarren. Was meinte sie damit?
Fortsetzung folgt...

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Texte: Alle Rechte des Bildes liegen bei kwick.de
Tag der Veröffentlichung: 09.08.2010

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Für meine wunderbaren Freunde, die mich immer unterstützen!

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