1
„Er ist ein stattlicher junger Mann, nicht wahr?“ Augenblicklich fuhr ich herum. Ich stand an einem der Fenster unseres Anwesens und beobachtete ihn. Luca Graziano war ein Bild von einem Mann. Dunkle Haare, ein sehr gut gebauter Körper und er war klug und witzig.Er war der Mann meiner Träume, doch bis jetzt sollte das niemand erfahren.Mein Onkel, Monsieur Bonnet, ein dickbäuchiger und aus Frankreich stammender Mann, der jedoch sehr nett war, war eigetreten und hatte mich beobachtet. Ich hatte ihn aber nicht bemerkt, da ich damit beschäftigt war mir Luca bis ins Detail anzusehen.„Aber, mon chérie, du wirst doch nicht schon nach den Jungen schauen“, sagte er mit einem stark französischen Akzent. Ich mochte ihn, wirklich, aber in diesem Moment kam er mir einfach fehl am Platz vor.„Nein, Nein Onkel, ich hatte nur… ähm, wie lange wirst du denn noch bei uns bleiben?“, lenkte ich absichtlich ab. Ich räusperte mich.„Ich werde so lange bleiben, bis alles mit dem Testament und den Papieren von Vater geregelt ist.“„Und ich hoffe das das das hier nicht mehr so lange dauernd,zuhause werde ich leider auch gerbraucht.“, fügte er noch hinzu.Mein Großvater väterlicherseits war vor knapp fünf Tagen verstorben und mein Onkel war angereist um das Formelle zu verwalten, da er Angst hatte, mein Vater hätte sich sonst alles unter den Nagel gerissen, jedoch würde er das nie zugeben. Er wollte aber nicht zu lange bleiben, da meine Tante und seine Frau ein Kind erwartete und er bei der Geburt anwesend sein wollte. Jedoch würde er das ebenfalls nie zugeben, da er nicht unhöflich sein wollte. Ich für meinen Teil hatte jetzt jedenfalls genug von dieser Unterhaltung und beschloss auf den Wochenmarkt zu gehen. Dieser war einfach herrlich. Dort gab es viele Stände, an denen Verkäufer und Quacksalber ihre Ware feilboten. Es war immer viel los. Ich verabschiedete mich von Monsieur Bonnet, den ich fast immer mit dieser Höflichkeitsform anredete und begab mich in mein Zimmer, wo ich mir meinen Mantel überwarf und die Schuhe wechselte. Danach benutzte ich mein Lieblingsparfüm, Amor & Psyche, dass mir Monsieur Bonnet immer aus Paris mitbrachte und kämmte mir noch einmal durchs Haar. Ich war fertig und ging zur Haustür. Als ich diese öffnete, stand eine ältere Dame vor mir, die trotzdem sehr modisch gekleidet war und deren Gesicht nicht viele Falten besaß. Sie schaute recht streng und machte auch keine Anstalten mich zu grüßen. Also tat ich es ihr gleich und stahl mich an ihr vorbei. Sie schaute mir verstohlen nach, trat dann jedoch ein und schloss die Tür hinter sich. Ich dachte nicht weiter darüber nach wer sie war oder was sie hier wollte. Das interessierte mich auch nicht weiter, denn ich war hier. In der Stadt, in der ich schon mein ganzes Leben wohnte und in der Stadt die ich liebte. Venedig. Es war Sommer, sehr warm und das perfekte Wetter für einen Besuch des Wochenmarktes. Man schrieb das Jahr 1748 und der Karneval stand kurz bevor. Ich lief durch das verzweigte Gassensystem Venedigs. Auf dem Weg zum Wochenmarkt benötigt man keine Gondel, da man das Wasser nicht passieren muss. Im Moment gab es viele Taschendiebe in der Stadt die auf Stelzen gebaut ist. Deswegen schärfte mein Vater mir schon seit mindestens einem Monat ein nie die dunklen Gassen allein hinunter zu laufen. Jedoch war mir das relativ egal. Ich war 18, was wollte er mir denn noch befehlen? Ich war volljährig und konnte sehr gut auf mich allein aufpassen. Bevor ich mich versah war ich am Großen Platz. Dort war er. Der Wochenmarkt, ein sehr großes Ereignis das wöchentlich stattfand. Diesmal waren besonders viele Leute da und ich war beeindruckt. Ich schlenderte an den vielen Ständen vorbei, mit ihren verschiedenen Waren. Ich war schon zwar sehr oft auf dem Wochenmarkt, aber ich war immer wieder beeindruckt. Beeindruckt von den vielen Menschen, von der Fülle an Sachen und der Musik, die manch ein Geiger aus seinem Instrument lockte. Als ich die durch die Ständegassen lief und weiter auf die Ware starrte, entdeckte ich etwas das mir gefiel. Eine Maske, in Pink mit Glitzer und bei der einen pinke Feder an der Seite hing. Ich würde sie für den Karneval brauchen. Ich ging hin und zückte meinen Geldbeutel. Genau in diesem Moment sprang vom Stand nebenan ein Mann, dunkle Haare, mittelgroß und mit schmutziger Kleidung, auf mich zu und riss mir den Geldbeutel aus der Hand. Ich war kurz wie gelähmt, konnte mich aber schnell wieder fassen und rannte dem Dieb nach. Er war sehr flink und sehr schnell. Ich konnte es aber mit ihm aufnehmen. Ich verspürte alles andere als Angst. Ich war mutig und wild entschlossen mein Geld wiederzubekommen. Vor allem weil das mein komplettes Taschengeld für den Monat war. Er bog sehr oft in Gassen ein, wahrscheinlich um mich zu verwirren und infolge dessen abzuschütteln, aber ich ließ mich nicht so leicht abhängen. Ich beschleunigte mein Tempo um ihn endlich einzuholen. Doch als ich um eine Ecke stieß ich mit jemandem zusammen und wäre fast hingefallen hatte dieser Jemand mich nicht aufgefangen. In dieser kurzen Zeit war der Taschendieb verschwunden. Ich schaute nun zu dem Fremden auf der mich aufgefangen hatte und stellte mit Erstaunen und Entsetzten einer Mischung aus Beidem fest, dass der Fremde Luca war. Luca Graziano. Den Mann den ich fast jeden Tag aus dem Fenster im Büro meines Vaters beobachtete. Er lächelte mich an und seine weißen, perfekten Zähne blitzen hervor. Ich hätte bei diesem Anblick da hinschmelzen können. Jetzt war es wirklich amtlich. Ich war verliebt.„Alles in Ordnung? Ich meine sind Sie verletzt?“, fragte er mit einer gewissen Besorgnis in der Stimme.„Nein, mir geht es gut. Man hat mir nur mein ganzes Geld gestohlen und ich bin dem Dieb hinterher gerannt und jetzt bin ich mit Ihnen zusammengestoßen“, erwiderte ich.„Das ist für eine Dame aber sehr gefährlich. Was hätten Sie zum Beispiel getan wenn Sie den Taschendieb eingeholt hätten?“„Ich weiß es nicht. Soweit hatte ich noch gar nicht gedacht!“ Oh Gott, er musste mich für unüberlegt halten.„Na dann hatten Sie aber viel Glück, wären sie bereit mich eventuell auf den Wochenmarkt zu begleiten?“ Er setzte wieder dieses Lächeln auf und ich schmolz dahin.„Ja, ich meine ja gerne würde ich.“ Auch mir huschte ein breites Lächeln übers Gesicht.Er bot mir seinen Arm an und ich platzte bald vor Glück. Dieses kurze Gespräch und schon bot mir Luca Graziano seinen Arm an und wir beide liefen zum Wochenmarkt. Auf dem Weg dorthin schauten mich viele Mädchen, an denen wir vorbeikamen, neidisch an. Sie hatten keinen Begleiter an ihrer Seite. Unser Gespräch von vorhin blütete nicht noch einmal auf und es war sehr still zwischen uns beiden. Ich beobachtete die vorbeifahrenden Gondeln. In ihnen saßen Päärchen. Zwei Menschen die sich liebten und Küsse austauschten. Ich hatte noch nie einen Liebsten. Obwohl die meisten Mädchen in meinem Alter bereits verheiratet waren und auch schon Kinder hatten.Ich schaute kurz zu Luca rüber und mein Blick wurde erwidert. Luca hatte braune Augen, sehr tiefgründig. Darin hätte man sich verlieren können. Seine Augenfarbe hab ich nie genau erkannt, aber ich habe vermutet dass seine Augen braun waren.„Kennen wir uns eigentlich? Entschuldigen Sie mich, aber ich weiß gar nicht wie sie heißen…“, setzte er an. Es fiel mir wie Schuppen von den Augen. Er kannte ja gar nicht meinen Namen. Er kannte mich nicht.„Mein Name ist Zara. Zara-Aurelie di Lauro, aber nennen Sie mich doch bitte Zara." "Oh, sind Sie adelig?"„Nein, meine Familie war es einmal, aber dann verloren wir es wieder und behielten nur den Nachnamen bei.“ „Achso. Aber wir haben immer noch nicht die Frage geklärt woher ich sie kenne.“ „Ich wohne in dem Haus gegenüber Ihrem. Ich sehe sie manchmal. Sie sind Luca Graziano, nicht wahr?“ .Dass ich ihn nur `manchmal` sehen würde, war die massivste Untertreibung die ich in meinem ganzen Leben je ausgesprochen hatte. „Ah, jetzt erinnere ich mich an Sie! Sie haben früher oft vor unserem Haus gespielt“, erinnerte er sich. „Ja, wegen den Blumen. Der Duft und die Farben der Blumen vor ihrem Haus haben mich schon immer irgendwie magisch angezogen“ „Ich schaue jeden Tag nach ihnen. Man muss sie hegen und pflegen damit sie gedeihen können“ „Achso“, machte ich darauf, da mir keine passende Antwort in den Sinn kam. Er lächelte. Seine weißen Zähne strahlten mich wie Sterne an. Als er gerade damit ansetzten wollte noch Etwas zu sagen, kam wir auch schon am Wochenmarkt an. Es war gerade Mittag und erdrückend heiß. Mir kam es so vor als wären doppelt so viele Leute wie vorhin anwesend. Luca war noch immer sehr heiter und lachte über die Jongleure, die auf einem Podest gestanden hatten und denen nun alle Kugeln beim jonglieren herunter gefallen waren. Ich konnte mich aus irgendeinem Grund nicht dazu erwärmen zu lachen. Ich hatte Angst bei Luca irgendetwas Falsches zu sagen oder mich zu blamieren. Wir stolzierten Arm in Arm an den Ständen und den neugierig dreinblickenden Leuten vorbei, die uns anlächelten oder uns musterten oder über uns redeten. Man hätte annehmen können wir wären berühmte Adlige. Als wir fast schon das Ende des Marktes erreicht hatten, sah ich eine Kette, so wunderschön und glänzend wie die Sterne. Sie war ein goldenes Herz, das man öffnen und ein Bild einfügen konnte. Ich wollte sie mir unbedingt kaufen, doch da erinnerte ich mich erst an den Taschendieb. Er hatte ja mein ganzes Geld. Ich war zutiefst traurig. Ich kaufte mir nicht viel, da meinem Geschmack nicht wirklich viele Dinge entsprachen, aber wenn ich etwas sah das mir gefiel war ich ein Feuer und Flamme dafür. Luca musste mein Interesse an dieser Kette bemerkt haben und zückte seinen Geldbeutel. „Was tun Sie denn da? Sie kennen mich doch gar nicht richtig und wollen für mich schon ein Schmuckstück erwerben?“, fragte ich eine Spur zu empört. „Manchmal muss ein Mann eben tun was ein Mann tun muss“, erwiderte er und kaufte die Kette tatsächlich. Er bedeutete mir, dass er mir sie umlegen wollte und ich hob meine Haare. Er legte sie mir um und staunte. „Sie steht Ihnen wirklich fantastisch“, sagte er auf die Kette und mich starrend. „Danke.“ Ich fühlte mich wirklich geschmeichelt. Luca war sehr charmant und auch klug.
Wir schauten einander an. Dann jedoch warf Luca noch einen Blick auf seine Taschenuhr und stellte erschrocken fest, dass er zu spät zu einem Essen mit seiner Tante und seinem Onkel kam. Er gab mir zwei Küsse auf die Wange, wie Monsieur Bonnet immer, und sagte: „Ich hoffe wir sehen uns bald wieder, Signorina Zara“, sagte er im weggehen.„Das hoffe ich auch“, sprach ich leise für mich. Ich musste das unbedingt meinem besten Freund erzählen. Leander Costa. Ein Spanier, 19 Jahre alt und der klügste Kopf ganz Venedigs. Ich bog gerade in seine Straße ein und stand vor seiner Tür. Ich hatte den Wochenmarkt verlassen und war der glücklichste Mensch der Welt. Wenn es wichtige Neuigkeiten in meinem Leben gab, erfuhr Leander es als Erster. Mein Vater fragte sich immer wieder warum ich keine weiblichen besten Freunde haben kann und dann auch noch einen Spanier. Mein Vater hatte eine wirklich schlechte Meinung von den Spaniern. Nur Gott weiß warum das so ist. Ich habe mir schon oft darüber Gedanken gemacht und bin zu dem Ergebnis gekommen, dass er einen Hasse auf Spanien hat, weil meine Mutter vor zehn Jahren dorthin gegangen ist nachdem sie meinen Vater verlassen hatte. Noch in Gedanken bemerkte ich gar nicht, dass Leander schon die Tür geöffnet hatte. Ich fiel ihm um den Hals und er drückte mich zurück. Wir kannten uns nun schon seit knapp sechs Jahren. Damals wäre ich fast im Wasser ertrunken, als ich hineingefallen war. Ich weiß noch, dass ich keine Luft bekam und langsam nach unten singkte. Keiner half mir. Außer Leander. Er sprang mutig ins Wasser und rettete mich, indem er mich aus dem Wasser zog.
„Ich grüße dich Zara, wie geht es dir?“, fragte er mich interessiert. Er drückte sich schon immer so vornehm aus. Er kam vor etwa acht Jahren aus Madrid hierher. Er hatte mir eigentlich nie genau erklärt wieso und ich fragte auch nicht weiter nach. Alles andere wäre mehr als unhöflich.„Mir geht es mehr als gut, ich muss dir unbedingt etwas erzählen!“, platzte ich heraus.
„Na dann mal raus damit“ Da entdeckte er meine Halskette. „Ich war mit Luca Graziano auf dem Wochenmarkt. Ja, dem Luca Graziano.“ „Was? Du beobachtest ihn schon seit Jahren und jetzt geht er mit dir zum Wochenmarkt?“, fragte er ungläubig. „Ja!“,erwiderte ich. "Und wie hast du es angestellt damit er mit dir zum Markt geht?!“ Da erzählte ich ihm die Geschichte. Wie ich erst alleine auf den Markt gegangen bin um ein wenig Ruhe zu bekommen und wie man mir dort feige mein Geld geklaut hatte. Wie ich dem Dieb nachgelaufen bin und wie ich mit Luca zusammengestoßen bin. Leander machte große Augen.
„Und danach bot er mir an mit mir auf den Wochenmarkt zu gehen“, beendete ich meine Erzählung. „Und was hat es mit deiner Kette auf sich?“, fragte er leicht gereizt. Dieses Gefühl würde er zwar nie zugeben aber ich fühlte es. „Er hat mir es auf dem Markt gekauft, da ich ja kein Geld mehr hatte“ „Zara, ich fasse es nicht! Erst läufst du einem Taschendieb hinterher und danach lässt du dich von einem Wildfremden verführen!“, schrie er fast. Bei dem Wort „verführen“ konnte man ihm eine leichte Röte im Gesicht ansehen. „Lean, beruhige dich doch! Mir ist ja nichts passiert und ich habe mich erstens nicht verführen lassen und zweitens ist Luca kein Wildfremder.“, schrie ich genauso zurück.
„Nur weil du ihn ein paarmal aus eurem Bürofenster beobachtet hast und ihn ansehnlich fandest kennst du ihn plötzlich so als wäre er dein Seelenverwandter!“ „Das ist nicht wahr, ich glaube nicht, dass ich ihn gut kenne, aber ich kannte ihn gut genug um zu wissen, dass er nichts Böses im Sinn hatte.“ „Wie kannst du so Etwas nur beurteilen? Ich mache mir doch nur Sorgen um dich!“
„Ich hätte nicht zu dir kommen dürfen, ich dachte du freust dich, dass ich auch mal einen Liebsten gefunden habe!“schrie ich ihn wutentbrannt an. Danach griff ich nach meinem Mantel und stürmte zur Tür hinaus. Leander rief mir noch etwas hinterher, das ich aber nicht hörte oder nicht hören wollte. Ich rannte, also hatte ich keine Ahnung ob er mir nachlief. Ich bog in viele kleine Gassen ein und obwohl ich Venedig wie meine Westentasche kannte, verlief ich mich. Das war wieder typisch für mich. Und ich hörte Schritte hinter mir…
Fortsetzung folgt....
Texte: All Rights reserved to Elisabeth Marker
Tag der Veröffentlichung: 02.01.2011
Alle Rechte vorbehalten