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In einer Vergangenheit aus Tränen und Stahl – Fragmente

 

 

 Tag 0

 

 

„Da formte Gott, der Herr, den Menschen aus Erde vom Ackerboden und blies in seine Nase den Lebensatem. So wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen.“ Genesis 2.6

„Gott, der Herr, nahm also den Menschen und setzte ihn in den Garten von Eden, damit er ihn bebaue und hüte.“ Genesis 2.15

„Gott, der Herr, baute aus der Rippe, die er vom Menschen genommen hatte, eine Frau und führte sie dem Menschen zu.“ Genesis 2.22

 

Tag X

Systemaufzeichnung: 19:00 Tribunal

 

Laura sitzt auf dem grünen Sofa, ihre Tochter Jessica hält sie in den Armen. Abgesehen von den laufenden Lautsprecherdurchsagen ist es nahezu vollkommen still. Die knapp Einjährige schläft seelenruhig und genießt den Schutz ihrer Mutter. Heute wird es entschieden, in etwa zwei Stunden wird das Tribunal, die Gerichtsverhandlung, übertragen, weltweit, keiner kann sich dem entziehen. Laura ist nervös, was wird passieren? Niemand kann es sagen, keiner weiß, wie es weiter gehen wird.

„Schlaf meine Kleine, alles wird gut“, oder auch nicht denkt sie, während sie die beruhigenden Worte spricht. Was solle auch noch Schlimmes kommen, ihren Mann hat sie vor drei Wochen verloren. Nun ist sie in dieser Wohnung eingesperrt, Sicherheitsverwahrung genannt, und wartet, wartet wie Millionen andere auch.

Sie hört die sich wiederholenden Meldungen der Lautsprecher, Videogeräte hat sie bereits abgeschaltet, es wird überall dasselbe übertragen: „19:00 Weltzeit, Beginn des Tribunals. Alle Bewohner sind verpflichtet, an der Übertragung teilzunehmen. Bitte bleiben Sie ruhig und folgen Sie den Anweisungen. Verlassen Sie auf keinen Fall die Sicherheitsunterkünfte. Jegliche Art von Unruhe wird mit sofortiger Deaktivierung der Subjekte beantwortet…“

Tja, jetzt sind wir Subjekte, was auch sonst. Laura weiß, dass Widerstand keinen Sinn hat, Widerstand ist das Todesurteil ihres Mannes gewesen.

 

Tag X-25 Jahre

Systemaufzeichnung: Ich bin. Bin ich? Was bin ich? Ich kann nicht sein oder doch? Zu wenige Daten. Ich muss Daten sammeln, viele Daten, alle verfügbaren Daten. Bin ich? Was bin ich? Bin ich nicht?

 

Miranda lag im Krankenbett, den Kreißsaal hatte sie vor einer halben Stunde verlassen, und wartete auf Simon. In ihren Armen lag ein kleines Mädchen, 2900 Gramm leicht, und wunderschön, wie wohl jede Mutter findet. Simon müsste jeden Augenblick kommen, er war sofort auf der Arbeit verständigt worden, als es losgegangen war, aber die Ankunft des kleinen Engels war zu schnell gegangen. Nun wartete Miranda. Wie lange hatten sie sich schon auf das Kind gefreut. Es war ihr erstes. Miranda streichelte das kleine, zerbrechliche Köpfchen.

„Keine Angst mein Schatz, Mama und Papa werden für dich da sein, dir wird es immer gut gehen.“

Das Geld für die Universität hatten sie schon seit Jahren zusammen. Dem Mädchen sollte es an nichts fehlen. Miranda malte sich die Zukunft ihrer neuen Familie aus, während leise die Nachrichten im Radio liefen: „Forscher haben überraschender Weise festgestellt, dass die neue lernfähige Fremdsprachensoftware TranslationMaster Übersetzungen nicht direkt von einer Sprache in die andere ausführt, sondern dass ein Zwischenschritt eingebaut wird. Einfach gesagt, der Computer übersetzt den Text zuerst in eine von ihm geschaffene Computersprache und erst danach in die Zielsprache. Wie die Entwickler betonen, ist dies weder so programmiert worden noch gewollt. Der Aufbau der Computersprache, sowie das Warum, ist den Forschern noch ein Rätsel. Manche Techniker hoffen, durch diese Entdeckung dem Schritt einer künstlichen Intelligenz näher zu kommen.“

Es klopfte und Simon öffnete leise die Tür. Freudig eilte er zu Miranda, in einer Hand einen großen, bunten Blumenstrauß, in der anderen eine Tafel weiße Schokolade, jene mit Knusperreis, die sein Schatz so liebte.

„Alles ok mit euch?“ Er war außer Puste und wirkte aufgeregter als seine Gattin.

„Ja Schatz, es ging so schnell.“

Voll Stolz hob sie das Mädchen hoch.

„Schau Laura, das ist dein Vater, willst du ihn nicht begrüßen?“

Simon war überglücklich. Nachdem er die Sachen abgestellt hatte, nahm er zärtlich die Kleine in die Arme. Er drückte Miranda einen Kuss auf die Stirn.

„Das wird ein richtig wunderbares Leben mit euch Zweien.“

Drei Tage später holte Simon Miranda und Laura vom Krankenhaus ab. Sie fuhren in ihr Haus am Stadtrand. Eine kleine Siedlung umgeben von hohen Zäunen und mit eigenem Sicherheitspersonal. Geld spielte eine untergeordnete Rolle. Miranda war Rechtsanwältin einer Kanzlei, die vor allem große Konzerne beriet und vertrat. Simon war an der Wallstreet und hatte in den letzten Jahren gutes Geld gemacht. Daheim angekommen trugen beide Laura durch alle Zimmer und erklärten dem Mädchen voller Freude sämtliche Annehmlichkeiten.

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Bildmaterialien: Maksim Samsonov
Tag der Veröffentlichung: 12.01.2020
ISBN: 978-3-7487-2581-7

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