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Motto:
Die Kunst die Zeit anzuhalten liegt in der Begabung, deine Vergangenheit in der Gegenwart zu denken und zu füllen, sodass die Erinnerungen dich zur Vollendung bringen.


Die Zeit – diese fundamentale Form des Daseins der Materie – hinterlässt tiefe Spuren in ihrem Lauf und verschont nicht mal das Universum.
Jahre, Stunden und Sekunden
In Unendlichkeit verstreicht die Zeit.
Über Seelen und die Welt
Herrscht allein nur das Vergessen.

Wunden heilen, Schmerzen sterben
Herzen schlagen voller Licht
Deine Augen, meine Augen
Suchen nur die Ewigkeit.

Wir betrachten uns im Spiegel
Und erkennen uns nicht wieder.
Wir betrachten unsre Seele
Und bedauern unser Leid
Wir betrachten unsre Erde
Und bereuen unser Hass.

Ich blicke ins Leere, ich erblicke die Menschen, ich blicke durch sie hindurch.
Der Zug macht kürzere oder längere Stationen. Er setzt sich wieder in Bewegung und ich fahre mit. Eine Haltestelle und noch eine. Bis zum Bestimmungsort defilieren vor meinen Augen Zeit und Menschen, Häuser und die Erde, Bäume, Blumen und der Himmel.
Ich suche mich, ich suche mich durch die Zeit hindurch ..... und auf einmal sehe ich mich. Meine Geschichte habe ich erzählt und meine Geschichte wurde weiter erzählt.

Der heftige Wasserstrom schlug zornig das Waschbecken.
„Du wirst einst Jemand werden“, drangen die Worte der Mutter trotz dem Platschen des Wassers und dem Geschirrgeräusch zu Viktor durch. Es waren keine Worte, die Einen hoffen ließen, dass sie jemals Wirklichkeit werden könnten. Auf Grund des tiefen, ruhigen und sicheren Klanges, hörten sie sich wie eine Prophezeiung an.
Viktor war ein 11 jähriger Junge mit dunklen, lockigen Haaren, dessen kleines, zartes und fahles Gesicht kein Zweifel hinterließ, dass er ein kränkliches Kind war. Nur die schwarzen Augen funkelten fragend und beglückt, als seine Mutter den Tisch mit Köstlichkeiten deckte. Er aß mit voller Freude. Seine blassen Wangen erröteten langsam. Er genoss die Leckerbissen und die gebrechlichen Hände waren ständig beschäftigt. Aber nach kurzer Zeit hielt Viktor inne. Er richtete sein Blick auf die Mutter. Er wusste zu gut, was das Tropfenblut in ihrem Mundwinkel bedeutete, was die gebeugten Schultern und die traurigen Augen sagen wollten aber nicht sagen konnten. Und trotzdem erklang ihre Stimme immer kräftig und sicher.
„Sehr bald mein Kleiner wirst du erneut ein so gutes Essen bekommen. Iss weiter und schlaf noch einwenig, denn um 17 Uhr findet der Wettbewerb statt. Du musst erholt sein. Du willst doch gewinnen, oder täusche ich mich“?
„Selbstverständlich will ich gewinnen“, antwortete Viktor mit kräftiger Stimme, zu kräftig für so einen kleinen Körper. „Du weißt doch! Das Schwimmen ist meine große Liebe, aber erst nach dir Mutter.
Viktor war erst 7 Jahre alt, als er das erste Mal mit seinem Vater das Hallenbad betrat.
Der nasse Geruch, die Gelächter, die kurzen und manchmal strengen Anweisungen, faszinierten ihn. Die Leidenschaft für das Schwimmen wurde an diesem Tag geboren und Viktor fing an hochfliegende Träume zu schwärmen.
Er erinnerte sich noch ganz genau die Worte seines Vaters:
„Ich wäre sehr glücklich, wenn dir das Schwimmen gefallen würde, ohne zu ahnen, was in dem kleinen Jungen vorging.
„Ich hatte immer Angst vor Wasser“, sprach er sanft aber traurig weiter. „Das Wasser aber streichelt und beruhigt, es reinigt und heilt. Ich will nicht, dass die Angst dich in ihren Fängen hat. Ich werde alles tun, um dir die Unterrichtsstunden zu ermöglichen“.
Aber leider war „alles“ nicht genug, denn das Unheil trifft uns aus heiterem Himmel gerade, wenn wir es am wenigstens erwarten. Viktors Vater, ohne sich zu verabschieden, trat die letzte Reise an. Eine sinnlose, plötzliche und schmerzende Haltestelle in Viktors Leben.
Die Unterrichtsstunden waren sehr teuer und die Mutter, die jeden Tag gegen die Not kämpfte, ohne sie zu besiegen, sah sich gezwungen Viktor vom Schwimmunterricht abzumelden.
Aber das Schicksal wollte es anders. Sein Schwimmlehrer, übernahm die Kosten und machte dadurch möglich, dass Viktor weiter am Kurs teilnahmen konnte.
„Schade, dass du mich jetzt nicht sehen kannst. Du würdest sehr stolz auf mich sein! Und vielleicht hat Mutter recht“, sagte er wieder nach einer kurzen Pause mit tränenden Augen, „ von dort oben siehst du mich und sorgst für mich“.
Draußen hieß sie die noch heiße Sonne willkommen und der sanfte Wind verstreute der Duft des Meeres. Viktor und seine Mutter gingen, so wie vor 4 Jahren zu dem gleichen Hallenbad. Aber dieses Mal ohne den Vater. Trotzdem nahm er auf eine merkwürdige Art die Gegenwart seines Vaters wahr. Diese Wahrnehmung stieg ihn ihm hoch, wurde immer stärker, durchdrang sein Herz, sein Verstand und in dem Moment, hatte Viktor die Gewissheit, dass er bei dem Wettbewerb gewinnen würde.

Die Zeit von Jahreszeiten begleitet, umkreist die Erde. Das, was geboren ist, durchstreift die Jugend, berührt die Reife und nach dem Lebensabend, lernt es den Tod kennen. Es ist Zeit für eine neue Haltestelle. Der Zug wird bald anhalten. Manche werden einsteigen und wiederum andere werden aussteigen. Je nachdem wie reif die Zeit dafür ist.

Das Wasser floss unermüdlich weiter. Es schien sich nicht zu verwandeln und Viktor schwamm und entwickelte sich, so dass aus dem kleinen, zerbrechlichen Jungen ein großer, kräftiger Mann wurde. Fast alle seine Träume wurden Wirklichkeit.
Nur ein einziger Traum ging nicht in Erfüllung und er träumte ihn Tag und Nacht. Es war der olympische Traum.
Seine Geduld wurde jeden Tag härter auf die Probe gestellt und so lernte er die Stationen des Lebenszuges zu akzeptieren. Seine Mutter starb, er heiratete Rodika und seine Kinder wurden geboren.

Die Zeit für eine neue Station war angebrochen und der Zug fuhr langsam bis er zum Stillstand kam.
Viktor wurde nominiert sein Land bei den Olympischenspielen zu vertreten und sein Lebenszug fing an zu fliegen, dem Himmel näher, den Engeln näher.
Die Stunde hatte geschlagen und endlich wurde sein Name ausgerufen. Er versuchte seine Aufregung zu unterdrücken und schritt auf das Sprungbrett. Die schwierige Übung, auf die er sich Monate lang vorbereitet hatte, beherrschte er sehr gut. Aber als er an das begehrte Ziel ankam, dort oben 10m über dem Wasser, wurden seine Gedanken aufgewühlt und das Adrenalin ließ ihn zu schnell reagieren, viel zu schnell. Sein Aufschwung wurde zu heftig und er konnte seine Bewegungen nicht mehr kontrollieren. Ein schriller Schrei durchflog die Luft und sein Körper tauchte nicht mehr auf. Zwei Aufseher sprangen sofort ins Wasser, holten der anscheinend leblosen Körper an die Oberfläche und die Notärzte brachten Viktor ins Krankenhaus.
Am nächsten Tag als er zu sich kam, erinnerte er sich mit Schwierigkeiten an das, was gestern passiert war.
„Guten Morgen „, begrüßte ihn eine freundliche Stimme.
Ein Mann in weiß, stand vor der Tür.
„Guten Morgen“, erwiderte Viktor.
„Ich möchte offen über Ihren Zustand reden und seien Sie überzeugt“, sagte der Arzt und näherte sich dem Kranken, „das alles der Wahrheit entspricht“
„ Sie haben einen Aufprall erlitten. Dadurch wurde das Rückenmark durchtrennt. Die Folge ist, dass...“
„Dass ich gelähmt bleibe“.
Der Arzt nickte nachdenklich.
„Es gibt eine neue Methode, aber die Kosten...“, er machte kurz eine Pause und sagte weiter:
„Ich weiß nicht, ob Sie sich das leisten können“.
Viktor schüttelte den Kopf und schaute traurig durchs Fenster.
„Wenn Sie jemals das nötige Geld haben werden, für eine so teuere Operation und für die darauffolgende, notwendige Therapie, können Sie mich anrufen, sagte der Arzt und gab ihm seine Visitenkarte bevor er das Zimmer verließ.

Viktors Lebenszug fuhr weiter, machte andere Stationen, kannte andere Menschen und einen anderen Lebensstill. So wurde er mit 28 Jahre Schwimmlehrer an einer Mädchenschule, aber das nicht ohne Schwierigkeiten, denn man hörte Elternstimmen die sagten:
„Ein Behinderter soll unseren Kindern das Schwimmen beibringen, ein Behinderter, der nicht im Stande ist für sich selber zu sorgen!“
Viele Kinder traten aus dem Schwimmunterricht aus und so schrumpfte die eins große Gruppe zu sieben Schüler zusammen. Viktor trug die Verantwortung für diese Kinder. Er liebte sie, aber nur ein kleines, zerbrechliches, 11 Jähriges Mädchen wuchs ihm richtig ans Herze.
Eines Tages kam die Mutter dieses Mädchen zu ihm und sagte:
„Daniela kann nicht mehr zu Schwimmunterricht kommen“. Sie atmete tief ein, versuchte sich zu beruhigen aber ihre Stimme klang trotzdem bedrückt als sie die Worte aussprach.
„Wir haben kein Geld mehr dafür“, drehte sich um und wollte gehen, aber Viktors kräftiger Ton nagelte sie fest.
„Sie fügen ihr ein großes Leid zu“.
Danielas Mutter nickte, drehte sich um und starrte ihn an. Ihre Augen waren voller Tränen.
Viktor nährte sich ihr, nahm ihre Hände und klopfte sie verständnisvoll.
„Ich kenne und verstehe all die Gefühle die Sie erleben. Deswegen möchte ich Sie bitten meinen Vorschlag, die Kosten für Danielas Training zu übernehmen, anzunehmen“.

Die Zeit verging und Daniela verwandelte sich, so dass, das kleine und zerbrechliche Mädchen, ein schönes und gesundes Mädchen wurde. Viktor trainierte Daniela mit der gleichen Hingabe, die er als Kind kennen lernen dürfte und versuchte, seine Schülerin, alles beizubringen, was er wusste. Seine Kenntnisse und seine Fehler sollten vor ihr nicht verborgen bleiben.
Die Erinnerungen an den Unfall war stärker, wie noch nie, denn der Lebenszug musste eine neue Station machen, er fing an zu fliegen bis hoch in den Himmel immer den Egeln näher, voller Hoffnungen und Wünsche.
Die Stunde hatte geschlagen und endlich wurde Danielas Name ausgerufen. Die Panik ergriff Viktor, genau wie vor 20 Jahren, genau an diesem Ort, aber Daniela dagegen, war ruhig und gelassen. Sie nahm Aufschwung und sprang. Schwebte in der Luft drehte sich wie ein Kolibri und ihr Eintritt ins Wasser war perfekt. Die kräftigen Applaus überfluten Viktors Herz vor Freude und stolz.
Abends bei der Pressekonferenz wurde die neue Olympiasiegerin zusammen mit ihrem Trainer, ein Mann im Rollstuhl, der für Bewunderung und Tausende von Rätsel sorgte, ausgiebig über Vergangenheit und Zukunftspläne ausgefragt.
Der Tag der Abreise war gekommen und die ganze Mannschaft mit ihrem Schwimmlehrer wartet ungeduldig auf ihrem Flug. Vor 20 Jahren auf diesem Flughafen, versuchte Viktor den Schicksalsschlag zu verstehen und heute musste er sich einer neuen Wende gegenüberstellen. Er hinterließ den Eindruck die Flüge zu beobachte, aber in Wirklichkeit war er in Gedanken versunken.
Daniela, die sich bis jetzt mit ihren Kollegen unterhalten und gelacht hatte, näherte sich ihrem Trainer.
„Herr Professor, hier das Geld für Ihre Operation“, ihre linke Hand rutschte nach vorne, „und hier die Visitenkarte des Arztes“, sagte sie und die rechte Hand folgte der anderen.
Viktor sah sie verblüfft an.
„Wie ist das möglich? Ich habe diese Karte vor vielen Jahren weg geworfen“.
„Ja, stimmt. Aber Sie waren damals nicht allein. Ihre Frau! “, und ihre blauen Augen strahlten verschwörerisch. „Hier“, sagte Daniela und brachte noch einen weißen Umschlag zum Vorschein, „befindet sich die Adresse eines berühmten RMFZ – Rückenmark Forschungszentrum.
Danielas Lebenszug begann sich langsam zu bewegen, fuhr schneller, immer weiter fing an zu fliegen, dem Himmel näher, den Engeln näher. Viktors Zug gelang ans Ziel.

„Rodika, meine liebe Frau, hilf mir bitte ein letztes Mal aus dem Zug auszusteigen!“
Ich betrachte das Gewimmel um mich herum. Ich blicke in die Vergangenheit und die Erinnerungen erblühen in der Zukunft.
Das Schicksal ist nicht festgenagelt. Zu dem richtigen Zeitpunkt, müssen wir die richtigen Entscheidungen treffen.


Elidia Banu München, 06.08.06

Impressum

Texte: Auf dieser Website finden Sie Texte aus dem künstlerischen Schaffen von Claudia Elisabeta Stolz, geb. Ciobanu.
Tag der Veröffentlichung: 30.10.2008

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Meinem Bruder ! Danke für dein Glauben!

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