Sie waren auf Weltraum-Patrouille.
Gelangweilt drehte Solutosan eine seiner langen Haarsträhnen um den Finger und ließ den Blick über den Hauptschirm des Duocarns-Raumkreuzers schweifen.
Diese eintönigen Kontrollflüge nervten ihn, und wenn Solutosan in die Gesichter seiner Krieger sah, wusste er, dass es den vier Duocarns und dem Navigator, Chrom, ebenso erging wie ihm.
Chrom flegelte sich auf dem Pilotensitz und kratzte mit seiner ausgefahrenen Kralle ein kleines Schild in Duonalisch von seiner Konsole. »So ein Schwachsinn«, grummelte er. »Wie kann man nur auf die Haupt-Steuerung On/Off schreiben? Wer hat sich das nur ausgedacht?« Nebenbei navigierte er so, dass sie möglichst viele Teile des Planetensystems und des Weltalls im Blick behalten konnten.
»Warum nimmst du nicht die Fangzähne und nagst es ab? Geht vielleicht schneller.« Meodern streckte seine beiden Zeigefinger rechts und links an seinen frech verzogenen Mund.
»Nur kein Neid«, grunzte Chrom.
Kleine Wortgeplänkel waren an der Tagesordnung, denn, wie alle Beobachtungsflüge zuvor, war auch dieser ungeheuer öde und die Zeit schien sich endlos zu dehnen. Solutosan sah sich im Kontrollraum um.
Tervenarius hatte einen Arbeitstisch über seine Konsole geklappt und einige kleinere Behälter dort aufgebaut. Er tunkte zwei Finger in den weißen Salbentopf mit seiner Anti-Säure Hautpflegecreme, strich sich testweise etwas auf den Arm und rührte wieder in dem Tiegel. Beide Arme waren schon völlig beschmiert. Er kratzte sich am Kopf und kleckerte unabsichtlich auch noch etwas Creme auf seinen silbern-weißen Haarschopf.
Die langen Beine auf Tervs Kommunikationsstation gelegt, zog Xanmeran ein Stück seiner Dermastrien ab und platzierte sie dann möglichst genau wieder auf seinem Arm. Eigentlich völliger Quatsch, denn das konnte er mit Willenskraft, aber er wusste augenscheinlich nicht wohin mit seinen Händen während der Warterei. Er hob den kahlen, roten Schädel und blickte zu Patallia, der in aller Ruhe seine medizinischen Berichte las – wie immer, wenn es nichts zu tun gab.
Solutosan seufzte und wandte sich erneut dem Hauptschirm zu. Das duonalische Planetensystem war schön und es aus dem Weltall zu sehen, tröstete ihn ein wenig über die langweiligen Phasen seiner Bacani-Jagd hinweg. Die vier Monde und Duonalia schwebten im All, umgeben von ihren zartbunten Energieschleiern, beleuchtet von der fahlgelben Sonne, wie kosmische Spielzeuge einer mächtigen Gottheit. Ein friedlicher Planet, den es zu beschützen galt.
Was hätte er in diesem Moment darum gegeben, einen Tipp zu bekommen, wann und wo die Bacanis wieder zuschlagen wollten. Die Duocarns wären dann sofort in Aktion getreten. Aber nicht mit einem weiteren Abschuss im Weltall, sondern in einem Kampf Angesicht in Angesicht. Es juckte ihn in den Fingern, einen der bacanischen Parasiten mit seinem Sternenstaub ausmerzen zu können. Wenn es nur nicht so verdammt schwer gewesen wäre, die Bacanis auf frischer Tat zu ertappen – sie zu schnappen, wenn sie sich zu schlafenden Duonaliern schlichen und ihre Spiralvenen gierig in die Leiber bohrten, um deren Energien zu saugen. Sie konnten die Angreifer ihres Volkes nur erwischen, wenn sie mit ihren kleinen, wendigen Raumschiffen von den Tatorten flohen. Die von den Duocarns so begehrten Nahkämpfe fanden in den seltensten Fällen statt.
Ha! Da bewegte sich etwas! Solutosan kniff die Augen zusammen. Da waren sie! Ein Bacani-Raumschiff versuchte den östlichen Mond als Deckung zu benutzen, um sich ungesehen aus dem Staub zu machen.
Er sprang auf. »Chrom! Siehst du sie?«
»Nein!« Chroms Blick irrte auf dem Schirm umher.
»Verdammt! Links!«
Solutosan machte einen riesigen Satz zum Bildschirm und tippte mit dem Finger auf die linke Ecke. In diesem Moment verschwand der kleine schwarze Punkt für einige Sekunden in den bunten Schleiern zwischen den Monden, tauchte aber wieder auf.
»Jetzt?«
Chrom nickte, er hatte sie erfasst und seine Finger flogen über die vier Tastaturen auf der Hauptkonsole.
Zufrieden registrierte er, dass seine Männer nun alle aufmerksam in den Startlöchern standen. Von Schläfrigkeit keine Spur mehr. Alle brachten ihre Stationen auf den neusten Stand, um den bevorstehenden Angriff vorzubereiten. Die schleppende Langeweile hatte sich schlagartig in eine knisternd geladene Spannung verwandelt.
»Die schießen wir nicht ab. Wir kapern, Leute«, befahl Solutosan. Er wollte versuchen, den Duocarns doch einmal wieder einen Nahkampf zu verschaffen. »Ich will deren Bordcomputer. Vielleicht finden wir dort ein paar brauchbare Daten über neue Angriffe! Meo, mach die Waffen klar. Ein Schuss in den Antrieb sollte sie stoppen.« Er schwang sich in seinen Drehsessel. Er hasste es, wenn ihm in solchen Momenten sein Raumanzug zu eng wurde. Er wusste, dass er sich das nur einbildete, deshalb konnte er das Gefühl noch weniger leiden.
»Die haben aber dieses Mal einen guten Navigator!« Tervenarius sah dem gekonnten Hakenschlagen des Bacani-Schiffs mit Bewunderung zu.
Chrom hob den Kopf. »Bacanis sind eben die besten Piloten«, knurrte er. »Deshalb habt ihr ja auch mich.«
Solutosan musste trotz seiner Anspannung grinsen. Ja, in der Tat, Chrom war der beste Navigator, den die Crew je besessen hatte. Ein Bacani, der ein loyaler Weggefährte der Duocarns geworden war und der nun mit ihnen zusammen seine eigene Rasse jagte.
»Wo die wohl hin wollen?« Xanmeran war hinter seinen Stuhl getreten, um einen besseren Blick auf den Bildschirm zu haben.
»Das werden wir sehn. Chrom, halte Abstand! Die haben uns vielleicht noch nicht entdeckt!«
»Verdammter Zickzack-Kurs!« Chroms Klauen rasten über die Tastaturen in einem Tempo, zu dem normalerweise nur Meodern fähig war.
»Xan, sind die Andockklammern bereit? Wir schießen ihnen den Antrieb weg, ziehen sie in die Atmosphäre und knacken sie auf.« Solutosan blickte zu dem Duocarn mit dem roten Glatzkopf. »Die denken wohl sie wären clever – aber wir sind schneller und schlauer!«
Aiden schüttelte wutentbrannt ihr langes, rotes Haar und starrte den Junkie Ben an, der ihr in dem Streetworker-Bus gegenüber saß. »Wie kannst du nur so eine Scheiße machen, Ben? Seit Jahren kämpfen wir mit der Stadtverwaltung und jetzt das!«
Während sie das sagte, wusste sie, dass es völlig sinnlos war und sie sich ihre Worte sparen konnte, denn Ben hatte offensichtlich einen solchen Vollrausch, dass er sie wohl ansah, aber nichts von alldem in seinem Gehirn ankam. Die winzigen Pupillen waren das sichere Zeichen für die frisch gespritzte Menge Heroin, die in seinen Adern rauschte.
»Ich glaube, diese Predigt ist sinnlos, Aiden.« Doris Bohlen, die älteste der Calgary-Helpers, kletterte, eingemummt in einen roten Parka zu ihnen in den Bus.
Aber Aiden war in keiner Weise bereit sich jetzt schon abzuregen. »Doris, dieser Typ ist ein hoffnungsloser Fall. Die Leute haben ihn gesehen und eindeutig identifiziert! Die Fixerstube ist in der Harper Street und er lässt seinen Müll direkt daneben auf dem Kinderspielplatz liegen!«
Doris seufzte. Sie wandte sich zu Ben. »Willst du einen Tee?« Ben starrte sie nur an.
Jetzt reichte es ihr! »Ach, verdammt!« Aiden schwang sich aus dem VW-Bus. Jetzt brauchte sie erst einmal frische Luft – und das nicht nur, weil Bens scharfer Gestank die Luft im Bus unerträglich machte. Sie hatte für ihren gemeinnützigen Verein lange mit den Behörden gekämpft, um den Obdachlosen, den Trinkern und den Junkies einen Platz zu verschaffen. Sie und ihr Team hatten eine kleine Teeküche eingerichtet, in der es etwas zu essen gab und die Leute duschen konnten. Außerdem bot ein kleiner, sauberer Raum den hiesigen Abhängigen die Möglichkeit, ihre Drogen zu konsumieren. Das alles war nun in Gefahr.
Sie stapfte um den Bus herum, hilflos und wütend. Es musste doch möglich sein, ihm begreiflich zu machen, was er da angestellt hatte!
»Ich sag euch was.« Aiden steckte den Kopf zur Seitentür des Busses hinein. »Wir räumen jetzt den Müll weg! Ben? Wir gehen jetzt zusammen da hin und du hilfst mir. Danach ruf ich Mister Martin von der Stadtverwaltung an und versuche ihn zu beruhigen. Los komm!« Aiden streckte Ben die Hand hin.
Er rappelte sich auf, ohne der Hand Beachtung zu schenken. Sie riss die Fahrertür auf, schnappte sich einige Latexhandschuhe, sowie eine Mülltüte und lief mit Ben los, der hölzern und wie aufgezogen neben ihr her ging. Sie betrachtete ihn von der Seite. Seine Nase lief. Der Mann war ein Wrack.
Sie schob die Hände tief in die Taschen ihres Anoraks. Seit Jahren hatte sie nur mit Trunkenbolden und Kaputten zu tun – lernte so gut wie nie normale Männer kennen, außer vielleicht Bürohengste, mit denen sie sich wegen der Gelder stritt. Manchmal hatte sie das ganz schön satt.
Der Kinderspielplatz lag verlassen und nur schwach beleuchtet da, als Aiden und Ben ihn betraten. Der kalte Wind wehte braune Blätter raschelnd im Kreis. Aiden zog ihre Mütze tiefer über die Ohren.
»Nun sag schon, wo das Zeug ist!«, fuhr sie ihn an. Der Junkie versuchte sich zu orientieren. Wahllos deutete er zuerst auf eine Bank, dann auf den Sandkasten und schließlich in die Nähe der Schaukel.
»Ach du Scheiße!« Eine eisige Windböe wirbelte ihr die Verpackung einer Spritze entgegen. »Du machst mich wirklich fertig«, blaffte sie.
Psal tippte ungeduldig mit den Fingern auf den Rand ihrer Tastatur. Am liebsten hätte sie die Klauen ausgefahren, so sehr ging ihr dieser Pok auf die Nerven. Jetzt stand er schon wieder mit blutunterlaufenen Augen vor ihrer Steuerungskonsole und starrte sie an. »Geh zur Seite!«, fuhr sie ihn an. »Du verdeckst den Bildschirm!«
Die einzige Frau auf einem Raumschiff mit einer ungehobelten Bande von Bacanis zu sein, war wirklich ein harter Job. Aber sie hatte den Auftrag angenommen und saß nun mit den Kerlen fest.
Psal aktivierte die Rundumsicht, da Pok sich immer noch nicht in Bewegung setzte. Sie wollte endlich sehen, was sich außerhalb des Schiffs tat.
»Pok! Behindere Psal nicht bei der Arbeit!« Endlich schritt Bar, der Anführer der Bande, ein. Er hatte sich hinter ihr gelangweilt auf einem der Rundstühle gedreht.
Pok setzte sich zähnefletschend in Bewegung.
Psal blickte wieder auf den Bildschirm. Da war etwas! Sie zoomte näher! »Wir werden verfolgt!«
Bar sprang in die Höhe und baute sich breitbeinig neben ihr auf. »Ich seh‘s! Verdammt! Einhundert prozentig die Duocarns!« Krran, sein zweiter Offizier, stand sofort an seiner Seite.
»Wohin nun?«, keuchte Psal. »Wenn die uns kriegen, sind wir tot! Ich habe gehört, dass diese Krieger keine Gefangenen machen!« Ihr Herz schlug bis zum Hals, als sie die Sternenkarten auf dem Computer aufrief.
»Du bist die Navigatorin!«, zischte Bar und wandte sich ihr zu. Seine Fangzähne waren vollständig ausgefahren.
Psal durchsuchte mit zitternden Händen die Karten. »Zentaurensystem! Das ist nah genug! Da finden sie uns nicht!«
»Worauf wartest du dann noch?«, knarrte Bar. »Kurs setzen!«
Psals Finger flogen über die Konsole. Sie brachte das Schiff auf Höchstgeschwindigkeit. Zu ihrem großen Glück hatten die Monde Duonalias sich vor kurzer Zeit gedreht, und drückten die Schleier in ihre Richtung. Psal versuchte, in sie einzutauchen, um mehr Deckung zu bekommen. Sie wusste nicht, wie stark die Duocarns bewaffnet waren. Vielleicht würden sie ja feuern. Sie blickte auf ihre Hände und versuchte das Zittern zu unterdrücken, denn Bar hatte sie fest im Blick. Nur keine Blöße geben, dachte sie.
Nun stand Bar neben ihr. »Geht das nicht schneller?«
»Nein! Wir sind auf Höchstgeschwindigkeit!« Sein selbstherrliches Gehabe ging ihr auf die Nerven. »Kannst ja aussteigen und schieben!«, grollte sie.
Bar fletschte die Zähne.
»Was ist das?« Er deutete mit der Kralle auf einen tiefschwarzen, langsam größer werdenden Bereich.
Psal suchte hastig in den Karten. »Keine Ahnung, nichts verzeichnet!« Das Raumschiff der Duocarns war näher gekommen. Der Kreuzer übertraf ihr Schiff eindeutig an Größe und Geschwindigkeit.
»Ich habe keine Lust hier zu krepieren! Flieg da hin!«, brüllte Bar.
»Was?«, erwiderte sie fassungslos. Ihre Nerven vibrierten. »Wer weiß, was das ist? Oder was dahinter ist? Das ist total gefährlich!«
»Mir egal!«, schrie Bar. »Glaubst du, die Duocarns sind harmlos?«
Tervenarius schob schnell die Cremetöpfchen in einen Behälter an seiner Konsole, schloss ihn und rieb sich in Vorfreude die Hände. Er war schlagartig wieder fit. Solutosan hatte Kaperung statt Abschuss befohlen. Also war es nur noch eine Frage der Zeit, bis er einen Bacani in die Finger bekam. Genau wie die anderen Duocarns war er bestens im Nahkampf ausgebildet.
Er hatte für diesen Flug die Kommunikation zwischen dem Schiff und dem interstellaren Raumhafen auf Duonalia übernommen, was ihn aber jetzt nur noch am Rande interessierte. »Duocarns Koordinaten 1/6.4.90.13bz – Verfolgung aufgenommen.« Dieser Funkspruch musste der Basis erst einmal reichen, bis sie das Bacani Raumschiff besetzt und sich die Parasiten geschnappt hatten.
Tervenarius lächelte grimmig und dachte an den bevorstehenden Kampf. Wieder einmal würde sich zeigen, wer schneller und stärker war: die Bacanis mit ihren Waffen, Klauen und Fangzähnen oder die Duocarns mit ihren Gaben. Er war trainiert und schnell – seinen giftigen Pilzsporen würden seine Gegner nichts entgegensetzen können.
Er runzelte die Brauen. Was war denn das für eine schwarze Materie, auf die das Bacani-Schiff zusteuerte? Die dunkle Fläche vergrößerte sich in Sekundenschnelle.
Ihr Kreuzer schlingerte und schaukelte, während sie dem Zickzackkurs der Flüchtenden folgten.
Tervenarius sah mit Entsetzen, wie sich das schwarze Loch vergrößerte. Die Bacanis hatten es erreicht und waren vor der tiefschwarzen Masse kaum noch zu erkennen.
»Jetzt reicht‘s!«, brüllte Solutosan. »Schieß auf den Antrieb, Meo! Die sind sonst weg!«
»Eine Anomalie!«, keuchte Chrom. »Zu spät! Die sind schon zu nah dran! Viel zu gefährlich!«
Tervenarius’ Magen machte sich unangenehm bemerkbar. Er klammerte sich an seine Konsole. »Chrom, du wirst denen doch wohl nicht da rein folgen?!«
Er blickte zu dem Navigator, der gebannt auf den Schirm stierte und dessen Hände auf der Steuerung hin – und herflogen, so schnell, dass Terv sie kaum noch erkennen konnte. »Chrom?«
»Wenn ich jetzt gegenlenke, knallen wir auf den Mond!«, brüllte Chrom.
Ihr Götter! Das waren die Bacanis nun wirklich nicht wert!
»Egal! Dreh ab!«, donnerte Solutosan.
In diesem Moment erfasste der monströse Sog ihr Schiff mit aller Macht.
Ihr Raumkreuzer taumelte und torkelte führungslos, der gigantischen, schwarzen Macht ausgeliefert. Solutosans Organe schienen sich zu verknoten. Er sah, wie der Hauptschirm flackernd erlosch. Die massive Schockwelle riss ihn aus seinem Sessel, den er noch im letzten Moment mit beiden Armen umfassen konnte. Er versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen, aber sein Gehirn verweigerte den Dienst. Das ungeheure Dröhnen raubte ihm die Sinne. Krampfhaft umklammerte er seinen Sitz und drehte mühsam den Kopf. Chrom hatte die Beine um die Steuerungskonsole geschlungen und versuchte zu navigieren. Wie schafft der das?, dachte er unendlich langsam, als die Vibration stoppte und sein Gehirn mit einem schmerzhaften Ruck im Schädel zur Ruhe kam. Es schien, als würde ihr Schiff schräg in eine Atmosphäre eintauchen. Das tosende Geräusch wandelte sich in ein wildes Rauschen. Er spürte es mit jeder Faser. Ein Aufschlag stand unmittelbar bevor! Solutosan versuchte den Mund zu öffnen, um die anderen zu warnen, aber er brachte keinen Laut heraus. Chrom bewegte sich immer noch an der Konsole. Krachend schlug der Raumkreuzer auf, grub eine Schneise in einen unbekannten Untergrund, der knirschend nachgab.
Das schrille Kreischen des Metalls bohrte sich durch seine Gehörgänge in den Schädel, der zu explodieren schien. Er konnte und durfte den Sessel nicht loslassen, obwohl sämtliche Instinkte schrien, er solle sich die Ohren zuhalten. Das durchdringende Geräusch schien nicht enden zu wollen. Wir verlieren das untere Deck und den Maschinenraum, schoss es ihm durch den Kopf. Sie wurden langsamer. Hatte Chrom es geschafft, die Bremsdüsen zu zünden? Der Lärm wurde erträglicher und zu seiner großen Erleichterung blieb das Schiff zitternd stehen.
Solutosan fiel hart zu Boden. Mit Mühe kroch er zum Drehstuhl zurück, zwang seinen Magen zur Ruhe und sah sich um. Die Navigationszentrale war verlassen. »Bei den Göttern!«, brüllte Solutosan. »Chrom! Statusbericht!« Der kleine Navigator war nicht zu sehen, antwortete auch nicht.
Meodern, eingeklemmt zwischen Kommunikationskonsole und Wand, würgte. Nicht nur die Augen blitzten jetzt in einem giftigen Grün, auch sein Gesicht hatte sich grünlich verfärbt. »Chrom, du Warrantz! Bist du wahnsinnig?!«
Zu Solutosans großer Erleichterung tauchte Chrom wieder aus der Versenkung auf. Den Göttern sei Dank! Solutosan stöhnte. Der Mann war zäh.
»Das war eine verfluchte Anomalie!«, verteidigte sich der kleine Navigator.
»Ruhe! Statusbericht! Wir sind abgestürzt und mit irgendwas kollidiert!« Im Grunde schrie Solutosan Chrom aus Erleichterung an. Um seine Brüder machte er sich keine großen Sorgen, die waren unverwüstlich. Den sterblichen Bacani zu verlieren wäre einer Katastrophe gleich gekommen, denn niemand außer ihm war fähig das Schiff zu steuern.
»Wo sind die Bacanis?« Tervenarius federte hoch und stützte sich auf die medizinische Konsole, an der sich Patallia immer noch mit beiden Händen festklammerte.
Der Mediziner, dessen Körper vor Schreck völlig durchsichtig geworden war, so dass man die pulsierenden Eingeweide sehen konnte, starrte den Krieger an: »Hast du es nicht kapiert, du hirnloser Flusch? Die Bacanis sind unser kleinstes Problem! Wir haben die Kiste auf irgendeinem Planeten zerschossen!« Er ächzte und tastete seine Glatze ab. Nach und nach veränderte sich sein Körper in das gewohnte Milchweiß.
»Was denn für ein Planet?«, tönte vom Fußboden an der Hauptsteuerung eine voluminöse Bass-Stimme. Xanmerans rote Monsterhände umfassten die Hauptkonsole, dann erschien sein roter Glatzkopf mit grimmiger Miene. Er hievte seinen mehr als zwei Meter großen, muskelbepackten Körper in die Höhe und wechselte zu der auf Duonalia üblichen, telepathischen Verständigung. »Ihr Götter! Wo sind wir?«
Solutosan stöhnte erlöst auf. Seine Leute schienen alle unverletzt, nur entsetzlich durchgerüttelt. Er betastete vorsorglich doch noch einmal seinen Kopf. Ja, es war alles in Ordnung. Langsam erhob er sich. Stehen konnte er schon mal. Vorsichtig trat er zur Navigationszentrale.
Chrom krabbelte unter ihr herum, fummelte grummelnd, aber hatte Erfolg. An einigen der erloschenen Computer flammten wieder Kontrolllampen auf. Mit einem Schwung sprang er zurück auf seinen Sitz und tippte in Windeseile eine Vielzahl von Befehlen in den Rechner.
»Ruhe jetzt!«, fauchte Solutosan. »Chrom!« Die Jäger, nun alle wieder auf den Beinen, umringten sie. Patallia blieb an seiner Station.
Chrom bleckte die Zähne. Er blieb bei der Telepathie. »Sieht schlecht aus! Notenergie läuft, Lebenserhaltung ok, Kühlsystem auf 50 Prozent, Antrieb und Schilde auf null.«
»Tarnung?«, fragte er eindringlich. Er begann, im Kontrollraum auf und ab zu laufen. Das tat gut und ordnete endgültig seinen durchgeschüttelten Leib.
Chrom tippte wieder auf den Tasten herum. »Könnte noch gehen.«
»Ortung?« Das Ortungsgerät hatte sich schief über der Konsole in den Armaturen verkeilt. »Meo!« Er gab dem goldhäutigen Krieger ein Zeichen. Vorsichtig bugsierte Meodern das Ortungsgerät wieder an seinen angestammten Platz. Er achtete sorgfältig darauf, keine Kabel zu beschädigen.
Chrom beobachtete Meo besorgt und kratzte sich mit einer ausgefahrenen Kralle an seinem Haarbüschel an der Stirn. »Ich habe schon beim Abflug gesagt, dass das Ding mit dem Kabel veraltet ist!« Mit zwei Krallen knipste er an dem Gerät herum, das sich stotternd einschaltete. »Chef, Ortung soweit auch okay.«
Solutosan ließ sich mit dem Rücken gegen die Wand des Kontrollraums sinken. »Na dann fangen wir da mal an«, seufzte er. »Chrom, wo sind wir?«
Die Anspannung bei Meodern, Xanmeran, Patallia und Tervenarius stieg merklich. Chroms wieselflinkes Tippen wurde zum einzigen Geräusch in dem gestrandeten Schiff.
»Ich befürchte«, er wandte sich ihm zu. »Ich befürchte«, hob Chrom erneut an, »wir sind fünfzigtausendundachtundvierzig Lichtjahre, dreihundertzwölfkommaacht Äonen und drei Terzien vom Kurs abgekommen«, stammelte er.
»Und was heißt das?«, brüllte Xanmeran.
»Das heißt«, sagte Solutosan tonlos, »dass wir in einem gänzlich fremden System festhängen!«
Er fragte weiter: »Wie stehen die Chancen, den Kreuzer wieder flottzumachen?«
Chrom schüttelte langsam den Kopf. »Null, Chef! Schadensbericht sagt: Maschinenraum nicht mehr verfügbar! Der wird abgerissen sein.« Ein Stöhnen ging durch die Reihen der Männer. Sie waren gestrandet!
Jetzt hieß es ruhig bleiben und nach und nach die wichtigsten Punkte abzuarbeiten. Er spürte einen kleinen Luftzug dort, wo sein metallischer Raumanzug an der Schulter zerfetzt war, und sich einer seiner Muskelstränge durch das Loch drückte. Dieser Luftzug verhieß nichts Gutes. Solutosan hob den Kopf und witterte. War da Brandgeruch? Nein, nichts! Was war es also? Allmählich nahm sein Verstand alarmiert wahr, dass der ungewohnte Luftstrom nur die Atmosphäre des fremden Planeten sein konnte, die bereits durch das abgerissene, untere Deck in die Kommandozentrale strömte.
»Schnell!«, befahl Solutosan. »Messung der Atmosphäre: Sauerstoff, Stickstoff, Temperatur!«
»Sauerstoff 21 Prozent, Stickstoff 78 Prozent und andere. Temperatur 234 Gran.«
»In Ordnung!« Er stöhnte erleichtert auf. Chrom, der als einziger Sterblicher an Board unbedingt atembare Luft brauchte, drohte keine Gefahr.
Patallia keuchte. »Ist das hier ein Eisplanet, oder was?«
Chrom orgelte an seinen Geräten herum, tippte weiter. »Ich habe hier was. Der Planet hat Strahlungen. Sieht aus wie Satelliten.«
»Kannst du dich einklinken, Chrom?«, fragte er gespannt.
Der kleine Bacani nickte. »Massig Informationen!« Der Hilfsbildschirm zeigte eine Vielzahl von blinkenden Linien und Zeichen. Das bedeutete, dass der Planet bewohnt und weit entwickelt war.
Solutosan war zufrieden. »Na, das ist ja schon mal was!
Außenteam: Xanmeran!« Der rote Krieger nickte grimmig.
»Meodern!« Meo hob die Hand. »Ihr zwei schaut euch draußen um! Handmessgeräte mitnehmen!« Die beiden nickten. »Wir sehen uns zwischenzeitlich die Daten an«, Solutosan deutete auf den Bildschirm, »und versuchen in den Tarnmodus zu gehen!«
Die zwei stapften zur Tür. Tervenarius schob sich ebenfalls langsam Richtung Ausgang.
»Terv, du bleibst hier!«, befahl Solutosan. »Erst mal prüfen, ob deine Haut das hier aushält.«
Terv kniff die Lippen zusammen, aber er nickte. »Ich geh die Vorräte kontrollieren.«
»Gute Idee!« Solutosan blickte über Chroms Schulter auf den Bildschirm mit den vielen Informationen - lehnte sich zu Patallia, der immer noch zur Salzsäule erstarrt an seiner medizinischen Konsole hockte. »Übersetzermikroben, Pat!« Solutosan streckte fordernd die Hand aus.
Patallias Gesicht entspannte sich langsam. Der Höllenritt durch die Anomalie hatte ihm sichtlich zugesetzt. Er öffnete ein Fach unter seiner Konsole, entnahm zwei kleine Druckpistolen und reichte sie ihm. Solutosan drückte sich die Mikroben in den Hals und setzte die andere Pistole an Chroms knochiges Genick. Beim Abdrücken fauchte der Navigator unwillig.
»Na, dann mal los!«, sagte er zu Chrom.
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Texte: Elicit Dreams
Bildmaterialien: Elicit Dreams
Tag der Veröffentlichung: 31.07.2012
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