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1. Kapitel


„Ravyn. Du musst das nicht tun. Du kannst auch hier bleiben und dein Abschluss hier machen.“, meine Mutter schaute mich an und ich schaute auf meine Hände. Ihr gefiel es nicht, dass ich jetzt zu meinem leiblichen Vater zog.
„Mama, ich will es so. Und wenn ich mein Abschluss habe, dann werde ich sowieso nicht mehr lange da wohnen.“ Ich lächelte schwach und schaute sie an, wie sie den Kleinen auf dem Arm hatte und meine kleine Schwester sich hinter ihr versteckte. Ich kniete mich herunter und nahm sie in den Arm. „Ich werde euch alle schrecklich vermissen.“, sagte ich leise und gab meiner Schwester einen Kuss auf ihr Haar. Sie streckte mir die Zunge raus und ich bohrte meinen Finger in ihren Bauch.
„Ich werde dich vermissen.“, sagte meine Mutter und drückte mich mit einem Arm an sich. Dann kam mein Vater durch die Haustür ins Haus.
„Können wir?“, fragte er und nahm meine paar Taschen.
„Natürlich.“, sagte ich und lächelte ein wenig. Lächelte meinem neuen Lebensabschnitt entgegen. Einen unvergesslichen Lebensabschnitt.
„Pass auf dich auf“, sagte meine Mutter, musterte Steffen mit kühlem Blick und gab mir dann noch einen Kuss auf die Wange.
Ich setzte mich zu meinem Vater in den schwarzen BMW und dann fuhr er los. Schweigend fuhren wir aus Ahrensburg heraus und dann auf die Autobahn Richtung Berlin. Mein Blick ging kurz zu Steffen herüber dann steckte ich mir die Kopfhörer in die Ohren. Völlig geschafft von dem Abschied von meiner Mutter, lehnte ich den Kopf an die Fensterscheibe und schloss meine Augen. So versank ich in einen angenehmen Schlaf, der mir eine angestrengte Konversation mit meinem Vater und eine langweilige Autofahrt ersparte.
Erst als ich später aufwachte und meine kalte Wange von der Fensterscheibe nahm und mir die Augen rieb.
„Na Schlafmütze, wach?“, fragte mein Vater und lächelte. Müde lächelte ich zurück und fuhr mir mit einer Hand durch mein blondes zerzaustes Haar um es ein wenig zu ordnen.
„Sind wir bald da?“, fragte ich und gähnte ausgiebig.
„Schau. Ortseingang: Schwedt/Oder. Wir sind gleich da.“ Er lächelte und strich mir mit einer Hand über mein Haar.
„Worin wohnen wir eigentlich?“, fragte ich und schaute auf die Plattenbauten die an uns vorbei sausten. Doch er fuhr nicht auf einen der Parkplätze, sondern weiter über die Kreuzung etwas weiter raus aus Schwedt. In die Einfamilienhäuser Siedlung.
„Ähm, du wunderst dich jetzt sicher. Kann ich verstehen.“ Er schaute stur auf die Straße und hielt an der roten Ampel.
„Du willst mich doch jetzt verarschen oder? Du willst mir jetzt nicht sagen, dass du in einem Einfamilienhaus wohnst, oder?“, fragte ich und zog eine Augenbraue hoch. Steffen vermied es mich anzusehen und starrte deswegen weiter auf die Ampel.
„Du wirst gleich Carola, Malena, Lukas und Nik kennenlernen. Nik ist dein kleiner Halbbruder. Die anderen sind deine Stiefgeschwister.“ Er gab Gas als die Ampel auf Grün umschaltete.
„Na super!“, rief ich aus und verschränkte die Arme vor meiner Brust. Das hörte sich ja fantastisch an – Ironie lässt grüßen. Wir fuhren eine Straße entlang und bogen dann mehrmals ab. Das riesige Haus, auf das Steffen zufuhr, hatte ein großes Tor und war komplett umzäunt. Zwei Wachleute standen an dem Tor und öffneten es. Staunend schaute ich erst sie, dann die Villa an. Es strahlte in einem Blütenweis, dass es mich schon halb blendete.
Als wir durch das Tor auf die Auffahrt fuhren steuerte Steffen ein etwas kleineres Haus an, in dem Garagentore eingelassen waren. Wie viele Autos die wohl hatten, fragte ich mich im Stillen und zählte ganze vier Tore. Steffen schaltete den Motor aus und starrte schweigend aus dem Fenster. So saßen wir ein paar Minuten da bis der Himmel sich verdunkelte und die ersten Tropfen fielen.
„Das heißt ich werde gleich meine neue Familie kennenlernen?“, fragte ich, als wir durch den Eingang in eine große Halle kamen. Alles war in einem schlichten Weiß gehalten und sogar die Treppenstufen waren aus weißem Marmor. Das Treppengeländer selbst bestand aus dunklem Holz und es passte super hier rein. „Wow. Das ist aber groß.“, sagte ich und legte den Kopf in den Nacken. Ich zählte ungefähr drei Stockwerke.
„Die Anderen sind noch alle unterwegs. Nur Lukas wäre da und ich finde, dass du erst einmal ein bisschen ankommst, dich frisch machst und dein Zimmer anguckst.“ Steffen lächelte und ich bemühte mich mit einem Lächeln zu antworten. Er führte mich die Treppe hoch in den ersten Stock. Ein Halbrunder Flur in dem es genau fünf Türen gab. „Hier ist die Ebene von mir, Carola und Nik.“, dann ging er weiter die Treppe hoch wo ein länglicher Flur war. „Hier vorne links ist Malenas Zimmer und gegenüber ihr Ankleidezimmer. Die Tür geradezu ist das Badezimmer und links ist Lukas Zimmer. Die rechte Tür führt zu deinem neuen Zimmer.“ Er öffnete sie und staunend trat ich ein.
Das Zimmer war bestimmt doppelt so groß wie meins bei meiner Mutter zu Hause. Links neben der Tür standen eine Kommode und daneben ein riesiger Schrank. An der Wand neben dem Schrank stand ein Doppelbett und gegenüber von der Tür ein riesiger Schreibtisch. „Wow.“, flüsterte ich leise und drehte mich einmal herum und schaute dann meinen Vater an. „Luxus.“, sagte ich und lächelte diesmal ein echtes Lächeln.
„Ja. Gewöhnungsbedürftig.“ Er lächelte unsicher und schob den iPod auf dem Schreibtisch hin und her. Plötzlich umarmte ich ihn und musste lachen. Das war vielleicht das Beste was es geben könnte. „Dann lass ich dich mal in Ruhe auspacken. Achso. Carola hat sich übrigens die Freiheit genommen dir ein paar Kleidungsstücke zu kaufen. Wenn du noch etwas brauchst, in einer der Handtaschen ist ein Portemonnaie mit einer EC-Karte drin. Pin müsste auch darin sein.“, damit schloss er die Tür hinter sich und ich schmiss meinen abgewetzten Rucksack aufs Bett. Neugierig öffnete ich den Kleiderschrank und sah, dass sie meinen Geschmack genau getroffen hatte. Es waren mehrere darkblue und schwarze Röhrenjeans aufgestapelt. Ich entdeckte mehrere Hoodies in schwarz, dunkelblau und Pink. Eine Reihe von schwarzen Caps mit leuchtender Aufschrift waren zu sehen und zum Schluss eine riesige Masse an schwarzen T-Shirt und Tops, zwischen denen auch pink, rot, blau und grün vorblitzten. Seufzend machte ich die nächste Tür auf und erschrak heftig, dann musste ich lachen. Ein neues Abteil von Klamotten. Röcke und Kleider von Emo bis hin zu Süß. Darunter waren mehrere Fächer mit Schuhen aller Art. Die nächste Tür war leer und daneben war noch eine Tür. Neugierig öffnete ich sie und es kamen mehrere nagelneue Skatboards zum Vorschein. Mit guter Laune packte ich meine wenigen Klamotten in den Schrank und holte mir ein paar von den Neuen. Schnappte meine Waschtasche und ging ins Badezimmer. Dort stellte ich mich unter die Dusche und wusch den Reisetag von meinem Körper. Danach föhnte ich mir die Haare und stellte fest, dass es draußen in Strömen regnete. Kurz schaute ich in den Spiegel und musterte das Outfit. Die schwarze Jeans, das pinke Top unter dem schwarzen Top und meine Haare zu einem Zopf zurück gebunden. Dann ging ich zurück in mein Zimmer und warf mich auf mein Bett. Ich zog mein Handy heraus und wählte die Nummer meiner Mutter.
„Hallo?“, ging meine Mutter ran und ich musste lächeln.
„Hey Mom. Ich wollte nur Bescheid sagen, dass ich angekommen bin.“, sagte ich und drehte mich auf den Rücken.
„Ravyn! Du bist also gut angekommen.“, sagte sie freudig und ich lächelte.
„Ja. Alles super.“ Ich höre in der angespannten Stille, dass meine Mutter zu gerne wissen würde, worin ich wohnte. „Das Haus ist riesengroß. Ok. Man kann es nicht Haus nennen. Es ist ein Villa!“, platze ich heraus und höre wie meine Mutter jetzt die Luft einsog. Damit hatte sie nicht gerechnet. Und um ehrlich zu sein, ich auch nicht.
„Was? Wieso hat er dann aber nicht…“, fing sie an, wurde aber durch irgendetwas unterbrochen. Wahrscheinlich Bernd. Steffen steckte den Kopf zur Tür herein und gab mir zu verstehen, dass das Abendessen fertig war.
„Mom? Ich muss auflegen. Essen ist fertig.“, sagte ich.
„Ok mein Schatz. Wir telefonieren demnächst nochmal.“, sagte sie noch und dann war die Verbindung weg.
„Ist alles in Ordnung?“, fragte mich Steffen und trat nun ganz ins Zimmer. Ich nickte nur, nicht im Stande irgendetwas zu sagen. „Wirklich? Du siehst irgendwie recht blass aus.“
„Ich war schon immer blass, Dad.“, sagte ich vielleicht etwas zu gereizt. „Ich bin einfach nur aufgeregt.“ Entschuldigend umarmte ich ihn und er drückte mich kurz und fest an sich. Dann ließ er mich los und ich folgte ihm die Treppen nach unten. Nervös schob ich meine Hände tief in meine Hosentaschen zog sie aber gleich wieder heraus, weil es unhöflich war.
Wir gingen durch die riesen Eingangshalle und weiter in ein Wohnzimmer wo meine neue Familie zwischen Sofa und Kamin stand. Alle lächelten sie mich freundlich an. Fast alle. Das Mädchen mit den dunklen Haaren schaute mich finstern an. Nervös kaute ich auf meiner Lippe herum und schaute auf meine Hände.
„Das ist Carola mit deinem Bruder Nick.“, sagte Steffen lächelnd und die kleine, blonde Frau mit dem süßen Jungen auf dem Arm kam auf mich zu. Sie umarmte mich sanft und lächelte.
„Schön, dass du nun endlich bei uns bist.“ Ich nickte lächelnd und war dankbar, dass Steffen die Anderen vorstellte.
„Das sind Lukas und Malena.“ Das Mädchen nickte mir nur knapp zu und der Junge schaute mich lächelnd an. Seine dunklen Augen fixierten mich und ich wurde rot. Der Typ war ungefähr so alt wie ich. „Lukas und du werdet in dieselbe Klasse gehen.“, sagte Carola und legte mir einen Arm um die Taille. „Dann bist du nicht so alleine.“
„Das ist gut. Und ich freue mich hier zu sein. Ihr habt ein schönes – Haus.“, sagte ich und lächelte zum Kamin. Ich hasste es, wenn man mir so viel Aufmerksamkeit schenkte. Schließlich erlöste mich Malena von meinem Leiden, indem sie ins angerenzende Zimmer ging und sich an den gedeckten Tisch setzte. Schweigend folgte ich den Anderen und setzte mich dann neben Steffen an den Tisch. Vom Essen bekam ich kaum etwas mit, denn Carola erzählte mir von den Regeln im Haus und fragte mich dann über mein altes Leben aus. Ich konnte die Enttäuschung in ihrem Gesicht sehen, als ich ihr von meinem langweiligen Leben erzählte.
„Mich würde ja interessieren weswegen du dich so dunkel kleidest.“, sagte sie und lächelte mich neugierig an. Völlig erstarrt saß ich da und schaute auf meinen Teller. Es war eine normale Frage gewesen mit keinerlei Hintergedanken, aber trotzdem wollte ich nicht wahrhaben, dass sie diese Frage gerade gestellt hatte. Ich wollte darüber nicht reden.
„Mh. Ich mag’s halt einfach.“, brachte ich schließlich hervor und lächelte.
„Also ist das dein Style. Du hast ja sicher gesehen, dass ich dir ein paar neue Klamotten gekauft habe, ich hoffe das war in Ordnung?“, fragte sie unsicher.
„Ja, total!“, freudestrahlend lächelte ich sie an. „Die sind total cool. Danke.“
„Gut. Und da ich wusste, dass du gerne Skatest habe ich dir auch ein paar neue Skateboards gekauft. Ich hoffe sie gefallen dir.“ Sie lächelte und ich nickte nur.
„Wie kommen wir eigentlich zur Schule?“, fragte ich und schaute dann zu Steffen, der sein Besteck gerade ordentlich auf dem Teller ablegte.
„Mit der Bahn.“, antwortete Lukas. „Ich hab noch keinen Führerschein und keiner kann uns fahren.“
„Wie weit ist die Schule denn entfernt?“, fragte ich und schaute ihn nun an.
„Fünfzehn Minuten mit der Bahn. Und von da aus müssen wir auch noch mal fünfzehn Minuten zu Fuß gehen.“ Er lächelte mich schief an und ich nickte. Ich würde morgen mein Skateboard mitnehmen. Dann war ich etwas schneller.
„Hast du ein Skateboard?“, fragte ich und schob mir noch eine Gabel voll Reis in den Mund.
„Ja.“, sagte er und lachte. „Wir könnten dann ja mit dem Skateboard fahren.“
Erleichtert atmete ich auf. Dann würde ich nicht die Einzige sein, die mit dem Skateboard zur Schule kommt. Damals in Ahrensburg hatte man mich ziemlich komisch angesehen, doch meine Freunde fanden es cool und meine Mutter hatte nur ungläubig den Kopf geschüttelt.
„Ok.“, sagte ich und sah wie Malena aufstand und nach oben verschwand. Carola und Steffen zogen sich ebenfalls zurück und so blieben Lukas und ich alleine zurück.
„Wollen wir uns einen Film ansehen?“, fragte er mich und ich nickte nur. Wir schauten uns Van Helsing an, doch von dem Film bekam ich nicht viel mit, denn ich war in Gedanken schon bei morgen. Was ich anziehen sollte, welche Schultasche ich nehme sollte und vor allem wie die Anderen auf mich reagieren würden. Vor allem war ich sehr nervös.
Die Nacht verbrachte ich mit einem beunruhigenden Traum und schreckte hoch als mein Wecker klingelte. Müde fuhr ich mir durch die Haare und machte mich fertig.

2. Kapitel


Das Skateboard unter meinen Füßen fuhr über ein paar hubbelige Stellen ließ sich sonst aber gut fahren. Meine Umhängetasche drückte ein wenig an meiner Schulter und meine Kapuze drohte herunter zu wehen. Schnell zog ich sie wieder zu recht und schaute zu Lukas herüber, der gerade einen Sprung mit seinem Skateboard gemacht hatte.
„Angeber!“, rief ich lachend zu ihm herüber und er grinste zurück. Kurz vor der Schule hatten wir uns auch noch ein Battle geleistet. Ich hatte gewonnen und Lukas spielte dann den Beleidigten. Wir lachten immer noch, als wir das Schulgebäude betraten und zu meiner neuen Klasse gingen. Vor der Tür verstummte mein Lachen und ich schnappte leicht nach Luft.
„Keine Angst. Ich beschütz dich.“, sagte Lukas und zwinkerte mir zu. Doch ich nickte nur und atmete einmal tief durch. Lukas öffnete die Tür zum Klassenzimmer und erleichtert atmete ich auf. Er war noch nicht mal zur Hälfte mit Schülern gefüllt. Trotzdem starrten mich die anderen Schüler an und ich wurde rot. Da keiner wusste wo ein Platz frei war, musste ich warten, bis der Unterricht begann. Bis dahin stellte mich Lukas seinen Freunden vor unter denen ein Mädchen war das Marie hieß. Sie war ein ganzes Stück kleiner als ich, was aber ebenso dunkel gekleidet. Sie war mir von Anfang an sehr sympathisch und ich hatte das Gefühl, dass sie und ich sehr gute Freundinnen werden würden.
„Ah, Ravyn.“, sagte die Lehrerin lächelnd und legte ihre Tasche auf den Tisch.
„Ray.“, korrigierte ich sie und lächelte unsicher.
„Natürlich. Nun, magst du dich vielleicht vorstellen?“, fragte sie und schaute an mir herab. Meine dunklen Klamotten und vor allem mein Skateboard.
„Ähm“, sagte ich und schaute sie ängstlich an. Sie nickte mir lächelnd zu und setzte sich dann an ihren Platz. Vorsichtig drehte ich mich zur Klasse um und bemerkte, dass mich 27 Augenpaare anstarrten. Was sollte ich denn jetzt sagen? „Ich bin Ray.“, sagte ich deshalb nur und schaute zur Lehrerin.
„Die Anderen können sich auch vorstellen und dann kann sich Ray ja neben Darian setzen.“ Damit schaute sie wieder auf den Berg von Zetteln vor sich und überließ das der Klasse. Nacheinander stellten die sich mit Namen vor und ihre Hobbys.
Der Junge namens John hatte die blöde Frage gestellt, ob ich skate.
„Ja.“, sagte ich nur und hielt mein Board hoch. Dann schlängelte ich mich durch die Reihen und setzte mich neben einen Jungen, den ich nicht wirklich wahrgenommen hatte. Erst, als er seinen Namen sagte. Das war aber auch schon alles.
Jetzt schaute ich ihn mir genauer an. Seine grünen Augen waren starr aus dem Fenster gerichtet und seine dunkelblonden Haare waren zu einem sorgfältigen Iro auf gestylte. Als er mich schließlich anschaute, weil ich den Stuhl zurück zog und er laut über den Boden quietschte, waren seine Augen voller Traurigkeit und Wut.
Erschrocken zuckte ich zurück und wandte den Blick auf die Tischplatte und sortierte meine Bücher ordentlich. Vielleicht hatte er ja schlechte Laune. Seufzend versuchte ich mich auf den Unterricht zu konzentrieren, nur um fest zu stellen, dass ich das meiste schon durch-genommen hatte. Trotzdem schrieb ich sorgfältig mit und ignorierte Darian neben mir. Dieser hatte den Kopf leicht geneigt und trommelte mit seinen Fußspitzen auf dem Boden, sodass es ein nervöses Geräusch ergab. Pat-PatPatPat-Pat-Pat. Gereizt schaute ich ihn an.
„Wärst du so freundlich und könntest du vielleicht ein bisschen leiser den Boden verhauen? Ich wollte mich auf den Unterricht konzentrieren.“, zischte ich leise und schaute wieder nach Vorne. Darian schwieg weiter, hörte aber auf mit diesen nervösen Zuckungen. Etwas beruhigter konnte ich dem Unterricht folgen, aber dennoch zuckte mein Blick immer wieder zu ihm herüber. Als es schließlich klingelte, stand ich auf und huschte an Lukas Seite.
„Meine Güte. Was hat Darian denn mit dir gemacht?“, fragte er lachend und legte ein Arm um meine Schultern.
„Wahrscheinlich war es seine bloße Anwesenheit, oder?“ Ein Mädchen mit dunkelbraunen Haaren lief auf meiner anderen Seite und lächelte. „Als ich neben ihm saß, weiß ich, dass er niemals auch nur ein Wort zu mir gesagt hatte.“ Ich nickte unbestimmt und schaute mich um.
„Was haben wir als nächstes?“, fragte ich und schaute dann zu Lukas.
„Biologie. Glaub mir, diese Frau wirst du hassen.“, sagte das Mädchen, dessen Namen mir nicht einfallen wollte.
„Sie ist ein kleiner Giftzwerg.“, sagte Lukas leise und drehte sich suchend herum. Lachend schaute ich die Beiden an und fühlte mich ein bisschen besser als noch heute Morgen. Der Biologieunterricht war gar nicht so schlimm, weil unsere Lehrerin überraschend krank geworden war und wir deswegen eine Freistunde hatten. So saßen wir in einer großen Masse in der Mensa von der Schule und unterhielten uns. Zumindest unterhielten sich die Anderen, denn ich schaute zu und hörte nur ab und zu mal hin. Erst als Lukas und ein paar weitere mich anschauten, wusste ich, dass ich etwas verpasst hatte.
„Was?“, fragte ich deswegen und beugte mich vor.
„Wir hatten vorgehabt am Wochenende bei John ein kleines Sit-in zu veranstalten. Hast du Lust zu erscheinen, mit Lukas zusammen?“, fragte mich ein Junge mit dunkelblonden Haaren. Ich schaute zu Lukas der mir zuzwinkerte und unter dem Tisch, den Daumen in die Höhe hielt.
„Ja, klar. Gerne.“, sagte ich deswegen und lehnte mich wieder zurück. Wie ich dahin kommen würde, war klar. Lukas und ich würden mit der Bahn fahren und zur Not könnte ich uns auch fahren.
„Wie wollt ihr denn kommen?“, fragte mich der gleiche Junge wieder und ich schaute zu Lukas, der zu einer Antwort ansetzte.
„Wir fahren mit dem Auto.“ Ich kam ihm zuvor und warf einen kurzen Blick zu ihm. Er hatte die Augenbraue hochgezogen und starrte mich an.
„Weder meine Mutter noch dein Vater werden einverstanden damit sein, dass sie uns dahin fahren sollen.“, sagte er und einige nickten.
„Ich hab ja auch nicht davon gesprochen, dass sie uns fahren müssen. Ich kann auch schon Autofahren, also mach dir keine Gedanken. Wir bräuchten nur ein Auto.“ Ich hatte gar nicht überlegt, was ich eben gesagt hatte, erst jetzt ging ich es nochmal durch. Doch da war es schon zu spät, denn ich wurde mit Fragen durchlöchert.

Der restliche Schultag verlief ganz entspannend und als Lukas und ich aus der Schule traten und ich mich auf mein Skatboard stellte, genoss ich das Gefühl der Freiheit. Wind wehte mir meine Haare nach hinten und ich drehte mich zu Lukas um, der sich noch mit John unterhielt. Beide schauten jetzt zu mir herüber.
„Kannst du gut fahren?“, fragte John und kam auf mich zu.
„Klar.“, sagte ich und zog meine Augenbrauen hoch. Aus dem Augenwinkelt sah ich, dass weiter Schüler in unsere Richtung starrten.
„Zeig mal ein paar Tricks.“, forderte er mich auf und verschränkte die Arme vor dem Brustkorb. Lukas schüttelte hinter ihm leicht mit dem Kopf und lachte.
„Sie hat mich heute Morgen schon geschlagen, dann wird sie das auch locker bei dir schaffen.“ Lukas boxte John gegen die Schulter, doch dieser schüttelte ihn ab und wich ein paar Schritte weg.
„Zeig.“, sagte er und lächelte mich an. Vielleicht sollte es süß aussehen, aber er sah ungefähr so aus, wie ein Baby das in die Windel drückte. Lächelnd fuhr ich los und gewann an Geschwindigkeit. Schließlich kam ich an die Treppe und an dessen Geländer, an dem einige Schüler lehnten. Als ich auf die Stange sprang machten sie kreischend Platz. Dann machte ich noch ein paar andere Tricks, bis ich plötzlich über ein Steinchen fuhr und mein Skatboard stehen blieb. Dieser abrupte Halt nahm mir mein Gleichgewicht, sodass ich vorne über kippte. Ich sah schon das Moos zwischen den Steinen, als ein Arm sich um meine Taille schlang und mich zurück zog. Die Luft entwich mit einem lauten Zischen meiner Lunge und kleine Sterne tanzten vor meinen Augen.
„Ravyn!“ Lukas und John und rasten auf mich zu. Na super. Doch ich war viel zu sehr damit beschäftigt zu erkennen, wer mich vor diesem üblen Sturz gerettet hatte. Als ich wieder sicher stehen konnte, sah ich Darian der mich besorgt musterte. Ausgerechnet er hatte mich aufgefangen. Wieso das? John und Lukas erreichten uns und ignorierten Darian völlig. Es schien, als beruhte diese Ignoranz auf Gegenseitigkeit.
„Alles in Ordnung. Darian hat mich zum Glück rechtzeitig aufgefangen. Danke.“, sagte ich ernst und schaute ihm in die grünen Augen. Er nickte kurz und machte sich dann auf zu einem der wartenden Busse. Entgeistert starrte ich ihm nach. Einfach ohne ein Wort zu sagen, machte er sich davon. Anscheinend hatte er einen wirklich richtig schlechten Tag.
„Keine Bange. Der verhält sich immer so komisch. Was mich aber wundert ist, dass er dir überhaupt geholfen hat.“, sagte John und zuckte die Schultern. „Jedenfalls sollten wir alle mal zur Pipe fahren. Wird sicher lustig.“, er winkte und ging lächelnd davon.
„Na los komm. Wir sollten jetzt auch nach Hause.“, Lukas zog mich am Arm und ich folgte im widerwillig. Irgendwie kam mir Darian komisch vor. Fast so, als wollte er irgendetwas vor den anderen verbergen.

3. Kapitel


Nachdem ich zusammen mit Lukas meine erste Schulwoche hinter mich gebracht hatte, freute ich mich auf das Wochenende. Wir saßen gerade zusammen in der Bahn auf den Weg nach Hause, als Lukas aus dem Fenster zeigte.
„Guck mal. Wenn du willst, dann können wir ja mal in die Stadt ein bisschen shoppen gehen.“ Er lächelte und klopfte mit dem Zeigefinger gegen die Scheibe.
„Können wir ja gerne mal machen.“, sagte ich und lächelte zurück. Eigentlich war ich nicht der Typ zum shoppen gehen. Normalerweise bestellte ich einfach über Internet, weil es die meisten Klamotten die ich trug nie in Läden bekam.
„Sag mal wieso guck Darian dich eigentlich immer so komisch an?“, fragte mich Lukas und ich zuckte unwillkürlich zusammen. Also war ihm das auch nicht entgangen.
Darian hatte mich den Rest der Woche immer wieder mit Blicken angeschaut, die mir kalte Schauer über den Rücken laufen ließen. Doch diese Blicke waren nicht wütend oder hasserfüllt so wie der erste den er mir an meinem ersten Tag zugeworfen hatte. Nein, es waren mehr Blicke die mir zeigten, dass er sich über etwas Sorgen machte. Etwas, dass mit mir zu tun hatte.
„Ich glaub ich ruf nachher meine Mutter an und horch mal, wie es ihr so geht.“, sagte ich in unser Schweigen hinein und Lukas nickte. Er hatte seinen Vater nie kennen gelernt, aber ihn schien das nicht zu stören. Er war lieber bei seiner Mutter. Malena dagegen bemühte sich wirklich sehr darum, zu erfahren wer ihr Vater ist. Sie wollte ihn kennenlernen, aber vor allem machte sie sich selbst verrückt, seitdem ich aufgetaucht war.
Wir waren uns die ganze Zeit aus dem Weg gegangen und hatten kein Wort miteinander gewechselt, doch ich spürte ihre Abneigung mir gegenüber. Etwas Unbeschreibliches, denn ich konnte nicht verstehen, weshalb sie mich so ablehnte. Steffen und Carola schauten mich jedes Mal, wenn Malena einen gemeinen Kommentar abgab, traurig an und ließen die Schultern hängen. Sie schämten sich dafür, dass Malena mich so behandelte. Doch vor allem war es Steffen den es sehr hart traf. Immerhin war ich seine Tochter und ich merkte, dass er mich wirklich sehr lieb hatte.
Lukas und ich schwiegen auch weiter hin, bis wir zusammen auf die Auffahrt skateten und abstiegen. Er hielt mir die Tür auf und ich schlüpfte hinein. Gerade wollte ich die Treppe hoch gehen, als ich eine Geige spielen hörte. Erstaunt erstarrte ich auf der ersten Treppenstufe und lauschte.
„Das ist Carola. Sie spielt leidenschaftlich gerne Geige. Willst du es mal sehen?“, fragte Lukas und winkte mich durch die Halle zu einer Tür, die ich bis jetzt nur verschlossen gesehen hatte. Zögernd folgte ich ihm und trat dann hinter ihm durch die Tür. Der Raum war genauso groß, wie ich erwartet hatte. In einer Ecke standen ein Schlagzeug und ein elektrisches Schlagzeug. Erstaunt hob ich meine Augenbraue und schaute mich weiter um.
Carola stand in der Mitte des Raumes und setzte gerade ihre Geige ab. Sie lächelte mich an und kam auf mich zu.
„Spielst du auch ein Instrument?“, fragte sie mich und schob mich in die Mitte, sodass ich auf ihre Noten gucken konnte. Es waren überraschender Weise die Noten von meinem Lieblingslied.
„Ja. Nicht besonders gut, aber ich kann ein bisschen was.“, sagte ich lächelnd und ging, noch immer leicht zögerlich, auf das glänzende schwarze Klavier zu. „Darf ich?“ Carola nickte mir zu und legte ihre Geige in den Geigenkasten
„Brauchst du Noten?“, fragte sie mich und drehte sich zu mir herum. Ich schüttelte den Kopf und schaute auf die Elfenbeintasten. Nein, ich hatte nur zum Anfang Noten gebraucht. Wenn ich das Stück einmal spielen konnte, dann konnte ich die Noten meistens auswendig. Ich überlegte, welches Stück ich spielen sollte und entschied mich, das Stück, was Carola auch gerade gespielt hatte zu spielen.
Als ich die Tasten herunter drückte und den leichten Widerstand spürte musste ich lächeln. Jedes Mal wenn ich spielte, erfüllte es mich mit Freude und ich versank in eine Art Trance. Dort gab es nur mich, die Tasten und die Musik.
Als ich schließlich geendet hatte, schaute ich mit leicht geröteten Wangen und einem breiten Grinsen im Gesicht auf. Dort standen nun mehrere Personen.
Carola und Lukas, Malena mit einem Mädchen, das ich nicht kannte. Steffen mit Nick auf dem Arm und einem Jungen, mit schwarzen Haaren und leuchtend blauen Augen. Alle klatschten sie und ich verbeugte mich lächelnd.
„Wir müssen das unbedingt mal zusammen spielen, wenn ich es endgültig gelernt habe.“, sagte Carola und strahlte noch mehr als ich. Steffen nickte anerkennend und umarmte mich mit einem freien Arm. Lukas und der Schwarzhaarige schauten mich nur stumm an.
„Ihr guck wie zwei Autos.“, sagte ich und lachte. Die Beiden schauten sich kurz an und fingen dann ebenfalls an zu lachen.
„Mein Gott ihr tut ja gerade so, als wäre sie die Beste Klavierspielerin der Welt.“ Malena verdrehte die Augen und schaute mich schließlich an.
„Naja. Wahrscheinlich. Denn Klavierspieler gibt’s nicht.“, sagte ich und lächelte. „Es gibt nur Pianisten.“, damit winkte ich ihr süß (und vielleicht auch etwas arrogant) zu und ging die Treppe rauf in mein Zimmer. Dort schmiss ich mich zusammen mit meinem Laptop auf mein Bett und loggte mich bei meinem E-Mail Account ein.
Schnell überflog ich meine E-Mails und löschte die Werbung. So blieben nur zwei Nachrichten über.
Ich öffnete die Erste. Sie war von meiner Mutter.
»Ravyn«, schrieb sie. » Ich hätte zu gerne mit dir Telefoniert, aber in letzter Zeit scheinen unsere elektrischen Geräte der Ausfassung zu sein, dass sie lieber streiken. Ich hoffe deine erste Schulwoche war relativ Erträglich. Wenn nicht, dann weißt du ja, dass du gerne auch wieder zurück kommen kannst. Wie ist das Wetter bei euch? Worin lebst du jetzt eigentlich? Kommst du mit den Leuten aus deiner neuen Klasse zurecht?
Schreib mir.
In Liebe, Mom. «


Ich blinzelte kurz die Tränen aus meinen Augen und schaute dann auf die Tasten. Was sollte ich denn schreiben?
Kurz zögerte ich, bevor ich auf die Tastatur meines neuen Laptops einhämmerte. Man konnte es wirklich hämmern nennen, denn meine Finger zitterten so heftig, dass ich keine Taste richtig traf. Zumindest nicht ohne richtig drauf zu hauen.
» Hey Mom. Ja, mir geht es hier wirklich Super. In der Schule komme ich mit den Leuten auch sehr gut klar. Ich bin dieses Wochenende sogar schon zu einer kleinen Zusammenkunft eingeladen. Das Wetter hält sich eigentlich recht gut. Es regnet nicht, aber die Sonne scheint auch nicht. Vielleicht nur ab und zu mal, doch das stört mich nicht weiter.
Ob du es mir glauben wirst oder nicht, aber ich wohne in einem riesigen Haus. Man könnte es eigentlich auch gleich Villa nennen, so groß ist es hier. Steffen hat eine Freundin und dazu zwei Kinder, die so ungefähr in meinem Alter sind. Und einen kleinen Bruder habe ich auch, er heißt Nick und ist der Einzige von den Kindern, der seinen Vater kennt (mich mal ausgenommen). «


Ein paar Minuten starrte ich noch auf die Tasten und grübelte darüber, was ich noch schreiben könnte. Aber dann entschied ich mich einfach zu Enden und meiner Mutter noch zu schreiben, dass ich sie lieb hatte. Als ich die E-Mail gesendet hatte, schaute ich auf den Absender der anderen E-Mail. Doch die Adresse war Unbekannt und ich klickte auf die Nachricht. Im nächsten Moment durchzuckte mich der Gedanke, dass das auch ein Virus sein könnte, doch als ich nach dem Antivirenprogramm schaute, sah ich, dass keine Bedrohung vorlag. Dann wandte ich mich wieder der Nachricht zu und erstarrte. Es war nur ein kurzer Text. Naja, man konnte es nicht Text nennen. Es waren vielleicht ein oder zwei Sätze.
» Das Böse ist erwacht und ruft nach dir. Kannst du widerstehen? «


Für einen Moment saß ich da und starrte die beiden Sätze an. Las sie mir immer und immer wieder durch. Das war doch sicher ein Scherz gewesen, oder?
Irgendwer hatte meine E-Mailadresse und erlaubte sich ein Scherz mit mir. Automatisch schaute ich auf das Datum, wann es geschickt wurde. Erschrocken stellte ich fest, dass sie an dem Tag gesendet wurde, wo ich meinen ersten Schultag hier hatte.
Jemand klopfte gegen meine Tür und ich zuckte zusammen. „Ja?“ Lukas steckte den Kopf herein und grinste. Doch sein Grinsen verblasste, als er meinen Gesichtsausdruck sah.
„Alles in Ordnung?“, fragte er und setzte sich auf den Rand meines Bettes.
„Klar.“, sagte ich und lächelte. Doch in seinem Gesicht sah ich, dass ich ihn nicht wirklich überzeugt hatte. „Ist wirklich so. Mir geht es gut. Ich hab mir nur Sorgen um meine kleine Schwester gemacht, weil sie krank ist. Hat ganz schrecklich hohes Fieber.“, sagte ich und krümmte mich innerlich. Jetzt lügte ich ihn auch noch an.
„Achso.“, sagte er und spielte mit dem Zipfel meiner Bettdecke. „Ich wollte dich fragen, ob du Lust hast mit mir und Chris einen Film zu gucken?“
„Gerne.“, sagte ich und schaltete den Laptop aus. „Bin sofort da.“ Damit ging Lukas und ich sprang zu meinem Kleiderschrank. Ich zog die erste Tür auf und schlüpfte in eine bequeme schwarze Hose und zog einen schwarzen Hoody mit lila Sternen drauf an. Dann ging ich rüber in zu Lukas Zimmer und trat ein. Erschrocken stellte ich fest, dass die Rollos unten waren und nur der Fernseher Licht spendete.
„Gruselig?“, fragte mich der Junge mit den schwarzen Haaren, der wohl Chris war. Ich zuckte die Schultern und bahnte mir einen Weg zu der kleinen Couch, auf der noch niemand saß. Dabei blieb ich an irgendetwas hängen und viel fast hin, als mich jemand am Arm festhielt.
„Huch.“, gab ich von mir und schaute zu Chris auf. Seine blauen Augen schauten mich belustigt an und ich rappelte mich wieder ordentlich auf. Dann setzte ich mich schnell auf die Couch. „Danke.“, sagte ich und war auf einmal froh, dass es hier so dunkel war. Sicher war ich so rot wie eine Tomate im Gesicht.
„Kein Problem.“, Chris setzte sich wieder auf den Boden und lehnte sich gegen die Couch.
„Gehst du auf unsere Schule?“, fragte ich und starrte auf den Fernseher.
„Nein. Ich hab meinen Realschulabschluss gemacht und mach nun eine Ausbildung bei…“, doch weiter kam er nicht, denn irgendetwas hatte ihm wohl weh getan. „Aua.“, sagte er und rieb sich den Hinterkopf. „Man, Lukas. Was sollte das denn?“
Lukas lümmelte sich grinsend neben mich auf das Sofa und zuckte die Schultern. „Du solltest auf den Film aufpassen und nicht die ganze Zeit sabbeln.“
Damit blieb Chris ruhig und wir alle versanken in dem Film.
Doch irgendwann wurde er mir wirklich zu heftig und ich zog die Knie an und schlang die Arme darum. Jede einzelne Explosion die dort über den Fernseher flimmerte ließ mich zusammen zucken. Mir entrang sich ein seufzen als Lukas den Film ausmachte und einen anderen Film einlegte.
„Was, noch einen?“, fragte ich erstaunt und streckte mich. Meine Schulter gab ein leises, hässliches Knacken von sich und Chris schaute mich an.
„Kannst du schon nicht mehr?“, zog er mich grinsend auf und ich streckte ihm wie eine Zweijährige die Zunge heraus und setzte mich wieder gemütlich hin.
„Ich kann wetten länger wach bleiben als ihr.“, sagte ich schmunzelnd und sah zum Fernseher. Lukas lachte nur und setzte sich wieder neben mich.
„Wetten nicht?“, sagte er leise und grinste mich an. Ich gab ein schnippisches Geräusch von mir und schwieg den Rest des Abends. Erst als der Film, der wirklich Harmlos im Gegensatz zu dem davor war, zu Ende war und sich niemand regte, sah ich, dass die Beiden eingeschlafen waren. Leise lachend ging ich aus Lukas Zimmer und ging selber Schlafen.
Diese Nacht schlief ich nicht ganz so gut wie ich gehofft hatte. Mich verfolgte immer noch die Mail die ich bekommen hatte und der Film der noch immer in meinen Knochen lauerte. Der Wald in dem ich stand, war neblig und düster, sodass ich eine Gänsehaut am ganzen Körper bekam. Leise fielen Schneeflocken vom Himmel und ließen sich nieder auf dem Waldboden und den Pflanzen. Als ich meine Hand ausstreckte und sich darauf die Schneeflocken sammelten musste ich lächeln. Der Winter war zwar immer kalt, aber dennoch liebte ich seine glitzernde Schönheit.
Ein Knacken hinter mir ließ mich herum fahren. „Wer ist da?“
Leise schlich eine schattenhafte Gestalt um die Bäume herum und musterte mich mit glühenden Augen. Mit leisen Schritten kam sie auf mich zu und blieb stehen, sodass der Mond in das Gesicht mit den glühenden Augen strahlte. Erstaunt stellte ich fest, dass es Darian war. Der Junge mit dem ich in eine Klasse ging, der Junge der mich nicht leiden konnte und mich trotzdem vor einem Sturz bewahrt hatte.
„Die Finsternis holt dich bald.“, sagte er mit einer leisen angenehmen Stimme.
„Was redest du da?“, fragte ich verwirrt und trat einen Schritt zurück.
„Ich bin die Finsternis. Und ich werde dich holen. Aber vorher, wirst du es mir erlauben.“, sagte er und schaute mich bedrohlich an. Unwillkürlich zuckte ich zusammen und wich noch weiter zurück.
„Rede keinen Müll!“, rief ich und prallte mit dem Rücken gegen einen Baumstamm. „Außerdem ist das alles hier nur ein Traum. Verschwinde!“, zischte ich und drehte mich herum und rannte durch den Wald. Durch die Sträucher und an Bäumen vorbei. Hinter mir vernahm ich ein Lachen, so laut, dass es mir in den Ohren weh tat.
„Du kannst dich nicht verstecken. Ich werde dich finden.“, rief er mir noch hinterher und in dem Moment, blieb ich mit meinem Fuß an einer Baumwurzel hängen. Ängstlich vor den Schmerzen des Aufpralls kniff ich die Augen zusammen. Doch ich fiel nicht auf den harten, gefrorenen Waldboden sondern ich landete auf meinem Bett.
Verwirrt schlug ich meine Augen auf und starrte an die weiße Decke. Es war wirklich nur ein Traum gewesen. Nichts weiter als ein Traum.
„Ravyn?“, Lukas Stimme drang von meiner Tür her.
„Ja?“, rief ich zurück und setzte mich auf. Schnell versuchte ich meine Haare zu ordnen, aber es war total sinnlos. Nach so einer Nacht waren meine Haare der reinste Heuhaufen und ich musste unbedingt duschen. Lukas kam herein und zog die Vorhänge beiseite, sodass das helle Sonnenlicht herein kam und ich die Augen zusammen kneifen musste. „He!“, rief ich und zog die Decke hoch.
„Aufstehen. Es ist schon nach drei. Wir sollten uns langsam fertig machen und los fahren damit wir rechtzeitig bei John sind.“, er lächelte mir zu und ich stand auf. Gähnend stieg ich unter die Dusche und wusch mir den Traum von Körper. Danach zog ich mir eine schwarze Jeans an und ein blaues glitzer Tanktop. Ich zog eine schwarze Sweatshirtjacke drüber und lief zu Lukas ins Zimmer. Der stand gerade nur in einer schwarzen Jeans vor seinem Schrank und überlegte, was er anziehen sollte.
„Ups.“, sagte ich und starrte seinen Rücken an. Lukas drehte sich herum und ich erhaschte einen Blick auf seine muskulöse Brust. „Ich warte unten.“, sagte ich und huschte wieder raus.
Unten hörte ich Steffen in der Küche hantieren und beschloss zu ihm zu gehen. Die ganze Woche hatten wir uns kaum gesehen und nun sehnte ich mich danach mal mit jemand vernünftiges zu reden.
„Guten Morgen.“, sagte ich lächelnd und hüpfte auf die Anrichte. Erstaunt schaute Steffen mich an und lächelte dann.
„Na du Schlafmütze. Schläfst du immer so lange?“, fragte er und hielt mir ein Glas mit Cola hin. Dankbar nahm ich es und klaute ihm ein Toast welches er sich gerade geschmiert hatte. „Guten Appetit.“
„Danke.“, nuschelte ich mit vollem Mund und nahm ein Schluck von meiner Cola.
„Du hast dich heute so schick angezogen. Wo geht’s denn hin?“, fragte er mich und lehnte sich gegen die Anrichte. Einen kurzen Augenblick überlegte ich, ob ich ihn belügen sollte, aber er war nicht meine Mutter und auch nicht mein Stiefvater. Ihm konnte ich ruhig die Wahrheit erzählen.
„Wir fahren zu John. Dort ist ein kleines Treffen und ich bin eingeladen. Zusammen mit Lukas.“, sagte ich noch schnell, damit er nicht dachte, dass ich da alleine hinging. Was ich ja auch nicht tat. Genau in diesem Augenblick kam Lukas die Treppe runter und fuhr sich, als er mich sah, verlegen durchs Haar. Dann öffnete er den Kühlschrank und nahm sich eine Flasche Limo.
„Bist du auch erst gerade aufgestanden?“, fragte Steffen und schaute von Lukas zu mir.
„Nein. Ich bin schon länger wach, aber nur, da Chris heute schon früh los musste.“, sagte er und nahm einen Schluck aus der Flasche. „Achso. Chris kommt heute auch. Er fährt uns rum.“, sagte Lukas zu mir gewandt und schaute dann zu Steffen. „Wann sollen wir dann wieder zu Hause sein?“
Steffen aß sein Toast auf und strich sich die Krümel von den Fingern. Dann schluckte er runter und trank dann noch seinen Becher Kaffee aus. Um ehrlich zu sein, ließ er sich ganz schon viel Zeit, sodass ich ungeduldig mit den Hacken gegen die Schublade trommelte. Meine Geduld war schon immer spärlich gewesen, aber trotzdem hatte ich es geschafft es zu vertuschen.
„Also. Es wäre mir recht, wenn ihr um elf wieder zu Hause wärt. Weil die Bahn fährt um Mitternacht nicht mehr. Und abholen kann ich euch heute nicht. Carola und ich sind auf einem Geburtstag und deswegen nicht zu Hause.“, er lächelte und war im Begriff die Küche zu verlassen, als ich von den Anrichte sprang.
„Chris kann uns doch auch sicher wieder zurück fahren.“, sagte ich schnell und schaute dabei zu Lukas. Seine dunklen Augen brannten sich in meine und ich strich mir nervös mein Haar hinters Ohr. Ein Schritt trennte mich noch von Lukas, als Steffen sich laut räusperte und ich zurück schreckte.
„Dann los mit euch.“, er schaute Lukas streng an und drückte mich kurz mit einem Arm an sich. Mit einem letzten, prüfenden Blick zu Lukas verschwand er durch die Tür und ließ uns beide in der Küche stehen.
„Ähm, naja. Wollen wir dann los?“, fragte ich und schaute meinem Vater nach. Lukas nickte und ging voran aus der Tür. Draußen stiegen wir auf die Skateboards um den Bus noch rechtzeitig zu erwischen. Unterwegs schwiegen wir uns gegenseitig an und fuhren einfach nur durch die Straßen. Der Asphalt war super zum fahren und die Bäume die an uns vorbei zogen blühten noch in ihrer grünen Pracht. Nur ab und zu sah man vereinzelt Blätter die langsam anfingen leicht gelblich zu werden und drohten vom Baum gefegt zu werden.
Der kühle Wind ging mir unter meine Sweatshirtjacke, deshalb zog ich meine Kapuze über den Kopf und legte einen Zahn zu. Beim Bus angekommen kauften wir uns ein Ticket und suchten uns im hinteren Teil der Busses einen Platz.
Ganz hinten saßen ein paar Jungs aus unserer Schule die Lautstark herumalberten und irgendwelche Leute anpöbelten die im Bus saßen. Während Lukas aus dem Fenster starrte hörte ich den Jungs zu und machte mich insgeheim über die lustig. Ihre Wortwahl war sehr dürftig und zu dem noch unter allem Niveau.
Nachdem wir ausgestiegen waren hatten die Typen auch einen Spruch zu uns abgelassen, doch Lukas und ich ignorierten das und schauten sie nicht einmal an. Wütend sprangen sie auf und folgten uns nach draußen. Etwas, was ich von ihnen nicht erwartet hätte. Anscheinend fanden sie es nicht so witzig wenn man nicht darauf einging.
„Ey, hört mal zu Ihr Luschen! Ihr seid solche Witzfiguren. Denkt ihr haltet euch für etwas Besseres und ignoriert uns.“, wütend packte mich einer der Jungs am Oberarm und riss mich herum. Dabei ließ ich mein Skateboard vor Schreck fallen und meine Tasche rutschte von der Schulter. Völlig überrascht von seiner Handgreiflichkeit fiel mir kein passender Spruch ein den ich ihm hätte an den Kopf werfen können. „Na, doch nicht so cool wie du tust, hm?“
„Wenn du meinst. Und jetzt: Pfoten weg!“, sagte ich leise und schaute ihm in die Augen. Hoffte, dass er es bleiben ließ, doch er drückte noch fester zu und ich biss die Zähne zusammen. Mit aller Kraft presste ich sie zusammen und unterdrückte den Schmerz in meinem Arm.
„Was ist mit dir denn? Fällt dir kein kluger Spruch ein? Wie erbärmlich und du bist auf dem Gymnasium. Idioten!“, er rotzte auf den Boden und ließ mich weiterhin nicht los.
„Hast du sie nicht gehört? Du sollst sie in Ruhe lassen.“, Lukas hatte sich neben ihm aufgebaut und versuchte nun den Griff zu lockern. Erfolglos.
„Schwächling.“, der Typ der mich festhielt sprach in einem Akzent der mir bekannt vorkam. Es fiel mir nur nicht ein aus welchem Land dieser Akzent stammte. „Die Kleine hier wird uns jetzt nett zu dieser Kneipe begleiten und für unsere Belustigung da sein. Auf den Boden mit ihm.“, sagte er zu seinen Kumpels und zerrte mich zu dem Pub dessen Neonleuchten schon beträchtlich flackerten. Kurz bevor ich nach Hilfe schreien konnte, schlug einer der Typen Lukas hart ins Gesicht, worauf er in die Knie ging und noch einen Tritt in den Magen bekam. Doch etwas was mich am Schreien hinderte, war die Person die aufgetaucht war.
„Finger weg.“, knurrte diese leise, sanfte Stimme und mit einem Mal ließ mich der Typ los. Schützend versteckte ich mich hinter der Person und erhaschte ein paar letzte Blicke des Typens der nun ins Pub davon eilte. Seine Freunde folgtem ihm ebenfalls und ich kniete mich neben Lukas der noch immer hustend am Boden lag.
„Geht’s dir gut?“, fragte mich Darian nun und kurz schaute ich hoch.
„Geht schon“, murmelte ich leise und beugte mich zu Lukas hinunter. „Hey Luk? Alles in Ordnung bei dir?“ Er hustete noch einmal und fuhr sich mit dem Finger über die gesprungene, mittlerweile angeschwollene Lippe.
„Nächstes Mal nehm ich nen Schlagring mit.“, krächzte er leise und kam mit Darians Hilfe auf die Beine. Zusammen schafften wir es noch zur U-Bahn und stiegen schließlich zu dritt ein. Während ich Lukas eine Flasche Wasser gab und er gierig trank, sah ich, dass Darian aus dem Fenster starrte. Seine Mine verriet nicht woran er gerade dachte und doch hatte er einen leicht bitteren Zug um seine Mundwinkel.
„Darian?“, kurz stockte ich, als er sich zu mir wandte. „Danke, dass du uns geholfen hast.“
Er nickte nur und wandte sich dann an Lukas.
„Wieder in Ordnung?“, fragte er kurz und als Lukas nickte, huschte ein kurzes Lächeln über sein Gesicht. Doch es verschwand genauso schnell wie es gekommen war. „Wo hin wollt ihr eigentlich?“
„Zu einem Freund. Er macht ein Sit-In und wir sind eingeladen. Willst du auch mit?“ Die Frage rutschte mir einfach so spontan heraus. Einen kurzen Augenblick starrten mich beide an. „Naja, als Danke schön, dass du uns heute Abend so … geholfen hast?“ Unsicher kaute ich auf meinen Lippen herum und betrachtete meine Schuhspitzen.
„Ich weiß nicht ob das so gut ist. John wird sicher nicht davon begeistert sein.“, Darian schaute auf den Bildschirm der über einem der Sitzbänke hing und erhob sich. „Ihr müsst hier raus.“
„Komm schon. Wird sicher lustig.“ Lukas erhob sich und bedeutete Darian, dass er uns folgen sollte. Zögernd trottete er hinter uns her während Lukas auf sein Skateboard stieg. Gerade als ich es ihm nachtun wollte, wurde mir das Skateboard aus der Hand genommen.
„He!“, gab ich protestierend von mir und schaute die Hände an. Darians Gesicht lächelte kurz und fuhr los. Ein Gefühl der Verwunderung machte sich in mir breit, als ich sah wie Darian mit dem Skateboard fuhr.
„Deine Moves sind Weltklasse! Wo hast du die gelernt?“, Lukas war ein paar Runden gedreht und hatte dabei wohl zugesehen. Darian zuckte nur die Schultern und gab mir mein Skateboard wieder.
„Lange Jahre des Übens und da wo ich herkomme, da haben sie alle geübt. Es ist also nichts Unnormales.“ Kurz verzog er den Mund, dann lächelte er und sah zu dem Skateboard hin. „Ist ein gutes Skateboard. Besser als die günstigen Dinger aus einem billigen Geschäft.“
Nickend nahm ich es hin und zusammen machten wir uns auf den Fußweg zu Johns Haus. Es war einer der alten Villen hier in Schwedt und man sah schon von außen, dass es sehr alt war. Schon ging die große weiße Tür auf und John stand breit grinsend dort. Man sah ihm an, dass er schon einiges an Alkohol getrunken hatte.
„Wie ich seh‘ habt ihr noch jemanden mitgebracht.“, lallte er unverständlich und winkte uns herein. „Komm rin.“ Lächelnd trat ich durch die Tür und mir kam eine Wolke von Rauch entgegen. Rauch gemischt mit Männerdeo und irgendeinem anderen Duft.
„Ist das Haschisch?“ Darians Körper war angespannt, das konnte ich jetzt sehr gut erkennen, denn er hatte seine Lederjacke ausgezogen und stand nun direkt neben mir. „Ihr habt sie doch nicht mehr alle. Was ist wenn deine Eltern wieder nach Hause kommen?“
John lachte nur und lallte irgendetwas unverständliches das nach einer Beleidung klang. Sicher war ich mir auf jeden Fall in einer Sache, dieser Abend wir der reinste Horror werden, wenn alle so zugedröhnt sind wie John.
„Haut der sich immer so weg?“, fragte ich Lukas leise, während ich mir umständlich die Jacke von den Armen zerrte. Von Lukas kam nur ein Kopf nicken und ein Schnauben das nach Missbilligung klang. Klar, denn es war nicht erlaubt Drogen zu nehmen und zu rauchen.
Wir traten durch den Flur in ein großes Wohnzimmer wo die vielen Fenster mit Vorhängen zu gezogen waren und der riesige Fernseher lief. Blut spritzte in dem Film und deshalb wandte ich den Blick ab. Ich hasste Blut. Darian hatte sich auf einen der kleinen Kissen niedergelassen die wohl als Sitz dienen sollten. Gemütlicher hätte es schon sein können, dachte ich mir und ließ mich auf dem Platz neben Darian nieder. Lukas setzte sich auf die andere Seite von mir und so schauten wir zu, wie die Jungs lachend Witze rissen und uns Erwartungsvoll anschauten. Kichernd hielt ich meine Hand vor den Mund, aber nicht, weil ich wollte, dass es niedlich aussah, sondern dass ich nicht einen Lachkrampf bekam. Dieser Jungs hier waren fast noch bescheuerter als die aus der Bahn.
„Sag mal Luk. Wo hast du eigentlich das nette Veilchen her, dass sich gerade bildet?“, fragte einer der Jungs und deutete auf das rechte Auge von Lukas. Und tatsächlich. Rund um sein Auge verfärbte sich die Haut dunkelblau.
„Nett“, gab ich nur von mir und schaute es mir genauer an. Ein Klingeln an der Tür ließ mich rettete mich vor der peinlichen Situation erklären zu müssen, was passiert ist.
„Wieso müssen die eigentlich immer alle zu spät kommen?“, murmelte John leise und versuchte die Tür zu öffnen. Ein paarmal rüttelte er sie, bis sie sich schließlich öffnete und er sie sich gegen den Kopf haute. „Au.“, jaulte er leise und hielt sich die Stirn.
„Das nenne ich mal eine Begrüßung“, lachte Chris und kam herein. Seine Jacke hängte er an einen der Hacken und kam gleich durch zu uns ins Wohnzimmer. „Hallo Ravyn.“
„Hey“, lächelnd schaute ich hoch und sah, dass Chris Darian beobachtete. Der Blick verriet einem, dass er sich fragte, wie Darian hier her kam. „Wir haben ihn unterwegs getroffen und spontan mit gebracht.“
„Ah.“ Chris setzte sich zu Lukas und holte aus seiner Tasche einige Flaschen Bier. Die Anderen applaudierten, während ich mich zurück hielt und überlegte, wie ich Darian beschäftigen könnte.
„Wieso bist du hier?“, fragte ich nach kurzem Schweigen an ihn gewandt.
Darian seufzte leise. „Mein Vater sitzt im Gefängnis und meine Mutter hat ein Alkoholproblem, also bin ich zu meiner Tante gezogen. Sie wird bald heiraten.“
„Das mit deinen Eltern tut mir leid.“ Ein Kloß saß in meinem Hals und hinderte mich daran weiter zu reden.
„Wieso bist du hergezogen? Ich mein, ich wohne ja nun schon länger hier, aber was ist mit dir. Du bist gerade mal eine Woche da und keiner weiß weshalb.“ Darians Blick war zum Fernseher gerichtet, so dass es schien, als würde der Film ihn interessieren.
„Meine Mutter und ich verstehen uns eigentlich ganz gut, nur mein Stiefvater und ich nicht. Als ich dann irgendwann nicht mehr konnte, habe ich meinen Kontakt zu Steffen aufgefrischt und nun zu ihm gezogen.“ Düster fragte ich mich, weshalb ihn das so interessierte. Immerhin hatte er die komplette Woche seitdem ich hier bin, nicht ein einziges Mal mit mir geredet.
„Das tut mir leid.“, sagte er leise und schaute nur kurz zu mir. Ich ging nicht weiter darauf ein, sondern hing einfach meinen Gedanken nach.
Daran wie meine Mutter reagiert hatte, als ich ihr davon berichtete, dass Steffen und ich wieder Kontakt hatten. Ich musste zugeben, dass sie nicht sonderlich begeistert war, aber dennoch hatte sie sich darüber gefreut, dass er nach sechzehn Jahren endlich offen war für etwas. Das hatte auch dazu geführt, dass die Beiden öfters mit einander telefoniert hatten. Einmal hatte ich zufällig gelauscht und bei dem Tonfall meiner Mutter lächeln müssen. Sie war so locker und so entspannt. So hatte ich sie noch nie erlebt, doch als mein Stiefvater davon Wind bekam sperrte er mich für ein paar Wochen zu Hause ein.
Bei dem Gedanken an ihn, durchzuckte mich Hass. Vielleicht hatte er es nicht verdient, aber dennoch hatte er selber schuld. In jeder Hinsicht.
Steffen musste letztendlich das Jugendamt einschalten, dass ich wieder nach draußen durfte und so wurde mir die Entscheidung überlassen, ob ich bei meine Mutter weiter wohnen wollte oder bei Steffen. Damals hatte ich mich schwer getan mit dieser Entscheidung und viel mit meiner Mutter geredet. Zwar war sie der Ansicht, dass es nicht das Beste wäre, aber meinte sie auch, dass es mir vielleicht ganz gut tun würde. Und so hatte ich mich entschieden diesen Schritt in meinem Leben zu machen, der wahrscheinlich alles daran ändern würde.
„Hey Ravyn.“ Chris beugte sich vor, sodass er an Lukas vorbei sehen konnte. „Habt ihr Lust noch ein bisschen mit zu mir zu kommen?“
Einen kurzen Augenblick zog ich es in Erwägung es zu bejahen und entschied mich um. Gerade wollte ich den Kopf schütteln, als Darian sich uns zuwandte.
„Wäre wahrscheinlich besser. Hier habe ich keine Lust zu zusehen wie die anderen anfangen die Klos zu verschmutzen.“, geschmeidig kam er auf die Beine und hielt mir seine Hand hin. Freundlich nahm ich sie und eine Wärme durchzuckte meine Hand, sodass ich meine Hand seiner regelrecht entriss. Verlegen schaute ich auf den Boden und rieb mir meine Hand. Das Gefühl war nicht schmerzhaft gewesen eher irritierend, aber schön. Für einen kurzen Augenblick hatte ich mich Geborgen gefühlt, doch sofort hatte dieses Gefühl einer Dunkelheit Platz gemacht die nur nach Schmerzen rief. Während wir die Jacken anzogen und ich meine Schuhe anzog, torkelte John auf uns zu.
„Schön, dass ihr da wart.“
Seine Bierfahne wehte mir ins Gesicht, als er mich umarmen wollte. Für einen kurzen Augenblick hatte ich das Gefühl, dass seine Hand auf meinem Po lag, doch dann war er verschwunden.
„Gehen wir. Lassen wir dieser Verrückten lieber alleine.“ Lukas ging raus und wir folgten ihm nach draußen. „Chris, wo ist dein Auto?“
„Vor deiner Nase.“
Kichernd stolperte ich die Stufen hinab und stieg in Chris Auto. Darian stieg auf der anderen Seite ein. Chris startete den Motor, während Lukas vorne an dem Radio rumspielte.
„Chris wohnt genau zwei Straßen von uns entfernt. Das heißt, dass wir danach nach Hause fahren können.“ Lukas drehte sich um und tippte auf das Skateboard zwischen seinen Füßen. Als Antwort nickte ich nur und lehnte mit dem Kopf gegen die kühle Fensterscheibe. In so einem kleinen Auto wurde es viel zu schnell warm und da war das kalte Glas gerade gut.
Auf dem Weg sprachen wir nicht sehr viel, während die Musik durch das Auto wummerte. Darian neben mir rutschte ständig hin und her, fast so als wäre ihm unwohl. Und doch sagte er nichts, sondern schwieg einfach in sich hinein.
Erst als wir bei Chris waren und an seinen Eltern vorbei in seinem Zimmer ankamen, entspannte ich mich total. Völlig erschöpft ließ ich mich auf das riesige Bett sinken und nach hinten fallen. „Leute ich bin total alle.“
Chris räumte ein paar Klamotten von den Sesseln und zog einen kleinen Tisch heran, wo er Chips und Trinken drauf stellte. „Da bist du nicht die Einzige. Wir wär’s mit einer DVD?“
Brummelnd setzte ich mich auf und bemerkte erst jetzt, dass Darian neben mir auf dem Bett saß. „Hau rein was du da hast, aber bitte kein blutiger Film. Die kann ich nicht ausstehen.“ Verstimmt kniff ich die Lippen zusammen und schimpfte mich innerlich selbst, dass ich sie angelogen hatte. Aber ich wollte nicht direkt sagen, dass mir von Blut schlecht und schwindelig wurde. Schließlich legte Chris irgendeinen Film ein.

4. Kapitel


„Nein ehrlich ich hab keine Ahnung wovon du sprichst“, sagte John und ließ sich mit Schwung auf den Tisch sinken. Dabei kippte er fast hintenüber.
„Natürlich.“ Mit einer hochgezogenen Augenbraue schaute ich ihn an. „Du warst auch komplett dicht, als wir kamen.“
„Oh Man, Ray. Jetzt sei doch nicht so.“, säuselte und strich mir eine Strähne meiner Haare hinters Ohr. „Sie schimmern golden, wenn das Licht drauf fällt, ist dir das mal aufgefallen?“
Langsam kochte etwas in mir über und ich war kurz davor zu explodieren.
„Guten Morgen John. Rausch ausgeschlafen?“ Darians Gesicht war zu einem spöttischen Lächeln verzogen und sanft ließ er sich neben mir nieder. John schnaubte kurz angewidert und schaute wieder zu mir herab.
„Wir sehen uns in der Mittagspause.“
Seufzend ließ ich meinen Kopf in die Hände sinken und kniff die Augen zusammen. Ich fühlte mich Elend. Neben mir schwieg Darian wie üblich und tat so, als wäre dieses Wochenende nie etwas passiert. Erst als Frau Cray herein kam und unsere Aufmerksamkeit auf sich lenkte, schob er mir einen Zettel rüber.

»Alles in Ordnung?« Seine saubere Handschrift war faszinierend synchron.

»Klar, wieso sollte nichts in Ordnung sein? « kritzelte ich und schob das Blatt wieder zu ihm hinüber.

»Weil du ziemlich genervt wirkst. Ist es, weil der Unterricht dich stresst oder weil John dich nervt? « selbst wenn er es nicht aussprach konnte ich den Sarkasmus darin hören.

»Weder noch. Ist auch egal. « Aus dem Augenwinkel sah ich, dass er noch etwas drauf schrieb, dann aber den Zettel zur Seite legte.
Der Rest des Unterrichtes zog an mir vorbei wie ein ICE und erstaunt darüber, dass ich mich in unserer Mensa widerfand ließ mich für einen Moment an Ort und Stelle fest frieren. Wie konnte das denn sein? Ich hatte den gesamten Unterricht einfach an mir vorbei ziehen lassen, obwohl ich bald einige Klausuren schreiben würde. Direkt vor den Herbstferien.
„Guten Tag meine Liebe.“ John legte einen Arm um meine Schultern und führte mich von der Essensausgabe zu einem leeren Tisch in der Mensa.
„Was gibt’s denn?“, fragte ich leicht gereizt und versuchte mich los zu machen. Doch Erfolglos.
„Ich würde mich gerne mit dir unterhalten“, sagte John und drückte mich auf einen der Stühle. „Über Darian.“ Es schien, als würde ich mit meinem Körper und dem Stuhl verschmelzen und daran festfrieren.
„Wieso ausgerechnet Darian?“, fragte ich argwöhnisch und schaute mich suchend nach ihm um. Die Mensa war gut gefüllt, sodass es schwer war auf die andere Seite zu gucken. Wahrscheinlich würde er dort, wie immer alleine, an seinem Platz sitzen und die Leute beobachten.
„Falls du es noch nicht bemerkt hast bin ich an dir interessiert und bis jetzt hat noch kein Mädchen meinem Werben widerstanden. Du wirst auf keinen Fall aus der Reihe tanzen, hast du mich verstanden?“, drohend lehnte John sich zu mir rüber und unwillkürlich musste ich schlucken. Ein Lächeln erschien auf Johns Gesicht und mir wurde klar, dass er dachte er hätte gewonnen. Unter dem Tisch ballte ich meine Hände zu Fäusten und hatte das Verlangen sie ihm ins Gesicht zu schleudern. „Du wirst ab jetzt hübsch an meinem Arm laufen und verliebt sein. Tust du das nicht, dann werde ich mir ausdenken was ich Lukas antue. Immerhin kann er seine Finger nicht von meiner Schwester lassen.“, damit erhob er sich und zerrte mich auf die Beine. Ich spürte wie sein Arm sich um meine Taille legte und er mir einen eklig, feuchten Kuss auf die Wange gab. Angeekelt wischte ich mir seine Sabber von der Wange und starrte auf den Boden. In mir brodelte die Wut die ich versuchte unter Kontrolle zu halten und doch traten mir deshalb die Tränen in die Augen. Mistkerl, dachte ich und setzte mich schließlich zu den anderen.
Lukas unterhielt sich mit einem Mädchen das wirklich nicht schlecht aussah. Ihre Augenbrauen waren sauber gezupft und sie hatte nur wenig Make-Up drauf. Mehr brauchte sie anscheinend nicht. Eine kleine Weile beobachtete ich sie und Lukas, dann ließ ich wie üblich meinen Blick in die Ecke wandern wo Darian bis jetzt immer gesessen hatte. Doch er war leer.
Mit einem dumpfen Gefühl in der Brust drehte ich mich herum und schaute mich weiter um. Beobachtete jeden Tisch mehrere Sekunden bevor ich mich einem anderen zuwandte. Aber immer und immer wieder sah ich nur Gesichter die ich nicht kannte.
„Guckt mal. Da kommt ja unser Prinz.“ Johns Stimme ging mir durch Mark und Bein. Mein Blick hing an ein paar darkblue Jeans und wanderte dann an der Lederjacke hoch zu Darians Gesicht.
„Hallo Ravyn“, begrüßte er mich und bedachte John mit einem niederschmetternden Blick. Das Grün in seinen Augen schien Funken zu schlagen.
„Hallo“, sagte ich leise und spürte wie mein Gesicht heiß wurde.
„Könntest du mal kurz mitkommen. In Biologiearchiv brauche ich mal deine Hilfe.“ Damit griff er nach meiner Hand und zog mich aus Johns Umklammerung. Stolpernd folgte ich ihm und drehte mich mehrmals zu dem Tisch um. Chris und Lukas schauten wie der Rest der Mensa und hinterher und tuschelten leise.
„Was soll das?“, ich warf die Hände in die Luft und ging durch die Gänge der Glasvitrinen in denen ausgestopfte Tiere standen. Ekliger Anblick.
„Was soll was?“ Darian überprüfte seine Frisur und achtete kaum auf mich.
„Kannst du mich nicht in Ruhe lassen?“ Ich sah wie Darian zusammen zuckte und sich langsam umdrehte. Seine grünen Augen funkelten und sofort bereute ich es das gesagt zu haben. „Ich mein, wenn du weißt, dass das alles Aufmerksamkeit erregt, wieso tust du das überhaupt? Falls es dir nicht aufgefallen ist, ich hasse es wenn ich im Mittelpunkt stehe.“, in mir explodierte etwas, doch ich bemühte mich meine Stimme ruhig zu halten. Alles ist gut, redete ich mir ein. Alles ist gut.
„Keine Ahnung wovon du sprichst.“ Darian kam auf mich zu und zog etwas aus seiner Hosentasche. „Das wollte ich dir geben.“
„Was ist das?“, argwöhnisch kniff ich die Augen zusammen. Etwas stimmte mit diesem Jungen nicht. In mir kreischten die Alarmglocken doch bewegen konnte ich mich nicht. Es war, als hätte man mir Sekundenkleber an die Schuhsohlen gemacht, mit dem ich hier jetzt festhing.
„Ein Geschenk“, antwortete er ruhig und holte ein Ring heraus. Er war grazil und war aus schlichtem Silber. „Ich möchte, dass du ihn trägst.“ Eine Weile starrte ich den Ring in seiner Hand an, dann schaute ich zu ihm auf. Fest Entschlossen dieses Geschenk abzulehnen.
„Ich will es nicht.“ Darian zuckte kurz zusammen, hielt mir jedoch weiterhin den Ring hin.
„Dann nehm ihn zumindest an dich und wenn du ihn doch tragen willst, dann zieh ihn auf.“, seufzte er und ließ den Ring in meine Hand gleiten. „Bitte.“ Und dann war er verschwunden und ließ mich alleine zurück. Kleine Schauer überliefen meinen Rücken und ich starrte weiterhin den Ring an. Drehte ihn, wendete ihn, doch es fiel mir nichts Ungewöhnliches auf.
Ich machte mich wieder auf den Weg zur Mensa als ich in jemanden hinein lief.
„Oh, tut mir leid.“ Duft von Leder und einem guten Parfum stiegen mir in die Nase.
„Macht nichts. Ich hab geträumt.“ Der Junge in den ich gelaufen war lächelte mich schüchtern an und sammelte seine Sachen zusammen. „Du hast deinen Ring fallen lassen.“
„Oh“, sagte ich und bückte mich um ihn aufzuheben. „Danke.“ Lächelnd nahm ich ihm den Ring aus der Hand und zuckte zusammen. Die Berührung war Eiskalt.
„Alles in Ordnung?“, fragte er und schaute mich besorgt an.
„Klar. Nichts passiert.“, winkte ich und stürmte los. Den Flur entlang zu den Treppen und stolperte fast über meine eigenen Füße, als ich Darian sah. Er stand in einer Ecke mit einem Mädchen und sie hielten ihre Hände fest ineinander verschränkt. Ein unerträglicher Schmerz durchzuckte mich und ich rannte weiter. Meine Sicht verschleierte und verbissen versuchte ich die Tränen hinunter zu schlucken. Vergeblich. Meine Rettung war jetzt nur das Mädchenklo. Wie üblich wenn ich weinen musste; ich flüchtete vor allem und jeden.
Über dem Waschbecken gebeugt keuchte ich und rang nach Luft. Eigentlich hätte es mich nicht wundern sollen, dass er eine Freundin hat. Immerhin schaute er kaum ein Mädchen an um überhaupt eines wirklich wahr zu nehmen, nur dieses Mädchen hatte es offenbar geschafft ihn um ihren kleinen Finger zu wickeln. Wenn er kein anderes Mädchen ansah, weshalb hat er mir dann den Ring gegeben? War das für ihn alles nur ein Witz gewesen die Neue in die Irre zu führen?
Ein paar Minuten starrte ich noch mein Spiegelbild an, dann spritzte ich mir kaltes Wasser ins Gesicht und ging zu den restlichen zwei Stunden. Tapfer hielt ich die letzten beiden Stunden Französisch neben ihm aus. Er schob mir zwar einen Zettel herüber auf den er etwas geschrieben hatte, doch ich ignorierte ihn sowie den Zettel. Nach dem Unterricht drehte ich mich demonstrativ von ihm weg und schnappte ohne ein weiteres Wort an Lukas oder Darian mein Skateboard und fuhr los. Dabei steckte ich mir die Kopfhörer in die Ohren und stellte die Musik ein. Laut genug, dass die Leute an denen ich vorbei fuhr sich zu mir umdrehten.
Der Weg nach Hause war ruhig; Lukas ließ sich nicht blicken und so fuhr ich alleine durch unser Wohnviertel. Vorbei an den pompösen Villen und Häusern, vorbei an dem kleinen Park mit dem Wald dahinter.
Die Sonne schien noch kräftig genug, sodass ich mich entschied draußen meine Hausaufgaben zu machen um sie wenigstens noch etwas zu genießen. Von drinnen holte ich mir eine alte Decke und legte sie auf den Rasen. Kurz ging ich ins Haus wo ich mir ein bequemes blaues Top und eine schwarze kurze Hose anzog. Schließlich schlüpfte ich wieder in meine Chucks und ging nach draußen.
Es wurde ein ruhiger, sehr produktiver Tag. Meine Mathehausaufgaben quälten mich, also nahm ich sie mir später noch einmal vor. Dann machte ich mich an eine Quelleninterpretation für Geschichte. Bis ein Schatten das Licht verdunkelte. Zuerst dachte ich, dass Wolken aufgezogen seien, doch als ich den Blick hob, sah ich den Jungen den ich angerempelt hatte vor mir stehen.
„Oh“, sagte ich und setzte mich auf. „Kann ich dir helfen?“
„Nein, eigentlich nicht. Ich bin nur zufällig hier vorbei gekommen. Weißt du ich wohne eine Straße weiter.“, er lächelte und ich schaute wieder in mein Matheheft. Völlig in Gedanken versunken wie ich die Funktion lösen könnte, merkte ich erst, dass der Junge neben mir saß, als er wieder etwas sagte.
„Was?“, fragte ich und schaute verwirrt.
„Ich sagte, dass du eine Polynomdivision machen musst. Damit kannst du die anderen beiden Nullstellen der Funktion heraus finden. Geht ganz einfach“, er lächelte mich an und nahm sich einen Bleistift. In der typischen schnellen Schrift schrieb er mir eine Gleichung aufs Blatt. Das Ergebnis unterstrich er doppelt und legte den Stift dann wieder zur Seite. „Soll ich es dir erklären?“ Schweigend nickte ich und schaute mir die Lösungen genauer an, während er neben mir saß und es erklärte. Wie lange wir dort saßen und er es mir mit ruhiger Stimme versuchte verständlich zu machen, wusste ich nicht. Erst als Lukas das Tor laut zufallen ließ, schreckte ich hoch und schaute in seine Richtung.
„Hallo Tyr“, begrüßte Lukas den Jungen; Tyr. „Du und meine Schwester habt euch also schon kennen gelernt, ja?“
„Sieht ganz so aus.“ Tyrs Lächeln war Schmallippig.
„Ich bin drinnen, wenn was sein sollte. Ruf einfach“, sagte Lukas und verschwand durch die Terrassentür im Haus.
„Wir haben uns nicht einmal mit Namen vorgestellt, du Unbekannte.“ In Tyrs Stimme konnte ich einen neckenden Unterton ausmachen der mich zum lächeln brachte.
„Anscheinend, Tyr.“
Eine erwartungsvolle Pause entstand. „Und dein Name ist?“, hakte er nach.
„Ravyn“, sagte ich und ergriff die Hand, die er mir hinhielt.
„War nett dich kennenzulernen.“ Tyr drückte meine Hand kurz. „Ich werde mich dann am besten mal auf den Weg nach Hause machen. Meine Eltern fragen sich sicher schon wo ich so lange war.“ Er stand auf und eilig tat ich es ihm nach. Ich zupfte am Saumen meines Tops, als er lächelnd winkte und fröhlich pfeifend davon ging. Fast so, als wäre hier nichts gewesen, als hätte er einfach nur so gute Laune. Einen Augenblick schaute ich ihm noch nach, dann sammelte ich die Sachen zusammen und trug sie nach oben in mein Zimmer. In der Küche stieß ich auf Lukas, der schweigend in die Mikrowelle starrte. Da ich keine Lust auf irgendein anstrengendes Gespräch hatte verzog ich mich sofort nach oben in mein Zimmer und holte unter der Matratze mein Tagebuch hervor. Seite für Seite blätterte ich darin herum, bis ich eine leere Seite fand. Am Ende des Bleistiftes kauend dachte ich darüber nach, was ich schreiben könnte. Doch die leere Seite starrte mich einfach nur an und mir fiel Nichts ein was ich hätte aufschreiben können. Also lag ich einfach da und starrte an die Decke. Leere füllte meinen Kopf und ich hatte keine Lust über irgendetwas nach zu denken. Jetzt nicht, dachte ich mir und blieb weiterhin so liegen. Es tat mir gut einfach mal nichts zu tun und zu starren.
„Ravyn?“, Steffens Stimme riss mich aus der Trance der Leere. Er stand mitten im Zimmer und schaute auf mich herab. „Carola und ich gehen essen. Ich hätte ja Malena gefragt, aber sie ist bei einer Freundin und Lukas hat es nicht so mit kleinen Kindern. Weißt du, er ist ein wenig unvorsichtig und passt nicht so gut auf. Du weißt doch was ich meine, oder? Ich hab nur Angst, dass Nik was passieren könnte, wenn Lukas auf ihn aufpasst und…“
„Dad, komm zum Hauptpunkt“, sagte ich lächelnd und setzte mich schließlich auf. „Ich soll auf Nik aufpassen, während ihr Abend essen geht. Kein Problem.“ Steffen musterte mich kurz, nickte dann lächelnd und gab mir einen Kuss auf den Kopf.
„Danke.“ Schon war er aus dem Zimmer und rief nach Carola. Sie stand noch immer im Badezimmer und wickelte gerade die Lockenwickler aus ihren Haaren. Ihre blonden Haare sahen mit Locken wunderschön aus und nun konnte ich mir auch vorstellen, wie mein Vater ihr verfallen war.
„Kann ich dir helfen?“, fragte ich leise und trat an sie heran. Vorsichtig schob ich ihre Hände beiseite und drehte die Lockenwickler aus ihren Haaren. „Sieht wirklich gut aus.“
„Danke.“ Carola drehte sich zu mir herum und umarmte mich fest. „Ich freue mich wirklich, dass du nun bei uns wohnst, es ist als wärst du eine Sonne, weißt du? Du bringst alles zum strahlen. Sonnenkind.“, sie lächelte und verließ das Bad. Sonnenkind? Schnaubend sah ich mein Spiegelbild an das die Stirn gerunzelt hatte. Meine helle, weiße Haut sah im Licht der Lampe noch blasser aus als sonst und vorsichtig hob ich eine Hand und berührte mein Gesicht. Ja es war wirklich mein Gesicht.
Unten schlug die Haustür zu und leise schlich ich zur Tür von Niks Zimmer. So leise wie ich konnte, öffnete ich die Tür und lauschte seinen gleichmäßigen Atemzügen. Friedlich lag er da und schlief tief und fest. Genauso leise wie ich hinein gegangen war, ging ich wieder hinaus.
„Schläft er?“ Überrascht, dass dort im Flur jemand stand, fuhr ich herum.
„Gott! Hast du mich aber erschreckt.“ Prüfend musterte ich Lukas, der mit verschränkten Armen am Geländer lehnte. „Ist was?“
„Chris kommt gleich vorbei und ich wollte fragen ob du nicht vielleicht Lust hättest mit uns einen DVD Abend zu machen?“ Ein Lächeln huschte über sein Gesicht.
„Eigentlich muss ich auf Nik aufpassen.“
„Ach komm schon. Er schläft doch so oder so die Nacht durch“, Lukas kam auf mich zu und legte seine Hände auf meine Schultern. Am liebsten hätte ich seine Hände weggeschubst, aber irgendetwas hielt mich zurück. Fast so als würde jemand mich zu einer Skulptur erstarrt haben.
Verwirrt schaute ich zu Lukas und wollte gerade bejahen, als es an der Tür klingelte. Fassungslos schaute ich zu wie Lukas die Treppen hinunter ging um die Tür zu öffnen. So schnell ich konnte machte ich mich aus dem Staub. In meinem Zimmer riss ich meinen Kleiderschrank auf und durchsuchte meine Fächer. Doch alles was ich fand waren meine Klamotten. Wo war es? Verzweiflung durchzuckte mich und ich rannte durch mein Zimmer und schaute überall nach. Aber es war verschwunden. Wie vom Erdboden verschluckt.

5. Kapitel


Am Montagmorgen fuhren Lukas und ich wie üblich mit den Skateboards zur Schule. Während er mir lachend von seinem tollen Abend mit Chris und seiner Freundin erzählte, schaute ich mich suchend um. Wo war er?
„Ray Tyr starrt dich an.“ Lukas Stimme riss mich aus meinem gehetzten Suchen und ich spürte wie mein Gesicht warum wurde. „Du wirst jetzt nicht wirklich rot oder?“, fragte Lukas und musste lachen. Kurz warf ich ihm einen Blick zu der ihn verstummen ließ und steuerte auf Tyr zu.
„Gute Morgen“, begrüßte er mich lächelnd. Seine schwarzen Haare fielen ihm in Strähnen in seine Stirn. Dadurch sah er noch niedlicher aus.
„Morgen“, murmelte ich und nahm mein Board hoch. „Und haben deine Eltern gestern sehnsüchtig auf dich gewartet?“ Neckte ich ihn und zusammen gingen wir ins Gebäude.
„Ja, sie haben es kaum ausgehalten und mich freudig begrüßt.“, gab er lachend zurück und knuffte mir in die Seite. Grinsend sah ich Darian und blieb stehen. Neben mir schaute Tyr erst zu Darian dann zu mir. Dann wieder zu ihm und zurück zu mir. „Alles in Ordnung?“, fragte Tyr leise und schob mich, mit einer Hand auf meinem Rücken, weiter zur Treppe.
„Äh, was?“, fragte ich verwirrt und schaute ihn an. „Ja, klar. Nichts passiert.“, murmelte ich und stapfte die Stufen hoch.
„Nach Nichts, sah das aber nicht aus.“, stelle Tyr fest und hielt mir die Tür zu meinem Klassenraum auf.
„Ist wirklich nichts.“, sagte ich und hielt meinen Taschenträger fest umklammert. Tyr runzelte die Stirn und lehnte sich gegen die Tür. Schließlich seufzte er und lächelte.
„Wir sehen uns Nachher in der Mittagspause.“, damit wandte er sich um und ging zu den Klassenräumen der zwölften Jahrgängen. Lukas kam gerade zur Tür herein als ich mich auf meinen Platz gesetzt hatte. Darian war noch nicht da und dankbar lehnte ich mich zurück. Der Blick von Lukas traf mich unvermittelt und ich wich ihm aus.
Zum Glück kam die Lehrerin genau in diesem Augenblick herein und ich achtete auf den Unterricht. Doch eine Frage quälte mich den ganzen Tag.
Wieso war Darian nicht da, wenn ich ihn doch heute Morgen gesehen hatte? Vielleicht sollte ich Tyr nachher fragen. Grübelnd erhob ich mich als es zur Mittagspause klingelte. Lukas und ein paar andere Leute stürmten eilig aus dem Biologieraum. Ihr Ziel war die Mensa.
Kopfschüttelnd hängte ich mir die Tasche über die Schulter und schnappte meine Bücher.
„Und bereit für deinen großen Auftritt?“ Johns Stimme war direkt hinter mir und ich spürte wie sich ein Arm von ihm um meine Taille schlang. Sein warmer, ekliger Atem streifte meinen Nacken und unwillkürlich stellten sich meine Haare auf.
„Ich werde nicht so tun als wären wir zusammen, John. Vergiss es.“, zischte ich leise und versuchte mich los zu machen. Doch er lachte nur und drückte fester zu. Meine Rippen protestierten und ich verzog mein Gesicht. „Lass mich los.“ John lachte weiter und schob mich aus dem Biologieraum auf den Flur wo er mich unsanft mit dem Rücken an die Wand presste. Ich schnappte nach Luft.
„Du wirst jetzt schön mit mir in die Mensa gehen.“, knurrte John wütend und hob die Hand hoch. Ich schloss meine Augen und wartete, doch als nicht passierte machte ich sie wieder auf. Darian stand neben John und hielt seine Hand fest. Er umklammerte sie so stark, dass Johns Hand schon blau wurde. Entsetzt keuchte ich und starrte Darian an.
„Lass ihn los.“, sagte ich und versuchte meine Stimme ruhig klingen zu lassen.
„Klappe.“, knurrte John mich an und erhielt von Darian einen heftigen Stoß. Er taumelte und krachte dann mit dem Rücken in ein paar Regale.
„Verschwinde!“, zischte Darian und John rappelte sich auf.
„Nein, erst mach ich dich fertig.“ Mit wütendem Gesicht ging er auf Darian los. Plötzlich tauchte auch Tyr auf und hielt John am Kragen fest. Zwang ihn somit in die Augen von Tyr zu gucken.
„Du wirst jetzt sofort verschwinden und deine Finger von Ravyn nehmen. Außerdem wirst du vergessen was hier passiert ist.“, murmelte er leise, lies John los und blickte ihm dann nach. Unruhig zupfte ich an meiner Kleidung herum und schaute Tyr an. Wartete darauf was jetzt passieren würde.
„Ich hatte dich gebeten sie in Ruhe zu lassen.“, sagte Tyr und drehte sich endlich um. Doch sein Gesicht war Wut verzerrt und hatte seine geschmeidige Schönheit abgelegt. Atemlos presste ich mich näher an die Wand und wünschte mir, dass ich niemals hier gewesen wäre.
„Seit wann hast du mir was zu sagen, Bruder?“, fragte Darian leise und schaute zu mir, dann wieder zu Tyr. Bruder? Verwirrt öffnete ich den Mund, schloss ihn aber wieder.
„Du solltest nicht hier sein!“, zischte Tyr und ging auf Darian los. Dieser grollte und kauerte sich auf den Boden. Oh mein Gott, was war nur mit denen los?
Langsam schlich ich auf die Tür zu; ich musste hier unbedingt weg. Weit weg. Hoffnungsvoll blickte ich dem belebten Flur entgegen, doch ich hatte mich zu früh gefreut.
Darian keuchte und presste mich wie zuvor John gegen die Wand. Diesmal entwich meine Luft heftig meinen Lungen und sekundenlang bekam ich keine Luft. Japsend riss ich die Augen auf und starrte ihn an. Das Grün war so anders, als das Blau von Tyr.
„Du wirst vergessen was hier passiert ist. Verstanden?“, er schaute mich eindringlich an. Ein warmes Gefühl fuhr durch meinen Körper und ich fühlte mich leicht.
„Ich werde vergessen was hier passiert ist.“, murmelte ich, nicht mehr ich selbst.
„Du weißt nicht, dass Tyr und ich Brüder sind. Du weißt nur, dass du eine kleine Auseinandersetzung mit John hattest. Tyr und ich waren niemals hier. Verstanden?“, seine Stimme war so sanft. Ein Murmeln.
„Verstanden.“, nickte ich automatisch und meine Knie gaben nach.

Die Mensa war voll mit Leuten und ich stellte mich an die Essensausgabe. Es gab Hamburger die nicht sonderlich appetitlich wirkten.
„Hey Ray.“ Lukas kam auf mich zu und stellte sich neben mir. Das brachte ihm einen bösen Blick von dem Jungen hinter mir. „Wo warst du? Ich hab dich gesucht.“
„Ich war noch bei Biologie. John und ich hatten eine kleine Auseinandersetzung ist aber alles wieder geklärt.“, sagte ich und lächelte.
„Achso. Sag mal hast du Darian eigentlich heute schon gesehen?“ Lukas schaute mich an.
„Nur heute Morgen, aber ich glaube, dass ich mich verguckt hab. Er ist ja nicht da. Wahrscheinlich krank oder so.“, gleichgültig zuckte ich meine Schultern und trug mein Tablett zu unserem Tisch. John nickte mir zu und ich sah, dass die meisten Leute mich anstarrten. „Ist was?“
„Nein.“, sagten einige und wandten sich ab. Kopfschüttelnd setzte ich mich hin und biss von dem Burger ab. Das Mädchen mit den dunklen Haaren kam an unserem Tisch vorbei und warf mir einen komischen Blick zu. Was hatten die nur alle?
„Lukas?“, ich wandte mich um, doch er war schon wieder bei Johns Schwester und knutschte mit ihr herum. Ich runzelte die Stirn und schaute meine Klassenkameraden nacheinander an. Mein Blick ging zur Ecke wo Darian meistens saß und dann weiter in die andere Ecke. Dort saß das dunkelhaarige Mädchen und starrte in meine Richtung. Ihr Blick jagte mir Schauer über den Rücken und ich erhob mich unsicher. Die anderen blickten nicht einmal auf als ich einfach zu dem Mädchen ging.
„Hallo“, sagte ich schüchtern und blieb vor einem der Stühle stehen. „Kann ich mich setzten?“
„Klar.“ Ihr Lächeln war ehrlich und zeigte mir, dass sie Neugierig war. „Wieso bist du nicht bei den anderen geblieben?“
„Weiß nicht. Die benehmen sich so, als wäre ich eine Außerirdische. Ganz komisch.“, sagte ich und runzelte wieder meine Stirn. Hatte ich irgendetwas getan, was einen Grund zu solch einer Reaktion hatte. Doch ich stieß auf eine Mauer und je weiter ich versuchte mich zu erinnern, desto mehr schmerzte mein Kopf.
„Alles ok?“, fragte mich das Mädchen und ich lächelte wieder.
„Klar. Wie heißt du eigentlich?“, fragte ich und schaute sie mir an. Sie war klein, ein ganzes Stück sogar. Ihre Augen hatten ein Gemisch aus dunkelblau und grau und ihre Haut war genauso weiß wie meine.
„Taneah und du bist Ravyn.“, sagte sie und lächelte. Nickend aß ich das letzte Stück meines Burgers und schaute sie dann weiterhin an.
„Weißt du vielleicht etwas?“, fragte ich sie.
„John hat gesagt, dass er dich gefragt hat ob du mit ihm gehen willst. Dann hast du verneint und er wollte es nicht einsehen. Er behauptet, dass du ihm eine gescheuert hast. Stimmt das?“, fragte sie und blickte mich plötzlich freudestrahlend an.
„Ähm...“, sagte ich und kniff meine Augen leicht zusammen. So gut ich konnte versuchte ich mich daran zu erinnern. Doch nichts. Nur eine Schwärze die mir unheimlich vorkam. Enttäuscht gab ich auf und ließ den Kopf hängen. „Nein.“ Damit stand ich ohne ein weiteres Wort auf und stellte mein Tablett weg. Fast fluchtartig verließ ich die Mensa und stürmte zu meinen nächsten beiden Stunden Sport.
Wir spielten Fußball und das war nun die blödeste Sportart die es gab. Für mich war es einfach nichts. Ich schoss zwar Reihenweise Tore, aber Spaß brachte es mir keinen. Nachdem ich endlich aus dem Unterricht entlassen wurde, zog ich mich um und ging schon mal nach draußen. Dort setzte ich mich auf einen der Bänke und wartete auf Lukas. Heute ließ er sich wirklich verdammt viel Zeit.
„Hallo“, erschrocken fuhr ich zusammen und schaute auf. Tyr stand vor mir und schaute zu mir herunter. „Kann ich mich auch setzen?“ Statt zu antworten rutschte ich zu Seite und lächelte. „Danke.“
Einen Augenblick schwiegen wir, dann holte Tyr tief Luft.
„Hast du Darian heute gesehen?“ Komische Frage dachte ich und schaute ihn an.
„Nur heute Morgen, aber ich glaube jemanden verwechselt zu haben. Immerhin war er nicht im Unterricht.“, lächelnd schaute ich Tyr an, doch er starrte angestrengt in eine andere Richtung. „Ist was?“
Tyr schüttelte den Kopf und erhob sich. Zweifelnd stand ich ebenfalls auf und schaute ihm nach, als er ohne ein Wort des Abschieds einfach davon ging.
Wenig später kam Lukas und zusammen machten wir uns mit seiner Freundin auf den Weg nach Hause.

6. Kapitel


Wütend stampfte ich in meinem Zimmer herum und schaute immer wieder aus dem Fenster. Dieser … !
Ich riss jetzt nun zum fünfzehnten Mal meine Schranktür auf und durchsuchte die Fächer. Doch nirgendswo. Weg. Einfach verschwunden.
Brummend warf ich mich auf mein Bett und starrte an die Decke. Schnell wurde ich wieder unruhig und tigerte durch mein Zimmer. Nahm meinen iPod starrte ihn ein paar Minuten an, ging zu meiner Zimmertür, dann aber wieder zurück zum Fenster. Draußen war es Taghell und – oh Wunder! – die Sonne schien. Wieder öffnete ich meine Schranktür, doch diesmal um mir etwas zum anziehen raus zu suchen.
Ich beschloss mal von meiner üblichen Kleiderwahl abzuweichen und nahm mir ein weißes Kleid, das mir bis zu den Knien ging. Dann schlüpfte ich in ein Paar Ballerinas und schnappte mir eine schwarze Handtasche. Ob es zusammen passte wusste ich nicht, aber es war mir egal. Zum Schluss steckte ich mein Portemonnaie ein und ging den Flur entlang die Treppen hinunter.
Dabei begegnete ich Malena und ihrer Freundin die sie seit neuestem immer mit sich herum schleppte. Beide starrten mich mit offenen Mündern an und schwiegen. Zum ersten Mal seit meiner Zeit hier ließ Malena keinen blöden Kommentar los.
Steffen war in seinem Büro und ich klopfte vorsichtig an.
„Herein.“, sagte er und ich öffnete die Tür. „Oh.“
„Kann ich mir ein Auto leihen?“, fragte ich und schaute ihn so lieb ich konnte an.
„Äh, klar.“, sagte er und blinzelte. „Nimm am besten meins.“, sagte er und warf mir seinen Autoschlüssel zu.
„Danke.“, rief ich und schloss die Tür. Auf dem Weg zur Garage sah ich, dass Tyr an unserer Auffahrt lungerte und mich genau in dem Augenblick entdeckte, als ich ihn sah.
„Ray!“, rief er und wollte schon auf mich zu kommen, als einer der Wachen ihn zurück rief. Er diskutierte kurz mit der Wache, aber die schüttelte den Kopf und schob ihn unsanft zurück.
Währenddessen ging ich hinein und schmiss meine Handtasche auf den Beifahrersitz neben mich, startete den Motor und fuhr los. Auf der Straße ein Stück von meiner Auffahrt entfernt blieb ich stehen und stieg aus.
Tyr hatte es gesehen und machte sich auf den Weg zu mir. Er rannte fast und als er bei mir war, fiel mir auf, dass er nicht einmal schwer atmete.
„W-wie siehst du denn aus?“, fragte er und schaute mich verblüfft an.
„Was wolltest du von mir?“, fragte ich und versuchte kühl zu klingen. So wie ich es mir vorgenommen hatte.
„Fragen ob du Lust hast mit mir in die Stadt zu kommen.“, sagte er und starrte weiterhin wie ein Trottel mein Outfit an. „Wo willst du hin?“
„Shoppen.“, sagte ich kurz und wollte wieder einsteigen. „Wir sehen uns morgen.“ Gerade wollte ich meine Tür öffnen, als er sich mir in den Weg stellte.
„Du Hasst shoppen.“, sagte er und zog eine Augenbraue hoch.
„Einbildung ist auch eine Bildung.“, sagte ich und lächelte ihn süß an. Dann legte ich ihm meine Hände auf die Brust und schob ihn weg von meiner Tür. Irritiert schaute Tyr mich an. „Weißt du ich wollte die ganze Zeit schon etwas tun.“, sagte ich leise und kam ihm ganz nah.
Instinktiv oder aus irgendeinem anderen für mich unerklärlichen Grund zuckte er zurück und wich mehrere Meter von mir zurück.
„Nicht“, sagte er mit weit aufgerissenen Augen.
Lachend schüttelte ich den Kopf und stieg wieder in den Wagen und fuhr davon. Im Rückspiegel sah ich, dass er mir nachlaufen wollte es aber ließ.
Laut drehte ich die Musik auf und fuhr auf die Autobahn. Singend raste ich die Autobahn entlang und hielt Ausschau nach Polizei, aber ich kam ohne Probleme durch. In Berlin fädelte ich mich dann in den Verkehr ein und fand schnell einen Parkplatz.
Immer noch am summen steckte ich meine Kopfhörer in die Ohren und lief los. Wahrscheinlich lief ich einmal durch das komplette Berlin, denn als ich meine Tüten in den Händen anschaute musste ich grinsen. Es waren nicht diese Schikimiki Klamotten die andere Mädchen in meinem Alter trugen. Es waren Klamotten von meinem üblichen Style und manchmal auch ein paar Teile, die ein normaler Teenager trug. Allerdings hatte ich mir auch meine Haare machen lassen und sah schaute ihm im Rückspiegel wieder meine nun braunen Haare an, die nun in frechen Stufen geschnitten waren und ein schräger Pony in mein Gesicht fiel. Lachend pustete ich mir einige Strähnen aus dem Gesicht und verstaute die Tüten im Kofferraum.
„Hallo Ravyn.“, die Stimme kam von direkt hinter mir und abrupt drehte ich mich herum. Mein Herz setzte für ein paar Schläge aus und entsetzt starrte ich dieses gefährlich schöne Gesicht an. „Ich hab dir gesagt, dass ich dich hole.“
Ich wich mehrere Meter zurück und stieß mit meinem Rücken gegen den Wagen.
„Nicht…“ Meine Stimme war nur ein Flüstern und verlor sich in der Dunkelheit.
„Ich bin ein Jäger. Du bist meine Beute. Du hast zwei Möglichkeiten. Flieh oder gib sofort auf. Helfen kann dir eh keiner mehr. Tyr ist viel zu weit weg um dich zu schützen.“, Darians Stimme war ein sanftes Geräusch in der Dunkelheit und ich hielt unwillkürlich die Luft an. Mit einem Mal wurde mir klar, dass das heute nicht ich war. Das Mädchen das shoppen war, das war nicht ich. Ganz und gar nicht ich.
„Was willst du?“, fragte ich nun etwas lauter. Mir fiel gerade etwas ein. Darian lachte schallend und ich zuckte zusammen. Es war das gleiche Lachen wie in meinem Albtraum. Darian kam so nah an mich heran, dass sich unsere Nasenspitzen berührten. Aber statt mich zu küssen senkte er sein Gesicht und öffnete seinen Mund. Ich merkte es an seinem heißen Atem der gegen meinen Hals prallte. Mein Puls raste und meine Luft kam in kurzen Stößen über meine Lippen. In meinen Gliedern saß eine schreckliche Ahnung, aber ich wollte es nicht glauben. Fest presste ich meine Augen zusammen und versuchte so vorsichtig wie möglich den Ring aus meiner Handtasche zu holen. Es war der Ring den mir Darian gegeben hatte und ich erinnerte mich sehr gut an seine Worte.
„Was…“, begann Darian als er den Ring sah. Ich hatte ihn mir an den Finger gesteckt und starrte ihn an. Auf ihm leuchteten nun rote Ornamente. Diese Verschnörkelung war wirklich schön.
„Nein!“ Darian wich mehrere Meter von mir zurück. „Verschwinde!“, brüllte er wütend und war verschwunden. Ich ließ es mir nicht zweimal sagen, als sprang ich ins Auto, startete den Motor und raste los. Mein Blick ging zur Tankanzeige; es war noch genug drin.
Gefühlt war mein Rückweg kürzer als mein Hinweg, doch in diesem Moment interessierte es mich nicht. Der Instinkt schrie mich an weiter zu flüchten. Einfach zu fahren, gar nicht mehr anzuhalten. Schrie so laut, dass ich selber zu schreien begann.
Das Auto schlingerte und ich schrie weiter.
„Tritt auf die Bremse!“, Tyr war plötzlich neben mir.
„Oh Gott! Was machst du hier? Wie bist du her gekommen?“, ich starrte ihn, achtete nicht weiter auf die Straße.
„Bremse!“, brüllte Tyr und ich trat aus Reflex darauf. Schlitternd und mit quietschenden Reifen blieb das Auto am Seitenrand stehen. Entsetzt keuchte ich und versuchte zu atmen. Ein aus, ein aus, ein aus. Immer wieder widerholte ich es in meinem Kopf bis sich meine Atmung beruhigt hatte. Nun drehte ich langsam meinen Kopf zur Beifahrerseite und ich sah Tyr. Wie er mich anstarrte. Wie seine Hände sich zu Fäusten geballt haben. Seine Nasenflügel waren gebläht und er hatte die Lippen zusammen gepresst.
„Dir ist klar, dass du hättest sterben können?“ Tyr versuchte seine Stimme ruhig zu halten, doch in seinem Unterton konnte ich die unterdrückte Wut hören. Am liebsten hätte er wohl gebrüllt. „Wieso hast du nicht einfach angehalten und hättest mich angerufen? Oder deinen Vater? Wieso bist du gefahren und hast dich nicht einfach im Auto eingeschlossen, solange bis du dich wieder einigermaßen unter Kontrolle hast?“ Bei jedem Wort zuckte ich zusammen.
„Sie wollte nicht mit dir reden.“, sagte ich leise und senkte den Blick.
„Sie?“, man hörte in seiner Stimme immer noch die Wut, wo sich jetzt noch Skepsis hinein mischte. Unsicher ob ich es ihm erzählen sollte, schaute ich zu ihm hoch.
„Ich war vorhin hin nicht ich. Keine Ahnung was los war, aber das war definitiv nicht ich. Ich hasse Shoppen.“, ich verzog meinen Mund und senkte wieder den Blick. Hob ihn aber wieder, als ich Tyr lachen hörte. Und wie er lachte! Es schallte durch das ganze Auto und verblüfft starrte ich ihn an, wie er den Kopf nach hinten warf und lachte. „Was?“
„Du standest also unter Zwang.“ Tyr lachte weiter hin und bemerkte meinen wahrscheinlich völlig bescheuerten Gesichtsausdruck nicht. Was hatte er da gerade gesagt?
„Zwang?“, fragte ich und kniff die Augen leicht zusammen.
„Oh.“, sagte er und war schlagartig ganz nah bei mir. Schaute mir fest in die Augen. „Du wirst das eben gesagte vergessen.“, seine Stimme war jetzt mild, sanft, ein ruhiges Rauschen. Ich runzelte die Stirn und schaute ihn weiterhin an. „Vergiss das Gesagte!“, sagte er nun bestimmter und ich sah wie das schwarz seiner Pupillen das Blau verschlang. Meine Reaktion war so heftig das ich mit meinem Kopf gegen die Fensterscheibe knallte. Schmerzend pochte die Stelle und ich tastete nach dem Türöffner. Wo war das verdammte Ding wenn man es gerade brauchte?
„Man seid ihr alle verrückt. Ihr solltet euch einweisen lassen.“, sagte ich und verließ fluchtartig das Auto. Weit kam ich jedoch nicht, denn ich stand direkt auf der Fahrbahn. Autos sausten an mir vorbei und helle Lichtstrahlen kamen Schwindel erregend schnell auf mich zu. Jäh wurde ich zurück gerissen und landete auf dem feuchten Waldboden. Tyr lag über mir und starrte mich an.
„Diesen Ring kenne ich doch. Woher hast du ihn?“, fragte Tyr mich und hielt mir meine Hand vor die Nase.
„Geschenkt bekommen.“, presste ich hervor.
„Von wem?!“, Tyr brüllte fast und ich wälzte mich hin und her. „Von wem!“
„Darian.“ Tyr sprang auf und brüllte. Sofort war ich auf den Beinen und stieg ins Auto. Mit schlingernden Reifen fuhr ich los.

7. Kapitel


Panisch stürmte ich ins Haus und merkte, dass alle schon am schlafen waren. So leise wie ich konnte schlich ich in mein Zimmer und schloss mich ein. Fenster für Fenster ließ ich mein Rollo herunter und schaute nach ob die Fenster auch wirklich geschlossen waren.
Danach legte ich mich auf mein Bett und rollte mich unter Decke zu einer Kugel zusammen. Wartend lag ich da und starrte den Ring an. Wartete auf den Schlaf. Wartete darauf, dass dieser ganze Albtraum endlich vorbei war. Das ich aufwachte und alles in Ordnung war.
Irgendwann musste ich eingeschlafen war, denn ich wurde durch das laute Pochen an meiner Zimmertür geweckt.
„Ravyn!“, Steffens Stimme war besorgt. „Mach doch endlich mal die Tür auf.“ Langsam stand ich auf und schloss auf. Sofort stand mein Vater im Zimmer. „Wie siehst du denn aus?!“
„Mir geht’s nicht gut.“, sagte ich und hustete demonstrativ. Heute wollte ich nicht in die Schule. Um ehrlich zu sein traute ich mich nicht, denn ich wollte weder Tyr noch Darian begegnen. Sie waren böse, zumindest war mir das so in Erinnerung. „Leg dich hin und ruh dich aus. Vor allem aber lass frische Luft rein.“
Sowie Steffen draußen war, zog ich mir einen Schlafanzug an und fuhr die Rollos hoch, machte weit ein Fenster auf.
Schlaftrunkend legte ich mich wieder ins Bett und war wieder eingeschlafen.
Mein Traum war diesmal in einem Einkaufszentrum. Dort wimmelte es von Menschen und kleinen Kindern. Sie unterhielten sich lachend und schaute auf, wenn ich an ihnen vorbei ging. Suchend drehte ich mich herum und wunderte mich, warum ich hier war. Komischer Traum.
„Der einzige Ort an dem ich in Ruhe mit dir reden kann.“, die Stimme ließ mich kurz aufschreien, doch ich verstummte sofort. Die Leute schauten mich komisch an, etwas was ich nicht ausstehen konnte. „Nimm bitte den Ring ab.“ Tyr schaute auf den Ring an meiner Hand. Etwas an seiner Stimme brachte mich dazu den Ring abzunehmen und ihm Tyr hinzuhalten. Mit spitzen Fingern nahm er ihn und steckte ihn in seine Hosentasche.
„Wirst du mir wehtun?“, fragte ich und hielt einen gewissen Abstand zwischen ihm und mir. Vorsichtig schaute ich ihm in die Augen.
„Ich möchte dich nicht unter Zwang setzen, sondern nur dich um etwas bitten.“, sagte er und schaute sich um.
„Und was?“, fragte ich und wurde nervös. Meine Ränder verschwammen leicht und ich merkte wie ich wacher wurde.
„Vertrau mir einfach. Bitte.“, flehte Tyr leise und ich spürte wie ich nickte.
Als ich meine Augen aufschlug drehte ich meinen Kopf zu meinem Nachttisch und sah dort den Ring liegen. Er half mir gegen dieses komische Zwang Zeugs. Ich steckte ihn mir auf den Finger und wieder erschienen diese hübschen Verschnörkelungen. Rot glühten sie mir entgegen und verträumt starrte ich sie an.
Was sollte ich jetzt tun? Sorgsam ordnete ich meine Gedanken und wandte mich meiner ersten Frage zu. Was waren Tyr und Darian für Leute? Darian war übernatürlich schnell gewesen und hatte ausgesehen wie ein Monster. Bei Tyr war es ebenso. Allerdings kam jetzt auch die Sache mit dem Zwang oder Gedankenkontrolle dazu. Was wusste ich noch und was hatten sie aus meinem Gedächtnis gelöscht? Hatten sie überhaupt etwas getan? Wenn ja, warum?
Seufzend stand ich auf und zog mir etwas Bequemes an. Dann setzte ich mich an meinen Laptop und loggte mich in meinen E-Mail Account ein. Ich überflog die Werbung und filterte die wirklich wichtigen Mails heraus. Mehrere von meiner Mutter und wieder eine Einzige von einer Unbekannten Adresse.
Die Mails meiner Mutter las ich mir sorgfältig durch und tippte dann eine Antwort dazu. Sie fiel recht spärlich aus. Mit zitternden Händen starrte ich auf die Adresse des Absenders und klickte dann auf ‚Öffnen‘
‚Das Böse schwebt über dir wie die Nacht am Himmelszelt. Widerstanden hast du ihr bereits, aber kannst du es auch ein zweites Mal?‘

Schluckend loggte ich mich wieder aus. Tränen rollten mir über die Wangen und ich brach im Stuhl zusammen. Das wurde mir alles langsam zu viel. So viel konnte ich nicht vertragen ohne mich jemandem anvertrauen zu können.
Wie lange ich so dort saß; das Gesicht in den Händen versteckt und die Ellenbogen auf dem Schreibtisch gestützt. Erst als etwas gegen mein Fenster klopfte, zuckte ich aus diesem Zustand zusammen und hob den Kopf. Mechanisch öffnete ich mein Fenster und schaute hinaus.
„Hallo?“, fragte ich leise und schaute nach draußen. Die Lichter im Pool waren eingeschaltet und ich sah, dass Lukas und seine Freundin lachend darin schwammen. Carola saß auf der Terrasse und las ein Buch. Steffen sah ich nirgends, wahrscheinlich war er in seinem Büro. Also schloss ich das Fenster wider und drehte mich herum.
Ein spitzer Schrei entfuhr mir, als ich die dunkle Gestalt an meiner Tür sah. Sofort war sie bei mir und legte mir eine Hand auf den Mund. Doch wer es war konnte ich nicht erkennen. Keuchend und mit weit aufgerissenen Augen starrte ich die von Schatten bedeckte Gestalt an. Mein Puls raste und ein rauschen war in meinen Ohren zu hören. Vor meinen Augen tanzten kleine Sterne als ich endlich wieder Luft holen konnte.
„Tut mir leid. Ich wollte dich nicht erschrecken.“, sagte Tyr und schaltete das Licht ein. Kurz kniff ich die Augen zusammen, weil die plötzliche Helligkeit weh tat.
„Was machst du hier?“, platzte es aus mir heraus und blinzelnd öffnete ich eines meiner Augen.
„Dich besuchen.“, sagte er und ließ sich auf das Bett sinken. Stocksteif blieb ich stehen und schaute ihm dabei zu wie er es sich gemütlich machte.
„Haha“, gab ich sarkastisch zurück und fing an die Vorhänge zuzuziehen. „Was willst du?“
„Mit dir reden.“
„Und worüber?“, fragte ich spitz und warf ihm einen Blick zu.
„Du hast ziemlich viele Fragen die du mir wahrscheinlich alle stellen willst, richtig? Nun – kann das warten?“ Er schaute mir weiterhin seelenruhig dabei zu wie ich mich mit den Vorhängen abmühte. Auch wenn ich mit meinen eins siebzig recht groß war, so war meine Ungeschicklichkeit noch größer. Nach etlichen Minuten der Demütigung stand Tyr neben mir und half mir seufzend. Dicht vor mir blieb er stehen und schaute mich an. Wie groß war der Typ eigentlich? Sicher um die eins neunzig.
„Was ist los?“, fragte er leise und nahm mein Kinn in seine Hand und zwang mich so ihn anzusehen. Seine blauen Augen waren so atemberaubend schön, dass ich meine Augen schloss.
„Nichts“, flüsterte ich leise und wandte mich mit heißen Wangen von ihm ab. „Du solltest nicht hier sein.“
„Ich hab es satt ständig ein Gespräch anzufangen nur um dann gleich schon am Anfang aufzugeben und noch ratloser als vorher zu sein.“, sagte Tyr und wirkte etwas gereizter.
„Du hast also keine Lust mehr auf diesen Spießroutenlauf, ja?“, fragte ich und musste lächeln. „Wieso hast du dann überhaupt damit angefangen, hm?“ Ein Schnauben war zu hören und schließlich drehte ich mich herum. „Ich hab keine Ahnung was du bist oder was Darian ist. Wenn ich ehrlich bin, will ich es eigentlich gar nicht wissen. Mir wäre es lieber weiterhin nichts davon zu wissen. Ehrlich ich kann damit nicht umgehen. Das Einzige was mir ein bisschen Halt gibt ist der Gedanke, dass wenn ich den Ring trage, dass ich da vor euch in Sicherheit bin.“ Mein Versuch zu Lächeln missglückte. Aus dem Augenwinkel konnte ich sehen das mein Lächeln zu gezwungen und meine Augen eine Traurigkeit ausstrahlten, dass ich Tyr nicht täuschen konnte.
„Du willst einfach alles vergessen?“, fragte Tyr leise. „Bist du dir da sicher?“
„Es tut mir leid, aber ich muss mich selber schützen, Tyr.“ Oh wie ich es genoss seinen Namen auszusprechen. „Ich kann nicht immer an andere denken.“ Innerlich schimpfte ich mich eine Arrogante Kuh. Wie selbstsüchtig konnte ich nur sein?
„Wenn ich dich vergessen lasse, dann wirst du mich wohl nie wieder sehen.“, sagte Tyr leise und verzog gequält sein Gesicht. Meine Hände zuckten; ich wollte sein Gesicht in meine Hände nehmen und ihm sagen, dass alles gut wird, auch wenn ich nicht wusste, was er war. „Willst du das wirklich weiterhin tun? Einfach dein Leben weiter leben, so tun als hätte es mich nie gegeben?“ Tränen traten mir wieder in die Augen als er das sagte. Seine Stimme sprach Bände.
„Tyr ich …“, fing ich an, aber er ließ mich nicht ausreden.
„Das kann ich nicht tun.“, sagte er leise. „Ich kann nicht. Tut mir leid.“ Überrascht schaute ich auf und wischte meine Tränen weg.
„Du kannst nicht? Warum?“, fragte ich leise und war unsicher ob ich auf ihn zu gehen oder doch lieber hier stehen bleiben sollte. Tyr hatte seine Mine wieder unter Kontrolle und nun schaute er mich ernst an.
„Darum.“ Dann war er so nah bei mir, dass sich unsere Körper berührten. Kurz presste er seine Lippen auf meine und war schließlich verschwunden. Hinterließ nur das Prickeln auf meinen Lippen und den wunderbaren Duft der von ihm ausging.

8. Kapitel


Mein Leben fühlte sich an als hätte ich einen Filmriss gehabt und würde nun einen Neuanfang machen. Doch ungewiss was in meiner Vergangenheit passiert ist, stürzte ich in etwas was ich nicht beschreiben konnte. Eigentlich hatte ich geplant einen neuen Anfang zu machen, einen besseren Anfang als bei meiner Mutter zu Hause. Doch es schien, als hätte ich es auch hier gründlich vermasselt. Seit Tyr aus meinem Zimmer verschwunden war fühlte ich mich so einsam wie noch nie in meinem Leben. Es schien als würde etwas aus mir heraus gerissen und doch war ich vollständig. In der Schule wurde ich wieder normal behandelt und saß wieder bei den vielen Leuten am Tisch. Zwar war ich anwesend, aber nicht geistlich. Ständig dachte ich an Tyr, an unsere kurze Zeit zusammen. War es wirklich erst eine Woche her wo er gegangen war? In der Schule fühlte es sich so leer an, wenn ich ihn nirgendswo sah. Aber etwas, was mich völlig verstörte war, dass Darian noch hier war. Seelenruhig saß er neben mir im Unterricht, warf mir Blicke zu und lauerte mir manchmal sogar auf. Das war einer der Gründe weswegen ich seit neustem nicht mehr alleine irgendwohin ging.
Lukas und ich hatten unsere Freundschaft etwas aufgefrischt und standen uns nun näher als vorher. So kam es auch, dass wir in den Herbstferien jeden Tag zusammen lungerten und etwas unternahmen. Am letzten Schultag hatten wir uns dazu durchgerungen in den Pool zu gehen um ein wenig zu schwimmen.
„Wir hätten lieber ins Schwimmbad gehen sollen. Da ist das Wasser wenigstens warm.“, sagte ich zitternd und schlang die Arme um meinen Oberkörper. Lukas schmunzelte darüber und zog mich zu sich in die Arme. Es war eine freundschaftliche Umarmung, zumindest für mich.
„Wusstest du, dass Freya und ich nicht mehr zusammen sind?“, fragte Lukas in unser Schweigen hinein. Überrascht schaute ich hoch in sein Gesicht.
„Echt?“, fragte ich und zog eine Augenbraue hoch. „Scheint dir ja nicht sonderlich weh zu tun.“, stellte ich fest und legte meinen Kopf wieder auf seine Schulter. So spürte ich sein Schulterzucken und musste lachen.
„Manchmal ist das einfach so.“ Lukas pikste mir in die Seite und lachend machte ich mich los. Wir tollten eine Weile herum und hievten uns dann aus dem Wasser. Lachend trockneten wir uns ab und gingen dann rein.
„Es ist bald Winter und ihr planscht draußen in eiskaltem Wasser nur in Shorts und Bikini herum. Seid ihr noch ganz bei Trost?!“ Carola schaute uns entgeistert und ein wenig sauer an. „Ab unter die heiße Dusche mit euch, sonst werdet ihr noch krank.“
Mit eingezogenem Kopf gingen Lukas und ich nach oben in unseren Flur. Oben angekommen kicherten wir und gingen nacheinander schön heißt duschen. Während ich unter der Dusche stand, merkte ich, dass ich weinte. Verwirrt wischte ich mir die Tränen aus den Augen und schaute nach unten. An meinem Finger blitzte der silberne Ring auf und ich bemerkte, dass die roten Verschnörkelungen wieder da waren. Nach Wochen des Fernbleibens waren sie wieder da. Verwundert schaute ich es mir genauer an, als mich ein Gedanken durchzuckte. Tyr.
Eilig machte ich die Dusche aus und wickelte mich in ein Handtuch. Ungeschickt riss ich das Fenster auf und suchte das Umfeld mit meinen Augen ab. Immer und immer wieder ließ ich den Blick über die Büsche unten gleiten und hob ihn dann zu den Bäumen.
Da! In einem von ihnen bewegte sich etwas. Ich schaute genauer hin und erkannte nach einiger Zeit Umrisse einer Person. Scharf zog ich die Luft ein, kniff kurz die Augen zu und öffnete sie wieder. Doch da war die Person wieder verschwunden. Geknickt machte ich das Fenster wieder zu und schaute auf meinen Ring. Er war wieder Silber, ohne jegliche Anzeichen auf rote Verschnörkelungen.
Seufzend zog ich mich an und föhnte mir die Haare. Das Handtuch warf ich in den Wäschekorb und schaute mich schließlich in dem überdimensionalen Spiegel an. Meine Kleidung schien viel zu groß für meinen Körper zu sein und beim genaueren hinsehen, merkte ich das ich dünn geworden war. Die immer noch braunen Haare umrahmten mein blasses Gesicht und ließen damit meine Augen mehr hervorstechen. Besorgt schaute ich mich weiter an und begegnete dann wieder meinen Augen. Ihre Besorgnis sprang mir förmlich entgegen und ich schnappte nach Luft.
Das Blau meiner Augen war nicht so strahlend wie das von Tyr, aber sie erinnerten mich an ihn. Unwillkürlich musste ich daran denken wie er mich vor einem Autounfall gerettet hatte. Seine Wut war meine Wut gewesen und seine Trauer meine. Plötzlich wurde mir klar, weswegen Tyr so gewesen war. Es schoss mir durch den Kopf, als ich den Blick auf meine Lippen heftete. Noch immer konnte ich den sanften Druck seiner Lippen spüren, als er mich geküsst hatte. Lächelnd hob ich meine Hand und berührte mit den Fingerspitzen meinen Mund und legte sie daran.
Tyr hätte mich nicht einfach so geküsst. Er hatte seine Gründe und sie waren mir jetzt erst klar geworden. Seine Feindlichkeit gegenüber Darian war nun ebenfalls klar. Er mochte mich und ich redete hier nicht von der Kindergartenbezeichnung von mögen sondern von richtig mögen.
„Ravyn!“ Lukas Stimme riss mich aus meinen Gedanken und ich öffnete die Tür. „Du brauchst Stunden! Wollen wir uns nun einen Film angucken oder nicht?“, fragte er und lachte. So gut es ging versuchte ich es zu erwidern und nickte dann.
Wir schoben den Fernseher an das Fußende seines Bettes und kuschelten uns dann aufs Bett. Er schaltete den Film ein und ich versuchte ernsthaft etwas von dem Film mitzubekommen, aber immer wieder schielte ich zu dem Ring an meinem Finger.
„Von wem hast du eigentlich den Ring?“, fragte Lukas mitten im Film. Völlig perplex antwortete ich ihm.
„Von Darian.“
„Darian?! Nicht dein Ernst!“ Lukas lachte. „Wieso sollte er so etwas tun?“ Ich zuckte mit meinen Schultern und presste die Lippen zusammen.
„Er hat ihn mir einfach gegeben. Meinte das ich irgendwann wüsste weswegen er ihn mir gibt.“, sagte ich leise und schaute zu ihm hoch. Grübelnd schaute Lukas auf den Ring, nahm dann meine Hand hoch um ihn besser zu betrachten.
„Er steht dir.“, sagte er und lächelte mich dann an.
„Kann sein.“ Ich wollte den Blick abwenden als Lukas mein Kinn mit einer Hand festhielt. Wartend schaute ich ihm an und da hatte ich ein Deja Vu. Tyr und ich hatten in ungefähr der gleichen Position gestanden. Lukas kam mir mit seinem Gesicht näher und ehe ich richtig realisiert hatte was er vor hatte, küsste er mich.
Ein warmes Gefühl kroch durch meinen Körper und zum ersten Mal wurde mir wieder richtig warm. Ich küsste Lukas zurück und so rollte er uns herum, dass er über mir lag. Den Film hatten wir beide vergessen.
„Deswegen macht es dir nichts aus, dass du und Freya nicht mehr zusammen seid. Weil du sie nicht mehr liebst.“, sagte ich und schaute ihn an.
„Ja.“, gab er knapp zurück und kam wieder näher.
„Warte.“, sagte ich und legte eine Hand auf seine Brust.
„Ja?“
„Woher soll ich wissen, dass du dich nicht einfach über sie hinweg trösten willst?“, skeptisch schaute ich ihm ins Gesicht und musterte das Grinsen. Statt einer Antwort küsste er mich wieder.
„Deswegen“, flüsterte er an meinen Lippen und fuhr mit seiner Hand unter mein Top. Seine Hand war warm auf meinem Bauch und sie kroch immer weiter hoch. Schob dabei das Top soweit hoch, dass er meinen Bauch küsste. Zum einen Genoss ich es endlich Zärtlichkeit zu spüren, genoss die Nähe, doch im Stillen fragte ich mich, ob ich es wirklich tat, weil ich Lukas so sehr mochte.
„Stop. Warte. Hör auf.“, stieß ich aus und rutschte von ihm weg. Umständlich zog ich mein Top herunter und schlang meine Arme um meinen Körper. „Glaubst du ernsthaft, dass ich dich so schnell ranlasse?“, fragte ich und musterte ihn mit einem Blick der hätte töten sollen.
„Nein.“ Lukas senkte schuldbewusst die Augen. „Tut mir leid.“
„Ich geh wohl am besten wieder rüber.“ Damit erhob ich mich und verließ sein Zimmer. Schnaufend schloss ich meine Zimmertür hinter mir ab und warf mich auf mein Bett. Minutenlang starrte ich einfach nur an meine Decke und dachte an die Situation eben. Was hatte ich da nur angestellt?
Das schlimmste war jedoch, dass ich nicht Lukas geküsst habe, sondern in Gedanken bei jemand ganz anderem gewesen war. Ständig. Jederzeit. Vor allem gerade eben. Als würde er mit Absicht in meinem Verstand bleiben. Sich darin festsaugen und sich ausbreiten. Es schien als würde ich Tyr so schnell nicht vergessen können und wahrscheinlich hatte ich da nur eine Möglichkeit.
Vielleicht sollte ich Darian bitten mein Gedächtnis so umzupolen, dass ich ohne Tyr leben konnte. Das ich dachte, dass ich ihn niemals kennen gelernt habe. Ja, das ich sogar an ihm vorbei laufe und nicht weiß wer er ist.
Aufgewühlt stand ich auf und suchte mich Klamotten aus dem Schrank. Wie üblich hatte ich eine schwarze Röhre an und schlüpfte in einen komplett schwarzen Kapuzenpullover. Meine Haare band ich mir zu einem Zopf zusammen und steckte meinen Pony nach hinten weg. Ich zog meine Schuhe an und band die Schnürsenkel zu. Schließlich öffnete ich mein Fenster und schaute nach unten. Die gesamten Lichter waren ausgeschaltet und würden sich wahrscheinlich nur über Bewegungsmelder einschalten.
Ich schätzte die Tiefe ab und suchte nach etwas, wo ich mich festhalten konnte. Doch wenn man bedachte, dass ich mich im zweiten Stock befand, war es doch sehr waghalsig dort runter zu springen.
So beschloss ich mich aus dem Haus zu schleichen; was definitiv nicht einfach werden würde. Leise öffnete ich meine Tür und war schon fast an der Treppe als mir der Baum vor einem meiner Fenster einfiel. Ich ging zügig zurück in mein Zimmer, schloss wieder ab und öffnete ein anderes Fenster.
Perfekt, dachte ich und kletterte auf die Fensterbank. Wenn ich mich etwas weiter vor lehnte, konnte ich einen der Äste greifen und mich dann auf den kräftigen Ast darunter hangeln. Gesagt getan.
Als ich endlich auf dem Boden stand und meine Knie Wackelpudding glichen, überlegte ich wie ich am besten zu Darian kommen würde.
Glücklicherweise hatte ich ja seine Adresse. Ironisch und sauer auf mich selbst schlug ich mir gegen die Stirn und lief geduckt zum hinteren Teil des Grundstückes. Statt einem Zaun standen Büsche dort und ich zwängte mich hindurch. Äste kratzten mir die Haut auf und rissen mir meine Kapuze herunter. Leise jammerte ich als ich mir Haare rausriss und schließlich auf dem Grundstück eines Nachbars stand. Ich schlich zur Straße und den Bürgersteig entlang. Mein Ziel war der Park der hier ganz in der Nähe war. Dort war ein kleiner Wald und genau dort würde ich nach Darian rufen.
Auf dem Weg dahin versteckte ich mich im Schatten der Bäume, wenn ab und zu ein Auto vorbei fuhr.
Im Wald stolperte ich einige Male über Wurzeln und fiel ein paar Mal hin. Wahrscheinlich würde ich morgen überall blaue Flecken haben.
Komischer Weise musste ich mich an einen Film erinnern wo ein Mädchen sich aus dem Haus schlich um sich mit ihrem Freund zu treffen und dann die glücklichste Person auf der Welt war. Ich jedoch schlich mich heraus um diese Person zu vergessen.
Endlich kam ich auf der Lichtung an und schaute mich erstaunt um. Sie sah genauso aus wie in meinem Traum.
„Darian!“, rief ich laut und schaute mich weiter um. Lange ließ er mich nicht warten. Fast Augenblicklich tauchte er vor mir auf und schaute mich aus seinen grünen Augen.
„Hallo Ravyn.“

9. Kapitel


Schweigend stand ich da und schaute sein süffisantes Grinsen an. Seine Haltung war so selbstgefällig das ich mir ein Würgen unterdrücken musste.
„Du bist nicht einfach so aus Langeweile hier.“ Stellte Darian fest und schaute mich wachsam an. Entschlossen streckte ich mein Kinn in die Höhe und musterte ihn kühl.
„Egal was du bist und egal was du von mir willst. Ich möchte, dass du deine abnormen Fähigkeiten anwendest und mich vergessen lässt.“, sagte ich fest und überlegte ob er überhaupt verstanden hatte was ich von ihm wollte. Erkenntnis blitzte in Darians Augen auf und er umrundete mich.
„Wozu soll das gut sein, wen ich fragen darf?“ Sein spöttischer Unterton entging mir nicht.
„Oh, damit ich dich endlich los bin.“, zischte ich und hätte mich Ohrfeigen können. Darian lachte nur und umrundete mich weiter.
„Es hat mein meinem Bruder zu tun oder? Gib es zu. Es bricht dir das Herz das er einfach verschwunden ist nachdem du ihn so unsanft die Abfuhr erteilt hast.“, schnurrte er und der Ekel kroch weiter in mir hoch.
„Hör auf noch große Reden zu halten und tu es. Oder noch besser; töte mich doch gleich.“ Mit zusammen gekniffenen Augen schaute ich den bleichen Darian an.
„Nein!“, donnerte er mir entgegen. Plötzlich stand ich mit dem Rücken an einem Baum und Darian starrte mich wütend an. „Das werde ich sicher nicht tun!“ Seine Stimme waren Hammerschläge und dröhnten mir noch lange in den Ohren.
„Wenn ich mich nicht täusche, dann wolltest du mich doch letztens auch töten.“, sagte ich und hörte, dass meine Stimme ruhig und kühl war. Darian brachte Distanz zwischen uns.
„Du hast ja gar keine Ahnung was für einen Tod du sterben würdest. Und nicht einmal ich würde es dir wünschen.“, drohte er mir und schaute mich an.
„Dann lass mich wenigstens vergessen!“ Meine Güte, jetzt bettelte ich ihn schon an.
„Du liebst ihn mit jeder Faser deines Herzens oder?“, fragte Darian und zwickte sich mit Daumen und Zeigefinger in die Nasenwurzel. Sein Gesicht zeigte Schmerz? Als ich nichts sagte schaute Darian mich an. „Wenn Tyr es heraus findet wird er mich töten.“ Darian war so nah an mir dran, dass unsere Nasenspitzen sich fast berührten. „Bist du dir sicher?“
Nein, verdammt ich war mir nicht sicher. Doch statt es zu sagen, nickte ich nur und zog den Ring vom Finger. „Hier. Den brauche ich ja jetzt wohl nicht mehr.“ Ich legte ihn in Darians Hand und schloss seine Finger um den Ring. „Sag’s ihm ja?“, flüsterte ich leise und hob den Blick.
„Versprochen.“, sagte Darian genauso leise zurück und schaute mir in die Augen. Ein letztes Mal erhaschte ich aus dieser Nähe einen Blick auf das Grün in seinen Augen. Dann wurden sie schwarz.

Es schneite! Kleine weiße Flocken fielen vom Himmel auf die Erde und schmolzen sofort.
„Guck mal, es schneit!“, rief ich Lukas zu und lief lachend nach draußen. Schnee hatte ich schon immer geliebt. Seine Schönheit war unvergleichlich. Er glitzerte wenn die Sonne darauf schien und er ließ alles so freundlich strahlen. Außerdem erhellte er die Dunkelheit so sehr, das sogar ich mich raus traute.
„Man könnte denken, dass du ein kleines Kind bist.“, lachte Lukas und zog mich in eine Umarmung. Grinsend kuschelte ich mich hinein und gab ihm einen Kuss.
„Vielleicht bin ich das sogar. Ist das schlimm?“, gespielt schaute ich ihn traurig an und erreichte damit mein Ziel. Er fing herzhaft an zu lachen und schüttelte den Kopf.
„Na los komm wir müssen in die Schule. Sonst kommen wir zu Spät“, sagte er gespielt ernst und hob den Zeigefinger. „Und liebe Kinder hören auf das, was der Papa sagt.“ Darauf musste ich lachen und so stapften wir zusammen zum Bus. Mit Skateboard fahren war jetzt nicht mehr viel. Auf dem nassen Untergrund würde man nur wegrutschen. Wir alberten noch herum und selbst der Busfahrer der uns mittlerweile schon kannte musste den Kopfschütteln.
„Ihr seid ja heute so gut gelaunt.“ Stellte er fest und ich nickte.
„Ja, das kommt davon wenn man eine Nacht nicht schläft, eine Klausur schreibt und bald Weihnachten ist.“, dabei zählte ich das an meinen Fingern auf und grinste dann. Der Busfahrer lachte noch einmal und fuhr dann weiter.
„Verrückte du.“, sagte Lukas und gab mir noch einen Kuss. Gespielt beleidigt verschränkte ich die Arme vor der Brust und streckte ihm wie eine fünf Jährige die Zunge raus.
In der Schule warteten John und die Anderen auf uns. Zusammen gingen wir in den Klassenraum der schon für das Fest der Liebe wunderbar geschmückt worden war. Wir setzten uns hin und mein Blick fiel auf Darian der mir gegenüber auf der anderen Seite des Klassenzimmers saß. Sein Blick bohrte sich direkt in meinen und er wirkte betrübt? Ich runzelte die Stirn und fragte ihn mit stummem Blick, was los war.
Doch er schüttelte nur den Kopf und wandte den Blick wieder ab. Komisch, sonst war er doch nicht so. Oder doch? Anstatt mir weiter darüber Gedanken zu machen steckte ich meine Nase wieder in mein Mathebuch. Die letzte Klausur vor den Ferien, dann war ich endlich befreit von dem ganzen Schulstress.
Als schließlich unser Mathelehrer herein kam und die Mathearbeiten austeilte und uns viel Glück wünschte, runzelte ich die Stirn. Ich ging die Aufgaben durch und schaute mir die Gleichungen an. Es waren nicht sehr andere als in meiner ersten Klausur. Grübelnd beugte ich mich über die Aufgaben und versuchte sie zu lösen. Vergeblich. Für einen Augenblick hob ich meinen Blick und begegnete wieder dem von Darian. Noch immer schaute er mich an und ich hob nur eine Augenbraue. Er wollte mir etwas mit den Augen sagen, doch ich verstand ihn nicht. Wusste nicht was er von mir wollte.
Also beugte ich mich wieder über die Mathearbeit und fing an zu rechnen.
Nach einiger Zeit schienen die Zahlen herum zu springen und das zu tun was sie wollten. Das Gefühl das ich mich an etwas erinnern sollte blieb da, aber ich erinnerte mich nicht. Wieso konnte ich mich daran nicht erinnern? Seufzend gab ich auf und starrte den Rest der Stunde auf mein Arbeitsheft. Weiterhin tanzten die Zahlen über das Papier und schienen sich immer wieder neu zu verformen und Wörter zu bilden. Aber nicht ein einziges Mal wusste ich was das bedeuten sollte. Kopfschüttelnd stempelte ich es als Müdigkeit ab. Der Schlafmangel konnte einem ganz schön Streiche spielen.
„Und konntest du wenigstens etwas?“, fragte mich Lukas und ich schaute auf. Meine gute Laune von heute Morgen war verschwunden.
„Nicht ein bisschen.“, murrte ich und schaute auf die Tischplatte vor mir. „Ich hab mir so viel Mühe gegeben und gelernt. Was hab ich nicht alles getan um das ich eine gute Note schreibe.“, regte ich mich auf und warf die Hände in die Luft. „Immerhin haben wir darüber schon eine Klausur geschrieben und da hatte ich eine gute Note. Da konnte ich alles.“
„Naja, da hast du auch mit Tyr gelernt.“ Lukas schaute mich mit einem Blick an in dem mir die Eifersucht entgegen sprang.
„Ähm…“ Ich zog die Augenbrauen hoch und schaute ihn an. „Keine Ahnung von wem du sprichst.“, sagte ich und zuckte die Schultern. Wer auch immer dieser Tyr war; ich kannte ihn definitiv nicht. Da würde ich mich daran doch erinnern können. Also ließ ich das Thema einfach fallen.
„Wie sieht’s aus Lukas, wollen wir am Wochenende wo Dad und Carola nicht da sind eine Party machen?“, schlug ich vor und grinste ihn an. Lukas zog die Augenbraun zusammen und schien nach zu denken. Wenn er nachdachte, dann bildete sich zwischen seinen Augenbrauen ein kleines V. Er sah niedlich aus, wenn er so da stand und nachdachte.
„Wir laden aber nicht wahllos jemanden ein.“ Lukas lächelte mich an. Freudestrahlend sprang ich auf, schlang meine Arme um seinen Hals und küsste ihn überschwänglich.

10. Kapitel


Darian war tatsächlich gekommen! Das war mein erster Gedanke als ich die Treppe herunter kam. Ich hatte ein mitternachtsblaues Kleid an, dessen Träger recht dünn waren und meine blonden Haare hatte ich zu Locken gedreht. Zusammen mit Taneah hatte ich zum ersten Mal richtig Spaß daran gehabt mich hübsch zu machen. Stundenlang hatten wir darüber gebrütet was wir anzogen und dann hatten wir uns gegenseitig Tipps gegeben und die Haare gemacht.
„Du siehst wundervoll aus. Jeder der etwas anderes sagt ist ein blindes Arschloch.“, flüsterte Taneah mir zu und ich musste daraufhin grinsen. Das Gleiche hatte ich ihr vorhin ebenfalls gesagt. Es war schon erstaunlich wie gut Taneah und ich uns angefreundet hatten und einander blind vertrauten. Als wir unten ankamen ging ein Murmeln durch die Menge.
„Hast du Lukas gesehen?“, fragte ich und hielt nach ihm Ausschau.
„Da kommt er gerade. Zusammen mit Darian und dem wirklich süßen Jungen. Wer ist das?“ Taneah lächelte verlegen und ich sah wie sich eine leichte röte auf ihrem Gesicht ausbreitete. Na das war doch mal ein gutes Zeichen.
„Das ist Chris und er ist verdammt nett.“ Sagte ich ihr schnell, denn die drei Jungs waren schon fast bei uns angekommen. „Hey Leute.“ Chris und ich umarmten uns, Darian lächelte ich zu und Lukas gab ich einen Kuss.
„Oh Leute. Sucht euch ‘n Zimmer!“ Chris verdrehte grinsend die Augen und knuffte Lukas in die Seite.
„Ach Chris. Schaff dir ne Freundin an, dann bist du nicht mehr so ganz alleine.“ Er streckte mir die Zunge raus und wandte sich dann übertrieben ignorant an Taneah.
„Tun wir einfach so als würden sie nicht existieren. Durst?“ Taneah schien unter seinem Lächeln regelrecht dahin zu schmelzen. In Gedanken war ich schon dabei sie mit einem Schwamm aufzusaugen und in einem Topf zu sammeln. Auf diesen Gedanken hin musste ich mir ein Lachen verkneifen.
„Sind doch eigentlich eine ganze Menge gekommen. Ich hoffe nur, dass die sich alle benehmen.“, sagte ich und hackte mich bei Lukas unter. Zusammen gingen wir ins Wohnzimmer wo die Musik laut wummerte. „Hast du das Musikzimmer abgeschlossen?“, fragte ich ihn und schluckte krampfhaft. Wenn das nicht zu war, dann würde ich die Krise kriegen.
„Keine Panik, Süße. Ist abgeschlossen und der Schlüssel ist in meiner Hosentasche.“ Lukas legte einen Arm um meine Taille und führte mich durch die Tür zu Terrasse raus. Der Pool war beleuchtet und lächelnd schaute ich die vielen Lichter an, die Taneah und ich auf gehangen hatten, damit es ein wenig kuscheliger aussah.
„Ihr habt echt tolle Arbeit geleistet. Ich bin wirklich stark beeindruckt von euch beiden. Wie habt ihr das nur geschafft?“ Lukas lachte und zog mich fest er an sich. Fröhlich schmiegte ich mich enger an ihn und blieb stehen.
„Einen genauen Plan und einen starken Willen“, sagte ich kichernd und fuhr mit meiner Hand durch sein Haar.
„Hm“, machte er und legte seine Stirn an meine. Lächelnd legte ich die Arme wieder fest um seinen Hals und genoss seinen Duft und seine Nähe. „Kommt nicht häufig vor, dass wir mal unsere Ruhe haben.“ Eine Gänsehaut breitete sich aus – und das kam sicher nicht von der Kälte hier draußen! - und ich unterdrückte einen Schauer. „Mom und Steffen sind noch bis Montag weg. Sonntag haben wir den ganzen Tag für uns. Wir könnten uns mal so richtig gehen lassen ohne Angst zu haben, dass einer der Beiden ins Zimmer geplatzt kommt.“ Er sprach leise, sodass die wenigen Leute hier draußen nicht hörten, was wir beredeten.
„Lukas ich …“ Aber er ließ mich gar nicht ausreden. Er presste seine Lippen auf meine und brachte mich somit erfolgreich zum Schweigen. Wir küssten uns und ich spürte, dass Lukas am liebsten weiter gegangen wäre, aber irgendetwas in mir konnte einfach nicht damit leben. Irgendetwas sagte mir, dass es sich falsch anfühlte, dass Lukas mich berührte, dass er mich küsste, und dass er über so etwas sprach. Mir kam es einfach nicht richtig vor und das lag definitiv nicht daran, dass er mein Stiefbruder war.
„Ravyn? Lukas? Könntet … könntet ihr zwei vielleicht mal kurz rein kommen. Es gibt da ein … kleines Problem.“ Taneah nahm mich an der Hand und zog mich eilig wieder ins Haus. Froh endlich aus der Kälte heraus zu kommen, folgte ich ihr und schaute Lukas fragend an. Dieser zuckte die Schultern und folgte uns auf gewissen Abstand.
„Was ist denn los? Taneah?“ Ich stolperte hinter ihr her und grübelte darüber nach, dass ich erst realisierte das sich die ganzen Leute in der Eingangshalle versammelt hatten, als Taneah mich mitten durch sie hindurch führte.
„Macht doch mal Platz Leute.“, schimpfte sie und quetschte sich zwischen ihnen durch. „Darian?“
Sie blieb stehen und schaute den blonden Jungen an, der seine Haare wie üblich zu einem Iro gestylt hatte und seinen grünen Augen die jetzt jemanden anstarrten. Jemanden den ich nicht wiedererkannte.
„Darian?“, fragte ich und legte ihm eine Hand auf einen Arm. „Alles in Ordnung?“
„Er will rein. Aber ich denke, dass das keine gute Idee wäre.“ Er deutete mit einem Kopfnicken zur Tür hin. Sie stand offen und eine kühle Brise wehte herein. Fröstelnd drehte ich mich herum und schaute einen Jungen mit schwarzen Haaren an. Er trug eine schwarze Lederjacke, darunter einen hellgrauen Kapuzenpulli, seine dunkelblaue Jeans steckte unten in schwarze Motorradstiefel. Was ich aber faszinierender fand waren seine blauen Augen. Sie waren Saphirfarben und hatten einen mitternachtsblauen Rand außen herum.
„Kennst du ihn?“, fragte ich Darian und wandte mich wieder von dem Jungen ab.
„Keinen guten Ruf. Lass ihn nicht rein.“
„Darian was soll die Scheiße? Was hast du ihr erzählt?“ Die Stimme des Jungen war männlich und brachte mich dazu ihn noch ein weiteres Mal an.
„Keine Ahnung wovon du sprichst, aber er hat kein Wort zu mir gesagt. Ich …“
„Warum gehst du nicht einfach?“ Darian hatte sich vor mich gestellt und schob mich geschickt zurück. Ich protestierte nicht, denn dieser Typ da draußen war mir unheimlich.
„Entferne dich von unserem Gelände oder ich ruf den Wachdienst.“, sagte ich, als ich sah, dass Darian keinen Erfolg hatte. Diese Aussage zog mehr. Er warf mir einen Blick zu den ich nicht deuten konnte, beugte sich zu Darian vor uns zischte ihm etwas zu, dann drehte er sich herum und verschwand. Irritiert schaute ich ihm nach und schloss schließlich die Tür. Die Musik war abgestellt worden und die Stimmung war gesunken.
„Ok. Ich denke, dass die Party hiermit beendet ist.“, rief ich und verzog den Mund. „Tut mir leid Leute. Schön das ihr trotzdem da wart.“ Brummend machten sich nach und nach welche davon. Einige halfen mir noch mit aufräumen, ich wollte es lieber jetzt tun als morgen, denn dann konnte ich morgen ausschlafen und entspannen. Zum Schluss saßen nur noch Chris, Taneah, Lukas und ich bei mir im Zimmer und unterhielten uns über dies und das.
„Wisst ihr, dass ich anfangs gedacht habe, dass Darian total schrecklich ist. Heute hat er uns ja einigermaßen nett behandelt, erst als dieser Typ aufgetaucht ist, hat er wieder seine abwehrende Haltung eingenommen.“ Taneah lehnte sich an Chris Schulter und blinzelte. „Wir haben uns sogar mit ihm unterhalten. Und er war richtig nett, hat sogar Witze gerissen und viel gelacht.“
„Ja. Ich kenne ihn ja noch vom hören und es hörte sich immer so an, als wäre er ein schlimmer Junge. Habt ihr euch wohl getäuscht.“ Chris zuckte mit den Schultern und erhob sich, dabei zog er Taneah mit sich, die leise kicherte. „Wir werden dann wohl mal gehen. Ich bringe sie noch nach Hause. Das ist sicherer als wenn sie so mit der Bahn fährt.“ Er zwinkerte mir zu und ich brachte sie noch runter zur Haustür. Ich winkte ihnen und schaute ihnen dann noch nach, bis sie von unserer Auffahrt gefahren waren. Gerade als ich mich umdrehen wollte, sah ich einen Schatten in meinem Augenwinkel. Er huschte hin und her, blieb stehen und setzte sich dann wieder in Bewegung. Ich schaute in die Richtung, doch alles was ich sah waren Bäume dessen Äste sich im Wind hin und her wogen. Richtig dunkel war es auch nicht, sodass ich super gucken konnte. Aber dort sah ich Niemand, nur der Wind und die Bäume. Kopf schüttelnd ging ich wieder ins Haus und schloss sorgfältig die Tür ab. Ich wollte nur auf Nummer sicher gehen, dass nicht doch noch jemand herein kam, auch wenn unsere Wachen rund um die Uhr aufpassten. Es konnte immer etwas passieren. Sicher ist sicher. Kurz machte ich dann noch eine Runde unten herum und kontrollierte die Fenster und Terrassentüren, erst dann ging ich die Treppen hoch in mein Zimmer. Lukas hatte es sich bequem darauf gemacht. Er lag breitbeinig da und hatte die Hände hinter dem Kopf verschränkt.
„Na, das hat aber lange gedauert. Habt ihr noch einen Kaffeklatsch gehalten?“, neckte er mich und ich streckte ihm die Zunge heraus. Kichernd ging ich zu meinem Kleiderschrank und suchte mir ein Top und eine Jogginghose heraus. Ich musste unbedingt das Kleid ausziehen, es wurde mir viel zu kalt. Während ich mich im Badezimmer umzog, hörte ich Lukas neben an in seinem Zimmer umräumen.
Heute ließ ich mir extra viel Zeit im Badezimmer. Im Spiegel kämmte ich in Zeitlupe meine Haare und wischte mir die Wimperntusche und den Kajal aus dem Gesicht. Als ich endlich wieder einigermaßen normal aussah, putzte ich mir die Zähne und schaute mich im Spiegel an. Meine blonden Haare glänzten und glitzerten leicht im Licht und meine Augen waren viel größer als sonst, vielleicht kam es mir auch einfach nur so vor. Ich schaute an mir herunter und seufzte.
„Ravyn?“ Lukas klopfte an die Badezimmertür.
„Die Tür ist offen.“, sagte ich nur und räumte die Sachen weg. Ich schaute nicht auf, als Lukas herein kam, erst als er von hinten seine Arme um mich schlang und sein Kinn auf meine Schulter legte, schaute ich in den Spiegel. „Ah!“ Der Schrei war kurz und atemlos, aber er war laut. Ich stieß meinen Ellenbogen nach hinten und versuchte mich zu befreien, aber der Typ ließ einfach nicht locker. „Lu…“ Der Typ legte mir seine Hand fest auf den Mund und brachte mich so zum Schweigen. So fest ich konnte trat ich ihm auf den Fuß, in der Hoffnung er würde mich los lassen. Aber er packte noch fester zu, sodass ich nur noch Platz zum Atmen hatte.
„Sei Still! Dein Lukas hilft dir jetzt auch nicht weiter. Du wirst jetzt schön mit mir kommen, verstanden!? Und kein Ton, sonst muss dein kleiner Freund dran glauben.“ Seine Stimme war kalt wie Eis und fuhr mir, wie Splitter in die Gelenke. Keuchend stolperte ich vorwärts aus dem Badezimmer und wurde von ihm in mein Zimmer zurück geschubst. „Pack dir einige Sachen ein. Los!“, zischte er und stellte sich vor die Tür damit ich nicht fliehen konnte. Mit großen Augen ging ich um mein Bett herum, auf dem Lukas bewusstlos lag. So leise wie möglich ging ich zu meinem Schrank und schnappte mir meine Tasche, stopfte irgendwelche Kleidungsstücke hinein und schnappte mir ein paar Schuhe, dann schließlich schaute ich noch meine Skateboards an. „Nimm zwei mit.“, wies mich der Typ an. Er war genau hinter mir und deshalb zuckte ich zurück und presste die Lippen zusammen, damit ich nicht aufschrie. „Hier sind ein Zettel und ein Stift, damit schreibst du deinem Vater, dass du zurück zu deiner Mutter gegangen bist, weil du es hier nicht mehr ausgehalten hast.“
Er schubste mich zum Schreibtisch wo ich mit meiner Hüfte gegenstieß und mein Gesicht bei dem Schmerz verzog. Meine Lippen presste ich noch weiter zusammen, damit ich ihm nicht zeigte, dass er mir weh tat. Ich wollte ihm nicht zeigen, dass er Erfolg hatte und sein Ziel erreichte. Schweigend nahm ich den Stift und den Zettel und schrieb mit zitternder Hand das auf, was er mir diktierte. Zu meiner Beunruhigung benutzte er genau die Worte, die ich benutzt hätte. Fast so als würde er genau wissen wie ich es formulieren würde. Aber was mir mehr Angst machte, war, dass es genau die Worte waren die mir damals durch den Kopf gegangen waren, als ich daran gedacht hatte, was ich machen würde wenn ich zurück zu meiner Mutter gehen würde.
Gänsehaut zog über meinen Körper und ich schauderte.
„Los. Wir gehen!“

11. Kapitel


Durch die Augenbinde war es dunkel, stockdunkel. Seit Stunden saß ich jetzt schon in diesem Auto, genau in der gleichen Position. Mein Rücken schmerzte und mein Kopf brummte. Ich brauchte dringend schlaf und ein Bett, aber viel schlimmer war, dass ich nicht wusste was der Typ mit mir machen würde. Wo er mich hinbrachte.
„Warum?“ Diese Frage hatte ich ihm schon so oft gestellt in der vergangenen Zeit. Wie lange war es jetzt her. Zwei Stunden? Drei? Vielleicht auch nur eine halbe oder doch schon einen Tag? Ich wusste es nicht, denn mehr als die Dunkelheit durch die Augenbinde konnte ich nichts erkennen. Mein Zeitgefühl war schon immer mies gewesen und darauf konnte ich mich auch nicht verlassen. „Wo bringst du mich hin?“ Weshalb stellte ich ihm überhaupt diese Fragen, wenn ich doch wusste, dass er sie vorhin schon nicht beantwortet hatte? Zwar wusste ich, dass wir in einem Auto saßen, aber wohin es fuhr konnte ich nicht sagen. Geschickter Weise war er mehrmals im Kreis gefahren und dann irgendwann abgebogen.
„Hör zu. Ich nehm dir erst die Augenbinde ab, wenn ich weiß das du den Weg den wir fahren nicht mit bekommen hast. Solange musst du noch aushalten. Außerdem solltest du dich ein wenig hinlegen, du bist schon viel zu lange wach.“ Mein Entführer konnte also doch reden.
„Sagst du mir wenigstens jetzt, wo du doch gerade redest, warum du mich entführst?“ Der sarkastische Unterton war unüberhörbar. Neben mir hörte ich ein Schnauben, aber es blieb still. „Na schön dann halt nicht. Dann werde ich ab jetzt auch nichts mehr essen.“ Trotzig wandte ich den Kopf ab und schob meine Lippen nach vorne. Schmollend saß ich da und hoffte, dass ich ihn damit irgendwie rum bekam.
„Erpressen kannst du mich nicht. Ich werde das Essen auch anders in dich hinein bekommen, glaub mir.“ Seine Stimme war tief und drohend und jagte mir kalte Schauer über den Rücken. Fröstelnd zog ich meine Knie an und machte mich so klein wie möglich, legte meine Stirn auf meine Knie und schloss die Augen. Ich hoffte auf etwas schlaf, den ich dankbarer Weise auch bekam. Als ich aufwachte und die Augen öffnete sah ich, dass ich in einem Raum lag der keine Fenster hatte. Es gab nur graue, kahle Wände an denen ein paar Regale und Schränke standen. An einer Seite stand ein Schreibtisch wo die gesamte Wand mit Zeitungsartikeln und Bildern beklebt waren. In der Mitte hing eine einfache Glühbirne an einem langen Kabel und spendete so genügend Licht. Ich lag auf einer alten Matratze die sich auf dem Boden befand. Eine Wolldecke lag an meinen Füßen und ich trat sie weg. Suchend ließ ich noch einmal meinen Blick wandern, aber ich sah nichts weiter als graue Wände. Keine Tür, keine Fenster.
„Hallo?“ Das Wort hallte von den Wänden zu mir zurück und unwillkürlich schauderte ich. Wo war ich da nur hinein geraten?
„Du bist also endlich wach, ja?“ Die Stimme kam aus einer der Ecken wo es dunkel war. „Ich hoffe es war nicht zu unbequem.“ Der Typ der letztens schon vor meiner Tür gestanden hatte und mich nun entführt hat, stand mitten im Raum und schaute auf mich hinunter. Schweigend presste ich mich mit dem Rücken an die Wand und zog die Knie an. Um mich zu schützen schlang ich die Arme darum und legte die Stirn auf meine Knie. Leise liefen mir die Tränen über die Wangen und ich hoffte im Stillen das er einfach verschwand.
„Nicht weinen bitte. Ich will dir doch gar nichts Böses.“ Es klang so absurd und in meinen Ohren wie eine Lüge. Glauben konnte ich dem definitiv nicht, dass war mir sofort klar.
„Was willst du von mir?“, fragte ich leise und holte tief Luft.
„Du erkennst mich wirklich nicht mehr oder?“, fragte er leise und Trauer schwang in seiner Stimme mit.
„Ich habe dich nie gekannt. Wer auch immer du bist, ich will nach Hause.“ Während ich das sagte lauschte ich auf seine Bewegungen, aber ich hörte nur meinen abgehackten Atem. Plötzlich spürte ich eine Hand auf meiner Schulter und ich zuckte vor ihr weg. „Fass mich nicht an!“
„Tut mir leid.“, murmelte er leise. Nebeneinander saßen wir auf der alten Matratze und schwiegen. „Früher oder später wirst du dich bestimmt daran erinnern wer ich überhaupt bin.“
„Das glaube ich nicht, denn wenn ich dich gekannt hätte, dann würde ich mich an dich erinnern. Aber ich kenne dich nicht. Wahrscheinlich hast du die falsche Person entführt.“ Ich war erstaunt darüber wie leicht es war mit meinem Entführer zu plaudern. Innerlich schimpfte ich mich selbst.
„Hast du Hunger?“, fragte er mich leise und schaute mich an. Ich schüttelte den Kopf. „Dann lass ich dich erst einmal wieder allein. Ich komme nachher nochmal vorbei und seh nach dir. Tu nichts dummes und versuche auch nicht auszubrechen, dass würde nicht gut für dich aussehen. Merk dir das.“ Damit verschwand er so schnell, dass er nur ein Schatten war. Wie er rausgegangen ist hatte ich nicht gesehen dafür ging es viel zu schnell. Ängstlich vor der Dunkelheit die zurückkehrte, rollte ich mich zu einer Kugel zusammen und schloss meine Augen. Mehr als schlafen konnte ich hier unten nicht tun. Doch statt zu schlafen musste ich an meine Eltern denken. An Lukas der bewusstlos in meinem Zimmer auf dem Bett lag während ich meine Sachen gepackt hatte. Mein Vater hatte sicher schon erfahren was passiert war und musste es sicher schon meiner Mutter erzählt haben. Würde sie mich vermissen? Hatte sie es meinem Stiefvater erzählt? Wie ging sie damit um und noch viel wichtiger war, ging es ihr überhaupt gut? Aber die Frage konnte ich mir selbst beantworten. Es ging ihr nicht gut, immerhin wurde ihre Tochter entführt.
Darian müsste auch schon Bescheid wissen, sowie der Rest des gesamten Landes. Es lief bestimmt schon in den lokalen Nachrichten und im Radio. Die Polizei suchte bestimmt schon nach mir und es wurde darüber gegrübelt was hätte passiert sein können.
Bilder von einer toten Leiche, meiner Leiche, schossen mir in den Kopf und ich presste die Augen weiter zusammen in der Hoffnung sie auszustellen. Aber es gelang mir nicht. Mal stellte ich mir vor wie ich in einem Kornfeld im Matsch lag, der Kopf in einem komischen Winkel abstehend. Oder wie ich mit einem Messer im Bauch und einer Blutlache um mich herum hier in diesem Keller gefunden wurde. Würden sie um mich weinen? Bestimmt.
Was konnte ich tun, damit ich am Leben blieb? Ich konnte die Zeit während ich alleine war prima nutzen um den Ausgang zu finden. Denn es musste einen geben sonst würde mein Entführer hier nicht reinkommen können und mich hätte er hier auch nicht hinein bekommen. Aber was war, wenn dieser Raum tief unter der Erde war und er mich eingegraben hatte bis ich entweder erstickt oder verhungert war. Oder wartete er nur darauf, dass ich, wie ich in diesem Moment begriff, mich selbst umbrachte weil ich keine Möglichkeit zum flüchten hatte?
Stunden lag ich einfach nur da und starrte in die Dunkelheit, lauschte auf Geräusche und grübelte über einen Fluchtplan. Wenn er morgen wieder her kommen sollte, dann musste es einen Ausgang geben. Ich musste ihn finden, koste es was es wolle.

12. Kapitel


Ich hatte das Gefühl von Zeit verloren. Als ich aufwachte stand ein Tablett mit Essen auf dem Boden neben der Matratze und an einem der Schränke lehnten mein Rucksack und mein Skateboard. Warum hatte ich es eigentlich mit nehmen sollen, wenn ich so oder so hier drinnen nicht fahren konnte. Das Essen rührte ich nicht an, aber das Wasser stürzte ich hinunter. Es war viel angenehmer zu verhungern als zu verdursten. Danach hatte ich mich ein wenig umgeschaut und die Schranktüren geöffnet. In einem Schrank waren noch mehr Klamotten, aber sie waren für Männer. Waren es die Klamotten von meinem Entführer? Wahrscheinlich. Als ich weiter guckte, entdeckte ich hinter einer Schranktür eine weitere Tür. Sie führte in ein kleines Badezimmer das viel schicker war als der Raum in dem ich schlafen musste. Es gab eine Badewanne und eine Dusche, einen riesigen Spiegel und zu meiner Erleichterung sogar eine Toilette.
Nachdem ich duschen war und mich umgezogen hatte, schaute ich in den Spiegel. Meine blonden Haare fielen mir lang und offen um mein Gesicht. Doch da ich sie eh niemandem zeigen konnte, band ich sie mir mit einem Zopfgummi, welches ich in meiner Hosentasche gefunden hatte, zu einem Knoten zurück. Anschließend durchsuchte ich den Raum weiter, kramte in den Schubladen herum und guckte an den Rückseiten der Schränke nach ob es da vielleicht noch eine versteckte Tür gab. Doch nachdem ich nur weißes Papier, Stifte, ein paar Bücher und einen kleinen Antennen Fernseher gefunden hatte, machte ich es mir auf der Matratze bequem. Die meiste Zeit verbrachte ich damit ein relativ gutes Signal zu finden, damit ich wenigstens ein wenig Fernseher gucken konnte. Danach hatte ich angefangen auf Zettel irgendwelche Texte darüber zu schreiben wie es mir ging und was ich machte. Abschiedsbriefe waren auch dabei, aber auch vor allem hatte ich mehrere Zettel mit einem Satz vollgeschrieben. ‚Ich will nicht sterben!‘
Im Fernsehen konnte ich nichts als Dokumentationen sehen und wenn die Nachrichten kamen, war das Signal plötzlich ganz schlecht. Wütend klopfte ich auf dem Gehäuse herum, denn ich wollte undbedingt wissen was in der außen Welt passierte. Nur einmal kurz sah ich ein Bild von mir aufblitzen und dann einen Jungen. Erst als ich das Bild immer und immer wieder in mein Gedächtnis zurück gerufen hatte, wusste ich, dass das Lukas gewesen war. Er hatte sich verändert. Seine Gesichtszüge waren verhärtet und um seinen Mund lag ein bitterer Zug. Ich wollte ihn in meine Arme schließen und ihm sagen, dass alles gut werden würde. Das ich irgendwann wieder kommen werden, vielleicht auch erst wenn er schon ein erwachsener Mann ist und Frau und Kinder hat. Aber ich würde zurück kommen. Irgendwann.
„Findest du das gut? Gibt dir das Zufriedenheit dir selbst weh zu tun?“ Die Stimme ließ mich vor Schreck aufspringen. Gleichzeitig presste ich mich mit dem Rücken an die Wand und hielt den Atem an. Ich hatte Angst. Angst davor, dass er mir etwas antat.
„Du wirst mir doch nicht weh tun oder?“, fragte ich leise mit heiserer Stimme. Er trat vor und so konnte ich die Traurigkeit auf seinem Gesicht sehen. Mit seinen blauen Augen schaute er mich nicht an, sondern die Zettel die er in seiner Hand hielt.
„Du wirst nicht sterben.“, flüsterte er so leise, dass ich glaubte, dass ich mir das nur eingebildet hatte weil ich es mir so sehr gewünscht hatte.
„Was bringt es dir wenn du mich hier unten festhältst? Was bringe ich dir schon. Geld? Oder ist das ein Rachefeldzug gegen irgendwen. Musst du deine Unzufriedenheit an mir aus lassen oder wurdest du gedemütigt und musst es jetzt auch jemand anderem, kleineren antun. Sag schon, was bringt es dir?“, platze es aus mir heraus und ich trat einen Schritt auf ihn zu. Meine Angst war wie weggewischt, stattdessen machte sich das Gefühl von Macht in mir breit.
„Du wirst das nicht verstehen.“, sagte er nun mit ruhiger Stimme.
„Ach nein? Bist du dir da sicher. Ich habe gelernt einige Menschen zu durchschauen und ich glaube, dass ich das bei dir auch schaffe.“, zischte ich und kniff die Augen leicht zusammen.
„Du hast keinerlei Ahnung warum ich dies tue.“ Seine Stimme war kalt wie Eis und so scharf wie eine Rasierklinge. Er feuerte diesen Satz in einer solchen Geschwindigkeit auf mich ab, dass ich die Luft anhielt und dachte im nächsten Augenblick zusammen zu brechen. Meine Nerven waren zum reißen gespannt und ich fragte mich wie lange ich das hier noch aushielt. „Wieso hast du noch nichts gegessen?“ Er wechselte das Thema und schaute mich vorwurfsvoll an.
„Keinen Hunger.“, sagte ich, zuckte mit den Schultern und setzte mich wieder hin. In meinem Rucksack hatte ich noch meinen iPod gefunden mit Stromverbindung und zum Glück gab es hier auch eine Steckdose. Ich steckte mir die Kopfhörer in die Ohren und drehte die Musik auf. Dann wandte ich mich mit dem Gesicht zu Wand und schloss die Augen. Ich wollte mit diesem Kerl nicht mehr reden. Ab jetzt würde ich schweigen, solange bis er mich entweder umbrachte oder ich verhungert war.
Tagelang lag ich einfach nur da und schwieg, nur ab und zu stand ich auf um Wasser zu lassen. Ich trank das Wasser was er mir brachte aus und aß nur ab und zu eine Kleinigkeit. Zwar hatte ich mir vorgenommen nichts mehr zu essen, aber bald schmerzte mir der Magen so sehr, dass ich vor Hunger schon würgen musste.
Es war mir egal ob er da war oder nicht, denn ich wusste, dass er immer ein Auge auf mich hatte. Mir waren die kleinen Kameras aufgefallen die er in den Ecken montiert haben musste. Nur im Badezimmer hatte ich keine Gefunden, dennoch stieg ich nur in Unterwäsche unter die Dusche. Er kam häufiger vorbei als mir lieb war und doch redeten wir kein Wort mehr miteinander. Anfangs hatte er noch versucht mit mir zu reden, aber irgendwann hatte er verstanden, dass ich das nicht wollte.
Heute lag ich die meiste Zeit auf der Matratze und starrte auf den Fernseher wo ich jetzt endlich auch die Nachrichten gucken konnte. Sie erzählten über Aufstände in Ägypten, über den schwächer werdenden Euro und über eine Wirtschaftskrise. Neugierig wartete ich darauf, ob noch etwas über mich kam. Aber nichts. Die Nachrichtensprecherin verabschiedete sich und dann wurde auf eine Dokumentation über Walfang umgeschaltet. Frustriert seufzend ließ ich mich zurück sinken. Hatten sie mich für Tod erklärt oder hatten sie aufgegeben? Vielleicht hatten sie aber auch den Typen geschnappt und wollten jetzt aus ihm rausbekommen wo er mich gefangen hielt. Hoffnung keimte in mir auf und ein Jubel zog durch meinen Körper, dass ich mich lächelnd aufsetzte und aufstand. Ich schaltete am Fernseher den Ton lauter und suchte einen Musikkanal. Es war mir egal, was da für Musik lief. Doch ich tanzte durch den Raum, summte und lachte. Die Hoffnung gab ich nicht auf, dass man mich endlich finden würde.
„Was machst du denn da!“, rief plötzlich diese mir viel zu bekannt gewordene Stimme. Die Musik war ausgestellt worden und ich war wie angewurzelt stehen geblieben. Mit großen Augen schaute ich auf Darian.
„Was machst du denn hier?“, fragte ich und blinzelte. Hatte ich jetzt Halluzinationen? „Bist du echt?“
Darian musste sich ein Lachen verkneifen, stattdessen sammelte er meinen Rucksack ein und mein Skateboard.
„Wir müssen hier verschwinden bevor er wieder zurück kommt. Los beweg dich!“ Er scheuchte mich vor sich her und in die Ecke die ich wegen der Dunkelheit so gemieden hatte. Er presste mich gegen die Wand und auf einmal bewegte sie sich. Ein kleiner Spalt entstand und er schob mich hindurch. Wir standen in einem langen Tunnel dessen Boden feucht war und ich wurde weiter gescheucht.
„Was ist denn los? Wie hast du mich gefunden?“, fragte ich und rannte weiter den Tunnel entlang. Darian schwieg und riet mir den Mund zu halten bis er sagte, dass ich reden konnte. Es schien als sei der Tunnel Kilometer lang und meine Seite schmerzte heftig, sodass ich bald an Geschwindigkeit verlor.
Da nahm mich Darian plötzlich einfach so hoch und die Luft zischte an uns vorbei. Am Ende des Tunnels war es hell. Licht. Seit Wochen hatte ich schon kein Licht mehr gesehen! Der stechende Schmerz der nun in meinen Augen war hatte ich nicht vermisst, aber die frische Luft dagegen schon. Darian öffnete eine Tür und schob mich auf einen Sitz. Ein Auto!
Dann knallte seine Tür zu und er gab Gas.
„Nun sag schon! Wie hast du mich gefunden?“ Ich schaute ihn an und hoffte er würde endlich reden.
„Der Typ der dich entführt hat ist mein Bruder. Ich kenne ihn einfach gut genug. Außerdem war das mal meine eigene Wohnung.“
„Was?“ Ungläubig zog ich meine Augenbrauen hoch.
„Lange Geschichte.“ Darian winkte ab. „Ich bringe dich jetzt an einen sicheren Ort, allerdings nicht zur Zivilisation. Die denkt nämlich, dass du tot bist.“
„WAS!“, kreischte ich und schlug mit meiner Hand auf das Armaturenbrett. „WIESO DAS DENN!“ Ich tobte. Deswegen hatte nichts mehr über mich in den Nachrichten gestanden.
„Mein Bruder hat sich etwas einfallen lassen. Er hat es irgendwie geschafft dich nachzumachen und somit eine Leiche und eine Geschichte für die Polizei zu erfinden. Auch hat er den Täter hinter Gitter gebracht. Ganz der nette Gentleman von neben an.“

13. Kapitel


Wir saßen in einer Ecke und schwiegen vor uns hin. Das Schiff wiegte wegen den Wellen hin und her und ab und zu viel zu sehr in eine Richtung, sodass sich mir der Magen umdrehte und ich erneut die Toilette aufsuchte.
Darian war dann immer in einen der Shops gegangen um ein bisschen zu gucken und vielleicht etwas zu kaufen. Aber er kam jedes Mal mit leeren Händen zurück.
„Dir ist klar, dass man uns irgendwann finden wird oder?“, fragte ich nach dem ich viel zu kurz und viel zu unruhig geschlafen hatte.
„Wenn du plötzlich von den Toten auferstanden bist, macht das nicht gerade den besten Eindruck. Außerdem ist mein Bruder sicher schon hinter uns her, also sollten wir uns besser im Hintergrund halten und irgendwohin wo uns keiner erkennen kann.“
„Klar und dafür fahren wir nach Dänemark“, gab ich sarkastisch zurück.
„Genau. Da kannst du in ein Flugzeug steigen ohne das dich jemand erkennt und wir können in die Staaten wo uns sowieso niemand kennt. Die Nachrichten wurden ja nur in Deutschland gesendet, also haben wir da nicht das Problem, dass wir uns verstecken müssen.“, erklärte er und es klang in meinen Ohren logisch. „Nach dem du dann deinen Abschluss zu Ende gemacht hast und einen Job hast von dem du dann auch leben kannst, lass ich dich alleine.“
„Und was ist, wenn ich dann zu meiner Familie zurück will?“, fragte ich.
„Dann muss ich dir leider das ausreden oder noch besser dich einer Gehirnwäsche unterziehen.“, zischte er leise und ich zuckte zusammen.
„Dann lasse ich es lieber.“ Ich schaute auf den Boden und hoffte, dass wir endlich bald da waren.

Nachdem wir an Land gegangen waren hatte Darian ein Auto gemietet mit dem wir zum Flughafen fuhren. Meine wenigen Sachen gingen als Handgepäck durch und so bekamen wir noch zwei Plätz in einer Maschine die nach L.A. flog. Wir hatten uns kaum unterhalten, nur ab und zu wies er mich auf die Landschaft hin und im Flugzeug zeigte er mir das tiefblaue Wasser auf dem die wenigen Sonnenstrahlen glitzerten. Wir verbrachten die Nacht im Flugzeug und während ich träumte, wusste ich, dass ich niemals meine Ruhe finden würde.
Ich stand auf einer Wiese. Das Gras war so saftig grün, dass ich darüber strich um zu fühlen, dass es echt war. Doch meine Hand glitt sauber durch die Grashalme hindurch ohne sie zu berühren.
‚Es ist schon seltsam oder? Nichts scheint das zu sein was es vorgibt zu sein‘ Der junge Mann stand nur wenige Meter von mir entfernt und schaute mich aus seinen dunkel blauen Augen an. ‚Sag mir wo du bist‘
Blinzelnd schaute ich ihn an.
‚In einem Traum?‘
‚Ich meinte wo du dich derzeit befindest. Dein Körper schläft, wo schläft er? ‘ Er lächelte mich liebevoll an und hielt mir eine Hand entgegen. ‚Wir können ein bisschen spazieren gehen und uns unterhalten‘ Einen Augenblick schaute ich seine in der Luft hängenden Hand an, dann ergriff ich sie und ging neben ihm her über diese so real wirkende Wiese die doch nicht real war.
‚Ich kenne dich irgendwoher‘, sagte ich und schaute ihn mir noch einmal an. Diese schwarzen Haare, die blauen Augen, die Nase und das Lächeln. ‚Wir kennen uns‘
‚Ja, das tun wir. Woran kannst du dich denn erinnern‘, fragte er und schaute mich neugierig an.
‚Aus… aus der Schule? Oder nein… du. Du hast mich entführt! ‘ Ich wollte seine Hand los lassen und von ihm weg gehen, aber er hielt mich fest.
‚Denk ganz scharf nach, konzentriere dich. Du kanntest mich auch schon vorher‘ Er sprach mit solch einer Eindringlichkeit, dass ich tat was er wollte. Ich konzentrierte mich auf diese winzigen Details die mir an ihm aufgefallen sind. Das Gefühl ihn zu kennen und keine Angst vor ihm zu haben war auf einmal geklärt. Ich wusste woher ich ihn kannte. Eine Schule, eine Begegnung auf dem Flur. Darian war auch da, stritt sich mit ihm. Schubste mich unsanft hin und her. Wollte mich töten. Und dann fiel mir auch wieder sein Name ein.


Mit einem Schrecken fuhr ich aus meinem Traum hoch. Meine Haare klebten an meinem Gesicht und ich wischte mir den Schweiß von den Händen. Das war ein verdammt krasser Traum.
„Alles ok?“, fragte Darian neben mir und ich zuckte unwillkürlich zurück. Die Erinnerungen kamen erst nach und nach wieder hoch. Ich erinnerte mich daran, wie er versucht hatte mich zu töten.
„Klar. Ich hab nur schlecht geschlafen.“, sagte ich mit belegter Stimme und versuchte den Augenkontakt zu halten. Wenn ich jetzt weg sah würde er merken, dass ich log, wenn er es nicht schon längst bemerkt hatte.
„Hab ich gemerkt.“, sagte er schmunzelnd und wandte sich dann einer Zeitung zu. Sie war auf Englisch.
„Hmpf.“, machte ich und schlug mir die Hände vor mein Gesicht.
„Was?“, fragte Darian.
„Mir ist gerade erst aufgefallen das ich ja jetzt Englisch reden muss. Naja, kann ja nur noch besser werden.“ Ich schüttelte den Kopf und hörte Darians Lachen.
„Du bist auf der Flucht vor deinem Entführer und deine größte Sorge ist, dass du Englisch sprechen musst.“ Er lachte. „Unglaublich.“
„Mh“, machte ich und lehnte meinen Kopf ans Fenster. Unter uns war die Küste zu sehen und die Zeichen zum anschnallen leuchteten auf. Ich fummelte an meiner Gürtelschnalle herum und ließ den Blick aus dem Fenster schweifen. Immer und immer wieder.
„Das sah im Fernseher immer irgendwie anders aus. Ich wusste gar nicht, dass das so schön aussieht.“
„Jetzt hör auf dir die Nase an der Scheibe platt zu drücken Ravyn. Du wirst genug von diesem Land noch sehen. Außerdem sieht es leicht … bescheuert aus.“ Darian unterdrückte ein erneutes Lachen und schüttelte den Kopf. Trotzig verschränkte ich die Arme vor der Brust und zog einen Schmollmund. Das war definitiv nicht witzig.
Beim Landen ruckelte die Maschine heftig und ich krallte mich in die Armlehnen. Als wir aus dem Flugzeug stiegen, fühlten sich meine Beine eigenartig weich an und schlackerten unkontrolliert hin und her. Darian schlang einen Arm um mich und schleppte mich weites gehend durch den Flughafen. Einige Leute drehten sich kichernd zu mir herum und zeigten mit dem Finger verstohlen auf uns.
„Warum gucken die so komisch?“, fragte ich Darian leise und schaute auf den Boden.
„Keine Ahnung.“ Darian sah zu den Leuten hin und schnell wandten sie den Blick ab. Meine Augenlider waren schwer und es gelang mir kaum sie noch offen zu halten. „Ravyn nicht schlafen.“ Doch Darians Warnung kam zu Spät.

14. Kapitel


Blinzelnd schlug ich die Augen auf und starrte an eine weiße Decke. Wo war ich?
Ein unbekannter, aber sehr lecker riechender Duft stieg mir in die Nase und ich setzte mich auf. Mein Blick fiel sofort auf den riesigen Kleiderschrank und einer dunkelrote Wand. Die Farbe sah frisch aus, allerdings roch ich keine Anzeichen auf frische Farbe. Ich schwang meine Beine aus dem Bett und streckte mich, sodass es in meinem Rücken einmal ordentlich knackte. Es war warm und ich kam mir in meiner Jeans und dem Pulli viel zu dick angezogen vor. Neugierig was in dem Schrank war, tapste ich barfuß hinüber und schob eine der großen Türen beiseite. Dort waren Kleidungsstücke über Kleidungsstücke. In allen verschiedenen Farben und Formen. Nachdem ich mich zurecht gesucht hatte und mir eine sehr kurze Jeanshose, ein Top und ein Hemd, dass ich offen ließ, angezogen hatte. Machte ich mich auf den Weg dem Duft zu folgen.
Der Flur den ich betrat, war in einem sehr hellen Aprikosenton gestrichen und wirkte eher weiß. Eine weiße Kommode stand dort neben der Eingangstür und darauf stand eine schwarze Vase mit Blumen darin. Lächelnd strich ich mit den Fingerspitzen darüber und roch daran.
„Ach du bist schon wach?“ Darians Kopf erschien um einer Ecke die ich bis jetzt gar nicht wahr genommen hatte.
„Ja. Wo bin ich?“, fragte ich und ging auf ihn zu. Als ich um diese Ecke ging, sah ich eine große, hübsche Küche, die nur durch einen Tresen von dem Wohnzimmer getrennt war. Wunderschön.
„Du bist in einer Wohnung. In Florida. Ich dachte, dass du vielleicht an einem warmen Ort sein möchtest, wo du auch an den Strand schwimmen gehen kannst.“ Darian lächelte und wandte sich der Pfanne zu. „Hunger?“ Als Antwort knurrte mein Magen.
„Spiegeleier!“, rief ich aus, als ich in die Pfanne schaute. „Lecker!“ Ich setzte mich auf die Anrichte und hielt eine Gabel und ein Messer bereits in der Hand. Vorsichtig füllte Darian das Ei auf den Teller und reichte ihn mir.
„Guten Appetit.“, sagte er noch, doch da war ich bereits dabei das Ei zu verschlingen. Schweigend saß ich da und Darian lehnte an der Anrichte gegenüber und nippte an einem Glas Wasser. Ich spürte seinen Blick auf mir, aber ich betrachtete lieber das Wohnzimmer. An der Wand hing ein riesiger Plasmafernseher und um einen Glastisch standen zwei weiße Sofas. Die Wand an der der Fernseher hing war dunkellila angestrichen und verlieh dem ganzen eine angenehme Wärme.
„Wie weit ist es bis zum Strand?“, fragte ich und stellte den leeren Teller neben mich.
„Fünf Minuten zu Fuß. Willst du hin?“, fragte er und stieß sich von der Anrichte ab. Nickend sprang ich auf den Boden und folgte ihm in den Flur.
„Schuhe?“
„In der Kommode.“ Er öffnete eine Tür und ich sah viel zu viele Schuhe. So viele würde ich niemals in meinem Leben tragen. „Sind alle deine.“
„Ok.“ Ich schluckte krampfhaft und nahm mir ein paar schwarze Ballerinas.
„Hier ist der Schlüssel für die Tür hier oben und für unten. Dann der Briefkastenschlüssel und der schwarze hier.“ Er hielt mir den dicken schwarzen Schlüssel vor die Nase. „Ist dein Autoschlüssel. Ich hab kein besseres gefunden, also hoffe ich, dass der auch ausreicht.“ Fieberhaft überlegte ich ob ich etwas sagen sollte, aber ich entschied mich einfach nur zu nicken und die Schlüssel in meiner Hosentasche verschwinden zu lassen. „Und dann hab ich hier noch ein neues Handy für dich. Ein iPhone. Ich dachte mir, dass du das vielleicht mögen würdest.“ Er reichte mir das Handy und ich nahm es vorsichtig entgegen.
„Ein normales Handy hätte es auch gebracht.“, sagte ich und schaute ihn an.
„Geht nicht, weil ich dich in der Schule angemeldet habe und die dort denken, dass du mega reiche Eltern hast. Deswegen hast du auch deine eigene Wohnung.“ Darian zuckte die Schulter und öffnete die Haustür. „Los gehen wir. Sonst wird’s dunkel.“

Ich hatte keine Ahnung warum ich immer wieder von ihm träumte, aber ich wusste, dass es richtig war. Es war nicht unangenehm von ihm zu träumen und mit ihm in meinen Träumen zu reden. Nur sagte mir irgendein Gefühl, dass es wichtig war. Das er mir etwas wichtiges sagen wollte, dadurch, dass er in meinen Träumen auftauchte. Doch egal wie sehr ich darüber nachdachte und versuchte den Grund zu erforschen, ich stieß jedes Mal auf eine Blockade oder eine Frage die ich mir nicht beantworten konnte.
Darian hatte mich die ganze Woche über in Ruhe gelassen und in der Schule immer ein Auge auf mich gehalten. Eigentlich war es nicht nötig, denn an dieser Schule schien ich eine Besonderheit zu sein. Die Jungs scharrten sich um mich herum, als wäre ich irgendein Mädchen aus dem Puff, und die Mädchen beneideten mich wegen meinen Klamotten. Jedes Mal wenn sie mein angebliches Vermögen ansprachen, hätte ich am liebsten gesagt, dass ich eigentlich gar keine Eltern hier hatte und eigentlich auch gar nicht so viel Geld besaß. Obwohl Darian immer wieder mit neuen, vielen Geldscheinen ankam. Wo er sie herholte und wie er sie sich beschaffte war mir unklar. Allerdings vermutete ich, dass es nicht sehr legal war wie er sie sich beschaffte. Auch brachte er mir ständig neue Sachen mit, sodass ich gar nicht die Chance hatte irgendetwas zweimal anzuziehen. Doch jedes Mal, wenn ich aufstand und in den Schrank schaute, griff ich vorbei an den Kleidern und Röcken zu einer kurzen Hose und einem Top. Darian verzog nur den Mund jedes Mal, wenn er sah, dass ich wieder keines von den Kleidern angezogen hatte. Aber es war mir egal.
„Willst du mal nicht eines der Kleider anziehen?“, fragte Darian mich an diesem Morgen, als ich eine Schüssel Cornflakes aß.
„Ich geh nur zur Schule Darian. Ich muss auf keinen Schönheitswettbewerb.“ Ich stellte die Schüssel etwas zu heftig auf die Anrichte und schaute ihn an. „Ich bin keine Barbiepuppe die man nach Lust und Laune an und ausziehen kann, nur damit sie hübsch aussieht.“ Darian hatte die Augenbrauen zusammen gezogen. „Ich will lieber was im Köpfchen haben, als jetzt wie ein Püppchen rum zu laufen. Ich will ich sein und nicht so, wie du mich haben willst!“
„Das sag ich doch auch gar nicht!“ Er hob abwehrend die Hände.
„Du denkst es aber!“, giftete ich ihn an und drehte mich um.
„Warte!“ Darian packte mich an meiner Taille und zog mich heftig herum. Mit dem Rücken an der Wand, stand ich da und schaute ihn an. Seine grünen Augen sprühten Funken, als er zu seiner Hand an meiner Hüfte hinunter schaute. „Du bist auch so wunderschön.“ Seine Stimme war heiser und leise, sodass ich ihn schwer verstand. Krampfhaft schluckte ich und spürte ein ziehen in meiner Magengrube. Was hatte er vor? „Aber du wärst wahrscheinlich unsterblich schön, wenn du dir eines der Kleider anziehen würdest.“ Mit einem Mal, war das ziehen fort und ein Eisklumpen lag nun dort.
„Aha.“ Ich blitzte ihn wütend an und schlug seine Hand von meinem Körper. „Finger weg!“, zischte ich, schnappte meine Tasche und verließ die Wohnung. Ich setzte mich in das rote Cabrio welches er mir letztens mit gebracht hatte und startete den Motor. Damit fuhr ich los zur Schule. Ob Darian heute in der Schule war, war mir relativ egal, denn niemand wusste, dass er und ich zusammen wohnten. Zumindest war es mir nicht bewusst, dass es jemand wissen könnte, da dort noch mehrere Wohnungen waren.
In der Schule holte ich mein Englischbuch aus dem Schließfach und traf dabei Lisa und Tyler. Die Beiden waren ein Paar und sahen wirklich süß zusammen aus, nur hatte Tyler immer diesen komischen Blick, wenn er mich ansah.
„Hey Leute.“, sagte ich betont fröhlich und winkte ihnen zu.
„Hey!“ Lisa umarmte mich und Tyler kratzte sich am Hinterkopf. Er hob nur kurz die Hand und schaute dann wieder weg. „Kommst du nachher zum Training?“
„Oh, das hab ich total vergessen. Shit!“ Ich schlug mir mit der flachen Hand gegen die Stirn. „Ich denke schon, aber ich guck nur zu.“ Lächelnd schaute ich sie an.
„Ok. Falls du aber doch mit machen solltest, sag Bescheid. Ich geh gleich zu Tanja und sag ihr, dass sie dir ein Outfit mitnehmen soll.“ Lisa winkte und zog Tyler weiter den Flur entlang. Im letzten Augenblick, sah ich noch, wie Lisa ihn Stirnrunzelnd musterte. Ich wandte den Blick ab und tat so, als wäre ich mit anderen Dingen beschäftigt.
„Sag mal, steht Tyler auf dich?“
„Sam!“ Ich legte mir eine Hand auf meinen Bauch und atmete tief durch. Mein Herz raste wie eine Dampflock. „Du kannst mich doch nicht so erschrecken!“ Doch ich musste Lachen.
„Tut mir leid. Also, will er was von dir?“, fragte er und hackte sich bei mir unter.
„Wenn ja, dann hat er ein Problem.“, erwiderte ich nur und Sam musste Lachen.
„Wahrscheinlich. Aber was ist, wenn Lisa dir die Schuld gibt?“
„Wieso sollte sie?“, fragte ich und schaute ihn von der Seite her an.
„Weil sie in ihm einen guten Menschen sieht und jedes andere Mädchen eine Bedrohung ist.“ Sam zuckte die Schultern und bog zusammen mit mir in den Kursraum. Wir saßen nebeneinander in Englisch.
„Aber ich will doch gar nichts von ihm. Ich hab ihn ja noch nicht einmal berührt.“, sagte ich und zog meine Augenbrauen zusammen.
„Ja, aber Lisa ist halt etwas komisch.“ Sam lachte und wir ließen uns auf unsere Plätze sinken. „Hast du schon eine Begleitung für den Ball?“ Abrupt schaute ich auf und begegnete seinen blauen Augen. Sie schauten mich offen und ehrlich an, doch in mir drin lösten sie nichts aus. Ich vermisste andere blaue Augen und doch wusste ich nicht, wem diese blauen Augen gehörten, nach denen ich mich so sehr sehnte.
„Nein, noch nicht. Wieso?“, fragte ich vorsichtig und schaute wieder auf meinen Tisch.
„Weil ich auch noch keine Begleitung habe und bevor wir beide da total alleine sitzen, obwohl wir beide sowieso den ganzen Abend zusammen rumhängen werden, habe ich mir gedacht, könnten wir zusammen hingehen?“ Sam lächelte und ich schaute ihn wieder an. Forschte in seinen Augen, ob er die Wahrheit sagte.
„Ok. Habe ich kein Problem mit. Dann gehen wir zusammen dorthin.“ Ich lächelte und erhielt als Antwort ein Grinsen.
„Ich hol dich um sechs ab.“, sagte er noch, bevor der Unterricht begann.

15. Kapitel


Darian war die nächsten Tage häufig nicht da und ließ immer nur Geld auf dem Couchtisch liegen, wenn er denn mal da war. Zum Wochenende hin hatte ich das Gefühl, dass er sauer war, weil ich ihn hab abblitzen lassen. Aber ich verwarf den Gedanken dann wieder, weil ich selbst noch sauer auf ihn war. Er hatte damit ja angefangen, nicht ich.
Am Freitagnachmittag fuhr ich nach der Schule in die Stadt zur Maniküre und danach nach Hause. Dort schaute ich mir zum ersten Mal die Kleider genauer an. Sie waren verschieden lang und meistens ganz normale Kleider, die auch andere Mädchen in meinem Alter trugen. Doch in einer Hülle, sah ich ein dunkelblaues Kleid hängen. Neugierig nahm ich die Hülle ab und schaute mir das Kleid an. Es war mitternachtsblau, Knielang und hatte einen V-Ausschnitt mit dünnen Trägern. Staunend zog ich es an und schaute in den Spiegel. Es sah wirklich wunderschön aus und es fiel mir auf, dass das Blau zu meiner Augenfarbe passte.
„Soll ich dir helfen?“, fragte mich plötzlich jemand und ich fuhr herum. Darian stand in meinem Zimmer und hatte die Hände halb nach mir ausgestreckt.
„Bitte.“ War alles was ich sagte und drehte ihm wieder den Rücken zu. Vorsichtig und mit einer leichten Handbewegung zog er den Reisverschluss zu. „Dankeschön.“, sagte ich leise und ging zum Spiegel zurück.
„Du siehst wirklich wunderschön aus. Wer ist denn dein glücklicher Begleiter?“, fragte er leise und starrte mich an.
„Sam und er müsste jeden Augenblick hier sein. Und tu mir ein Gefallen und verschwinde, weil niemand weiß, dass wir zusammen wohnen.“ Darian zuckte zusammen und ich fragte mich, ob ich es vielleicht netter hätte ausdrücken sollen. Aber ich verwarf den Gedanken sofort wieder und kurz darauf klingelte es an der Tür.
Darian war verschwunden und ich beeilte mich die Tür auf zu machen.
„Hey!“ Sam musterte mich mit großen Augen. „Du siehst wunderschön aus Ravyn.“
„Danke.“ Ich lächelte und zog die Tür hinter mir zu. Zusammen stiegen wir in Sams BMW und fuhren zum Hotel, welches für den Ball gebucht war.
„Du bist wahrscheinlich die schönste an diesem Abend.“, sagte Sam und umklammerte das Lenkrad fester. Warum war er so nervös?
„Ich denke nicht.“, sagte ich leise und schaute auf die Straße. Sam schwieg und fuhr vor das Foyer. Dort nahm jemand seinen Wagenschlüssel und fuhr das Auto auf den Parkplatz. Ein Angestellter winkte uns weiter und als wir vorbei am Restaurant gingen, hörten wir schon die laute Musik, die in dem Saal dröhnte. Ich hackte mich bei Sam unter und zusammen zahlten wir den Eintritt.
Lisa und Tyler standen noch am Eingang und beobachteten die Schüler, die auf der Tanzfläche tanzten.
„Hey Lisa. Du siehst wunderschön aus.“ Ich lächelte sie an und bekam nur einen giftigen Blick zurück. Kurz zuckte ich zusammen und hob eine Augenbraue. „Ist alles in Ordnung?“
„Nein. Ist es nicht. Ich will, dass du mich in Ruhe lässt. Es ist echt das letzte, dass du dich versucht hast an Tyler ranzumachen. Glaubst du, dass er mir das nicht erzählen würde, wie du ihn anbaggerst? Pah!“ Sie warf ihre schwarzen Haare über die Schulter und wandte mir ihren Rücken zu. „Du bist so ein mieses Miststück!“ Damit stolzierte sie davon. Allein.
„Sag mal Tyler, hast du sie noch alle?“, fuhr ich ihn an. „Wieso labbert sie so etwas. Ich hab dich noch nicht einmal in meiner ganzen Zeit ansatzweise angesprochen oder berührt.“ Wütend funkelte ich ihn an und er senkte den Blick.
„Aber ich kann mich nicht einfach von ihr trennen. Und deswegen brauche ich irgendeinen Grund um zu erklären, warum ich immer anderen Weibern hinterher schaue. Ich mag dich Ravyn, aber ich kann nicht mit Lisa Schluss machen.“ Tyler schüttelte traurig den Kopf.
„Dann mach ich das jetzt für dich.“, sagte ich fest entschlossen und wollte schon Lisa hinterher, als Sam mich zurückhielt.
„Wie willst du das bitte tun?“, fragte er mich und schaute mich an.
„Ihr die Wahrheit sagen und ihr sagen, dass Tyler nichts mehr von ihr will, aber sich nicht traut Schluss zu machen?“, fragte ich und schaute ihn an.
„Oh, das brauchst du nicht mehr machen.“, sagte jemand hinter Tyler und verwundert drehte er sich um. Lisa stand dort mit tränennassem Gesicht und dicken Augen. Sie schniefte und ihre Schminke lief ihr übers Gesicht.
„Lisa, ich…“, begann Tyler und hob die Hände.
„Du hast es doch gerade selbst gesagt. Also hast du mich die ganze Zeit belogen? Und ich habe mit Leuten Stress, die wahrscheinlich gar nichts dafür konnten.“ Lisa schüttelte den Kopf und wich vor Tylers Hand zurück.
„Wollen wir lieber draußen reden?“
„Nein. Ich bin mit dir fertig Tyler. Lass mich in Ruhe.“ Lisa schüttelte den Kopf und stürmte aufs Mädchenklo. Wir drei schauten ihr nach und ich verzog meinen Mund. Und ich hatte mich auf einen lustigen Abend gefreut, doch der schien wohl nicht mehr so lustig zu werden wie. Zum Glück hatte kaum einer diese kleine Auseinandersetzung mitbekommen, oder doch? In einer Ecke schaute uns eine dunkle Gestalt an und wandte nicht ein einziges Mal den Blick ab. Zumindest kam es mir so vor. Aber egal wie sehr ich mich bemühte ihn zu erkennen, auf den Namen kam ich nicht.
„Sam? Schau mal dort drüben in die Ecke. Dort steht jemand, den ich noch nie vorher gesehen habe. Wer ist das?“ Ich schaute ihn an und versuchte aus seinem Blick zu lesen, ob er die Person erkannte oder nicht.
„Nein, den kenne ich nicht. Scheint auch nicht auf unsere Schule zu gehen. Vielleicht ist es ein Freund von einer der Mädels hier.“ Sam zuckte mit den Schultern und schaute immer wieder zu ihm herüber. „Er kommt mir auch überhaupt nicht bekannt vor. Zwar ist die Stadt riesig, aber eigentlich müsste man alle Schüler wiedererkennen.“
„Vielleicht ist er wirklich einfach nur eine Begleitung.“, sagte ich und senkte den Blick. Aber wenn er nur eine Begleitung wäre, dann müsste er doch bei dem Mädchen sein. Aber bei ihm war keines und es machte auch keiner Anstalten ihn irgendwie zu kennen. Irgendetwas in meinem Hinterkopf aber sagte mir, dass ich diese Person schon einmal gesehen hatte. Nur wo, wusste ich nicht mehr.
Während die Musik immer lauter wurde und die Schüler immer mehr Spaß hatten, weil ihr Alkoholpegel langsam anstieg, stellte ich mich an den Rand und nippte an meiner Cola, die ich mir bestellte hatte.
„Gar keine Lust zu tanzen?“, fragte mich plötzlich jemand und lehnte sich neben mich an den Tresen. Ich schaute auf und sah, dass es der Junge aus der Ecke war. Um sicher zu gehen, dass ich mich nicht täuschte, schaute ich in die Ecke. Sie war leer.
„Mit wem bist du hier?“, fragte ich und schaute ihn an. Diese schwarzen Haare und die blauen Augen waren mir so bekannt. Und mir fiel einfach nicht mehr ein, woher ich sie kannte.
„Ich bin mit meiner Schwester zusammen gekommen, aber die ist gerade mit ihrem Freund am tanzen. Ich mache sozusagen nur die Überwachung, weil sie öfters mal etwas übertreibt.“ Er grinste und ich musste lachen. Ja, so waren die Mädchen hier.
„Dann musst du dich ja ziemlich langweilen, weil du ja einfach nur alleine da rumstandest.“, sagte ich und hatte auf einmal nicht mehr das Gefühl, als wäre er falsch an diesem Ort. Vielleicht lag es auch einfach nur daran, weil ich nicht wusste, dass er mit seiner Schwester hier war.
„Wer ist denn deine Schwester?“, fragte ich ihn und schaute in die Menge.
„Du hattest mit ihr vorhin eine kleine Auseinandersetzung.“, sagte er und lächelte leicht.
„Oh. Lisa?“, fragend hielt ich nach ihr Ausschau. „Sie hat doch jetzt keinen Freund mehr.“, sagte ich und schaute ihn an.
„Tyler und sie sind wieder zusammen.“, sagte er und schaute mich an. „Ist besser so, findest du nicht?“
Krampfhaft schluckte ich und wollte wegschauen, aber ich konnte nicht. Der Junge hielt mich mit seinem Blick gefangen und untersagte mir jeglichen Versuch diesem Blick zu entkommen. Hatte Tyler das gemeint, dass er sich nicht traut mit ihr Schluss zu machen. Hatte er Angst, dass Lisas großer Bruder ihn schlug oder ihm vielleicht sogar schon gedroht hatte?
„Ähm… Ich werde wohl am besten mal Sam suchen und mich nach Hause fahren lassen. Ich bin müde.“ Ich stellte mein halbvolles Glas auf den Tresen und wollte los gehen, als er mich am Arm festhielt.
„Ich kann dich fahren, wenn du willst.“ Er lächelte mich freundlich an und hielt meinen Arm weiterhin fest.
„Ich bin mit einem Freund hier. Der kann mich auch fahren.“, sagte ich und versuchte ihm meinen Arm zu entziehen.
„Ach komm. Er hat gerade viel Spaß. Lass ihn doch tanzen, dann kann ich dich nach Hause fahren ohne, dass du hier noch unnötig rumhängen musst.“ Seine blauen Augen schauten in meine und eine unbekannte, wohlige Wärme durchströmte meinen Körper.
„Nein, er kann mich sicher fahren.“, sagte ich unsicher und schaffte es ihm meinen Arm zu entziehen und los zu gehen. Ich drehte mich nicht wieder um, aber ich spürte seinen Blick in meinem Rücken.

16. Kapitel


Darian war nicht da als ich nach Hause kam. Die Wohnung war dunkel und still. Müde ließ ich die Tür hinter mir ins Schloss fallen und schob den Riegel vor. Dann ging ich geradewegs in mein Schlafzimmer und ließ mich auf mein Bett sinken. Ich konnte mich ja kurz ein bisschen ausruhen, bevor ich mich umzog und richtig schlafen ging. Allerdings schlief ich augenblicklich ein und viel wieder in einen dieser Träume, wo ich auf der irrealen Wiese erwachte.
„Du siehst müde aus.“, sagte er und lächelte leicht.
„Abschlussball.“ War alles was ich sagte und rieb mir meine Augen.
„Aber so spät ist es doch noch gar nicht.“ Er lächelte und setzte sich neben mir auf das Gras.
„Ich bin aber total alle.“ Verteidigte ich mich und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Ok.“ Er lachte leise und zog mich in seine Arme. Das hatte er die letzten paar Male auch schon getan und ich hatte nichts dagegen. Es fühlte sich gut an von ihm im Arm gehalten zu werden und seine Atemzüge zu spüren. „Ist irgendetwas passiert?“, fragte er nach kurzer Zeit.
„Nicht so wichtig.“, sagte ich und kuschelte mich enger an ihn.
„Erzähl es mir.“, bat er und strich mir über die Wange.
„Ach, da war nur so ein Junge, der mich nach Hause fahren wollte und mich damit nicht in Ruhe ließ.“ Ich zuckte mit den Schultern und tat so, als wäre es nicht so schlimm gewesen.
„Wie sah der Junge aus?“ Er war vollkommen reglos und hielt den Atem an.
„Schwarze Haare und blaue Augen. Wieso?“, fragte ich und wollte ihn ansehen. Doch er umklammerte mich so fest das er mir jegliche Bewegung untersagte.
„Hat er dich berührt?“ Seine Stimme war eiskalt und jagte mir Schauer über den Rücken. Mehr als ein zaghaftes Nicken brachte ich nicht zustande. „Wo?“
„Am Arm.“ Kaum hatte ich ihm gesagt wo, schob er mich von sich runter und kniete sich hin.
„Welche Seite?“, fragte er und kramte in seiner Hosentasche.
„Links.“ Ich schaute ihn wartend an und legte den Kopf schief. Er nahm meinen linken Arm und riss den Ärmel meines Shirts ab. „He! Das war neu!“
„Darian kann dir ein neues kaufen.“, brummte er und ich setzte zu einer bissigen Bemerkung an, als ich inne hielt. Darian?
„Woher…“, setzte ich an, wurde aber jäh unterbrochen. Auf meinem Arm hatte sich ein dunkler Fleck gebildet in dem komische Zeichen zu sehen waren. „Was zum Teufel ist das?“ Ungläubig riss ich meine Augen auf und hob meinen Arm näher zu meinem Gesicht.
„Das meine Liebe ist ein Virus.“ Abrupt wandte ich den Kopf und schaute ihn forschend an. Was sollte das heißen? „Du hast nicht mehr viel Zeit. Wenn es sich bis zu deiner Schulter ausgebreitet hat, dann bist du ein Vampyr.“
Ich stand schneller, als er gucken konnte.
„Du spinnst!“, brachte ich gepresst hervor und trat einen Schritt von ihm zurück. „Es gibt sowas wie Vampire und den ganzen Quatsch nicht. Das gab es nie. Das ist alles nur eine Legende.“
„Nein Ravyn. Das ist alles wahr.“ Vorsichtig kam er einen Schritt auf mich zu, doch ich wich nur weiter zurück. Ich schüttelte heftig und abrupt den Kopf und deutete ihm so, dass ich nicht wollte, dass er mir näher kam. „Hör zu. Du wachst bald auf und dann wird Darian da sein und dir alles erklären. Ich kann leider nicht persönlich zu dir kommen. Versuch einfach das Beste aus dem zu machen, was du erfährst, ja?“ Er lächelte und bückte sich. Auf einmal hatte er eine Rose in der Hand.
„Behalte sie. Ich will sie nicht.“, sagte ich leise und spürte, wie ich müde wurde. Erschöpft ließ ich mich aufs Gras sinken und schloss die Augen. Das letzte was ich spürte war, wie er mir die Rose in die Hand legte und mir einen Kuss auf die Stirn gab. Ich wollte ihn wegstoßen und die Rose zerreißen, aber ich war zu schwach. Mir gelang es nicht einmal meine Augen zu öffnen.


„Da bist du ja endlich!“ Darians grüne Augen waren direkt über mir. Sie waren geweitet und schauten mich erschrocken an. „Was ist passiert? Wieso hast du das da am Arm? Erzähl mir, was du geträumt hast. Wir haben nicht viel Zeit.“ Darian starrte meinen linken Arm an und ich folgte seinem Blick. Die Zeichen hatten sich erweitert und berührten schon leicht meine Schulter.
„Ich will nicht sterben!“, stieß ich Atemlos hervor und klammerte mich an Darians Arm fest. Dieser zog mich eng an sich und ich vergrub mein Gesicht an seiner Brust.
„Du wirst nicht sterben Ray.“ Darian wiegte mich sanft vor und zurück. „Ich pass auf dich auf, wenn du dich wandeln solltest. Du wirst nicht sterben.“ Ich konnte mir ein Schluchzen nicht verkneifen und klammerte mich noch fester an ihn.
„Und was ist wenn ich doch sterbe?“, fragte ich leise und wollte die Antwort eigentlich gar nicht hören.
„Soweit wird es nicht kommen Ravyn, dass lasse ich nicht zu.“
„Und das sagt ausgerechnet derjenige der mich eigentlich umbringen wollte.“, murmelte ich leise und spürte wie er sich anspannte. Vielleicht hätte ich ihm das nicht sagen sollen, aber es musste für mich jetzt aus dem Weg geschaffen werden. Ich konnte nicht mehr jeden Tag aufstehen und so tun als wüsste ich nicht, wie sehr er mich eigentlich hasste.
„Ich wollte dich umbringen. Jetzt aber nicht mehr. Du bist viel zu lieb und süß. Um dich umzubringen müsste man wirklich Geisteskrank sein.“ Darian schnaubte verächtlich. „Du hast so eine Anziehungskraft an dir, der man eigentlich nicht wiederstehen kann. Tyr konnte es nicht und ich kann es auch nicht. Deswegen habe ich dir den Ring gegeben. Ich wollte dich vor mir schützen.“ Während er sprach hob ich mein Gesicht und schaute ihm in die grünen Augen, die in die Ferne schauten. In ihnen konnte man erkennen an was er dachte. Es war die Situation bei uns in der Sammlung der alten Schule. Dort hatte er mir den Ring gegeben, der wenn er oder Tyr in der Nähe gewesen waren leuchtend rote Ornamente aufwies. Dieser Ring lag jetzt tief unten in meinem Rucksack. Ich hatte ihn schon länger nicht mehr aufgezogen, weil ich wusste, dass ich ihn gar nicht brauchte, obwohl es eigentlich notwendig gewesen wäre.
„Hättest du den Ring getragen, als du dort Unten gefangen warst, dann hätte ich dich niemals aufspüren können und niemals entdeckt, dass Tyr dahinter steckt.“ Als er seinen Namen aussprach zuckte ich unwillkürlich zusammen.
„Tyr hat mich nicht entführt. Warum sollte er auch?“, fragte ich Darian und zog ungläubig eine Augenbraue hoch.
„Du kannst dich nicht mehr an alles erinnern, nur an Bruchstücke.“ Darian seufzte und rieb sich die Schläfe. „Wenn du die Wandlung zu einem Vampyr machst, dann wirst du alles wissen, was in Vergessenheit geraten ist. Denn dann wird der Zwang, den man auf dich angesetzt hat, weichen. Manchmal ist man selbst überrascht, was dabei raus kommt.“ Darian lächelte ein leises Lächeln. Es erreichte seine Augen aber nicht und deshalb fing ich an mir Sorgen zu machen. Wenn ich ein Vampyr wurde, würde ich dann auch etwas erfahren, was ich nicht wusste zu wissen.
„Aber es gibt doch keine Vampire.“, sagte ich fest entschlossen und stand auf. Ich musste mir dringend etwas anderes anziehen und duschen.
„Soll ich es dir jetzt auch noch beweisen?“, fragte Darian und zog seine Augenbrauen hoch. Abrupt schüttelte ich den Kopf.
„Ich kann gut darauf verzichten mit ansehen zu müssen, wie du einem Menschen das Blut aussaugst.“ Ich rümpfte bei dem Gedanken daran die Nase. Alleine der Gedanke daran war Übelkeiterregend.
„Ich brauche dazu kein Opfer.“ Darian trat näher an mich heran. „Schau nur genau hin und hab am besten keine Angst.“ Er lächelte schief und schloss dann die Augen. Sein Gesicht war gefährlich nah an meinem Hals und ich hörte, wie er tief einatmete. Darian warf seinen Kopf in den Nacken und gab ein leises Knurren von sich. Es kam direkt aus seiner Kehle. Gänsehaut breitete sich auf meinem Körper aus und ich starrte auf sein Gesicht, als er den Kopf wieder senkte und mich anschaute.
Seine grünen Augen hatten sich schwarz verfärbt und sie strahlten so sehr, dass alles in mir ‚Gefahr‘ schrie. Allerdings konnte ich den Blick von seinem Mund nicht abwenden. Wie in den ganzen Vampirfilmen, hatten sich hier seine Eckzähne verlängert. Nicht ganz so lang wie in manchen Filmen, aber lang genug, dass man den Unterschied mit bloßem Auge erkennen konnte. Ich war vor Angst wie gelähmt und presste mich mit dem Rücken weiter an meinen Schrank. Hatte er sich noch unter Kontrolle oder war er nun ganz ein Jäger? Doch viel eher fragte ich mich. War es echt?

17. Kapitel


Auf dem Tisch lagen viel zu viele Bücher übereinander gestapelt und einige drohten um zu kippen. Die Bücherreih war teils leer, nur hier und da waren ein paar alte Menschen die an Tischen saßen und etwas in alten Zeitschriften lasen. Die Ruhe, die hier herrschte, war angenehm. Normalerweise fühlte ich mich davon immer sehr erdrückt. Heute ging es oder lag es einfach nur an den anderen Umständen? Immerhin war ich nicht hier, weil ich irgendetwas für die Schule raussuchen wollte, auch wenn ich das der Frau am Schalter gesagt hatte, damit sie mich nicht zurück in die Schule schickte. Seit einer Woche hatte ich mich dort nicht mehr blicken lassen. Aus Angst, dass sich der Virus erweiterte, wenn ich da war und weil er gesehen werden könnte. Und in der Schule herrschte absolutes Tättowierungsverbot. Es gab schon Schüler, die deswegen von der Schule flogen und ich war nicht sonderlich scharf darauf, ebenfalls eine dieser Schüler zu sein.
„Kann ich Ihnen vielleicht irgendwie weiterhelfen, Miss?“, fragte mich die Frau und schaute die vielen Bücher an, die auf dem Tisch vor mir lagen.
„Nein, danke.“, sagte ich freundlich und schüttelte den Kopf um das Nein zu unterstreichen. Die Frau lächelte und ging dann davon. Sie schob einen Wagen voller Bücher vor sich und fing an sie an ihren entsprechenden Plätzen ein zu sortieren. Einen kurzen Augenblick beobachtete ich sie, dann schweifte mein Blick ein weiteres Mal durch den Raum und erst dann wandte ich mich dem aufgeschlagenen Buch vor mir wieder zu.
Es war ein Tagebuch aus dem Jahre 1705. Im Buch standen die Initialen B.O. aber kein vollständiger Name. Als ich in der Abteilung für Geschichte gesucht hatte und nach bestimmten Büchern Ausschau hielt, ist es mir aufgefallen, als ich eines der Bücher aus dem Regal zog. Es lag gut versteckt, ganz hinten an der Wand des Regales und war kaum zu sehen. Der Ledereinband unterschied sich nicht sonderlich vom Holz des Regales. Als ich die Bibliothekarin gefragt hatte, wie lange diese Bibliothek schon existierte und wie alt die Regale schon waren, erzählte sie mir, dass diese Regal nie von ihrem Platz entfernt wurden. Die Bücher umzuräumen oder an eine andere Stelle zu legen, war niemals geschehen und deshalb lag das Tagebuch dort unentdeckt. Es besaß auch keinen Plastikumschlag auf dem ein Strichcode vorhanden war. Es lag hier ohne das Wissen der Menschen, die hier täglich rein und raus gingen und sogar hier arbeiteten.
In dem Tagebuch standen merkwürdige Einträge und einige waren kaum zu entziffern. Also ließ ich es in meine Handtasche verschwinden um es später Darian zu zeigen. Der konnte das sicher lesen. Ich nahm noch ein paar von den vielen Büchern mit und machte mich dann auf den Weg in die Stadt. Darian hatte mir Geld gegeben, damit ich mir selber Klamotten kaufen konnte, da er meinte, dass ich lieber selber entscheiden sollte, was ich anziehen wollte. Aber jetzt verspürte ich nicht die Lust etwas zu kaufen. Ich ging zwar in ein paar Läden, aber alles was mir gefiel waren Oberteile die dünne Träger hatten. Und das war für mich im Moment undenkbar, weil der Virus klar und deutlich auf meinem Arm zu sehen war. Er hatte sich noch nicht erweitert, also blieb mir noch Zeit.
„Na sieh mal einer an. Wenn das nicht die Schönheit aus dem Hotel ist.“ Die Stimme war direkt hinter mir und ließ mich zusammen zucken. „Bist du denn noch gut nach Hause gekommen?“ Ich drehte mich vorsichtig um und schaute in das süffisante Grinsen, welches mir der Typ entgegenbrachte. Seine blauen Augen strahlten und seine Hände steckten in den Hosentaschen seiner darkblue Jeans. Ich konnte mir ein Schnauben nicht verkneifen und schüttelte dabei den Kopf.
„Lass mich in Ruhe.“ War alles was ich sagte und ging davon.
„Du wirst mich eh bald suchen und ich werde da sein um dir zu helfen.“ Er legte den Kopf schief und schaute mich an. Meine Hände ballte ich zu Fäusten, die ich ihm am liebsten ins Gesicht geschleudert hätte.
„Ich rate dir nur eine Sache: Lass mich am besten in Ruhe.“ Ich war im Begriff weiter zu gehen, blieb dann aber noch einmal stehen. „Solltest du es aber als unwichtig erachten meinen Rat zu befolgen, dann sollte dir bewusst sein, dass dein Leben bald vorbei ist. Du lebendiger Toter!“, zischte ich so leise, dass eigentlich nur ich es hören konnte. Aber dem Ausdruck auf seinem Gesicht nach zu Folge, hatte er das ganz genau verstanden. Seine Nasenlöcher blähten sich und er machte kehrt. Er drängelte sich zwischen zwei älteren Damen hindurch, wobei eine fast zu Boden ging. Sie schimpfte hinter ihm her, aber er drehte sich nicht einmal zu ihr um, um sich bei ihr zu entschuldigen. Kopfschüttelnd setzte ich meinen Weg durch die Stadt fort und war froh, endlich an meinem Auto anzukommen und mich ins Auto zu setzten und nach Hause zu fahren. Darian wartete sicher schon.
Auf dem Weg zurück, nahm ich das Geld mit einer Hand aus meiner Handtasche und schob es unter die Fußmatte meines Platzes. Dort würde keiner es suchen und Darian würde es dort auch nicht finden. Er würde sich zwar wundern, wieso ich kaum noch Geld hatte und überhaupt nichts eingekauft hatte.
„Da bist du ja. Hast du ein paar Bücher gefunden?“, wollte er sofort wissen und nahm mir meine Handtasche ab. „So schwer ist die gar nicht. Hast du überhaupt ein Buch ausgeliehen?“ Er schubste die alten Bücher in meiner Handtasche herum.
„Klar.“ Ich nahm ihm die Tasche ab und ging durch ins Wohnzimmer. „Und ich habe eine sehr interessante Entdeckung gemacht.“ Ich holte die Bücher aus der Tasche und legte sie auf den Tisch. Einen Augenblick schauten wir uns die Bücher nur an, wobei ich auf das Tagebuch starrte. Ich wollte weiter darin lesen und erfahren, was damals passiert war. Denn es lag in der Abteilung für das Übernatürliche. Und das musste definitiv etwas bedeuten, sonst hätte ich das dort nicht gefunden.
„Und das ist kein Buch aus der Bibliothek?“ Darian nahm das Tagebuch in die Hand und hielt es zwischen uns. Schweigend nickte ich und streckte die Hand aus, damit er es mir geben konnte. Doch er schüttelte den Kopf und klappte es auf. Ich sah ihm dabei zu wie er es durchblätterte und einige Seiten las, dann zur nächsten Seite weiter blätterte. Auf seiner Stirn entstand eine Falte nach der anderen, die sich weitere Seiten danach vertieft hatte. Das ging so lange, bis er eine finstere Mine aufgesetzt hatte und das Tagebuch quer durch das Zimmer geworfen hatte.
„B.O.“ Er hatte sein Gesicht in seinen Händen versteckt, die er mit den Ellenbogen auf seinen Knien abgestützt hatte.
„Es muss jemand sein, der damals hier gelebt hat. Gibt es vielleicht irgendwelche alten Aufzeichnungen von ehemaligen Bürgern dieser Stadt?“, fragend zuckte ich die Schultern und starrte ihn an.
„Hier? In dieser Stadt?“ Ungläubig schaute er mich an. „Dir ist schon klar, dass hier tausende von Menschen leben.“
„Und dir müsste eigentlich klar sein, dass jede Stadt auch mal ein Dorf war. Und dieses Dorf entstand durch ein paar vereinzelte Zelte von unseren Vorfahren. Sie kamen ja nicht mit tausenden von Leuten hier her und errichteten so ein großes Dorf, bis schließlich diese Stadt erbaut wurde.“ Ich verschränkte die Arme vor der Brust und blickte ihn finster an. Er schien einen Augenblick darüber nach zu denken, dann öffnete er den Mund um etwas zu sagen, schloss ihn aber wieder. Das ganze versuchte er drei Mal, dann gab er es auf und erhob sich Kopfschüttelnd.
„Du musst schon zugeben können, dass das logisch klang.“ Ich stand jetzt ebenfalls auf den Beinen und ging ihm hinterher. Was wollte er denn im Schlafzimmer? „Darian! Du musst doch mal darüber nachdenken! Es macht doch nur Sinn. So viele Menschen können unmöglich zusammen durch das Land gezogen sein, dass wäre erstens viel zu gefährlich gewesen und zweitens hätte es viel zu viele Kämpfe – Machtkämpfe – gegeben. Das musst du doch wohl zugeben!“ Ich stand hinter ihm und starrte auf seinen muskulösen Rücken, den man durch sein blau kariertes Hemd sehen konnte. Er hatte einen Arm gegen den Fensterrahmen gestützt und lehnte mit dem Kopf daran. Wir schwiegen eine Weile. Ich wusste nicht was ich sagen oder tun sollte. Also stand ich einfach nur da und schaute wartend seinen Rücken an.
„Hast du mir überhaupt zugehört?“, fragte ich nach einiger Zeit, weil er noch immer nichts gesagt hatte.
„Natürlich habe ich dir zugehört!“ Darian fuhr herum und war so dicht bei mir, dass sich unsere Nasen fast berührten. „Ich habe dir immer zu gehört! Selbst wenn du nicht mit mir geredet hast, selbst als du im Schlaf vor dich hingemurmelt hast. Ich habe dir immer zugehört und ich werde dir immer zuhören!“ Die Wucht seiner Worte machte mich sprachlos, deswegen starrte ich ihn einfach nur an und schwieg.
„Ich rede im Schlaf?“, fragte ich dann und blinzelte ein wenig, als er den Blick abwandte. Er zuckte mit den Schultern und hob eine Hand zu meinem Gesicht. Vorsichtig legte er sie an meine Wange und schaute mir wieder in die Augen.
„Das ist so niedlich, wenn du dich von der einen Seite auf die andere drehst, leise seufzt und dann irgendwas sagst.“ Seine grünen Augen schienen mich aufzusaugen und zu verschlingen. „So süß und liebenswert sind nur wenige.“ Ich spürte seinen Atem warm auf meinen Lippen. Tief atmete ich durch und schaute ihm weiterhin in die Augen. In ihnen sah man die Frage die er nicht stellen wollte. Doch ich gab ihm die Antwort. Seit Wochen hatte ich mich danach gesehnt, danach gesehnt Liebe zu spüren. Nach endlosen Minuten trafen meine Lippen seine und es war, als würde man ein Feuer in mir anzünden. Mir war heiß und kalt zugleich.

18. Kapitel


Die Handschrift war mittlerweile nicht mehr so schwer zu lesen, nachdem mir Darian sie einigermaßen erklärt hatte. Wir saßen über Bücher gebeugt da und blätterten uns durch die vielen Bücher. In allem stand etwas zu Werwölfen und Vampiren, Hexen und Dämonen. Geister kamen gelegentlich auch mal drin vor, aber am meisten las man das Wort Vampir.
„Hier steht irgendwie nichts drin, was man mit dem Virus vergleichen könnte.“, sagte ich leise zu mir selbst, bekam aber eine Antwort von Darian. Er strich mit seinem Daumen über meinen Oberschenkel und schüttelte den Kopf.
„Vielleicht weiß der Rat darüber etwas.“
„Welcher Rat?“
„Hm?“ Völlig in Gedanken versunken schaute er verwirrt auf. „Hast du etwas gesagt?“
„Welcher Rat?“, fragte ich noch einmal und legte das Buch beiseite.
„Woher weißt du das?“ Er schaute mich mit zusammen gezogenen Augenbrauen an und legte ebenfalls das Buch weg.
„Das hast du eben gesagt.“
„Hab ich das?“
„Hast du.“, bestätigte ich ihm und schaute ihn wartend an. „Also?“
„Was Also?“
„Ja, sagst du es mir jetzt?“, fragte ich und verschränkte die Arme vor meinem Körper.
„Was soll ich dir sagen?“ Darian tat so, als wüsste er nicht was ich meinte. Allerdings war mir bewusst, dass ich es jetzt nicht aus ihm heraus quetschen konnte.
„Ach, vergiss es. Ich geh raus.“ Ich schnappte mir meinen Bikini und zog ihn mir an, dann verschwand ich durch die Tür nach draußen. Der Weg zum Strand führte zwischen zwei Häusern durch und dann schlängelte sich ein Pfad zwischen den Dünen entlang wo ich anschließend sofort am Wasser war. Die Sonne glitzerte auf den Wellen und ich hielt meine Zehspitzen ins Wasser. Es war nicht zu kalt, also ging ich langsam hinein. Vielleicht konnte ich auf einem anderen Weg herausfinden, was es mit dem Rat auf sich hatte. Doch vor allem wollte ich wissen, was mit meinen Träumen war. Und wieso er nicht einfach hier her kam und mit mir persönlich sprach. Genauso war ich verwirrt von dem Kuss mit Darian. Ich musste dringend mal aufräumen in meinem Leben denn so wie es jetzt war, konnte es nur in einer einzigen Katastrophe enden.
„Glaubst du ernsthaft, dass ich dir verrate was der Rat ist?“ Darians Stimme neben mir ließ mich so heftig erschrecken, dass ich aufschrie. Sofort presste er seine Hand fest auf meinen Mund um mich zum schwiegen zu bringen. „Seit wann bist du so schreckhaft?“
Zitternd schaute ich ihn an und zuckte mit den Schultern. Dabei stach ein heftiger Schmerz durch meine Schulter und ich verdrehte stöhnend vor Schmerz die Augen.
„Ray?“ Darian hatte mich an der Taille gepackt und hielt mich aufrecht. „Ist alles in Ordnung?“ Ich bekam ein schwaches Kopfschütteln zustande, aber mehr auch nicht.
Eine Hitze schoss durch meinen Körper und ich dachte im nächsten Augenblick würde ich bei lebendigem Leibe verbrennen. Und diesmal verließ der Schrei vor Schmerz meine Lippen.
In mir zogen sich die Organe zusammen und ich hatte das Gefühl als würde alles in mir explodieren und kochen.
„Was kann ich tun?“, fragte Darian ganz dicht an meinem Gesicht. Sein Atem war nicht wie sonst warm auf meiner Haut sondern er kühlte ein wenig, doch danach war diese Hitze wieder da. Und genauso schnell wie es kam, war es wieder verschwunden. Einen Moment war mir noch schwindelig und ich hielt mir die Hand vor Augen weil die Sonne so hell war, aber dann merkte ich, dass Darian mich trug. Und zwar zurück zu meiner Wohnung.
Dort legte er mich auf das Sofa und verschwand im Badezimmer um wenige Sekunden danach wieder bei mir zu sein. Er legte einen kalten Lappen auf meinen linken Arm und sofort linderte es die restliche Wärme in meinem Körper.
„Was war das?“, fragte ich leise und versuchte meine schweren Lider zu heben.
„Du hattest eben das erste Anzeichen deiner Verwandlung.“ Er senkte den Blick und presste die Lippen zusammen. War da etwa der Ausdruck von Qual in seinen Augen?
„Wird es noch schlimmer?“, fragte ich leise und taste nach seiner Hand. Als ich sie fand umklammerte ich sie so fest wie ich nur konnte, wahrscheinlich nahm er den Druck gar nicht mal wahr.
„Ich kann mich zwar nicht mehr genau an alles erinnern was ich in meinem langen Leben als Vampyr erlebt habe, aber die Wandlung wird man niemals vergessen. Sie dauert lange und ist schmerzhaft.“ Während er das sagte schaute er mich nicht ein einziges Mal an.
„Gibt es keine Möglichkeit es zu verhindern?“, fragte ich und spürte wie ich nach und nach in eine schwarze Tiefe gezogen wurde.
„Du solltest jetzt ein wenig schlafen Ravyn. Wir können die Sachen auch später besprechen.“ Er strich mir mit seiner freien Hand über den Kopf und beugte sich vor um mir einen Kuss auf die Stirn zu geben. Danach saß er noch so lange neben mir und hielt meine Hand, bis ich eingeschlafen war.

Impressum

Texte: Alle Rechte liegen bei mir. :)
Tag der Veröffentlichung: 14.11.2010

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