Kapitel 1:
„Hey Sole, warte mal!“, die Stimme meiner besten Freundin schallte durch den Flur der High School und erstaunt drehte ich mich um. Sie schlängelte sich graziös durch eine Gruppe von Jungs, die ihr hinterher glotzten und pfiffen. Theatralisch verdrehte ich die Augen als sie ein kokettes Lächeln aufsetzte und zu mir herüber kam.
„Morgen Luc.“, lächelte ich und zog meine Tasche fester. Ich konnte den nächsten Satz schon in ihren Augen lesen, bevor sie ihn laut aussprach.
„Stell dir vor, heute Abend ist mein Vortanzen! Du musst unbedingt mitkommen, vielleicht haben sie auch noch einen Platz für dich frei. Vielleicht nehmen sie dich auch!“, sprudelte sie heraus und ich zog meine Augen brauen zusammen. SIE waren die angesagteste Ballettgruppe der ganzen Stadt.
„Ich weiß nicht Luc. Du weißt ich kann nicht tanzen.“, aber sie wusste es besser. Wir kannten uns von damals aus dem Tanzkurs und wir beide verstanden es bis heute nicht, warum unsere Tanzlehrerin mich herauswarf.
„Du weißt ganz genau, dass du es kannst. Was in der Vergangenheit passiert ist, ist nicht weiter wichtig. Ich hab dich ab und zu mal in unserem Tanzsaal hier an der Schule beobachtet. Du tanzt großartig.“ Ihre Überredenskünste waren schon immer bei null gewesen und es hatte sich kein Stück verändert.
„Ich schau nur zu und drücke dir die Daumen.“, sagte ich und machte meinen Spind zu. „Wir sehen uns nachher in Politik.“, damit ging ich zu meinem Mathekurs. Die Mathestunde und die beiden anderen danach zogen sich wie Kaugummi in die Länge. Ich wartete sehnsüchtig auf das Klingen, dass das Stundenende anzettelte, als meine Biologielehrerin überraschend einen Test aus den tiefen ihrer Tasche hervor kramte.
„Meine Damen und Herren Sie werden nun eine kleine Überprüfung schreiben. Sie können es auch als kleinen Übungstest sehen, denn wir werden in Kürze unsere Klausur schreiben.“, damit ging sie lächelnd von Tisch zu Tisch und legte uns die Zettel vor die Nase. Dann gab sie den Startschuss und ich legte los. Es waren einfache Sachen, wie beschrifte ein Pantoffeltierchen und gebe die Phasen der Mitose in der richtigen Reihenfolge an.
Als es dann endlich klingelte rannte ich schon halb zu Politik wo ich mich mit Luc in der hinteren Reihe niederließ und auf unseren jungen Lehrer warteten.
„Meinst du Mr Neal hat heute wieder sein blau kariertes Hemd an hat?“, wisperte mir Luc gerade zu, als Chris sich auf den Platz neben mir setzte. Chris war mein Zwillingbruder und er sah mir nicht mal ähnlich. Außer von den Gesichtszügen und der Größe. Seine strubbligen blonden Haare hatte er mit viel Sorgfalt nach oben gegelt und seine dunkelbraunen Augen sahen mich besorgt an.
„Erleidest du wieder einen halben Herzinfarkt, wenn Mr Neal das Klassenzimmer betritt?“, grinste er mich schließlich an und ich schlug ihm fest gegen die Schulter.
„Na na, Miss Cold Sie werden doch nicht etwas Handgreiflich? Immer hin ist dies ihr Zwillingbruder.“, Mr Neals dunkle raue Stimme ließ mich erschrocken zusammen zucken. Meine Kinnlade klappte herunter und ich starrte ihn mit großen Augen an. „Da Sie eine meiner besten Schülerinnen sind, belasse ich es bei einer Verwarnung, sollte es nochmal vorkommen, dass sie bei meiner Anwesenheit jemanden schlagen sollten, muss ich Sie leider Nachsitzen lassen.“, einen Augenblick lächelte er mich noch verdammt süß an und drehte sich dann nach Vorne um und fragte jemanden nach den Hausaufgaben. Luc neben mir holte tief Luft und kicherte dann los. „Du bist knall rot im Gesicht, Sole.“
Entsetzt schnappte ich nach Luft und verkroch mich den Rest der Stunde hinter meinem Politikbuch. „Und wann ist dein Vortanzen?“, fragte ich und schaute Luc aus dem Augenwinkel an.
„Heute Abend um 18 Uhr.“, flüsterte sie genauso leise zurück und schaute dann wieder an die Tafel. Wohl eher zu Mr Neal als zur Tafel und dem geschriebenen darauf. Für den Rest der Stunde hielt ich es für besser einfach so zu tun, als wäre ich schwer mit dem Tafelbild beschäftigt. Das Klingeln war eine Erleichterung und wie ein Blitz schoss ich auf dem Kursraum und stürmte mit Luc und Chris in die Mensa. Die Schlange war noch nicht lang und die meisten Tische noch leer. Wir setzten uns wie gewohnt nach hinten zu den Fenstern und sahen zu wie die Mensa sich mit Lärm und Schülern füllte. Sofie und ihr Freund Tyler setzten sich zu uns und auch Mac kam dazu. Er schaute mich noch immer nicht an, wahrscheinlich litt er noch immer unter Liebeskummer. Sofort verwarf ich den Gedanken und wandte mich meinem Bruder zu, der mich schon wieder so besorgt anschaute.
„Was?“, zischte ich und hob eine Augenbraue. „Hast du heute irgendeinen Sozialpädagogen gefuttert oder warum durchbohrst du mich ständig mit so einem besorgten Blick?“ Chris zuckte zusammen und schaute betreten auf seine Pommes die im Ketchup schwammen.
„Nichts.“, sagte er und zuckte die Schultern. „Aber wenn man bedenkt, dass du bei Mrs Neals Anblick fast einen Herzinfarkt bekommst und in seiner Gegenwart knall rot wirst, muss man sich nun mal Sorgen machen. Wann wirst du denn schon mal wegen einem Jungen rot?“, er grinst mich wieder auf die fiese Art an, die in mir alle Alarmglocken schrillen ließ. Gleich kam der Satz, den ich gar nicht ausstehen konnte. „Ich glaube ja immer noch, dass du auf Mädchen stehst.“ Wie immer schnappte ich entsetzt nach Luft und blitzte ihn wütend an.
„Halt deine Klappe Chris!“, damit wandte ich mich meinen ekligen Pommes zu und versuchte mich am Gruppengespräch der Anderen zu beteiligen. Sie gratulierten Luc gerade für das Vortanzen. Sofort schaltete ich ab, denn alte Erinnerungen kamen hervor.
‚Ihre Tochter ist nicht elegant genug. Sie soll zwar ehrgeizig sein beim tanzen, aber bitte nicht so wütend. Es wäre besser, wenn sie aufhört zu tanzen, es schadet ihr sonst nur und den anderen in ihrem Umfeld ebenso.‘
Verbissen kniff ich meine Augen zusammen und biss mir heftig auf die Zunge. Während Luc die anderen überredete ebenfalls um 18 Uhr zu ihrem Vortanzen zu kommen, saß ich einfach da und presste die Handballen unter dem Tisch zusammen. Tanzen bedeutete mir so viel, sogar heute tanzte ich vor dem großen Spiegel in meinem Zimmer. Aber es war in der Vergangenheit seltener geworden und mittlerweile hatte ich sogar meine kompletten Tanzklamotten weggeworfen. Das war einer meiner Wutanfälle gewesen, die ich in letzter Zeit gehabt hatte.
„Hey Sole, wie wär’s wenn ich dich und Chris nachher dann abhole?“, Macs braune Augen schauten mich sehnsüchtig an. Ich wollte schon verneinen, als Chris mir zuvor kam. „Klar das wäre echt nett von dir.“ Er lächelte erst ihn und dann mich an. Ich drehte die Augen zur Decke und konnte es mir nicht verkneifen Chris unter dem Tisch einen tritt unter dem Tisch zu geben. So wie er zusammen zuckte, hatte ich wohl sein Schienbein erwischt.
„Danke.“, knurrte er leise und verzog sein Gesicht. Ich verkniff mir ein grinsen und ging zufrieden zu meinen letzten beiden Stunden. Französisch und Kunst vergingen wie im Flug und als ich aus dem Haupteingang kam, stand das große Auto meiner Eltern auf dem Parkplatz. Wie erstarrt blieb ich stehen und spürte den Stein in meinem Magen. Es war noch nie vor gekommen, dass mich meine Eltern abholten. Verkrampft schluckte ich den Kloß in meinem Hals herunter, was mir kläglich misslang.
„Hey Kleines, willst du uns warten lassen? Wir wollten mir euch was essen gehen.“, rief mein Dad und stand neben der offenen Fahrertür. Ohne ein Wort zu erwidern ging ich zum Auto und stieg hinten ein. Chris hatte es sich schon bequem gemacht. Sein Blick war ausdruckslos, aber ich erkannte, dass man mir etwas verschwiegen hatte.
Die ganze Fahrt von der Schule in die Stadt zu einem kleinen Restaurant schwiegen wir und das ungute Gefühl in mir verstärkte sich immer mehr. Als wir schließlich im Restaurant saßen – Chris und ich gegenüber von unseren Eltern – und etwas tranken und auf unser Essen warteten, ergriff unserer Vater das Wort.
„Nun Sole wir wollten eigentlich das ihr beide es zur gleichen Zeit erfahrt, aber dein Bruder war ein wenig neugierig und naja… Also was ich sagen will ist, dass du jetzt nicht denken sollst, dass wir dir alles verschweigen wollten. Chris hat wohl aus reiner Neugierde gelauscht und es mitbekommen wie deine Mutter und ich uns darüber unterhalten haben, dass wir wohl wegziehen müssen.“, entsetzt klappte ich den Mund auf und wieder zu. Das wiederholte ich drei oder viermal bis ich es ganz aufgab überhaupt irgendetwas zu sagen. „Du fragt dich sicher warum wir umziehen. Also meine Firma muss ein wenig vergrößert werden und da wir hier in der Nähe nicht genug Platz haben und es sich anbieten würde in einer Stadt zu wohnen und zu bauen, wo andere Menschen von profitieren, muss es wohl sein. Wir dachten zuerst, dass nur ich hingehe um dort alles zu leiten, aber ich brauche deine Mutter. Wir sind ein eingespieltes Team und würden es schneller hinbekommen, als ich alleine mit einer zusätzlichen Anfängerin die nur ein Klotz am Bein wäre.“ Mein Vater konnte sehr direkt sein. Ich hatte es mir schon vor einiger Zeit abgewöhnt mir immer gleich alles zu Herzen zu nehmen.
„Wann?“, brachte ich schließlich hervor, denn mein Hals war noch immer wie zugeschnürt. An das Einzige was ich denken konnte war, dass ich meine Freunde verlassen musste.
„Am Samstag geht’s los.“, sagte meine Mutter nun. In einer Woche! Wie sollte ich das schaffen? Mich von meinen Freunden verabschieden und meine Sachen alle packen.
„Aber…“, begann ich und stockte, als der Kellner mit unserem Essen kam. Mir war mittlerweile so schlecht, dass ich keinen Hunger mehr hatte. „So bald schon? Und was ist mit meinen Freunden? Was ist …“, doch ich unterbrach mich. Ich wollte schon von meinem Traum als große Tänzerin erzählen, aber ich hielt meinen Mund. Aber sie konnten es in meinem Blick lesen was ich sagen wollte.
„Dort ist eine Schule für Hochbegabte. Du und dein Bruder werdet dorthin gehen, da ihr beide ein reinen Einser durchschnitt habt. Dort werden verschiedene Kurse angeboten. Von Sport bis zum Theater und viel mehr. Ihr habt zu Hause bei den Anmeldungsformularen einen Zettel wo ihr eure Fächer ankreuzen könnt. Und Sole, du kannst neben Kunst auch noch Tanz oder Theater belegen. Das musst du dir nur aussuchen. Dir steht jedes Fach zur Verfügung.“, mein Vater lächelte mich entschuldigend an und ich schaute lustlos auf die Lasagne vor mir. Dann nahm ich Messer und Gabel und aß ohne etwas zu schmecken. Meine Stimmung war auf dem tiefsten Nullpunkt und sank noch weiter, als ich an heute Abend dachte und daran, wie ich es den anderen beibringen sollte. Die Fahrt nach Hause verlief genauso schweigend wie die Fahrt zum Restaurant und als wir zu Hause waren, rannte ich fast in mein Zimmer und schmiss mich auf mein Bett. Mit meiner Fernbedienung machte ich meine Stereoanlage an und ließ mich von dem hämmernden Beat eines coolen Liedes dessen Namen mir nicht einfallen wollte durch den Kopf.
Zuerst zuckten nur meine Finger und Füße, als ich mich seufzend erhob und meine Jeans gegen meine Jogginghose tauschte. Der Spiegel mit dem Handlauf daran glänzte mir entgegen und ich schaute mich an. Ein paar Lieder weiter, zuckten meine Füße weiter und ich bewegte mich einfach drauf los. Ich probierte ein paar von den damaligen Schritten aus, aber sie fühlten sich komisch an, als ich einen Handstand machte und mich einarmig um mich selbst drehte. Ich nutzte die gesamte Fläche meines Zimmers, sprang auf mein Bett und sprang wieder herunter. Chris kam brüllend herein, doch ich hörte ihn nicht. Erst als er die Anlage ausschaltete, drehte ich mich rum.
Meine Haare klebten an meinem Kopf und an meinem Hals und mein Puls raste. Doch es ging mir gut, ich fühlte mich besser als vorher. Erst da bemerkte ich Mac der hinter Chris ins Zimmer getreten war.
„Ich bin ein bisschen spät dran, was?“, knall rot im Gesicht griff ich mir ein paar Sachen und rannte ins Bad. Dabei drehte ich mich noch ein bisschen und schwing meine Hüfte dabei im Takt. Ich wollte nicht den Blick von Chris und Mac sehen die mir hinterher sahen und sich wahrscheinlich darüber lustig machten.
Später im Auto hörten wir den gleichen Song nochmal und ich bemühte nicht einen meiner Körperteile aus der Starre zu lösen. Wieder merkte ich, wie mich diese Musik faszinierte. Sie war nicht so klassisch wie die Musik beim Ballett, sie war wütender, rhythmischer und vor allem war sie aufregender und fröhlicher. Krampfhaft versuchte ich ein grinsen zu unterdrücken, als Chris sich zu mir herum drehte und mir forschend in die Augen sah.
„Du tanzt verdammt gut, Sole. Wieso hast du nicht einen Tanzkurs für Hip Hop besucht?“ Wie bitte, was? Tanzkurs für Hip Hop?!
„Hip Hop?“, ungläubig schaute ich ihn an. Das war nie im Leben Hip Hop gewesen. „Niemals.“
„Es ging in die Richtung. Das hab ich mal im Fernseher gesehen. Es gibt sogar Battles wo sich Crews – Tanzgruppen – treffen und um einen Preis tanzen. Vielleicht solltest du dich in New York mal nach einer umsehen. Auf unserer tollen neuen Schule wird’s sowas sicher nicht geben, aber man kann ja nie wissen.“
„Neuen Schule?! New York?! Was!“, Mac schaute mich und Chris entsetzt an und trat abrupt auf die Bremse.
„Mensch Mac, pass doch mal auf!“, zischte ich und schaute mich um. Wir waren da und somit stieg ich einfach aus und schaute mich nach Sofie und Tyler um. Die Beiden standen vor dem Eingang und winkten mir aufgeregt zu.
„Du wirst es nicht glauben! Fast die Hälfte der Teilnehmer ist schon weg, weil sie nicht genommen wurden. Luc ist gleich dran und sie hat schon mehrmals nach dir gefragt, ich glaube sie brauch jetzt mal seelische Unterstützung.“, grinste sie und ging dann aufgeregt zu Chris und Mac die sich angestrengt unterhielten. Es ging wohl um unseren Umzug. Sofort machte ich mich aus dem Staub und suchte nach Luc.
Erstaunt sah ich, dass nur noch fünf Mädchen und zwei Jungs da waren. Ihnen allen standen der Stress und die Angst ins Gesicht geschrieben. Ich entdeckte sie in einer Ecke, sie kaute aufgeregt an ihren lackierten Fingernägeln und zupfte an ihrem Rock.
„Hey Luc.“, sagte ich und kniete mich vor ihr nieder. Sofort fiel sie mir um den Hals.
„Oh Gott, Sole was ist wenn ich es nicht schaffe? Was ist wenn sie sagen, dass ich viel zu schlecht bin?“, sie war wohl kurz davor zu hyperventilieren.
„Süße, wenn sie dich nicht nehmen, dann haben sie definitiv keine Augen im Kopf. Du bist die beste Balletttänzerin die ich kenne und sie werden dich sicher nehmen! Ich bin bei dir – gedanklich.“, verbesserte ich mich und schaute sie an. Ich würde sie schrecklich vermissen wenn ich in New York auf eine neue Schule ging. Dann hatte ich keinen mehr mit dem ich über Jungs tratschen konnte und mit dem ich meine Mittagspause verbringen konnte. Klar, ich hatte Chris, aber der würde schneller Kontakte knüpfen als ich.
„Ist etwas?“, Luc schaute mich aufmerksam an. Innerlich gab ich mir eine Ohrfeige, weil ich in ihrer Gegenwart mir Sorgen machte. Sie kannte meine Mimik so gut, dass sie wusste, dass mir etwas auf dem Herzen lag.
„Nichts.“, winkte ich ab. „Ich versuch nur mich gedanklich darauf einzustellen dich anzufeuern.“, ich schaffte es zu lächeln, als ihr Name aufgerufen wurde. „Geh, Luc. Das schaffst du. Denk dir einfach wir sind in meinem Zimmer und tanzen. Denk daran, da warst du einfach in deinem Element. Versetz dich einfach darein.“ Noch einmal wurde ihr Name aufgerufen und sie stolperte durch den Vorhang auf die kleine Bühne unseres Theaters. Ich ging zurück zu Zuschauerraum und setzte mich zu den anderen, die mich besorgt anschauten. Mittlerweile wussten sie es alles und Sofie öffnete den Mund, als die Musik anfing.
„Hast du ihr’s schon erzählt?“, fragte sie leise.
„Nein.“, ich schüttelte den Kopf. „Ich wollte nicht, dass sie deswegen nicht in die Gruppe aufgenommen wird. Sie sollte sich einfach nur auf sich, die Musik und das Tanzen konzentrieren.“
Damit lehnte ich mich zurück und schaute ihr einfach zu.
Kapitel 2:
„Ich fass es einfach nicht! Wieso hast du es mir nicht schon früher erzählt?“, Luc schrie es fast, als ich ihr gerade erzählt hatte, dass ich weg ziehen werde.
„Ich wollte nicht, dass du deswegen deine Chance auf deinen Traum verpatzt. Das hat dir so viel bedeutet und ich wollte es nicht kaputt machen. Und hey! Sie haben dich genommen. Ich bin so stolz auf dich.“, ich versuchte jetzt zum tausendsten Mal von dem Umzug abzulenken, aber sie gab mir keine Chance.
„Ich kann das Tanzen jetzt sowieso nicht mehr genießen, weil ich niemanden mehr habe, mit dem ich darüber reden könnte! Und vor allem ich habe niemanden der mich aufbaut und mich beruhigt. Die Einzige die es bis jetzt immer geschafft hat, warst du Sole! Nur du allein. Man, verdammt. Wie soll ich es denn nur ohne dich hier aushalten?“, ihr traten die Tränen in die Augen und ich biss meine Zähne fest zusammen. Ich hatte es mir schließlich nicht ausgesucht.
„Ich will genauso wenig weg ziehen wie du es willst. Verdammt Luc ich kann es nicht ändern! Meine Eltern haben das so entschieden und ich muss mich dem beugen. Wahrscheinlich werde ich die ganze Zeit zu Hause sitzen und büffeln, weil die uns auf eine Hochbegabtenschule schicken.“, ich verdrehte die Augen. „Ich hoffe, dass es dort wenigstens süße Jungs gibt.“
„Du musst mir unbedingt Bescheid sagen, wenn du dir einen geangelt hast.“, rief sie sofort und lächelte wieder.
„Versprochen.“, lachte ich und umarmte sie fest. In genau vier Tagen werde ich in um diese Uhrzeit in New York sein und mein Zimmer einräumen.
Unglücklicherweise hatte mein Vater beschlossen die Kisten und Möbel am Freitag schon hinzubringen. Da Chris und ich am Freitag noch Schule hatten, würden wir am Samstagmorgen in ein Flugzeug steigen und nachkommen.
„Ich werde euch alle so verdammt vermissen.“, sagte ich als wir am Tisch in der Mittagspause saßen und schweigend in unseren Salaten stocherten.
„Und wir dich erst einmal. Ohne dich fehlt einfach was.“, sagte Sofie und blinzelte zum widerholten male heftig. Tyler neben ihr war auch nicht besser gelaunt. Er und ich hatten eine lange Freundschaft hinter uns und ich war auch diejenige gewesen, die ihn und Sofie zusammen gebracht hatten. Das ungute Gefühl in meinem Bauch sagte mir, dass diese vier Tage viel zu kurz werden. Und das wurden sie.
Wir standen am Flughafen und ich legte den Kopf in den Nacken und betrachtete die Flugmaschinen.
„Ich hoffe nur wir stürzen nicht ab.“ Diesen Satz hatte ich in den letzten Stunden bestimmt millionenmal gesagt. Chris neben mir gab ein schnaufen von sich und rückte seinen Rucksack zurecht.
„Sole, wir stürzen nicht ab. Ich bin schon öfters geflogen als du.“ Chris nahm mich an die Hand, wie ein kleines Kind und zog mich in das riesige Gebäude. Es drängelten sich ältere Ehepaare, Geschäftsmänner und Familien mit kleinen Kindern vorbei. Eines der Kinder schaute mich mit großen Augen an und verkroch sich dann am Bein ihrer Mutter, weil ich lächelte. War das wirklich so schrecklich?
Von weitem hörte ich meinen Namen. „Sole!“, verwundert drehte ich mich und erblickte gleichzeitig mit Chris unsere Clique. Was wollten die nun hier?
„Wir wollten dir noch etwas geben, damit du an uns denkst und etwas hast, an das du dich halten kannst.“ Mac streckte mir ein kleines Paket entgegen. Stumm nahm ich es und schaute meine Freunde an.
Der Reihe nach umarmte ich sie und verabschiedete mich, als Chris mich packte und uns alle in eine riesige Gruppenumarmung zog.
Zum Schluss schaffte er es, dass wir alle lachten, obwohl Tränen flossen. Luc umarmte ich am längsten von allen. „Wir telefonieren jeden Tag.“, versprach ich ihr und drückte sie noch einmal ganz fest an mich. Luc und die anderen waren dann auf einmal verschwunden und ich sah, dass Mac noch immer hier war.
„Du solltest jetzt auch gehen, wir müssen zu unserem Flug.“, sagte ich leise und nahm seine Hand. „Ich weiß, dass ich nicht sehr fair zu dir war, Mac, dass tut mir sehr leid. Ich wollte nur dich als Freund nicht verlieren, weißt du? Wenn das mit uns irgendwann geendet hätte, dann wäre auch unsere Freundschaft kaputt gegangen, dass wollte ich nicht.“ Macs dunkle Augen fixierten meine blauen und ich sah in seinen Augen dem Schmerz. Den Schmerz den er empfand, wenn er an mich dachte. Den Schmerz den er wegen mir erlitt.
„Wir werden uns wieder sehen.“, flüsterte er leise und gab mir einen Kuss auf die Stirn. Einen langen Augenblick klammerte ich mich in seine Umarmung und genoss seine Nähe und die Wärme. Dann war er verschwunden und Chris führte mich zu unserem Terminal.
Den Rest des Nachmittags verbrachte ich damit auf das Paket in meinen Händen zu betrachtet oder auf meiner Lippe herum zu beißen, weil ich die Tränen unterdrücken wollte. Den Flug über sprachen Chris und ich kaum, jeder hing seinem Gedanken hinterher und verbrachte im Kopf die letzten Tage mit unseren alten Freunden. Auch am Flughafen in New York war es ein schweigen, dass erst gebrochen wurde, als uns unsere Mutter abholte. Sie begrüßte und mit Küssen und Umarmungen, doch auch sie schwieg. Meine Eltern wussten wie schwer es für mich und Chris war unsere Freunde zurück zu lassen und in eine neue viel, viel größere Stadt zu ziehen.
„So meine Lieben, willkommen in New York City.“, sagte Mom gerade, als sich die Fahrstuhltüren öffneten. Wir standen nun in der 39. Etage eines Wolkenkratzers in New York. „Du und Chris habt diese Ebene für euch allein. Jeder hat einen eigenen Eingang. Es sind richtige Wohnungen und ich hoffe, dass ihr so verantwortungsbewusst seid und nicht das Chaos bei euch ausbricht. Ansonsten zieht ihr zu mir und eurem Vater in die Wohnung.“, sie lächelte erst Chris dann mich an. „Ich lass euch dann alleine, damit ihr auspacken und ankommen könnt. Genießt die Aussicht.“, sagte sie noch zum Schluss, bevor sie wieder im Fahrstuhl verschwand. Erstaunt drehte ich mich zu Chris um, der mir das Paket hinhielt.
„Ich hoffe nur, dass die Schule uns diesen Traum nicht vermasselt.“, war alles was er sagte, als er sich grinsend auf seine Tür stürzte. Ich war weniger euphorisch, aber als ich die Welt hinter der Tür sah, blieb mir der Mund offen stehen. Es war alles sehr stilvoll eingerichtet und es stand – nein er hing – ein riesiger Plasmafernsehr. Auf dem Sofa hätten locker zehn Leute Platz und die Küche grenzte gleich an das Wohnzimmer. Die Küche war nicht sehr groß, aber in einem warmen rot gehalten, sowie die Wände im Wohnzimmer. Eine Treppe führte nach oben in ein Atelier wo ich ein riesiges Bett vorfand. Dort passte ich sicher fünfmal rein. Als ich die Stufen wieder herunter ging und das Badezimmer fand, das ebenfalls riesig war, kam ich an eine Tür, für die ich keinen weiteren Raum zu ordnen konnte.
Vorsichtig öffnete ich die Tür und Straßenlärm drang zu mir herein und ein kühler Windstoß fegte durch meine Haare. Es war ein begehbarer Kleiderschrank!
Hier standen meine ganzen Kisten mit den passenden Beschriftungen drauf. Ich angelte eine meiner CDs heraus und kehrte zurück ins Wohnzimmer. Dort entdeckte ich eine riesige Stereoanlage, die bestimmt nicht sehr günstig war, und schon die CD ein. Dann drehte ich laut auf und begann meine Kisten auszupacken. Für einen Moment konnte ich so der Realität entwischen.
Kapitel 3:
Nachdem Chris und ich uns durch den viel zu vollen Bus gekämpft hatten und nun von einer Schülermasse überschwemmt wurden, kamen wir endlich bei unserer Schule an. Wir beide hatten darauf verzichtet hingefahren zu werden, denn es würde zu viel Aufsehen erregen und wir beide wollten wenigstens hier normal sein.
„Viel Glück.“, sagte ich zu Chris, als ich mein Spind entdeckte und auf ihn zu steuerte. In der ersten Stunde hatte ich Mathe und ich musste noch meine Bücher holen. In der Schulbibliothek gab mir die nette Dame alle die ich brauchte und ich schleppte sie zu meinem Spind. Der Kursraum war genau in dem Flur, wo auch mein Spind war. Erleichterte atmete ich auf und schlüpfte in den Raum, in dem sich die Lehrerin schon befand. Der Raum war noch fast leer, außer ein paar Schüler die aufgeregt in ihren Heften kritzelten.
„Hallo…“, sagte ich zaghaft und trat vor der Pult. „Ich bin Sole Karre.“ Die Lehrerin hob ihren Blick und durchbohrte mich mit ihren grauen Augen. Sie wirkte sehr kalt. Innerlich seufzte ich erleichtert auf, denn sie konnte mich nicht erwischen irgendwie nicht auf zu passen. Mathe war mein Lieblingsfach, denn es ging mir so einfach von der Hand wie das Schreiben.
„Der Platz ganz vorne ist noch frei.“, ihre Stimme war genauso kalt wie ihre grauen Augen und ich setzte mich rasch hin. Der Raum füllte sich langsam mit Schülern und ich wäre am liebsten im Boden versunken. Von überall kamen neugierige Blicke und hin und wieder hörte ich „Ist das die Neue?“. Aber was hatte ich erwartet, dass sie einfach so taten, als würde ich nicht existieren? Wahrscheinlich, aber das wäre noch schlimmer als die Neue zu sein. Zudem noch die Neue MIT dem Zwillingsbruder, der wahrscheinlich wieder alle Mädchenherzen an sich reißen wird. Macho.
„Kann mir bitte jemand sagen, was genau wir für ein Thema durchnehmen in diesem Mathematikkurs! Ich möchte doch, dass unsere neue kleine Schülerin auch ja mitkommt. Schreiben sie genau auf, was uns jetzt der nette Mrs Mason sagt.“, sie lächelte übertrieben höflich zu einem Jungen in der hinteren Reihe. Verstohlen schaute ich mich um und sah einen Typen mit braunen Haaren und sehr, sehr dunklen Augen. Er hatte ein Cap auf, eine hellblaue Jeans, Sneakers und eine Sportjacke an. Seine Kopfhörer hatte er um seinen Hals gelegt und schaute nun angestrengt auf seinen Zettel.
„Mrs Mason? Wir hatten den Limes. Können sie bitte wenigstens eine Gleichung ihrer Hausaufgaben an die Tafel schreiben? Damit ich ihnen wenigstens ein paar Punkte für diese Stunde aufschreiben kann?“, die Stimme der Lehrerin war etwas flehend und ich sah, dass sie einen Narren an diesem Typen gefressen hatte. Was auch immer sie an ihm fand.
Er erhob sich von seinem Stuhl und ging an die Tafel und schrieb mit einer unleserlichen Schrift eine Gleichung an die Tafel. Er hatte ein paar Zahlen vertauscht, weshalb er auch auf ein falsches Ergebnis kam.
Die erste Mathestunde zog sich endlos lange hin und als endlich die Klingel das Ende andeutete, packte ich meine Sachen und ging zur nächsten Stunde.
Und es war immer wieder das Gleiche. Ich stellte mich beim Lehrer vor, wurde auf einen Platz geschickt und dann musste einer der Schüler mir erklären was sie gerade machten. Erleichtert stellte ich fest, dass ich das meiste schon hatte und das ich die ganzen Sachen noch zu Hause hatte um zu lernen, aber als die Mittagspause kam, steigerte sich auch meine Nervosität. In der letzten Stunde hatte ich Kunst und danach eine Stunde frei.
Chris erzählte mir von seinem ersten Tag und wir saßen nicht alleine. Ein paar aus seinen Kursen hatten sich zu uns gesetzt und quatschten nun aufgeregt untereinander. Ich hörte nur mit einem Ohr zu, denn ich erblickte den Typen auf Mathe, als er sich an einen Tisch setzte mit einem anderen Typen. Sie sahen aus, als würden sie Hip Hop oder so tanzen.
Innerlich betete ich, dass sie nicht in meinem Kunstkurs waren.
„Hey Sole, wie findest du es bis jetzt an dieser Schule?“, fragte mich gerade ein nett aussehendes Mädchen.
„Ich find’s echt klasse – bis auf das Essen.“, fügte ich mit gerümpfter Nase hinzu und erhielt ein paar Lacher. Dann war ich wieder vergessen und konnte mir Gedanken über die nächsten Stunde machen und was ich danach eine Stunde tun sollte. Ich entschied mich Hausaufgaben zu machen und zu versuchen den Stoff, den ich noch nicht gehabt hatte, soweit aufzuholen, wie es mir gelang. Danach würde ich zu Hause weiter lernen. Doch erst einmal musste ich Kunst und die Freistunde hinter mich bringen.
Meine Kunstlehrerin war mir sehr sympathisch und sie lobte meine Zeichnung gleich in den höchsten Tönen. Die Blicke meiner Mitschüler waren nun mehr als nur leicht neugierig. Sie scharrten sich um meine Zeichnung und meinten ich hätte eine Begabung dafür.
„Ich hab nur viel geübt.“, sagte ich und zuckte mit den Schultern. Einer der Jungs stellte sich als Brey vor und ich musterte ihn genauer, denn es kam mir vor, als hätte ich ihn schon einmal gesehen. Und das hatte ich tatsächlich. Heute Mittag in der Mittagspause, hatte er mit dem Typen aus Mathe an einem Tisch gesessen.
Nachdem ich diese Stunde auch überstanden hatte, ging ich zu meinem Spind und verstaute meinen Zeichenblock und Stifte. Da ich jetzt eine Stunde auf Chris warten musste schlenderte ich durch die Schule um einen ruhigen Platz zu finden um meine Hausaufgaben zu machen. Doch ich gelangte irgendwie zu einem Tanzsaal in dem eine Gruppe von Jungs auf dem Boden saß und angespannt einem anderen Jungen zu hörten. Der erklärte irgendetwas von einem Wettbewerb und wie weit sie waren und was sie noch tun mussten. Dieses Wochenende sollte ein Battle gegen jemanden sein. Gerade als ich wieder gehen wollte, weil ich dachte es sei Unterricht, schaltete sich die Musik ein und die Jungs kamen auf die Beine.
Leise huschte ich in den Raum und setzte mich auf den Boden neben der Tür, damit ich notfalls sofort verschwinden konnte, wenn man mich entdecken sollte.
Gebannt sah ich den Typen zu, wie sie sich um sich selbst drehten, Flic Flacs machten und noch ganz andere Sachen wo ich mich fragte, wie ein Mensch das schaffen sollte. Mir klappte wortwörtlich die Kinnlade herunter und somit bemerkte ich nicht den Typen aus Mathe neben mir.
„Sie sind fantastisch oder?“, fragte er plötzlich und schaute zu den Jungs die immer noch durch die Luft sprangen, als könnten sie fliegen. „Der Schluss ist noch nicht ganz perfekt, aber das bekommen wir bis zum Battle hin.“
„Wo lernt man so etwas?“, fragte ich und schaute die Jungs weiter an.
„Das ist hauptsächlich alles Freestyle, aber ein paar Moves sind weltbekannt.“, er lachte und schaute mich an und ich erwiderte seinen Blick. „Ich bin übrigens Rik, der Typ aus Mathe.“ Sofort wurde ich rot.
„Tut mir leid, das wollte ich nicht. Ich hatte das eigentlich alles schon, aber ich hab mich nicht getraut ihr das zu sagen, weil sie mich dann vielleicht an die Tafel geschickt hätte.“, redete ich drauf los und kam mir ziemlich bescheuert dabei vor. „Achso ich bin Sole.“
Er lächelte mich an und schaute dann wieder zu den Jungs. „Ist nicht schlimm. Mathe ist nun nicht mein stärkstes Fach, eigentlich war ich noch nie sonderlich gut in der Schule, aber das kann auch davon kommen, dass ich faul bin.“, er zog seine Augenbraun zusammen und schaute auf den Boden. „Und … Sole. Tanzt du?“ Innerlich erstarrte ich und schaute auf meine Hände. Er konnte es nicht wissen und ich wollte auch nicht, dass er es erfuhr. Das was passiert war, ist Vergangenheit und ich wollte niemanden damit belästigen.
„Nein.“, sagte ich und schaute ihn an. Ich war schon immer schlecht im Lügen gewesen, aber er schien es mir zu glauben.
„Schade.“, er kickte gegen seine Tasche. „Wir hätten eine Tänzerin gebrauchen können.“, er lächelte mich wieder an und stand dann auf. „Du schienst fasziniert zu sein. Wenn du magst bringen wir dir alles bei, was man als Grundkenntnisse bezeichnen kann.“ Seine Hand hielt er mir hin und half mir auf. Meine Hände waren schweißnass, was ihm nicht entging. Sofort ließ ich seine Hand los und nahm meine Sachen. „Ich würde ja sagen, wenn ich wenigstens ein bisschen tanzen könnte. Aber ich bin keine Tänzerin.“, ich lächelte und konnte nicht verhindern, dass es irgendwie traurig aussah.
„Überleg es dir einfach mal, ja?“, er lächelte mich an und verschwand dann durch die Tür nach draußen. Blinzelnd schaute ich mich im Raum um und sah, dass ich alleine war. Langsam ging ich zu der Stereoanlage hinüber und schaute mir die CDs an. Einige hatten Balletttänzerinnen vorne drauf und andere Typen die auf dem Kopf standen. Ich beschloss mir eine CD davon auszuleihen und zu Hause mal auszuprobieren, ob ich zu der Musik tanzen konnte.
Plötzlich vibrierte mein Handy. „Ja?“
„Ich wollte noch in die Stadt, kommst du mit?“, Chris Stimme brüllte mir entgegen, sodass ich das Handy weiter weg hielt.
„Alles klar. Ich bin gleich beim Eingang.“, damit legte ich auf und schlängelte mich durch die Massen zum Eingang. Die Bushaltestelle war überlaufen und auf dem Parkplatz wimmelte es nur von fahrenden Autos. Das war der Nachteil an einer so großen Stadt, wie New York. Es war einfach zu viel los und dabei war es eine Schule für Hochintelligente und zudem waren die Kosten verdammt hoch.
Während Chris und ich durch tausenden von Läden gingen und uns neue Klamotten kauften, erwischte ich mich dabei, wie ich eine Gruppe von Street Dancern beobachtete. Sie tanzten mitten in der Fußgängerzone und Menschenmassen hatten sich um sie versammelt.
Ich beobachtete sie und spürte, wie die Musik auf meinen Körper überging. Verkrampft flüchtete ich in einen Laden in dem Chris sich neue Schuhe kaufen wollte. Es war eine Art Hip Hop laden und ich gelangte an ein Regal mit Caps. Schweigend schaute ich sie mir an und plötzlich griff eine Hand über meine Schulter und hielt mir ein Cap hin.
„Ich glaube, dass hier wird dir sehr gut stehen.“, die tiefe Stimme kannte ich nicht und erschrocken drehte ich mich herum. Vor mir stand ein Junge mit blonden Haaren und freundlichen hellblauen Augen.
„Du hast gerade eben draußen getanzt.“, platzte ich heraus, als ich ihn wieder erkannte. Er lachte.
„Du hast uns beobachtet und als du in diesen Laden geflüchtet bist, dachte ich, dass du vielleicht auch eine Street Dancerin bist.“, er setzte mir die Cap auf. Dann drehte er mich zu einem Spiegel um, sodass ich es besser betrachten konnte. „Steht dir ausgezeichnet. Also, bist du eine?“
Ich schaute durch den Spiegel in seine Augen und schüttelte den Kopf. Dabei entging mir nicht, dass mein Mund sich etwas verzog, als er mich das fragte. „Definitiv nicht. Aber ich finde es cool.“
„Soll ich es dir bei bringen?“, fragte er und ging zur Kasse. Ich folgte ihm und dachte darüber nach. Rik hatte mir auch das Angebot gemacht und ich hatte weder Ja noch Nein gesagt. Ich kaute auf meiner Unterlippe herum und starrte auf die Schuhe des Typen. Es waren Nike Schuhe – blau schwarz. Schicke Farben.
„Ok, vielleicht sollte ich mich erst einmal vorstellen. Ich bin Iain.“, er hielt mir seine Hand hin und ich ergriff sie.
„Sole.“, sagte ich nur und schaute mich nach Chris um. Er stand neben mir an der Kasse.
„Die Cap ist für dich und hier ist meine Handynummer. Kannst dich ja melden, wenn du Lust hast. Kann auch einfach nur mal so ein treffen sein. Aber ruf mich mal an.“, er zwinkerte mir zu und verschwand dann.
„Wollen wir? Cooles Cap.“, kommentierte er und ging voran aus dem Laden. Seufzend folgte ich ihm und zusammen quetschten wir uns mit den vielen Tüten in einen Bus.
Eine alte Frau mit lückenhaftem Gebiss lispelte irgendein Schimpfwort und guckte grimmig. Vorsichtig stupste ich Chris an und nickte in die Richtung der alten Frau. Verstohlen blinzelte er durch seine hellen Wimpern zu ihr hin und fing leise an zu lachen.
Als wir schließlich ausstiegen endete es in dem Fahrstuhl mit einem extremen Lachanfall der uns die Tränen in die Augen trieb.
Mom wartete schon auf uns, als wir unsere Tüten weggebracht und zu ihnen in die Wohnung gegangen waren.
„Wo wart ihr zwei denn heute?“, fragte sie lächelnd und füllte uns essen auf. Zu viert saßen wir am Tisch und aßen irgendein Fertiggericht, was Mom schnell gemacht hatte.
„Wir waren shoppen.“, sagte ich mit vollem Mund und nahm dann ein Schluck von dem Wasser, das auf dem Tisch stand.
„Wie war euer erster Schultag?“, fragte Dad, bevor Chris in seine übliche Beschreibung von seinen gekauften Klamotten einstieg. „Er war ganz in Ordnung.“ Ich zuckte mit den Schultern und schaute zu Chris.
„Also ich hab viele nette Leute kennen gelernt und wir sitzen zusammen an einem Tisch in der Mensa. Sam und ich haben Biologie sowie Sport zusammen.“, doch Chris erzählte nicht alles. Wahrscheinlich hatte er ein Mädchen gesehen, dass er unbedingt haben wollte. Ja, er hatte einer verdammt große Sammlung, aber die Beziehungen hielten meist nur drei Monat. Es gab auch welche die länger gingen, aber dann machten die Mädels immer wegen irgendwelchen anderen Typen Schluss und Chris hing dann immer schrecklich durch. Sein Vorteil war, dass er eine Zwillingschwester – mich – hatte, die ihn dann immer ablenkte. Da ich noch keinen richtigen Freund hatte, kannte ich mich mit Liebeskummer gut aus und half ihm dann immer auf andere Gedanken zu kommen. Wir machten einen Filmabend oder ich erzählte irgendwelche lustigen Geschichten aus der Schule.
Nachdem wir das Essen beendet hatten, gingen Chris und ich runter und verschwanden jeder in seiner Wohnung. Eigentlich war ich hundemüde, weil der Tag ziemlich anstrengend war. Doch als ich meine Tüten mit Klamotten in meinen Kleiderschrank räumte und ausräumte, sah ich das Cap und die CD die aus der vordersten Tasche meines Rucksackes raus guckte. Eine Weile überlegte ich ob ich sie noch rein legen sollte, beschloss aber das ich nur das Cap auf setzte und mir meinen iPod in die Ohren steckte.
Meine neuen Tops legte ich ordentlich zusammen und machte die Preisschilder ab, meine neuen Jeans hängte ich auf einen Bügel und entschied mich morgen eine anzuziehen. Dann setzte ich mich auf mein Sofa schaltete den Fernseher ein und machte meine Hausaufgaben. Als ich fertig war brannten meine Augen und die Uhr war kurz vor Mitternacht. Es wurde höchste Zeit, dass ich ins Bett kam.
Kapitel 4:
Vielleicht hatte ich damit gerechnet etwas mehr Zeit als nur einen Tag von Rik zu bekommen um mich zu entscheiden. Aber er war der Ansicht, dass dieser eine Tag wohl gereicht hätte.
Am Dienstag saß er dann vor Mathe auf meinem Tisch und versuchte mich um zustimmen, allerdings ohne großen Erfolg. Seinen Kommentar über meine Cap, tat ich mit einem Schulterzucken ab. Was ihn allerdings mehr interessiert, wo ich es her hatte.
„Von Iain.“, war alles was ich dazu sagte und war tierisch froh, dass unsere Mathelehrerin den Raum betrat und sofort für Ruhe sorgte. So ging es dann den ganzen Dienstag so. Er versuchte irgendwie einen Schwachpunkt zu finden mit dem er mir ein schlechtes Gewissen machen konnte, aber er schien keinen zu finden.
„Rik, wieso fragst du nicht einfach einen Jungen. Den da drüben zum Beispiel, der wird bestimmt tanzen können und ich wette, der ist richtig gut.“, mittlerweile klang ich wirklich genervt, als wir in der Schlange zu Essensausgabe standen. „Es wird dich ja nun nicht umbringen, dass ich nicht mit mache. Ich kann halt einfach nicht tanzen. Das ist einfach so, kann niemand dran etwas ändern.“ Ich hielt Ausschau nach Chris, der schon besorgt in meine Richtung blickte. Ein ungutes Gefühl machte sich in meinem Bauch breit. Wahrscheinlich hat er mich und Rik schon etwas länger beobachtet und sicher das ein oder andere Mal meinen genervten Gesichtsausdruck gesehen. Jetzt kam er zu mir und Rik herüber.
„Hey Sole. Ist irgendetwas?“, fragte er besorgt und schaute von mir zu Rik.
„Nein, alles in Ordnung. Bis dann Rik.“, sagte ich und ging zu unserem Tisch wo Sam und Maren schon auf uns warteten. Ihre Blicke schauten mich bedeutungsvoll an.
„Was läuft da zwischen dir uns Rik?“, platzte Maren sofort heraus, als ich mein Tablett abstellte und mich hinsetzte.
„Nun lass sie doch erst mal etwas essen. Wahrscheinlich hat Rik ihr den Bauch löchrig gefragt, sodass sie jetzt erst einmal Stärkung braucht.“, Sam grinste mich an und wackelte wie ein Schurke mit den Augenbrauen. Es gelang mir nicht das Augenrollen zu unterdrücken.
„Was wollte er denn von dir? Nun spuck es schon aus Sole. Spann uns nicht auf die Folter.“ Maren rutschte unruhig auf ihren Platz hin und her. Sie erinnerte mich entfernt an ein kleines Kind, das aufgeregt auf ein Geschenk wartet.
„Er hat mich nur gefragt, ob ich tanzen kann. Und ob ich die Grundkenntnisse von Street Dance lernen will.“, sagte ich gelassen und schob mir eine Pommes in den Mund.
„Ich hoffe du hast ja gesagt.“, sagte Maren skeptisch und schaute mich an. Ich schaute betreten auf meine Pommes und holte tief Luft.
„Ich kann nicht tanzen. Er sollte seine wertvolle Zeit nicht mit mir verschwenden.“, sagte ich leise und spürte wie ein ‚Sturm‘ losbrach.
„Was?!“
„Das ist nicht dein Ernst!“
„Du hast ihm einen Korb gegeben?!“
„Er hätte dir alles beibringen können!“
„Rik Mason fragt sonst nie jemanden ohne Grund!“, den letzten Satz hatte Sam gesagt und nun schwiegen alle.
„Na und, vielleicht weiß ich es auch einfach nur am besten ob ich tanzen kann oder nicht.“, sagte ich und nahm meine Sachen. „Wir sehen und morgen.“, damit ging ich zu Kunst. Einer von den Typen aus der Clique von Rik war mit mir zusammen im Kunstkurs. Es war Brey.
Seine Gesichtsausdruck nach zu urteilen, fand er die Idee von Rik mich zu ‚unterrichten‘ nicht sehr gut. Aber er brauchte sich auch keine Sorgen zu machen, da ich nicht die Absicht hegte auch nur irgendwo beizutreten. Grund? Schule. Ich musste lernen und aufholen. Somit hatte ich gar keine Zeit um irgendetwas anderes zu machen. Auch wenn es gelogen war, denn tanzen passte bei mir immer rein, doch so konnte ich meinen Kopf wenigstens aus der Schlinge ziehen.
„Rik hat dich schon gefragt, oder?“, fragte er als er sich neben mich setzte. Ein Mädchen schaute mich böse an und ich fragte mich, was ich ihr wohl getan hatte.
„Ja.“; war alles was ich sagte und konzentrierte mich auf den Gegenstand vor mir, den ich zeichnen sollte. Eilig machte ich mich dran und zog die Striche. Schnell und präzise sauste mein Bleistift über das Papier.
„Und wie war deine Antwort?“, fragte er gespannt und ich hielt verdutzt inne.
„Hat er dir das nicht gesagt?“, fragte ich völlig entgeistert. Brey runzelte die Stirn.
„Er meinte nur, dass er dich gefragt hätte, ob du bei unserer Crew mit machen möchtest. Laut ihm, sollst du eine Begabung zum Tanzen haben, allerdings frage ich mich, wie er darauf kommt.“, er schaute mich aufmerksam an. Doch ich schüttelte nur den Kopf.
„Ich hab ihm gesagt, dass ich nicht tanzen kann. Also habe ich es verneint. Nur leider will er das irgendwie nicht akzeptieren.“; murmelte ich leise, als Miss Murn sich hinter uns stellte und neugierig über unsere Schultern schaute.
„Im Gegensatz zu Ihnen Mister Brey hat Sole wenigstens etwas Ordentliches zu Stande gebracht.“, herrschte sie ihn an und ging weiter. Brey machte sich mit murren an seine Arbeit, dabei murmelte er etwas wie klang „Alte Hexe.“
„Also ich finde sie ganz nett.“, gestand ich und musste grinsen, als er mich anschaute als wäre ich verrückt. Doch sein Mund verzog sich ebenfalls zu einem Grinsen und dann unterhielten wir uns noch ein bisschen über die Schule und die Lehrer. Nach Kunst beschloss ich nach Hause zu fahren und Hausaufgaben zu machen. Aber eigentlich wollte ich die Jungs tanzen sehen.
„Wir sehen uns dann morgen in Kunst.“, sagte Brey und hielt mir die Faust hin. Ich gab ihm den Check und dann mussten wir lachen.
„Bis dann.“, sagte ich und machte mich auf den Weg zur Bushaltestelle. Dabei kam ich einer Gruppe Jungs entgegen die in einer lockeren Runde um einen zierlichen Jungen standen. Starr geradeaus schauend ging ich dran vorbei, als ich jäh gepackt wurde und in den Kreis hineingezogen wurde.
„Na Süße, willst du auch zu sehen, wie wir den Hosennässe fertig machen?“, die Stimme des Typen war viel zu laut an meinem Ohr.
„Lass mich los!“, zischte ich und versuchte mich los zu reißen.
„Oh oho. Sieht euch die mal an Jungs.“, rief er den anderen zu. Wenigstens ließen sie von dem Jungen an. Er war nicht älter als ich und ich erkannte, dass er ebenfalls auf meine Schule ging. Wie versteinert stand er da und glotzte mich und den Typen an. Ich starrte zurück.
„Uh, was für ein hübsches Ding.“, sagte einer der anderen Typen. Er war klein, dick und schwitzte wie ein Schwein. Seine Alkoholfahne pustete er mir mitten ins Gesicht. Krampfhaft zog sich mein Magen zusammen.
„Ich sag’s nicht noch einmal!“, zischte ich und schaute sie wütend an. Dann guckte ich zu dem Jungen zurück. Er sah sportlich aus, ich hoffte innerlich er wäre schnell genug bei Rik bevor ihn einer der Typen schnappen konnte. „Hol Rik!“, brüllte ich ihm zu als der Dicke kräftig mein Kinn packte. Der Junge raste los und im selben Moment ächzte einer der Typen die jetzt auf mich zu kamen.
„Schweine!“, brüllte eine Stimme und schlug noch einen nieder. Der Dicke drehte sich genervt um.
„Ey, Kleiner. Ganz schön mutig von dir hier einfach so meine Freunde nieder zu schlagen.“, seine Hand ging zu seinem Hosenbund unter seinem T-Shirt. Im gleichen Augenblick zog er eine Pistole hervor und ich schrie los. „Schnauze!“, grunzte der Typ der mich immer noch in einem Klammergriff fest hielt. Doch ich hörte nicht auf ihn, sondern schrie immer und immer weiter. Bis endlich Rik auftauchte und dem Dicken mit einem Baseballschläger von hinten auf den Kopf schlug.
„Pfoten von ihr und lauf!“, zischte Rik wütend den Kerl an der mich immer noch festhielt. Jäh wurde ich weggestoßen und verlor fast mein Gleichgewicht, als mich jemand um die Mitte fasste und mich stützte. Mittlerweile war der Typ weg und entsetzt riss ich meine Augen auf.
„Sole? Alles in Ordnung?“, Iain drehte mich so herum, dass ich ihm genau ins Gesicht sehen konnte. Ich sah Besorgnis in seinem Blick. Die Angst und der Schock saßen wie ein Kloß in meinem Hals, deshalb nickte ich nur.
„Justin kam zu uns in den Tanzsaal und war völlig außer Atem. Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat. Aber er war völlig außer sich, weil die Typen dich nun in der Gewalt hatten.“, Rik schaute mich ebenfalls mit einem besorgtem Gesicht an. „Alles in Ordnung?“, fragte er mich dann.
Ich hatte meine Stimme wieder gefunden und schaute ihm in die dunklen Augen. „Ja.“, brachte ich leise hervor und lehnte mich gegen Iain, der bis jetzt nichts gesagt hatte.
„Danke Iain, dass du ihr geholfen hast. Wieso warst du überhaupt hier?“, fragte Rik und schaute nun Iain an. Verlegen schaute ich auf den Boden, als Iain antwortete. „Sie hatte mich angerufen, weil wir uns treffen wollten.“
Rik nickte knapp und gab seinen Jungs das Zeichen, dass sie wieder zum Tanzsaal gehen sollten.
„Wir sehen uns morgen. Wenn du willst kannst du noch zu schauen und ich fahr dich dann nach Hause.“, bot Rik an, doch ich schüttelte den Kopf. Ich wollte das Treffen mit Iain nicht absagen.
„Wir sehen uns morgen“, sagte ich und lächelte ihn noch einmal an. Dann zog mich Iain mit zu einem Auto, das auf der Bushaltestelle geparkt hatte. Seine Fahrertür war noch offen. „Wo wollen wir hin?“, fragte ich und stieg auf der Beifahrerseite ein.
„Lass uns auf den Schock was trinken gehen. In meinem Lieblingscafé.“, er stieg ein und ließ den Motor an. Wir fuhren schweigen durch die überfüllten Straßen New Yorks und ich sah zu, wie die Menschen aus einem Geschäft in ein anderes liefen und mit Tüten heraus kamen. Ich stützte meinen Kopf in meine Hand und schaute raus. Iain fuhr durch eine Straße in einen Hinterhof und hielt dann an. Er schaltete den Motor aus und fuhr sich mit einer Hand durch die blonden Haare. Dann griff er hinter seinen Sitz und zog mein Cap hervor. Grinsend hielt er es mir hin und ich nahm es aus seiner Hand.
„Danke.“, lächelte ich und stieg aus. Iain führte mich zu einem kleinen gemütlichen Café das mitten in der Fußgängerzone war und viel Kundschaft hatte. Nachdem wir uns einen Platz gesucht hatten, schlängelte er sich durch die Massen und bestellte einen Karamellkaffee für mich und einen Milchshake für sich. Mit einem riesen Cookie kam er zu unserem Tisch zurück.
„Guten Appetit.“; sagte er und setzte sich mir gegen über. „Verrätst du mir, wie du in diese missliche Lage gelangt bist?“
Stur schaute ich auf den riesigen Keks und biss dann ein kleines Stück ab. „Ich weiß es nicht. Ich hab sie gesehen und bin einfach an ihnen vorbei gegangen, aber anscheinend hab ich unbewusst ihre Aufmerksamkeit auf mich gezogen.“ Der Schock saß noch immer tief in meinen Knochen und ich ließ mich in den Stuhl nach hinten fallen. „Dabei bin ich sonst immer so unauffällig.“, seufzte ich.
Iain lachte. „Es sei denn du starrst völlig fasziniert irgendwelchen Straßentänzern dabei zu, wie sie tanzen.“ Mein Gesicht flammte heiß auf und ich schaute weiter auf den Keks.
„Das ist aber nicht meine Schuld, sondern deine… und auch von den anderen. Wenn ihr nicht so offensichtlich getanzt hättet und das mitten in der Fußgängerzone, dann wärt ihr mir nicht aufgefallen.“, verteidigte ich mich. Mein Gesicht fühlte sich noch immer verdammt heiß an.
„Ich hab in deinem Blick sowas wie Das-muss-ich-auch-versuchen gesehen. Aber als du dann meintest, dass du nicht tanzen kannst, hab ich gehofft, dass ich es dir beibringen kann. Allerdings könntest du das auch auf deiner Schule lernen.“, so wie er das Wort Schule aussprach, wurde mir mulmig im Bauch. Da fiel mir etwas ein.
„Woher kennst du Rik?“, jetzt hob ich den Kopf und schaute ihm direkt in die hellen blauen Augen. So wie Iain den Mund verzog wollte er nicht darüber reden, doch ich wandte den Blick nicht ab. Ich wollte es wissen.
„Wir waren mal befreundet.“, sagte er dann und nun war er es, der den Blick abwandte. Er schien an der Tischkante interessiert zu sein, denn er starrte in den folgenden Minuten darauf. „Vor ungefähr einem Jahr verliebten wir uns beide in das gleiche Mädchen. Sie tanzte bei uns in der Crew mit und spielte mit uns. Zumindest fanden wir es im Nachhinein heraus. Wir stritten uns wegen ihr, verdammt oft und scheiße heftig. Es endete sogar einmal in einer Prügelei, wobei ich ihm das Bein brach. Seitdem gehen wir uns aus dem Weg, vor allem seitdem sie dann weg gegangen ist. Mit einem anderen Typen durchgebrannt. Wegen ihr haben wir auch das Battle der Schulen versaut. Wahrscheinlich hätten wir es locker gewinnen können, denn unsere Choreografie war perfekt, ja sie hätte alle in den Schatten gestellt. Aber sie fehlte und Rik und ich konnten nicht mehr zusammen tanzen. Tja und so brach unsere Freundschaft endgültig auseinander.“, seine Stimme war eigentlich nur noch ein flüstern, sodass ich mich unbewusst weiter vorgebeugt hatte um ihn besser zu verstehen.
„Kann es sein, dass ihr beide damit nicht klar kommt?“, fragte ich dann.
„Womit genau?“, er schaute mich nach endlosem schweigen an.
„Ich meine damit, dass eure Freundschaft zerbrochen ist. Vor allem wegen eines Mädchens!“, sagte ich und schnaubte. „Ehrlich, wenn man sich wirklich mag und wenn man wirklich sehr gut befreundet ist, dann kann selbst ein Mädchen das nicht zerstören. Ich hab euren Blickwechsel gesehen, vor allem bei Rik sah ich es. Er würde dich am liebsten wieder in seiner Crew haben.“, vielleicht hatte ich mir das auch eingebildet, aber der Blick den er vorhin gehabt hatte, machte für mich nun einen Sinn. „Und bei dir merke ich es, weil du so mitgenommen wirkst, wenn du es erzählst. Wer weiß alles davon?“, fragte ich und merkte das ich ihn wohl gerade zu Boden schnatterte. Ok, er hatte auch nicht gerade wenig gesagt, aber es war interessanter als mein sinnloses Geplapper. Doch es half und Iain lächelte ein klein wenig. Schließlich wurden unsere Getränke gebracht. Schweigen tranken wir und beobachteten die Menschen. Iain half mir noch ein bisschen bei meinen Hausaufgaben ehe er mich nach Hause fuhr.
„Sehen wir uns bald mal wieder?“, fragte er, als ich gerade aussteigen wollte. Noch einmal drehte ich mich zu ihm um.
„Ich werd mich melden.“, lächelte ich und stieg aus.
Kapitel 5
Der Beat des Songs hämmerte durch meine Wohnung und ich machte gerade ein Rad über die Lehne meines Sofas, als es heftig an meiner Tür klopfte. Ich stellte die Musik leiser und ging zur Tür. Die Stimme meiner Eltern drang zu mir herein.
„Was war das denn für schreckliche Musik!?“, rief mein Dad sofort, als ich die Tür kaum geöffnet hatte. Ich zuckte leicht zusammen und schaute auf den Boden.
„Ich hab mir die CD von einem Freund geliehen.“, sagte ich kleinlaut und schaute ihn an. Meine Eltern hielten nicht viel von diesem ganzen Hip Hop Kram, wie sie es nannten. Leute wie ich sollten klassische Musik hören und Balletttanzen und nicht Pirouetten auf den Köpfen drehen und wie ein Roboter tanzen. In dem letzten Monat hatte ich jeden Tag trainiert. Alleine. Rik hatte ich immer noch nicht zu gesagt und Iain hatte mittlerweile begriffen, dass ich so schnell nicht tanzen werde. Iain verstand mich gut und wir hatten uns in letzter Zeit öfters getroffen. Er hatte mir ein paar Moves gezeigt, weil ich meinte, dass ich es so gerne sehen würde. Dabei habe ich mir jede Bewegung genau gemerkt und zu Hause nachgemacht. Solange bis es mir gut genug gelang und ich nicht Gefahr lief, das Gleichgewicht zu verlieren und mir einen Arm oder ähnliches zu brechen. „Wir wollten nur Bescheid sagen, dass deine Mutter und ich ins Kino gehen.“, er zwinkerte meiner Mutter zu, die kicherte wie ein verliebtes Mädchen und dann waren sie im Aufzug verschwunden. Verwundert schaute ich zu Chris, der seinen Kopf wieder aus der Tür gesteckt hatte.
„DVD Abend?“, fragte er und ich nickte.
„Ich ruf Iain an.“, damit zog ich mein Handy und wählte die Nummer. Danach rief ich Brey und Rik an, die nahmen auch noch welche mit. Chris rief Sam und Maren an, damit waren dann alle eingeladen.
„Wo wollen wir? Bei dir, bei mir?“, fragte ich Chris und lehnte mich gegen den Türrahmen.
„Beim letzten Mal waren wir schon bei mir, diesmal machen wir den bei dir. Räum schon mal auf, ich hol Chips und alles. Er schlug die Tür hinter sich zu und ich tat es ihm nach.
In Windeseile schnappte ich meinen Schulrucksack und schleppte ihn mit meinen Klamotten, die ich auf das Sofa geworfen hatte, in meinen Kleiderschrank-Raum. Die Klamotten warf ich in den Wäschekorb meinen Rucksack stellte ich an die Wand gelehnt. Dann schlüpfte ich aus meinen Sachen, machte mich kurz frisch und zog dann eine Leggins an, ein Top und eine lange Bluse drüber. Die Ärmel krempelte ich gerade hoch und tapste zurück ins Wohnzimmer, als es an meiner Tür klingelte.
Gut gelaunt öffnete ich die Tür und ließ Rik rein. Er hatte eine Tasche dabei die vermutlich voller DVDs war.
„Mach’s dir auf dem Sofa bequem.“, rief ich ihm zu und verschwand im Badezimmer. Dort flocht ich meinen Pony, sodass er mir nicht mehr ins Gesicht fiel. Es hatte schon mehrmals geklingelt, als ich dann wieder aus dem Bad kam.
Genau in dem Moment kam Iain um die Ecke und wir rannten ineinander. „Oh sorry.“, sagte ich und schaute ihn an. Wir waren ziemlich heftig zusammen gestoßen. Doch Iain lachte nur und schaute mich dann an.
„Du siehst gut aus.“, sagte er dann leise und ging an mir vorbei ins Badezimmer. Blinzelnd stand ich da und hörte, wie Chris mich rief.
„Ja?“, ich ging zurück ins Wohnzimmer, wo sie sich alle auf das Sofa lümmelten. Rik, Brey, Sam, Maren, Chris, Alex, Justin, Sarah, Lisa, Andre, Jack, Collin, Phillip und zum Schluss fehlte nur noch Iain und ich. Das Sofa war allerdings voll. Fast überfüllt. Ich musste lachen.
„Das Sofa ist schon riesig und nun passen wir nicht mal alle rauf.“, die anderen lachten mit und dann setzte ich mich einfach vor deren Füße. Auf dem Glastisch, der vor dem Sofa stand, standen Gläser und lagen mehrere Chips tüten. Cola, Sprite und Fanta standen neben dem Tisch, sodass jeder ran kam. „Welchen Film gucken wir als erstes?“, fragte ich und lehnte mich an ein Bein, das ich in meinem Rücken spürte.
„Wie wär’s mit The Strangers?“, schlug Jack vor und Rik erhob sich. Er fischte die DVD aus seiner Tasche und legte sie ein. Währenddessen nahm ich seinen Platz kichernd ein. Wir hatten alle ein bisschen zu viel Adrenalin im Blut und lachten uns halb tot, als Rik beleidigt das Gesicht verzog und sich neben mich und Sam quetschte. Dabei zog er mich halb auf seinen Schoss. Für einen kurzen Augenblick blieben unserer Blicke ineinander verschränkt, als der Film schließlich begann.
Das war die schlimmste Horrornacht, die ich wohl je erlebt hatte, denn als alle gegangen waren, außer Rik, traute ich mich nicht alleine mehr ins Bett. Aus Angst es würde darunter jemand hervor kommen mit einer lächelnden Plastikmaske auf und einem Messer in der Hand.
„Soll ich hier bleiben und den Helden spielen?“, fragte Rik leise, als wir gerade Maren verabschiedet hatten und Chris in seine Wohnung gegangen war. Mehr als nicken konnte ich nicht und schließlich lagen wir zusammen in dem riesigen Bett. Auf einmal war es nicht mehr ganz so riesig, denn ich lag nicht mehr alleine darin.
Rik hatte mich fest in den Arm genommen und redete beruhigend auf mich ein.
„Irgendwie komm ich mir ziemlich bescheuert dabei vor, weißt du das?“; fragte ich leise in die Dunkelheit herein. „Jetzt liegen wir doch tatsächlich hier und du beruhigst mich, weil ich Angst habe, dass mich jemand absticht. Dabei war das alles nur Film.“, ich schüttelte den Kopf und musste über mich selber lachen. Rik schwieg.
„Rik?“, fragte ich leise und starrte in die Dunkelheit.
„Also so bescheuert finde ich das gar nicht. Eher niedlich.“, seufzte er und zog mich fester an sich. Ich ließ es zu, runzelte aber die Stirn.
„Niedlich? Meinst du nicht eher komplett bescheuert?“
Ich spürte wie er den Kopf schüttelte. „Du erweckst Beschützerinstinkte in mir mit denen ich selber nicht klar komme. Es ist … komisch.“, er stockte beim letzten Satz und ich spürte wie mein Herz schneller schlug. Eine Zeit lang sagten wir nichts mehr. Irgendwann war ich schließlich eingeschlafen, denn als ich aufwachte, war Rik nicht mehr da.
Brummend hob ich den Kopf und schaute neben mich. Diese Seite des Bettes war zerwühlt, genauso wie meine. Rik musste also aufgewacht sein und dann gegangen sein. Draußen schien die Sonne hell und warm.
Immer noch müde fuhr ich mit meiner Hand durch meine zerzausten Haare, als ich ein Geschirrklappern hörte.
„Hallo?“, fragte ich zaghaft und trat an das Geländer um ins Wohnzimmer und somit auch in die Küche gucken zu können. Wir praktisch.
„Guten Morgen, Schlafmütze.“, Rik schaute mich über die Schulter an. Seine schwarzen Haare waren in der letzten Zeit länger geworden, doch gerade waren sie nass und lockten sich leicht. Er war wohl duschen. „Hunger?“, fragte er und füllte etwas auf einen Teller. Dann stellte er ihn auf den Tresen, an dem drei große Stühle standen.
Träge tapste ich runter und setzte mich ihm gegenüber an den Tresen und schaute mir das Omelette an. „Ich wusste gar nicht, dass du kochen kannst.“, murmelte ich und verschlang es in wenigen bissen. Dann schaute ich ihn gebannt an. Er hatte auch andere Sachen an. Ein schwarzes T-Shirt und eine schwarze Jogginghose. Diese Klamotten standen ihm ausgezeichnet gut. Plötzlich bemerkte ich, wie ich auf seinen Oberkörper starrte und ich mich an die Wärme, das rhythmische heben und senken bei seinen Atemzügen und das Klopfen seines Herzen erinnerte. Verlegen räusperte ich mich und schaute auf meine leeren Teller. „Heute schon was vor?“, fragte ich und hoffte inständig das er nichts vorhatte.
„Naja, ich muss noch Hausaufgaben machen und ich treff mich nachher mit den Jungs. Wir wollen trainieren. Bald fangen die Vorrunden an und da wollen wir vorbereitet sein.“, er lächelte mich an und stand dann auf. Bemüht darum das Lächeln zu erwidern, drehte ich mich so herum, dass ich ihm dabei zusehen konnte, wie er seine Sachen zusammen sammelte. Er wollte tatsächlich gehen.
Träge stand ich auf und brachte ihn zur Tür. „Wir sehen uns morgen in der Schule.“, er lächelte und verschwand dann.
Als ich dir Tür schloss lehnte ich mich dagegen und schloss die Augen. In meinem Magen trommelten heftig die Schmetterlinge gegen die Magenwände und ich spürte ein schmerzhaftes ziehen in meinem Herzen. Ich vermisste Rik und noch schlimmer war. Ich war in ihn verliebt.
Leise fluchend verbrachte ich den restlichen Sonntag damit zu lernen und die Wohnung aufzuräumen. Dann machte ich die Wäsche und setzte mich gegen Abend vor den Fernseher und zappte mich durch das Programm. Doch es lief nichts Interessantes also machte ich ihn wieder aus und legte mich ins Bett.
Das Kopfkissen roch nach Rik und ich zog es mir ins Gesicht. Während ich seinen Duft regelrecht inhalierte, spürte ich wie ich in meinen Gedanken den morgigen Tag abspielte.
Ob er mit mir reden würde oder würde er mich ignorieren? Würde ich ihn beim Training zu sehen? Setzte er sich vielleicht zu mir an den Tisch oder lud mich ein, mich zu ihm zu setzen?
Ich lag bis in die frühen Morgenstunden wach und konnte nicht schlafen, weil ich viel zu aufgeregt war. Doch irgendwann war ich vor Erschöpfung einfach eingeschlafen.
„Andre, versuch wenn du die Beine von dir streckst sie auch wieder an dich zu ziehen, wenn du auf dem Kopf stehst.“, sagte Rik gerade, als ich den Tanzsaal betrat. Die Stunde war gleich um und ich hatte vor gehabt, wenn die Schule leer war ein bisschen zu tanzen. Der Platz in meine Wohnung war zu klein, auch wenn sie riesig war. Doch es war ein großer Unterschied wenn man in einem Tanzsaal tanzte oder in einer Wohnung.
Als Rik mich sah, kam er herüber und blieb vor mir stehen. „Na, Sole.“, sagte er und schaute mir in die Augen. Blau in Braun. Fast versank ich darin, als Brey dazu kam.
„Was ist Sole. Willst du auch mal versuchen ob du da mit halten kannst.“, er streckte mir die Faust entgegen und ich stieß meine leicht gegen seine.
„Nein.“, lachte ich. „Ich kann immer noch nicht ändern das hat sich in dem letzten Monat auch nicht geändert.“
„Schade.“, grinste er und verschwand dann durch die Tür. Die Klingel ertönte und Rik nahm seine Sachen.
„Willst du nicht auch nach Hause?“, fragte er und schaute mich an. Ich drehte mich um und sah, dass er am Türrahmen lehnte. Entschieden schüttelte ich den Kopf.
„Ich muss noch mit einem Lehrer reden.“, damit verschwand ich durch die andere Tür und wartete fünf Minuten. Dann ging ich auf die Toiletten zu und zog mir dort meine Sneakers an und meine Jogginghose. Das bauchfreie Top zog ich ebenfalls über und band setzte meine Cap auf. Damit ging ich wieder zurück in den Tanzsaal und schaute in den Spiegel.
Nicht das ich mich sonderlich hübsch fand, aber ich gab zu, dass mich die Sachen durchaus kleideten. Kopfschüttelnd ging ich zu Stereoanlage hinüber und suchte eine CD heraus. Dann legte ich sie ein und drehte auf. Langsam ging ich in die Saalmitte und drehte mich zum Spiegel.
Und dann fing die Musik an und ich schloss für einen Moment die Augen. Als ich dann spürte wie ich mich bewegte und mich drehte, öffnete ich die Augen und beobachtete es alles im Spiegel. Es sah wirklich nicht schlecht aus, aber ich musste noch viel üben. Vor allem die Kopf- und Handstand Moves. Die wollten mir nicht so gut gelingen. Als ich schließlich aufhörte und meine Sachen packte, raste mein Puls. Ich löschte das Licht und trat aus der Schule heraus.
Es war dunkel auf dem Weg nach Hause und ich ersparte mir das Gedränge im Bus und ging zu Fuß. Vorbei an Clubs vor denen lange Schlangen von Leuten standen, die dort rein wollten. Die Bässe wummerten durch die Straße und ich ging wie in Trance an den Schlangen vorbei.
Als ich schließlich zu Hause ankam, wartete Chris schon auf mich. „Wo warst du verdammt?!“, rief er mir entgegen und packte mich bei den Schultern. „Ich hab dich überall gesucht und an dein Handy bist du auch nicht gegangen! Oh, Sole Cold, mach das nicht noch einmal!“, wütend schaute er mich an und ich starrte zurück. „Alles ok?“, fragte er dann besorgt. Doch ich schüttelte nur den Kopf.
„Gute Nacht.“, murmelte ich und schloss meine Tür auf.
„Wir haben morgen Geburtstag, hast du daran gedacht?“, fragte er leise und ich blieb stehen. Stimmt, dass hatte ich völlig vergessen. Langsam zog ich meine Schultern hoch und ließ den Kopf hängen.
„Ich bin müde Chris. Wir sehen uns morgen. Zu unserem Geburtstag.“, damit verschwand ich in meiner Wohnung und schmiss mich auf mein Bett. Innerhalb weniger Sekunden war ich eingeschlafen.
Kapitel 6
Wir saßen alle zusammen im Wohnzimmer meiner Eltern und starrten auf den Fernseher. Meine Eltern hatten darauf bestanden, dass wir bei ihnen feierten.
Ich bekam ein neues Cap, neue Schuhe, eine Handtasche, ein neues Handy und ein paar Bücher. Darüber hatte ich mich riesig gefreut, doch als Chris das Paket von unseren alten Freunden hervor zog und mir in den Schoß legte, war es schlagartig ruhig geworden.
„Nun mach es schon auf.“, sagte Maren leise und hüpfte leicht auf und ab. Rik stand hinter mir an das Sofa gelehnt. Er hatte mir eine Kette mit einem Medaillon dran geschenkt. In dem Medaillon war ein Bild von ihm und mir, wo wir im Schulflur standen und uns unterhielten. Wer das Foto gemacht hatte, wusste ich nicht, aber es war wunderschön. Vor allem weil er darauf so umwerfend aussah.
„Muss ich es auf machen?“, fragte ich leise und schaute Chris an. Der nickte bestimmt.
„Es ist von unseren alten Freunden.“, damit gab er mir das Zeichen, dass ich es genau jetzt zu öffnen hatte. Vorsichtig riss ich das Geschenkpapier ab, und mir rutschte ein Briefumschlag entgegen. Schweigend zog ich den Brief heraus und las ihn mir durch.
»Liebste Sole.
Damit du ein Andenken an uns hast, haben wir dir dieses Geschenk nur für dich ausgesucht. Versuch die Vergangenheit zu vergessen und deine Gabe als Tänzerin zu nutzen. Du tanz nämlich großartig!«
Mit zitternden Händen öffnete ich das Paket und starrte hinein. Es lagen Ballettschuhe darin. Genau in meiner Größe. Mein Herz raste und ich war schneller auf den Beinen und aus dem Raum gelaufen, als die Anderen reagieren konnten. Den Fahrstuhl ignorierte ich und nahm die Treppen. Immer weiter rannte ich die Treppe hinauf. Als ich schließlich ganz oben auf dem Dach ankam, stach meine Seite und ich bekam kaum noch Luft. Aber es war mit egal.
Der kühle Wind ließ mich endlich klar denken und ich setzte mich auf das Podest des Blitzableiters. Der Straßenlärm drang zu mir nach oben und ich schaute in den von Stadtlichtern erhellten Nachthimmel. Wenn es nicht so viele Lichter in dieser Stadt gäbe, hätte man den klaren Sternenhimmel betrachten können. Aber durch die Helligkeit blieb mir die Sicht auf die Sterne verwehrt.
Von weitem hörte ich eine Sirene heulen und schloss meine Augen. Die Bilder von einem Krankenwagen und der Feuerwehr, sowie der Polizei erschienen vor meinem inneren Auge. Aber die Bilder verblassten, als ich das alte Auto sah, dass die Leiche transportierte.
Tränen liefen mir über die Wangen, als ich die Stimme meiner großen Schwester hörte. „Tanz für mich, Sole. Du bist besser als ich und jeder andere auf dieser Welt. Tan für mich, bitte.“, hatte sie geflüstert bevor sie gegangen war und die Tür hinter ihr ins Schloss fiel. Für immer.
„Sole?“ Riks Stimme riss mich aus meinen Erinnerungen. „Alles ok?“
Schnell wischte ich meine Tränen weg, damit er sie nicht sah. Das Letzte was ich wollte was, dass er sich darüber lustig machte.
„Weißt du … tanzen ist etwas, was wir lernen oder etwas was in unseren Adern schlummert. Manche lernen das Tanzen und sind gut, aber andere wiederrum haben das Tanzen im Blut und sind großartig. Es ist eine Art von Gabe die derjenige besitzt, wenn er die Musik hört und sich einfach bewegt.“, sagte Rik, als ich nicht auf seine Frage nach meinem Befinden beantwortete hatte. „Chris hat mir erzählt, dass du eine fantastische Tänzerin wärst. Doch du hättest irgendwann mit dem tanzen aufgehört.“, damit traf er eine nicht verheilte Wunde.
„Es war nicht ganz so.“, sagte ich mit brüchiger Stimme.
„Erzählst du es mir?“, fragte er und legte mir die Ballettschuhe in den Schoß. „Bitte?“ Ich seufzte.
„Ich fing mit knappen fünf Jahren an, wie man unschwer erkennen kann, wohl mit Ballett.“, ich hob die Schuhe hoch. „Ich dachte ich wäre gut. Bei unseren Aufführungen war ich immer ganz vorne oder ich spielte die Hauptrolle. Doch meine Tanzlehrerin war mich raus, als ich vierzehn wurde. Mit der Begründung ich würde mit zu viel Wut tanzen. Damit war es dann vorbei ich tanzte für lange Zeit nicht mehr. Nur meine beste Freundin brachte mich mal dazu mit ihr zu tanzen. Doch im Gegensatz zu ihren federleichten Bewegungen fühlte ich mich wie ein Trampel.“, ungläubig presste ich meine Augen zusammen und ließ den Kopf hängen.
„Tanzt du für mich?“, fragte Rik leise und lehnte sich gegen das Podest auf dem ich saß. Ich schüttelte den Kopf.
„Ich kann nicht tanzen.“
Er nahm die Ballettschuhe aus meinem Schoß und hielt sie mir entgegen. „Tanz!“
„Rik ich tanze kein Ballett mehr, das hab ich mir geschworen!“, zischte ich wütend und sprang vom Podest herunter.
„Bitte, Chris zeigt mir sonst ein Video von dir wie du tanzt.“, ich schnappte nach Luft und schaute ihn prüfend an. Er meinte es ernst. Wütend starrte ich ihn an und streifte meine Schuhe ab und schlüpfte in die Ballettschuhe. Es war ein angenehmes und so vertrautes Gefühl.
„Darf ich bitten?“, grinsend streckte Rik mir eine Hand entgegen und ich ergriff sie. Und dann tanzten wir Beziehungsweise ich. Ich tanzte Ballett. Und wie ich tanzte. Ich drehte Pirouetten, sprang, drehte mich, tippelte auf Zehnspitzen und versuchte alles was ich einmal gelernt hatte zu einem Tanz zu machen.
Rik tanzte auch, aber er tanzte Street Dance. Er drehte ebenfalls Pirouetten, allerdings auf dem Kopf, er machte Flic Flacs hintereinander und es passte so gut zu dem was ich tanzte.
Dann tanzten wir wieder zusammen und er hob mich plötzlich hoch. Ich winkelte ein Bein an, legte den Kopf in den Nacken, schloss die Augen uns breitete meine Arme aus. Dann lachte ich, ich lachte so sehr, das Rik mich schließlich herunter ließ. So nah das sich unsere Gesichter fast berührten. Unsere Atem gingen keuchend und unsere Herzen rasten.
„So viel zum Thema du kannst nicht tanzen.“, ungläubig hob Rik eine Augenbraue. „Das sah gerade ganz anders aus. Ja du tanzt mit einer bestimmten Art von Wut und auch sehr lässig, nicht so steif. Du kannst tanzen, nur hast du dir den falschen Stil ausgesucht.“, er strich mein Haar zurück und schaute mich an.
„Findest du?“, fragte ich leise und schaute ihn mit großen Augen an.
„Ja. Willst du nicht vielleicht doch der Crew beitreten?“, er grinste mich an und ich konnte es nicht unterdrücken ihm die Zunge raus zu strecken. Vorsichtig löste ich mich aus seinem Griff und zog wieder meine Schuhe an. „Vielleicht, lass mir diesen Abend Zeit, ja?“, damit verschwand ich durch die Tür die mich wieder herunter führte.
Das Glücksgefühl hielt länger an als sonst und dafür war ich dankbar.
Der nächste Tag wurde qualvoll lang, denn alle fragten mich, warum ich gestern Abend einfach abgehauen bin. Aber mehr noch wollten sie wissen, ob Rik mich geküsst hätte. Mittlerweile saßen wir in der Mensa und Maren durchbohrte mich mit einem Blick den ich nicht deuten konnte.
„Hat er dich geküsst?“, fragte sie jetzt schon zum hundertsten Mal.
„Verdammt, Maren!“, zischte ich genervt und verdrehte die Augen zu Decke. „Nein wir haben uns nicht geküsst! So ist das einfach nicht.“, naja zum einen Teil war es gelogen. Unüberlegter Weise hatte mein Herz und Verstand beschlossen sich in Rik zu verlieben und ich spürte jedes Mal eine Anziehung gegen die ich mich dann wehrte. Wie Rik dazu stand wusste ich nicht, aber nach der einen Nacht wo er auf mich ‚aufgepasst‘ hatte und zu mir sagte, dass ich Instinkte in ihm weckte die ihn dazu führten mich zu beschützen. Heftig schüttelte ich meinen Kopf und seufzte dann. „Nein, wir sind nur Freude.“ Maren zog einen Schmollmund und ich musste lachen. Sam und Chris kamen dazu, beide hatten düstere Minen aufgesetzt. Sie kamen gerade aus Biologie und es sah aus, als hätten sie ihre Tests wieder bekommen.
„Frag nicht wie er war.“; murrte Sam düster. „Du kannst ihn fragen.“, er deutete auf Chris dessen Mine definitiv gekünstelt war. Er hatte vermutlich wieder eine ausgezeichnete Note. Sam wahrscheinlich nicht.
„Wahrscheinlich hat er eine eins und ist damit der Beste aus der Klasse.“, ich schaute zu Sam, der seinen Kopf schüttelte und ein zerknülltes Bällchen auf den Tisch zu mir rüber warf. Demnach wohl sein Biologietest. Vorsichtig faltete ich ihn auseinander und starrte das rote große F darauf an. Er wusste gar nichts.
„Angekündigt oder unangekündigt?“, fragte ich dann und reichte den Test an Maren weiter. Sie schüttelte den Kopf und gab ihn Sam zurück.
„Unangekündigt.“, murrte Sam und zerknüllte es wieder, dann warf er es in einen Mülleimer der ganz in der Nähe stand. „Scheiß Biologie, ich frage mich welches Pferd mich geritten hat, damit ich dieses Fach wähle!“ Man merkte sofort, dass mit Sam nicht zu spaßen war, wenn er schlechte Laune hatte. Also machten Maren und ich uns daran ihn abzulenken und ein wenig aufzuheitern. Doch wir scheiterten der Länge nach, denn er stand irgendwann einfach nur auf und stapfte wütend aus der Mensa.
„Vielleicht solltest du ihm mal als Kumpel bei Seite stehen?“, herrschte ich nun Chris an, weil er nichts gesagt hatte. „Biete ihm doch an, ihm zu helfen!“
„Wenn du ne Ahnung hättest wie mies er drauf war und wie er mich angemacht hat…“, er strich sich mit der Hand über das Gesicht.
„Na und? Er ist dein Freund!“, Bedeutungsvoll schaute ich ihn an und zwinkerte. Schnaubend stand er auf und ließ mich und Maren alleine. „Hoffen wir nur, dass er ihm nicht an die Gurgel geht.“, flüsterte Maren leise und stocherte in ihrem Essen herum.
„Wird er schon nicht.“, beruhigte ich sie und nahm dann mein Tablett. „Ich geh dann mal zu Kunst. Bis morgen.“ Maren lächelte und nickte, dann drehte ich mich um und verschwand aus der Mensa. Aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, wie Brey ebenfalls auf stand und mir hinter her kam.
„Sole, warte mal!“, rief er und ich blieb stehen. „Ich wollte dich was fragen, wir könnten ja schon mal zu Kunst gehen.“, er lächelte und ging voran. Neugierig folgte ich ihm, normalerweise redeten wir erst, wenn wir in Kunst nebeneinander saßen. „Also folgendes. Ich wollte dich fragen, ob du nicht Lust hättest, bei unserer Crew mit zu machen.“
Wie von einem Blitz getroffen blieb ich stehen. Bitte, was?! Das hatte er jetzt nicht gerade wirklich gefragt, oder? „Äh…“, brachte ich hervor.
„Du wolltest Rik eine Antwort heute geben und bis jetzt hast du es nicht getan. Nach dem was er erzählt hatte, sollst du wie – ich zitiere – eine Göttin tanzen.“ Brey verdrehte die Augen. „Also was ist?“
Einen Augenblick stand ich noch da und schaute geschockt auf den Boden. Das war jetzt gerade wirklich sein Ernst gewesen. Oh. Mein. Gott!
„Ähm… ich wollte Rik nachher anrufen, weil ich mich bis jetzt immer noch nicht entscheiden konnte.“, stotterte ich und griff in meine Hosentasche. Zog mein Handy hervor und ging mit einem knappen Kopfnicken ins Mädchenklo. Von dort wählte ich Iains Nummer.
„Ja?“, meldete er sich.
„Hey, ich bin es Sole.“, sagte ich und kaute auf meiner Lippe herum. „Kannst du mich nach der nächsten Stunde abholen?“, fragte ich dann.
„Klar. Wir sehen uns dann. Und pass auf dich auf.“, fügte er noch hinzu. Das tat er seitdem Vorfall mit diesen bescheuerten Typen. Seufzend lehnte ich meinen Kopf gegen die kalten Fliesen. Eigentlich wusste ich nicht mal genau warum ich mich mit Iain treffen sollte, aber ich brauchte jetzt jemanden zum reden. Jemand der mir nicht den Kopf verdrehte.
Kapitel 7:
„Rik hat mich gefragt, ob ich nun bei seiner Crew mittanze. Er erwartet heute eine Antwort von mir.“ Iain und ich saßen in dem kleinen Café und schlürften Kaffee und Milchshake.
„Ich dachte du kannst nicht tanzen?“, ungläubig zog ein eine Augenbraue hoch. Konzentriert schaute ich auf meinen Kaffeebecher und kaute auf meiner Lippe herum.
„Na ja, kann ich auch nicht. Also Street Dance kann ich nicht.“, seufzend setzte ich meine Cap ab und schränkte meine Finger im Schoß.
„Was tanzt du denn dann?“, fragte er und beugte sich vor. „Sag jetzt nicht Ballett.“ Ein Lachen lauerte in seinem Mundwinkel und seine blauen Augen sprachen Bände. Als ich nur nickte, fing er an zu lachen. „So siehst du gar nicht aus. Wie lange schon? Und wieso sollte dich Rik dann bei seiner Crew The-NY-Grafitypunkers aufnehmen?“
„Ich hatte am Abend meines Geburtstages einen kleinen Gefühlsausbruch. Auf dem Dach unseres Hochhauses, haben wir getanzt. Ich Ballett und er Street Dance.“ Iains Augen wurden schmal. „Sag ja.“, sagte er als er aufstand und mich mit sich zog. Der Einkaufsbummel war ein wenig beruhigend und total überraschend. Aber es ärgerte mich, dass er darauf bestand alles selber zu zahlen. Doch er ignorierte alles was ich einwendete und schleppte mich dann noch mit zum Training seiner Crew. Seine Kumpels schauten erst ihn dann mich verwundert an, als sie mich wider erkannten. Auch ich erkannte welche aus meiner Schule und es waren viele. Sechs der acht Jungs sah ich täglich an unserem Nachbartisch in der Mensa und war überrascht, dass sie tanzten. Sie sahen nicht so aus, als würden sie tanzen.
„Darf ich vorstellen. Meine Crew: The Punkdancers.“ Der Reihenfolge stellte er mich vor. „Mit ihnen kannst du auch in der Schule üben. Sie werden dir sicher helfen, wenn du sie darum bittest.“
„Wow.“, fasziniert schaute ich die Lagerhalle an in der sie probten und ihre Moves ausprobierten. Sie bot genug Platz für hundert Leute. Sascha nahm sich die Zeit und zeigte mir ein paar Grundschritte. Die meisten hatte ich relativ gut drauf, da ich selbst in dem letzten Monat ein bisschen geübt hatte. Die Zeit verging wie im Fluge und Sascha schaffte es, dass sich meine Beine fast verknoteten.
„Ok, Leute. Ich bringe Sole nach Hause und ihr macht langsam mal Schluss. Das reicht jetzt für heute, wir machen dann morgen weiter.“, er nickte ihnen zu und schob mich dann zu seinem Wagen. Als er den Motor anließ, drehte ich mich noch einmal um und guckte die Lagerhalle an. In der Dunkelheit sah man erst, dass sich dort Menschen hinein trauten, denn in seinen großen Fenstern, war das Licht sehr gut zu sehen.
„Ich hätte auch mit dem Bus nach Hause fahren können.“, sagte ich, als ich mich wieder nach vorne gedreht hatte.
„Nein, ich wollte dich nicht alleine durch die Dunkelheit laufen lassen. Wer weiß, was sich hier alles für Typen herum treiben. Und bei deinem Glück werden sie sich noch an dir vergreifen. Das wollte ich gerne vermeiden, also fahre ich dich nach Hause. Außerdem kommst du so trocken an.“, er schaute raus und erst da bemerkte ich den Regen der wie aus Kübeln vom Himmel runter kam.
„Danke.“, nuschelte ich so leise, dass ich glaubte Iain hätte es nicht gehört, aber er nickte.
„Du solltest Rik zusagen, wirklich. Sonst könnte er noch gegen uns verlieren.“, er lachte grimmig.
„Willst du ihn unbedingt beim Battle schlagen? Ihm in sein trauriges Gesicht schauen? Kannst du das? Verdammt, Iain! Er war mal dein bester Freund.“, ich starrte ihn entsetzt an.
„Du sagst es. Er war mein bester Freund und es würde mir ein kleines bisschen besser gehen, wenn ich den Battle gewinne. Immerhin war ich derjenige gewesen, der die Crew überhaupt gegründet hat. Mit ihm zusammen.“, fauchte er mich an und trat die Bremsen durch als die Ampel plötzlich auf Rot umsprang. Nun wurde ich wütend. Ich hasste es wenn man mich so anfauchte.
„Aber überleg mal. Kein Mädchen der Welt ist es wert seinen besten Freund zu verlieren! Überleg doch mal, was ihr für eine schöne Zeit gehabt habt. Was ihr zusammen bewirkt habt. Ihr habt eine eigene Crew gestartet und ihr habt ihnen Street Dance beigebracht. Alleine schafft man das nicht… nur wenn man jemanden hat, der einem hilft. Und der einem auch helfen kann, weil er sich auch dafür interessiert. Oder willst du mir weiß machen, dass ein Streber dein bester Freund sein kann?“, ungläubig zog ich eine Augenbraue hoch. „Du solltest vielleicht mal auch über deine Fehler nach denken und vor allem daran denken, was du und Rik alles zusammen gemacht habt. Es wäre doch ein bisschen schade, wenn diese alte Freundschaft nur doch erlogen war.“, damit sprang ich aus dem Auto und raus in den strömenden Regen. Es war nicht weit von hier aus, vielleicht nur drei Blocks. Kurz orientierte ich mich und schaute mich um. Dann ging ich Richtung Westen und war tatsächlich drei Blocks weiter vor unserem Hochhaus.
Das Foyer strahlte hell auf den Fußgängerweg und ich trat hinein. Wie üblich bestaunte ich den weißen Marmor Fußboden und die hellen Couchgarnituren, die in kleinen Gruppen vor Kaminen standen. Sie waren gut gefüllt mit Leuten, die sich lachend unterhielten. Klar, hier konnten sogar welche ein Zimmer mieten, aber nur in den ersten paar Etagen. Es waren aber allesamt reiche und alte Leute, die sich hier zurück zogen. Meist wohnten sie etwas außerhalb von New York in eigenen Häusern. Ich vermutete, dass sie sich hier einfach nur zurück zogen um ihre Ruhe vor den nervigen Nachbarn zu haben. Aber vor allem vor den kleinen Kindern die immer laut auf der Straße spielten.
Seufzend ging ich auf den Fahrstuhl zu.
„Wohnen Sie hier, Miss?“, ein junger Mann stand an dem Tresen wo die Gäste ein- und auscheckten. Verwirrt schaute ich ihn an.
„Äh, ja?“, sagte ich und wollte schon weiter gehen.
„Würden Sie mir bitte ihren Namen verraten. Ich habe Sie hier noch nie gesehen.“, freundlich lächelte er mich an und ich spürte Wut in mir aufsteigen.
„Sehe ich vielleicht aus wie jemand, der es nötig hat in ein Zimmer ein zu brechen? Und selbst wenn ich hier nicht wohnen würde, dann könnte ich doch immer noch hier ein Zimmer gebucht haben!“, zischte ich ihn an und trat nah an den Tresen. Demonstrativ knallte ich meinen Wohnungsschlüssel vor seine Nase auf den Tresen. „Reicht das als Beweis, oder wollen Sie noch meine Eltern fragen? Die kommen gerade zufällig herein.“, wütend blitzte ich ihn an. Man merkte, dass er sich nicht wohl fühlte in seiner Haut. Er schluckte laut.
„Tut mir leid, Miss. Ich bin neu hier und wollte auf Nummer Sicher gehen.“, stotterte er.
„Dann suchen Sie sich das nächste Mal jemanden aus, der wirklich nicht hier herein passt.“, damit drehte ich mich um und verschwand im Fahrstuhl. Die Musik die in ihm spielte sollte beruhigend wirken, doch am liebsten hätte ich die Musik abgedreht und das am liebsten in dem ich die Boxen auf den Boden geschmissen hätte.
Gott, Sole! Reiß dich zusammen, du tust ja gerade so, als hättest du Stimmungsschwankungen. Gerade hast du einen Mitarbeiter hier an gezickt und davor bist du einfach aus Iains Auto gesprungen! Reiß dich verdammt noch mal zusammen! Schimpfte ich mich selbst und öffnete meine Wohnungstür. Träge machte ich das Licht an und schlurfte ins Badezimmer. Dort ließ ich mir heißes Wasser in die Badewanne und ging zurück ins Wohnzimmer. Dort ließ ich meine Jacke fallen und streifte meine Schuhe ab. Erst jetzt fiel mir auf, dass meine Sachen alle noch bei Iain im Auto waren. Vielleicht hätte ich es mir besser noch einmal überlegen sollen was ich tue, bevor ich einfach Hals über Kopf rausspringe und weg laufe.
Seufzend ging ich zurück ins Badezimmer und streifte das letzte bisschen Kleidung ab. Dann stieg ich in das etwas zu heiße Wasser und entspannte mich. Zumindest versuchte ich es. Doch es gelang mir nicht. Nach einer gefühlten halbe Stunde stieg ich wieder heraus und schlüpfte in ein Handtuch. So ging ich in mein Ankleidezimmer und suchte mir ein Schlafzeug heraus.
Gerade zog ich mir das kurze Höschen an und streifte das Top drüber, als es an meiner Tür klingelte und klopfte. Schnell schlüpfte ich in meinen flauschigen Bademantel und tapste Barfuß zur Tür.
Ich öffnete die Tür einen kleinen Spalt und schaute den Jungen, mit den dunklen Haaren, an. Rik.
„Was willst du denn hier?“, fragte ich erstaunt. Mein Blick wanderte hinunter zu seinen Händen. Was wollte er mit all den Einkauftüten?
„Iain hatte mich angerufen, dass du nach einem kleinen Streit einfach aus seinem Auto gesprungen seist und die Flucht ergriffen hättest.“, sagte er und schmunzelte. Mein Gesicht wurde rot und fühlte sich heiß an. „Dann hat er mich gebeten, dass ich dir deine Sachen bringen soll.“
„Wieso hat er dich denn geschickt und ist nicht selber gekommen?“, gereizt verschränkte ich die Arme vor meinem Brustkorb und lehnte mich gegen den Türrahmen.
„Ich würde sagen, dass er sich nicht getraut hat.“, schmunzelte er und schaute nun an mir herunter. „Oh, habe ich dich gestört? Ich … kann auch wieder gehen. Also … tut mir leid. Äh…“, stammelte er plötzlich und wurde rot. Fasziniert schaute ich zu, wie die Röte von seinem Hals über sein Gesicht zu seinen Ohren kroch. Geradeso konnte ich mir ein kichern verkneifen.
„Ist schon in Ordnung. Ich hab noch was drunter.“, ein Grinsen konnte ich mir dann doch nicht verkneifen als er noch einen Tick roter wurde. „Willst du vielleicht reinkommen?“, fragte ich und machte die Tür weiter auf, damit er hinein gehen konnte.
„Wenn es dir nichts ausmacht?“, fragte er und trat ein. „Wie lange darf ich denn bleiben?“
Ich zuckte die Schultern. „So lange wie du willst. Meine Eltern interessiert das nicht sonderlich.“ Unsicher lächelte ich und nahm ihm meine Sachen ab. Dann brachte ich sie ins Ankleidezimmer und spürte, dass Rik mir folgte.
„Wow. Das nenne ich mal … einen großen Kleiderschrank. Ist der voll?“, fragte er dann und schaute mich belustigt an. Lachend schüttelte ich den Kopf. „Er ist noch nicht einmal halb voll.“, sagte ich dann und machte mich daran die Sachen auszupacken und hinein zu sortieren. Rik schaute mir dabei zu und wir unterhielten uns. Ich sagte ihm, dass ich bei seiner Crew mittanzen würde und, dass ich auch nun mit ihnen trainieren würde. Rang ihm aber ein Versprechen ab, dass er es meinen Eltern nicht erzählte, denn sie würden nicht erfreut darüber sein. Den genauen Grund nannte ich nicht, denn ich wollte es nicht erzählen. Wollte nicht von meiner verstorbenen Schwester erzählen.
„Wollen wir uns vielleicht noch eine DVD angucken?“, fragte er als wir dann wieder aus dem riesen Kleiderschrank kamen.
„Gerne.“; sagte ich und kniete mich vor den DVD-Player. „Willst du etwas bestimmtes gucken?“, fragte ich und schaute über die Schulter zu ihm hin. Rik schüttelte den Kopf. Also griff ich wahllos in das Regal und zog einen Film heraus. Es war Step Up 3.
Ich machte es mir neben Rik gemütlich und so schauten wir schweigend den Film. Fasziniert von den Tänzern und dem Tanz selber, hatte ich nicht bemerkt wie ich mich etwas weiter vor gelehnt hatte und Riks Hand ganz nah an meiner lag. Seine Finger spielten frech mit meinen.
Belustigt schaute ich von unseren Händen zu ihm auf. Er erwiderte den Blick, bis ich ihn unterbrach. Mein Herz raste und in meinem Magen war ein Knoten. Vorsichtig zog ich meine Hand etwas zurück, was mich vor weiteren Berührungen bewahrte. Ich hatte Angst die Beherrschung zu verlieren und ihn womöglich noch zu küssen. Das wollte ich ganz und gar nicht, also verschränkte ich meine Finger fest in meinem Schoß und schaute mir den Final Jam an, der den Höhepunkt des Filmes darstellen sollte.
„Na das war jetzt mal was ganz Neues.“, sagte Rik und streckte sich müde. Sein schwarzes Haar lockte sich leicht in den Spitzen, sodass sein müder Gesichtsausdruck ihn dadurch kleiner wirken ließen. Er sah aus wie ein kleiner Junge und plötzlich war das Bedürfnis wieder da, meine Hand nach ihm auszustrecken und sie an seine Wange zu legen. Abrupt atmete ich aus und schaltete den Fernseher aus.
„Meinst du, dass du es noch nach Hause schaffst oder soll ich dir anbieten hier zu schlafen?“, fragte ich und grinste. Blinzelnd schaute er mich an. Müde zuckte er mit den Schultern.
„Ok, komm Rik. Du hast zwar keine Klamotten dabei, aber egal ich werd dich jetzt zu meinem Bett bringen, wo du dann schlafen kannst.“, ich musste wirklich ein Lachen unterdrücken. Warum war Rik denn so müde? Normalerweise wäre ich doch diejenige gewesen, deren Augen von alleine zufallen müssten. Doch ich war erstaunlich wach und wuselte noch ein bisschen herum, während Rik in meinem Bett lag und schlief.
Zögernd griff ich zu meinem Telefon und wählte Kurzwahltaste 1. Nach viermal Klingeln ging mein Vater ran. „Ja?“
„Hey Dad, ich bin’s Sole.“
„Ist was passiert?“, sofort war er hellwach. Seit unsere Schwester gestorben ist, passte er so gut auf uns auf wie er konnte.
„Nein, alles ok. Ich wollte dich nur fragen, ob ich morgen zur Schule gefahren werden kann? Ich hab mir ein bisschen den Fuß verstaucht und wollte ihn nicht so sehr belasten.“, log ich und erhielt sofort ein Zustimmen meines Vater.
„Natürlich, natürlich. Ich sage Ralph Bescheid, dass er morgen bereitstehen soll. Sollen wir morgen sonst mit dir zum Arzt, wenn es nicht besser wird?“, fragte er besorgt.
„Nein, quatsch. Ich schone mich ein bisschen und kühle es ein wenig und dann geht das schon wider.“, ich lächelte ich das Telefon. „Gute Nacht Dad.“, sagte ich dann.
„Gute Nacht, Liebling.“, dann legte er auf. Seufzend legte ich auch auf und löschte die Lichter. Für einen kurzen Augenblick spielte ich mit dem Gedanken es mir auf dem Sofa bequem zu machen, aber als Rik meinen Namen murmelte, eilte ich die Treppe hoch.
„Na Schlafmütze.“, kicherte ich und kroch auf der anderen Seite unter meine Bettdecke. „Gute Nacht.“, sagte ich leise und löschte das Licht. Ich spürte wie Rik seine Hand nach mir ausstreckte und sie dann fallen ließ. Kurz vor meinem Gesicht. Vorsichtig hob ich meine Hand und legte sie auf seine. Dann schloss ich die Augen und schlief ein.
Kapitel 8:
Im Bus war es warm und die Jungs und Mädchen unterhielten sich kichernd. Musik drang von vorne aus dem Radio des Busfahrers und die Dunkelheit brach an. Die Straßen waren nicht beleuchtet und es herrschte viel Verkehr auf der Autobahn. Ich sah Justin wie er mit einem seiner Crewmitglieder über etwas diskutierte und dann lachte. Die Lehrkräfte unterhielten sich gelangweilt über das Programm in der Jugendherberge und fragten abwechselnd wie lange sie noch fahren würden.
Ein mulmiges Gefühl machte sich in meiner Magengrube breit und suchend schaute ich mich um. Ich musste hier dringend raus.
‚Justin.‘ sprach ich ihn an. Doch er reagierte nicht und lachte weiter mit seinem Kumpel über irgendeinen Scherz. ‚Justin, hörst du mich?‘ Ich geriet in Panik. Es würde sicher gleich etwas Schlimmes passieren. Und ich behielt recht. Der Bus kam ins Schlingern und überschlug sich plötzlich. Alle kreischten und heulten, schrien und brüllten vor Schreck und Schmerz.
Schweigebadet und schweratmend saß ich in meinem Bett. Riks Gesicht direkt vor meinem. Besorgnis war in seinem Blick zu sehen.
„Alles in Ordnung?“, fragte er zaghaft.
„Nur ein Albtraum.“, stieß ich atemlos hervor und kniff meine Augen zusammen. Ich presste meine Hände vor mein Gesicht und spürte wie Rik sich neben mich setzte und seine Arme um mich legte. Beruhigend strich er mir übers Haar. Eine ganze Weile sagte niemand etwas.
„Wir müssen los, wenn wir rechtzeitig in der Schule sein wollen.“, sagte er dann irgendwann in die Stille hinein und stand auf. Eilig sprang ich aus dem Bett und rannte die Treppen herunter ins Badezimmer. Dort putzte ich wie eine Irre meine Zähne und kämpfte mit meinen wirren Haaren. Nachdem ich sie zu einem ordentlichen Zopf gebunden hatte, stürzte ich ins Ankleidezimmer. Hose, Top, Jacke und Schuhe. Schnappte meine Tasche, setzte mein Cap auf und nahm Rik bei der Hand.
„Ralph fährt uns.“, sagte ich als wir aus dem Fahrstuhl sprinteten auf den schwarzen Wagen zu, dessen Hintertür schon von Ralph aufgehalten wurde. Dieser zog nur eine Augenbraue hoch.
„Mein Fuß ist verstaucht.“, sagte ich grinsend und Ralph nickte lächelnd. Er kannte es schon von früher, dass ich einfach Freunde mit nahm. Ohne des Wissens meiner Eltern. Als wir im Auto saßen rutschte ich soweit von Rik weg wie ich konnte und verschränkte meine Finger fest in meinem Schoß.
„Krass.“, sagte Rik neben mir und starrte raus. „Man kann einen Menschen einfach anstarren ohne das er es merkt.“, bewunderte er und drückte sich fast die Nase an der Scheibe platt.
„Es sei denn, du drückt dich so offensichtlich dagegen, dass sie dich sehen.“, kicherte ich und presste meine Hand auf meinen Mund damit ich nicht einen Lachanfall bekam. „Willst du deine Sachen eigentlich gar nicht holen? Ralph könnte uns kurz rum fahren.“, sagte ich dann etwas ernster. Doch Rik schüttelte den Kopf.
„Brey bringt meine Sachen mit.“, dann schaute er weiter raus. Schließlich kamen wir an der Schule an und es war wie ich vermutetet hatte. Alle glotzen. Genervt verzog ich meinen Mund.
„Ralph du brauchst mich nicht abholen. Ich bleib ein bisschen länger und komme dann mit dem Bus.“, ich lächelte und winkte, als er nickte und davon fuhr. Brey wartete schon auf uns, aber er sah nicht glücklich aus. Innerlich duckte ich mich schon, weil ich befürchtete, dass er noch immer dagegen war, das ich in ihrer Crew mittanzen würde.
„Leute, die alte Miss Gray! Sie hat uns heute offenbart, dass wir übermorgen eine Klassenfahrt machen.“, seine Mine verdüsterte sich. Sofort war ich hellwach.
„Wer ist wir?“, fragte ich vorsichtig nach.
„Ich, Justin und noch fünf weitere aus unserer Crew. Sie fährt mit ihrem Philosophie- und Geschichtskurs.“, maulte er und hielt Rik seinen Rucksack hin. Der nahm ihn schweigen entgegen.
„Wir müssen dann ohne euch proben.“, sagte dieser dann endlich und ging mit uns ins Schulgebäude. Es hatte gerade geklingelt, wenn wir Glück hatten, würde wir sogar noch vor unserer Lehrerin im Kursraum sein.
„Wir reden in der Mittagspause. Ich muss los.“, damit rannte Brey zu seinem Kurs und wir machten uns eilig auf den Weg zu Mathe. Wir schwiegen als wir die Klasse betraten, aber als wir die Blicke der anderen auf uns spürten musste Rik grinsen. Mein Gesicht war nicht dazu in der Lage auch nur zu blinzeln, deshalb setzte ich mich mit hochrotem Kopf auf meinen Platz und wartete darauf, dass die Lehrerin kam.
„Glaubst du zwischen denen läuft was?“, fragte ein Mädchen hinter mir leise ihre Nachbarin. Diese schnaubte.
„Mit Rik? Der spielt doch nur mit den Mädchen. Ich wette in einer Woche hat er sie wieder abserviert.“, flüsterte sie dann zurück. Fester umklammerte ich meinen Stift.
„Kannst du dich noch an Katy erinnern? Die war doch auch neu hier und er hat sich gleich an sie ran gemacht. Innerhalb drei Wochen waren sie wieder auseinander.“, flüsterte das andere Mädchen dann wieder. Erstarrte schaute ich auf die Tafel vor mir.
‚Bitte, bitte lass diese Stunde schnell vorbei gehen‘
Als dann endlich die Lehrerin herein kam und etwas auf den Tisch knallte stöhnte die gesamte Klasse auf. Außer ich. Wir schrieben einen unangekündigten Mathetest!
In der Mittagspause hatte Rik mich noch bis zu meinem Tisch begleitet, obwohl ich versucht habe ihm irgendwie aus dem Weg zu gehen. Ich wollte mit Maren darüber reden, was die beiden Mädchen hinter mir ihm Mathekurs gesagt hatten. Doch als ich sah, dass nur Chris am Tisch saß, sank meine Stimmung.
„Hey Brüderchen. Wo sind denn Sam und Maren?“ Ich stellte mein Tablett ab und setzte mich. Finster schaute er drein.
„Die rufen gerade ihre Eltern an und sagen ihnen das von der Klassenfahrt.“, seufzte er.
„Du musst aber nicht mit fahren, oder?“, fragte ich und plötzlich musste ich an meinen Albtraum denken. Ich hatte Justin gesehen und der Kumpel war Brey. Auch Maren und Sam waren in dem Bus. Oh Gott! Bitte lass es einfach nur ein böser Traum gewesen sein.
„Nein, zum Glück nicht.“, sagte er dann und spielte mit der Wasserflasche herum. „Außerdem danke, dass du mir nicht Bescheid gesagt hast, dass Ralph dich fährt. Ich hätte mir die Kosten für den Bus sparen können!“, zischte er schließlich.
„Ich dachte, dass du vielleicht gestern Abend schon geschlafen hast und wollte dich dann nicht wecken. Außerdem war Rik bei mir und ich hab verschlafen. Sonst hätte ich dich heute Morgen noch abgefangen und dir Bescheid gesagt. Das nächste Mal, versprochen.“, sagte ich und versuchte ein Lächeln. Da entdeckte ich Maren. Sie kam auf unseren Tisch zu. Endlich!
„Maren! Ich muss mit dir reden!“, damit hatte ich nun ihre volle Aufmerksamkeit.
„Was gibt’s denn?“, fragte sie neugierig.
„Was weißt du über Rik?“, fragte ich und schaute vorsichtig zu ihm herüber. Er schien sich mit Brey zu streiten.
„Äh… wieso fragst du?“
„Er hat bei mir geschlafen und heute Morgen sind wir zusammen her gekommen. Zwei Mädchen hinter mir in Mathe haben darüber getuschelt das ich nur eine weitere Freundin von ihm sei und in der nächsten Woche schon wieder uninteressant.“, erzählte ich kurz und schaute sie an. So wie sie den Blick senkte und ihre Finger knetete, deutete ich nicht als gutes Zeichen.
„Also… es gab mal eine Zeit wo Rik wirklich jede genommen hat, die sich ihm anbot. Mittlerweile hatte er seit über einem Jahr keine Freundin mehr gehabt. Davor hatte ungefähr jede zweite Woche ein neue.“, sie wich meinem Blick aus. Natürlich, ich hätte es mir ja denken können, dass er seit einem Jahr schon keine Freundin mehr gehabt hatte. Immerhin hatte er vor einem Jahr seinen besten Freund wegen eines Mädchens verloren.
„Oh. Und warst du auch eine von seinen vielen Freundinnen?“, fragte ich und schaute Maren an. Als sie nickte zog ich scharf die Luft ein. Das durfte nicht wahr sein! Trübsal blasend ging ich zu Kunst und saß neben wütenden Brey. Wir beide redeten nicht viel, da jeder seinen Gedanken nachhing. Erst am Ende der Stunde, als Brey sich auf den Weg machte die Schule zu verlassen hielt ich ihn verwundert an.
„Trainierst du denn heute gar nicht?“, fragte ich verwundert und schaute ihn an.
„Nein.“, zischte er wütend und funkelte mich an.
„Nur weil du dich mit Rik gestritten hast?“, fragte ich verwundert und ließ ihn schließlich los. Als Brey das Gesicht verzog wusste ich, dass ich Recht hatte. „Ganz ehrlich, nur wegen einer Klassenfahrt muss man sich doch nicht streiten. Geh, wenn du schmeißen willst, aber ruf dir ins Gedächtnis, dass wir dich brauchen.“, damit ging ich schließlich zu dem Tanzsaal und spürte Riks Blick auf mir ruhen. Gekonnt wich ich ihm aus und setzte mich neben Justin.
„Hey, du machst dann also doch mit.“, sagte er lächelnd und schaute mich von der Seite unter seinem Cap an. Als ich lächelnd nickte, sah ich zur Tür. Brey kam gerade herein und ließ sich neben mir nieder. Klar, er wollte jetzt nicht mit Rik reden. Genauso wenig wie ich.
Während die anderen ihre Choreographie übten und verbesserten, wurden mir die ersten Schritte gezeigt, sodass ich sie nach tanzen konnte. Brey hatte sich freiwillig dazu bereiterklärt mir zu helfen und so tanzten wir im Saal neben an.
Ab und zu schaute Rik vorbei, doch meistens hielt er sich fern.
„Also, wenn du nun hier den Handstand machst, dann zu einer Brücke runter gehst und dann wieder zurück in einen Handstand, könntest du mit Justin dann zusammen den Anfang übernehmen.“, sagte Brey gerade und zeigte mir, was er meinte. Bei ihm sah es etwas brutal aus, also machte ich es ihm nach. Es war total entspannend mal ein paar Verbiegungen zu machen. Als ich dann in der Brücke stand, rutschte Brey unten drunter durch und vollführte eine komplizierte Drehung und machte dann ebenfalls einen Handstand, als ich wieder hoch kam.
„Cool.“, sagte ich atemlos und dann machten wir weiter. Drehung um Drehung, Sprung um Sprung machte ich weiter. Das Klingeln hörten Brey und ich gar nicht, erst als plötzlich die Musik ausging, hörten wir auf. Völlig außer Atem schaute ich zu Rik herüber. Neben ihm stand Iain.
„Wow.“, brachte Iain dann heraus und Rik schwieg weiter. Er starrte mich nur an. Brey neben mir schnaufte und legte dann einen Arm um meine Schultern.
„Wenn ich gewusst hätte, dass du eine so verdammt gute Tänzerin bist, dann hätte ich dich anfangs nichts so behandelt.“, sagte er und schaute mich an. „Danke.“; lächelte er dann und umarmte mich. Freundschaftlich knuffte ich ihm in die Seite und brachte so Abstand zwischen und. Damit nahm ich dann meine Sachen und verschwand auf dem Mädchenduschraum. Dort duschte ich kurz und zog mich dann um. Als ich raus kam, erwartete ich nicht, dass jemand da war, aber schließlich sah ich Iain der an seinem Auto lehnte und mit den Schlüsseln spielte. Etwas schüchtern ging ich auf ihn zu und stellte mich dann vor ihn. Er blickte aus seinen blauen Augen zu mir auf und lächelte.
„Tut mir leid wegen gestern.“, sagte ich leise und schaute ihn an. Ja er war hübsch, aber Rik war hübscher. Ob Iain auch so eine hohe Verschwendung bei den Mädchen gehabt hatte, wie Rik?
„Macht nichts.“, sagte er und strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Du tanz übrigens fabelhaft. Wirklich sehr göttlich.“ Nun musste ich lachen.
„Es geht.“, sagte ich dann und schaute zu ihm nach oben. „Haben deine Crewmitglieder dir auch erzählt, dass sie auf Klassenfahrt müssen, oder haben sie Glück gehabt und müssen nicht mit?“ Fragte ich und schaute ihn ab. Iains Mine verfinsterte sich ähnlich wie die von Rik. Dann rieb er sich mit der Hand über das Gesicht und seufzte.
„Sechs meiner acht Tänzer sind weg.“, sagte er düster und stieß sich von seinem Wagen ab. So stand er direkt vor mir, so nah an mir dran. Sein Oberkörper steckte in einem blau karierten Hemd, dessen Ärmel er hoch gekrempelt hat. Meine Augen suchten seine, sodass ich den Kopf in den Nacken legen musste. Sein Gesicht war ganz nah an meinem.
„Ich hätte dich für meine Crew nehmen sollen. Aber vielleicht sollte es auch einfach nicht sein, dass wir dieses Jahr den Battle gewinnen.“, seufzte er müde und schaute mich aus seinen hellen blauen Augen an. „Komm ich bringe dich nach Hause.“, damit ging er zur Fahrerseite und ich stieg in seinen Wagen.
Kapitel 9:
Ich hatte eigentlich nichts erwartet, aber dann doch so viel. Es war ein Freitag, als wir den anderen Tschüss sagten und diese sich auf den Weg zu ihrem Bus machten. Die Stimmung danach war gedrückt und die Lehrer quälten uns mit schweren Aufgaben. Zumindest kam es mir so vor. Den Albtraum hatte ich innerhalb der letzten zwei Tage nicht abschütteln können und so hatte ich ängstlich fest gestellt, dass das Innere des Busses genau dem meines Traumes entsprach. Wahrscheinlich würden sie morgen uns anrufen und Bescheid sagen, dass es einen Unfall gab.
„Was machen wir denn jetzt? In drei Wochen haben wir das Battle und jetzt lernen wir einen mörderischen Move der die anderen Dancecrews umhauen wird. Aber was ist? Der größte Teil unserer Crew fehlt! Ich hasse diese Miss Gray!“, Andrew brüllte es so laut in dem Saal, dass ich befürchtete, dass sie es bis ins Lehrerzimmer hörte. Schweigend saßen wir da und brüteten. Rik lief wie ein aufgescheuchtes Huhn im Saal auf und ab. Mein Blick hing im Spiegel. In meinem Kopf arbeitete es angestrengt und ich hatte eine Idee gehabt. Allerdings wollte niemand etwas davon hören, da es die Crew von Iain betraf. Ihre offiziellen Feinde.
Ich rümpfte die Nase und schaute Rik bei seinem hin und her laufen zu. „Hast du eine Idee was wir jetzt machen?“, fragte ich ihn dann schließlich. Rik zuckte die Schultern und setzte sich dann hin. Das Maulen ging weiter. „Ok, Leute ich hab es langsam satt. Hört auf euch wie kleine Kinder zu bemitleiden. Wie alt seid ihr? 4? Sicher nicht! Also benehmt euch doch mal und überlegt euch Moves die umwerfend sind UND die man ihnen innerhalb von drei Wochen bei bringen kann!“ Ich stand auf und schaute die Handvoll Jungs an. „Guckt nicht so bescheuert. Wir sollten uns ein bisschen in Form halten.“, damit hielt ich Rik die Hand hin, damit er sie ergreifen konnte. Er nahm sie und ich zog ihn auf die Beine. „Es bringt euch nichts, wenn ihr jetzt in Trübsal versinkt. Wenn ihr jetzt nicht ein bisschen Dampf macht, dann schaffen wir es nicht beim Battle. Und ihr habt bis jetzt so hart gearbeitet. Es jetzt einfach wegen einer Klassenfahr weg zu schmeißen wäre es nicht wert.“ Die anderen erhoben sich zögernd. Aber als sie standen und ich auf die Musikanlage zu ging, schienen sie sich anzuspannen und zu sammeln. Also … geht doch, dachte ich zufrieden und stellte die Musik an.
Zuerst geschah gar nichts. Also ergriff ich den Mut, drehte lauter, ließ die Musik auf mich wirken und fing an. Meine Flic Flacs gingen vor dem Spiegel entlang. Sprung und auf das eine Knie. Drehung, auf die Beine und die Steps. Damit hatte ich die Jungs wieder auf dem Damm. Sie tanzten. Nicht ihre Choreografie, sondern all die Wut und die Trauer. Zufrieden reihte ich mich ein und so tanzten wir durch den Saal.
Irgendwann war mir so warm, dass ich mich auf den Boden legte und einfach meine Augen schloss. Dann war auf einmal die Musik aus und ich setzte mich auf.
„Wir treffen uns nachher in der Stadt.“, sagte ich zu ihnen gewandt und schnappte dann meine Sachen.
„Was sollen wir denn da? Und vor allem wo?“, fragte Andrew.
„Fußgängerzone. Hat jemand einen Ghettoblaster? Den könnten wie gebrauchen.“, sagte ich lächelnd. „Ach und zieht euch was bequemes an.“, damit verschwand ich durch die Tür, gefolgt von Rik.
„Das ist nicht dein Ernst, oder?“, fragte er ungläubig und hielt mit mir schritt.
„Doch.“, zuckte ich mit den Schultern. „Hey, das finden Leute cool. Und außerdem finden wir dann ein bisschen Mut weiter zu machen, weil es nämlich motivierend ist, wenn andere Leute einen anfeuern.“
„Wir haben keine Choreografie!“, sagte er schockiert.
„Wozu? Street Dance ist doch auch durch Freestyle entstanden. Also versuchen wir uns einfach mit unseren Moves anzupassen.“, sagte ich lächelnd und stieg in den Bus. Rik folgte mir und sein Blick war immer noch ungläubig auf mich gerichtet. Er setzte sich neben mich und drehte sich so herum, dass er mich weiter anschauen konnte.
„Du willst also, dass wir unser können den Leuten zeigen? Meinst du, dass die Polizei das zu lässt? Wir hatten schon einmal richtigen Stress mit ihnen und ein zweites Mal lassen sie es uns sicher nicht durchgehen.“
„Da hattet ihr mich auch noch nicht. Mein Vater ist ein sehr einflussreicher Mann, ich denke dass mir kaum etwas droht.“, ich lächelte ihn süß an und kramte dann in meiner Tasche nach meinem Handy. Iain sollte Bescheid wissen, damit wir dort schon mal gucken konnten, ob es klappte oder nicht. Gerade wollte ich Iains Nummer wählen, da nahm Rik es mir aus der Hand.
„Wieso willst du ihn jetzt anrufen?“, die Skepsis war ihm überdeutlich anzusehen.
„Naja, wenn wir dort schon mal versuchen einfach so zu tanzen ohne Choreographie. Dann dachte ich, dass wir die Anderen mit dazu nehmen können. Was willst du aus fünf Personen schon groß machen?“, fragte ich mit hoch gezogener Augenbraue. Einen Moment schaute er mir noch forschend in die Augen, dann gab er mir mein Handy zurück. „Aber nur das eine Mal.“
Ich nickte und wählte. Iain ging nach dem zweiten Klingeln ran und war schneller einverstanden als Rik.
„Warum willst du, dass ich und Iain zusammen tanzen? Sole ich sehe darin keinen Sinn, wirklich. Kannst du es mir erklären?“, fragte Rik mich, als wir in den Aufzug stiegen.
„Ganz einfach, weil ich will, dass ihr beide wieder zu eurer Freundschaft zurück findet. Ich finde es schade, dass es wegen einem Mädchen kaputt gegangen ist. Und ich denke, dass ihr beide mit dieser Beendung der Freundschaft nicht klar kommt. Oder willst du mir weiß machen, das du bessere Freunde hast als ihn damals?“, fragte ich und starrte auf die Zahlen über der Fahrstuhltür. Sie sprangen rasend schnell von einer Ziffer zur nächsten. Es war ein wenig hypnotisierend.
„Vielleicht, aber ist dir mal in den Sinn gekommen, dass er sich verpisst hat? Er hat sich doch einfach aus dem Staub gemacht und hat sich mit mir geprügelt. Wenn er es früher geblickt hätte, dann hätte er doch sagen können, dass wir es lassen sollten und stattdessen zusammen halten sollten. Aber nein, das hat er nicht getan, Sole. Verstehst du, er hat mich mit Absicht ohne Schutz ins Messer laufen lassen. Das kann man einfach nicht wieder Entschuldigen und Rückgängig machen.“ Rik schaute düster drei und warf sich mit Schwung auf das Sofa.
Im Kühlschrank fand ich einen fettarmen Vanillepudding und setzte mich dann mit einem Löffel bewaffnet neben ihn und aß ihn schweigend. „Weißt du, du solltest es mal so betrachten. Ihr wart beide in dieses Mädchen verliebt und ihr beide habt gedacht, dass der andere doch sagen sollte, dass ihr aufhören solltet. Warum hast du es dann nicht getan? Wieso hast du nicht einfach gesagt, dass Schluss ist und dass ihr einfach das Mädchen ignoriert? Du hättest es auch sagen können, nicht nur Iain.“, nuschelte ich an meinem Löffel voller Pudding vorbei und schaute ihn an.
„Willst du ihn jetzt etwa verteidigen?“, fragte er aufgebracht, sodass ich leicht zusammen zuckte. Manchmal konnte er ganz schön impulsiv werden. „Wenn das so ist, dann geh doch zu ihm in die Crew. Vielleicht bleibst du ja sein neuer Liebling und kannst dann bei ihm rumhüpfen. Wenn du hinter ihm stehst brauchst du nicht mehr zu unserem Training zu kommen.“ Rik erhob sich langsam und schnappte seine Jacke.
„Das musst ausgerechnet du sagen, der jede Woche eine neue Freundin hat. Der jede flachlegen kann, die er will. Du hättest doch jede Andere haben können, aber nein, du wolltest die gleiche wie Iain. Von mir aus, wenn du mich halt nicht dabei haben willst. Wir haben in drei Wochen den Battle und wenn du unbedingt verlieren willst, dann bitte. Ich kann gerne zu Iain gehen, wenn du das willst.“, fauchte ich ihn an und schaute ihn wütend an. Er starrte wütend zurück, dann verzog er schmerzvoll den Mund. Vorsichtig stand ich auf und ging in die Küche, dabei ignorierte ich ihn vollkommen. Als ich dann zu ihm zurück ins Wohnzimmer ging und mich vor ihn stellte. „Was ist? Wieso bist du denn immer noch hier, ich dachte du wolltest gehen, nachdem du mich aus der Crew gekickt hast?“, fauchte ich ihn an. Plötzlich war Rik ganz nah, sein Atem streifte mein Gesicht und seine dunklen Augen bohrten sich in meine. Mit der einen Hand umfasste er mein Kinn und mit der anderen hielt er mich an der Taille fest und zog mich an sich. Seine Lippen lagen warm und sanft auf meinen und plötzlich waren sie wieder weg und die Wohnungstür fiel ins Schloss. Verwirrt stand ich einfach nur da und starrte Rik hinter her. Oh. Mein. Gott. Er hatte mich soeben geküsst. Wie sollte ich das denn jetzt aufnehmen? Hatte er mich doch nicht aus der Crew gekickt? Plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Er war eifersüchtig. Eifersüchtig auf Iain, weil ich mehr mit Iain machte als mit ihm. Mit einem genervten Stöhnen lies ich mich auf mein Sofa fallen. Dann starrte ich an die Decke und dachte nach, als mir plötzlich einfiel, dass die anderen sicher schon in der Fußgängerzone warteten.
Eilig sprintete ich los und bekam gerade noch so den Bus. Der Busfahrer guckte mich komisch an und fuhr dann los.
„Ich finde das ist überhaupt keine gute Idee. Wieso sollen wir mit einer Crew zusammen tanzen, wenn wir gegen sie im Battle antreten?“, fragte Andrew mich gerade, als Iain und seine übrig geblieben Leute auf uns zu kamen.
„Nun stellt euch nicht so an. Wir tanzen nur dieses eine Mal zusammen, dass wird euch schon nicht umbringen.“, sagte ich und schlang die Arme um Iain. Er drückte mich fest an sich und murmelte mir eine Begrüßung ist Ohr.
„Die sehen nicht alle erfreut aus. Liegt das an uns?“, fragte er unschuldig und zwinkerte mir zu. Vielleicht sollte ich ihn auf Abstand halten. Ich wollte nicht dafür verantwortlich sein, dass er und Rik sich noch weiter stritten.
„Naja sie sind halt nicht wirklich begeistert, aber das vergeht. Wir legen jetzt erst einmal los, was haltet ihr davon?“ Ein Jubeln von den anderen kam und ich ging herüber zum Ghettoblaster, drückte Power und sofort schlug der Beat laut durch die Fußgängerzone.
Rik und Iain stellten sich so weit voneinander entfernt wie möglich. Seufzend stellte ich mich in die Mitte der Gruppe und musste fest stellten, dass sie sich jeweils in ihrem Team zusammen gestellt haben.
„Ok Leute, wenn ihr nicht tanzt werden die Bullen auftauchen und dann haben wir ein dickes Problem. Also bewegt eure süßen Ärsche und schwingt jetzt eure Füße.“, mein Blick ging zu Rik. Der schaute mich ebenfalls an. Ein unsicheres Lächeln glitt über mein Gesicht und er nickte mir leicht zu. Dann begann er mit einem Step und ich sprang mit ein.
Am Anfang waren die Passanten einfach an uns vorbei gelaufen und hatten nur geguckt. Doch dann haben die kleinen Kinder mit offenen Mündern an den Händen ihrer Mütter gestanden und uns zu geschaut. In ihren Augen sah man die Faszination, die ich damals auch gespürt hatte.
Lachend tanzte ich also zu Iains Crew hinüber und tanzte dann mit Iain. Eine Drehung und er hob mich hoch. Gekonnt bog ich mich nach hinten, kam mit den Händen auf den Asphalt auf und zog die Beine mit. Die Menge jubelte und lachend zog ich ein paar Jungs zusammen und umtanzte sie. Langsam aber sicher vermischten sie sich und tanzten zusammen. Vereinzelt trat einer der Jungs nach vorne und machte verdammt komplizierte Moves und die Leute pfiffen anerkennend.
Und zum Schluss sah ich, wie Rik und Iain sich vorsichtig anschauten und schließlich aufeinander zu tanzten. Sich einen kleinen Battle leistete und dann zusammen einen Move machten, den ich vorher noch nie gesehen hatte.
Ein schrilles Pfeifen ließ mich herum fahren. Polizei!
„Haut ab!“, schrie ich und sofort schnallten alle was los war. Sie ergriffen dich Flucht und nahmen den Ghettoblaster mit.
„Scheiße die Bullen!“, stieß Rik hervor und schaute mich an.
„Na los, verschwinde! Geh schon!“, drängte ich ihn doch er trat Kopfschüttelnd zu mir heran. Seine Distanziertheit war vorübergehend vergessen. Iain trat an meine andere Seite und so standen wir zu dritt da und machten keine Anstalten zu fliehen. Während die zwei Polizisten auf uns zu kamen und etwas überraschte Gesichter machten. Normalerweise hauten die Jugendlichen immer ab, aber hier war es nicht der Fall.
Kapitel 10:
„Ich fasse es einfach nicht! Wie konntest du nur so etwas Schreckliches tanzen! Schau mich an, wenn ich mit dir rede!“, brüllte mein Vater mich an und ich zuckte unwillkürlich zusammen. Chris und meine Mutter standen hinter ihm und schüttelten den Kopf. Meine Mutter weil sie es nicht fassen konnte, dass ich so eine Richtung eingeschlagen hatte und Chris. Tja, weil er es nicht verstehen konnte, weshalb ich nicht abgehauen bin.
Die Polizei hatten Iain und Rik gehen lassen, als ich die Schuld auf mich gezogen hatte. Allerdings waren sie beide stink wütend auf mich und hatten nach Kräften versucht Mitschuld zu haben. Doch es war Sinnlos, weil ich ein ausführliches Geständnis abgelegt hatte und die Polizei bei mir zu Hause angerufen hatte.
Als mein Vater dann mit hoch rotem Kopf auf ihrem Revier aufgetaucht war und die beiden Jungs zusammen gestaucht hatte, packte er mich beim Arm und zerrte mich in den Wagen.
„Dad, du hast immer gesagt, dass ich es nicht aufgeben sollte. Auch wenn meine Tanzlehrerin mich raus-geschmissen hat, hat sie immer noch gesagt, dass ich eine gute Tänzerin wäre!“, sagte ich leise und schaute ihn an. Aufgebracht blies er die Backen auf und schaute mich mit schmalen Augen an.
„Ich will, dass du dich von ihnen fernhältst und wieder zum Ballettunterricht gehst.“, damit drehte er sich um und wollte den Raum verlassen.
„Nein.“, sagte ich und stand auf. „Ich will nicht wieder Ballett tanzen. Sie werden mich dort wieder raus-schmeißen und dann steh ich wieder da und bin traurig.“, doch es war eigentlich nicht das, was ich sagen wollte.
„Du tanzt jetzt wieder Ballett!“, brüllte er wieder und schaute mich wütend an. Das führte dazu, dass ich auch wütend wurde und die Hände zu Fäusten ballte.
„Überlege dir gut was du jetzt sagst.“, meinte meine Mutter trocken und legte Dad die Hand auf den Arm.
„Es kotzt mich an! Ihr kotzt mich an!“; brüllte ich und verließ fluchtartig den Raum. Dabei bekam mich mein Vater aber am Arm zu fassen. Wütend funkelte ich ihn an. „Ich bin nicht Rachel!“ Tränen traten in meine Augen und ich wusste, dass ich zu weit gegangen war. Aber es war mir egal. Mein Vater hatte seine älteste Tochter verloren. Sie war gestorben. Einen Tumor im Kopf. Sie war eine begnadete Tänzerin und hatte mir als ich drei war das Tanzen beigebracht. Deswegen hatte ich überhaupt angefangen. Irgendwann habe ich dann den wirklichen Spaß dran gefunden, aber nicht im Ballett. Nein. Ich fand den Spaß im Street Dance. „Akzeptiere es einfach und versuche mich nicht zu Rachel zu machen. Ich bin nicht sie. Ich bin anders!“ Er ließ mich los und ich verließ die Wohnung, das Gebäude und schließlich auch New York.
Die Nacht war dunkel und kalt. Sehr kalt und ich fing schnell an zu frieren. Irgendwo in der Nähe hatte ich eine kleine alte Hütte entdeckt und mich dort verkrochen. Ab und zu hörte ich Autos vorbei fahren und die Sirenen aus der Stadt.
Als ich los gerannt war hatten mich die Leute komisch angeguckt und den Kopf geschüttelt. Einige hatten mich gefragt ob ich Hilfe brauchte. Geschickt war ich den Polizeiautos entkommen und hatte es geschafft die Stadt zu verlassen. Und ich hatte nicht die Absicht so schnell wieder zurück zu kehren. Irgendwann summte mein Handy und ich schaute wer es war. Iain. Ich drückte ihn weg.
Nach einer halben Stunde summte es wieder. Diesmal war es Rik. Auch ihn drückte ich weg. Als Chris anrief drückte ich auch ihn weg. Ich wollte mit niemanden von ihnen reden. Gerade summte mein Handy wieder und ich wollte schon an die Decke gehen, als ich auf das Display schaute und sah, dass es Mac war.
„Ja?“, ging ich ran.
„Hey Sole.“, ich konnte sein Lächeln förmlich sehen. „Wie geht es dir?“
„Super und dir?“, sagte ich und musste nun selber Lächeln.
„Kann mich nicht beklagen. Hey, ich hab es nicht geschafft mich zu deinem Geburtstag zu melden. Also Herzlichen Glückwunsch nachträglich. Hat dir das Geschenk gefallen?“ Wumm. Mit einem Schlag stand ich kerzengerade in der Hütte und stieß mir den Kopf an einem Dachbalken.
„Äh. Danke, ich hab mich total darüber gefreut.“, sagte ich und hörte die Unsicherheit aus meiner Stimme.
„Nutzt du sie auch?“, anscheinend eine ganz normale Frage, doch irgendetwas ließ mich unruhig werden.
„Klar. Du ich muss Schluss machen. Ich melde mich demnächst mal bei dir.“, damit legte ich auf und steckte den Kopf aus der Hütte. Eine große Gruppe von Autos fuhr auf der Landstraße an der Hütte vorbei blieben dann aber mit schlitternen Reifen auf der Straße stehen.
Verdammt!
Hals über Kopf rannte ich los und fort von den Autos. Ich hätte es mir ja denken können, dass sie über mein Handy suchten.
„Sole!“, riefen einige und darunter erkannte ich Rik und Iain. Sie sahen besorgt aus.
„Miss Cold!“, rief einer der FBI-Agenten. „Miss Cold, wir wissen, dass Sie hier irgendwo sind. Wahrscheinlich können sie und sogar sehr gut hören.“ Zitternd atmete ich aus. Ich war so bescheuert.
Leise ging ich weiter und trat auf einen Ast. Das ‚knack‘ was er von sich gab ließ eine Stille entstehen, dann hörte ich mehrere Schritte auf einmal. Schließlich wurde ich von einem warmen, weichen Körper umarmt und Rik flüsterte meinen Namen.
Seit einer ganzen Woche hatte ich nicht mehr mit meinen Eltern geredet und es war auch gut so. Sie hatten es mir gründlich versaut. Als Strafe hatten sie mich in einen Ballettkurs in der Schule angemeldet wo ich täglich drei Stunden verbringen musste. Doch schnell merkte meine Lehrerin, dass ich mehr konnte als ihre üblichen Amateure und steckte mich in einen Kurs höher.
Die komplette Schule tuschelte darüber was in der Fußgängerzone passiert war und lachte immer mal, wenn ich in der Nähe war. Sam und Maren schauten die Leute meistens so finster an, dass sie zurück zuckten und sich schnell aus dem Staub machten. Iain und Rik hatten sich ein wenig versöhnt und tasteten sich vorsichtig aneinander heran. Lächelnd sah ich, das Iain wieder auf unsere Schule ging. Worüber ich aber nicht lächeln konnte war, dass er mich ständig anschaute.
Mittwochs in der Mittagspause setzte ich mich seufzend an unseren Tisch in der Mensa und stocherte in meinem Salat herum. In einer Woche war der Battle und ich konnte nicht zum Training. Rik und Iain waren noch immer sauer, dass ich es nicht schaffte irgendwie zu kommen und mit zu trainieren.
In dieser Mittagspause musste ich mit Rik sprechen. Also erhob ich mich seufzend und packte mein Tablett weg und ging auf seinen Tisch zu.
„Rik. Ich muss mit dir reden.“, sagte ich und versuchte seinem Blick auszuweichen. „Allein.“
„Bin gleich wieder da.“, sagte er stand auf und folgte mir auf den Flur. Dabei nahm er meine Hand in seine und ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen.
Als ich an meinem Spind Halt machte und mich mit dem Rücken dagegen lehnte, schaute ich ihn noch immer nicht an.
„Was ist los?“, fragte er sanft und drückte meine Hand leicht. Schweigend starrte ich auf unsere Hände. Auf die ineinander verschlungenen Finger. Tief atmete ich ein und hob den Blick.
„Ich kann nicht mit zum Battle.“, sagte ich leise und wartete auf seine Reaktion. Wie versteinert saß er da und schaute mich an. Zuerst war er geschockt, dann verfinsterte sich seine Mine und schließlich starrte er einen Punkt oberhalb meines Kopfes an.
„Ich brauch dich wohl nicht nach dem Grund zu fragen, oder?“, brummte er und entzog mir seine Hand. Schweigend presste ich meine Lippen zusammen und mied seinen Blick. „Dann müssen wir eine komplett neue Nummer einstudieren. Das schaffen wir nicht mehr!“
„Quatsch. Ihr müsst nur die Moves ändern, wo ich mit tanze. Das schafft ihr schon. Du hast Iain und zusammen packt ihr das. Ganz bestimmt.“, versuchte ich ihn auf zu muntern. Doch er wich von mir zurück und starrte mich sauer an. „Rik. Versteh mich nicht falsch. Ich will ja kommen. Zum Training und zum Battle, aber mein Vater will das nicht. Er sperrt mich zu Hause ein. Versucht wirklich alles um mich davon abzuhalten.“, flehend schaute ich ihm in die Augen. „Rik. Ich …“
„Lass es.“, sagte er nur, doch statt zu gehen schaute er mich weiter an. Wollte er noch etwas hören. „Hast du mich nur verarscht?“ Diese Frage traf mich aus dem heiteren Himmel.
„Nein!“, ich schrie es fast aus. Sofort wurden seine Züge weicher. „Rik. Wirklich! Ich habe dich nicht verarscht. Wenn ich es vorgehabt hätte, dann hätte ich sofort zu gestimmt. Aber warum sollte ich es überhaupt tun. Ich mein, ich mag dich. Sehr sogar. Da hab ich doch gar keinen Grund auch nur irgend…“, weiter kam ich nicht. Rik hatte mich gegen meinen Spind gedrückt und seinen Mund auf meinen gepresst. Mit seinen Händen stützte er sich links und rechts ab um mich nicht zu erdrücken.
Der Kuss war wunderschön und viel zu schnell machte er sich wieder los.
„Ich werde versuchen zu kommen.“, flüsterte ich doch hatte wenig Hoffnung. Rik nickte, sortierte seine Mine und ließ mich dann allein. Da ich keine Lust hatte auf die anderen Fächer ging ich einfach nach Hause. Schwänzte die letzten Stunden und heulte mich auf meinem Bett aus. Heulte, schrie und verfluchte meinen Vater.
Später war Chris in mein Zimmer gekommen und hatte sich neben mich gesetzt. Strich mir beruhigend über dem Arm und redete über irgendetwas Sinnloses. Ich hörte ihm eh nicht zu.
„Sole?“, fragte er schließlich und schaute mich an. Ich schaute nur zurück, meine Augen brannten heftig. „Wir schaffen das schon. Ich werde einen Weg finden wie wir dich zu diesem Battle bringen.“, er lächelte und ich hob leicht meine Mundwinkel.
Kapitel 11:
Die nächsten Tage waren die reinste Qual. Rik und ich sprachen kein Wort mehr miteinander, trotz des Kusses. Iain ließ sich auch in der Schule nicht mehr blicken. Wahrscheinlich hatte er von Rik gehört, was passiert ist und sah in dem ganzen keinen Sinn mehr.
Chris hielt sein Versprechen, dass er mich zu diesem Battle schaffen würde und erzählte mir was er sich ausgedacht hatte. Doch mehr als ein Schulterzucken bekam ich nicht hin, denn jedes Mal schnürte sich meine Kehle zu und Tränen traten in meine Augen.
Dieses Wochenende fuhr ich ins Krankenhaus um aus Riks Crew Brey besuchen zu gehen. Er war derjenige, der mich von Anfang an nicht in der Crew haben wollte und doch hatte er seine Meinung geändert. Nun brauchte ich aber seine Hilfe.
Entschlossen ging ich in dem Flur entlang zur Anmeldestation und erkundigte mich nach dem Zimmer wo Brey lag. Die Frau lächelte mich freundlich an und fragte, ob ich seine Freundin sei.
„Ähm, nein. Eigentlich nicht.“, sagte ich und biss auf meine Unterlippe. „Wir sind nur befreundet mehr nicht.“ Sie nickte wissend und wandte sich dann einem älteren Herrn zu. Eilig steuerte ich die Treppe an als die Fahrstuhltüren sich öffneten und ich gerade so hinein huschen konnte. So war es einfacher, als die vielen Treppen zu laufen.
Als ich an der Tür zu seinem Zimmer klopfte, spürte ich, dass ich leicht panisch wurde. Natürlich. Wie sah er wohl aus? Hatte er schlimme Verletzungen erlitten?
„Herein.“, rief Breys Stimme und brach dabei am Ende. Ich schlüpfte durch die leicht geöffnete Tür und blieb dann am Fußende seines Krankenbettes stehen. Seine Beine waren in Gips gewickelt und sein Kopf war ein einziger weißer Verband. Er trug eine Halskrause und sein linker Arm war ebenfalls eingegipst.
„Dein Blick sagt alles.“, schmunzelte er und tastete nach einer Fernbedienung die ihn in eine sitzende Position brachte.
„Du siehst wirklich nicht gut aus.“, sagte ich zögernd und setzte mich an die Kante seines Bettes.
„Naja, immerhin besser als manch andere.“, sagte Brey und versuchte verbissen sein Lächeln zu behalten. Es misslang ihm etwas. „Weswegen kommst du?“, fragte er schließlich um das Thema zu wechseln.
„Ich hab ein Problem.“, ich starrte auf sein linkes eingegipstes Bein.
„Ich hab’s schon gehört. Rik ist nicht sonderlich begeistert, macht sich vor allem Vorwürfe, weil er es nicht schaffen konnte irgendwie dich aus der Sache heraus zu ziehen“, Brey schaute unsicher auf den Fernseher der stumm vor sich hin lief. „Weiß du, wenn du einen Weg findest zu diesem Battle hin zu gehen, dann wärst du wahrscheinlich der Held der ganzen Schule. Glaub mir, Die wollen alle nur sehen ob du wirklich verbissen genug bist das zu tanzen.“, er schmunzelte wieder. „Sieh es als Aufnahmetest.“
Schweigend saß ich da und starrte weiter auf seinen Gips. Wartete, dass er vielleicht alleine darauf kam. Und irgendwann nach einer halben Ewigkeit hörte ich es in seinem Kopf klicken. „Du hast keine Ahnung wie du das machen sollst, richtig?“ Als ich nickte, seufzte er und trank einen Schluck aus einer Tasse.
„Ich brauch irgendeinen Plan. Und Chris hat mir versprochen ebenfalls zu helfen. Nur alle seine Vorschläge waren irgendwie nicht wirklich gut.“, sagte ich und schaute Brey nun an. Seine Mine war erfüllt von Kummer und Trauer.
„Ich würde ja so gerne irgendwas machen, aber ich kann leider nicht. Die lassen mich erst gehen, wenn ich wieder laufen kann. Was sicher noch etwas dauert.“, er zuckte die Schultern. „Sag du bist bei Maren, weil ihr für ein Projekt üben müsst. Und das ist sehr wichtig. Dann gehst du halt dahin und pennst anschließend bei Rik.“, schlug er vor und ich schaute ihn grübelnd an.
„Glaubst du, dass das meine Eltern schlucken werden? Die wissen wann der Battle ist und leider hab ich an dem Tag auch noch ein wichtiges Vortanzen beim Ballet.“, ich rümpfte die Nase und Brey musste lachen.
„Dein Dad soll ja richtig ausgerastet sein. Rik hatte schon schiss das er dich irgendwie schlägt oder so. Aber anscheinend ist das nicht passiert.“, sagte er und bemerkte nicht was er damit auslöste. Nein, er hatte mich nicht geschlagen. Zumindest nicht physisch, aber dafür psychisch. „Am besten wäre es ja noch, wenn dein Dad sehen könnte, was ihr tanzt. Und vor allem wie ihr tanzt. Vielleicht ändert er seine Meinung noch.“, Schultern zuckend ließ Brey seinen Blick zum anderen Krankenbett gleiten, schaute dann aber schnell wieder mich an. Ich schaute kurz hinüber und sah einen alten Mann dort liegen. Er sah noch schlimmer aus als Brey.
„Was ist mit ihm passiert?“, fragte ich leise.
„Wurde vom LKW erfasst. Glaub mir, der sah noch schlimmer aus und das ekligste ist, dass der Windeln tragen muss. Jedes Mal wenn sie ihm die wechseln stinkt es hier nach Scheiße.“, Brey gab ein würgenden Laut von sich und ich musste kichern. „Lach nur.“, sagte er und pikste mit seiner freien Hand in meine Seite. Entsetzt sprang ich auf.
„Ich werde dann am besten mal gehen.“, sagte ich und lächelte ihm zu. Brey nickte lächelnd und lehnte sich wieder zurück.
„Ich drück dir die Daumen.“, sagte er und dann war ich wieder auf dem Flur. Der typische Krankenhausgeruch stieg mir jetzt intensiver in die Nase und langsam machte ich mich auf den Weg nach Hause. Den Bus erwischte ich gerade noch so und seufzend ließ ich mich auf einen freien Sitzplatz am Fenster sinken. Meine Gedanken kreisten um einen Plan, wie ich zu diesem Battle kommen konnte, ohne dass meine Eltern Wind davon bekamen.
Im Foyer saßen einige Leute in den Sofas und starrten in das Feuer der Kamine oder schlürften Kaffee aus ihren Tassen. Am Tresen nickte ich dem Jungen zu, den ich angefahren hatte, weil er dachte, dass ich einbrechen wollte. Ein unsicheres Lächeln huschte über sein Gesicht, dann wandte er sich wieder ab. Ich hatte ihn wohl mächtig verschreckt. Im Fahrstuhl stellte ich fest, dass die Zahlen sich heute quälend langsam vorwärts bewegten und mein Magen auf einmal anfing zu kribbeln. Stirnrunzelnd suchte ich in meiner Handtasche nach dem Schlüssel und ging so mit gesenktem Kopf aus dem Fahrstuhl. Plötzlich rannte ich in jemand hinein und verlor das Gleichgewicht.
„Oh. Das nenn ich eine Begrüßung.“, sagte Rik und hielt mir seine Hand hin. Ich ergriff sie und ließ mich wieder auf die Beine ziehen.
„Danke.“, sagte ich lächelnd und schloss meine Tür auf, ließ sie aber offen stehen, damit Rik auch herein kommen konnte. Ich ging durch meinen Flur in mein Ankleidezimmer und schmiss meine Tasche auf den kleinen Tisch. Dann wühlte ich in meinen Klamotten nach einer Jogginghose und einem Top. Kurz zog ich mich um und ging dann wieder nach Vorne. Dort stand Rik in der Küche an der Anrichte gelehnt und starrte auf die schwarz-weißen Fliesen.
„Was führt dich her?“, fragte ich vorsichtig und öffnete meinen Kühlschrank. Ich nahm mir einen Erdbeerjoghurt und fing an ihn langsam zu essen.
„Jedes Mal wenn ich hier bin, isst du einen Fettarmen Joghurt. Muss ich mir jetzt auch noch Gedanken darüber machen, dass du abnehmen willst?“, fragte er leise und schaute mich endlich an. Doch seinen Blick erwiderte ich nicht lange, denn er hatte unbewusster weise genau ins Schwarze getroffen. Seit dem mein Vater so ausgerastet war hatte ich kaum noch etwas gegessen und mein Magen wollte auch nichts essen.
„Quatsch. Mir geht’s super. Nur nach diesem ekligen Gestank im Krankenhaus ist mir ein wenig der Hunger vergangen.“, sagte ich und hoffte, dass er diese Lüge schlucken würde. Er nickte und schaute wieder unsicher auf den Boden.
„Glaubst du, dass dein Vater wieder ausrasten wird, wenn er erfährt, das ich hier war?“, fragte er und schaute mich wieder an. Diesmal las ich Besorgnis in seinen dunklen Augen.
„Es wird schon nichts Schlimmes passieren. Ich hab seitdem nicht mehr mit ihnen gesprochen und sie haben auch keine Ahnung was ich die ganze Zeit tue. Also werden sie es jetzt auch nicht erfahren.“, sagte ich und zuckte mit den Schultern.
„Hör zu.“, Rick stieß sich von der Anrichte ab und kam zu mir. Er stellte sich direkt vor mich hin, sodass seine und meine Beine sich berührten. Unwillkürlich liefen mir wohlige Schauer über den Rücken. „Ich will nicht, dass du Ärger bekommst. Also sei ehrlich zu mir, ja?“ Seine dunklen Augen schauten in meine, schienen in ihnen zu versinken, aber zogen mich so magisch an. Ich spürte wie ich den Joghurt und den Löffel weg legte und mich so hinstellte, dass ich Rik sehr nah war.
„Ich war immer ehrlich zu dir, Rik. Du weißt, dass ich es hasse zu lügen. Außerdem hätte ich gar keinen Grund.“; sagte ich und lächelte leicht. Rik erwiderte das Lächeln und nahm mein Gesicht in seine Hände, zog mich noch näher heran. Mein Blick glitt von seinen Augen zu seinen Lippen und seufzend schloss ich die Augen. Dann endlich fand sein Mund meinen. Ich genoss das Gefühl seiner warmen, weichen Lippen auf meinen und spürte, wie er meinen Körper gegen seinen drückte. Nicht zu kräftig aber kräftig genug um mir jede Bewegung zu untersagen. Meine Arme schlangen sich um seinen Hals und er nahm mich auf den Arm. Angst davor runter zu fallen, schlang ich meine Beine um seine Hüfte und so küssten wir uns weiter.
Wie wir die Treppe rauf kommen um in meinem Bett zu landen konnte ich nicht sagen. Das Einzige was ich sagen konnte war, dass Rik und ich zusammen waren.
Kapitel 12:
Langsam wachte ich auf und spürte, dass Rik mit seinen Fingerspitzen sanft meinen Rücken rauf und runter strich. Ab und zu küsste er meine Schulter oder meinen Rücken, dann machte er weiter damit meinen Rücken zu streicheln. Lächelnd schlug ich die Augen auf und drehte mich zu ihm herum.
Seine dunklen Augen leuchteten und sein Gesicht war von einem fröhlichen Grinsen erhellt.
„Guten Morgen.“, sagte ich müde und er lachte brummend. Dann beugte er sich vor und küsste mich.
„Guten Morgen.“, sagte er dann doch und ich kuschelte mich an seine Brust. Behutsam legte er seine Arme um mich und deckte uns soweit zu, sodass ich nicht völlig nackt im Bett lag.
„Wieso bist du schon wach?“, fragte ich mit geschlossenen Augen und lauschte seinem Herzschlag.
„Chris kam heute Morgen rein und dadurch bin ich wach geworden.“, antwortete er und ließ seine Finger wieder auf meinem Rücken kreisen. „Du hättest mal sein Gesicht sehen sollen, als er uns hier liegen gesehen hat. Man hätte davon eigentlich ein Foto machen sollen.“, sagte er und lachte wieder. Wie ich das Lachen von ihm liebte war unglaublich. Ich schaute auf um ihm in die Augen zu sehen.
„War es sehr schlimm?“, fragte ich und er wusste sofort was ich meinte. Er lachte wieder und warf dabei den Kopf etwas nach hinten.
„Es war wunderschön.“ Er küsste meine Nasenspitze und dann meinen Mund. „Und wir müssen heute nicht zur Schule.“, sagte er und ich zuckte zusammen.
„Wieso das nicht?“, fragte ich verwirrt und schaute auf die Uhr. Wenn wir uns beeilen dann würden wir noch den Bus schaffen.
„Es gab einen Rohrbruch und die ganze Schule steht unter Wasser.“, murmelte er in mein Haar und atmete tief ein. „Deine Haare riechen gut.“ Lachend setzte ich mich auf und zog die Decke enger um mich.
„Wir haben miteinander geschlafen, die Schule fällt aus und alles was du dazu zu sagen hast ist, dass meine Haare gut riechen?“, fragte ich ungläubig und wollte entsetzt gucken, doch es gelang mir nicht. Ich musste lachen.
„Ja, ist das schlimm?“, fragte er mich und warf ein Kissen nach mir. „Ist doch besser als sich über die Schule zu unterhalten.“ Er streckte die Arme nach mir aus und zog mich wieder an sich. „Dein Dad wird mich umbringen, wenn er das erfährt. Das weißt du aber, oder?“ Die Erinnerung an meinen Vater ließ meine gute Laune und die glückliche Atmosphäre verpuffen.
„Ist doch egal?“, sagte ich etwas zu gereizt und kämpfte mich aus seiner Umarmung. „Was interessiert das denn meinem Vater? Gar nichts.“ Damit stand ich auf und tapste die Treppe herunter.
„Sole, jetzt komm wieder her. Das war doch nicht so gemeint. Ich mach mir nur sorgen um dich.“ Rik stand ebenfalls auf und folgte mir herunter. Als ich ihn mir so anschaute wurde ich rot und ging eiliger ins Ankleidezimmer. Er folgte mir natürlich, aber hatte sich immerhin unterwegs seine Boxershorts und eine Jeans an gezogen. „Wieso reagierst du denn so gereizt auf ihn?“
Ich kramte nach einem Top und zog dann ein blaues heraus. Kurz überlegte ich und zog es schließlich doch über. „Er hat mir verboten bei euch in der Crew weiter zu tanzen. Ich muss wegen ihm Ballet machen und dann wieder an Rachel denken.“, sagte ich und drehte mich zum Fenster. New York war am Abend wenn all die Lichter die Nacht erhellten viel schöner.
„Wer ist Rachel?“, fragte Rik. Natürlich er hatte sofort gemerkt, dass es mehr mit ihr zusammen hing, als mit was anderem.
„Rachel ist meine große Schwester. Naja, sie war es.“, sagte ich leise und drehte mich zu Rik herum. Der hatte hilflos die Arme neben seinem Körper hängen, während seine Haare in alle Richtungen abstanden.
„War?“, fragte er nach und trat vorsichtig an mir heran. Darauf nickte ich nur, denn der Kloß in meinem Hals hinderte mich daran ein Wort raus zu bringen. „Was ist passiert?“
„Rachel hatte einen Tumor im Kopf. Ich war zehn als sie starb. Es war nicht sehr schön, denn sie war das Liebste was mein Vater hatte. Meine Mutter, meinen Bruder und mich liebte er zwar auch, aber Rachel hat er vergöttert. Sie hatte mehrere Therapien gemacht um den Tumor zu entfernen, aber es hatte nichts gewirkt. Schließlich ist er richtig ausgebrochen, sodass sie während der Operation, die ihr vielleicht noch das Leben gerettet hätte, gestorben. Herz versagen.“, sagte ich leise und spürte wie die Tränen über mein Gesicht liefen. „Sie hat damals Ballet getanzt und war sehr begabt. Als ich drei Jahre alt war hatte sie mir beigebracht wie man Ballet tanzt. Am Anfang hab ich es nur gemacht, weil sie meine große Schwester war und mein großes Vorbild.“ Bei diesen Erinnerungen musste ich lächeln. „Und als ich schließlich fünf wurde hat mich das richtige Tanzfieber gepackt. Und als sie starb, ist unsere Familie eigentlich auch gestorben. Mein Vater zog sich zurück und nahm meine Mutter gleich mit. Chris und ich mussten so alleine zurechtkommen und uns um alles kümmern. Zumindest wenn es um uns ging. Als ich damals mit dem Tanzen aufgehört hatte, war mein Vater stocksauer gewesen. Er hatte mich zu Hause zum Tanzen gezwungen, er wollte, dass aus mir eine großartige Ballerina werden sollte. So wie Rachel es geworden wäre, wenn sie nicht so jung gestorben wäre. Irgendwann aber wollte ich das nicht mehr und er hat eingesehen, dass es keinen Sinn hat mich zu zwingen. Und jetzt macht er es wieder. Er will mich zur zweiten Rachel machen, will, dass ich wie sie werde, weil er sie so abgöttisch geliebt hat. Aber ich hab ihm an dem Kopf geworfen, dass ich das nicht will. Dass ich das auch niemals sein werde. Und seitdem reden wir kein Wort mehr.“, sagte ich leise und schaute Rik in die Augen. Stumm nahm er mich in den Arm und drückte mich sanft. Spendete mir Trost und ich ließ es zu. Seit Jahren hatte ich jeden Versuch von Chris und meiner Mutter mich zu trösten zurück gestoßen. Sogar den Trost meiner damaligen besten Freundin. Aber jetzt ließ ich es zu und genoss das Gefühl wie mir eine steinerne Last von den Schultern genommen wurde.
„Vielleicht solltest du mal mit ihm reden.“, sagte Rik und küsste meine Stirn. „Manchmal hilft das.“
„Ich will nicht mit ihm reden.“, sagte ich trotzig und stampfte tatsächlich mit dem Fuß auf. Rik schaute mich an und zog eine Augenbraue hoch.
„Nicht mal für mich?“, fragte er und zog einen Schmollmund. Lachend schüttelte ich den Kopf und schob ihn von mir.
„Ich werde es mir überlegen. Und jetzt hab ich Lust shoppen zu gehen.“, sagte ich grinsend und schnappte meine Handtasche. „Und du kommst mit!“ Rik verzog das Gesicht und darauf musste ich lachen.
„Das ist es was ich an dir so liebe.“, sagte er leise und schaute mich an. Verwirrt schaute ich ihn wieder an.
„Was?“, fragte ich und spürte wie mein Gesicht rot und heiß wurde.
„Erst einmal dein Lachen, zweitens Mal das du immer so niedlich rot wirst. Naja, ich liebe dein ganze Wesen, am meisten dein Charakter.“ Rik küsste mich und ich erwiderte ihn glücklich. Seine Hand ging unter mein Top und ich hielt sein Handgelenk fest.
„Nein, wir gehen shoppen.“ Damit zog ich ihn mit in den Fahrstuhl und später durch sämtliche Läden die New York zu bieten hatte. Und das waren einige.
Kapitel 13:
Gerade als ich durch die Tür kam und meine Tüten voller Klamotten in meinem Ankleideraum abgelegt hatte, klingelte mein Telefon. Verwundert darüber, dass mich jemand anrief, ging ich ran.
„Ja?“
„Sole, ich möchte mit dir reden, kannst du bitte einmal hoch kommen.“ Die Stimme meines Vaters hörte sich seltsam belegt an.
„Klar.“ Ich legte auf und schnappte mir meine Schlüssel und verließ die Wohnung. Vor der Tür meiner Eltern blieb ich stehen und atmete einen Augenblick tief durch. Schließlich drückte ich den Klingelknopf und wartete darauf, dass sie geöffnet wurde. Einen kurzen Augenblick später erschien mein Vater an der Tür und bat mich herein.
Im Wohnzimmer setzte er sich auf das Sofa und deutete mir, dass ich mich hinsetzten konnte.
„Ich stehe lieber.“ Gab ich zurück und beim Klang meiner Stimme zuckte er leicht zusammen.
„Bist du noch immer sauer auf mich?“, fragte er nach einem kurzen Augenblick. Statt etwas zu sagen nickte ich einfach nur. „Hör zu. Als du zu mir gesagt hast, dass du nicht Rachel bist, bin ich ausgerastet. Das tut mir leid.“ Wieder nickte ich nur. „Es stimmt, dass du nicht Rachel bist. Du bist störrischer als sie, sehr viel störrischer. Sie wollte es immer allen recht machen und hatte selbst auf ihr eigenes Glück verzichtet. Das machst du nicht, du achtest zwar sehr auf die Menschen um dich herum, aber du bekommst es immer dabei hin, dich selbst glücklich zu machen. Durch den Tod von Rachel ist auch ein Teil von mir gestorben. Und ich wollte sie wieder haben, wollte meine älteste Tochter wieder haben. Dabei habe ich ganz vergessen, dass du nicht sie bist, sondern Sole. Ich habe versucht dich zu Rachel zu machen, aber es ist mir nicht gelungen.“ Schweigend spürte ich seinen Blick auf mir.
„Was willst du mir eigentlich sagen?“, fragte ich und versuchte meine Stimme ruhig zu halten.
„Ich möchte dir sagen, dass ich dich in jeder Hinsicht unterstützen möchte, was tanzen angeht.“ Er nahm einen Schluck aus seinem Weinglas. Ein Gefühl der Hoffnung durchzuckte mich.
„Heißt das, dass ich zum Battle darf?“, fragte ich und ging einen Schritt auf ihn zu. Doch im nächsten Moment blieb ich wie angewurzelt stehen; der Blick meines Vaters hatte sich verhärtet.
„An diesem Tag ist in der Schule auch eine Ballettaufführung. Und daran wirst du teilnehmen. Beweg dich und fang an zu üben.“ Damit bedeutete er mir, dass ich gehen sollte. Tränen traten mir in die Augen und ich drehte mich herum. Die Tür schlug ich hinter mir mit einem lauten Knall zu und rannte die Stufen herunter, vorbei am Foyer und raus aus dem Haus.
Regen schlug mir ins Gesicht, doch ich ignorierte ihn. Ziellos lief ich durch die Straßen und Gassen, erreichte den Central Park. Dort begegnete ich vielen Joggern und Pärchen die zusammen mit ihrem Hund einen Spaziergang machten. Ich lief Achtlos über die Greens vom Golfplatz und weiter zu den Bäumen.
Währenddessen prasselte der Regen auf mich nieder und meine Haare klebten mir schon bald nass im Gesicht. Umständlich strich ich sie mir hinters Ohr und setzte mich dann an einen Baumstamm gelehnt auf den feuchten Boden.
Irgendwann hörte ich ein Wummern das durch den Park hallte. Es hörte sich wie eines der Lieder an, die wir beim Training zum Battle getanzt hatten. Neugierig rappelte ich mich auf und schlich mich heran. Auf einem freien Platz standen sicher fünfzehn Tänzer und bewegten sich elegant zu der Musik. Wie beim ersten Mal wo ich Street Dance gesehen hatte, war ich völlig von ihren Moves fasziniert und schaute ihnen schweigend zu. Irgendetwas sagte mir, dass mir die Leute bekannt vorkamen, als ich überraschend erkannte, dass es Iain und Rik waren.
Innerlich lachte ich mich selber aus, dass ich es nicht sofort erfasst hatte. Ich trat aus dem Schutz der Bäume und schlich mich näher heran.
Sie hatten die Choreografie etwas geändert und trotzdem haute der Tanz einen um. Nachdem sie geendet hatten, schwiegen sie eine Zeit lang und ich trat hervor.
„Was macht ihr denn so lange Gesichter? War doch super.“
„Sole!“ Rik und Iain stürmten auf mich zu, so wie der Rest der Crew. Iain hob mich hoch und drückte mich fest, Rik legte einen Arm um meine Schultern und grinste mich an. „Was machst du denn hier?“
„Ich schmiede Pläne, wie ich zum Battle kommen kann.“, gab ich Wahrheitsgemäß zu und bereute es sofort, als ich sah, dass Hoffnung in ihren Augen aufleuchtete. „Mein Vater soll wissen, dass ich nicht seine Marionette bin.“ Ein paar fingen bei dieser Aussage an zu murmeln und schauten mich an.
„Wehe du bekommst ärger.“, sagte Rik leise und ich musste lachen. Misstrauisch presste er die Lippen zusammen und legte den Kopf schief.
„Wirklich nicht.“, sagte ich und versuchte es ehrlich klingen zu lassen. Ob es mir gelungen war? Keine Ahnung. Rik hatte ein Pokerface aufgesetzt das nicht durchblitzen ließ, ob er mir glaubte oder nicht. „Ich weiß nur nicht, ob ich wirklich kommen kann.“, gestand ich schließlich, als er mich weiter nur stumm beobachtete.
„Hör zu, wenn du es nicht schaffst, wir haben unsere Choreographie. Und wenn wir nicht gewinnen, dann muss sich bei dir zu Hause definitiv etwas verändern. Wenn du aber kommst, dann sorge dafür, dass deine Eltern auch da sind. Sie sollen sehen, was wir zusammen alles geschaffen haben.“ Iain sah mich lächelnd an, doch der Ernst saß in seinen Augen. Unwillkürlich bekam ich eine Gänsehaut. Er meinte es bitter ernst.
„Ok.“ Ich räusperte mich und schaute dann zu Rik auf, der immer noch seinen Arm um meine Schulter gelegt hatte und mich anschaute. „Du kannst gerne was sagen.“
Einige lachten und alberten herum, fast so als würden sie aufgetaut sein, als wären sie ohne mich ein Eisblock gewesen. Seufzend strich ich mir die immer noch nassen Haare aus dem Gesicht.
„Hör zu. Ich werde alles Mögliche versuchen um zum Battle zu kommen, ja? Und wenn ich ärger bekomme, dann wird sich zu Hause etwas ändern. Versprochen.“, sagte ich leise und legte eine Hand auf seine Wange. „Er wird mir wirklich nichts tun.“ Durch Riks Körper ging ein heftiges Zittern. „Schsch.“
„Wenn er dir auch nur ein Haar krümmt, dann wird er das sein Leben lang bereuen. Dafür werde ich sorgen.“, flüsterte Rik gepresst und schloss die Augen. Er lehnte seine Stirn gegen meine und umfasste meine Hand die noch immer auf seiner Wange ruhte. „Pass auf dich auf, ja?“ Ich nickte und machte mich von Rik los. Es wurde Zeit, dass ich nach Hause kam um ein wenig zu üben.
14. Kapitel:
Ich betrat den großen Saal mit den gepolsterten Sitzen, die Stufenweise gebaut waren, damit auch jeder auf die Bühne schauen konnte. Undgeduldig zupfte ich an meiner Jacke und schob mir meine Tasche wieder auf die Schulter. Es waren schon viele Leute da und saßen ungeduldig auf ihren Plätzen. Sie freuten sich endlich wieder die Balletttänzer aus dieser Schule sehen zu können. So wie ich es verstanden hatte, war schon seit Jahren kein richtiges Vortanzen mehr zustande gekommen. Sie hatten zu wenige Tänzer gehabt. Mit mir hatten sie eine der jüngsten Balletttänzerinnen in diesem Kurs, vor allem die ganz Vorne mittanzte und die Hauptrolle in diesem Stück spielte. Zugegebenermaßen, war ich es nicht freiwillig, denn die Tanzlehrerin hatte es so aufgeteilt. Und laut ihrer Aussage gehörte ich schon in einen Profikurs, auch wenn ich nicht ganz so geschmeidig tanzte, wie die anderen Tänzerinnen.
„Aber das ist gut. Du bist nicht so steif und lustlos wie manch andere. Bei dir sieht man die Emotionen und man spürt sie selbst im Körper.“ Hatte sie einmal gesagt. „Das ist faszinierend.“ Dann hatte sie lachend mit dem Unterricht weiter gemacht. Heute hatte sie nicht ganz so gute Laune wie sonst immer und es schien sie zu stören, dass einige der Tänzer fehlten. Um genau zu sein fehlte fast die Hälfte aller Teilnehmer.
„Jean! Jean rufen Sie die Leute an! Wir müssen sie hier her bekommen.“ Ihre grauen Haare standen etwas wirr von ihrem Kopf ab und sie wuselte hinter der Bühne herum.
„Hey.“ Ich hielt meinem Tanzpartner meine Faust hin und er stieß seine dagegen.
„Die Meisten Tänzer können nicht, weil sie auf einmal Grippe haben und sich nicht wohl fühlen.“ Er schüttelte den Kopf und schaute in den Zuschauerraum. „Und uns bleibt nichts anderes als die Vorstellung abzusagen. Jetzt haben die Hip Hop Freaks natürlich die besseren Karten in die Zeitung zu kommen.“ Er verzog das Gesicht und setzte sich auf eine der vielen Kisten. Wartend schaute ich ihn an und hoffte, dass er noch schnell genug bemerkte, was er da eigentlich gerade gesagt hatte.
„Miss Cold! Ich hätte Sie anrufen sollen. Es tut mir leid, aber die Vorstellung fällt aus.“ Sie verzog traurig ihren Mund und schaute mich an.
„Das macht nichts.“ Ich lächelte. „Ich geselle mich dann mal zu meiner Crew von Hip Hop Freaks und mach mich bereit zu tanzen.“ Ein Seitenblick auf den Jungen und ich nickte ihr zu. Sie lächelte mich wissend an und ich drehte mich um und wollte gehen.
„Ich werde jemanden beauftragen ihre Eltern dorthin zu schicken. Sie werden denken, dass dort die Vorstellung ist.“ Meine Lehrerin zeigte mir beide Daumen und lachend verschwand sie hinter dem Vorhang.
Eine Crew nach der anderen war an der Reihe. Es waren nicht viele. Insgesamt nur neun Crews die Vortanzten.
„Alter, wenn sie nicht bald auftaucht, haben wir nen riesen Problem!“ Iain schaute Rik an. „Dir ist klar das wir dann nicht auf die Bühne dürfen, oder?“
Rik schaute seinen zurück gewonnenen besten Freund an und nickte. Iain hatte Recht und doch konnten sie nichts tun um sie her zu holen. Das Vortanzen war unumstößlich. Vielleicht würde es ja ausfallen, aber sie hegten wenig Hoffnung.
„Leute, sie war diejenige die uns hoch gezogen hat, als der Unfall war.“ Justin legte Rik und Iain einen Arm um die Schultern. „Sie wird kommen. Auch wenn ich sie nicht lange kenne, aber Tanzen ist ne gemeinsame Sprache. Und sie lebt fürs tanzen. Sie wird kommen.“
Die Beiden schauten sich an und dachten dasselbe. Sie wären beide gerne so zuversichtlich wie er gewesen.
Meine Eltern kamen gerade durch den Eingang in den Raum und sahen mich auf der Bühne sitzen. Von weitem konnte man sehen, dass sie nicht begeistert waren, dass ich noch nicht umgezogen war. Und das was ich ihnen zu sagen hatte, würden sie noch weniger gut finden. Aber sie mussten mit meiner Entscheidung leben.
„Sole was machst du denn vor der Bühne?! Du musst doch dahinter sein und dich warm machen. Die Vorstellung fängt gleich an.“ Meine Mutter kam auf mich zu und mein Vater drehte sich suchend um.
„Wieso ist es hier so leer?“
Ich sprang von der Bühne und landete vor meiner Mutter. Sie schaute mich erschrocken an und legte sich die Hand aufs Herz. Das tat sie jedes Mal, wenn sie etwas in meinem Blick sah was ihr angst machte.
„Die Vorstellung ist in einem anderen Raum.“, sagte ich mit ruhiger Stimme und schaute meine Eltern an.
„Nein. Es steht doch genau auf dem Zettel, dass die Vorstellung hier ist.“ Mein Vater zog verärgert die Augenbrauen zusammen.
„Dinge können sich ändern. Es ist nie so wie es geschrieben steht. Manchmal entscheidet man auch einfach spontan und stößt eine alte Planung einfach um. Das geht. Das ist hier der Fall.“ Mein Blick ging zur Uhr. Wir waren dran! „Wenn ihr zugucken wollt, dann geht dahin. Ich jedenfalls muss nun dorthin. Die Aufführung beginnt in einer Minute.“ Damit rannte ich los. Ich hoffte, dass ich nicht zu spät kam.
„Eigentlich waren es zehn Crews die hier auftreten sollten, aber da sich zwei Crews zusammen geschlossen haben, sind wir nun neun.“ Der Moderator des Battles drehte sich auf der großen, runden Bühne. Das Publikum johlte bei seinen Worten. „Ich hoffe ihr seid bereit für die NY-Punkdancers!“ Das Licht wurde gelöscht und er verschwand von der Bühne. Im Zuschauerraum war es still geworden. Alle warteten gespannt auf die Tanzeinlagen und Moves. Sie stellten sich auf. Rik und Iain an der Spitze neben einander. Die Anderen hinter sich. Ein Scheinwerfer ging an und die Musik schlug ihren ersten Takt, als Sole in den Raum platzte. Sie rannte wie eine Wilde und sprang auf die Bühne. Auf Knien rutschte sie genau zwischen Rik und Iain. Die Beiden schauten auf und wären am liebsten vor Freude ausgerastet.
Das Publikum johlte, weil sie dachten, dass gehöre zur Show.
Während die Crew loslegte mit ihrem Move, kamen Soles Eltern zu der Vorstellung. Sie blieben vor Entsetzen stehen und starrten die Jugendlichen an, vor allem aber ihre Tochter.
„Was tut sie da?!“ Ihr Vater brüllte es, doch es ging unter in der Musik. Nicht ganz. Jemand näherte sich ihm. Es war eine Frau mit grauen Haaren.
„Darf ich mich vorstellen? Ich bin Soles Ballettlehrerin. Sie hat ein außerordentliches Talent zum tanzen, aber nicht für Ballett. Hip Hop liegt ihr besser.“ Soles Vater wollte dazwischen reden, doch die Frau mit den grauen Haaren hob eine Hand und brachte ihm zum Schweigen. „Schauen Sie ihre Tochter an. Sehen Sie dieses Leuchten in ihren Augen? Das Grinsen in ihrem Gesicht? Sehen Sie wie enthusiastisch sie sich bewegt? Das Mädchen hat Spaß daran. Verderben Sie ihr das nicht.“ Die Frau nickte Soles Mutter zu und ging einfach zurück zu ihrem Platz ohne auf eine Antwort zu warten.
Ihre Eltern traten näher heran und sahen, wie ihre Tochter einen Handstand machte, dann in die Brücke ging und jemand darunter hindurch rutschte und die Beiden dann gleichzeitig in einem Handstand ihren Move beendeten. Das Publikum rastete aus und Soles Eltern stellten fest, dass das gar nicht so großer Mist war, wie sie dachten.
Als ich meine Eltern am Bühnenrand entdeckte und sah, dass meine Ballettlehrerin mit ihnen sprach, wäre ich am liebsten weit weggelaufen. Doch ich konzentrierte mich so stark auf das Tanzen, dass ich es einfach ausblendete.
Erst als wir geendet hatten, die Menge tobte und das Licht erlosch, kam ich zurück auf den Boden der Tatsachen. Der Moderator kam zurück auf die Bühne. Er lachte.
„Man, man, man. Das nenne ich mal eine verdammt geile Crew!“ Die Menge stimmte ihm jubelnd zu und Gänsehaut breitete sich auf meinen Armen aus. „Seid ihr dann auch alle meiner Meinung, wenn ich sage…“ Er machte eine Pause. „die Gewinner dieses Battles..“ Es schien, als hielte der gesamte Raum den Atem an. Und am liebsten hätte ich den Moderator angeschrien und ihm die Augen ausgekratzt warum er nicht einfach sagte, wer gewonnen hatte. „sind die NY-Punkdancers!“
Und kreischend sprang ich in Riks Arme. Er wirbelte mich herum und wir lachten beide. Iain war als nächster dran und der gesamte Raum jubelte.
„Wir haben es geschafft Jungs“, strahlte ich und zog alle in eine Gruppenumarmung. Wie am Flughafen. Heute konnte ich ohne traurig zu werden daran denken. Es war ein neues Leben, mein richtiges Leben. Mein Traum.
„Ja man!“ Iain und Rik gaben sich einen viel zu komplizierten Check und umarmten sich dann schließlich.
„Sole“ Die Stimme meines Vaters war direkt hinter mir. Ich drehte mich herum und sah ihn und meine Mutter abwartend an. „Ich möchte, dass du weißt, dass es mir leid tut. Wir, deine Mutter und ich, haben gesehen wie viel Spaß es dir macht. Und wir haben uns entschieden, dich in jeder Hinsicht zu unterstützen.“ Mein Vater lächelte und ich umarmte ihn lachend. Es hatte funktioniert und nun würde ich offiziell endlich Street Dance tanzen dürfen.
Epilog:
Wir überbrachten Brey und den anderen die gute Nachricht und feierten, als sie wieder entlassen wurden.
Rik und Iain waren noch unzertrennlicher geworden und führten die Crew, die jetzt noch riesiger war, zusammen und dachten sich die Moves aus. Chris hatten wir auch gleich mit aufgenommen, weil er eifersüchtig war, dass ich so viele Freunde hatte. Vor allem nur männliche. Außerdem wollte er ein Auge auf mich und Rik haben.
Ich hatte Iain ein paar Tage nach dem Battle gesagt, dass ich nichts für ihn empfand und er fand es in Ordnung. Er hatte sich eh in eine andere verliebt und deswegen wünschte er mir und Rik viel Glück. Dennoch bekam er einen Kuss von mir, den hatte er sich verdient. Rik hatte es natürlich gesehen, war aber nicht dazwischen gegangen, sondern hatte gewartet bis ich ihm alles erklärt hatte. Es waren gut zwei Wochen vergangen und Rik und ich saßen zusammen auf meinem Sofa und schauten uns das Video an, was die Leute dort von uns aufgenommen hatten.
„Ich fand deinen Auftritt so genial.“ Rik spulte zum hundertsten Mal vor. „Wie du da auf Knien zwischen uns rutscht und dann sofort los legst. Das war der Hammer!“ Er zog mich enger an sich und ich musste lachen.
„Tja, ich tanze halt gerne“, murmelte ich leise und krabbelte auf seinen Schoß.
„Das glaub ich dir sofort.“, lachte er und gab mir einen Kuss.
Ich bekam den Jungen, von dem ich immer geträumt hatte, ich durfte Street Dance tanzen und hatte tolle Freunde.
Es schien, als wäre mein Leben endlich normal und würde gut laufen. Und vielleicht würde ich irgendwann in einer Tanzschule Street Dance und Hip Hop unterrichten. Mein Traum. Weil ich fest daran glaube. Und jetzt lebe ich meinen Traum.
Tag der Veröffentlichung: 11.09.2010
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für alle von euch, die gerne tanzen und es lieben sich frei zu fühlen.