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Die zweite Versammlung

Am nächsten Morgen wurde Straga von Lenny aufgeweckt, der ihn an der
Schulter rüttelte.
Als Straga erst das eine, dann das andere Auge öffnete, sagte Lenny laut zu ihm: „Straga, beeil dich! Wir müssen los!“
Straga richtete sich langsam und fragte verwirrt: „Wir müssen los? Wohin denn?“
„Ist das nicht klar?“, fragte Lenny mitleidig, „Wir müssen zu Jeans und ihm erzählen, was wir herausgefunden haben! Du weißt schon, dass Scape die Macht liebte und so… Jetzt beeil dich, bevor die Füchse aufwachen!“
Stöhnend stand Straga auf, zog sich an und verließ dann mit Lenny das kleine Zimmer.
Es war nicht leicht, unbemerkt aus der Burg heraus zu kommen.
Fast in jedem Gang standen ein oder zwei der Kinder, die zu den Füchsen gehörten.
Sie mussten Umwege nehmen, was das ganze verzögerte.
Glücklicherweise waren die beiden an den Abenden oft zusammen durch die Burg gewandert und so kannten sie sich schon genug aus, um den Weg zum Tor zu finden.
Als sie schließlich draußen auf der Gasse angelangt waren, gingen sie geradewegs ins Gasthaus zum silbernen Barschen, in dem Jean eines der Zimmer bewohnte.
Der Wirt war sichtlich verwirrt, dass zwei Jungen schon so früh morgens in seine
Kneipe kamen.
Er sah ihnen kopfschüttelnd nach, als sie die schmale Treppe hinaufeilten.
Sie befanden sich nun in dem Flur, an dessen Ende eine Tür war, die in Jeans
Zimmer führte, was noch kleiner war als ihr eigenes, in der Burg.
Als er ihnen schließlich schlaftrunken öffnete, starrte er sie mit großen Augen an und fragte verwundernd: „Was wollt ihr so früh denn schon hier? Ist irgendwas passiert?“
„Wir haben Falio gefragt, was scape sich immer am Meisten gewünscht hat und er hat gesagt, dass er sich immer nach Macht gesehnt hat. Und das wollten wir dir…“
Jean kümmerte es nicht, wer Falio war oder was Lenny noch zu sagen hatte, denn im selben Moment packte er sie beide und zog sie in sein Zimmer, hinter ihnen verschloss er sorgsam die Tür.
„Also, Lenny“, meinte er, „Du sagst, dieser Falio hat gemeint, Scape sei
Machtversessen gewesen?“
Lenny nickte und sah ihn besorgt an. „Ist das wichtig, also, ich meine, ist das schlimm?“
„Ob das schlimm ist? Nun, es wird die Sache nicht gerade erleichtern. Die Kette, Ayelda, wird nicht die ganze zeit über volle Macht über seinen Körper haben, nur in bestimmten Zeitabschnitten. Wenn er ihm jedoch etwas anbietet, was Scape sich immer gewünscht hat, wird er tun, was die Kette, also Malock, ihm befehlen wird. Also wird es wohl nicht ohne Bedeutung sein, vielen Dank, Lenny. Und Straga“, fügte er mit einem Seitenblick auf Straga hinzu.
Die drei hatten sich auf Jeans Bett niedergelassen und sahen sich nun besorgt an.
„Was…was machen wir jetzt?“, fragte Straga Jean, der die Stirn runzelte.
„Wir werden erneut ein Treffen einberufen. Das wollten wir sowieso, aber erst später. Was meint ihr, wird es kalt werden, wenn wir in ein paar Tagen losgehen?“
Oh ja, das würde es. Schließlich hatte der Winter gerade erst angefangen und würde nicht nach einigen Tagen abklingen, er antwortete also: „Ja, es wird sehr kalt werden! Der Winteranfang war erst kürzlich und der Winter wird sich sicher nicht nach uns richten!“
Jean schien einen Moment lang zu überlegen, dann meinte er leise: „Wir müssen den anderen Bescheid sagen!“


Straga, Lenny und Jean waren auf dem Weg in den Glaspalast.
Jean hatte ihnen gesagt, die anderen Auserwählten wüssten bereits bescheid, weshalb sie sich sofort auf den Weg gemacht hatten und nun bereits in dem seltsamen Urwald, mitten in der höhle, waren und den hohen Turm aus Glas bereits vor sich sahen.
Es dauerte nicht lange, bis sie auch schon in dem Raum mit den vielen Spiegeln waren.
Sie nahmen Platz und mussten auch nicht lange warten, bis Agor und Aria erschienen.
„Na, wie geht es euch, meine Lieben?“, fragte Aria sie auf ihre liebevolle Art, Agor nickte nur zur Begrüßung.
„Kommt Tabor später?“, fragte Lenny und Agor sah ihn kurz an, ehe er sich wieder dem Gespräch zuwandte, das er und Aria führten.
„Was ist? Wann kommt er?“, fragte er abermals und Jean beugte sich zu ihm hinab, um ihm ins Ohr zu flüstern: „Er ist bereits gegangen. Er hat keine Magie in sich und lebt nicht in der Nähe, der Höhle, kann also auch nicht so schnell erscheinen.“
Lenny runzelte die Stirn und fragte weiter nach.
„Aber wie soll er dann wissen, wann wir…“
„Wir wollen beginnen!“, sagte Agor mit einem mal laut und Lenny wurde rot und schwieg.
„Wie Jean uns berichtete, hat er von Lenny und Straga erfahren, dass der Junge mit der Kette Ayelda, Scape, machtbesessen war. Das würde uns nicht groß stören, wenn er die Kette Ayelda nicht hätte, die, wie ihr wisst, die Kontrolle über seinen Körper nicht immer haben wird. Wenn er dem jungen jedoch vorlügt, er könne ihn zum König des ganzen Landes machen, würde er alles dafür tun, selbst wenn er weiß, dass es gar nicht
möglich ist. Der Geist der Kette wird ihn kontrollieren und ihn völlig beherrschen, ihr wisst, was das bedeuten würde. Wir müssen ihn also so schnell wie möglich finden und vernichten. Wie Straga Jean jedoch berichtete, ist der Winter angebrochen und außerhalb der Stadt ist es eisig. Ich kann die Kälte zwar etwas verhalten, doch nicht dauerhaft. Was also meint ihr? Wollen wir es riskieren und trotzdem bald schon aufbrechen, um Scape und seinen Schatz, die Kette mit Malocks Geist, zu finden und zu vernichten. Was meint ihr dazu?“
Es gab zustimmendes Gemurmel und Straga fragte sich, wie Agor es bewerkstelligen wollte, dass die Kälte ihnen fern blieb. Aber da fiel ihm ein, dann der alte Mann ja ein Magier war und es wahrscheinlich mit einem Zauber schaffen könnte.
Als alle schließlich die Hand hoben, schlossen sich auch Straga und Lenny an.
An diesem Tag wurde noch so einiges besprochen:
Was wäre, wenn sie scheitern würden (darauf ging Agor jedoch nicht drauf ein), wie lange Agor ihnen die Kälte vom Leibe halten konnte, wie viel Proviant sie mitnehmen sollten und was sie sonst noch mit sich tragen mussten.
Zwischendurch teilte Agor etwas Fleisch aus, wovon Aria jedoch nichts anrührte, sie entschied sich, in den Dschungel zu gehen und dort nach Kräutern zu suchen.
Während sie aßen und Aria fort war, erzählte Jean ihnen, dass Elfen kein Fleisch aßen, da sie nur ungern ein Tier erlegten, nur wenn es litt und sie ihm die Qualen ersparen wollten.
Als sie am Abend auf dem Weg in die Stadt waren, war beschlossen, dass sie in zwei Tagen aufbrechen würden.


Vorbereitungen

Straga und Lenny waren zu Joe gegangen und hatten ihm gesagt, dass sie ein gutes Gasthaus gefunden hatten und nun nicht mehr in seiner Burg schlafen mussten. Es schien ihn nicht zu stören. Anschließend nahmen sie sich ein Zimmer im silbernen Barschen, in dem auch Jean ein Zimmer bezog. Noch am selben Tag gingen sie zu dritt auf den Markt, um etwas zu kaufen, das nicht so leicht verderben würde, da sie es auf der Reise mitnehmen würden.
Es erwies sich als schwerer, als sie gedacht hatten, da das meiste gepökeltes Fleisch war, was die Elfe Aria jedoch nicht aß. Als sie am Abend in den silbernen Barschen zurückkehrten, trugen sie haufenweise Reis und Kartoffeln mit sich.
Der Wirt schaute die Drei verwundert an und fragte dann zu ihnen. „Wollt ihr das alles essen?“
Jean schüttelte den Kopf und meinte: „Wir werden auf eine lange Reise gehen und brauchen etwas, was nicht so schnell verdirbt.“
„Warum kauft ihr dann kein gepökeltes Fleisch?“, schlug der Wirt ihnen vor, „Das hält sich sehr lange!“
„Eine Elfe reist mit und sie muss schließlich auch etwas essen. Elfen essen kein Fleisch. Also haben wir diesen Reis und die Kartoffeln gekauft. Für mehr hat unser Geld auch gar nicht gereicht.“
Der Wirt betrachtete die drei kurz, dann sagte er: „Wartet hier!“, und in sein Hinterzimmer verschwand.
Nach kurzer Zeit kehrte er zurück und reichte Jean eine Tüte.
Sie war randvoll mit Trockenfleisch.
„Weil ich nie einen besseren Kunden hatte, wie dich, Jean!“, fügte er deren fragenden
Blick hinzu und grinste sie an. Jean bedankte sich und die Drei stiegen die schmale Treppe hinauf. Jean nahm das Fleisch mit in seinkleines Zimmer, Straga und Lenny den Reis und die Kartoffeln in ihr gemeinsames Zimmer, das etwas größer war und so mehr Platz bot.
Am nächsten Morgen gingen Straga, Lenny und Jean gemeinsam hinunter und Jean brachte etwas Brot mit, das sie dann verspeisten.
Anschließend traten sie hinaus auf die Straße.
Es war ein schöner Tag; die Sonne schien und es war nichts davon zu merken, dass es
Winter war. Wenn sie doch nur immer hier bleiben könnten, dachte Straga.
Doch natürlich war das unmöglich! Er war Waldläufer und außerdem hatte er eine Aufgabe zu erfülle, er musste gemeinsam mit Jean, Aria, Agor, Tabor und Lenny diesen Scape finden, der die Elfenkette Ayelda bei sich trug.
Obwohl…Lenny?
Was hatte der damit zu tun?
Er war kein richtiger Waldläufer, fand Straga, also konnte er gehen, wohin er wollte und brauchte ihn und die anderen auch nicht mit ins Nebelgebirge zu folgen, in dem Agor
Scape vermutete. Er musste sie nicht führen, dass tat er selbst bereits.
Lenny konnte tun und lassen was ihm lieb war.
Aber konnte er den achtjährigen Lenny einfach so fortschicken?
Nein, das konnte er nicht, er würde es nicht übers Herz bringen.
Der kleine, achtjährige, nervige Lenny war für ihn schon fast so etwas wie ein Bruder.
Ein…Bruder.
Er versuchte, das Wort nicht zu denken, zu viele Erinnerungen kamen ihm da in den Sinn.
Nie wieder wollte er daran denken, nie wieder!
Als die Drei beim Markt angekommen waren, sahen sie sich jedem Stand genau an.
Sie suchten nach etwas für ihre Reise, das weniger kostete, als drei Kupfermünzen, mehr war von ihrem Geld nicht übrig geblieben.
Sie schauten wirklich bei jedem Stand nach, bei denen der Menschen so wie der Elfen, doch ohne Erfolg. Es schien einfach nichts zu geben, das ihrem Münzbetrag entsprach.
Also mussten sie mit dem auskommen, was sie bereits am Vortag gekauft hatten.
Es musste gehen.
Als Straga, Lenny und Jean am späten Nachmittag zurückkehrten, gingen sie sofort in ihre Zimmer und legten sich schlafen. Der Tag war so anstrengend gewesen, dass Lenny es nicht einmal fertig brachte, sich die Schuhe auszuziehen, ehe er ins Bett stieg und sich in der warmen Decke vergrub.
In der Nacht träumte Straga einen Traum, den er schon viele Male hatte.
In den Traum befand er sich abermals in der Mine, um ihn herum war alles in Dämmerlicht getaucht. Die Wände bestanden aus massivem Stein und mehrere Gänge führten noch tiefer in den Berg hinein, sie führten geradeaus, hinauf und hinab, in alle Richtungen.
Es wer wie ein Labyrinth, das tief unter der Erdoberfläche war. Es war kalt und doch war die Luft stickig und der Gestank war kaum auszuhalten. Schrecklich!
Er war nur eines der Tausend Kinder, die hier unten ihre Arbeit verrichten mussten.
Er und die anderen mussten in den Berg nach Edelsteinen suchen, die dann anschließend mit Karren nach oben ans Tageslicht gebracht wurden und dann nach Kesselstadt gebracht wurden, wo sie in der Burg des Edelfürsten landeten. Neben ihm stand ein kleiner, zitternder Junge und hielt eine Spitzhacke in den Händen, mit der er auf den Fels einhieb und vergeblich nach Kostbarkeiten suchte. Ja, wer in der Miene arbeiten musste, hatte verloren.
Und wer erst einmal drin war, kam nie wieder heraus…
Es war die Hölle. Der Junge neben ihm sackte mit einem Mal in sich zusammen und seine Hacke fiel klappernd zu Boden. Als Straga von seiner eigenen Arbeit aufsah, sah er zwei Wachen, die auf den Jungen zueilten, seine Brust abhörten und ihn dann fort trugen.
Fort, an einen Ort, an den sie alle Toten brachten.
Straga schreckte schweißgebadet aus dem Schlaf und das einzige, was noch von dem Albtraum in seiner Erinnerung geblieben war, war das Gesicht des toten Jungen, sie waren leer, ohne Leben.

Den letzten Tag, der ihnen noch bis zur Abreise blieb, nutzen sie sinnvoll.
All den Reis, die Nudeln und das Trockenfleisch, was der Wirt des Goldenen Barschen ihnen überlassen hatte, verstauten sie in drei Rucksäcke.
Doch da das ganze nicht sehr lange dauerte, nahmen Straga und Lenny sich vor, in die Burg der Füchse zu gehen, um ein wenig mit Falio zu plaudern, den sie sehr nett fanden.
Es wurde ihnen jedoch ein Strich durch die Rechnung gemacht.
Als die Beiden fast vor dem riesigen, dunklen Gebäude angelangt waren, kam Jean durch eine Seitengasse auf sie zu gerannt und rief ihnen etwas zu, was sie jedoch nicht verstanden, da er noch zu weit entfernt war. Als er dann näher kam, verstanden sie seine Worte besser.
„Wir müssen sofort weg von hier! Sie schließen das Tor und verhaften jeden,
der hindurch will!“
Straga und Lenny sahen sich verblüfft und entsetzt an, warteten dann noch auf Jean, bevor sie mit ihm fortrannten, in Richtung Tor.
Im Laufen fragte Lenny Jean: „Warum schließen sie das Tor und verhaften jeden, der hindurch will?“
Doch Jean schüttelte nur den Kopf und sagte keuchend: „Später!“
Sie rannten durch die Straßen und warfen dabei Stände um, die so manche schmale Gasse säumten und deren Händler ihnen wüste Beschimpfungen und Drohungen nachriefen.
Straga verstand gar nichts mehr.
Warum schlossen sie das Tor?
Er blickte geradeaus und da war es auch schon.

Aus der Stadt

Mit Schrecken sah er, dass es bereits zur Hälfe geschlossen war und sich die beiden Torflügel nun immer weiter aufeinander zu bewegten.
Würden sie es rechtzeitig schaffen?
Als die Drei es keuchend erreicht hatten war nur noch ein kleiner Spalt zu erkennen, der jedoch groß genug war, um sich noch hindurch zu rennen.
Auf der anderen Seite blieben sie keuchend stehen und hielten sich die schmerzenden Seiten.
Straga drehte sich um und betrachtete das große Tor, das sich hinter ihnen geschlossen hatte.
Sie waren draußen.
„Was…warum wurde es denn überhaupt geschlossen?“, fragte Lenny Jean, der sich umsah.
Nach einer kurzen Pause kam dann die Antwort. „Es gibt einen neuen Fürst. Es ist der Bruder des Edelfürsten und als er erfuhr, dass sein älterer Bruder gestorben ist, machte er sich auf, um seinen Posten zu übernehmen. Heute ist er in der Stadt angekommen und hat sich sofort daran gemacht, alles einwenig zu verändern und dazu gehört auch, dafür zu sorgen, dass niemand die Stadt betritt oder sie verlässt, als Schutz vor zu vielen Dieben und Bettlern.
Als ich es gehört habe, habe ich euch sogleich gesucht, um euch zu warnen und dann zu dritt Kesselstadt zu verlassen.“
Straga und Lenny starrten ihn fassungslos an.
„Ein neuer Fürst?“, fragte Lenny.
„Dass niemand die Stadt betritt oder sie verlässt?“, fragte Straga.
Jean nickte betrübt und Straga meinte überrascht: „Aber wie sollen dann neue Händler in die Stadt gelangen und wie sollen die alten neue Ware bekommen? Wenn nichts in die Stadt rein oder raus kann, wie sollen es dann die ganzen Waren; Lebensmittel, Medikamente, Hygieneprodukte? Wie soll das gehen?“
„Gar nicht“, antwortete Jean mit ruhiger Stimme.
„Wenn er will, dass seine Bürger verhungern und an Krankheiten sterben, will ich ihn nicht aufhalten“, sagte Lenny und schaute finster hoch zum Tor.
„Lasst uns erst einmal einen sicheren Platz suchen, an dem wir ein Lager errichten können und dann möchte ich gerne eine Nachricht an Agor schicken, dass wir nichts dagegen hätten, schon heute, anstatt morgen, los zu gehen.“
„Und was ist mit den ganzen Sachen, die wir gekauft haben, mit dem Reis, den Nudeln und dem Trockenfleisch des Wirtes? Das ist alles noch im Goldenen Barschen.“
Jean zuckte mit den Schultern. „Es wird ohne sie gehen müssen.“
Straga und Lenny sahen sich an, nickten dann aber.
Und so machten sich die Drei auf, einen sicheren Lagerplatz zu suchen.
Es dauerte nicht lange, da hatten sie auch schon auf einer kleinen Lichtung, mitten im Wald, der an Kesselstadt grenzte, ein kleines Feuer entfacht und brieten einen großen Fisch, den Jean aus einem Bach gefischt hatte.
Als er fast fertig war, erhob Jean sich von dem Baumstamm, auf dem es sich die Drei gemütlich gemacht hatten, und sagte: „Ich schicke eine Nachricht an Agor, Aria und Tabor. Ihr könnt hier warten, aber falls der Fisch fertig sein sollte, bevor ich zurück bin, lasst mir etwas übrig, verstanden?“
Straga nickte und musterte den Fisch, der auf einem langen Stock über der
Flamme briet. „Wird noch einige Minuten dauern.“
Jean ging ein Stück in den Wald hinein und blieb schließlich an einer dicken Eiche stehen.
Er hielt den Kopf an den Stamm und schloss konzentriert die Augen.
Und dann flüsterte er leise: „Wir sind auf einer kleinen Lichtung, im Norden des Waldes, der an Kesselstadt grenzt. Wir mussten raus aus der Stadt, genaueres später. Könnt ihr kommen?“
Die Worte sprach er immer wieder, bis er schließlich den Kopf von der harten Rinde des Baumes löste und in den Wald starrte, ehe er sich zum gehen wandte.

Straga hob den Kopf.
Aus dem Schatten der Bäume löste sich ein Schatten, doch beim genaueren Hinsehen, bemerkte er, dass es nur Jean war.
„Und? Hast du ihnen die Botschaft geschickt…wie auch immer du das getan hast?“
„Ja, das habe ich“, beantwortete Jean Lennys Frage und gesellte sich zu ihnen.
Als er die Stückchen Fisch in ihren Händen bemerkte, griff er ebenfalls nach dem Fisch und riss sich eines ab.
Nie hatte er köstlicheres gekostet.
„Wie hast du denn jetzt eigentlich diese Nachricht verschickt? Hier, mitten im Wald, wirst du wohl kaum einen Kurier gefunden haben!“
Jean grinste verschmitzt und meinte: „Nein, ich brauchte keinen solchen Botschafter.
Als Waldläufer müsstet ihr das eigentlich wissen! Die Elfen haben es erfunden.“
„Wir sind halt noch nicht lange…“, versuchte Straga sich zu verteidigen.
„Schon gut, schon gut. Also, es gibt auf der Welt ein komplettes Netzwerk. Ihr müsst einfach eure Nachricht in einen Erdspalt, einen hohlen Baum oder sonst etwas rufen, das Echos wirft. Diese Echos werden dann immer und immer weiter verteilt und dringen dann irgendwann hinaus. Der Nachteil ist dabei, dass jeder sie Botschaft hören kann, manchmal ist es aber auch ganz nützlich. Versteht ihr?“
Straga nickte.
„Aber wenn jemand es hört, für dessen Ohren es nicht bestimmt ist? Was ist, wenn der, der die Botschaft empfangen soll, keinen Echoleitenden Gegenstand in der Nähe hat?“, wollte Lenny schockiert wissen.
„Nun ja, es ist eben ein gewisses Risiko. Aber bald wirst du erfahren, wie nützlich es ist, glaub mir!“
Lenny senkte nachdenklich den Kopf, während Straga sich mal wieder über die Vielfalt der Natur wunderte. Dass Bäume zu so etwas fähig sein konnten…
Als der Fisch vollends aufgegessen war, warteten die Drei auf ihrem Baumstamm und
starrten in den Wald hinein, der langsam immer dunkler wurde. Nach einiger Zeit sagte Jean leise: „Selbst wenn Agor und Tabor meine Nachricht nicht bekommen haben, Aria hörte sie bestimmt. Elfen verlassen nur selten und ungern den Wald, sie sind mehr mit der Natur verbunden, als alle glauben. Und im Wald gibt es sehr viele Erdspalten oder hohle Bäume.“
Darauf sagte niemand etwas, jeder hing seinen Gedanken nach.
Und so warteten sie darauf, dass die anderen bald kommen würden.


Abreise

Straga schreckte erschrocken hoch.
Eine Gestalt hatte sich aus der Dunkelheit der Bäume gelöst und stand nun ganz still da, kaum zehn Meter von ihm entfernt. Die Gestalt hob den Arm und kam langsam näher.
Straga kniff angestrengt die Augen zusammen und versuchte zu erkennen, wer es war.
Es war eine Frau, das erkannte er an den langen Haaren.
Sie bewegte sich lautlos über den Boden, ihre Schritte waren nicht zu hören und
doch gab es sie.
Es musste eine Elfe sein.
Und tatsächlich, wenig später erkannte er Aria, die sich schweigend neben ihn setzte und
ihn betrachtete.
„Welch eine schöne Nacht“, sagte sie mit leiser, melodischer Stimme und senkte den
Kopf zum Gruß.
„Ja, schöne Nacht“, wiederholte Straga leise und schaute zu Jean und Lenny, die neben den Baumstamm im Schnee lagen und friedlich schliefen.
„Lass sie schlafen“, flüsterte die Elfenprinzessin liebevoll, „Agor kommt auch bald. Wann Tabor eintrifft, weiß ich nicht. Ich bin ihm nicht begegnet, aber ich vermute, auch er wird bald erscheinen.“
Straga wusste nicht, was er sagen sollte, also nickte er nur kurz und dann schwiegen sie beide.
Schon nach wenigen Minuten kam auch schon die zweite Gestalt auf sie zu, Agor.
„Da bin ich“, sagte er mit seiner tiefen Bassstimme und setzte sich zu ihnen.
„Schlafen Jean und Lenny? Wenn ja, lass sie, wenn sie müde sind. Oh, gute Nacht, meine Liebe Aria. Ist Tabor auch schon da?“
Straga schüttelte den Kopf und fragte dann: „Sollen wir sie nicht doch vielleicht aufwecken?“
Agor seufzte und nickte dann. „Ja, vielleicht hast du Recht, mein Freund. Aber ich will später nicht schuld sein, wenn sie im Gehen einschlafen!“
Aria lächelte und Straga stupste Jean vorsichtig an, dem achtjährigen Lenny wollte er
schlafen lassen. Schließlich öffnete Jean träge die Augen, gähnte laut und streckte die Arme.
„Was ist denn – Agor! Aria! Ihr seid da.“
Er rappelte sich auf und setzte sich ebenfalls auf den Baumstamm.
„Habt ihr meine Botschaft erhalten? Kommt Tabor auch gleich?“
Agor zuckte mit den Schultern. „Ich und Aria haben ihn nicht getroffen, wahrscheinlich braucht er nur etwas länger. Beruhige dich erst einmal, Jean!“
Jean seufzte einmal tief und schwieg dann.
Nach Stunden, so kam es Straga vor, sprach Agor.
„Ich denke, Tabor wird nicht mehr kommen. Wir sollten uns auf den Weg machen.“
Keiner sagte etwas, bis Aria schließlich nickte und sich erhob, wonach langsam die anderen auch aufstanden.
Jean weckte Lenny, der sofort Feuer und Flamme war, als er hörte, dass es jetzt
losgehen würde. Straga war weniger begeistert.
Er musste die Gruppe anführen, wenn jemandem etwas zustieß, würde man ihm die Schuld dafür geben, nur ihm und keinem anderem. Auf ihm lastete eine große Verantwortung.
Und dann ging es auch noch ins Nebelgebirge.
Agor schaute zu Jean hinüber und meinte: „Du wolltest uns noch den Grund nennen, warum ihr drei so schnell die Stadt verlassen musstet. Und überhaupt, wo ist die Nahrung, die ihr besorgen solltet?“
„Nun ja, es gibt einen neuen Fürsten, der das Tor geschlossen hat und niemanden in die Stadt herein oder hinaus lässt. Und die Sachen sind noch in dem Gasthaus, in dem wir ein Zimmer hatten, da wir erst vor wenigen Augenblicken erfahren haben, dass das Tor geschlossen wird und keine Zeit mehr hatten, sie zu holen. Wir müssen wohl ohne sie auskommen.“
„Na gut, dann hoffe ich, dass ihr genug Münzen mitgebracht habt, denn meine Vorräte sind nicht sehr viel und was Aria bei sich trägt, weiß ich auch nicht. Aria?“, sagte Agor und warf der Elfe einen fragenden Blick zu.
„Ich habe eine Goldmünze und drei Silber“, zählte sie rasch in der Hand zusammen und steckte es sich dann zurück in die Tasche, die sie am Körper trug. „Außerdem habe ich noch etwas Elfenwein und einige Büschel getrocknete Kräuter. Mehr aber auch nicht.“
„Das wird wohl für ein- zwei Tage reichen“, sagte Jean leise, „Ich habe noch drei Kupfer. Straga, Lenny, Was habt ihr so dabei?“
Lenny schaute kurz zu Straga hinüber, ehe er antwortete: „Ich habe gar nichts.“
Straga steckte die Hand in seinen Beutel, den er aus Gewohnheit immer auf seinem Rücken trug, zum Glück. Was er herauszog, waren seine gewöhnlichern Gegenstände, aber keine Münzen.
Mutlos schüttelte er den Kopf. „Ich habe auch keine einzige Münze mehr. Alles was ich dabei habe sind nur mein Messer und meine Decke.“
Sie sahen sich alle an und schließlich sagte Aria: „Es wird gehen.“
„Ja, Aria, es wird gehen. Aber für wie lange?“, warf Jean dazwischen und schaute betrübt zu Boden.
„Aria hat Recht, es nützt nichts, Trübsal zu blasen. Wir müssen uns auf den Weg machen, meinte Agor bestimmt und alle nickten.
„Was ist mir Tabor?“, wollte Lenny wissen und Agor, Aria und Jean wechselten einen schnellen Blick, ehe Aria sagte: „Lenny, er wird wahrscheinlich später kommen. Aber jetzt müssen wir wirklich los, wenn wir verhindern wollen, dass dieser Menschenjunge Scape, der Träger der Elfenkette Ayelda, an die Macht gelangt und der König Malock, der in dieser Kette seine gesamte Macht und seinen Geist aufbewahrt hat, die Welt in ein dunkles Chaos stürzt.“
„Aber er wird den Elfen doch nichts tun, oder? Schließlich ist er selber einer und ich habe gehört, dass Elfen nichts mehr hassen, als Kampf und Krieg.“
Aria seufzte. „So wie unter euch Menschen gibt es auch unter uns welche, die die macht lieben und für sie alles tun würden. Oder glaubst du, ein Elf, dessen Seele rein ist, würde den Wunsch verspüren, seine gesamte Lebenskraft und Magie in eine Kette zuschließen, sodass sie niemals verkommt? Und außerdem ist er ein Moorelf, oder…er war es.“
Lenny sah zu Boden und schüttelte verlegen den Kopf. Aria nickte.
Agor räusperte sich und meinte: „Wollen wir jetzt los? Straga, du kennst den Weg.
Also, wo geht es lang?“
Straga sah sich suchend um. „Das Nebelgebirge liegt im Norden. Wir müssen also…in diese Richtung.“
Er weiß mit dem Finger in eine Richtung, von der er sich ganz sicher war, dass es Norden war, das konnte er am stand der Sonne feststellen.
Agor nickte zufrieden und sie machten sich auf den Weg.
In der ersten halben Stunde geschah nichts Besonderes.
Sie gingen vorbei an Kesselstadt, deren Tor nun geschlossen war und auf dessen Türmen Wachmänner Ausschau hielten, die misstrauisch zu ihnen hinab lugten, als sie an ihnen vorbei kamen. Jean blickte zum Tor, das ihnen nun den Weg versperrte und seufzte dabei.
„Ich habe die Stadt zuletzt vor zwei Jahren verlassen.“
Aria warf ihm kurz einen spöttischen Blick zu, sagte jedoch nichts.
Sie kamen an einem kleinen Wäldchen vorbei, aus dessen Bäume leises Vogelgezwitscher zu hören war und Agor meinte bewundernd: „Den Vögeln macht der Winter nichts aus.“
Aria schnaubte und blickte hinauf zu den Bäumen.
Sie überquerten einen kleinen Bach, den sie einfach übersprangen.
Der Schnee knirschte unter ihren Füßen und hin und wieder fielen Schneelasten von Bäumen und landeten auf ihren Köpfen. Sie schüttelten dabei dann immer die Köpfe, um das Nasse aus Gesicht und Haaren zu bekommen und beschwerten sich, nur Aria schien es nichts auszumachen, sie lächelte lediglich und wischte es sich mit der Hand vom blonden Haar.
Als sie früh am Mittag endlich an einer kleinen Baumgruppe halt machten, waren sie alle durchfroren und trotz der dicken Stiefel, die sie alle trugen, waren ihre Füße nass geworden.
Aria nahm einige Stängel Kräuter aus ihrer Tasche, während Jean Holz sammelte.
Straga und Lenny wartete gemeinsam mit Agor auf das Brennholz.
Als Jean ihnen schließlich genug gebracht hatte, um damit ein Feuer zu entfachen, erhob Agor sich langsam und schaute sich um.
„Es ist zu kalt, um eine Flamme zu erzeugen, darum muss Agor se mit Hilfe der Magie tun. Wenn er jedoch dabei beobachtet wird, könnte es der Beobachter weiter erzählen und es wäre kein Geheimnis mehr, dass er ein Magier ist.“
„Warum soll das keiner wissen?“, fragte Lenny verdutzt und Jean lächelte schwach.
„Glaubt ihr etwa, er würde je in Ruhe gelassen werden, wenn es in aller Ort bekannt wäre. Alle würden ihn um Hilfe bitten und er würde nur ausgenutzt werden!“
Lenny stimmte mit einem Kopfnicken zu und beobachte, gemeinsam mit Straga, wie Agor beide Hände über dem Holz übereinander faltete und leise eine Beschwörungsformel flüsterte.
Plötzlich gab es einen hellen Lichtblitz und ein munteres Feuer prasselte am Boden.
„Wie haben sie das gemacht?“, fragte Lenny, dem vor Staunen der Mund offen stand.
„Lenny, du darfst mich ruhig bei meinem Namen nennen, Agor. Und wie ich das gemacht habe? Ich bin nun mal ein Magier“, meinte er lächelnd, „Ich kann so etwas.“
„Können…können sie mir so etwas auch beibringen?“, wollte Lenny begehrlich wissen.
Agor gab ein leises, raues Lachen von sich und meinte dann verschmitzt: „Nein mein Junge, dafür müsstet du schon selbst ein Magier sein.“
„Vielleicht bin ich ja einer und weiß es nur nicht“, meinte Lenny und schaute ihn fragend an.
„Wenn du wirklich einer von uns wärst, würdest du das ganz sicher wissen. Aber ich bezweifele stark, dass du einer bist, da es nur noch eine Hand voll von uns im Land gibt.“
Lenny ließ sichtlich die Schultern hängen und Agor lächelte erneut.
„Wenn du die Magie so sehr liebst, geh am besten zu den Elfen. Die machen zwar nur kleine Dinge, doch wenn sie etwas tun, dann ist es wunderschön.“
„Hat jede Elfe Magie in sich?“, fragte Lenny mit leuchtenden Augen.
„Ja, jede. Aber Halbelfen nur sehr wenig. Die Richtigen fast so viel wie wir Magier, vielleicht sogar mehr, das weiß ich nicht. Aber sie nutzen sie nur im Notfall und dann auch nur, wenn sie alles ganz genau überdacht haben.“
Lenny runzelte bei Agors Worten die Stirn und blickte zu Aria hinüber, die ganz in der Nähe stand und die Bäume inspizierte.
„Sie hat ganz viel Magie in sich, mehr als ich selbst, da sie vom Königshofe stammt. Aber, wie auch die anderen ihres Volkes, nutzt sie es nur äußerst selten, warum das so ist, weiß ich leider nicht, Lenny. Da musst du schon selbst nachfragen“, sagte Agor auf Lennys unausgesprochene Frage.
Lenny nickte und sah wieder ins Feuer, als die Elfenprinzessin zurückkehrte und die Büschel Kräuter, die sie noch immer in der Hand hielt, auf einen langen Ast steckte und so über die Flammen hielt.
„Die Bäume hier sind zu bemitleiden“, sagte sie, während sie das Feuer begutachtete, „Sie können nicht fortgehen oder die Kälte verlassen. Sie müssen hier ausharren und auf den Frühling warten.“ Dabei warf sie einen zornigen Blick auf Straga, der sich in seinen Mantel eingekuschelte hatte und seine Hände rieb, um den Schnee von ihnen zu vertreiben.
Straga beugte sich vor und flüsterte Jean eine Frage ins Ohr. „Was meint sie damit?“
„Elfen sprechen oft in Rätseln, ich habe keine Ahnung, was sie meint.“
Straga nickte enttäuscht und wartete, gemeinsam mit den anderen, bis die Kräuter einen süßlichen Geruch von sich gaben.
Es roch nicht gerade köstlich und stach in der Nase, aber weil Straga der Elfe gegenüber nicht unhöflich sein wollte, nahm er sich ein kleines Büschel und biss, wie die anderen, hinein.
Es schmeckte nicht besser, als es roch, doch es vertrieb die Kälte.
Er war jedoch nicht der einzige, dem es nicht zu schmecken schien.
Auch Jean verschluckte sich fast daran und Lenny musste vor Ekel würgen, schaffte es jedoch, das Kraut nicht auszuspucken.
„Was ist das?“ fragte Lenny und wischte sich den mund ab, nachdem er es, unter Mühen, herunter geschluckt hatte.
„Das ist Kontakraut. Es ist sehr bekannt und beliebt unter uns Elfen.“
Jean verzog ungläubig das Gesicht, bei dem Wort beliebt, was Aria unglücklicherweise nicht entging, sodass sie fauchte: „Auch wenn es nicht unbedingt so gut schmeckt, es hält die Kälte fern und es stärkt die geistigen Kräfte. Du kannst ja gerne drauf verzichten, wenn du willst.
Und ihr übrigen auch!“, fügte sie mit einem Seitenblick auf Straga, Lenny und Agor hinzu, als sie deren angewiderten Gesichter bemerkte.
Jean war ziemlich bestürzt und meinte: „So habe ich das doch gar nicht gemeint, Aria, das weißt du doch! Das war nur…wegen dem schlechten, kalten Wetter. Es ist kalt!“
Aria warf ihm einen vernichtenden Blick zu, stand auf und ging zurück in den Wald, in dem sie verschwand, ihr Kontakraut nahm sie mit.
„Hätte ich lieber nicht fragen sollen, was das für Kraut ist?“, fragte Lenny verdutzt und schuldbewusst.
„Du trägst überhaupt keine Schuld, Lenny“, versuchte Agor ihn zu beruhigen, „Elfen sind nun mal etwas…empfindlich. Und sie währe ohnehin in den Wald gegangen, das liegt in der Natur ihres Volkes.“
Lenny wirkte etwas entspannter.
Agor, Jean, Straga und er holten ihre Decken aus ihren Rucksäcken und Taschen, rollten sich darin ein und waren nur kurze Zeit später eingeschlafen.
Aria blieb fort.


Aria

Aria strich durch den nächtlichen Wald.
Es hatte sie furchtbar aufgeregt, dass die anderen das Kontakraut, das sie mitgenommen hatte, einfach so verspottet hatten. Konnten sie nicht einsehen, wie wichtig und hilfreich dieses Kraut war, besonders im Winter? Es schützte schließlich vor Kälte und stärkte die geistigen Kräfte, sehr nützlich.
Aber nein, Agor, Jean und die beiden Waldläufer Straga und Lenny hatten ja nichts Besseres zu tun, als gleich wieder herum zu meckern.
Aber was hätte sie erwarten sollen? Schließlich waren sie nur Menschen. Drei Menschen und ein Magier. Diese Menschen, verstanden sie gar nicht, wie wichtig ihr der Wald war?
Wie wichtig er auch für sie selbst war?
Gab es keine Bäume, gab es keine Luft, die sie atmen könnten, gab es keine Luft,
würden sie ersticken.
Und außerdem, ohne Bäume gäbe es keine Elfen, die den Lauf der Welt mit einmaliger Genauigkeit überwachen. Nein, die Menschen hatten ja keine Ahnung, dass kein anderer als die Elfen den Frühling mit ihren Liedern herbeiriefen, ebenso wie den Sommer, den herbst und den Winter. Und wenn es nun keine Bäume mehr geben würde, würden auch die Elfen aus der Welt verschwinden und es würde keine geregelten Jahreszeiten mehr geben.
Es würde nur noch eine graue, karge Landschaft existieren, nur noch Leid und Trauer.
Die Elfen wären nicht da, um die Welt wieder zu heilen.
Aber diese dummen Menschen hatten ja keine Ahnung!
Sie glaubten, Elfen wären nur gewöhnliche Wesen, nicht mehr wert als sie oder ihre Tiere.
Doch so war es nicht, so war es ganz und gar nicht.
Elfen waren noch magischer als Magier, sie hatten fast so viel Macht wie die Drachen, auch wenn sie ihre Kräfte nicht überall und ohne gute Überlegungen vollführten.
Führte eine unbedachte Elfe beispielsweise einen Zauber aus, der den Regen verscheuchten und die Sonne hervorlocken würde, dann würden vielleicht einige Pflanzen kein Wasser bekommen und würden eingehen.
Aber diese Menschen dachten doch tatsächlich, ihr Volk, die Elfen, wären schwach!
Nein, schwach waren sie nicht und irgendwann würde sie es ihnen allen zeigen, sie würde all den ungläubigen Menschen beweisen, zu was ihr Volk fähig war. Irgendwann…
Ruckartig hob Aria den Kopf. Sie hatte etwas gehört, ein Geräusch.
Da, zwischen den Bäumen, hatte sich da nicht etwas geregt?
Sie machte vorsichtig einen Schritt nach vorn und sah etwas Großes, Schwarzes.
Es stand mit dem Rücken zu ihr und hatte den Kopf gesenkt.
Es fraß.
Aria betrachtete das Wesen interessiert und musste feststellen, dass es ein Dämon der Nacht war, ein Nachtmahr. Sie hatte einen Bogen und einen Köcher voll Pfeilen auf den Rücken.
Sie hätte ihn mit Leichtigkeit töten können.
Doch sie tat es nicht.
Sie drehte sich ganz ruhig um und verschwand in der Dunkelheit des Waldes.

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Tag der Veröffentlichung: 08.06.2010

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