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Kesselstadt

Zwischen den unendlichen Marschen von Korr und dem Reich der Dunklen Wälder gab es kaum Dörfer oder Städte.
Schließlich waren die Einwohner des Waldreichs und die Bewohner von Korr nie besonders miteinander ausgekommen – auch wenn kein Krieg herrschte.
Ein Sumpf der Vorurteile und über Generationen überlieferter Hass hatten den Frieden beider Länder in einen unausgesprochenen Revalitätskampf verwandelt. Selbst zwischen den Moorelfen und den Freien Elfen der Dunklen Wälder herrschte Zwietracht.
Und dennoch hatte es eine Stadt geschafft, am Rande von Korr nahe an dem Waldreich zu bestehen: Es war eine Stadt deren Häuser wie durcheinander gewürfelte Steinchen über das gelbe Land verstreut waren und deren Wald Straßen sich tief hinab in die Schluchten schraubte, die die Ebene zwischen Sumpf und so unwirklich machten.
Während die Stadt von oben eher wie ein wildes Dörfchen wirkte, spreizte sich ihr größter Teil in des darunter liegenden Talkessel. Darum nannte man sie Kesselstadt.
Aber es gab noch einen anderen Grund für ihren Namen.
Denn in den schiefen Häuserschluchten, den steile und versteckten Straßen ließ sich alles finden: Reiche und arme Leute, Verbrechen und Begehrlichkeit, Diebe,
Menschen, Elfen – hauptsächlich verstoßene Elfen. Die Stadt war ein Kessel, in dem das Verbrechen vor sich hin köchelte und hin und wieder überschwappte, sodass der Fürst von Kesselstadt sich die die Finger verbrannte und seine Kescher schickte.
Dann beruhigte sich die brodelnde Brühe wieder.
Kesselstadt war zu einer Hauptstadt aller Völker geworden.
Hier trafen sich Elfen und Menschen des Waldes und der Marschen und trugen ihre Feindseeligkeiten aus. Für viele war Kesselstadt ein vorübergehender Unterschlupf oder ein geschäftliches Reiseziel. Für andere, für Verbannte oder niedergelassene Händler, bedeutete die Stadt eine neue Heimat.
Hier kannte jeder die Regeln, die für alle, im ganzen Land, galten.
Nahm sich jemand zu viel von dem, was nicht sein Eigentum war, kamen die Kescher
des Fürsten. Man gab ihnen diesen Namen, weil sie die schlechten Leute herausfischten und sie aus Kesselstadt verbannten.
Alle Diebe fürchteten dies, da es außerhalb der Stadt, in den kleinen Dörfern der Elfen oder Menschen, es nicht all zu viel gab, das sich zu stehlen lohnte.
Jeder war hier vorsichtig, und doch konnte man auf den schmalen Straßen von Kesselstadt hin und wieder eine wilde Rauferei finden.
Die Elfen und Menschen hatten sich eben noch nie richtig gut verstanden und hier, in Kesselstadt, war das ein Problem, da hier alle Völker bunt durcheinander gewürfelt lebten.
Zwar blieb jeder für sich, doch in manchen Vierteln der Stadt kam man nicht drumrum, dem anderen zu vertrauen.
Zum Beispiel in dem Marktviertel.
An diesem Ort gab es die verschiedensten Dinge zu erwerben.
Ob Kleider oder Schmuck, hier fand man wirklich alles.
Die meisten Menschen verkauften Nahrung oder grob gewebte Kleider.
Die Elfen dagegen boten an ihren ständen Schmuck, Wasserpfeifen oder seidige Kleidung.
Niemand außer ihnen verstand es, solch wunderschöne Schmuckstücke herzustellen.
Vergoldete Ringe mit winzigen Diamanten am Rand, Schwere Medalions, die, wenn man sie aufklappte, eine wunderbar weiche Melodie erklingen ließen.
Ihre Wasserpfeifen hatten auf den goldenen Rändern leichte Verzierungen und die Kleider waren aus feinster Seide gewebt.
Doch die Menschen waren sich deren wert nicht bewusst und meinten, es sei eine Unverschämtheit, für ein Schmuckstück von ihnen vierzig Gold auszugeben.
Es gab Kupfer-, Silber- und Goldmünzen.
Zehn Kupfermünzen waren eine Silbermünze und zehn Silbermünzen eine Goldstücke wert.
Doch Kesselstadt bestand nicht allein aus ehrlichen Leuten.
Die Schattenseiten der Stadt sahen die meisten Bewohner gar nicht richtig.
Es gab viel Armut, viele Bettler, aber mindestens doppelt so viele Diebe und Gauner.
Der Armut und Hunger hatten viele Bewohner der Stadt zum stehlen getrieben.
Einer dieser Diebe war Scape.
Scape war ein Mensch, von zehn Jahren
Sein Leben hatte sich ausschließlich in Kesselstadt ereignet.
Kaum erinnerte er sich mehr an seine Kindheit, bevor die Straße sein Zuhause geworden war.
Eines Tages stand er in den Gassen der untersten Viertel, lauschte dem Herzschlag der Stadt und begann, sich ihm anzupassen.
Seine Vergangenheit war verschwommen, bis zu dem Augenblick, da er Arane
getroffen hatte. Wie jeden Morgen erwachte Scape durch die Geräusche der Stadt.
Das Klirren und Klappern der Kochtöpfe, das Rufen der Händler, die Stimmen lachender und schreiender Kinder schlüpften durch seinen dunkelroten Zimmervorhang und lockte ihn aus seinen Träumen.
Scape setzte sich schlaftrunken auf. Sein Mund war trocken. Es war bereits heiß geworden, die feuchtwarme Luft überzog seine Haut wie ein dünner Film.
Struppige Haare hingen ihm ins Gesicht.
Arane lag schlafend auf der Bodenmatte, die Knie angewinkelt und das Gesicht unter ihren Locken versteckt. Sie sah kleiner aus, als sie war, und vor allem jünger.
Man konnte sie mit ihren kurzen Haaren glatt für einen Jungen halten, hätte sie nicht den Rock getragen.
„Arane, wach auf!“ Scape stupste sie mit der Spitze seines Dolches leicht an und sie fuhr erschrocken auf dem Schlaf.
Hellwach sprang sie auf, sah sich hektisch in dem winzigen Raum um und zog ihr kurzes Messer hervor, das sie stets an ihrem Gürtel trug.
Den kleinen Raum hatten sie gemietet, bei der Frau einen der vielen Bäcker aus Kesselstadt.
„Was ist los?“, fragte Arane ihn, ohne die Tür aus den Augen zu lassen.
Oh ja, sie war schlau, dachte Scape.
Sie dachte immer gleich an die Kescher des Silberfürsten, denen sie nicht über den Weg laufen durften. Die beiden hatten schon mehrmals die Grenze überschritten, hatten
zu viel gestohlen. Sie wurden dabei erwischt, konnten jedoch noch im rechten Augenblick fliehen, weil Arane aufmerksam gewesen war. Ihr Misstrauen hatte den beiden schon öfters den Hals gerettet.
„Ach, nichts“, murmelte Scape beschwichtigend, „Holst du Wasser?“
„Hol selber Wasser!“, fauchte sie ihn an.
Scape lächelte. Sie konnte hören wie ein Luchs und war auch ebenso schlau, doch sie war auch faul, wie ein Murmeltier. Trotz ihrer seltsamen Art liebte er sie.
Scape rappelte sich auf und schleppte sich zur Tür.
Der Weg zum Brunnen war nicht weit. Er musste nur eine schmale Holztreppe hinunter, die hoch zu ihrem Zimmer führte, durch einen gekachelten, geräumigen Flur und aus der Tür hinaus. Und schon war er beim Brunnen.


Wie Scape Arane kennen lernte

Es war lange her…und doch nicht mehr als ein Wimpernschlag, schien ihn von jeden Augenblick zu trennen, der ihm klar und deutlich in seiner Erinnerung war und immer sein würde. Damals hatte er Arane zum ersten Mal gesehen.
Schon um mehrere Straßenecken hatte Scape die Schreie gehört.
Es waren nicht die gewöhnlichen Schreie, die in diesem Viertel erklangen.
Nicht das schrille Kreischender Säuglinge, die in der Hitze rote Köpfe bekamen.
Auch kein lautes Marktgeschrei.
Scape schlich vorsichtig näher, dicht an die Mauer gedrängt, und seinen Dolch gezückt.
Inzwischen war viel Zeit seid seinem ersten Diebstahl vergangen, dass er mit der Klinge umzugehen wusste. Und nicht nur das: In wenigen Monaten war er so etwas wie ein dunkler Schatten geworden, der unbemerkt und flink durch die Gassen der Stadt huschte.
Während all der Monate hatte er kaum mit einer Menschenseele gesprochen.
Die Menschen jagten ihm Angst ein und die Elfen ebenfalls.
Schließlich bestahl Scape sie alle.
Nun hörte er das wütende Gezeter und kam neugierig näher.
Wenn es Aas gibt, sind die Geier nicht weit.
Und wenn jemand streitet, fällt meistens ein Stückchen Beute ab, das nur darauf wartete
genommen zu werden. Scape ging in die Hocke und lugte um eine Straßenecke.
Er sah einen Schmuckstand mit funkelnden Broschen und Armreifen – ohne Händler dahinter.
Der stand mit hochgekrempelten Hemdsärmeln vor seinem Verkaufstisch und war abgelenkt: In den Armen des Elfenhändlers zappelte ein wildes, kleines Ding, ein Junge mit Lockenschopf.
„Dieb, du böser!“ Der Händler begleitete diese Worte mit einem Schwall elfischer Flüche, die Scape nicht verstand. „Schön hier geblieben, kleiner Teufel! Du kriegst heute noch Kerkeressen, darauf kannst du wetten! Bleib da!“
Der Elfenhändler zog seinen Gürtel und versuchte den Jungen damit zu fesseln.
Der wand sich herum wie ein Fisch und entglitt dem Elf jedes Mal um Haaresbreite.
Scape wurde klar, das er etwas tun musste.
Auf allen Vieren schlich er sich an den Verkaufstisch.
Eilig zog er sein Hemd aus, legte die Schmuckstücke in den Stoff schnell und vorsichtig, damit nichts klirrte. Eine solche Gelegenheit bot sich ihm nicht alle Tage.
Fast den halben Stand hatte er abgeräumt, da geschah es.
Der Händler jaulte auf – der kleine Dieb hatte ihn in die Hand gebissen.
Scape zuckte zusammen, obwohl er noch nicht entdeckt worden war. Der Elf holte mit der unverletzten Hand aus. So heftig traf der Schlag des Händlers den Dieb, dass er von den Füßen gerissen wurde.
Ein heller Schrei drang durch die wirren Haare, Blut tropfte auf den Boden, als der Dieb flach liegen blieb. Und mit einem Mal hob der Dieb den kopf und starrte Scape an.
Scape wusste nicht, was ihn mehr überraschte: die Erkenntnis, dass es kein Junge, sondern ein Mädchen war, oder das klare Blau der Augen – diese Augen, so glühend vor Hass und schön wie nichts, was er je erblickt hatte.
Er spürte, wie kurz der Moment war, in dem sie sich anstarrten, zur Ewigkeit wurde und alles bis auf sie beide in Dunkelheit zerfiel.
Erst der Elfenhändler, der sich wütend über ihm aufbaute, rief Scape zurück in die
Wirklichkeit. Scape rollte sich blitzschnell zur Seite, bevor ihn die Faust des Händlers
treffen konnte. Einen Herzschlag später stocherte er erschrocken mit dem Dolch durch die Luft, um den vor Wut tobenden Elf abzuwehren. Nur kurz erhaschte er einen Blick auf die Stelle, wo das Mädchen gelegen hatte.
Doch von ihr war nichts geblieben, als drei Blutflecken auf dem Boden.
In einer schmalen Gasse sah er sie gerade noch davonrennen.
„He – verdammt!“ Scape duckte sich unter dem Schlag des Händlers und schlüpfte unter seinen Arm hindurch. Dann holte er mit seinem Hemd aus, in dem noch immer die kostbaren Schmuckstücke klapperten, und schlug dem Händler gegen den Rücken.
Verdutzt sank der Elf in die Knie, fuhr aber sogleich wieder herum. Da war Scape schon davongerannt, direkt in die Gasse hinein, in der das Mädchen verschwunden war.
Lange suchte er sie. Er rannte durch alle ihm bekannten Straßen, durchstreifte die Gassen und lugte sogar hier und da in die Schänken und Spelunken der Gegend.
Er fragte die Bettler und Straßenkinder, ob sie ein Mädchen mit blonden Locken und blauen Augen gesehen hätten, ein Mädchen das irgendwo am Kopf bluten musste; er befragte sogar
Die Wachweiber in den Färbervierteln, aber niemand konnte ihm Auskunft geben.
„Ein Mädchen, das wie ein Junge aussieht und vielleicht eine Platzwunde am Kopf hat?“ wiederholten sie ungläubig. Diese Beschreibung konnte auf jedes zweite
Straßenkind zutreffen.
Aber Scape vermochte nicht zu erklären, war an ihr anders gewesen war – anders auf eine Weise, die ihm selbst ein Rätsel war.
Als er sie abends nicht gefunden hatte, kletterte er in seine kleine Hausruine, in der er seid einiger Zeit schlief und seine Beute versteckte, und betrachtete im Schein der Straßenlampe den Schmuck des Händlers. Er überlegte, welches Stück das Mädchen wohl hatte stehlen wollen, und darüber grübelte er auch noch in der nächsten Nacht und in der übernächsten.
Viele Tage lang musste er an das Mädchen denken.
Je länger er an sie dachte, desto heftiger spürte er, dass sie sein Schicksal sein würde.
Ganz einfach. Er kannte jetzt einen Teil seiner Zukunft, ob das nun gut war oder nicht.
Die Zeit verging, ohne dass Scape das Mädchen gesehen, noch von ihr gehört hatte.
Allmählich schwand die Gewissheit, dass sie in seinem Leben eine Rolle spielen würde.
Insgeheim begann er sich selbst zu ärgern. Wie hatte er so fest von dieser dummen Idee überzeugt sein können? Er beschloss das Mädchen zu vergessen.
Wenn es ihm nur gelungen wäre…
Fast drei Wochen waren vergangen, seid Scape dem Elfenhändler den Schmuck
gestohlen hatte. Nun schlenderte er durch die bevölkerten Straßen von Kesselstadt, vorbei an Tavernen und lärmenden Leuten. Es war ein warmer, schöner Vormittag und das Leben der Stadt blühte. Straßenmusik und laute Stimmen erfüllte die Luft.
In den Schatten der Häuser spielten rauchende Elfenjungen Würfelspiele, grell geschminkte Tänzerinnen lehnten sich aus den Fenstern der Häuser und riefen jedem etwas zu, der an ihnen vorbeikam. Scape wich gerade rechtzeitig zur Seite, als ein mit Glocken behängtes Schwein an ihm vorbeirauschte, gefolgt von einer Horde lärmender Menschen.
„Wer das Schwein fängt, gewinnt drei Mehlsäcke!“, schrie jemand, der vermutlich der Veranstalter der Schweinejagd war. Scape kannte solche Hetzjagden.
Das Schwein war darauf trainiert, zu seinem Besitzer zurückzulaufen. Am Ende gewannen immer die Veranstalter des Spiels. Scape lief weiter, die Augen offen für jede Gelegenheit, die sich ihm bot.
Vielleicht entdeckte er einen unachtsamen Händler, eine offene Westentasche…
An der Ecke eines Marktplatzes stand ein Kartenspieler und forderte die vorbeigehenden Leute auf, ihr Glück bei ihm zu versuchen. Erriet jemand, welche der verdeckten Karten der rote König war, so gewann er einen Kupfertaler des Geldes, das andere Leute bei dem Spieler gelassen hatten. Neugierig drängten sich mehrere Schaulustige um den Spieltisch.
Scape kam näher, als er das aufgeregte Gemurmel der Menschen und Elfen vernahm.
„Wie kann das sein?“, fragten sie sich verwundert, „Wie geht das vor sich?“
Scape drängelte sich durch die Menge vor, bis er etwas sah.
Und was er sah!
Niemand anderer als das Mädchen mit den kurzen Locken stand vor dem Kartenbetrüger
und spielte! In ihrer Hand hielt sie bereits einen Münzenhaufen und ihr Gesicht strahlte.
Der Kartenspieler hingegen wirkte wenig fröhlich. Hektisch mischte er die vier Karten auf dem Tisch, schneller und immer schneller. Doch wann immer er die Karten auf den Tisch legte, setzte das Mädchen ihren Finger mit Bestimmtheit auf eine und sagte: „Das ist der
rote König!“
Und sie behielt stets Recht.
Scape beobachtete sie und das Schauspiel eine Weile fasziniert.
Natürlich war der Kartenleger ein Betrüger – sonst wäre er nicht so verwirrt über den Gewinn des Mädchens gewesen. Und das hieß, die Blonde hatte seinen Trick durchschaut und sogar einen Weg gefunden, ihn zu umgehen.
Das war allerhand. Scape musterte sie von oben bis unten und kam zu der Auffassung, dass sie bestimmt nicht älter als er sein konnte. Inzwischen hatte sie weitere viermal gewonnen.
Dem Kartenspieler glänzte der Schweiß auf dem puderroten Gesicht, er mischte nervös, und als er fertig war, beobachtete er das Mädchen wie ein tollwütiger Hund.
„Dies hier ist der rote König.“
Rasch drehte sie die Karte um, bevor der Leger es tun konnte.
Scape dämmerte bereits, dass der Kartenleger gerade deswegen so verzweifelt war – sicher hatte das Umdrehen der Karten etwas mit dem Trick zu tun. Wieder hatte das Mädchen richtig geraten. Triumphierend sah sie zu dem Mann auf.
„Ich bekomme noch einen Taler“, erinnerte sie ihn.
Der Trickbetrüger stand wie ein erschlagener Riese hinter dem Tisch.
Seine Schultern bebten. Plötzlich stieß er den Tisch zur Seite, sodass die Menge entsetzt zurückwich.
„Betrügerin!“, schrie er. Das Mädchen stolperte erschrocken zurück.
„Willst du einen ehrlichen Kartenleger übers Ohr hauen?! Ich zeige dir, was ich mit
Betrügen mache!“ Noch ehe er die Hand zum Schlag heben konnte, stand Scape vor ihm.
„Du bist der Betrüger und ihr wirst du kein Haar krümmen.“
Der Kartenleger starrte ihn verwundert an. Als Scape hörte, wie jemand davonrannte,
fuhr er herum. Das Mädchen verschwand in der Menge.
„Warte!“
Scape rannte ihr nach. Er duckte sich unter schweren Körben hindurch, die vorbeigehende Menschen auf dem Rücken trugen, und rempelte gegen herumstehende Elfen.
Am Rande des Marktplatzes sah er das Mädchen in eine Straße abbiegen.
„Bleib stehen! He, du!“ Scape rutschte beinahe in einer Pfütze aus.
Als er am Straßenende ankam, blieb er keuchend stehen und lehnte sich gegen die Hauswand.
Vorsichtig lugte er um die Ecke. Das Mädchen war fast schon hinter den Häusern verschwunden. Sie sah noch einmal zurück. Als sie Scape nicht mehr entdeckte, blieb sie
stehen, um nach Atem zu ringen. Dann lief sie in eine Seitengasse. Scape folgte ihr unbemerkt durch die verwinkelten Straßenschluchten, in denen die Häuser immer weiter in die Höhe gewachsen waren und ihre schiefen Türmchen und Balkone wie verkrüppelte Finger in den Himmel streckten.
Das Mädchen lief durch das Viertel der Färber. Die Sonne zog gleißende Streifen in die Dunkelheit und ließ Pfützen schillern. Leichtfüßig sprang das Mädchen über sie hinweg.
Scape konnte den Blick nicht von ihr wenden, wie sie ins Sonnenlicht eintauchte und wieder im Halbdunklen verschwand, eintauchte und verschwand, eintauchte, verschwand…
Die Wäscherinnen grüßten sie und riefen sie bei einem Namen, den Scape nicht verstehen konnte.
Und sie selbst ging so würdevoll durch die schmutzigen Färbergassen wie eine Königin durch die Korridore ihres Palastes. Dann kam sie zu einem Markt.
Licht brach sich auf den silbernen Schalen und Krügen, die die elfischen Händler feilboten, und es blitze und funkelte aus allen Winkeln des großen Platzes. Elfische Akrobaten und Feuerspucker sonnten sich in der Bewunderung der Schaulustigen.
Das Mädchen strich durch die Menge. Erst vor einem Puppentheater, das man am Rande des Platzes aufgebaut hatte, blieb sie stehen. Scape schlich in einem weiten Bogen um sie herum, um ihr Gesicht zu sehen. Wenn alle Zuschauer klatschten, klatschte sie mit mehr Begeisterung als irgendjemand sonst; wenn alle lachten, lachte sie am hellsten; und wenn alle vor Schreck seufzten, verzog sich ihre Stirn in echter Sorge.
Scape musste lächeln.
Unbemerkt schlich er zurück und blieb hinter dem Mädchen in der Menge stehen.
Eine Armeslänge trennte sie voneinander. Er konzentrierte seinen Blick auf ihren sonnengebräunten Nacken. Zwei kleine Muttermale saßen direkt unter dem Haaransatz.
Ganz so, als spüre sie seinen Blick, neigte sie den Kopf und sah zu Boden.
Dann fächerten ihre Augenlider auf und sie blickte ihn direkt an.
Besorgt, sie könne wieder fliehen, fiel Scape keine andere Geste ein als die, den Finger auf die Lippen zu legen. Als sie nicht fortlief, kam er vorsichtig näher. Sie wandte sich wieder um und blickte zum Puppentheater auf.
Scape trat direkt neben sie. Sein Herz schlug sonderbarer weise schneller als sonst.
Aufmerksam folgte er dem Theaterstück, so wie das Mädchen an seiner Seite.
Es ging um die Geschichte einer Prinzessin und eines Krieges, die Scape nicht zu durchschauen vermochte. Er versuchte es auch gar nicht. Endlich neigte er den Kopf in die Richtung des Mädchens, ganz leicht nur und ohne die Puppen aus den Augen zu lassen.
„Wer bist du?“, flüsterte er.
Sie beachtete ihn nicht.
„Sag mir deinen Namen“, bat er leise, „Wie soll ich dich denn nennen?“
Endlich richtete sich der Blick des Mädchens auf ihn.
„Ich…“ Sie brach das Flüstern ab, als ein neues Raunen durch die Menge ging.
Die Puppenprinzessin trug nun eine winzige Krone aus gelb bestrichenem Holz.
„Nun, ist das euer großer Wunsch, Prinzessin Arane?“, quäkte eine Stimme unter dem
Theater hervor. Die Prinzessin antwortete ebenso piepend, wie eine Puppe sprechen würde: „Oh ja, das ist mein einziger Wille: Ich will die ganze, weite Welt erobern!“
„Arane“, wiederholte das Mädchen mit leuchtenden Augen, „Du kannst mich Arane nennen.“
Scape musste verwundert lächeln.
Dann blickte sie zu ihm auf.
„Und du?“, flüsterte sie, „Wer bist du?“
„Ich heiße Scape.“
Sein Name wurde vom Klatschen der Menge übertönt.
„Scape“, flüsterte er noch einmal, als es leiser geworden war, „Mein Name ist Scape.“
Dann blickten sie beide wieder zu dem Puppentheater auf, und sie standen stillschweigend nebeneinander, bis der Vorhang fiel.


Vier Elfen und zwei Menschen

Von dem Tag an, an dem sie das erste Wort gewechselt hatten, waren Arane und Scape wie Pech und Schwefel. Arane, die niemandem traute, von der keiner wusste, wie sie sich durchs Leben schlug – sie beschloss auf unerfindlichen Gründen, an Scapes Seite zu bleiben.
Keiner vermochte das rätselhafte Mädchen zu verstehen.
Es schien fast, als habe sie in jenem kurzen Augenblick vor dem Puppentheater entschieden, dass sie ihr Leben mit Scape teilen wollte.
Und so zogen die beiden nun gemeinsam durch die Straßen von Kesselstadt.
Die beiden Freunde stahlen und betrogen nun bereits seid einem Jahr gemeinsam und hatten sich je dem anderen angepasst. Arane, die immer gute Pläne schmiedete und wusste, wie man Kauner überlisten konnte – und Scape, der inzwischen ein guter Dieb geworden war, vollführte sie.
Die zwei waren ein gutes Gespann, fanden sie und zusammen konnten sie vieles
erreichen – was sie auch wussten.

Es war ein schöner Morgen, mitten im Sommer und Scape zog wieder einmal durch die verschlungenen Straßen der Stadt. Arane ging neben ihm, immer auf der Hut und hielt Ausschau nach den Keschern des Fürsten.
Sie durften ihnen auf keinen Fall begegnen, da sie keine Steuern an ihn zahlten, was eigentlich Pflicht unter den Bewohnern Kesselstadts war.
Arane stieß ihn in die Rippen und er blickte von dem rauen Kopfsteinpflaster auf.
Sie wies stumm auf einen Marktstand, der am Rande der schmalen Gasse aufgebaut wurde.
Ein Händler verkaufte dort Öle und Gewürze.
„Lass uns mal gucken, was der so hat“, rauchte sie ihm zu uns die beiden schlenderten langsam in die Richtung des Händlers. Der Mann, der dahinter auf einem hölzernen Schemel saß, beäugte sie misstrauisch, doch als drei weitere Kunden erschienen, setzte er eine höflichere Mine auf.
„Was kann ich für den werten Herrn tun?“, fragte er freundlich einen jungen Mann, der sich zu den Ölen hinunter beugte. Das war die Gelegenheit.
Scapes Hand schoss vor, umfasste eine kleine, hellblaue Flasche und steckte sie blitzschnell in seinen langen Mantel. Der Händler hatte nichts bemerkt, dagegen jedoch ein junger Elf, der genau hinter ihnen stand. Als Scape sich eine weitere Flasche einstecken wollte, kam er ihm zuvor und vor Schreck fuhren die beiden Freunde herum.
Der Elf grinste ihnen zu und flüsterte: „Na, seid ihr etwa zwei kleine Diebe?“
Scape starrte ihn erschrocken an, doch Arane fauchte zornig: „Was interessiert dich das, Elf?! Verschwinde und lass uns in Ruhe! Hier gibt es schon genug von euch!“
Der Elf grinste noch breiter und rauchte ihr zu: „Du magst uns wohl nicht, wie? Das beruht auf Gegenseitigkeit. Aber lasst uns mal schön freundlich sein und mir folgen.“
Arane presste die Zähne aufeinander und sah den Moorelfen finster an.
Der Elf lächelte sie von oben herab an und Arane wurde ganz still.
Er war größer als sie und vermutlich auch viel stärker.
Sie würden nicht gegen ihn ankommen, würde es zu einer Streiterei kommen.
Scape blickte den Elfenjungen mitten ins Gesicht und fragte laut: „Was willst du
von uns, Elf?“
„Wie wäre es, wenn ihr mich einfach Joe nennt? Wie sind eure Namen?“
Arane biss sich auf die Lippen, also sagte Scape leise: „Ich heiße Scape und das ist meine Freundin Arane.“ Joe nickte und wies mit einem Fingen in eine kleine Seitengasse.
„Folgt mir bitte, Scape und Arane!“
Scape und Arane tauschten einen schnellen Blick, ehe sie mit ihm in den dunklen Schatten der Häuser gingen. Er führte sie durch ein Spiel aus Licht und Dunkelheit.
Sie tauchten in strahlendes Sonnenlicht ein und kurze Zeit später wurden sie von der Dunkelheit verschluckt. In dieser Gegend war Scape noch nie gewesen, in seinem ganzen Leben noch nicht. Der Elf führte sie durch schmale Gassen, in denen sich der Müll stapelte, über einen kleinen Platz, auf dem Händler glitzernde Ringe und schillernde Münzen aus früheren Zeiten feilboten. Es waren allesamt Elfenhändler – die meisten Moorelfen.
An den schmutzigen Wänden der Häuser standen mit schwarzer Kreide geschriebene Wörter, die Scape nicht lesen konnte. Es war die Sprache der Elfen.
Joe geleitete sie in eine schmale Seitengasse, die hinab führte.
Arane sah Scape unruhig an und er drückte ihre Hand, zur Besänftigung.
Sie schluckte schwer und der Moorelfenjunge drehte sich grinsend zu ihnen um.
„Willkommen in meiner Welt“, sagte er spöttisch und ging weiter. Sie gingen eine schmale, grob gebaute Treppe hinunter und waren standen dann plötzlich im grellen Sonnenlicht, dass von weit oben zu ihnen herab schien. Zwei kleine Elfenmädchen liefen vorbei, in den Armen ein Holzmesser. Scapes Blick huschte nervös hin und her und knallte mit voller Wucht gegen Joe, der vor einer Straßenecke stehen geblieben war.
„Ihr solltet jetzt besser aufpassen. Den Leuten, die hier wohnen, würde ich nicht trauen, wenn ich einer von euch wäre!“ Scape und Arane sahen sich ängstlich an. Hier waren sie noch nie gewesen.
„Aber, Joe. Du kommst doch selber von hier. Oder etwa nicht?“, flüsterte Scape entmutigt.
„Habe ich etwa gesagt, dass ihr mir trauen solltet?“
Die beiden starrten sich entsetzt an und Joe fuhr fort: „Wenn es hier jemanden gibt, dem ihr auf keinen Fall vertrauen dürft, dann bin ich das!“ Arane runzelte die Stirn und Scape zuckte als Antwort mit den Schultern.
„Aber…“, setzte er an, doch der Elfenjunge unterbrach ihn.
„Kommt jetzt. Wir müssen uns beeilen!“
Doch die beiden hörten nicht auf ihn und als er einige Schritte gegangen war und ihm auffiel, dass sie noch immer an der Straßenecke standen, drehte er sich um und kam zu ihnen zurück.
„Hey, Leute. Was ist denn los?“
„Du hast gesagt, wir sollten dir nicht trauen, also…“
Joe stöhnte genervt auf und meinte: „Kommt ihr jetzt, oder was? Von mir aus könnt ihr auch hier bleiben, aber ich bin mir sicher, dass ihr nicht zurück findet!“
Er hatte Recht. Keiner von ihnen hatte groß auf den Weg geachtet, den sie gegangen waren.
Also folgten sie ihm in die Dunkelheit.
Das erste, was ihnen auffiel, war der Gestank. In den breiteren Straßen des Viertels hatten sie ihn nicht wahrgenommen, doch hier war er nicht auszuhalten. Sie hielten sich die hand vor ihre Nase und Scape wunderte sich, dass es Joe anscheinend gar nichts ausmachte.
An den Straßenseiten stapelte sich der Müll und eine Ratte huschte über den Weg.
Noch mehr Wörter standen hier an den Wänden geschrieben, mit wilden Fratzen daneben, die mit derselben schwarzen Kreide gemalt wurden. Wo waren sie hier? In der Hölle der Elfen?
Ein alter Moorelf kam an ihnen vorbei, in seiner Hand blitzte etwas gefährlich auf.
Ein Messer?
Endlich blieben sie vor einem schmutzigen Hauseingang stehen
und Joe machte einen gespielten Knicks vor ihnen.
„Willkommen bei mir zu Hause!“, sagte er und trat ein. Sie folgten ihm nur widerwillig und es überraschte sie nicht, dass es keine Lampen in dem langen Flur gab, in dem sie nun standen. An der Decke hingen höchstens einige staubige Kronleuchter, in denen zahlreiche Spinnen ihr Netz errichtet hatten. Joe ging zielstrebig an mehreren grünen Türen vorbei, bis zu einer, ganz am Ende des Flures.
Joe hielt sie ihnen auf uns sie betraten den Raum dahinter.
Wenn es eben dunkel gewesen war, dann war es jetzt schwarz.
Man konnte die Hand vor Augen nicht sehn.
Doch dann flammte mit einem Mal eine Kerze neben ihnen auf und sie sahen mit Schrecken in ein fürchterliches Gesicht.
Es hatte schmale, grasgrüne Augen, wettergegerbte, graue Haut und zwischen den roten Lippen waren einige spitze, gelbe Zähne zu sehen. Die Haare waren unerkennbar, in dem schwachen Lichtstrahl, den eine Kerze in zwei aschfahlen Händen warf.
Es war eine Mischung aus Schwarz und Blond und zwischen den einzelnen Strähnen klebten Dreckkrumen. Die Augen blinzelten einmal und Scape beschlich das seltsame Gefühl, diese Augen schon einmal gesehen zu haben. In einer schmalen, dunklen Gasse.
Oder bildete er sich das nur ein?
Der schmale Mund verzog sich zu einem Lächeln und ihm fröstelte.
Dabei wurde eine lange Narbe sichtbar, die quer über das gesamte Gesicht verlief. An ihren Rändern waren dünne rote Linien zu erkennen, aber Scape wollte besser nicht allzu genau hinsehen. Ihm wurde schlecht bei diesem Anblick. Der rote Mund bewegte sich plötzlich.
Es sah zum fürchten aus.
„Na, wen bringst du denn da mit, Joe?“ Sie krächzte und röchelte.
Genau in diesem Moment kam Joe ebenfalls zu ihnen ins Zimmer und antwortete lächelnd: „Das sind Freunde, Brie. Wir könnten sie noch gebrauchen, für…unser Vorhaben. Du verstehst?“ Der Kopf nickte.
Und dann trat die Gestalt ins Licht.
Scape wich erstaunt und erschrocken zugleich einen Schritt zurück und er hörte, wie Arane zischend die Luft einatmete. Es war ein Mädchen. Die Elfe hatte ein schlichtes, weißes Kleid an, das an manchen Stellen Mottenzerfressen war.
„Freunde, das ist meine Freundin Brie“, stellte Joe sie vor und Arane fauchte: „Wir sind nicht deine Freunde, Elf!“ Die Elfe lachte laut auf und es hörte sich eher wie ein scheußliches Bellen an.
„Du meinst, diese Menschen sollen uns helfen? Die sind doch auf der Seite des…“
„Brie, noch nicht!“, unterbrach Joe sie barsch, „Wir wissen nicht, ob wir ihnen trauen können.“ Arane schnaubte verächtlich und sagte: „Das wäre wohl eher andersherum! Du hast doch selbst gesagt, wir sollten niemandem trauen, der hier lebt und schon gar nicht dir!“
Joe grinste wieder und das Elfenmädchen Brie schüttelte vor Belustigung den Kopf.
„Collin! Mervin! Ihr könnt raus kommen!“
Scapes Kopf fuhr herum, als sich zwei weitere Schatten von der Wand lösten und langsam auf sie zu geschlichen kamen.
„Das sind Collin und Mervin. Wir vier, also Brie, Collin, Mervin und ich, wir leben hier. Ist unser Palast nicht einfach herrlich? Collin, mach das Licht an!“, fuhr Joe einen der beiden Gestalten an, der sofort zusammenzuckte und zu einer Ecke des Raumes huschte.
Wenige Sekunden später erhellten drei große Kerzen den Raum und Scape und Arane konnten alles sehen.


Der Plan der Elfen

Da war ein großer Holztisch, der in der Mitte des Raumes stand, vier Hängematten, die zwischen einigen Balken und der grauen Wand befestigt waren, ein staubiges Fenster, durch das man schon gar nicht mehr hinaussehen konnte, einige aufgeschlitzte Kissen in einer Ecke und eine kleine Feuerstelle, die an der rußigen Wand lag.
Selbst diese Wände waren mit Wörtern beschrieben und auf dem Boden lagen überall verteilt, kleine, schwarze Kreidestückchen. Der Raum wirkte nicht gerade einladend, doch die Vier hatten etwas verschönern können, indem sie rote und blaue Tücher in den Ecken und zwischen den Balken aufgehängt hatten. Einige Münzen lagen auf dem Boden und eine leere Weinflasche rollte über den Boden, als Joe sie mit dem Fuß anstieß.
Das Zimmer war dunkel und es stank nach verbranntem Leder.
„Was ist das hier?“, fragte Arane unfreundlich und eine Gestalt raunte ihr aus einer Hängmatte aus zu: „Das hier ist der Palast.“ Arane schrie entsetzt auf, als sie den Schatten entdeckte. Sie waren nun von insgesamt fünf Elfen umringt: Joe, Brie, Collin, Mervin und nun auch noch der hier.
„Wie viele sind hier denn noch?“, fragte Scape leise und Brie fauchte böse an.
„Zwei fehlen noch“, antwortete der Schatten in der Hängematte, „Alwin und Dexter sind noch arbeiten.“ Die anderen lachten. Brie fiel wieder durch ihr eigenartiges Bellen auf.
Scape sah sie an und als sie seinen Blick spürte, bleckte sie die spitzen Zähne
und fauchte leise.
Joe sah es und grinste noch breiter.
„An eurer Stelle würde ich sie nicht wütend machen!“
Arane musterte Brie abschätzend und, die das narbige Gesicht zu einem höhnischen
Lächeln verzog.
„Wie meinst du das?“, fragte Scape neugierig an Joe gewannt und Brie funkelte ihn zornig an.
„Das geht dich gar nichts an, Mensch!“, fauchte sie. Das letzte Wort spie sie heraus, als wäre es ein Schimpfwort.
Joe sah seine Freundin forschend an und sagte leise: „Ich sage es nur, wenn sie selbst es will!“
Arane und Scape tauschten einen unruhigen Blick und Arane ihm zu.
„Warum hast du uns eigentlich her gebracht, Joe? Ich meine, was sollen wir hier?“
Joe sah sie lange an, ehe er eine Gegenfrage stellte.
„Zahlt ihr Steuern für den Fürsten?“
Scape schüttelte den Kopf und Arane stieß ihn zornig an.
„Du weißt doch gar nicht, ob sie Spione des Fürsten sind!“, flüsterte sie warnend und Brie stieß einen zornigen Schrei aus.
„Wie und Spione des Fürsten?! Wir? Das würde ja wohl eher auf euch Menschen zutreffen! Schließlich ist der Fürst auch ein Mensch! Ich hasse Menschen! Also, Joe, was hast du dir dabei gedacht, zu mitzubringen?!“
Sie knurrte und bleckte zornig ihre spitzen Zähne.
Arane wunderte sich. Wie hatte die Elfe sie hören können, wo sie doch so leise geredet hatte und einige Schritte von ihr entfernt stand, zum Glück. Sie wusste nicht warum, aber sie hatte den bestimmten Eindruck, dass diese Elfe etwas Gefährliches an sich hatte.
„Nun ja, lasst das mal eben bei Seite, freunde und lasst mich ausreden. Also, ähm…wie heißt ihr noch mal?“
„Ich bin Scape und das ist meine Freundin Arane“, erinnerte Scape ihn an ihre Namen.
Arane war sich nicht sicher, aber hatte die Elfe sie nicht wütend angesehen, als Scape gesagt hatte, dass sie seine Freundin sei? Aber sicher hatte sie sich getäuscht!
„Ja, richtig. Also, Scape und Arane, die Sache ist die: Der Fürst behandelt uns Elfen nicht gerade gut und…“
„Woran das wohl liegt?“, meinte Arane ironisch und grinste Scape an.
Doch er grinste nicht, seine Mine war wie versteinert.
Brie fauchte und Joe, Collin und Mervin schlugen wütend die Zähne aufeinander.
Die Gestalt, die noch immer in der hängematte lag, gab keine Regung von sich.
„Lass das bitte, Arane!“, sagte Joe und fuhr etwas beherrschter fort: „Und weil der Fürst uns wie Dreck behandelt, wollten wie und an ihm rechen!“
„Und was sollen wir da machen?“, fragte Scape ihn und sah, dass Arane sich nur schwer eine bissige Bemerkung verkneifen konnte.
„Nun, ich habe mir gedacht, er lässt ja Diebe jagen, nicht nur uns Elfen, sondern auch euch Menschen. Und, naja, vielleicht würdet ihr ja gerne bei unserem Vorhaben mitmachen. Ihr könntet auch einige eurer freunde bescheid sagen, dann wären wir noch mehr und hätten eine größere Chance. Und, was ist? Würdet ihr uns helfen?“
Arane wollte gerade den Mund öffnen, als der Schatten in der Hängematte aufstand und zu ihnen herüber ging. Ganz langsam und vorsichtig.
„Hört mal bitte zu, Scape und Arane“, sagte er ruhig, „Was hat der Fürst euch nicht alles angetan? Was hat er euch nicht alles genommen, was ihr liebtet? Und was wird er euch noch nehmen? Und wir, ihr Menschen und wir Elfen, wir waren lang genug Feinde. Nun lasst uns zusammenhalten und zusammen gegen den Fürsten antreten, der uns solange hat hungern lassen. Der uns quälte und auseinander riss. Seid ehrlich, hat nicht jeder von euch etwas an ihn verloren?“
Der Elf sprach langsam und mit ruhiger Stimme. Eine freundliche Aura umgab ihn und noch etwas anderes, das Scape Vertrauen schenkte.
Er dachte nach. Was hatte er an den Fürsten verloren?
Nichts, sagte eine Stimme in seinem Kopf.
Und es war die Wahrheit. Der Fürst hatte ihm nichts gestohlen.
Seine Eltern waren bei einem Bergunglück ums Leben gekommen, nicht durch den Fürsten.
Doch dann geschah etwas, was Scape nie für Möglich gehalten hätte.
Arane machte einen Schritt nach vorn und gab dem verdutzten Elf die Hand.
„Ja, wir werden euch helfen. Ja, wir werden mit euch gegen den Fürsten kämpfen und
ihn töten. Und wir werden nicht allein sein!“
Alles war still im Raum, nur das laute Atmen von Arane war zu hören, als sie geendet hatte.
Das hätte Scape nicht für möglich gehalten.
Arane, die die Elfen hasste, hatte einem von ihnen die Hand gegeben.
Arane, das Mädchen, das er liebte, hatte sich auf die Seite der Elfen geschlagen.
Und auch er würde zu ihnen halten.
Dieser eine Elf war der Auslöser gewesen.
Dieser eine fremde Elf, hatte etwas ihn dazu bewegt, aufzustehen und sich zu erheben.
Er, Scape, würde mit Arane und den Elfen gegen den verhassten Fürsten antreten.
Er und Arane. Und die Elfen.
Ein Glücksgefühl durchströmte ihn. Es würde anders werden.
Alles würde anders werden!


Die Versammlung

Scape, Arane und der Moorelfenjunge Joe gingen gemeinsam durch die Straßen von Kesselstadt und sprachen jeden Dieb oder Bettler an, dem sie begegneten.
Scape und Arane hatten bei den Menschen einen Vorteil: viele kannten sie.
Auch der Elf Joe brachte ihnen einiges: er war bei allen Elfen bekannt.
Sie hatten es so abgemacht: „Scape, Arane und Joe gingen durch die Stadt. Sie fragten erst einmal die Leute, ob sie Steuern an den Fürsten zahlten und wenn dies nicht so war, erzählten sie ihm von ihrem Plan. Die Menschen und Elfen waren nicht gerade begeistert darüber, zusammen arbeiten zu müssen, aber fast alle von ihnen sagten zu, sich nächste Nacht an einem geheimen Ort zu treffen.
Collin, Mervin und Brie kümmerten sich um die Werkzeuge und der Elf mit der ruhigen Stimme würde noch zu Scape und den anderen dazu stoßen.
Scape hatte eine große Veränderung in Arane festgestellt.
Sie war entschlossener, mutiger. Um es besser auszudrücken, sie war erfüllt mit Hoffnung.
Und bei ihm war es nicht anders, nur dass er seine Freude noch nie so richtig ausdrücken konnte. Er fühlte im Herz, nicht in der Tat.
Als die Drei am Marktviertel angelangt waren, kam der ruhige Elf zu ihnen.
„Nun, da bin ich. Ich war noch bei einem Freund, er hätte nicht mitgemacht, wenn Scape und Arane dabei gewesen wären. Habe ihn aber gesagt, dass einige Menschen dabei sein werden, aber er traut uns“, sagte er leise, damit keiner der Passanten ihn hören konnte.
Arane verzog das Gesicht und der Elf lächelte.
„Ach ja“, fiel ihm plötzlich ein, „Ich habe mich ja noch gar nicht vorgestellt, mein Name
ist Falio. Wenn ihr einmal Hilfe braucht, ich bin für euch da!“
Arane und Scape sahen sich ungläubig an und Joe lachte über ihre verdutzten Gesichter.
„Wenn es einen netten Elf gibt, dann wäre das Falio!“, meinte Joe belustigt, woraufhin Falio sagte: „Und wenn es einen Preis fürs stehlen und betrügen gebe, würde Joe ihn bekommen!“
„Ja, oder Brie. Schließlich ist sie eine Wol…“
Er sprach nicht weiter, als ihm wieder einfiel, dass Scape und Arane auch noch da waren.
„Was ist Brie? Sie ist doch eine Moorelfe oder nicht?“, hakte Arane nach und Scape sah, wie die beiden Elfen einen beunruhigenden Blick wechselten.
„Das muss sie euch schon selbst erzählen. Ich sage da nichts zu“, meinte Joe und Falio nickte zustimmend.
„Los, wir brauchen noch mehr Verbündete!“, erinnerte Arane sie schließlich an ihre Aufgabe.
Die Vier sahen sich einen Moment lang an, ehe sie ihren Weg fortsetzten.
„Habt ihr schon viele überredet, mit zu machen?“, wollte falio von ihnen wissen und Scape antwortete ihm: „Wir haben bis jetzt zehn Kinder. Darunter acht Diebe und zwei Bettler. Aber wir brauchen mehr, wenn wir die Burg des Fürsten stürmen wollen!“
Joe stimmte ihm zu und sie gingen schnell weiter.

Als es zu dämmern begann, hatten sie insgesamt fünfzehn Verbündete.
Sie hatten sich alle in dem so genannten Palast eingefunden.
Scape und arane standen neben Collin und Mervin.
Falio hatte sich einen Platz neben Alwin und Dexter gesucht, zwei weiteren Freunden
der Elfen. Brie hockte hinter Joe auf einer alten Holzkiste und die fünfzehn Verbündeten, sie sie in der Zwischenzeit gefunden hatten, standen oder saßen um sie herum.
Niemand von ihnen schien Brie zu nahe kommen zu wollen.
„Nun, was ich sagen wollte, die Sache ist die…“, begann Joe.
In der nächsten halben Stunde versuchte er und Falio die Versammelten dazu zu überreden, ihnen zu folgen. Die wenigsten stimmten ihnen gleich zu.
Die verschiedenen Völker, Mensch und Elf, behagte es gar nicht, nebeneinander zu sitzen, aber am Ende war klar, sie würden in einer Woche die Burg des Fürsten angreifen.
Sie würden jeden tag bis dahin durch die Straßen ziehen und nach weiteren Freunden im Kampf suchen.
Nach der Versammlung, es war fast Mitternacht, machten Scape und Arane sich auf den Heimweg. Sie blieben eng zusammen gedrängt, als sie im Viertel der diebischen Elfen waren, schließlich konnten sie sich keinen Überfall leisten.
Sie stiegen die schmale Treppe hinauf, gingen über einen großen platz auf dem Schwarzmark getrieben wurde, überquerten eine Kreuzung, gingen eine schmale Gasse endlang und waren auch schon da.
Vor ihnen stand das vertraute Bäckerhaus, in dem sie ein Zimmer gemietet hatten.
Wir sollten es wir Joe und die anderen machen, schoss es Scape plötzlich durch den Kopf.
Warum jeden Monat Miete zahlen, wenn sie sich auch eine alte Fabrik oder eine Ruine bewohnen konnten? Ja, dachte er.
Wenn das alles vorbei ist, würden er und Arane sich etwas Eigenes suchen.
Vielleicht irgendwo in der Nähe des Marktviertel, da bräuchten sie nicht so weit zu laufen, um stehlen zu können. Oder in der Nähe der Stadtmauer, dort könnten sie die Leute beobachten, die die Stadt verließen und…
Nein!
Mit einem Mal wusste er, was er wollte.
Er wollte eine Behausung im Viertel der diebischen Elfen.
Joe hatte ihnen erzählt, dort würden einige Menschen leben.
Ja, das wollte er.
Er hatte Joe erst heute Morgen kennen gelernt, aber für ihn stand fest, niemals würde
er ihn verlassen. Denn Moorelfe oder nicht, er war an diesem einen tag sein Freund geworden.
„Kommst du jetzt oder was?“
Aranes Stimme riss ihn zurück in die Wirklichkeit und er folgte ihr hinein in das Haus der Bäckerin, die schmale Treppe hinauf und in ihr Zimmer.
Es würde nicht mehr lange dauern, bis es ihr ehemaliges Zimmer gewesen sein würde.


Wolfsgeheul

Eine kleine Scharr dunkler Gestalten ging durch die Straßen von Kesselstadt.
Hin und wieder schälte sich ein weiterer Schatten von einer der Hauswände und gesellte sich zu ihnen. Immer mehr wurden es, immer mehr.
Ja, Scape, Arane und ihre neuen Freunde, die Elfen, hatten wirklich gute Arbeit geleistet.
Schon nach kurzer Zeit bestand die Gruppe nicht aus weniger als dreißig Menschen und Elfen.
Die Gruppe strich durch die verwinkelsten Straßen und Gassen der Stadt, auf der Suche nach noch mehr Anhängern.
Sie gingen Treppen hinauf und hinab, stiegen in bis in die tiefsten Etagen von Kesselstadt und lugten in jedes Gasthaus. Wer sie jetzt sehen würde, musste sie für eine kleine Armee halten.
Inzwischen waren sie nämlich nicht nur Dreißig, sondern fast ganze Fünfzig.
Die Elfen und Menschen beachteten einander kaum, sie alle hatten nur eines im Sinn.
Rache.
Hoffnung.
Hoffnung auf mehr.
Oder auch nur der Wunsch, etwas zu bewegen.
Jeder von ihnen hatte etwas an den Fürsten verloren.
Ein Familienmitglied etwa oder sein Zuhause. Viele von ihnen hatten ältere Brüder, die dem Fürsten als Soldaten dienen mussten und sie alle hofften, nicht auf sie zu treffen.
Was würden sie tun, wenn sie vor ihren Geschwistern standen und sie abgreifen mussten?
Würden sie abhauen, nur dastehen und sie mit Schrecken ansehen oder würden sie ihr Schwert erheben und das tun, wofür sie her gekommen waren?,
Scape wusste es nicht, aber er hoffte inständig, es würde das Richtige sein.
Die Gruppe wuchs stets und Scape wurde von Hoffnung erfüllt.
Was, wenn sie tatsächlich gewannen?
Was, wenn sie den Fürsten töten konnten?
Ja, was wäre dann?
Würde es dann einen Neuen geben, der sie herum kommandierte?
Wenn sie gewannen…?
Nein! Sie würden nicht gewinnen!
Sie waren doch nur ein Haufen Kinder!
Wie sollten sie gegen die kampferprobten Soldaten des Fürsten ankommen?
Sie würden es nicht schaffen. Untergehen würden sie!
Und in den Gedächtnissen der Leute würden sie nur als ein kleiner, vergebener Widerstand gegen den mächtigen Fürsten bleiben. Eine Träne rollte seine Wange hinunter.
Was taten sie hier? Warum war er noch immer hier und wollte einen aussichtslosen Kampf beginnen? Das konnte er nicht! Er war doch nur ein Kind!
Falio, der neben ihm marschierte, legte ihm eine kühle Hand auf die Schulter.
Das half. Mit jedem Kind, das sich zu ihnen gesellte, fühlte er sich stärker, mächtiger.
Ja!
Ja, sie hatten eine Chance.
Collin, Mervin, Falio und Brie hatten ihnen gute Kampfwerkzeuge gesucht.
Einige der Kinder waren mit eigenen Waffen gekommen.
Konnte man sie Waffen nennen?
Nein, das konnte man nicht. Die meisten von ihnen trugen nicht mehr als ein kurzes Küchenmesser, eine Mistgabel oder ein Forke. Nein, damit konnten sie doch nicht gegen den Fürsten und seine Soldaten…
Nein! Schluss damit! Sie hatten sehr wohl eine Chance, solange sie nur daran glaubten!
Arane hatte einmal zu ihm gesagt, man kann alles schaffen, wenn man es nur
wirklich will! Und er, Scape, würde es schaffen!
Die Gruppe bewegte sich immer weiter auf die Stadtmitte zu, wie eine Einheit.
Eine Einheit, die den Fürsten einfach überrennen würde.
Scape würde nach dem Sieg als allererstes in die Schatzkammer laufen und sich und arane so viele Edelsteine holen, wie er tragen konnte.
Sie marschierten kreuz und quer durch die Stadt, hoch und runter, links und rechts.
Die Burg des Fürsten ragte in der Stadtmitte hinauf, wie ein schwarzer, unheilvoller Turm.
Wie ein schwarzer Berg sah er aus, wie er dort hoch oben thronte und auf Kesselstadt hinunter blickte. Ein passender Platz für den Herrn der Stadt.
Und endlich waren sie da.
Vor ihnen erhoben sich schwarze Mauern, noch dunkler als sonst, von Regen, der unablässig vom Himmel stürzte. Doch schlechtes Unwetter würde sie von ihrem Vorhaben nicht abbringen! Nichts würde sie daran hindern, in die Burg zu stürmen und sie von oben bis unten nach dem Fürsten und seinen Soldaten zu durchsuchen.
Auch die Kescher würden nicht unverschont bleiben. Sie hatten all zu viele von ihnen in den Kerker wandern lassen. Seine Soldaten könnten sich ihnen anschließen, wenn sie wollten.
Aber der Fürst, der würde Joe gehören.
So war es verabredet gewesen. Der Elfenjunge hatte drei seiner Freunde an ihn verloren und wollte sich an ihm rechen. Scape gönnte es ihm.
„Wie kommen wir herein?“, fragte ein verängstigter Junge neben Scape und blickte zu dem hohen Tor auf, das rechts neben ihnen war.
Scape, Arane und ihre neuen Elfenfreunde schwiegen.
Keiner von ihnen hatte sich überlegt, wie in die Burg herein zu kommen war.
Doch plötzlich meldete sich ein kleiner Junge, der neben Arane stand und sagte laut: „Mein Bruder, Jens, der ist einer der Soldaten und er sagte, er würde das Tor für uns öffnen, wenn wir das Zeichen geben. Er hilft uns gern, denn auch er hat vieles an seinen Herrn verloren.“
„Und was ist das Zeichen?“, wollte Falio erstaunt wissen und der Junge antwortete gelassen: „Wenn ich wie ein Wolf heule.“
Joes Kopf fuhr zu Brie herum, die den Jungen verblüfft ansah.
Auch Arane starrte ihn an, doch anders wie bei Brie, lag in ihrem Blick keine Neugier, sondern Entsetzen. Scape konnte ihn nicht sehen, zu viele Kinder versperrten ihm die Sicht, aber Arane sah ihn nur zu gut.
Der Junge neben ihr, hatte schwarze Haare, die ihm in langen Strähnen bis auf die schmalen Schultern hingen. Seine gelben Zähne ragten ihm schief aus den Mundwinkeln und seine Augen waren von einem erschreckenden Grün. Ja, er sah noch Furcherregender aus als Brie und das war schon eine Meisterleistung. Arane starrte ihn angeekelt an, Brie dagegen voller Neugier und Interesse.
Sie näherte sich dem Jungen wenige Schritte, viel weiter ließen es dir
vielen Kinder auch gar nicht zu. Und schon wenige Augenblicke später kauerte sich der Junge auf alle Vieren, legte den Kopf in den Nacken wie ein Wolf und spitze die roten Lippen.
Ein schauerliches Heulen drang aus seinem verzogenen Mund und gellte ihnen in den Ohren.
Nur Brie schien fasziniert von ihm zu sein, sie konnte den Blick nicht von ihm wenden.
Und ganz plötzlich fiel auch sie auf alle Vieren und stimmte in sein Geheul mit ein.
Der Junge musste gegen seinen Willen lächeln.
Joe und Falio sahen sich beunruhigt und schockiert zugleich an und Joe ging langsam
auf Brie zu. Sie hatte die grünen Augen zu schmalen Schlitzen verengt und heulte.
Auch der kleine Junge heulte.
Und mit einem Mal setzte noch ein Wolfsruf ein.
Scape sah sich erschrocken um, doch es war keiner der Umstehenden.
Sie alle starrten entweder auf den kleinen Jungen oder auf Brie, die beide auf allen Vieren hockten und ein schreckliches Heulen von sich gaben.
Der Ruf kam aus der Stadt, ganz in ihrer Nähe.
Scape fuhr erschrocken herum, als er das bemerkte, doch da war es auch schon zu spät.
Ein braunes Etwas kam auf ihn zugeschossen, lief jedoch an ihm vorbei und warf sich mit einem entsetzlichen Knurren auf Brie.
Die Elfe hatte die gelben Zähne gebleckt, die Finger wie Klauen geballt und in den Augen spiegelte sich wilde Kampflust. Auch der Blick des Jungen veränderte sich schlagartig.
Seine grünen Augen verengten sich noch mehr, ein Speicheltropfen stahl sich durch seine Mundwinkel, die Zähne hatte er gebleckt und auch seine Hand ähnelte jetzt mehr einer Klaue.
Er schoss auf Brie und das braune Wesen zu, warf sich auf sie und die drei verschwammen zu einem wilden Knäuel, aus dem hin und wieder ein Reißen und Zerren zu hören war.
Es war das schrecklichste, was Scape je gesehen oder gehört hatte.
Blutstropfen besprenkelten den hof vor der Burg und alle starrten entsetzt auf die drei Kämpfenden. Joe und Falio sahen sich schockiert an und als Falio Brie, dem jungen und den braunen Etwas nähern wollte, stellte Joe sich ihm in den Weg.
„Bleib hier! Das ist zu gefährlich!“, zischte er ihm zornig zu Falio wich zurück.
Arane ging auf Scape zu und umarmte ihn, das Gesicht in seiner Schulter verborgen.
Was war da, auf der anderen Seite der vielen Kinder, nur los?
Er sah es nicht. Die Kinder waren ihm im Weg, er sah nur ihre Köpfe, die alle in ein und dieselbe Richtung starrten. Das reißen setzte einen Moment lang aus, um dann nur noch schrecklicher und lauter zu ertönen.
Scape sah Arane an und fragte sie leise: „Was ist da? Ich kann vor lauter Köpfe nichts sehen.“
Sie blinzelte ihn an.
„Als der kleine Junge, der fast so ähnlich aussah wie Brie, als er geheult hat, hat Brie auch angefangen und dann war noch ein drittes Heulen zu hören und etwas Braunes…“
„ja, ich weiß. Das habe ich mitbekommen. Aber was passiert da gerade?“
Arane zögerte, fuhr dann jedoch fort. „Der kleine Junge, Brie und das Ding kämpfen.“
Sie sahen sich kurz an, ehe sie sich durch die bewaffneten Kinder drängten.
Am Rande des Geschehens blieben sie stehen und Scape sah mit Schrecken auf das Szenario, das sich vor ihm abspielte. Brie, der kleine Junge und das braune Etwas waren zu einem Knäuel verkeilt und kämpften miteinander. Doch es war kein Kampf, wie es ihn alltäglich in Kesselstadt gab. Er war brutaler und wilder.
Brie, auf allen Vieren, wich plötzlich aus dem engen Knäuel zurück und tänzelte um die anderen zwei herum. Der Junge holte mit seiner Hand aus, die Finger wie Krallen gebogen, und schlug damit auf das Ding ein, dass ihn in die Schulter zubeißen versuchte.
Mit einem Mal schoss Brie vor und versenkte ihre Fingernägel in ein Bein des Angreifers, der laut aufheulte. Der Angreifer holte aus und schlug ihr ins Gesicht, sodass sie zurücktaumelte.
Das Wesen riss den Mund auf und biss in die Schulter des Jungen, der zusammenzuckte, in sich zusammensackte und hinfiel. Doch wenige Sekunden später hatte er sich auch schon wieder aufgerappelt und warf sich, zusammen mit Brie, auf den Angreifer.
Das braune Wesen jaulte auf und wich zurück, als Brie ihm mit einem Fuß in den Magen trat.
Der Junge grub seine Fingernägel in das Gesicht des Angreifers und wich selbst einen
Schlag aus. Der Schlag traf stattdessen Brie, die noch wütender hin und her tänzelte, während das Wesen immer wieder versuchte, sie zu erwischen.
Der Junge blutete bereits an der linken Schulter und am Bein, das er leicht nachzog.
Bries Arm war rot und der Angreifer blutete auch schon im Gesicht.
Und dann ging alles ganz schnell.
Alle drei Kämpfenden verschmolzen zu einem Knäuel, aus dem wildes reißen und
Knurren drang. Arane machte die Augen zu, sie wollte den Kampf nicht mit ansehen.
Doch Scape konnte nicht wegschauen, er starrte wie gebannt auf die Drei, die noch
immer kämpften. Es war schrecklich, das Schlimmste, was er je gesehen hatte.
Mit einem Mal brach das Knäuel auseinander und jeder sah den anderen hasserfüllt an.
Sie kauerten in wilder Kampfstellung, und sahen aus grünen Augenschlitzen an.
Erst jetzt konnte Scape das Wesen richtig erkennen.
Seine haut war wettergegerbt und braun. Die wenigen Haare die er noch hatte, waren schwarz und hingen wirr herab. Die gelben Zähne waren gebleckte und ein wildes Knurren drang aus seiner Magengrube. Sie Hände waren zu Klauen verformt und das Gesicht war von Narben gezeichnet, die kreuz und quer über sein Furcherregendes Gesicht verliefen.
Die spitzen Ohren waren dreckverkrustet.
Scape starrte das Wesen fassungslos an.
Das konnte doch nicht wahr sein! Das war nicht möglich!
Warum griff ein Elf andere Elfen an?
Denn dieses braune Ding, war ganz sicher eine Elfe, oder nicht?
Gab es etwas anderes, das so aussah, außer Elfen?
Scape sah von Brei zu dem Jungen und dann zu diesem Elf.
Dann wieder zu Brie. Sie hatten alle drei dieselbe braune haut, dieselben Ohren, dieselben, schmutzigen Haare und die gleichen gelblichen Zähne, die ihnen aus den Mundwinkel ragten.
Und dann erinnerte er sich.
Damals, auf dem Markt, als sich Joe und Falio darüber unterhalten hatten, dass entweder Joe oder Brie den Preis fürs Stehlen und Betrügen bekommen würden, gäbe es denn so einen.
Damals hatte Joe gesagt, schließlich ist sie eine Wol…
Was hatte er sagen wollen?
Und arane hatte gefragt, was ist Brie? Sie ist doch eine Moorelfe, oder nicht?
Joe und Falio hatten sich nur angesehen und gemeint, das müssten sie Brie schon selbst fragen.
War Brie womöglich gar keine Moorelfe?
Was war sie dann? Eine Freie Elfe war sie jedenfalls nicht!
Soweit scape wusste, hatten alle Freien Elfen braune Haare, blaue Augen und eine
blasse Haut.
Was gab es denn noch für…?
Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als erneutes Jaulen und Kreischen anbrach und Brie seitlich gegen die Burgmauer prallte. Der junge bleckte wütend die Zähne und ging auf den seltsamen Elf, der sie angegriffen hatte, los. Sie bissen und kratzen sich, während Brie langsam wieder auf die Füße kam. Kauernd schlich sie auf den Feind zu und packte ihn von hinten, doch zu spät.
Es ging alles so schnell, dass Scape es kaum fassen konnte, was sich da vor seinen Augen abspielte. Der Junge wurde zur Seite geschleudert, Brie stürzte sich wild knurrend auf den Elfen, der sie jedoch abwährte und sie stattdessen hoch in die Luft wirbelte, wo sie sich einmal drehte und mit einem dumpfen Schlag auf den harten Straßensteinen aufkam und liegen blieb. Der junge jedoch wurde nun von solcher Wut gepackt, dass er es schaffte, ein so schreckliches Heulen auszustoßen, dass alle versammelten Kinder erschrocken zurückwichen.
Der Elf wirbelte herum, wurde von dem Jungen seitlich gepackt, herumgeschleudert und in eine kleine Seitengasse geschleudert.
Der Elf rappelte sich wütend auf, sah den Jungen an, dann seine vielen Wunden, aus denen das Blut troff und wandte sich um. Dann richtete er sich zu seiner vollen Größe auf und verschwand humpelt in der Dunkelheit.


Wolfselfen

Es war still auf der Straße und alle blicke waren auf einen einzigen Punkt gerichtet.
Sie alle starrten den jungen an, dessen Körper mit zahlreichen Verletzungen überzogen war.
Sein eigener Blick war wild vor Hass und zu einer grimmigen Grimasse verzogen.
Seine grünen Augen zu Schlitzen verengt.
Nur wenige schauten zu Brie, die noch immer regungslos auf den Steinen lag.
Der gesamte Kampf war in Raubtierhaltung von statten gegangen, in geduckter Stellung, wie die Katzen hatten sie gekämpft. Und Brie lag da, auf dem harten Boden, Arme und Beine von sich gestreckt.
Regungslos.
Joe ging langsam zu ihr hinüber und fühlte ihren Puls.
Dann richtete er sich auf und bestätigte Scapes Vorahnung.
„Sie ist tot“.
Er sagte es ganz leise, und doch blieben die Worte in der Luft hängen, als hätte
er sie geschrieen.
Tot.
War es das, weshalb sie hier waren?
Um zu sterben?
Würden sie hier alle ihr bitteres Ende finden?
Doch plötzlich durchbrach eine kräftige Stimme die Stille.
„Kommt mit. Ich zeige euch einen besseren weg. Einen, der sicher ist!“
Die Worte kamen aus dem Schatten der Burgmauer zu ihnen herüber und die Scharr Kinder wichen zögernd einige Schritte von ihr weg.
Eine hagere gestalt löse sich aus der Dunkelheit und ging langsam auf mervin zu, der ihm an nächsten stand.
„Du! Bist du der Anführer von eure kleinen Truppe?“
Mervin wollte gerade etwas sagen, als Joe vortrat.
„Nein, ist er nicht“, sagte er zu dem fremden, „ich bin der Anführer.“
„Du? Gut, dann folgt mir alle. Ich bringe euch auf einem sicheren Weg in die Burg!“
Die Gestalt ging langsam in Richtung Tor zu, von allen anderen gefolgt.
Brie lieg alleine liegen, auf den kalten, nassen Steinen, mitten auf der Straße.
Scape wurde von der Menge mitgetrieben, sodass er gar keine Wahl hatte.
Arane ging ihm voraus.
Kurz vor dem Tor blieben alle stehen und Scape sah nur, wie sie einer nach dem anderen plötzlich verschwanden. Als nur noch er, Arane, Collin, einer ihrer diebischen Begleiter und der fremde Junge übrig waren, erkannte er, was sich dort auf dem Boden befand.
Es war ein Abflussrohr, in das sich die Kinder hinunter ließen.
Der junge bemerke seinen prüfenden Blick und sagte: „Wenn du unten bis, geh nach links und dann die Strickleiter hoch. Das ist ein kleiner Geheimgang, den ich zufällig entdeckt habe.
Er führt in die Burg.“

Scape und Arane standen inmitten der Kindersoldaten.
Sie waren in einem der vielen Flure der Burg und Lauschten gebannt.
Ganz in der Nähe war leise Musik zu hören.
„Wo kommt die Musik her?“, fragte ein kleiner Elf leise.
„Wo müssen wir jetzt hin?“, fragte ein Menschenkind.
„Was sollen wir jetzt tun?“, fragte ein verängstigtes Mädchen schüchtern.
„Haben wir wirklich eine Chance gegen den Fürsten?“, wollte ein
Junge in Scapes Alter wissen.
„Schon gut, Leute!“, versuchte ihr Führer sie zu beruhigen, „Folgt mir, hier geht es lang.“
Die kleine Scharr ging ihm hinterher wie die Küken ihrer Mutter.
Nur die Größeren schienen diesem Fremden nicht ganz zu trauen.
Joe und Falio sahen sich immer wieder misstrauisch um, Collins und Mervins Blicke huschten hin und her. Drei Elfen, die Scape nicht kannte, flüsterten erregt miteinander und sie beäugten den Jungen, der sie führte, misstrauisch.
Scape und Arane gingen nebeneinander her Scape musterte ihren Führer forschend.
Doch dann fiel ihm wieder etwas Wichtiges ein, das er Joe fragen wollte und er hechtete an den anderen vorbei und blieb erst stehen, als er neben Joe ging.
„Ach, Scape“, sagte er, „Was ist denn los?“
Scape, der nicht recht wusste wie er es sagen sollte, stotterte herum, ehe Falio neben ihm erschien und ihn gespannt ansah.
„Ach, ich wollte bloß fragen, wegen Brie, dem kleinen Jungen und diesem Ding, das angegriffen hat und Brie…Naja, es ist nur, sind sie auch Elfen, oder…
Sie sehen nur so merkwürdig aus und so.“
Joe und Falio wechselten einen schnellen blick, doch dann erzählte Falio ihm alles.
„Ja, Brie…Sie war eine Elfe. Aber keine Moor- oder Freie Elfe. Sie, dieser Junge und ihr Angreifer, es sind Wolfselfen. Diese Art von uns ist den meisten Menschen nicht bekannt, aber es gibt sie. Einige sagen, sie stammen vom Wolf ab, andere sagen, es sind Mischwesen, halb Elfe halb Wolf. Es gibt nicht mehr viele von ihnen. Eine Zeit lang wurden sie gejagt, das hat aber stark abgenommen. Ich weiß nicht, ob es in Kesselstadt noch mehr gibt als sie.
Wolfselfen essen meist nur Fleisch, was sie am besten vertragen. Aber wenn es nicht anders geht, können sie auch etwas anderes essen. Sie heulen wie die Wölfe, woher sie auch ihren Namen haben. Sie scheren sich nicht um die Kriege von euch Menschen und den anderen Elfenarten. Das Heulen ist so etwas wie eine Kampfansage. Wenn sie es hören, werden sie automatisch von ihm angezogen. Wenn der Ruf von einem stammt, mit dem sie nicht verfeindet sind, stimmen sie ebenfalls in sein Heulen ein, entweder um den Feind von dem anderen fortzulocken oder als zeichne, dass der Kampf bald losgeht.“
Scape sah Falio nur an.
Er hatte immer gewusst, dass Brie anders gewesen war.
Falio fuhr fort.
„Die Wolfselfen bekämpfen sich gegenseitig, was ebenfalls an ihrer Wenigkeit schuld ist.
Sie kämpfen nur für sich, fürs Überleben. Selbst unter uns Elfen sind sie auch unter dem Namen die Wilden bekannt, weil sie brutal sind und nur für das eigene Leben kämpfen.
Sie halten nur zu uns Elfen oder zu euch Menschen, wenn sie selbst etwas davon haben.
Brie zum Beispiel. Sie ist zu uns gekommen, um gemeinsam mit uns gegen den Fürsten zu kämpfen, der ihre Familie hat umbringen lassen.
Aber erwarte von einer Wolfselfe niemals Dankbarkeit! Ich wette, die wenigsten haben jemals in ihrem Leben danke gesagt! Und wenn es darum geht, einer von ihnen zu vertrauen,
vergiss es. Du kannst dir nie sicher sein, ob sie auch am Ende noch zu dir hält. Bekommt sie zum Beispiel eine Belohnung für ihre Dienste, geht sie zu dem, der mehr bietet,
egal wer das ist.“
Falio endete seine Erzählung und er, Joe und Scape sahen sich an.
Auch einiger der anderen hatten Falio zugehört und ihr fremder Anführer legte einen Finger auf die Lippen, zum Zeichen, dass sie still sein sollten.
Die Musik war lauter geworden.
Vor ihnen war eine Tür.
Ihr Führer blieb davor stehen und Atmete tief ein.
Dann trat er einen Schritt vor und riss sie schwungvoll auf.


Der Edelfürst

Scape hatte den Fürsten von Kesselstadt nie gesehen.
Immer nur auf Bildern.
Aber er musste zugeben, dass der Maler dieser Kunstwerke ihn gut getroffen hatte.
Der Fürst hatte eine mächtig überraschende Miene aufgesetzt, als die vielen bewaffneten Kinder in den riesigen Saal stürmten.
Sein rotes Haar war kurz geschnitten und sein Rumpf wölbte sich unter seinem
blauen Mantel. Seine braunen Augen huschten zwischen den Eindringlingen hin und her.

Der Fürst von Kesselstadt wurde von vielen Bewohnern seiner Stadt auch Edelfürst genannt, da er Edelsteine nicht nur liebte, sondern sie verehrte.
Für ihn gab es nichts Wichtigeres auf der Welt als diese glänzenden Kostbarkeiten.
In dem riesigen Berg Utgart hatte er sogar eine Miene erbauen lassen, in der Tag und Nacht hunderte von Menschen und Elfen schufteten, um Edelsteine aus dem Fels zu klopfen.
Silber und Gold, wenn sie denn welches fanden, wurden zu Münzen verarbeitet und floss in die Kassen der Händler von Kesselstadt. Nur die Edelsteine, die landeten in der Schatzkammer des Fürsten. Von ihnen hatte er seinen Namen, Edelfürst.
Und inzwischen war nicht nur eine Schatzkammer mit ihnen gefüllt.
Nein, der Fürst ließ sogar einige kleinere Nebengebäude errichten, da in seiner Burg kein Platz mehr für sie war. Seine Schätze waren legendär.

Als die Kindersoldaten den Edelfürsten erblickten, standen sie nur da und sahen ihn an.
In manchen Blicken lag Neugier, in anderen Neid. Aber in den meisten ihrer Gesichter spiegelte sie blanker Hass wieder.
Der Fürst saß, zusammen mit einigen seiner Soldaten, an einem langen Holztisch und speiste.
Der köstliche Duft des Bratens erfüllte die Luft und Scape musste schlucken.
Wie lange war es her, dass er ein solches Mahl genossen hatte?
Hatte er überhaupt jemals Braten gegessen?
Wenn er das hatte, dann fiel es ihm nicht mehr ein.
Der Fürst und seine Soldaten starrten die Kinder verblüfft an, die zurückstarrten.
Die Stille wurde von einem gellenden Schrei unterbrochen. Er kam von Joe, der nun, wild mit seinem Dolch fuchtelnd, auf den Herrn der Stadt losstürmte.
Es dauerte nicht lange, da waren sie auch schon von den Soldaten umringt und Joe lag auf dem Boden. Der Edelfürst sah auf ihn hinab, die Faust schmerzte noch von dem schlag, mit dem er sich gegen den Elfenjungen verteidigt hatte.
Die Soldaten zogen ihre Schwerter und richteten sie auf die Kinder, die wie angewurzelt da standen und mit Schrecken auf die gefährlichen Waffen blickten.
Der fremde Junge, der die Gruppe in die Burg geführt hatte, trat vor und sagte laut: „Hier ist das, was ich von euch halte!“ Und er spuckte einen der jungen Männer ins Gesicht.
Es blieb still.
Nur der Angespuckte schüttelte sich vor Abscheu und starrte den Jungen hasserfüllt an.
„Ich hoffe, unsere Waffen sind spitz! Euer tot soll schließlich nicht zu langsam und schmerzvoll von Statten gehen!“
Und dann griffen sie an.
Scape hatte seinen Dolch schon gezückt, ehe die Soldaten es taten und wedelte nun wild mit ihm herum. Arane tänzelte um einen herum und brachte ihn aus dem Konzept und Falio hatte es gleich mit dreien zu tun. Collin und Mervin rannten umher und hatten ihre Säbel vor sich ausgestreckt. Der kleine Junge, der Wolfself, kämpfte wie ein Berserker. Er war wieder in die Kauerstellung zurückgefallen und biss und schlug wild um sich.
Viele der Feinde fielen Dexter und Alwin zum Opfer.
Scape wich einem Faustschlag eines Soldaten aus und stach seinerseits zu.
Die Soldaten glaubten, die Kinder würden sowieso verlieren, weshalb sie sich gar nicht anstrengten. Das wiederum verbesserte ihre Chancen.
Scape sah einen ihrer Verbündeten fallen und verfolgte seinen Mörder quer durch den riesigen Saal. Dabei erhaschte er einen kurzen Blick auf den Edelfürsten, der gegen den wilden, zornigen Wolfselfenjungen kämpfte.
In all dem durcheinander sah er auch einige Male Arane, die mit ihrem kurzen Messer nicht viel ausrichten konnte. Zweimal rettete er ihr Leben.
Es behagte ihm nicht, sie kämpfen zusehen. Sie war doch nur ein unschuldiges Mädchen!
Noch nie in ihrem Leben hatte sie eine Waffe gegen jemanden erhoben.
Collin und Mervin schlugen sich tapfer, doch einmal sah er, wie Collin sich die blutende Schulter hielt und Mervin zu strauchelt begann, als ein Schwerthieb sein Bein streifte.
Scape hatte zwar oft gegen zornige Händler gekämpft, die ihr Eigentum verteidigen wollten, nicht jedoch gegen die kampferprobten Soldaten des Fürsten. Auf seinem linken Arm war ein kleiner Blutfleck zusehen, der immer größer wurde.
So genau wollte er gar nicht darüber nachdenken, ihm wurde schlecht bei dem Gedanken.
Die vielen Kinder wurden weniger. Doch sie waren mit Hass und Zorn auf den Fürsten gefüttert worden und der Verlust schien sie nur noch mehr anzustacheln.
Scape sah Joe in einer Ecke. Er lehnte sich an die Wand und hielt sich den Magen, während Falio versuchte ihn zu verteidigen.
Ihr Führer hieb zornig auf einen etwas kleineren Soldaten ein, der sich auf die andere Seite des Saales flüchtete. Schreie erfüllten die Luft und schon bald tauchten noch mehr Soldaten auf, von dem Kampfgeschrei geweckt.
Der kleine Wolfself schien zu erstarren, als einer der Soldaten zögernd auf ihn zukam.
Er streckte ihm vorsichtig die arme entgegen.
Scape verstand nicht, was er tat und lief zu ihm.
„Was tust du da? Das ist ein Feind!“
Doch der kleine junge sah ihn kopfschüttelnd an und sagte laut, damit er ihn verstehen konnte: „…Bruder, Jens…unsere Seite!“
Bei den vielen Schreien konnte Scape nur die Hälfte verstehen, aber er verstand dass dieser Soldat der Bruder des Jungen und ein Verbündeter war. War das nicht der, der ihnen bei dem Wolfsheulen das Tor hatte öffnen wollen? Er hatte es nicht getan? Warum nicht?
Doch schon wenige Sekunden später sah er Jens mit einem anderen verblüfften Soldaten kämpfen.
Es war also tatsächlich auf ihrer Seite.
Arane kämpfe wild, doch sie hatte eigentlich keine Chance.
Zahlreiche Schnittwunden überzogen ihren Körper und Scape konnte sie nicht die ganze Zeit schützen. Er tat was er konnte und versuchte, sie im Auge zu behalten.
Er stach zu.
Seine Hiebe wurden immer gezielter und wilder.
Der Hass und die Angst verzehrten ihn von Innen und zwangen ihn dazu, weiter zu kämpfen.
Los! Stich zu!
Da, ein Soldat! Lass ihn spüren, wie du dich fühlst!
Lass ihn spüren, was er dir angetan hat!
Für seine Freunde. Für die Freiheit! Er sah nur noch die Feinde, so viele Feinde.
Sie würden es nicht schaffen.
Stich zu! Kämpfe!
Gewinne!
Was war nur los mit ihm? War es so weit gekommen, dass er den Kampf mochte?
Los, Scape! , sagte eine Stimme in seinem Kopf.
Finde den Fürsten!
Töte ihn!
Nein, Joe wollte es doch tun.
Doch, du musst es!
Warum?
Egal, töte!
Töte den Fürsten, der all die Leute hat quälen lassen!
Töte ihn, Scape!
Du musst es, töte ihn!
Du weißt, du kannst es!
Aber Joe wollte…
Scape! , schrei die Stimme in seinem Kopf.
Hast du etwa Angst?
Nein.
Nein, er hatte keine angst.
Wirklich nicht!
All die Schreie, die hilflosen Schreie, sie machten ihm keine Angst.
Er war zwar nur ein Junge, ein junge unter tausenden, inmitten einer riesigen Stadt,
doch das hieß noch lange nicht, dass er nichts besonderes war.
Wer sagte denn, dass man sein Schicksal nicht selbst bestimmen durfte?
Niemand.
Er ließ sch nie mehr von irgendjemandem etwas sagen!
Weder von einem Fürsten noch von einem König!
Denn er war scape, der Junge, der den Edelfürsten töten würde!
Würde er ihn töten?
Würde er ihn besiegen können?
Es war ihm egal, er musste es versuchen, oder würde auf immer und ewig ein einfacher
Junge bleiben. Er war ein Nichts, ein Staubfleck zwischen einem Haufen Staub.
Doch nicht mehr lange!
Er stieß einen Wutschrei aus und stürzte sich auf den Fürsten.
Sie stachen aufeinander ein, wichen voreinander zurück, umtänzelten sich.
Scape stieß vor, seinen Dolch erhoben, bereits zum alles entscheidenden Hieb.
Er traf.
Der Edelfürst hielt sich die blutende Seite und starrte den Jungen fassungslos an, der grinsend vor ihm stand.
„Was wollt ihr eigentlich alles von mir?“, fragte er.
Doch Scape hörte nicht zu.
Es war still, als er sich umdrehte und zu seinen freunden hinüber ging.
Ganz ruhig und langsam.
Selbst die Soldaten waren wie erstarrt.
Denn sie waren wie elende Hunde, und Hunde brauchten einen Herrn.
Diese Hunde hatten nun keinen Herrn mehr.


Die Kette

Scape und Arane standen nebeneinander auf einem der vielen Balkone der Burg.
Da Scape den Edelfürsten getötet hatte, hatten die anderen beschlossen, dass er von nun an der Herr der Stadt sein sollte und er hatte bescheiden abgelehnt.
Kesselstadt sollte, seiner Meinung nach, keinen Fürsten haben.
Die Bewohner der Stadt sollten frei sein und tun dürfen, was sie wollen.
Und doch, die Vorstellung über die Stadt zu herrschen, war verlockend, weshalb er beschlossen hatte, von nun an in der Burg zu leben. Außerdem war er nun der neue Anführer einer Diebesbande, die sich die Füchse nannten. Die Bande bestand aus jenen Kindern, die bei der Schlacht dabei waren. Die besagte Schlacht, bei der der Edelfürst sein ende gefunden hatte, lag nun bereits zwei Tage zurück und scape konnte mit Genugtun sagen, dass seine Diebe erfolgreich gewesen waren.
Sie hatten sich in der gesamten Stadt ausgebreitet und stahlen, wo es nur ging.
Viele von ihnen lebten mit Scape und arane in der Burg, wie zum Beispiel Joe und Falio, Collin und Mervin. Ihr seltsamer Führer, der sie überhaupt erst in die Burg gebracht hatte, war ohne ein Wort nach dem Kampf verschwunden, niemand hatte ihn gehen sehen.
Scape war glücklich, so wie er jetzt lebte und hoffte, es würde sich nie etwas ändern.
Die alten Soldaten des Fürsten, die überlebt haben, waren im Kerker gelandet und mussten bei Wasser und Brot leben, während die Diebesbande jeden tag köstlichen Braten aß.
Scape war noch nicht in allen Räumen der Burg gewesen, das war so gut wie unmöglich, denn die Burg hatte einfach viel zu viele Säle. Doch sein erster Eindruck war befriedigend.
Die Schatzkammern waren gefüllt mit Edelsteinen, die der Fürst über die Jahre hat ansammeln lassen. Ja, selbst in manchen der Gänge stapelten sich die Kostbarkeiten, die der alte Herr der Stadt so geliebt hatte.
Scape hatte sich vorgenommen, dass alles anders sein sollte.
Zwar hatte er den Posten des Fürsten abgelehnt, doch er war doch so etwas Ähnliches.
Die Diebe und Betrüger hatten es gut unter seinem Kommando und schon bald gehörten fast alle Kinder von Kesselstadt seiner Bande an, was ihn sehr erfreute.
Die Reichen Bewohner der Stadt sollten mal so richtig spüren, wie das war, nichts zu haben.
Er wollte sie spüren lassen, wie er und seine neuen Freunde gelitten hatten.
Sie sollten ebenfalls leiden!
In diesen zwei Tagen, nach dem großen Kampf, hatte scape sich stark verändert.
Er war härter geworden, entschlossener.
Jetzt wusste er immer, was er wollte.
Er wollte Reichtum, Macht.
War es nicht das, wofür er lebte?
Macht?
Eine Stimme hinter ihn riss ihn aus seinen Gedanken.
„Scape, die Diebe beschweren sich. Sie sagen, sie hätten ein recht darauf, wenigstens einen Edelstein pro Woche zu bekommen, wenn sie bei den Füchsen mitmachen. Was sollen wir tun?“
Scape genoss es, dass Joe und die anderen ihn jetzt wie einen König behandelten.
Er drehte sich um und antwortete: „Lass sie sich einen Stein aussuchen. Aber jedes Mal, wenn sie einen nehmen, kontrolliere ich, ob ich ihn nicht vielleicht doch behalten will.
Sag ihnen das!“
Joe verbeugte sich tief vor ihm und ging.
Arane musterte ihren Freund forschend und bemerkte leise: „Du hast dich verändert.“
„Zum guten oder zum Schlechten?“, fragte er sie und arane antwortete: „Ich weiß noch nicht recht. Du bist großzügiger zu den Dieben, aber zu den Reichen bist du gemein. Aber das ist gut so. Also, ja. Zum Guten.“
Er lächelte und beugte sich vor, um sie zu küssen, doch da stand Joe auch schon wieder neben ihm und tippte ihm grinsend auf die Schulter.
„Ich will dich ja nicht stören, aber du hast inzwischen ganz schön vielen Anhänger!
Meinst du nicht, dass die Edelsteine mit der Zeit weniger werden?“
Scape dachte einen Moment lang nach, ehe er sagte: „Dann lass ich eben die Miene bestehen. Von nun an sollen sie mir die Edelsteine bringen, da ihr alter Herr ja nicht mehr da ist. Sie sollen weiterhin diese Kostbarkeiten aus dem Berg holen, für mich und meine Diebe!“
Joe nickte leicht und ging rückwärts davon.
„Ist das richtig?“, fragte Arane ihn zögernd, „dass die Arbeiter dort unten in der Miene für dich leiden sollen? Findest du nicht auch, sie haben eine Auszeit verdient? Si haben doch ebenso unter dem Edelfürsten gelitten wie wir anderen!“
Scape sah sie lange an.
„Sie leiden für mich?“
„Ja, sie leiden, Scape. Ist das richtig?“
„Wenn sie es für mich tun, kann es dann falsch sein?“
Arane schüttelte den kopf und verließ den Balkon.
Scape blieb dort stehen und wartete auf den unterbrochenen Kuss.
Er kam nicht.

Als Scape die langen Flure seiner neuen Burg entlangging, stach ihm etwas Ungewöhnliches ins Auge. Er dachte, der Fürst hat nur Edelsteine hierher schaffen lassen.
Doch da, inmitten eines riesigen Haufens von ihnen, lag etwas Goldenes.
Er bückte sich danach und hob es auf.
Es war eine vergoldete Kette.
Sie hatte einen wunderschönen, blauen Stein, der matt glänzte.
Scape drehte die Kette hin und her, um sie von allen Seiten zu bewundern.
Alles was er je gesehen hatte, alle Kostbarkeiten dieser Welt, wurden mit einem Mal bedeutungslos für ihn.
Wichtig war nur diese Kette.
Sie zog ihn wie magisch an.
Irgendetwas an ihr war anders, aber er konnte nicht sagen, was es war.
Als Scape den Stein an der Kette nun betrachtete, dehnte sich ein Blau in seinem Kopf aus, so schön, dass es eigentlich gar nicht sein konnte.
Er schüttelte den Kopf und wurde diese Eingebung los.
Alles wurde wieder klar, nur die Kette hatte noch immer diese seltsame Anziehungskraft,
die sie auf ihn ausübte.
Und plötzlich war da ein Gefühl.
Ein Gefühl vom Gehorchen, es strömte von der Kette in seiner Hand aus.
Ein Gefühl, das er nicht anschütteln konnte.
Es war die Kette.
Nein, nicht die Kette, der Stein.
Es war der blaue Stein, der nun in seiner Handfläche ruhte, kalt und schön.


Draußen

Als Scape die Augen aufschlug, lag er in einem Bett.
Er konnte nur ein eines denken, die schöne, wunderbare Kette.
Wo war sie?
Er wusste noch, dass er sie in der Hand gehalten hatte.
Wenigstens stimmte das noch, dachte er.
Das einzigste woran er denken konnte, war diese Kette und das seltsame blau, dass er in seinem Kopf gesehen hatte.
Eine weiche Stimme ertönte neben seinem Ohr.
„Scape? Wie geht es dir?“
Ja, wie ging es ihm?
Das Gefühl war noch immer da.
Das Gefühl, als ob er gehorchen musste…der Kette.
Doch wo war sie?!
Er sah, dass Arane etwas Langes, Goldenes in der Hand hielt.
Etwas, an dessen Ende ein blauer Stein hin und her schwang.
„Arane, das gehört mir“, sagte er im leisen, drohenden Ton, „das ist meins und du fasst es nicht noch mal an! Hast du mich verstanden?!“
Sie starrte ihn endgeistert an.
„Wenn du sie noch einmal anrührst, wirst du erleben, was mit Leuten passiert, die sich gegen mich richten!“
Sie wich zurück und rannte dann verstört aus dem Raum.
Was hatte sie zu ihr gesagt?
Das hatte er doch gar nicht sagten wollen!
Der blaue, wunderschöne Stein erglühte und er schaute auf ihn hinab.
Er schien ihn magisch anzuziehen.
Ach, der Stein. Die Kette. Es gab nichts Schöneres auf der Welt!
Er glaubte, alles würde gut bleiben, solange er sie hatte.
Würde er sie nicht mehr besitzen, würde die Welt in Dunkelheit versinken.
Wenn jemand anderes sie berührte, würde er sterben.
Aber das war ihm egal. Hauptsache, diese wunderschöne Kette würde bleiben!
Aber was, wenn sich jemand anderes das Schmuckstück holen wollte?
Hektisch blickte er sich im Zimmer um.
Er war allein. Trotzdem fühlte er sich hier nicht sicher.
Die Kette. Er musste sie hier fort schaffen.
Fort, an einen Ort, an dem sie niemand finden konnte!
Nur er durfte sie besitzen! Nur er allein!
Schnell rappelte er sich auf, ging, nur mit seinem Nachthemd bekleidet, aus den langen Gang hinaus und versteckte sich vor jedem, der ihm entgegen kam.
Niemand durfte ihn oder die Kette sehen!
Er huschte hinaus aus der Burg, benutze den Geheimgang, den der fremde Führer ihnen gezeigt hatte. Hinaus aus der Stadt!
Ja, er musste hinaus aus der Stadt, so weit fort wie möglich!
So leise er konnte huschte Scape von schatten zu schatten, das Schmuckstück fest
an sich gepresst.
Es war eine Wohltat, all die ärmlich gekleideten Menschen und Elfen zu sehen, an denen er vorbei kam. Ja, er hatte lang genug gelitten! Jetzt waren andere an der Reihe!
Scape hatte über die Jahre gelernt, sich lautlos durch die Straßen zu kommen, was er jetzt dringend brauchte.
Leise, sagte eine Stimme in seinem Kopf, du musst leise gehen!
Und das tat er. Scape huschte durch die Gassen ohne, dass auch nur eine Menschenseele ihn zu Gesicht bekam. Lautlos, wie eine Eule in der Nacht.
Als er schließlich das Stadttor erreicht hatte, blieb er vorsichtig stehen, die Kette fest an sich gedrückt. Er trug nur ein Nachthemd. Damit würde er sicher auffallen und außerdem würde er erfrieren! Aber das war ihm jetzt egal.
Leise schlüpfte er durch die geöffneten Tore und war draußen.
Er musste seine Kette fortschaffen.
Seine wunderschöne Kette.
Glücklich presste er sie an sich und rannte los.

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Tag der Veröffentlichung: 20.05.2010

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