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Gerade sah er wie sie beide gedankenverloren, unbekümmert zusammen am Strand entlangliefen.
Barfuß sie, die Sandalen in der rechten Hand tragend. Wieder machte sie ihre Späße mit ihm und lief immer schneller und laut und lauter lachender davon. Er wollte sie gerade noch greifen und festhalten, versuchte sie einzuholen. Konnte aber nicht, da seine Füße im Sand wie festbetoniert schienen. Es war unmöglich fortzukommen. Schrecklich, dieser Traum! Ein beinah vorsichtiges stupsen, drücken und etwas feuchtes fuhr ihm übers Gesicht. Merkwürdig, dass es sich so rau anfühlte. Als er schließlich seine Augen öffnen konnte, blickte er in die große, fragende Hundeschnauze von seinem Colliemischling Max. Empört, dass nur er es war, stieß er ihn von sich herunter. War er doch tatsächlich hier in den Dünen, nicht unweit vom Meer eingeschlafen. Auf der gegenüberliegenden Seite der Insel hatte es einige Kilometer Dünen und Sand die ins Meer übergingen. Heute Mittag waren nur ein paar harmlose Schäfchenwolken am Himmel und die Sonne strahlte. Für diese Zeit im Oktober war es recht ungewöhnlich mild. Obwohl er hier mit seiner Jacke gelegen hatte, fing es ihn an zu frösteln. Er setzte sich hin.

Ja, oft stellte er sich seine frühere Freundin Andrea
vor. Es ging vor einem halben Jahr auseinander. Er war ja schon einmal verheiratet gewesen und nochmals wollte er es einfach nicht mehr. Er war mit seinen 54 Jahren ja auch nicht mehr gerade der Jüngste. Seiner Meinung nach war es manchmal besser alleine zu bleiben und seine Ruhe zu haben. Im Grunde genommen war er eigentlich froh darüber, nicht ständig hinter Frauen her sein zu müssen, wie so viele jüngere Männer. Natürlich gab es auch viele Männer in seinem Alter, die auf Frauenjagd aus waren. Er hatte das alles nicht mehr nötig oder ganz einfach "keinen Bock mehr" drauf. Auch auf Beziehungen, Stress und dergleichen. Aber ab und zu vermisste er seine Freundin Andrea eben doch noch. Vielleicht sollte er sie doch noch Mal anrufen und sich mit ihr aussprechen? Im Streit auseinander zu gehen, so wie sie beide, war eben eine sehr blöde und dumme Sache gewesen. Es tat ihm jedenfalls inzwischen leid. Obwohl er eigentlich gutmütig und geduldig war, hatte sie ihn sehr verletzt. Und das nicht bloß einmal! Aber durch ihren Humor versuchte sie alles wieder hinzubiegen, wieder gut zu machen. Meistens hatte es ja auch funktioniert.

Beim aufstehen und abklopfen des Sandes aus der Jacke und von seiner Jeans, vernahm er ein leises Geräusch, wie ein wimmern oder heulen. Max bellte ihn an.
"Ist ja schon gut. Komm, lass uns mal nachschauen, was das ist!"
Hinter ihm lag etwa sechzig Meter entfernt, eine schmale Landstraße, von der anscheinend dieses Geräusch her drang. Max sprang durch den Sand darauf zu. Und Winter lief ihm hinterher. Er erkannte als erstes eine schwarzweiße Kuh und irgendwen, der sie an einer kurzen Leine hielt.
Beim ankommen an der Landstraße schließlich, stand ein kleines Mädchen weinend und schluchzend mit der Kuh an der Leine da. Mit einer Hand drückte sie einen Teddybären an sich, um sich zu trösten.
"Hallo Kleine. Was ist denn hier los? Und wieso weinst du denn so furchtbar?", frug er sie.
Schluchzend antwortete sie, man konnte sie zuerst kaum verstehen: "Diie Kuh ist krank. Ich, ich will
sie zu zum Tierarzt bringen, aber jetzt will sie nicht mehr weiterlaufen!"
Er schätzte das Mädchen grade mal auf sieben Jahre.
Er streichelte ihr übers braune, kurze Haar.
"Was hat sie denn? Und warum bringen nicht deine
Eltern die Kuh zum Arzt?", wollte er nun wissen und
beugte sich zu ihr herunter. Max musterte die Kuh
genau, während er um sie herumlief. Leise erwiderte sie: "Ich bin mit ihr abgehauen. Papa hat gesagt, er würde Liesel zur Wurst verarbeiten lassen, wenn sie nicht folgt. Wegen dem blöden Kuhlotto morgen Mittag!"
"Wieso wegen des Kuhlottos?", frug Winter.
"Sie kann nicht Kacken! Sie hat keine Lust dazu oder will nicht. Und sie wollen sie schlachten lassen, aber ich hab die Kuh doch so lieb.", antwortete sie traurig.
Christian Winter musste grinsen.
"Weißt du was, ich bringe euch beide wieder heim und dann rede ich mal mit deinen Eltern ein ernstes Wort. Das geht ja gar nicht, dass man deswegen eine Kuh schlachten lassen will! Und sie werden bestimmt schon nach dir suchen."
Schlug er vor. Sie nickte mit dem Kopf. Ganz begeistert schien sie allerdings nicht davon zu sein.
Er wollte wissen: "Und wie heißt du?"
"Melanie." Kam es jetzt etwas lauter zurück. Max streckte ihr seine linke Pfote entgegen. Auch er hatte gemerkt, dass sie traurig war.
"Anscheinend hat Max dich auch lieb."
Endlich kam ein kurzes Lächeln auf ihrem Gesicht zum Vorschein. Winter nahm ihr die Leine ab und zog die Kuh herum, zur Richtung, aus der sie herkamen. Setzte einfach das kleine Mädchen kurzerhand auf die Schwarzweiße drauf.
"Halt dich gut da oben fest!", mahnte er.
Er ging mit der Kuh los, manchmal bockte sie ein wenig, wie ein Esel der nicht weiter wollte. Melanie obendrauf mit Teddy, an der Kuh festklammernd. Max lief nebenher.
Wie sie so unterwegs waren, kam dann ein Traktor samt Anhänger herangefahren. Und es stellte sich heraus, dass es der Vater von Melanie war, der ihr Fehlen samt Kuh schon längst bemerkt hatte und auf der Suche nach ihr war. Also brachten sie, mit einiger Geduld und Zureden, die Kuh Liesel zusammen auf den Anhänger. Melanie saß schon bereits auf dem Traktor neben ihrem Vater.
"Es tut mir leid Melanie, was ich heute Morgen gesagt habe. Liesel bleibt natürlich bei uns, auch wenn wir nicht an diesem blöden Kuhlotto teilnehmen können. Aber vielleicht überlegt es sich Liesel ja noch anders?", meinte ihr Vater entschuldigend und drückte seine Tochter fest an sich. Und zu Winter, der neben dem Traktor stand sagte er: "Danke auch, dass Sie sich ihr angenommen haben und für die Hilfe mit der Kuh. Liesel hat halt ihren eigenen Kopf! Da kann man halt nichts machen.", und weiter: "Kommen Sie doch heute Abend um sieben zum Kürbisfest zu uns. Würde uns freuen. Ist der einzigste Bauernhof hier. Kann man gar nicht übersehen. Bei Hansens wird heute gefeiert!"
"Jetzt sagen Sie bloß, das Sie der Sohn von Oliver Hansen sind?", frug er nach.
"Ja, genau. Mathias Hansen. Und Sie müssen dieser Schreiber, Christian Winter sein, von dem mein Vater schon so oft geredet hat. Man sieht hier zu dieser Zeit sonst kaum Fremde.", hatte er herausgefunden.
"Hoffentlich hat Oliver nur Gutes erzählt. Aber freut mich auch, Sie kennenzulernen.", erwiderte er darauf.
"Vielleicht komme ich heute Abend vorbei."
Und so fuhr er schließlich knatternd und ratternd mit dem Traktor samt Anhänger davon. Melanie winkte ihm noch kurz zu und er zurück. Winter rief seinen Hund zu sich und sie machten sich auf den Weg, Richtung Ort.
Er wollte einige Seiten an seinen neuen Geschichten weiterschreiben, denn allzu viel hatte er bisher noch nicht zu Papier gebracht. Seit er hier in Urlaub war,
passierte einfach zu viel. So kam er gar nicht erst zur Ruhe und konnte so meist keinen klaren Gedanken mehr fassen. Schließlich in der Pension angekommen, setzte er sich an den Laptop in seinem Zimmer an den
Schreibtisch vors Fenster und nach einiger Zeit der Überlegungen, schrieb er nun ein paar Seiten weiter. Ab und zu trank er dabei aus seiner Kaffeetasse, den jetzt nur noch warmen Kaffee ohne Zucker, dafür mit Milch, wie immer eben. Max lag der Länge nach auf der anderen Seite neben dem Bett und blinzelte müde.

Irgendwann begann es zu dämmern. Er bemerkte es erst, als er aus dem Fenster schaute und danach auf seine Armbanduhr sah. Es war bereits schon nach 18 Uhr. Jetzt hieß es aber dalli dalli machen! Schnell etwas frischgemacht und rasiert, Rasierwasser nicht zu knapp! Ein frisches Hemd. Haare frisiert. Das schwarze Jackett angezogen, das Jackett für besondere Gelegenheiten. Eine kleine Taschenlampe eingesteckt, man wusste ja nicht. In einer halben Stunde war es wahrscheinlich stockfinster. Leinte seinen Hund an, der sofort aufsprang. Und dann waren sie beide schon draußen und auf dem Weg zu Hansens Bauernhof.

Beim Eintreffen saßen bereits schon einige Leute an großen Tischen, unterhielten sich angeregt. Bunte, beleuchtete Girlanden hingen über dem großen Platz am Bauernhof. Große, ausgeschnitzte und ausgehöhlte Kürbisse standen als Kerzen auf den Tischen verteilt und warfen ein flackerndes Licht. Als erstes rief Mathias Hansen zu ihm: "Herr Winter, schön dass Sie gekommen sind. Setzen Sie sich doch. Meine Frau ist noch gerade in der Küche beschäftigt, aber Melanie und mein Vater sitzen schon hier."
"Ja, gerne", antwortete er knapp und sah jetzt Melanie neben ihren Vater und Oliver Hansen da sitzen. So lief er um die Tische, auf die andere Seite mit Max, gab jedem die Hand zur Begrüßung.
Oliver schlug er außerdem die rechte Hand leicht auf
die Schulter. Ihn kannte er ja schon einige Jahre.
Sein Gehstock lehnte neben ihm. Sein grauweißer Bart leuchtete unheimlich mit den Flackern des Kürbislichtes.
"Hallo Christian. So schnell sieht man sich wieder.", meinte Oliver Hansen.
"Ja. Oliver. Dass hast du nur deiner süßen Enkelin Melanie zu verdanken.", stellte Winter klar. Oliver Hansen lachte, und Melanie drückte sich ein wenig schüchtern lächelnd an ihren Vater. Er setzte sich hin und Max machte "Platz". Es waren auch noch ein paar Nachbarn da und einige Leute vom Ort.
"Wir, meine Frau Tine und ich haben beschlossen, das mit dem Kuhlotto Morgen lassen wir lieber bleiben. Vielleicht versuchen wir es nächstes Jahr nochmals. Man kann niemanden zu etwas zwingen, nicht mal eine Kuh!", erklärte Mathias Hansen ihm. "Wer weiß, ob Liesel überhaupt was gewonnen hätte und dann noch der weite Weg zum Festland hinüber und bis in die nächste Stadt."
"Nee, nee!", winkte nun auch sein Vater ab. "Und die
ganze weite Fahrt. Kühe sind manchmal eben auch eigensinnig. Ihr solltet euch lieber noch eine oder zwei dazu kaufen. Ihr habt ja nur diese eine.", schlug er nun vor.
"Ich weiß, aber Kühe sind teuer. Außerdem bauen wir ja Kürbisse und Salat an. Und wir haben im Moment nicht allzu viel Geld übrig. Es reicht ja gerade so für uns. Selbst der Dritte Platz hätte nicht gereicht, um eine halbe Kuh zu kaufen.", sagte Mathias Hansen.
"Auf dem Hof hier sind auch noch zwei Kätzchen und unsere Liesel, nach denen schaut Melanie oft. Sie hängt so an diesen Tieren.", hörte Winter eine weibliche Stimme hinter ihm sagen.
"Meine Frau Tine", gab Mathias Hansen bekannt. Christian Winter drehte sich um und blickte auf eine gut aussehende Frau, um die Mitte Dreißig. Sie trug ein helles Kleid, hatte schwarze kurze Haare und eine Brille, die ihr Gesicht interessanter und kluger erscheinen ließ.
Er erhob sich kurz von seinem Stuhl und gab ihr die Hand.
"Freut mich. Christian Winter." Er schien angenehm überrascht. "- Ach, wo wir grade dabei sind, für alle Hansens zukünftig nur noch Christian." Schlug er beim hinsetzen vor.
"Mathias", und: "Tine", kam es sogleich von ihnen. Schnell hatte Mathias eine Flasche Schnaps hergebracht, und alle stießen darauf an. Tine trug mit einigen anderen Frauen die Speisen auf einen extra langen Tisch vor die Mauerseite und sie stellten ein paar große Schüsseln, riesige dampfende Töpfe, die zwei starke Männer heranschleppten, Teller, Besteck und sonstiges darauf. Zuletzt stellte ein dicker, kräftiger Mann ein Bierfass auf das Ende des Tisches. Außerdem gab es noch verschiedene andere Getränke, auch antialkoholische. Es waren ja auch ein paar Kinder und Leute da, die keinen Alkohol tranken.
Für jeden war etwas dabei. Gerade trafen auch die letzten Freunde und Gäste vollends ein.

Irgendwann war das Fest in vollem Gange. Fast jeder hatte gut gegessen und getrunken. Einige waren jetzt nach nicht mehr als zwei Stunden schon betrunken, weil sie zu viel Bier und Schnaps intus hatten. Die Kürbissuppe schmeckte hervorragend gut, auch der Schweinebraten mit den Kartoffelklösen war wirklich lobenswert. Was Winter auch Tine sagte. Sie freute sich natürlich darüber, stellte aber klar, dass ihr eine Nachbarin und eine gute Freundin dabei geholfen hatte. Sonst hätte sie diese Mengen nicht fertiggebracht.
Allein schon die drei Salate...

Jedenfalls merkte Christian Winter als erster, dass
sich weiter hinten zwischen zwei oder drei ca. 30
Jährigen ein handfester Streit entwickelte. Sie waren
alle ziemlich besoffen. Max tollte und spielte mit
Melanie und einem anderen etwa gleichaltrigen
Mädchen vor dem Bauernhof herum. Als plötzlich einer der Männer von der Holzbank aufsprang, wutentbrannt
irgendwelche Flüche seinem Nebensitzer zuschrie und stolpernd, halb schwankend, da betrunken, vom Hof davonlief. Sich in diesem Zustand auf sein Moped setzte und in Schlangenlinien davonfuhr. Die anderen beiden Männer, ebenfalls betrunken, erhoben sich fast gleichzeitig und einer brüllte: "Dem Arsch zeige ich mal, was man mit einem macht, der versucht mir blöd zu kommen und auch noch probiert, meiner Freundin nachzustellen!" Der andere mit einem leichten Bierbauch und Halbglatze meinte fast lallend: "Die...dieser Spinner! Weil er letzten Monat 10.000 Euro gewonnen hat, kann er sich wohl alles erlauben!"
"Der kann was erleben, wenn ich den in die Hände bekomm..." Und damit liefen sie schwankend und
schimpfend zu einem kleinen, blauen Auto, stiegen ein, knallten die Türen und fuhren ihrem Opfer hinterher. Mathias wollte die nun aufgeregten Leute etwas
beruhigen. Er stand auf und rief: "Alles halb so
wild! Es geht da wahrscheinlich nur um irgendwelche
Eifersüchteleien. Außerdem ist der Abend doch viel zu schön, um sich zu streiten oder irgendwelchen Ärger
anzufangen. Ich bitte, dass solche Leute doch woanders hingehen. Bitte nicht hier!"
Einige waren nun sogar am lachen oder grinsen. Und
damit war alles gesagt! Aber Oliver schaute Christian an und flüsterte: "Ich trau der Sache auch nicht über den Weg! Hoffentlich machen die drei keinen Blödsinn! Der wo im Lotto gewonnen hatte, ist ein Mitarbeiter von uns. Und die anderen beiden machen nur Gelegenheitsarbeiten und hocken sonst nur in der Kneipe herum. Oder kommandieren ihre Freundinnen herum."
"Ach, so ist das", erwiderte Christian dazu und: "Beim Heimgehen demnächst werde ich wohl achtgeben müssen, ob etwas passiert ist. Mein Handy habe ich ja immer bei mir."
"Gut!"
Nach einer weiteren halben Stunde, war es inzwischen stockfinster. Die zwei Außenlampen an den Wänden vor dem Bauernhof waren auch eingeschaltet, weil es
wirklich zu dunkel war, um zu sitzen. Die meisten Leute brachen auf, heimzugehen. Sie bedankten und verabschiedeten sich alle und gingen. Als einer der
letzten ging auch Christian Winter schließlich. Nicht
ohne sich ebenfalls für alles zu bedanken und sich bei allen Hansens zu verabschieden. Er rief Max zu sich, leinte ihn wieder an. Auf den Vorschlag Mathias ihn zur Pension mit dem Auto zu bringen, lehnte er dankend ab.

Und so war er wieder auf der schmalen Landstraße,
Richtung Ort. Nach etwa zehn Minuten bemerkte er auf der linken Wegseite, weiter unten in den Dünen, ein seltsames schimmerndes Licht. Was sollte er jetzt tun? Nachschauen und sich vergewissern was es war, in dieser Nacht? Oder einfach weitergehen? Sein Colliemischling Max fing in diesem Augenblick seiner Gedanken an zu bellen und an der Leine zu zerren. Also doch besser gleich nachschauen! Sein Hund hatte mal wieder entschieden. Beim hinunterlaufen holte er seine Taschenlampe heraus, knipste sie an, um doch etwas mehr sehen und erkennen zu können. Sein Hund bellte immer noch.
"Max, hörst du wohl auf! Bist du still?", ermahnte er ihn. Denn wer wusste, was sie beide dort unten erwarten würde? Mit einem leichten Knurren hörte Max dann doch auf. Bei den Dünen angekommen, lag zwei Meter vor ihnen das Moped im Sand, das Licht war noch eingeschaltet. Das schien also das Leuchten gewesen zu sein. Von irgendwoher kamen ein paar merkwürdige Geräusche. Wie ein leises Murmeln oder Stöhnen. Winter lief um das Moped. Leuchtete hie und da mit der Taschenlampe herum. Auch traf der Lichtschein die nächste Düne. Und dann erschrak er so, dass er die Taschenlampe fallen ließ. Hatte er wirklich richtig gesehen? Das konnte doch unmöglich sein... Er leinte seinen Hund ab, nahm die Taschenlampe wieder an sich und ging noch näher heran. Doch! Da im Sand bis zur Nase beinahe, war ein Mann eingebuddelt. Er schnaufte und japste nach Luft. Christian Winter wusste sofort, dass es der sein musste, hinter dem die anderen beiden vorhin her waren. Wie konnte man so etwas machen? Das hier war ja schon bald versuchter Mord! Wenn er ihn nicht gefunden hätte oder einfach weitergegangen wäre, wäre er womöglich im Sand erstickt! Er kniete sich hin, legte die Taschenlampe beiseite und grub etwas Sand vor seinem Gesicht fort, so dass er wenigstens wieder richtig atmen konnte. Oder war er etwa bereits schon ohnmächtig? Aber "Gott sei Dank", kam ein befreiter Atemzug von ihm und ein leise murmelndes: "Danke".
Er steckte also senkrecht hier vor dieser Düne im Sand drinnen. Alleine konnte er ihn nicht herausholen. Außerdem wäre auch eine Schaufel sehr hilfreich.
"Alles in Ordnung? Ich hole Hilfe. Alleine schaffe ich nicht, Sie hier herauszuholen. - Haben Sie mich
verstanden?"
"Ja, bitte holen Sie mich hier raus!", flehte er.
"Nur keine Angst!"
Winter erhob sich. Lief ein paar Schritte weiter, um zu telefonieren. Gut, dass das Display vom Handy beleuchtet war. Und so wählte er die Nummer von Oliver Hansen, von dem er die Telefonnummer hatte. Alles war schnell erklärt. Oliver versicherte ihm, die Polizei, den Arzt zu verständigen. Ein Krankenhaus hatten sie auf der Insel ja nicht. Aber der Arzt konnte, sollte es nötig sein, einen Hubschrauber des Krankenhauses vom Festland anfordern. Und auch seinen Sohn Mathias wollte er herschicken, mit einer Schaufel. So weit war also alles schon mal geklärt. Christian Winter kniete sich wieder neben ihn hin. Max machte "Sitz" neben seinem Herrchen und beobachtete diese komische behaarte Kugel da im Sand. Er fand es äußerst interessant.
"Hilfe ist unterwegs. Es dauert nicht mehr lange.", beruhigte er ihn. Und weiter: "Waren dass diese zwei
Männer, die Ihnen vorhin wutentbrannt hinterher fuhren? Um was ging es in eurem Streit?"
"Sie sind nur neidisch, dass ich im Lotto gewann. Und dass ich einmal mit der Freundin von einem Essen gegangen bin. Vielleicht hätte ich das besser lassen sollen. Sein Freund hat mich dabei gesehen und jetzt glauben sie beide, ich hätte was mit ihr, was nicht stimmt. Scheiße, Scheiße...!" Er fing an zu schluchzen. Christian Winter fing wieder an mit beiden Händen zu graben und warf den Sand zur Seite. Da hörte er ein Auto heranfahren und halten. Ein Mann kam heruntergerannt, bis zu den Dünen. Es war Mathias. Er hielt zwei Schaufeln und eine Decke in den Händen.
"Mensch Kai!", rief er entsetzt aus. "Wir holen dich da raus!"
Gab Christian eine Schaufel und so begannen sie schnell Sand von ihm fortzuschippen. Und waren bereits bis unter die Schulter angelangt.
Mathias frug: "War das Loch schon da, bevor die dich
hier hereinsteckten? Dass muss eigentlich schon länger hier gewesen sein. Und der Mann, der Kai hieß meinte: "Ja. Das haben sie bestimmt schon Tage vorher ausgehoben. Sie haben mich überwältigt und verprügelt, nachdem ich von der Straße abgekommen bin, und mir auch noch eins mit nem Stock auf den Kopf gegeben. Von da an, weiß ich nichts mehr."
"Wahrscheinlich sind Sie ohnmächtig gewesen.", kam es von Christian Winter.
"Dass werden die mir bereuen! Die zeige ich an!", schrie der Mann.
Ein Loch in der Tiefe von ca. 1,80 Metern brauchte schon einige Zeit und Kraft, um es auszuheben, dass spürten jetzt auch Mathias und Christian. Bei Kniehöhe angelangt hörten sie schließlich auf, warfen die Schaufeln beiseite und zogen Kai langsam und so vorsichtig wie es eben ging, aus dem Sandloch heraus. Ein oder zweimal stöhnte er unter Schmerzen auf. Gerade als sie ihn behutsam hingelegt hatten, die Decke als Kissen unter seinem Kopf taten, kam ein zweites Auto herangefahren. Ein Mann kam heruntergeeilt. In der einen Hand mit einer großen leuchtenden Taschenlampe und in der anderen eine große, dicke Tasche, fast ein Koffer. Es war der Arzt. Ein Mann um die 60 mit grauen Haaren und einem gepflegten, graumelierten Schnäuzer. Eigentlich ein attraktiver Mann, könnte man sagen. Wahrscheinlich auch ein Typ Mann, auf den die Frauen standen. Er hieß Peter Mertens, war geschieden, hatte eine 23 jährige Tochter, die noch bei ihm wohnte. Er grüßte kurz alle und wandte sich gleich Kai zu, um ihn zu untersuchen.
"Tut Ihnen irgendwo was weh, haben Sie irgendwelche Schmerzen? Außer dass Sie ziemlich nach Alkohol riechen? Mmmh?", erkundigte er sich.
"Ja, mein Kopf und an der rechten Seite der Rippen.", sagte er keuchend.
Der Arzt besah sich den Kopf und bemerkte eine große Platzwunde am Hinterkopf. Nachdem er Kai´s Pullover hochgezogen hatte und mit seinen Händen auf der rechten Seite herumtastete, fuhr der Mann mit einem Schmerzensschrei zusammen.
"Aaaahh!"
"Da sind einige Rippen geprellt oder vielleicht auch gebrochen. Das muss geröntgt werden."

Da fuhr zuletzt die Polizei heran und die zwei Inselpolizisten kamen herab, um sich der ganzen Sache anzunehmen. Sie nahmen Notizen und ein Protokoll auf, befragten alle Anwesenden und nachdem sie das Moped von Kai mit hoch schleppten zur Landstraße, es abholen ließen durch einen kleinen Transporter, zwecks polizeilicher Untersuchungen, machten sie sich unter Blaulicht auf den Weg, diese zwei kleinen Verbrecher zu finden. Die Insel war ja zum Glück nicht allzu groß, um sich zu verstecken. Als erstes fuhren sie zur deren Stammkneipe und durchsuchten ihre Wohnungen und die nächste Umgebung nach ihnen ab. Nach gut einer Stunde hatten sie sie schon gefasst und verhaftet. Jetzt saßen sie erst mal in der kleinen Arrestzelle im Polizeigebäude. Den einen schnappten sie sich im Keller zuhause und der andere wollte sich im Hafengebäude verstecken. Und morgen wollten beide mit der ersten Fähre türmen. Aber sie dachten beide nicht daran, dass ab Herbst diese nur einmal am Tag gegen mittags ankam und wieder ablegte. Nicht so wie im Frühjahr oder Sommer, wo auch viel mehr Touristen hier waren.
Der eine der Polizisten war für seine unkonven- tionellen Methoden bekannt. Aber er war halt ein richtiger Insulaner. Er war halt einfach so. Nicht selten mal sah er über kleine Vergehen hinweg. Dafür schmierte man ihn dann mit kleinen Geschenken, wie Schnaps oder zum Teil auch mit Geld. Dem zweiten war dies alles nicht so recht. Aber er hielt seine Klappe. Etwas mehr Geld, konnte ja niemandem Schaden. Außerdem hatten sie hier auf der Insel wirklich selten schlimme Verbrechen. Außer kleinen Diebstählen oder ein kaputtes Auto, dass irgendwo eine Einfahrt blockierte.

Mathias und Christian halfen dem Arzt, Kai den Hügel bis zur Landstraße hochzutragen. Peter Mertens wollte ihn mit zu sich nehmen und ihn dort vollends versorgen mit den nötigen Mitteln und ihn auch noch Röntgen. Das konnte er ja noch in seiner Praxis. Jetzt hatte er ihm nur einen Verband am Kopf angelegt und ihm ein Schmerzmittel gespritzt. Sie hievten ihn in den Jeep des Arztes auf die Rückbank und machten die Türe zu. Christian Winter wischte sich den Schweiß mit seinem Taschentuch von der Stirn. Der Arzt verabschiedete sich und fuhr fort. Nun mussten Mathias und er das Loch wieder zuschaufeln und dann war genug für heute!
Endgültig! Max lief unruhig um ihn herum. Nachdem das auch erledigt war, brachte Mathias Christian und seinen Hund noch mit dem Auto zur Pension.
"Für heute habe ich genug!", kam es erledigt von Winter.
"Ich auch! Man sieht sich bestimmt nochmals!"
Und er brauste mit dem Auto zurück. Vor der Pension zog er seine Schuhe aus, leerte den Sand darin ins Blumenbeet neben der Haustüre. Den Rosen kanns ja nicht Schaden, dachte er sich. Zog sie wieder an, lief zur Haustüre, schloss sie auf und ging todmüde mit Max hinein.

Am nächsten Morgen erwachte er mit scheußlichem
Muskelkater. Alle Knochen schienen ihm wehzutun. Er
stellte schon wieder fest, dass er auch nicht mehr der Jüngste war. Eine heiße Dusche würde ihm bestimmt guttun. Und nach dem Frühstück, wenn auch Max gefressen und getrunken hatte, sah die Welt bestimmt wieder ganz anders aus. Nur sein Muskelkater war wahrscheinlich immer noch da.
Heute musste er auf alle Fälle, erst einmal an seinen
Geschichten weiterschreiben. Und gegen 15 Uhr hatte
er vor sich mit Oliver zu treffen. Allerdings schlief er wieder ein und wachte erst wieder auf, als sein Handy klingelte und Max anfing zu bellen. Er griff nach seiner Armbanduhr auf dem Nachttischchen. Sie zeigte 10.20 Uhr an. Was war er aber auch erledigt gewesen. Er sprang aus dem Bett und suchte nach seinem Handy. Er fand es in seinem schmutzigen, sandigen Jackett, dass er gestern anhatte. In diesem Moment hörte es auf zu klingeln. Nun gut! Nach der heißen Dusche und dem Frühstück fühlte er sich wenigstens etwas besser. Zuerst musste er jedoch in den Ort, um einige Besorgungen zu machen.

So lief er mit Max an der Leine zum kleinen Einkaufs-
markt. Jeder grüßte ihn freundlich. Einige Leute vor dem Markt waren geheimnisvoll am tuscheln. Es ging um ihn. Hier auf der Insel sprachen sich Neuigkeiten rasend schnell herum. Auch, dass er gestern Kai das Leben rettete. Soviel hatte er herausgehört. Im Einkaufsmarkt benahmen sich die Leute und die Kassiererin, wie wenn er jetzt ein besonderer Prominenter wäre. Langsam wurde es ihm doch zu peinlich und zuviel! Er löste seinen angebundenen Hund vor dem Einkaufsmarkt, schnappte sich seine Plastiktüte mit den Einkäufen und lief noch zur Apotheke, um sich etwas zum Einreiben zu besorgen. Auf halbem Weg kam ihm der Arzt Peter Mertens entgegen.
"Guten Morgen", kam es vom Arzt.
"Hallo", und "wie geht es diesem Kai?"
"Er hat Glück gehabt, dass Sie ihn gefunden haben. Eine Gehirnerschütterung und zwei gebrochene Rippen. Ins Krankenhaus wollte er aber nicht! Er liegt hoffentlich zu Hause im Bett. Morgen schaue ich mal wieder nach ihm."
"Wie kann man nur auf so eine Idee kommen, jemanden in den Sand einzugraben?"
"Die Menschen kommen auf die sonderlichsten Ideen, wenn es darum geht Rache zu nehmen. Die nettesten Leute können sich plötzlich als richtige Verbrecher entpuppen.", antwortete der Arzt.
"Da haben Sie auch wieder Recht!"
"Sie sind jetzt hier ein wahrer Held! Ich glaube, nun
werden Sie gar keine Ruhe mehr haben.", lachte Mertens.
"Das will ich doch eigentlich gar nicht!", stellte
Winter energisch fest.
"Nun, ich wünsche noch einen schönen Tag! Ich muss noch ein paar Hausbesuche machen."
"Auf Wiedersehen."
"Guten Tag", sagte der Arzt, sprang beinahe zu seinem schwarzen Jeep, stieg ein und weg war er.
Es hatten sich einige Leute zu einer Gruppe zusammengefunden, die ca. drei Meter entfernt standen und sich wohl auch über das gestrige Ereignis unterhielten. Beim vorbeigehen grüßte er kurz und räusperte sich: "Ähmm, Autogramme gebe ich heute leider keine!"
Das konnte er sich nicht verkneifen. Daraufhin drehten sich die Leute unsicher um, und liefen schließlich alle auseinander. Nachdem er seine Einkäufe erledigt hatte, wieder in der Pension angekommmen war, rief er zuerst Oliver an, ob es beim Treffen um 15 Uhr bliebe. Sie wollten sich nochmals beim alten Leuchtturm treffen, wo Oliver ja den Wächter machte, solange es seine Gesundheit noch zuließ. Max machte es sich vor seinem Schreibtisch gemütlich. Und Christian Winter schrieb einiges an seinen Geschichten. Vielleicht erzählte ihm ja Oliver später eine neue, spannende Gruselgeschichte, die er auch wieder für sich verwenden konnte.
Er hatte bereits im Ort schon eine Kleinigkeit gegessen und saß jetzt mit einer Mineralwasserflasche bewappnet vor seinem Laptop. Nach einiger Zeit hörte er auf zu schreiben und blickte versonnen aus dem Fenster. Vereinzelte Wolken zogen am hellen Himmel dahin. Es schien die Sonne. Zwei Spatzen flogen laut schimpfend von Baum zu Baum, hüpften aufgeregt von Ast zu Aste. Zankten sich am Boden an einem bunten Laubhaufen, über den eventuellen letzten gefundenen Wurm. Vielleicht ein Vogelpärchen, dachte sich Winter so bei sich. Nicht nur bei uns Menschen gibt es also Streit und Krach, offensichtlich ist es bei den Tieren genauso. Wenigstens war heute gutes Wetter. Es schaute jedenfalls nicht nach einem Gewitter oder Unwetter aus, so wie beim letzten Mal, als er Oliver am Leuchtturm traf. Da war ein schlimmes Unwetter zugange gewesen.

Eine gute Stunde später lief er mit seinem Hund den
Küstenweg entlang. Sah den alten, stillgelegten weißroten Leuchtturm in der Nähe und die Felsenplatte mit den großen Steinen davor. Max kläffte wieder die Möwen an, welche über dem weiten Meer zu den Klippen hin, ihre großen Kreise flogen und dabei laut schrien.
Es war bereits schon 15.20 Uhr. Es hatte doch länger hierher gedauert, als er zuerst glaubte.
Am Leuchtturm angelangt, schaute er nochmals die schroffen Klippen hinab aufs schäumende, rauschende Meer und atmete, ja zog, die salzige, frische Luft tief in sich hinein. Dann ging er mit Max an der Leine zum Eingang. Trat durch die Türe ein, mit einem seltsamen, ungewissen Gefühl in der Magengegend. Irgendetwas stimmte wieder nicht! Was war es? War wieder etwas geschehen?


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Texte: Alle Rechte liegen beim Autor! Keine unerlaubten Kopien, Auszüge und so weiter... 2010
Tag der Veröffentlichung: 01.10.2010

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