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Jetzt war es wieder an der Zeit, wie alle fünf Jahre
im Oktober, in denen er auf dieser überschaubaren schönen Insel seinen Kurzurlaub verbrachte, nicht nur für dieses merkwürdige Schauspiel.
Es war soweit! Da stand er eines vormittags, nun schon ziemlich grau und auch älter geworden, in der Nähe des alten, stillgelegten Leuchtturmes. Max sein treuer Colliemischling, saß neben ihm zu seinen Füßen. Er blickte in den tiefen Abgrund über die schroffen Felsen, hinab aufs Meer. Und nahm in dem seltsamen, fast goldenen Leuchten der Sonne, die ihm schon lang bekannte und anvertraute Vision wahr, über und auf dem leicht nebelverhangenen Meer.

Da tauchte es plötzlich auf! Das trotzende, alte Segelschiff, der Dreimaster wie aus einem längst
vergangenen Jahrhundert. Was überdauerte Jahr um Jahre, Sturm und jegliches Wetter! Es trieb da, im fast flauem Wasser. Das gesamte Schiff schien tief und bleiern schwer. Immer noch ragten stolz die nackten, gesplitterten Masten in die Höhe. Aber die schweren Segel, die es einmal trug, wohl lange schon verschlissen und durchgefressen, ach, lange nicht mehr vorhanden. Bald lautlos dümpelte das Schiff so vor sich hin. Zwischen Wirrwarr von Getäue und modernden Balken, den Kajüten, spähten sicherlich ein paar ausgehungerte Ratten aus den Luken und Ritzen und rannten aufgeschreckt durch irgendein Geräusch, in alle Richtungen davon. Vor grauer Zeit, die Mannschaft hatte den Dreimaster verlassen oder mussten alle fliehen? Wurden sie alle gefangen genommen, grausam gequält, gepeinigt, vielleicht allesamt umgebracht? Oder gingen sie alle in einem schweren Unwetter mit Sturm, im tiefen Meer unter?

Er hörte weit entfernt, das Trommeln, stetes knarren,
lechzen, fast quälende Jammern des Deckes.
Das Schiff wurde sich ganz einfach selbst überlas-
sen... Betulich, sachte rauschte das blaue, tiefe Meer. Schlugen Wellen an das Boot. Die Gischt fuhr gleichmäßig schäumend an die Klippen.
Und im feinsten Gespinste, die Vision zerriß im
grauweißen Nebelschleier. Spukhaft verschlang der Nebel, das alte Segelschiff, Zeit, seine Augen alles!

Der Wind frischte auf und blies ihm übers Gesicht, dem ergrauten Haar. Fegte pfeifend über schroffe Klippen hinweg. Sein Hund zerrte, nun unruhig geworden an der Leine. Wollte weiter, weiter laufen. Dieser sah ein paar Möwen nach, die am alten Leuchtturm vorbei, laut schreiend vorüber flogen, Richtung Ort einwärts. Beruhigend tätschelte er seinen Hund. Worauf Max einen leicht knurrenden, bellenden Laut zur Kenntnis gab. Dann gingen sie den Küstenweg jetzt rascher weiter. Drohende, große Wolken zogen und ballten sich zu einer düsteren und gefährlich ausschauenden Wand.
"Gleich wird es ein schlimmes Unwetter geben, Max! Lass uns bloß machen, dass wir schnell heimkom-
men!", erklärte er seinem Hund und schlug die Jacke enger um sich zu, besonders den Kragen.

Und dieses unglaubliche, mystische Schauspiel hatte er nun bereits schon zum zweiten Mal erlebt.
Ein paar andere Leute im Ort, zu denen zählte auch der alte Hansen, erlebten es auch. Vielleicht einige noch öfter? Das war so ein Rätsel, dass man sich zur späten Stunde auch in der Dorfkneipe oder Zuhause seinen Kindern erzählte.
Eine merkwürdige und doch nachdenkliche Sache.
Jedenfalls hatte er es sich nicht bloß eingebildet.
Man hätte ihn ja wahrscheinlich für verrückt erklärt!
Selbst wenn er Grusel, Spuk und Kurzgeschichten über das raue Meer und seine manchmal einsilbigen und oft sturen Küstenbewohner schrieb. Aber dass war wieder was ganz anderes, eine ganz andere Geschichte! Auch die, mit der wunderschönen jungen, langhaarigen blonden Frau, die bei Vollmond angeblich am Leuchtturm spukte. Den Namen ihres Mannes rufend. Immer und immer wieder wiederho-
lend, um sich gegen ein Uhr nachts, die Klippen hinab zu stürzen, an gebrochenem Herzen, weil er nicht mehr vom Meer heimkehrte und das Schiff unterging. Sie hielt es nicht mehr aus! Auch dieses ewige Ungewisse, das Warten und dieses Herzeleid in ihr...
Oft geschahen daraufhin auch Schiffsunglücke, so erzählte man sich. Ob es jetzt wohl auch noch so passierte?

Direkt neben dem Leuchtturm auf einer kleinen
Felsenplatte, von einigen großen, wie von einem
Riesen hingeworfenen Steinen umgeben, sah er einen alten Mann mit Stock und grauweißem Vollbart stehen, welcher nach ihm mit dem Gehstock in der rechten Hand winkte. Er hatte einen kleinen Bauch und er erkannte, den ehemaligen Leuchtturmwärter Oliver Hansen beim herankommen.
"Na, Christian, auch wieder im Lande?", rief er ihm laut zu. Max bellte kurz zur Begrüßung und beschnuffelte ihn neugierig.
"Wie du siehst Oliver", schrie er fast, denn Hansen hörte schlecht. Meistens. Ein schneidiger Blitz fuhr direkt vorm Leuchtturm in den Boden! Und es begann zu regnen. Und wurde immer stärker.
"Dieses Schietwetter! Wir könnten doch im Leuchttturm Schutz suchen", bemerkte Hansen.
Den Leuchtturm konnte man wochentags besich-
tigen und die Aussicht genießen. Heute allerdings war wohl kein Wetter dafür. Er war geöffnet von 10 bis 16 Uhr. Außerdem befand sich eine kleine Ausstellung mit Bildern über die Schifffahrt darin. Und Oliver Hansen besserte sich so seine Rente ein wenig, indem er sich um den Leuchtturm und die Besucher oder die Touristen etwas kümmerte, und er war auch der Schlüsselverwalter, sozusagen. Gerne erzählte er von seiner Arbeit früher und manchmal auch von solchen merkwürdigen Geschichten. Davon kannte er viele. Manche waren auch erfunden oder gerade eben erst ausgedacht. Vor allem, wenn Kinder dabei waren.

Also sprangen sie schleunigst in den sicheren Leuchtturm hinein. Oliver Hansen brauchte ein wenig länger mit seinen 72 Jahren und seinem schlimmen Bein, dass nicht mehr so recht wollte.
Wie es eben so ist, wenn man halt langsam alt wird.
So wie mit seinem Gehör. Es grollte lange und dann war ein lauter Knall zu hören! Max bellte erschrocken, sogar Hansen fuhr zusammen. Christian Winter, so hieß der Mann im übrigen, meinte: "Wir könnten uns ja im Besucherraum oben hinsetzen und eine Tasse Tee trinken. Und du erzählst mir noch eine Geschichte oder zwei. Vieleicht schreibe ich sie mir später auf, für mein neues Buch über Seefahrergeschichten."
"Das ist eine gute Idee!"
So stiegen sie die enge Wendeltreppe in den 2. Stock hoch. Sein Hund ganz aufgeregt, schnell vorneweg. Christian Winter hatte Mühe mitzuhalten. Und zog energisch an der Leine, langsamer zu machen. Hansen schnaufte hinter ihm wie eine Seekuh. Er war der Letzte!

Endlich im Besucherraum angekommen, noch mindestens nochmals drei Stockwerke von der Aussichtsplattform entfernt, band er seinen Collie-
mischling an einem Tischbein fest und setzte sich mit Hansen auf eine Holzbank, an den Tisch. Ihre nassen Jacken hatten sie ausgezogen und auf eine freie Bank gegenüber gelegt. Es gab insgesamt zwei große Tische und vier Bänke. Eine kleine Küche, sowie eine Toilette samt Waschbecken. Und einen separaten, großen Raum, in dem schlief und wohnte Oliver Hansen früher, als er noch berufstätig war. Natürlich tagsüber! Jetzt war er aber leer. Und dort hingen jetzt die Bilder über die Schifffahrt und dem Leuchtturm.
Draußen stürmte und gewitterte es, und der Regen peitschte wild das Meer. Man sah es durch das
kleine Fenster. Nach kurzem verschnaufen oder ausschnaufen, machte Hansen schließlich einen kräftigen Tee und goß auch etwas Rum in beide Tassen hinein.
"Der wärmt von innen!", bemerkte er lakonisch und lachte. Wenn er meint, dachte sich Winter. Aber schaden kanns ja schließlich auch nicht. Er musste sich ein Grinsen unterdrücken.
Und so saßen sie noch bis mittags gegen drei beisammen und redeten und er erzählte auch wieder eine Geschichte, die sich hier am Turm abgespielt haben sollte und auch von der Schifffahrt handelte.

Ein junges Paar hatte geheiratet, es war die große, wahre Liebe. Er war auf einem Schiff namens Südstern, Matrose. Sie sahen sich nur an den Wochenenden oder wenn er frei hatte. Aber dann war sie glücklich und er auch. Denn jemanden wirklich zu lieben, heißt auch warten zu können. Auch sich in Geduld zu üben. Beide waren so verliebt.
Eines Tages war er auch auf dem weiten, kalten Meer unterwegs und kurz vor der Küste beim Heimfahren, kam schlechtes Wetter auf und die Südstern geriet in einen fürchterlichen Sturm! Und so kam es, dass das Schiff kenterte und vierzehn Mann Besatzung mitsamt dem Schiff, im tobenden Meer unterging. Man suchte noch über zwei Wochen lang nach Überlebende. Aber es war wahrlich hoffnungslos! Und diese junge Frau war zuiefst entsetzt, über den Verlust ihres über alle Maßen geliebten Mannes und so schockiert und ungläubig darüber, sie kam nicht darüber hinweg.
Seit dem Unglück spukte sie immer wieder an Vollmond um die Klippen am Leuchtturm herum...
Manchmal meinte man auch den Namen ihres Mannes zu hören, wie sie ihn wieder und wieder rief. Ab und an vernahm man auch ein lautes, bitteres Weinen. Zuletzt stürzte sie sich die Klippen hinab in die Tiefe.

In seiner Pension am späten Abend beim Essen,
überlegte sich Winter dann, hatte diese Vision des mysteriösen Schiffes und die spukende Frau etwas miteinander zu tun? Verwoben sie sich nicht sogar auf seltsame Weise miteinander? Eigentlich war die Sache doch klar oder doch nicht? Es war ihm schon ein wenig unheimlich geworden, als Oliver Hansen diese Geschichte erzählte, obwohl er sie bereits in der Kneipe gehört hatte. Von ein paar anderen Leuten, beim Biertrinken.
Max lag erledigt und vor sich hindösend auf dem Boden.
Und er, er blickte aus dem offenen Fenster aufs jetzt wieder ruhige, silbrig schimmernde Meer hinaus. Der Mond stand schon hoch oben. Und die Sterne leuchteten in weiter Ferne, durch leichte Bewölkung hindurch. Er atmete tief die kühle Luft ein und fühlte sich auf einmal befreiter und erleichterter. Wie wenn alle Sorge und Last abgefallen wären, wenigstens für eine gewisse Zeit. Vielleicht musste er noch ein weing mehr recherchieren, um an seinem Buch weiter-
schreiben zu können. Aber er war ja noch ein paar Tage hier. Kommt Zeit, kommt Rat! Er war sich nun sicher, dass er noch vieles herausfinden würde.


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Texte: Alle Rechte liegen beim Autor! Keine unerlaubtenKopien, Auszüge und so weiter... 2009
Tag der Veröffentlichung: 19.07.2009

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