Es gab Grund zur Freude, denn ein Jahrmarkt kam in die Stadt. Als großer Achterbahnfan war ich natürlich begeistert. Keiner wusste zwar genau, was da genau kommt, ob nun Jahrmarkt, Zirkus, Schausteller oder Fahrgeschäft, aber alle waren in heller Aufregung. Ob ich mich von der Begeisterung nun anstecken ließ, oder einfach nur wegen der willkommenen Abwechslung hoch erfreut war, weiß ich nicht. Aber das war ja auch egal.
Als es dann endlich soweit war, war die ganze Stadt auf den Beinen. Menschen jeden Alters strömten auf den alten Messplatz, angezogen von einem Plakat, dass überall zu sehen war. Ein Mann auf dem Plakat mit schwarzen Zylinder, einem roten Hemd und schwarzer Anzugshose versprach Spaß und Unterhaltung für jedermann. Und das Beste daran, das Ganze war umsonst. Man konnte also nichts falsch machen.
Vorsichtshalber sicherten wir uns trotzdem schon vorab Karten. Man weiß ja nie. Außerdem wollten wir unbedingt zu den Ersten gehören und auf keinen Fall was verpassen. Und die Gefahr, dass man schon kurz nach der Eröffnung jedes Detail auf Facebook lesen kann und dadurch die Überraschung kaputt geht wollte keiner eingehen.
Nun standen wir vier also vor dem Eingang. Bruno, Marita, Judith und ich. Bruno, der kleine dickliche Paketdienstfahrer, war der Ruhepol unserer Gruppe. Nur selten ließ er sich zu mehr als einem einsilbigen Kommentar hinreißen. "Hoffentlich keine Achterbahn", war seine Antwort auf die Frage, ob er uns begleiten würde. Dabei bildeten deutliche Sorgenfalten in seinem, mit einem Vollbart bedeckten, Gesicht. Eine weitere Gefühlsäußerung war von ihm auch nicht zu erwarten gewesen. Während der Vorbereitung unseres Besuchs kam dann auch nur noch ein gelegenliches Kopfnicken von seiner Seite. Nur wenn das Thema Achterbahn zur Sprache kam, schüttelte er immer wehemend seinen Kopf, so dass sein, zum Pferdeschwanz zusammen gebundenes Haar, wild von links nach rechts flog. Marita war sogar noch kleiner als Bruno, allerdings alles andere als dick. Als Tech-Freak unserer Gruppe erfüllte sie das Cliché eines Nerds perfekt. Auch wenn sie sicherlich in ihrem Leben so mehr als eine Brille hatte, so sah sie doch immer gleich aus. Keiner von uns hätte sie wahrscheinlich ohne ihre Hornbrille erkannt. Der Kurzhaarschnitt rundete das Bild eines Strebers perfekt ab. Sie war auch mindestens 3mal so schlau wie der Rest von uns zusammen. Allerdings hatte sie dafür nie lernen müssen. Marita war immer für jeden Spaß zu haben und konnte auch immer erklären, warum man, wissenschaftlich betrachtet, gerade so einen Spaß hat.
Wir alle waren aufgeregt wie kleine Kinder an Weihnachten, obwohl keiner wusste was uns bevorstand. Ausgerüstet mit einer Brotzeit und Getränken hatten wir schon Stunden vor der Eröffnung uns Lager aufgeschlagen. Marita hatte darauf bestanden so früh dort hin zu gehen, obwohl wir sie alle dafür als verrückt erklärten. Wie sich heraus stellte zu Unrecht. Auch wenn wir die Ersten waren stellte sich schnell heraus, dass es eine gute Entscheidung war. Zwei Stunden vor der Eröffnung tummelten sich bereits hunderte Menschen vor dem Eingang.
Und dann ging es los. Eine Fanfare erklang und eine feierliche Stimme sagte: " Herzlich willkommen zu dem größten Event, dass er je erlebt habt. In weniger als fünf Minuten öffnen wir die Tore und ihr werdet etwas erleben, von dem ihr noch eurer Enkelkindern berichten werdet!". "Ganz schön großspurig", witzelte ich noch.
Drei Stunden später war alles ganz anders. Ich war vollkommen begeistert und überwältigt. Ich konnte mich nicht erinnern, jemals schon einen solchen Spaß gehabt zu haben. Meine Freunde hatte ich schon längst aus den Augen verloren. Ich wanderte ziellos umher und war nicht in der Lage auszudrücken, was ich alles erlebt hatte. Ich war nicht der Einzige. Überall wo man hin sah, blickte man in glückliche Gesichter. Genauso hatte ich es mir vorgestellt. Jeder hatte Spaß. Ich würde morgen auf jeden Fall wieder kommen, denn das konnte ich immer wieder machen. Mittlerweile hatte ich auch jedes Zeitgefühl verloren. Hatte ich gar keine Uhr angezogen? Da es aber bereits dunkel wurde musste ich schon ewig hier gewesen sein. Kein Problem, denn ich hatte nichts weiter vor und würde sicherlich bis zum Schluss bleiben. Nun stand ich vor der Aufgabe zu entscheiden, was ich als nächstes machen soll. Dann erblickte ich den Veranstalter, mit seinem schwarzen Zylinder und knallroten Hemd klar erkennbar. "Das macht die Entscheidung einfach", dachte ich mir als ich zu ihm rüber lief. Und dann sah ich ihn.
Was war passiert? Ich stand einfach nur da. Eine Mischung aus Irritation, Verwunderung und Unverständnis überkam mich. Wen, oder besser gesagt was, guckte ich da an? Der Zylinder war verschwunden, stattdessen waren da lange schwarze Hörner. Das Hemd war gar kein Hemd, sondern eine blutrote Haut und die Hose war ein dichtes schwarzes Fell. Eine Fratze mit langen spitzen Zähnen grinste mich an. "Was ist los Nils?" grinste mich der Veranstalter an. "Gefällt es dir hier nicht?", säuselte es in meinen Ohren. "Doch, doch. Auf jden Fall!", stammelte ich automatisch. Was war mein Problem? Ich hatte doch so viel Spaß. Beinah wäre in Vergessenheit geraten was ich gerade gesehen hatte, doch ein Blick in das Gesicht des Veranstaltes verschaffte mir wieder klare Gedanken. "Du musst unbedingt zur Exklusivvorführung in 10 Minuten kommen, ich habe dich schon auf die Gästeliste geschrieben!", forderte er mich auf. "Das laß ich mir sicher nicht entgehen.", sagte ich während ich automatisch die Eintrittskarte nahm. Der Veranstalter nickte zustimmend und verschwand in der Menge.
Fünf Minuten später fand ich mich in der Schlange für die "Exklusivvorstellung" wieder. Aufregung hatte wieder eingesetzt und ich konnte es kaum erwarten. Alles Sorgen und Bedenken waren vergessen. Wie alle anderen schätze ich mich so glücklich, dass ich eine dieser begehrten Karten bekommen hatte. Doch irgendwas nagte in meinem Hinterkopf. Sollte ich nicht woanders sein? Was hatte ich vergessen? Es war wie das Gefühl, wenn man weiß dass man noch etwas unbedingt machen muss aber im Moment nicht weiß was. Was es auch war, es würde warten müssen. Aber es war doch so wichtig, nur was? Nur noch drei Leute vor mir und dann war ich an der Reihe das Zelt zu betreten. Noch ein letzter Bilck auf das Plakat und dann würde es los gehen. Und dann auf einmal wieder diese Fratze auf dem Plakat. An was erinnerte sich mich bloß? Plötzlich lichtete sich der Nebel der vergangenen Minuten. Was auch immer der Veranstalte war, er war nicht das was er vorgab. Und das hie war offensichtlich eine Falle. Die euphorischen Besucher drängten mich nach vorne und schon war ich dran meine Karte zu präsentieren. In meine Vezwwiflung sah ich nur einen Ausweg. "Gibt es in dem Zelt auch Toiletten?", fragte ich so unauffällig. "Leider nein, aber direkt neben dem Zelt finden Sie eine.", antwortete mir die Kartenabreisserin freundlich. "Aber bitte beeilen Sie sich. Es geht gleich los.", fügte sie untestützend dazu. Mit einem Kopfnicken entfernte ich mich schnell aus der Schlange. "Bist du bescheuert, jetzt musst du dich wiede anstellen!", schrie mein Gewissen. Wie versteinert stand ich einige Sekunden da und wusste nicht was ich machen sollte. Plötzlich tauchte vor meinem geistigen Auge wieder diese Fratze auf und ich wusste was zu tun war. so schnell wie nur irgendwie möglich ging ich nach Hause.
Am nächsten Morgen setzte wieder die gewohnte Routine ein. Nachdem ich gefrühstückt hatte ging ich wie immer zur Bahnstation. Zu meiner Verwunderung gab es aber eine Fahrplanänderung. Alle Bahnen fuhren heute ausschliesslich zum alten Messplatz und die Bahnsteige quollen über mit Menschenmassen. Bevor ich richtig realisiert hatte was hier passierte schoben mich die Menschen schon in die Richtung der nächsten Bahn. Panik machte sich in mir breit. Unter gar keinen Umständen wollte ich da wieder hin. Aber noch unbegreiflicher für mich war, dass es alle anderen genau da hin zog. "Nils!", hörte ich meinen wiederholt rufen und suchte den Rufenden. Dann sah ich Bruno vom Parkplatz aus winken. Ich kämpfte mich durch die Massen zu ihm rüber. In seinem alten Einser Golf saßen Marita und Judith mit leichblassen Gesichtern. "Bist du verrückt? Was machst du denn da?" herrschte mich Bruno an. "Du kannst doch nicht wirklich DA hin wollen!", meinte Bruno fassungslos. "Ich, ich... Nein, auf gar keinen Fall!", stammelte ich. Auf einmal wurde ich misstrauisch, "Moment, warum sollte ich denn nicht wie alle anderen da hin wollen?", fragte ich unschuldig. "Oh nein, schrie Marita auf. "Du etw auch?". "Hast du denn nicht gesehen was da vor sich geht? War das alles normal für dich? Kannst du dich denn an gar nichts erinnern?", sprudelte es aus Marita raus. Sie hatte Tränen in den Augen und zitterte so stark, dass Judith sie festhalten musste. "Nö, bis auf den Kerl der aussieht wie der Teufel ist mir nichts sonderbares aufgefallen", versuchte ich die Situation zu entschärfen. Die Gesichtszüge meiner Freunde entspannten sich. "Zum Glück, wir dachten schon du wärst auch einer dieser Ferngesteuerten.", sagte Bruno erleichtert. "Ferngesteuerte? Was soll das denn bitteschön sein?", fragte ich scon beinahe amüsiert. Ob mir nicht das komische Verhalten aller anderen aufgefallen wäre fragte mich Marita. Jetzt wo sie es ansprach merkte ich, dass ich die ganze Zeit nicht wirklich auf die anderen Lwute geachtet hatte. Bei näherer Betrachtung sah ich, dass sie alle einen schon fast grenzdebilen Gesichtsausdruck hatten. Weit aufgerissene Augen und ein verzogenes Lächeln war bei allen Menschen um uns herum zu sehen. Gleichzeitig sahen sie aber auch ais, als hätten sie tagelang nicht geschlafen und könnten sich nur mit grösster Anstrengung wach halten. Ihre eingefallenen Gesichter und ungepflegten Aussehen standen im großen Kontrast zu ihrem dümmlichen Gesichtsausdruck. "Grinse-Zombies sind das", stellte ich fest. "Die Bezeichnung ist fast genauso bescheuert wie der Gesichtsausdruck von den Ganzen hier." Daraufhin mussten wir alle etwas lachen. Aber die Fröhlichkeit verging recht schnell wieder, als ich die, allesüberschattende, Frage stellte: "Was ist hier eigentlich los?". Nach schier endlosen Minuten des Schweigens fingen wir an zu diskutieren. Alle möglichen Theorien gingen uns durch den Kopf, Terroristen, Drogen, chemische Waffen, geheime Organisationen, Aliens. Alles schien möglich zu sein. Dein nicht eine dieser vermeidlichen Erklärungen konnte folgendes klären. Was war das für eine Person, wenn es überhaupt eine Person war, die für all dies verantwortlich schien. Letztendlich konnten wir uns nur darauf einigen, dass wir keine Antwort wussten. Schlimmer noch, wir fingen an zu streiten. "Willst du genauso werden wie Die? Bist du total bescheuert? Wir müssen schnellstmöglich von hier verschwinden und irgendjemand davon erzählen.", war Maritas Standpunkt. Judith schien am liebsten ihren Kopf in den Sand stecken zu wollen und ignorierte das Offensichtliche einfach. "Wir sollten alle ruhig bleiben, nach Hause gehen und warten bis sich die Sache von selbst regelt!", war die Position auf die sich Julia versteift hatte. Bruno sah das etwas anders, wenn auch seine Lösung recht ähnlich war. "Warum sollen wir uns darum kümmern, andere können das sicher besser. Was auch immer hier vorgeht, ist zu groß für uns! Wir wären verrückt uns da einzumischen." Nur ich war der Meinung, dass wir unbedingt etwas tun müssen. Ich konnte einfach nicht verstehen, dass die anderen die Situation offensichtlich so falsch einschätzten. "Habt ihr schon mal ein Film gesehen, in dem die Leute in so einer Situation einfach nach Hause gehen?", versuchte ich die Gruppe zu überzeugen. "Du bedenkst nur eins nicht. Das ist kein verdammter Film!", schrie Marita. Ich ließ mich aber nicht von meiner Meinung abbringen, dass wir unbedingt etwas machen mussten. Letztendlich kochen die Emotionen so hoch, dass ich verkündete zu Not auch alleine etwas zu unternehmen. Meine drei Freunde waren mindestens genauso bockig wie ich und beschlossen auf dem schnellsten Weg nach Hause zu fahren. Ich blieb sturr stehen, während Bruno, Marita und Judith ins Auto stiegen. "Hast du in deinen blöden Filmen nie gelernt, dass man sich nie trennen sollte?", blaffte mich Marita durch das offene Fenster an, während sie davon fuhren.
Da stand ich nun. Auf der einen Seite stinksauer, weil meine Freunde nicht die Notwendigkeit gesehen hatten etwas zu unternehmen, auf der anderen Seite starr vor Angst vor dem was ich jetzt tun sollte. Ich schautr mich fragend um, und kam letztendlich nur zu einer möglichen Lösung: Ich musste zum alten Marktplatz. Mittlerweile hatte die Menschenmenge schon deutlich nachgelassen, denn es schien als wären alle Menschen schon längst unterwegs oder bereits Vorort. Es kostete mich einige Überwindung, aber dann stieg ich doch in die Bahn. Mit jedem Meter dem ich mich dem alten Messplatz näherte stieg meine Nervösität. Was, um Himmels Willen, sollte ich denn überhaupt machen? Was hatte mir meine Sturrheit da wieder eingebrockt? Das Bremsen der Bahn rieß mich aus meinen Gedanken. Unsicher stieg ich aus näherte mich dem Eingang des Geländes. Auch dieser war so gut wie verlassen, bis auf eine Empfangsdame die total abwesend neben dem Drehkreuz stand. "Wo bekomme ich denn noch eine Eintrittskarte?", schreckte ich die Frau auf. Sie guckte mich total verwirrt und unverständnisvoll an "Warum hast du denn keine? Jeder hat doch eine. Hast du deine zu Hause vergessen?", kam es monoton aus ihrem Mund. Nachdem sie das gesagt hatte, setzte sofort wieder ihr abwesender Blick ein und sie schien mich nicht weiter zu bemerken. Was jetzt? Sollte ich einfach wieder umdrehen? Ich bezweifelte, dass ich nochmal den Mut aufbringen würde hierher zu kommen. Dann kam mir eine Idee. "Entschuldigung, ich habe meine Karte zuhause vergessen. Wären sie wohl so freundlich mich trotzdem rein zu lassen? Die Karte bringe ich Ihnen gerne morgen!", meinte ich mit einem Lächeln auf dem Gesicht. Die Dame richtete ihren Blick auf mich, wobei sie durch mich durchzuschauen schien. Ohne mich wiederzuerkennen sagte sie desinterressiert "Klar doch" und winkte mich durch. "Ok, das wäre schon mal geschafft.", dachte ich mir. Nach Orientierung suchend schaute ich mich um. Komischerweise kam mir nichts vom vorherigen Tag bekannt vor.
Tag der Veröffentlichung: 12.08.2013
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