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Wie es der Lauf der Dinge ist, starb ein Mann. Er war gewöhnlich, er war sogar bis auf eine Sache so gewöhnlich wie jeder andere, der 1,3 Kinder, ein Eigenheim und einen Golden Retriever besaß.
Doch es gab nun einmal diese Sache, die ihn überpräsent, jedoch beliebt, geschätzt und geehrt machte:
Was er hatte teilte er mit Armen und für die, denen er nicht selbst helfen konnte rief er in schwarz-weißen Werbesspots zu Spenden auf und hielt herzergreifende Reden auf AIDS-Galen, für die Rechte der Frau in Afrika, gegen Pelzhandel in Russland, Delfintötung in Japan, gegen Rassismus und für Integration.
Er reiste in ferne Länder und baute Brunnen, Schulen und Krankenhäuser, nahm Pflegekinder aus Afghanistan auf und vergaß dabei seine eigenen Kinder nicht.
Wer ihn nicht liebte, der hatte zumindest Respek vor ihm. Selbst härteste Kritiker störten sich nicht an ihm, obwohl man seinen Altruismus als krankhaft hätte bezeichnen können.
Bis es sich nun einmal zutrug, dass er starb.
Und diese Nachricht ging in kürzester Zeit um die Welt. Menschen versammelten sich und beklagten seinen Tod, binenn drei Tagen wurde er posthum für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen und auf seiner offiziellen Trauerfeier wurden mehr als 30.000 Gäste vermerkt. Wer ihn zuvor nicht gekannt hatte, kannte ihn jetzt.

Doch die Ursache seines Todes war ungeklärt, niemand wusste, wieso er eines Morgens reglos in seinem Arbeitszimmer lag. Böse Zungen munkelten über Selbstmord.
So wurde eine Obduktion angeordnet, der auch seine Frau widerstrebend zustimmte, wollte sie doch die herzlosen Stimmen zu Schweigen bringen.

Man setzte ihm an einem Donnerstag um 16:51 das Skalpell auf die Brust direkt über das tote Herz, öffnete seine Rippen und inspizierte den Körper - das war zumindest das Vorhaben der Ärzte.
Doch als sie die ehrwürdige Brust aufschnitten, fand sich in seinem Inneren etwas, was kein Arzt zuvor gesehen hatte: ein graues, unförmiges Ding lag dort, wo man das Herz vermutet hätte.
Ein Schreck und kleine Aufschreie gingen durch die Reihen der Experten: Was war geschehen? Ein Karzinom, eine Wucherung, eine Missbildung? Hatte man gar in früheren Operationen spezielles Besteck im Körper des Patienten vergessen?
Schon witterten die gebildeten Männer Gefahr und wollten den Mann wieder zunähen, die Oduktion kommentarlos beenden.
Doch ein neugieriger Kardiologe schaute sich das graue Etwas genauer an.
,,Meine Herren", verkündete er über die Ränder seiner Brille, ,,Dies ist das Herz."
Erstaunen machte sich in lautem Raunen breit, keiner wollte das glauben. Mitten in der Brust ein graues Herz?
Doch der unerschrockene Arzt hatte auch darauf eine Antwort.
"Es ist vollkommen und ganz aus Stein."

Tage vergingen, und jeden Tag wurde das steinerne Herz unter strengen und vor allem streng-geheimen Maßnahmen untersucht, verzeichnet, gewogen, vermessen. Doch keiner konnte der ersten Aussage widersprechen: Das Herz dieses Mannes war aus Granit, sehr hart und sehr lebensunfähig.
Man fand heraus, dass das Herz wohl eine Art Wandlung vorgenommen haben musste, denn in der frühen Kindheit des Mannes war es noch fleischlich gewesen. Der Stein hatte sich in Schichten Jahr für Jahr über die Oberfläche gezogen, bis der Muskel irgendwann zum Stillstand kam.
Es tauchten Dokumente von Arztbesuchen des Mannes auf, er musste gewusst haben, dass ein steinernes Herz in seiner Brust schlug. Sein Psychologe vertraute dem Kardiologen an, dass er in den Sitzungen oft davon gesprochen hatte, keine Gefühle zu besitzen.
Die Experten waren schockiert. Was war das für eine neuartige Krankheit? Und wer war ihr schon alles zum Opfer gefallen?
Eingeschaltete Fachärzte aus aller Welt wurden nicht schlau aus dem Granitherz oder konnten den Ursprung des Versteinerns feststellen, und die Politiker der Welt fürchteten eine Massenpanik. Sie wollten die ganze Sache vertuschen

Wäre der Mann nicht derart berühmt gewesen und seine Obduktion offiziell angekündigt und von den Medien begleitet worden, wäre es ihnen vielleicht gelungen.
Doch findige Journalisten wurden argwöhnisch, als die Ärzte immer weniger Informationen über den Fortgang der Obduktionen preiszugeben und der Verdacht der Erpressung laut wurde. Ein wagemutiger Brite brach in das Forschungszentrum ein und stahl und veröffentlichte die Ergebnisse der Obduktion, nicht ohne sich dabei reichlich Geld für seine 1,3 Kinder, sein Eigenheim und seinen Golden Retriever zu verdienen.

Es wurde zum Skandal des Jahres, Jahrhunderts gar.
Und zur Überraschung der Weltmächte samt Führer war es nicht die Krankheit, die die Massen empörte.

Dieser Mann hatte nicht etwa für andere Spenden gesammelt, er hatte es für sich getan! Er hatte sein Herz heilen wollen, das war die Meinung der Öffentlichkeit.
Die Versteinerung erfuhr Ignoranz, viel wichtiger waren die egoistischen, gar grausamen Taten des Mannes!
Nur die Tatsache, dass seine allumfassende Hilfe ihn nicht hatte retten noch seine fehlenden Gefühle herstellen können, erfüllte die Allgemeinheit mit Genugtuung.
DIe restliche Wut ließen sie an seinem Erbe aus: Plakate mit dem lächelnden Gesicht des Mannes wurden abgerissen, seine Sports aus dem Fernsehen und der Erinnerung gelöscht, sein Grab geschändet und verunstaltet.
Man wollte ihn verbrennen, doch zwischen der Asche verblieb das Herz.
Seine Kinder konnten fortan nicht mehr zu Schule gehen, denn dort bewarfen die anderen sie mit Steinen. Seine Frau wurde nachts mit Drohanrufen aus dem traumlosen Schlaf gerissen.

Der Mann wurde zum Sinnbild des Egoismus, sein steinernes Herz zum geflügelten Wort.
Wie hatte er bloß, um sich selbst zu erlösen, tausende andere retten können?

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Tag der Veröffentlichung: 06.01.2010

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