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Alles passierte in Ungarn, 1942-43.

Der alte Mann wurde am 29.05.1889 geboren, in einem kleinen Ort in Ungarn.
Er hat den ersten Weltkrieg als Soldat erlebt. Als der zweite kam, war er schon zu alt, was ihn nicht daran hinderte, ein Patriot zu sein und ein glühender Nazihasser. Er hatte ein Taxiunternehmen und drei Töchter, wohnte in einer kleinen Stadt nahe der österreichischen Grenze. Niemand erinnert sich heute dort noch an diesen alten Mann, außer den Nachkommen der Geretteten und seiner eigenen Familie.

Es geschah alles in Sopron, damals.
Er beobachtete das Grauen, das um ihn herum passierte. 20 km von seiner Stadt entfernt war eine Zuckerfabrik, wo die Nazis Gefangene wie Vieh einpferchten, polnische Offiziere, die im Widerstand waren, und die nach England fliehen wollten, es aber nicht gepackt hatten und gefangen genommen worden waren. Die Kriegsgefangenen wurden gequält, waren hungrig, frierend und müde vom Krieg.

Nicht weit von dieser Fabrik war ein kleines Gasthaus, und die Wirtin trat eines Tages in Verbindung mit dem alten Mann. Er habe doch Autos, sagte die Wirtin. Sie fragte, ob er Leute in die Hauptstadt oder über die Grenze fahren würde. Der alte Mann sagte ja, als er erfahren hatte, um welche Leute es ging.

Eines Tages tauchte jemand auf, ein gewisser Anton Kozina aus Danzig, bei Nacht und Nebel, wie es sich für ein konspiratives Treffen gehört. Er bat auch um Hilfe, und er sagte auch zu ihm ja.
Der alte Mann fing an zu organisieren. Er überlegte: Seine beiden Töchter gingen auf eine Mädchenschule, in der Nonnen unterrichteten. Die beiden Mädchen bettelten den Nonnen Kleider ab, und trugen sie nach Hause.

Irgendwann nachts klingelte es. Halb erfrorene Menschen standen vor der Tür, Männer, Frauen und Kinder. Es handelte sich um eine kleine Gruppe geflohener Juden, müde, verängstigt, voller Angst. Juden, die ihr Hab und Gut verkauften, um dem Horror zu entkommen, und sich wochenlang auf abenteuerlichen Wegen durchschlugen, bis zu diesem alten Mann.

Im Schlafzimmer des alten Mannes war eine Nische. Mit vereinten Kräften schob man einen Schrank davor, und die Flüchtlinge saßen in dieser Nische. Die geliehenen Nonnenkleider waren für diese Menschen bestimmt. Und die orthodoxen Juden opferten ihre Bärte und Locken für die Freiheit, zogen den christlichen Habit an, um zu entkommen.

Die beiden Mädchen hatten in der Schule den Nonnen ehrlich gebeichtet, was der Vater mit den Gewändern vorhatte, und die katholischen Schwestern hatten daraufhin gerne geholfen.

Nach der ersten Gruppe, die glücklich in Österreich ankam und in weitere helfende Hände gegeben wurde, kam die erste Nachricht. Entflohene Offiziere aus der Zuckerfabrik müssten gefahren werden. Und ohne zu zögern fuhr der alte Mann wieder. Da die Nonnen erneut mithalfen, wurden Zivilkleider organisiert. Der alte Mann fuhr die polnischen Offiziere in die Hauptstadt, wo in der Basilika zu Budapest unter bestimmten Gebetsbüchern falsche Pässe versteckt lagen. Einer der Priester hatte seine Angst überwinden können und fälschte die Pässe wie ein Krimineller.

Es warteten auch mutige Leute woanders, die diese gequälten, verängstigten Menschen in Empfang nahmen, und ihnen weiter halfen.

Der alte Mann fuhr erneut - mal mit jüdischen Menschen über die Grenze, mal mit polnischen Flüchtlingen in die Hauptstadt. Er wurde mehrfach denunziert, aber es gelang, ihn rauszuhauen.

Es fanden auch Hausdurchsuchungen statt.
Die Uniformen der Offiziere wurden zuerst im Keller versteckt, und nach und nach beseitigt. Die beiden Mädchen gingen mit dem Rucksack in den Wald, und vergruben sie dort stückweise. Eines dieser Mädchen zeigte den Schergen bei Hausdurchsuchungen auch immer die falschen Kellerräume, war selbstbewusst und frech.

Das Mädchen wurde erwachsen, und arbeitete später in einem wissenschaftlichen Institut. Bei einem Kongress in der Hauptstadt traf sie einen Herrn aus Kanada, einen Professor. Dieser Mann bat sie, sie möge mit ihm die Basilika besichtigen. Er ging hinein, suchte kurz, ging dann zu einer Bank, und hob ein Gebetsbuch auf. Dann fing an zu weinen. Das kleine Mädchen von einst, das inzwischen erwachsen geworden war ahnte, weshalb er weinte, es aber fragte ihn trotzdem. Der Professor erzählte von einem couragierten alten Mann, der ihm einst half zu fliehen. Sie gab sich zu erkennen, als Tochter des alten Mannes. Da standen nun zwei weinende Menschen mitten in der Basilika.

Als der Krieg zu Ende war, nahm man dem alten Mann alles weg, seine Autos, sein Einkommen. Er verlor alles, denn er war in den Augen der Sozialisten ein Kapitalist. Aber er schwieg und lebte bescheiden weiter.
Seine Töchter und Schwiegersöhne halfen ihm. Irgendwann bekam er einen kleinen Orden aus Polen. Aber er bekam nichts in seinem Heimatland, nach all diesen Jahren, außer einem Witz von einer Rente.

Er hatte seine Erinnerungen – an die über 400 Menschen, die er ohne Angst fuhr. Niemals hat er sich aufgegeben.
1982 starb er - aufrecht und stolz.
Seine Geschichte sollte nicht vergessen werden, meine ich. Sie ist ein Beispiel für die kleine, alltägliche Zivilcourage.

Der alte Mann war mein Großvater János Tóth.

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Tag der Veröffentlichung: 16.09.2011

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